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DOI: 10.1055/a-1509-7014
Invasive und nicht-invasive außerklinische Beatmung in Deutschland
Eine rasante Entwicklung mit großen regionalen UnterschiedenInvasive and Non-Invasive Home Mechanical Ventilation in GermanyA Rapid Development with Large Regional DifferencesZusammenfassung
Hintergrund Die Zahl der außerklinisch beatmeten Patienten in Deutschland ist seit Jahren steigend. Allerdings liegen detaillierte Daten zur stationären Einleitung sowie stationären Kontrolle einer außerklinischen Beatmung nicht vor. Dies erscheint allerdings zwingend notwendig, um die Versorgungsstrukturen in Deutschland bestmöglich auszurichten. Hierbei ist es wichtig, auch regionale Unterschiede zu berücksichtigen, um die Versorgungsstrukturen bedarfsgerecht zu planen.
Methode Analysiert wurden die Datensätze des Statistischen Bundesamtes über die OPS (Operation and Procedure Classification System)-Kennziffern zur außerklinischen Beatmung in der stationären Patientenversorgung im Zeitraum von 2008–2019 (N = 572 494).
Ergebnisse Erstens: Zwischen 2008 und 2019 hat sich die Zahl der Einleitungen und Kontrollen mehr als verdoppelt. Die Zahl der Neueinleitungen (N = 17 958) und der Kontrollen (N = 49 140) war im Jahr 2019 am höchsten. Zusätzlich zeigt sich die Entwicklung der außerklinischen Beatmung auf Bundeslandebene sehr heterogen. Die Anstiege sind dabei insbesondere auf die Steigerung der nicht-invasiv beatmeten Patienten zurückzuführen.
Schlussfolgerung Die rasante Entwicklung in der außerklinischen Beatmung stößt an kapazitäre Grenzen der bestehenden Versorgungsstruktur. Zukünftige Versorgungsstrukturen sollten eine engere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Medizin erlauben, um Patienten mit außerklinischer Beatmung mit hoher Behandlungsqualität versorgen zu können, ohne die personellen und ökonomischen Grenzen des Systems zu sprengen.
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Abstract
Background The number of patients using home mechanical ventilation (HMV) is steadily increasing in Germany. Detailed data on inpatient initiation and control of HMV are not available. This, however, is absolutely necessary in order to optimize the medical care structures in Germany. Regional diversities must be taken into consideration in order to provide care structures that reflect the local needs.
Method The data sets of the German Federal Statistical Office on the OPS (Operation and Procedure Classification System) for HMV from 2008 to 2019 were analysed (N = 572,494).
Results Between 2008 and 2019 there was a doubling of the number of HMV initiations and controls. The number of initiations (N = 17,958) and controls (N = 49,140) was highest in 2019. Furthermore, at the state level, the development of HMV is very heterogeneous. Finally, the increases were particularly due to an increase in non-invasively ventilated patients.
Conclusion The rapid increase in HMV is reaching capacity limits of the existing healthcare structure. New healthcare structures should provide an integrated approach between outpatient and inpatient care in order to ensure a high quality of care for patients receiving HMV without compromising the human and economic resources of the system.
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Einleitung
Während die Negativ-Druck-Ventilation, insbesondere über Kürass-Respiratoren und „Eiserne Lungen“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Beatmungs-Landschaft geprägt hat, markierte die Polio-Epidemie mit Schwerpunkt in Kopenhagen im Jahre 1952 einen Wendepunkt der Beatmungstechnik [1]. Damals erfolgte erstmalig nach Tracheotomie die Positiv-Druck-Ventilation über einen längeren Zeitraum, wobei hier insbesondere manuell über sog. „Ambu-Bags“ im 24-h-Schichtdienst beatmet worden ist. In der Folge hat sich insbesondere, beginnend in den 1960er- und 1970er-Jahren, die moderne Intensiv- und Beatmungsmedizin mit der Entwicklung technisch komplexer Beatmungsgeräte zur Anwendung einer Positiv-Druck-Beatmung etabliert [1].
