Pneumologie 2021; 75(06): 424-431
DOI: 10.1055/a-1486-1015
Übersicht

Bedeutung nicht-invasiver Verfahren in der Therapie des akuten hypoxämischen Versagens bei COVID-19

Role of Non-Invasive Strategies in the Treatment of Acute Hypoxemic Respiratory Failure Related to COVID-19
Wolfram Windisch
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Bernd Schönhofer
3   Klinik für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin; Evangelisches Klinikum Bethel
,
Daniel Sebastian Majorski
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Maximilian Wollsching-Strobel
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Carl-Peter Criée
4   Evangelisches Krankenhaus Göttingen Weende, Abteilung für Pneumologie, Bovenden-Lenglern
,
Sarah Bettina Schwarz
1   Lungenklinik Merheim, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
2   Universität Witten/Herdecke
,
Michael Westhoff
2   Universität Witten/Herdecke
5   Lungenklinik Hemer, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Hemer
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

In der Corona-Pandemie werden zunehmend nicht-invasive Verfahren zur Behandlung des akuten hypoxämischen Versagens bei COVID-19 eingesetzt. Hier stehen mit der HFOT (high-flow oxygen therapy), CPAP (continuous positive airway pressure) und der NIV (non-invasive ventilation) unterschiedliche Verfahren zur Verfügung, die das Ziel einer Intubationsvermeidung verfolgen. Der aktuelle Übersichtsartikel fasst die heterogene Studienlage zusammen. Wesentlich ist die Erkenntnis, dass diese nicht-invasiven Verfahren durchaus auch bei einem schweren, akuten hypoxämischen Versagen erfolgreich sein können und damit die Intubation wie auch Tubus-assoziierte Komplikationen vermeiden können. Demgegenüber bleibt aber ebenso zu betonen, dass die prolongierte unterstützte Spontanatmung ebenfalls zu Komplikationen führt und dass demzufolge insbesondere ein spätes NIV-Versagen mit erheblich verschlechterter Prognose einhergeht, was vor dem Hintergrund weiterhin hoher NIV-Versagensraten in Deutschland bedeutsam ist. Der aktuelle Artikel verweist schließlich auch auf einen Parallelartikel in dieser Ausgabe, der die medial in der Öffentlichkeit in Deutschland geführte Debatte zu diesem Thema aufgreift und deren inhaltliche Fragwürdigkeit, aber auch die negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Fachwelt adressiert. Gleichzeitig wird die Bedeutung von regelmäßig zu überarbeitenden Leitlinien untermauert.


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Abstract

Non-invasive strategies such as HFOT (high-flow oxygen therapy), CPAP (continuous positive airway pressure) and NIV (non-invasive ventilation) are increasingly being used during the COVID-19 pandemics in order to treat acute hypoxemic respiratory failure related to COVID-19, and this is aimed at avoiding intubation. This review article summarizes the current evidence by also emphasizing its heterogeneity. Importantly, current evidence suggests that these non-invasive strategies can be successfully used even in case of severe respiratory failure and are, thus, indeed capable of avoiding intubation, and consequently, tube-related complications. In contrast, it also remains to be emphasized that prolonged spontaneous breathing supported by non-invasive treatment strategies is also prone to complications. In particular, late NIV failure is associated with substantially deteriorated outcome, which is suggested to be meaningful in view of NIV failure rates still being high in Germany. Finally, the current article also refers to a parallel article that addresses the discussion being held in the public media in Germany concerning this topic. Here, its textual questionability, but also its negative consequences for both the research community and the general society are elaborated. In this context, the importance of national and regularly updated guidelines is emphasized.


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Hintergrund

COVID-19 kann bekanntermaßen zu einer Pneumonie und in deren Folge zu einem mitunter schweren akuten hypoxämischen Versagen führen [1] [2]. In dieser Situation besteht nicht selten die Notwendigkeit, eine bereits begonnene Sauerstofftherapie zu eskalieren. Hier stehen mit der HFOT (high-flow oxygen therapy), mit CPAP (continuous positive airway pressure) und der NIV (non-invasive ventilation) nicht-invasive Verfahren, nach Intubation aber auch invasive Verfahren zur Verfügung [1] [2] [3] [4]. Eine finale Eskalationsmöglichkeit besteht zudem in der Anwendung extrakorporaler Verfahren zur Oxygenierung und Decarboxylierung [4].

Nun ist in Deutschland eine Diskussion zur zeitgerechten Initiierung und Beendigung dieser Verfahren entstanden [1]. Insbesondere besteht der Vorwurf einer „zu frühen Intubation“, wobei diese Diskussion weniger in Fachkreisen als vielmehr über die öffentlichen Medien geführt wird, wobei ärztlichen Stellungnahmen Einzelner viel Gewicht gegeben wird [5] [6] [7] [8]. Diese Diskussion erfolgt vor dem Hintergrund weiterhin hoher Sterberaten auf der Intensivstation. So konnte eine sehr aktuelle Deutschland-weite Analyse zwar darlegen, dass das Risiko einer intensivmedizinischen Behandlung im Vergleich zur ersten Welle halbiert werden konnte, dass die Mortalität auf der Intensivstation aber weiterhin bei ca. 50 % liegt und sich damit im Vergleich der zweiten Welle zur ersten Welle keineswegs gebessert hat [9].

