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DOI: 10.1055/a-1529-8483
Telematikinfrastruktur und elektronische Patientenakte – Chance oder Risiko für Menschen mit psychischen Erkrankungen? – Pro
Telematic Infrastructure and Electronic Patient Record (ePA) - Opportunity or Risk for People with Mental Illness? – ProDie seit Jahren hochkontrovers geführte Diskussion über die Telematikinfrastruktur (TI) im Gesundheitswesen basiert im Kern auf einer Facette des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes aus dem Jahre 2003. Der Auftrag des Bundesgesetzgebers an die Gremien der Selbstverwaltung bestand damals in der Weiterentwicklung der bis dahin als Legitimationsinstrument genutzten Krankenversicherungskarte zu einem aktiven Speichermedium als Kernelement der TI, der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).
Neben der Grundfunktion als sicheres Legitimations- und Zugangsinstrument zu Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sollte sie geeignet sein, erwartete und erwünschte Digitalisierungsprojekte im Gesundheitswesen zu unterstützen. Von diesen sollte der elektronische Medikationsplan und ein Notfalldatensatz physisch auf der Karte gespeichert werden, und letzterer auch ohne Netzzugang und bei nicht – mehr – kooperationsfähigen Patienten auslesbar sein.
Für alle weiteren – und künftige – Anwendungen sollte die Karte als Verschlüsselungsmedium dienen, um sicherzustellen, dass mithilfe der Karte abgespeicherte Daten nur mit deren Hardwareeinsatz, ergänzt durch eine nur dem Besitzer selbst bekannte Geheimzahl, wieder lesbar gemacht werden können.
Dieses Grundprinzip hat bis heute unverändert Bestand, während in anderen Positionen der einschlägige § 291a im SGB V kontinuierlich angepasst worden ist. Als Speichermedium enthält die eGK heute nur noch Daten zum Legitimationsnachweis und zu Abrechnungszwecken sowie den Zugang zum Kryptografieschlüssel. Für den Notfalldatensatz ist neuerdings ein netzabhängiger Speicherort vorgesehen, womit ein wesentlicher Aspekt des ursprünglichen Anwendungszwecks, das Auslesen ohne Netzzugang und ohne Mitwirkung eines möglicherweise komatösen Patienten, entfällt. Bereits ab 1.1.2024 soll die eGK sogar schrittweise durch eine digitale Identität des Versicherten ersetzt werden können.
Man muss allerdings kein Hellseher sein, um der eGK noch einen langen Fortbestand vorherzusagen. Chipkartenbasierte Anwendungen sind heute bereits Teil der Lebenswirklichkeit auch ansonsten wenig digitalaffiner Bevölkerungsschichten, während selbst der Besitz eines Smartphones noch lange nicht dessen zielgerechte und komplexe Anwendung garantiert. Deshalb war es richtig und wichtig, Anwendungen wie die elektronische Verordnung nicht allein abhängig von einer hochgradigen Digitalkompetenz des Nutzers zu gestalten.
War schon die eGK von Beginn an mit heftigen Vorbehalten innerhalb der Ärzteschaft behaftet, gilt das erst recht für die elektronische Patientenakte, die bis in die Gegenwart als eigentliches Zielobjekt hinter den häufig heftigen und militanten Protesten erkennbar wird.
Mitursache dafür war anfangs wohl auch die komplett fehlende Definition des Begriffs der elektronischen Gesundheitsakte, wie sie im Gesetzestext in Anlehnung an die wörtliche Übersetzung aus dem angloamerikanischen Electronic Health Record (EHR) erwähnt wurde. Die aktuell für die TI vorgesehene Akte läuft heute unter dem Begriff ePA und grenzt sich damit ab von der allein patientengeführten elektronischen Gesundheitsakte nach § 68 SGB V, die seit einigen Jahren von Krankenversicherungen angeboten wird.
Das anfänglich von vielen Seiten lancierte Missverständnis, die ePA sei der Ersatz für die Dokumentation am Behandlungsort und die bereits dort befindlichen analogen Dateien müssten nachträglich alle digitalisiert werden, scheint zwischenzeitlich überwunden. Verblieben sind die Ängste vor unvollständigen bzw. manipulierten Akten, Datenmissbrauch durch Dritte und die Angst, für Schäden, die auf mangelhafte Kenntnisnahme von Akteninhalten zurückgeführt werden könnten, in Haftung genommen werden zu können.