Heute wird eine Positiv-Druck-Beatmung sowohl in der Akutmedizin als auch in der Langzeitanwendung im Sinne einer außerklinischen Beatmung eingesetzt [2] [3] [4]. Je nach Schwere der Grunderkrankung, Art des Beatmungszugangs und dem Grad der Beatmungsabhängigkeit ist der pflegerische Aufwand mitunter sehr heterogen. Hier kann nicht selten eine nicht-invasive Beatmung (NIV = non-invasive ventilation) komplett selbstständig vom Patienten durchgeführt werden, während eine invasive Beatmung über ein Tracheostoma i. d. R. eine vollständige Versorgung durch einen intensivmedizinischen Pflegedienst voraussetzt [3] [5].
Über die Initiative „WeanNet“ der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. (DGP) sind kürzlich Ergebnisse des Weaning-Registers publiziert worden [6]. Danach werden über 20 % der Patienten, die wegen Schwierigkeiten bei der Entwöhnng vom Respirator in Weaning-Zentren verlegt werden, bei Nichtentwöhnbarkeit tatsächlich zur Fortsetzung einer invasiven Beatmung über ein Tracheostoma in die außerklinische Weiterversorgung verlegt. Hinzu kommen vergleichbare Patienten, die über andere Weaning-Zentren oder direkt von Intensivstationen unter Umgehung spezialisierter Weaning-Zentren in eine außerklinische Weiterversorgung verlegt werden, obwohl in bis zu 80 % der Fälle eine Entwöhnung in einem spezialisierten Weaning-Zentrum sekundär möglich wäre [7]. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund der Jahrestherapiekosten für die invasive außerklinische Beatmung von bis zu 300 000 Euro pro Patient problematisch [6]. Auf der anderen Seite besteht nicht nur ein zunehmender ökonomischer Druck, sondern insbesondere auch ein pflegerischer Fachkräftemangel, welcher die aktuellen Versorgungsstrukturen begrenzt [8].
Um dieses Thema umfassend zu beleuchten und auch die sektorenübergreifende Bedeutung hervorzuheben, sind Daten zu der Anzahl der betroffenen Patienten unabdingbar. In der Tat stehen epidemiologische Zahlen zur außerklinischen Beatmung in Deutschland nur unzureichend zur Verfügung, welche jedoch für eine sachgerechte Diskussion zur bedarfsgerechten Planung von Versorgungsstrukturen unerlässlich sind. Insbesondere sind Angaben zur Hospitalisierung wegen Einleitungen und Kontrollen einer außerklinischen Beatmung sowie die Dokumentation der regionalen Verteilung der Patientenströme essenziell zur dezidierten und bedarfsgerechten Planung und Steuerung von für die Langzeitbeatmung spezifischen Versorgungsstrukturen. Entsprechend bestand das Ziel dieser Arbeit in der Darstellung der Fallzahlen unter Berücksichtigung der Unterschiede auf Bundesländerebene sowie der Charakterisierung der Fälle hinsichtlich der Altersstruktur und des Beatmungszuganges (invasive vs. nicht-invasive Beatmung) in dem Zeitraum zwischen 2008 und 2019. Die vorliegende Arbeit baut damit auf einer Voranalyse auf, die sich auf Daten bis 2018 ohne weitere Differenzierung auf Bundeslandebene bezieht [9].
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Methodik
Als Grundlage der hier dargestellten Daten dienen die Datensätze des Statistischen Bundesamtes [10], welche gemeinsam mit den dort tätigen Datenmanagern aufbereitet wurden. Aufgrund des Krankenhausentgeld-Gesetzes [11] sind teil- und vollstationäre Einrichtungen in der Krankenversorgung verpflichtet, ihre Leistungsdaten anhand der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten (International Classification of Diseases = ICD) und die erfolgten Eingriffe anhand der Operationen- und Prozedurenschlüssel (Operation and Procedure Classification System = OPS) zu übermitteln.