Bereits früh im Verlauf der Pandemie hat die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) in ihrem Positionspapier zur praktischen Umsetzung der apparativen Differenzialtherapie des akuten hypoxämischen Versagens bei COVID-19 einen Therapiealgorithmus zur apparativen Therapieeskalation im Sinne eines Stufenschemas publiziert und dabei auch sehr deutlich das Potenzial nicht-invasiver Verfahren hervorgehoben [3]. Dieser Algorithmus ist von den Leitlinien zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19 übernommen und unter engmaschiger Revision in der aktuellen Version in einigen Details modifiziert worden [4]. Diese Leitlinien sind federführend von der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie der DGP unter Mitwirkung mehrerer weiterer Fachgesellschaften von namenhaften Leitlinienautoren erstellt worden, sodass hier von einem breiten Konsens innerhalb der Fachexpertise ausgegangen werden kann [4].

Diese interdisziplinäre Leitlinienerstellung stellt einen Kernbaustein in der Pandemiebekämpfung dar. Hier besteht auch ein klares Verständnis in Bezug auf die Differenzialtherapie dahingehend, als dass es sich bei den nicht-invasiven und invasiven Therapieverfahren keinesfalls um kompetitive als vielmehr in Abhängigkeit vom Schweregrad der respiratorischen Einschränkung um sich ergänzende und ggf. alternierend einzusetzende Therapieverfahren handelt, wie schon zuvor ausführlich dargelegt [1].

Allerdings trägt die Flut von wissenschaftlichen Publikationen zum Thema COVID-19 dazu bei, dass der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn rascher verläuft als zu Prä-COVID-19-Zeiten und somit auch eine iterative Neubetrachtung der Situation in engmaschigen Zeitabständen und unter Berücksichtigung aktueller Literatur erforderlich ist.

Aus diesem Grund fasst der vorliegende Artikel die neuesten Publikationen bis April 2021 mit Erkenntnisgewinn zu den nicht-invasiven Therapiestrategien zusammen und formuliert eine Einschätzung ihrer Bedeutung für den klinischen Alltag. Möglicherweise lassen sich hieraus auch Erkenntnisse ableiten, die zu einer weiteren Modifikation der Leitlinien beitragen können.

Der Artikel verwendet das generische Maskulinum, um den Redefluss nicht zu stören, allerdings explizit mit dem Hinweis, dass das Femininum dabei mitzudenken ist.


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Studienlage

Eine detaillierte Synopsis der aktuellen Studien zu den nicht-invasiven Therapiestrategien bei schwerem Atemversagen infolge COVID-19 mit Bezug zur Intubationsrate und auch zur Mortalität ist in [Tab. 1] gegeben. Zusammenfassend ergibt sich hieraus, dass der Großteil der Studien außerhalb der Intensivstation und primär sogar auf spezialisierten Normalstationen durchgeführt worden ist. Dies war einerseits zumindest teilweise der Not geschuldet, dass Engpässe in der intensivmedizinischen Versorgung, insbesondere in Italien, bestanden. Zum anderen hat der Schweregrad der respiratorischen Beeinträchtigung nicht immer eine direkte intensivmedizinische Behandlung erfordert.

Tab. 1

Studienübersicht zu nicht-invasiven Therapiestrategien bei schwerem Atemversagen infolge COVID-19.

Studie

Setting

Intubationskriterien

Hauptergebnis

Aliberti et al. [10]

Italien

High Dependency Unit (HDU)

Multizentrisch

Prospektive Beobachtungsstudie

Einschluss für CPAP (Helm):

P/F < 300[*]

N = 157

Primärer Outcome:

CPAP-Versagen

Major (1 Kriterium):

Atemstillstand

Bewusstseinsverlust

Kreislaufinsuffizienz

CPAP-Intoleranz

Minor (2 Kriterien):

P/F-Anstieg ≥ 30 %

P/F < 100

PaCO2-Anstieg ≥ 20 %[**]

Bewusstseinsverschlechterung

Respiratorischer Distress

SpO2 persistierend < 90 %

Erschöpfung

CPAP-Versagen: [§]

44,6 %

CPAP-Responder:

55,4 %

Mortalität in HDU:

51 % CPAP-Versagen

0 % CPAP-Responder

(P < 0,0001)

Oranger et al. [11]

Frankreich

Pneumologische Station

Monozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Vergleich zweier Beobachtungszeiträume (–/+ CPAP)

Einschluss für CPAP (Maske oder Boussignac):

Bedarf an ≥ 6 L O2/min für eine SpO2 von ≥ 92 %

N = 66

Primärer Outcome:

Intubationsvermeidung durch CPAP

Kreislaufinsuffizienz

Neurologische Verschlechterung

Atemfrequenz > 40/min

Hoher Einsatz der Atemmuskulatur

Respiratorische Azidose

SpO2 < 90 % unter max. konservativer Therapie

Therapieversagen: [§]

ohne CPAP: 57 %

mit CPAP: 23 % (P = 0,043)

intubationsfreies Überleben an Tag 7:

ohne CPAP: 43 %

mit CPAP: 76 % (P = 0,021)

Brusasco et al. [12]

Italien

Spezialisierte COVID-19-Stationen („Sub-intensive units“)

Monozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Einschluss für CPAP („Venturi Generators“):

P/F < 200[*], PaO2 < 60 mmHg, Atemfrequenz > 30/min, Luftnot (trotz O2-Gabe)

N = 64

Primärer Outcome:

Überleben ohne Intubation nach 4 Wochen

P/F weiter fallend

PaO2 < 60 mmHg

Atemfrequenz > 30/min

(trotz CPAP über 4 Tage)

Überleben und stationäre Entlassung unter CPAP:

83 %

Tod unter CPAP:

6 %

Tod nach Intubation:

71 %

Franco et al. [13]

Italien

Spezialisierte COVID-19-Stationen außerhalb der Intensivstation

Multizentrisch

Prospektive Beobachtung/retrospektive Auswertung

Einschluss für HFOT/CPAP (Helm)/NIV:

SaO2 < 94 %, Atemfrequenz > 20/min trotz maximaler O2-Gabe

N = 670

Primärer Outcome:

„Feasibility“ und Sicherheit für das Personal

„Overall outcomes“

SaO2 < 94 %, Atemfrequenz > 20/min hämodynamische Instabilität

P/F < 200 ohne Besserung auf HFOT, CPAP oder NIV

Klinische Abschätzung der Prognose

Intensivkapazität vorhanden

30-Tage-Mortalität gesamt:

HFOT: 16 %

CPAP: 30 %

NIV: 30 %

P > 0,05 nach Adjustierung für Alter, P/F, Komorbiditäten und Steroidgabe

Intubationsrate (Mortalität nach Intubation):

HFOT: 29 % (23 %)

CPAP: 25 % (32 %)

NIV: 28 % (18 %)

P > 0,05 nach Adjustierung für Alter, P/F, Komorbiditäten und Steroidgabe

Medizinisches Personal:

Infiziert: 11,4 %

Hospitalisiert: 0,8 %

Voshaar et al. [14]

Deutschland

Kommentar unter [15]

Intermediate Care/Intensivstation

Duozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Einschluss:

SaO2 < 93 %

N = 78 (nur O2-Gabe N = 53)

Eskalation zu HFOT/CPAP/NIV:

CaO2 < 9 ml/dl, Atemarbeit (nicht weiter definiert)

Outcome:

Intubationsrate

CaO2 < 9 ml/dl, Atemarbeit (nicht weiter definiert) unter HFOT/CPAP/NIV

Eskalation bei unzureichender Therapie unter O2-Gabe:

25 Patienten (32 %), davon 17 Patienten erfolgreich mit HFOT/CPAP/NIV und 8 Patienten mit Intubation

Mortalität:

HFOT/CPAP/NIV: 0 %

Intubation: 50 %

Avdeev et al. [16]

Russland

Nicht-Intensivstation

Duozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Einschluss für CPAP (Maske):

O2-Gabe von ≥ 6 L/min für SpO2 > 92 % und respiratorischer Distress (Dyspnoe, Tachypnoe, Atemhilfsmuskulatur)

Eskalation zu PSV:

Atemfrequenz > 30/min, respiratorische Azidose, schwerer Einsatz der Atemhilfsmuskulatur

N = 61

Primärer Outcome:

NIV-Versagen (Intubation oder Tod)

SpO2 < 88 % ohne Ansprechen auf CPAP/PSV, pH < 7,30, hämodynamische Instabilität, Erschöpfung

CPAP: N = 45

CPAP + PSV: N = 16

NIV-Versagen insgesamt:

28 %

Mortalität bei NIV-Versagen:

88 %

Risiko für NIV-Versagen:

Hohes Alter

Hohes Atemminutenvolumen unter NIV

Hohes D-Dimer

Medizinisches Personal:

Infiziert: 0 %

Alviset et al. [17]

Frankreich

Normalstation/Notaufnahme oder Intensivstation

Monozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Einschluss für CPAP (Maske):

SpO2 ≤ 90 % unter O2-Gabe von 10–15 L/min

N = 41 (DNI-Patienten ausgeschlossen)

Primärer Outcome:

CPAP-Versagen (Intubation oder Tod)

Keine detaillierten Intubationskriterien

CPAP-Versagen insgesamt:

63 %

Mortalität:

Insgesamt: 29 %

Bei CPAP-Versagen: 46 %

Zheng et al. [18]

China

Intensivstation

Monozentrisch

Retrospektive Beobachtungsstudie

Einschluss für nichtinvasive Verfahren (O2-Gabe, HFOT):

Luftnot und Atemfrequenz ≥ 30/min, SpO2 ≤ 93 % (Raumluft), P/F ≤ 300

N = 34

Outcomes:

Intensivstations-Outcome

P/F < 150, Atemfrequenz > 30/min, eingeschränkte Kooperation und/oder schwere Komplikationen (z. B. Schock) trotz HFOT

Nicht-invasiv: 56 %: davon 37 % mit O2 alleine und 63 % mit HFOT)

Invasiv: 44 %: davon 73 % zusätzlich ECMO

Mortalität:

Nicht-invasiv: 0 %

Invasiv: 0 %

Aber erst 95 % (nicht-invasiv) und 13 % (invasiv) der Patienten entlassen

CaO2 = Sauerstoffgehalt des Blutes; CPAP = continuous positive airway pressure; HFOT = high-flow oxygen therapy; NIV = non-invasive ventilation; P/F = PaO2/FiO2 = Sauerstoffpartialdruck/inspiratorische Sauerstofffraktion; SaO2 = arterielle Sauerstoffsättigung; SpO2  = periphere, pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung; PSV = Pressure Support Ventilation

* Unter Sauerstoffzufuhr


** bei baseline PaCO2 ≥ 40 mmHg


§ Intubation oder Tod bei Do-not-Intubate-Order (DNI)


