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DOI: 10.1055/a-1500-0144
Selbsthypnose in der MRT – ein Mittel gegen Klaustrophobie
Wer sich selbst schon einmal in einen Magnetresonanztomographen begeben hat, kann die Zurückhaltung von PatientInnen mit Klaustrophobie nachvollziehen. Sie beschreiben nicht nur die Enge im Gerät, sondern auch das Gefühl nicht atmen zu können und den Verlust der Kontrolle über die Situation als Belastung, und fühlen sich oft schuldig, wenn es zum Abbruch der Untersuchung kommt. Dabei sind klaustrophobe Ereignisse in der MRT nicht selten (ca. 10 % der PatientInnen sind betroffen) und bedürfen der besonderen Zuwendung des Personals bis hin zu oraler oder intravenöser Sedierung – mit all den Nachteilen für die Organisation (z. B. Begleitperson) und die Überwachung (z. B. Pulsoxymeter).
In einer aktuellen Studie hat die Klinik für Radiologie der Charité in Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Hypnotherapeuten versucht, der Klaustrophobie ohne Medikamentengabe zu begegnen. Die PatientInnen hörten während der Wartezeit auf die Untersuchung einen speziell auf die Situation angepassten Text mit hypnotischen Suggestionen. Durch diese Vorbereitung wurden sie bildhaft auf die MRT eingestimmt und in die Lage versetzt, besser mit der Situation umzugehen – noch bevor sie mit dem Gerät im Untersuchungsraum konfrontiert wurden. Für diese Studie wurde eine Hoch-Risikogruppe an einem offenen Tomographen gewählt – hier war es in der Vergangenheit zur höchsten Rate an klaustrophoben Ereignissen gekommen. Alle medikamentösen aber auch nicht-medikamentösen Bewältigungsansätze wurden gewissenhaft festgehalten und die PatientInnen im Anschluss an ihr Erlebnis befragt.
In der Interventionsgruppe (55 PatientInnen) gegenüber der historischen Kontrollgruppe (89 PatientInnen) konnte die Gesamtzahl der klaustrophoben Ereignisse halbiert werden (43 vs. 16 %). Besonders die Rate der benötigten Sedierungen (2 vs. 16 %) konnte reduziert werden. Während die meisten PatientInnen die Intervention als hilfreich empfanden (67 %), würden nur 10 % eine erneute MRT-Untersuchung ohne Selbsthypnose bevorzugen. Zwei PatientInnen wurden während der Interventionsphase zweimal untersucht, aber nur einmal in die Analyse eingeschlossen: Eine Patientin erbat sich, obwohl sie die erste Untersuchung mit Hypnose gut gemeistert hatte, für die Folgeuntersuchung eine orale Sedierung. Der zweite Patient konnte die erste MRT problemlos bewältigen, jedoch für die zweite Untersuchung aus Zeitgründen keine Intervention mitmachen – letztere musste mit intravenöser Sedierung unterstützt werden. Tatsächlich gaben 30 % der TeilnehmerInnen an, zuvor eine medikamentöse Sedierung für eine MRT gebraucht zu haben, die meisten davon brauchten aber keine nach der Selbsthypnose.
Die Betreuung von PatientInnen mit Klaustrophobie in der MRT kann für ärztliches und nicht-ärztliches Personal viel Zeit und Aufwand in Anspruch nehmen, besonders wenn sie über gutes Zureden oder eine Spiegelbrille hinaus geht. Im Rahmen der Studie wurde den PatientInnen bei der Anmeldung ein MP3-Player mit Kopfhörern übergeben. Während der Wartezeit auf die Untersuchung konnten die PatientInnen in Ruhe den ca. 20-minütigen Text anhören – er konnte auch unproblematisch für ein Aufklärungsgespräch unterbrochen, für die Untersuchung ganz abgebrochen oder bei längerer Wartezeit neu begonnen werden. Natürlich ist die Person auch nach der Hypnose in der Lage, in den Untersuchungsraum zu laufen oder mit dem Auto nach Hause zu fahren – man merkt ihm die hypnotische Intervention nicht an. In Zukunft kann es möglich sein, die Audio-Datei als App auf dem Smartphone oder über eine Website zur Verfügung zu stellen. So könnten PatientInnen sich selbst vor der Untersuchung, zu Hause oder im Wartebereich, auf die MRT vorbereiten. Dadurch wird nicht nur er selbst ermächtigt, etwas für sein Wohlbefinden zu tun, sondern auch der Aufwand für das Personal und den engen Zeitplan am Gerät reduziert.
Hypnose wird gelegentlich sowohl seitens der PatientInnen als auch von der Ärzteschaft mit Zurückhaltung begegnet, teils auf Grund der falschen Vorstellungen, die von Showhypnotiseuren vermittelt wird, teils unter dem Eindruck, dass das Konzept nicht in die Schulmedizin passen würde. Auf der anderen Seite begegnen wir zunehmend PatientInnen, die den Medikamenten gegenüber kritisch eingestellt und auf die Suche nach alternativen, „schonenden“ Mitteln zur Bewältigung von Problemen sind. Obwohl Glaube an die Wirksamkeit von Hypnose keine Voraussetzung für ihr Funktionieren ist, sind es gerade solche Patienten, denen Selbsthypnose in Vorbereitung auf eine Untersuchung angeboten werden könnte.
In dieser Studie konnten wir zeigen, dass Hypnose mit wenig Aufwand im Wartebereich möglich ist und PatientInnen mit hohem Risiko für Klaustrophobie hilft, sich der MRT zu stellen ohne auf Medikamente zurückgreifen zu müssen. In Zukunft wollen wir den Effekt in einer größeren Gruppe von PatientInnen gemeinsam mit Niedergelassenen untersuchen und würden uns hierzu sehr über Rückmeldungen freuen.
Link zum Artikel: https://link.springer.com/article/10.1007/s00330-021-07887-w
Link zum ZEIT Podcast: https://www.zeit.de/wissen/2021-05/hypnose-narkose-vollnarkose-charite-berlin-wissen-podcast
Twitter-Account von Prof. Dr. Marc Dewey: https://twitter.com/ProfDewey/status/1394301621857882112
Die Autoren:
Olf Stoiber (Hypnovita, München)
Prof. Dr. Marc Dewey (Charité - Universitätsmedizin Berlin)
PD Dr. Torsten Diekhoff (Charité – Universitätsmedizin Berlin)
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
30. Juni 2021
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