Es wurde die Hauptprozedur 8-716 „Häusliche maschinelle Beatmung über Maske oder Tracheostoma“ und die darauf aufbauenden Prozedurenschlüssel 8-716.0 (Ersteinstellung einer nicht-invasiven oder invasiven häuslichen Beatmung) und 8-716.1 (Kontrolle oder Optimierung einer früher eingeleiteten nicht-invasiven oder invasiven häuslichen Beatmung) analysiert [12]. Zusätzlich erfolgte die Differenzierung der Daten hinsichtlich der Verteilung der Bundesländer, getrennt für Einleitungen und Kontrollen einer außerklinischen Beatmung. Des Weiteren wurde eine Analyse der verfügbaren demografischen Daten durchgeführt.
Durch die weitere Gliederung des Prozedurenschlüssels 8-716.0 seit dem Jahr 2017 zur Differenzierung des Beatmungszuganges in invasive (8-716.01 nach erfolglosem Beatmungsentwöhnungsversuch und 8-716.02 elektiv oder ohne Beatmungsentwöhnungsversuch) und nicht-invasive Beatmungsformen erfolgte für die Jahre 2017–2019 eine zusätzliche Analyse, bezogen auf die jeweilige Verteilung dieser unterschiedlichen Patientengruppen [12].
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Statistische Analyse
Für die finale Analyse wurden die zur Verfügung gestellten Datensätze des Statistischen Bundesamtes der Jahre 2008–2019 verwendet. Die statistische Analyse erfolgte mittels Sigma-Plot (Version 12.3, Systat Software, Inc., Point Richmond, Kalifornien, USA) im Sinne einer deskriptiven Datenauswertung. Für die Auswertung der Entwicklung der jeweiligen Altersstrukturen wurden Intervalle gebildet und diese im zeitlichen Verlauf analysiert. Die Datenanalyse der Altersverteilung der Fallzahlen erfolgte, dem Datenbankaufbau entsprechend, anhand von Intervallgruppen von jeweils 5 Jahren. Für die Darstellung des prozentualen Zuwachses wurden zusätzliche Altersintervalle von 20 Jahren gebildet und deskriptiv ausgewertet. Zur Berechnung der Inzidenz der Ersteinleitungen wurden ebenfalls die Daten des Statistischen Bundesamtes verwendet. Die Einwohnerzahlen bezogen sich hierbei auf die Erhebungen am 31. 12. 2019.
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Ergebnisse
Die Analyse umfasste eine Gesamtzahl von 572 494 Fällen, die aufgrund einer außerklinischen Beatmung stationär in dem Erhebungszeitraum behandelt wurden. Insgesamt konnten 168 740 stationäre Fälle mit dem OPS-Schlüssel 8-716.0 und 403 754 mit dem OPS 8-716.1 in den Jahren 2008–2019 verzeichnet werden. In [Abb. 1] sind die Entwicklungen der stationären Einleitungen und Kontrollen der außerklinischen Beatmung in den letzten 12 Jahren demonstriert. Hierbei zeigen sich deutliche Unterschiede in den einzelnen Bundesländern ([Abb. 2 a] und b). Die ergänzende Darstellung der Inzidenzen der Ersteinleitungen einer außerklinischen Beatmung, bezogen auf die jeweiligen Einwohnerzahlen, wurden hierbei getrennt analysiert und sind der [Abb. 3] zu entnehmen. Das Alter der Patienten betrug im Mittel in den Jahren 2008–2019 65,6 Jahre bei einer Ersteinleitung einer außerklinischen Beatmung und 64,1 Jahre bei den Fällen der stationären Kontrolle. Die Entwicklung des Altersmittelwertes ist für die stationären Ersteinleitungen und Kontrollen einer außerklinischen Beatmung in [Abb. 4] illustriert. Der absolute Anstieg und der prozentuale Zuwachs in den jeweiligen Altersgruppen in dem Berichtsjahr 2008, bezogen auf das Berichtsjahr 2019, ist in [Abb. 5] dargestellt. Die Anteile der Patienten, bezogen auf die nicht-invasive und invasive Beatmung, sind in den [Abb. 6 a] (Einleitungen) und [Abb. 6 b] (Kontrollen) für die Jahre 2017–2019 dargestellt.