Die meisten Studien wurden retrospektiv ausgewertet. Vor diesem Hintergrund müssen die Ergebnisse einerseits sicherlich mit Vorsicht interpretiert werden. Andererseits darf dies aber auch nicht zu einer Geringschätzung der Studienergebnisse führen, zumal gerade in den vergangenen Wochen und Monaten sehr viele und wertvolle Erfahrungen aus unterschiedlichen Ländern gesammelt werden konnten. Weitere, zumeist kleinere Beobachtungen und Studien, die nicht in [Tab. 1] aufgeführt sind, können dem Evidenzbericht der aktuellen Leitlinie entnommen werden [19]. Zwei weitere Analysen haben zudem zumindest entsprechende Subgruppen untersucht [20] [21]. Auch im genannten Evidenzbericht wird hervorgehoben, dass die analysierten Studien primär retrospektive Fallserien/Kohortenstudien darstellen, in denen relevante Confounder in Hinblick auf die Vergleichbarkeit der Gruppen (nicht-invasiv vs. invasiv) zu beachten sind.

Dennoch zeigen alle Studien die grundsätzliche Machbarkeit sowie das Potenzial dieser nicht-invasiven Therapiestrategien selbst bei schwerstem Atemversagen infolge COVID-19 auf. Die Studien sind allerdings extrem heterogen insbesondere in Bezug auf die Einschlusskriterien sowie die Intubationskriterien. Hier zeigt sich, dass die Kriterien zur Intubation immer mehrere Parameter umfassen, wie dies auch in der aktuellen S3-Leitlinie eindeutig festgelegt wurde [4] [19] [22]. Kenngrößen der Oxygenierung sind in bisherigen Studien zwar regelhaft genannt, sind aber ebenfalls heterogen und reichen von der peripheren oder arteriellen Sauerstoffsättigung (SpO2, SaO2) über den arteriellen Sauerstoffpartialdruck (PaO2) bis hin zu komplexeren Kenngrößen wie dem Sauerstoffgehalt des Blutes (CaO2) und vor allen Dingen dem Horovitz-Quotienten (PaO2/FiO2 = P/F-Ratio). In den meisten Studien bleibt aber unklar, welcher definierte Intubationstrigger dann tatsächlich der individuellen Entscheidung zur Intubation jeweils zugrunde lag.

Auffällig ist auch, dass die Stufentherapie in Bezug auf die jeweils angewandten nicht-invasiven Verfahren ebenfalls heterogen ist. Hier kam es am häufigsten zur Anwendung von CPAP, wobei der Helm als Interface primär in Italien eingesetzt worden ist, während in den anderen Ländern mit Gesichtsmaske behandelt wurde. Im Weiteren fungieren die HFOT, CPAP und die NIV in der genannten Reihenfolge in einigen Studien ihrerseits als eigene Eskalationsstufen, während sie in anderen Studien ohne Gewichtung je nach Verfügbarkeit und Erfahrung zum Einsatz kommen.

Wohl aber zeigt eine sehr aktuelle, randomisierte, kontrollierte Studie, dass HFOT und NIV im Pressure Support-Modus unter Verwendung des Helms grundsätzlich gleichwertig gewesen sind hinsichtlich des primären Endpunktes [23]: Hier waren die Patienten 20 Tage (NIV) und 18 Tage (HFOT) frei von respiratorischer Unterstützung im Zeitverlauf von 28 Tagen nach Randomisierung (P = 0,26). Allerdings mussten in der HFOT-Gruppe mehr Patienten intubiert werden (30 % vs. 51 %, P = 0,03). Entsprechend waren die Patienten in der HFOT-Gruppe auch länger invasiv beatmet. Ein Unterschied für die Krankenhaus-Mortalität ergab sich daraus aber nicht: 24 % (NIV), 25 % (HFOT), P > 0,99).

Besonders erwähnenswert sind allerdings zwei weitere Studien: So wurden in der Arbeit von Oranger et al. aus Frankreich zwei Behandlungsperioden verglichen, eine vor sowie die andere nach Etablierung von CPAP, während ansonsten im unveränderten Setting behandelt wurde, sodass trotz der retrospektiven Auswertung tatsächlich eine Kontrollgruppe vorhanden war [11]. Die weitere Besonderheit in dieser Studie lag in den eher strengen Intubationskriterien ([Tab. 1]). Zusammenfassend führte CPAP zu einer deutlichen Verbesserung des Intubations-freien Überlebens, was das Potenzial von CPAP in dieser Indikation klar unterstreicht ([Tab. 1]).

Die andere Arbeit von Franco et al. zeichnet sich vor allen Dingen durch die hohe Patientenzahl von N = 670 sowie die Tatsache aus, dass die Ergebnisse unter den Bedingungen erheblicher intensivmedizinsicher Engpässe während der ersten Welle in Italien erarbeitet wurden und daher nicht-invasive Therapieverfahren in hoher Fallzahl außerhalb der Intensivstation durchgeführt werden mussten [13]. Als wesentliche Erkenntnis ergab sich aus dieser Studie, dass HFOT, CPAP und NIV selbst bei einer Vielzahl von Patienten mit initial schwerster Oxygenierungsstörung (P/F < 100) tatsächlich möglich und häufig effektiv sind (s. u.) und dass die drei genannten Verfahren auch nach Adjustierung hinsichtlich des Alters, der P/F-Ratio, einer Steroidgabe und der Komorbiditäten gleichwertig waren bezüglich der Intubationsvermeidung und der 30-Tage-Mortalität. Allerdings betrug die Rate des Therapieversagens (endotracheale Intubation und Mortalität der Nicht-Intubierten) für CPAP 48,4 % und für NIV 55,6 % [13].