Diese Bedenken und Ängste sind durchaus nicht banal und vom Ansatz her auch nachvollziehbar, müssen jedoch gegengerechnet werden gegen die realen Schäden und Nachteile, die Patienten täglich und stündlich erleiden, weil entscheidende Daten aus der Vorbehandlung nicht oder nicht rechtzeitig vorliegen. Der Autor selbst, als Chirurg mit onkologischem Schwerpunkt und auch als naher Angehöriger eines vor einigen Jahren in jungen Jahren nicht zuletzt aus diesem Grunde vorzeitig verstorbenen Patienten, weiß, dass solche Situationen nicht den seltenen Ereignissen im Medizinbetrieb zuzuordnen sind, sondern täglich und stündlich vorkommen. Allerdings werden derartige Ereignisse, wenn überhaupt, oft als unabwendbar und schicksalshaft wahrgenommen.
Besonders gefährdet sind dabei multimorbide und schwerkranke Patienten, bei denen regelhaft mehrere Behandler konsekutiv und/oder parallel in eine Behandlung involviert sind. Gerade diese Patientengruppen nehmen auch am ehesten die auf Datenmangel beruhenden Defizite wahr, und sei es nur, dass häufig Anamnesedaten, nicht selten sogar innerhalb der gleichen Behandlungsinstitution, redundant abgefragt werden. Weitaus gravierender sind jedoch vermeidbare Gesundheitsschäden auf der Basis nicht rechtzeitig verfügbarer Daten aus der Vorgeschichte.
Dabei ist selbstverständlich nicht das Vorliegen einer kompletten Akte entscheidend, in der die benötigten Informationen, wie in einer meist chronologisch sortierten analogen Aktensammlung, oft unauffindbar verborgen sind. Vielmehr muss die selektiv abgefragte Information, z. B. ein Laborwerteverlauf oder ein bildgebendes Verfahren in einfachen Suchschritten schnell und sicher aus einer strukturierten Ablage abrufbar sein. Auch muss natürlich ein digital erhobener Befund, beispielsweise ein Computertomogramm, der anfordernden Stelle auch digital in der Originalfassung verfügbar gemacht werden.
Derzeit erfüllt der Entwicklungsstand der ePA dieses Anforderungsprofil noch nicht annähernd, die Weiterentwicklung durch die ärztliche Selbstverwaltung in diese Richtung ist aber vorgegeben.
Ein weiteres Manko, welches vor allem der Bundesdatenschützer thematisiert, ist die derzeit noch nicht mögliche selektive Freigabe einzelner Dokumente. Die im Wesentlichen noch aus einer Sammlung von PDF-Formaten bestehende Akte kann nur als Ganzes freigegeben oder die Freigabe verweigert werden. Die Lösung kann dabei nicht in einer kompletten Löschung von Akteninhalten seitens des Patienten bestehen, sondern lediglich im Verbergen von Inhalten, die erforderlichenfalls wieder lesbar gemacht werden können. Es ist beispielsweise subjektiv nachvollziehbar, wenn ein Patient eine behandelte Depression vor seinem Kardiologen verbergen möchte, nicht wissend, dass bestimmte Antidepressiva gravierende Herzrhythmusstörungen auslösen können. Sollten sich aus der Anamneseerhebung Anhaltspunkte für einen derartigen Zusammenhang ergeben, könnten die geschwärzten Bereiche dann aktiv durch den Patienten sekundär freigegeben werden.
Kritisch gesehen in Teilen der Ärzteschaft wird auch die im Patientendatenschutzgesetz (PDSG) vorgesehene Sekundärnutzung der Gesundheitsdaten für Forschungszwecke. Medizin zu Zeiten von Big Data und darauf basierender künstlicher Intelligenz (KI) benötigt aber möglichst umfangreiche und umfassende real erhobene Gesundheitsdaten. Der Anfang wurde gemacht, durch die 2015 unter massiver Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gegründete Medizininformatikinitiative (MII), in die mittlerweile die gesamte universitäre Forschungslandschaft involviert ist. Durch eine möglichst hohe Akzeptanz der ePA, und die Bereitschaft möglichst vieler Patienten, deren Daten in pseudonymisierter Form der Forschung verfügbar zu machen, würde sich der Nutzen über die individuelle Patientenbehandlung hinaus erweitern zur Verbesserung der Behandlungsqualität künftiger Patientengenerationen.
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Interessenkonflikt
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Article published online:
07 September 2021
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