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Diskussion
Die vorliegende Arbeit zur Entwicklung der außerklinischen Beatmung in Deutschland hat sich primär auf die Hospitalisierungen von Patienten zum Zwecke der Einleitung oder der Kontrolle einer außerklinischen Beatmung konzentriert. Die Hauptergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Erstens zeigt sich zwischen 2008 und 2019 eine Verdopplung der Fallzahlen, die sowohl zum primären Ziel einer Einleitung als auch einer Kontrolle einer außerklinischen Beatmung in Deutschland hospitalisiert wurden. Hierbei zeigte sich im Jahr 2019 eine hohe Zahl an Ersteinleitungen einer außerklinischen Beatmung mit fast 18 000 Fällen und einer sich hieraus ergebenden Inzidenz der Ersteinleitungen von 21,6 Fällen pro 100 000 Einwohnern.
Zweitens konnte gezeigt werden, dass insbesondere ältere Patienten zunehmend neu auf eine außerklinische Beatmung eingestellt werden oder eine stationäre Kontrolluntersuchung erhielten. Hervorzuheben ist hier der Anstieg der Fälle im Alter von über 80 Jahren bei Ersteinleitung und Kontrolle einer außerklinischen Beatmung, welcher in dieser Altersgruppe mit einem Anstieg der Fallzahlen von 2008–2019 von +225 % und +392 % am höchsten war.
Drittens sind die Hospitalisierungen zum Zwecke einer Neueinleitung und einer Kontrolle einer außerklinischen Beatmung in Bezug auf die Fallzahlen heterogen über die einzelnen Bundesländer verteilt. Dabei schwankt die Zunahme der Neueinleitungen im Verlauf der beobachteten 10 Jahre zwischen +14 % und +244 %, während die prozentuale Änderung der Kontrollen von –3 %–328 % auf Bundeslandebene reicht. Diese Heterogenität zeigt sich ebenfalls eindrucksvoll anhand der Inzidenzen der Ersteinleitungen, welche mit 40,2 Ersteinleitungen je 100 000 Einwohnern in Mecklenburg-Vorpommern bundesweit im Jahr 2019 am höchsten waren.
Viertens liegen aufgrund der mittlerweile differenzierten Kodierungs-Möglichkeiten seit 2017 Daten zur Kontrolle und Einleitung einer außerklinischen Beatmung in Abhängigkeit vom Beatmungszugang vor. Hier konnte gezeigt werden, dass in Deutschland in dem analysierten Zeitraum über 1000 Neueinleitungen einer invasiven außerklinischen Beatmung jährlich erfolgen. Zudem wurden im Jahr 2019 knapp 17 000 Patienten neu auf eine nicht-invasive Beatmung eingestellt. Bei der Betrachtung der Kontrollen zeigte sich im Gegenzug, dass der Anstieg der Fallzahlen auf die nicht-invasiv beatmeten Fallzahlen zurückzuführen ist.
Die aktuellen Ergebnisse haben eine wesentliche Implikation für die zukünftige Ausrichtung der entsprechenden Versorgungsstrukturen in Deutschland. So konnte grundsätzlich bereits vor 2 Jahren eine deutliche Zunahme der außerklinischen Beatmung dokumentiert werden [8]. Im Unterschied zur aktuellen Analyse basierte die damalige Berechnung allerdings auf dem ICD-Code Z99.1 (Abhängigkeit vom Respirator) [8]. Damit war die Analyse wesentlich unspezifischer, da nicht nur primäre Beatmungseinleitungen und entsprechende Kontrolluntersuchungen erfasst gewesen sind, sondern auch Hospitalisierungen aus anderen medizinischen Zielsetzungen. Entsprechend ergaben sich damals höhere Fallzahlen mit über 86 000 hospitalisierten Langzeit-Beatmungs-Patienten im Jahr 2016 [8]. Die aktuelle Analyse zeigt damit erstmalig zuverlässig die tatsächliche Entwicklung der Hospitalisierungen zum primären Zwecke der Einleitung oder Kontrolle einer außerklinischen Beatmung anhand der Dokumentationen im Rahmen des DRG-Systems.