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Bedeutung des Horovitz-Quotienten (PaO2/FiO2 = P/F-Ratio) für die Formulierung von Intubationskriterien bei COVID-19

Die aktuellen Leitlinien integrieren den Horovitz-Quotienten als einen von mehreren Intubationskriterien [4] [22]. So sollte bei einer P/F-Ratio von < 150 eine Intubation erwogen werden, bei einer P/F-Ratio von < 100 aber „im Regelfall“ intubiert werden. Dabei gibt es speziell bezüglich der P/F-Ratio in Hinblick auf die Intubation mehrere Punkte zu beachten:

Erstens: Die P/F-Ratio ist aus physiologischer Betrachtung in erheblichem Maße abhängig vom intrapulmonalen Shunt, welcher beim akuten hypoxämischen Versagen und auch bei einem solchen infolge COVID-19 unstrittig ist. Entsprechend führt eine hohe inspiratorische Sauerstofffraktion (FiO2) bei ausgeprägtem Shunt zu einer artifiziellen Erniedrigung der P/F-Ratio des Ausgangsbefundes. Umgekehrt kann aber eine Positiv-Druck-Anwendung auch mittels nicht-invasiver Methoden (CPAP, NIV) mitunter zu einer Rekrutierung führen, die mit Verringerung der Shunt-Fraktion einhergeht. Aus diesem Grund sollte Konsens darüber erzielt werden, unter welchen Therapie-Bedingungen und mit welchen Schlussfolgerungen die P/F-Ratio zu bewerten ist. Die Studienlage zeigt diesbezüglich leider eine ausgewiesene Heterogenität, da die P/F-Ratio unter sehr unterschiedlichen Bedingungen bestimmt worden ist ([Tab. 1]). Eine Vergleichbarkeit ist dadurch nicht gegeben.

Zweitens: Es bleibt auch unklar, ob singuläre Bestimmungen der P/F-Ratio ausreichen, um mandatorische Intubationstrigger abzuleiten. Eine kurzfristige erhebliche Erniedrigung der P/F-Ratio auf bspw. 100, welche sich nicht selten durch einfache Therapie-Interventionen und/oder Lagewechsel deutlich verbessern lässt, mag weniger sinnvoll zur Intubation führen als eine höhere P/F-Ratio von bspw. 150 über mehrere Tage ohne Besserung im Verlauf trotz aller Interventionen.

Drittens: Die P/F-Ratio sollte auch vor dem Hintergrund der Zeitdauer nicht-invasiver Therapiestrategien unter erhaltener Spontanatmung Beachtung finden. Entsprechend ist der „durch den Patienten selbst zugefügte Lungenschaden“ (patient self-inflicted lung injury/P-SILI) bei prolongierter Spontanatmung mit hohem Atemantrieb und hohen pleuralen Druckschwankungen möglicherweise ein ganz eigener Grund für eine fortgesetzte Verschlechterung des Atemversagens vor dem Hintergrund des bestehenden Lungenschadens ([Abb. 1]) [1] [24]. Es gibt auch Hinweise aus der aktuellen Literatur zur NIV bei COVID-19, dass insbesondere ein hohes Atemminutenvolumen ein Risiko für ein NIV-Versagen darstellt ([Tab. 1]). Hierbei könnte eine persistierend niedrige P/F-Ratio mit kontinuierlich hohem Atemantrieb und hohem Atemminutenvolumen somit eher eine Indikation zur Intubation darstellen als eine weniger lange dauernde Erniedrigung der P/F-Ratio, jeweils unter fortgesetzter Spontanatmung unter Zuhilfenahme nicht-invasiver Therapiestrategien. Dies bedarf allerdings weiterer Untersuchungen.

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Abb. 1 Durch den Patienten selbst zugefügter Lungenschaden (patient self-inflicted lung injury). Im Mittelpunkt steht der hohe Atemantrieb des spontan atmenden und wachen Patienten mit oder ohne NIV bei zunehmend gestörtem Gasaustausch und eingeschränkter Atemmechanik [1] [24]. Die konsekutiv hohe Atemarbeit kann dabei zu regional unterschiedlich hohen trans-pulmonalen Druck-Schwankungen führen. Wesentlich ist zudem die Erkenntnis, dass aus starken Inspirationsbemühungen eine Negativierung des Pleuradrucks resultiert, welche stärker ist als die intravasuläre Druckerniedrigung. Bei zusätzlich inspiratorisch erhöhtem intrathorakalen Blutvolumen bedingt dies eine Erhöhung des transmuralen pulmonal-vaskulären Drucks. Das Resultat ist ein erhöhtes Risiko für ein Lungenödem, insbesondere bei vorgeschädigter Lunge („capillary leakage“). Im Sinne eines Teufelskreises kommt es dann zu einer weiteren Beeinträchtigung der Atemmechanik mit Abnahme der Compliance sowie Einschränkung des Gasaustausches, was wiederum die Luftnot mit weiter gesteigerter Atemarbeit begünstigt. NIV = nicht-invasive Beatmung