Insbesondere die deutliche Zunahme von Langzeit-Beatmungsfällen von Patienten mit weit fortgeschrittenem Alter ist bemerkenswert, da in dieser Patientengruppe von einer hohen Koinzidenz von Komorbiditäten ausgegangen werden muss [13]. So konnte die Analyse vor 2 Jahren bereits zeigen, dass Patienten mit außerklinischer Beatmung extrem häufig mitunter z. T. sehr schwerwiegende internistische und neurologische Komorbiditäten aufweisen [8]. Dabei konnten frühere Arbeiten ebenfalls zeigen, dass die gesundheitsbezogene Lebensqualität insbesondere bei Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung nach Weaning-Versagen bei einigen Patienten zwar erhalten sein kann, bei anderen Patienten aber so schwer eingeschränkt ist, dass diese Patienten selbst ihr Leben als nicht lebenswert bezeichnen [14] [15]. Dies betrifft insbesondere COPD-Patienten und damit die größte Gruppe der Patienten mit außerklinischer Beatmung [16].
Es darf aufgrund dieser Zusammenhänge aber in keinem Fall die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ältere Menschen und/oder solche mit substantiellen Komorbiditäten auch unter den Bedingungen einer invasiven außerklinischen Beatmung nicht auch ein erfülltes Leben führen könnten. So ist bekannt, dass der berühmte Physiker Stephen Hawking, der an einer juvenilen Verlaufsform einer Motoneuronenerkrankung litt, 1985 eine schwere Lungenentzündung hatte, sodass die invasive Beatmung im Sinne eines palliativmedizinischen Konzeptes beendet werden sollte. Damals verweigerte seine Ehefrau diesen Schritt, sodass eine invasive außerklinische Beatmung noch für weitere ca. 33 Jahre fortgesetzt werden konnte [17].
Dennoch zeigt die skizzierte rasante Entwicklung der außerklinischen Beatmung die drohenden Grenzen des Systems, insbesondere wenn ethische Fragestellungen nicht in den Vordergrund gerückt werden. Hier wird unsere Gesellschaft in naher Zukunft vor gewaltigen Herausforderungen stehen, insbesondere wenn die Medizin auf eine Gesundheitsindustrie reduziert bleibt, deren zentraler Antrieb primär die Erwirtschaftung von Erlösen ähnlich der industriellen Produktion ist, wie der Medizinethiker Professor Giovanni Maio es formuliert [18].
Aus diesem Grund muss eine inhaltliche und ethische Ausrichtung der außerklinischen Beatmung auch die Abläufe in der Intensivmedizin berücksichtigen. So konnten die Auswertung des großen WeanNet-Registers wie auch die aktuelle Arbeit zeigen, dass der Großteil der Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung tatsächlich infolge eines Entwöhnungs-Versagens auf die invasive Langzeitbeatmung eingestellt wird [6]. Hier hat der Pneumologe und Intensivmediziner Professor Tobias Welte in seinem Editorial zur Analyse des WeanNet-Registers im Deutschen Ärzteblatt klar herausgestellt, dass die Fehlsteuerung im Bereich der außerklinischen Beatmung zeige, dass es unserem Gesundheitswesen an einer langfristigen Strategie und einer umfassenden, gesellschaftlichen Perspektive mangele [19].
Schließlich bedarf es einer Neuausrichtung der Versorgungsstrukturen. So legt die aktuell gültige Leitlinie zur außerklinischen Beatmung der DGP fest, dass sowohl die Einleitung als auch die Kontrolle einer außerklinischen Beatmung zwingend unter stationären Bedingungen zu erfolgen haben [3]. Neuere Arbeiten legen aber nahe, dass sowohl die Einleitung als auch die Kontrolle einer außerklinischen Beatmung grundsätzlich auch in einem ambulanten Setting möglich sind [20] [21] [22] [23]. Die meisten Arbeiten mit positiven Resultaten stammen hier aus den Niederlanden [21] [22], wo allerdings eine viel engere Verzahnung zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor des Gesundheitswesens genau die Voraussetzungen erschafft, welche eine hochspezialisierte ambulante Versorgung der Patienten mit außerklinischer Beatmung über das spezialisierte Personal des Klinik-Zentrums ermöglicht. Eine erste Arbeit aus Deutschland zeigt aber, dass dies auch hier möglich sein kann [20] und ambulante Versorgungsstrukturen insbesondere für die Kontrolle einer NIV überdacht werden sollten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Reduktion der stationären Kontrollen invasiv beatmeter Patienten zu diskutieren. Obwohl der Grund für den Abfall der Kontrollen nicht durch die vorliegende Analyse erhoben werden kann, bleibt zu hinterfragen, ob die nicht mehr bedarfsgerechte Versorgungsstruktur und zunehmende Kapazitätsengpässe in spezialisierten Kliniken zu einem Ausbleiben der empfohlenen Kontrolluntersuchungen geführt haben. Eine individualisierte und sektorenübergreifende Versorgungsstruktur könnte nicht nur das Leben der Betroffenen erleichtern, sondern muss auch vor dem ökonomischen Hintergrund von über 45 000 stationären NIV-Kontrollen in Deutschland pro Jahr Betrachtung finden.
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Zwischen 2008 und 2019 haben sich die stationären Fallzahlen sowohl zur Einleitung als auch zur Kontrolle einer außerklinischen Beatmung in Deutschland mehr als verdoppelt.
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Mit knapp 18 000 stationären Neueinleitungen und über 49 000 stationären Kontrolluntersuchungen einer außerklinischen Beatmung jährlich müssen die existierenden Versorgungsstrukturen überdacht werden.
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Ethische Aspekte müssen insbesondere bei eingeschränkter Lebensqualität, älteren Patienten, solchen mit schweren Komorbiditäten und Patienten mit invasiver außerklinischer Beatmung nach erfolglosem Weaning Beachtung finden.
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Es braucht einen Systemwandel im Gesundheitswesen mit langfristiger, ethisch ausgerichteter Strategie, die sich nicht alleine an der Gewinnmaximierung orientieren darf und die eine engere Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Medizin erlaubt, um Patienten mit außerklinischer Beatmung mit hoher Behandlungsqualität versorgen zu können, ohne die ökonomischen Grenzen des Systems zu sprengen.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, Fördermittel über den Innovationsfonds des gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erhalten zu haben. Das Förder kennzeichen lautet: 01VSF19051. Die Forschergruppe (D. S. Majorski, F. S. Magnet, W. Windisch, S. B. Schwarz) erhielt Forschungsförderungen von Philips Respironics, Löwenstein Medical, Weinmann und Vivisol.
S. B. Schwarz erhielt Reisekostenunterstützung von Löwenstein Medical und Philips Respironics sowie Honorare durch Beratertätigkeiten von Philips Respironics.
F. S. Magnet erhielt Honorare durch Beratertätigkeiten oder Vorträge von Philips Respironics, GHD und Smith Medical. Sie erhielt Reisekostenunterstützung von Vivisol, Löwenstein Medical und Philips Respironics.
D. S. Majorski erhielt Reisekostenunterstützung von ResMed.
W. Windisch erhielt Honorare für die Konzeption wissenschaftlicher Tagungen sowie Vorträge von Löwenstein Medical, ResMed und Philips Respironics. Weder bei der Konzeption noch bei der Ausarbeitung der Studie wurde Einfluss von Dritten genommen.
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Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 22 April 2021
Accepted: 13 May 2021
Article published online:
25 June 2021
© 2021. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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