Viertens: Es muss auch festgehalten werden, dass die P/F-Ratio weniger ein Marker der Oxygenierung ist als ein solcher, der die Fähigkeit zur Sauerstoffaufnahme des respiratorischen Systems beschreibt. Entsprechend können andere Parameter, welche die Sauerstoffversorgung des Körpers abbilden, mitunter ergänzend zur Therapieentscheidung auf der Intensivstation hilfreich sein. Unter pathophysiologischer Betrachtung muss hier zwischen Hypoxämie und tatsächlicher Gewebehypoxie unterschieden werden. Entscheidend für die Organfunktion ist hier die tatsächliche Oxygenierung des Gewebes. Daher sind SaO2 und PaO2 alleine mitunter nicht ausreichend, da sie die für die Gewebeoxygenierung ebenfalls entscheidenden Größen des Hämoglobins und des Herzzeitvolumens nicht berücksichtigen. Aus diesem Grund könnte der Bestimmung des CaO2 (Sauerstoffgehalt) oder sogar der Sauerstoff Delivery (DO2) eine besondere Bedeutung zukommen. Eine erste Arbeit aus Deutschland hat den CaO2 bereits in die Therapieentscheidung integriert [14]. Ob sich hierdurch allerdings Vorteile im Vergleich zu den Leitlinien-Kriterien [4] ergeben, bleibt noch unklar.

Somit kann festgehalten werden, dass ein weiterhin hoher Atemantrieb/hohes Atemminutenvolumen unter nicht-invasiven Behandlungsmethoden insbesondere über mehrere Tage das Risiko für ein P-SILI erhöhen könnte. Mitunter gibt es aber auch Stimmen, welche eine NIV im kontrollierten Modus beim hypoxämischen Atemversagen propagieren, also auch bei COVID-19 (persönliche Informationen). Unter diesen Bedingungen erscheint das Auftreten eines P-SILI interessanterweise unwahrscheinlich, da der Atemantrieb dann maximal gesenkt wird unter diesen Bedingungen. Allerdings mag es im klinischen Setting mitunter schwierig sein, unter den Bedingungen einer Bedarfshyperventilation mit Hypokapnie tatsächlich eine kontrollierte Beatmung mittels NIV zu etablieren und über mehrere Tage aufrecht zu erhalten. Studien diesbezüglich fehlen zudem gänzlich.

Fünftens: Einige Studien haben detaillierte Angaben zum Therapieerfolg nicht-invasiver Maßnahmen in Abhängigkeit von der P/F-Ratio gemacht und dabei zeigen können, dass diese Maßnahmen auch bei sehr niedriger P/F-Ratio erfolgreich sein können.

In der Studie von Brusasco et al. hatten CPAP-Versager tendenziell eine niedrigere P/F-Ratio [12]. Dies war aber statistisch nicht signifikant. Zudem erholten sich 68 % der Patienten mit einer P/F-Ratio von < 150 unter CPAP auch ohne Intubation, während nicht wenige Patienten mit erfolgreicher CPAP-Therapie eine P/F-Ratio von z. T. deutlich unter 100 aufwiesen. In der Studie von Franco et al. hatten 222 Patienten eine P/F-Ratio zwischen 51 und 100 [13]. Davon sind lediglich 34 % intubiert worden und 35 % gestorben. Insgesamt 11 Patienten hatten eine P/F-Ratio von sogar ≤ 50. Hier sind 64 % intubiert worden, während 50 % gestorben sind.

Bedeutsam war auch in der Studie von Aliberti et al., dass die P/F-Ratio bei den Patienten mit CPAP-Versagen (Median 152, IQR 100–202) nicht unterschiedlich zu den Patienten mit CPAP-Erfolg (Median 136, IQR 95–205) gewesen ist (P = 0,85) [10]. Hier waren in beiden Gruppen (Erfolg/Versagen) jeweils 26 % der Patienten, die eine P/F-Ratio von < 100 hatten. Dabei zeigte diese Studie sehr deutlich, dass die Dynamik des P/F-Verlaufs mit deutlicher Verbesserung unter Therapie ein wesentliches Kriterium für den Therapieerfolg darstellte.

Schließlich ist die Studie von Santus et al. tatsächlich als prospektive Beobachtungsstudie durchgeführt worden [20]. Dabei konnte zwar gezeigt werden, dass eine niedrige P/F-Ratio mit einer höheren Mortalität assoziiert gewesen ist. Dennoch wurden auch in der Patienten-Gruppe mit einer P/F-Ratio ≤ 100 insgesamt 71 % der Patienten mit CPAP behandelt und nur 18 % der Patienten intubiert, wobei insgesamt 56 % der Patienten mit einer P/F-Ratio ≤ 100 gestorben sind.

Zusammenfassend zeigen die Erfahrungen mit nicht-invasiven Behandlungsmethoden bei der Therapie des schweren Atemversagens infolge COVID-19, dass die Hypoxämie und insbesondere die P/F-Ratio nicht als alleinige, mandatorische Intubationstrigger fungieren können, was auch die Einschätzung anderer widerspiegelt [25]. Deshalb müssen in die Entscheidung zur Intubation neben der kritischen Störung der Oxygenierung und dem respiratorischen Stress mit erhöhter Atemarbeit und häufig auch erhöhter Atemfrequenz auch weitere klinische Faktoren einfließen, insbesondere neben dem Alter auch Komorbiditäten und begleitende bzw. sich entwickelnde Organfunktionsstörungen, wie dies bereits in der entsprechenden Leitlinie hervorgehoben ist [4] [22]. Voraussetzungen sind zudem eine ausreichende Personalausstattung, um die nicht-invasive Therapie entsprechend zu überwachen, sowie eine hohe Erfahrung mit der schwierigen Intubation bei schwerer Hypoxämie. Vermieden werden muss in jedem Fall ein hypoxämisch induzierter Herzkreislaufstillstand.


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Aktuelle epidemiologische Daten aus Deutschland und zukünftige Studien

Kürzlich wurden in Deutschland epidemiologische Krankenkassen-Daten, welche auf den Codierungen im Rahmen des DRG-Systems basieren, publiziert [26]. Sicherlich weisen diese Daten die Limitation auf, dass Patienten nicht direkt untersucht worden sind und somit wesentliche Informationen zur Krankheitsschwere, zu den Intubationskriterien, zu den Kenngrößen der Beatmung und den Sauerstoffflussraten, zu der medikamentösen Therapie und schließlich zum Behandlungssetting (Intensivstation, Intermediate Care Station, Normalstation) fehlen. Zum anderen sind die Daten aktuell nur als Pre-Print publiziert, sodass der Review-Prozess bei einer Fachzeitschrift noch aussteht. Aus diesem Grund muss die Interpretation der Ergebnisse vor diesen Hintergründen Betrachtung finden.

Dennoch zeigt die Analyse anhand von knapp 7500 Patienten mit maschineller Beatmung zwischen März und November 2020 eindrücklich die Real-Life-Situation in Deutschland und weist klare Änderungen in der Therapie des Atemversagens infolge COVID-19 im Verlauf der Pandemie nach. So wurden während der ersten Welle noch 74 % der Patienten ohne NIV-Versuch direkt intubiert, während es in der zweiten Welle nur noch 40 % gewesen sind und entsprechend der Anteil mit NIV stark angestiegen ist. Die Gründe hierfür bleiben unklar, könnten aber in einer höheren Ansteckungsangst inklusive eines Mangels an Schutzausrüstung während der ersten Welle einerseits wie auch in der zunehmenden Erfahrung mit der NIV während der zweiten Welle andererseits ihre Erklärung finden. Interessanterweise spiegelt die Epidemiologie auch die Entwicklung der Leitlinienempfehlungen wider: Hier hatte die Erstauflage der Leitlinie noch eine „frühere Intubation“ empfohlen [27], während dies in der aktuellen Auflage durch das definierte Stufenkonzept abgelöst worden ist und somit den nicht-invasiven Verfahren ein viel größerer Raum gegeben ist [4] [24].

Zudem ist in der zweiten Welle die Rate an NIV-Versagern im Vergleich zur erste Welle tendenziell gefallen. Als positive Ergebnisse konnte in diesem Zusammenhang eine Verkürzung der Gesamt-Beatmungsdauer wie auch der Krankenhausaufenthaltsdauer dargelegt werden. Dies untermauert grundsätzlich die reale Bedeutung der NIV als wichtigen Therapie-Baustein im Rahmen der Corona-Pandemie.

Es wurde in dieser umfänglichen Analyse jedoch auch gezeigt, dass die Raten an NIV-Versagern extrem hoch sind (49 % in der ersten Welle und 42 % in der zweiten Welle). Die Forderung, die meisten Patienten könne man allein mit der NIV erfolgreich behandeln, ist damit widerlegt. Vielmehr noch: Ein NIV-Versagen mit konsekutiver Intubation war mit einer schlechteren Prognose assoziiert als bei direkter Intubation ohne NIV-Versuch. Insbesondere bei Anwendungsdauer der NIV über 5 Tage oder länger war das NIV-Versagen mit der schlechtesten Prognose verbunden (Mortalität 75 %).

Diese Beobachtung beweist sicherlich nicht das Konzept des P-SILI, wie oben beschrieben. Möglicherweise kann aber eventuell doch die prolongierte Spontanatmung bei gleichzeitiger Anwendung von CPAP/NIV mit Verschlechterung der pulmonalen Situation einhergehen (s. o.). Hier sind allerdings weitere Studien notwendig. Trotz des zunehmenden Einsatzes der NIV konnte in der Summe die Gesamt-Mortalität von 51 % bei NIV/invasiver Beatmung nicht gesenkt werden. Einschränkend muss angemerkt werden, dass CPAP aufgrund der Kodierungsregeln in dieser Studie keine Berücksichtigung gefunden hat. Patienten mit NIV post extubationem wurden zudem explizit nicht berücksichtigt.

Bemerkenswert bleibt aber, dass auch in der zweiten Welle immer noch 40 % der Patienten direkt und ohne NIV-Versuch intubiert worden sind, gleichwohl die Leitlinien hier schon die NIV klar im Stufenschema berücksichtigt haben [4] [22]. Diese Beobachtung liegt somit außerhalb der gültigen Empfehlungen und zeigt, dass mitunter viele andere Intubationstrigger bestehen, die dem Konzept einer alleinigen NIV bei COVID-19 klar widersprechen.

Es bleibt zudem noch zu erwähnen, dass große Studiendaten (N = 10 741) aus England, Wales und Nordirland ebenfalls nahelegen, dass die Intubationsfrequenz gesunken ist [28]. Allerdings sind diese Daten in einem anderen Gesundheitssystem entstanden und daher nicht einfach auf Deutschland zu übertragen.

In Deutschland ist im Zuge der unklaren Studienlage der Ruf nach einer großen und fachübergreifenden, randomisierten Studie laut geworden, um den tatsächlichen Stellenwert der NIV bei COVID-19 zu ermitteln und um klarer die Krankheitsschwere zu determinieren, die tatsächlich eine invasive Beatmung unumgänglich macht. Dieser Ruf erfolgt auch vor dem Hintergrund des Dogmas, dass randomisierte, kontrollierte Studien den Goldstandard in der evidenzbasierten Medizin für die klinische Praxis darstellen. Aber trifft das für die aktuelle Fragestellung wirklich zu? Das bleibt aus folgenden Gründen fraglich:

Im Gegensatz bspw. zu den Studien, die ein Pharmakon in der ambulanten Medizin anhand definierter Indikationskriterien evaluieren, besteht in der Intensivmedizin in Bezug auf die Indikationen und Kontraindikationen zur nicht-invasiven oder invasiven Beatmung eine Vielzahl von unterschiedlichen Begleitumständen, klinischen Besonderheiten, Indikationen und Kontraindikationen, wesentlichen Begleiterkrankungen und erheblichen Unterschieden in der subjektiven Akzeptanz unterschiedlicher Therapieverfahren. Die für die Patienten mitunter existentielle Entscheidung für oder gegen die Intubation zu einem definierten Zeitpunkt erfolgt stets in individueller Abwägung aller Umstände und setzt damit auch eine Behandlungsfreiheit voraus. Strikte Studien-Protokolle können zu Studienergebnissen und in der weiteren Folge dann zu darauf basierenden Therapieempfehlungen führen, die eben nicht zwingend auf die individuell-klinische Situation der einzelnen Patienten anzuwenden sind [29].

In diesem Zusammenhang bleibt nochmals anzufügen, dass nicht-invasive und invasive Therapieverfahren sich jeweils ergänzende Eskalations- und Deeskalationsstrategien darstellen, bei denen die sog. „ärztliche Kunst“, basierend auf der klinischen Erfahrung, zur Anwendung kommt, die beide Therapieprinzipien beherrscht und die in Anlehnung an ihre jeweiligen Vor- und Nachteile beide Therapieprinzipien zu jedem Zeitpunkt neu einzuschätzen weiß [1] [29].

Zusammenfassend besteht aktuell die Erkenntnis, dass nicht-invasive Verfahren durchaus auch bei einem schweren, akuten hypoxämischen Versagen erfolgreich sein können und damit die Intubation wie auch Tubus-assoziierte Komplikationen vermeiden können. Demgegenüber bleibt aber ebenso zu betonen, dass die prolongierte unterstützte Spontanatmung ebenfalls Komplikationen ausgesetzt ist und dass demzufolge insbesondere ein spätes NIV-Versagen mit erheblich verschlechterter Prognose einhergeht. Entsprechend bestehen weiterhin hohe NIV-Versagensraten in Deutschland und ebenso eine ungebremst hohe Mortalität auf der Intensivstation trotz deutlich häufigerer Anwendung der NIV.

Leider ist in Deutschland eine medial in der Öffentlichkeit geführte Debatte zur „zu frühen Intubation“ entstanden, welche die Autoren dieses Artikels in einem weiteren Artikel aufgegriffen haben [30]. Zudem hat die Deutsche Atemwegsliga eine Informationsplattform sowohl für Ärzte als auch primär für medizinische Laien geschaffen, um dieses kritische Thema sachlich und unter Berücksichtigung der Änderungen und neuen Entwicklungen im vergangenen Jahr verständlich und überschaubar zu skizzieren [31].


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Interessenkonflikt

W. Windisch hat Vortragshonorare erhalten von Firmen der Beatmungsindustrie. Zudem sind Forschungsaktivitäten in der Klinik von W. Windisch, S. B. Schwarz, D. S. Majorski und M. Wollsching-Strobel durch Firmen der Beatmungsindustrie unterstützt worden. S. B. Schwarz hat Reisekostenunterstützungen durch Firmen der Beatmungsindustrie erhalten. B. Schönhofer und C.-P. Criée geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. M. Westhoff hat Vortragshonorare sowie Beraterhonorare erhalten von Firmen der Beatmungsindustrie. Weiterhin wurden Forschungsaktivitäten in der Klinik von M. Westhoff durch Firmen der Beatmungsindustrie unterstützt.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wolfram Windisch
Chefarzt der Lungenklinik, Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Lehrstuhl für Pneumologie, Universität Witten/Herdecke
Fakultät für Gesundheit/Department für Humanmedizin
Ostmerheimer Str. 200
51109 Köln
Deutschland   

Publication History

Received: 30 March 2021

Accepted: 20 April 2021

Article published online:
11 May 2021

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Durch den Patienten selbst zugefügter Lungenschaden (patient self-inflicted lung injury). Im Mittelpunkt steht der hohe Atemantrieb des spontan atmenden und wachen Patienten mit oder ohne NIV bei zunehmend gestörtem Gasaustausch und eingeschränkter Atemmechanik [1] [24]. Die konsekutiv hohe Atemarbeit kann dabei zu regional unterschiedlich hohen trans-pulmonalen Druck-Schwankungen führen. Wesentlich ist zudem die Erkenntnis, dass aus starken Inspirationsbemühungen eine Negativierung des Pleuradrucks resultiert, welche stärker ist als die intravasuläre Druckerniedrigung. Bei zusätzlich inspiratorisch erhöhtem intrathorakalen Blutvolumen bedingt dies eine Erhöhung des transmuralen pulmonal-vaskulären Drucks. Das Resultat ist ein erhöhtes Risiko für ein Lungenödem, insbesondere bei vorgeschädigter Lunge („capillary leakage“). Im Sinne eines Teufelskreises kommt es dann zu einer weiteren Beeinträchtigung der Atemmechanik mit Abnahme der Compliance sowie Einschränkung des Gasaustausches, was wiederum die Luftnot mit weiter gesteigerter Atemarbeit begünstigt. NIV = nicht-invasive Beatmung