Pneumologie 2021; 75(09): 635-637
DOI: 10.1055/a-1555-8380
Pneumo-Fokus

Gemeinsam die digitale Zukunft gestalten

U. Butt
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
,
M. Wollsching-Strobel
2   Lungenklinik/Kliniken der Stadt Köln gGmbH, Köln
,
S. Dohmen
3   Uniklinik RWTH Aachen, Innovationszentrum Digitale Medizin (IZDM)
,
A. Freitag
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
,
M. Frisch
4   VisionHealth GmbH, München
,
S. Füssel
5   Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Rheinland-Pfalz, Mainz
,
P. Kardos
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
,
U. Kümmel
6   MedCom:UK, Dr. Ulrich Kümmel, Bonn – Bad Godesberg
,
P. Stais
7   Verband Pneumologischer Kliniken e. V. (VPK)
,
M. Wilkens
8   Alpha1-Deutschland e. V.
,
H. Worth
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
,
C.-P. Criée
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
,
W. Windisch
1   Deutsche Atemwegsliga e. V.
› Author Affiliations
 

Vertreter*innen der Deutschen Atemwegsliga e. V., des Bundesverbandes der Pneumologen (BdP), des Verbandes Pneumologischer Kliniken e. V. (VPK), von Alpha1-Deutschland e. V., der AG Lungensport in Deutschland e. V. und der Arbeitsgruppe eHealth des Fördervereins der Deutschen Atemwegsliga e. V. diskutierten im April 2021 im Rahmen eines Online-Workshops die Vor- und Nachteile telemedizinischer Konzepte und der Durchführung von Videosprechstunden. Das Angebot von Videosprechstunden war während der COVID-19-Pandemie stark gestiegen.
In vorangegangenen Workshops hatte sich die Deutsche Atemwegsliga e. V. bereits mit den Chancen und Herausforderungen der Einführung digitaler Hilfsmittel, dem gesundheitspolitischen Rahmen sowie Anwendungsmöglichkeiten digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA) im Fachgebiet Pneumologie auseinandergesetzt [1].

Die Ausgangslage

Im April 2020 trat die Digitale Gesundheitsanwendungen-Verordnung (DiGAV) in Kraft, die Einzelheiten des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) regelt. Um erstattungsfähig zu sein, muss danach eine Digitale Gesundheitsanwendung ein Prüfverfahren beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgreich durchlaufen haben und in dem Verzeichnis erstattungsfähiger digitaler Gesundheitsanwendungen gelistet sein (DiGA-Verzeichnis): https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis [4]. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete, dass die SARS-CoV-2-Pandemie Ärzt*innen und Patient*innen die Vorteile telemedizinischer und digitaler Gesundheitsangebote verdeutlicht hat [2]: Patient*innen sollten Praxen in Pandemiezeiten möglichst nur in medizinisch dringenden Fällen persönlich aufsuchen. Um dennoch den Kontakt zur Praxis herzustellen, wurde vermehrt auf telemedizinische Anwendungen zurückgegriffen. Darüber hinaus hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband die Begrenzungsregelungen für Videosprechstunden ab dem zweiten Quartal 2020 aufgehoben [2]. Aufgrund der geänderten Rahmenbedingungen gab es erhebliche Zuwächse bei Videosprechstunden und Telekonsilien.

Im März 2020 wurden rund 500 000 telefonische Beratungen mehr abgerechnet als im Vorjahreszeitraum. Schätzungsweise 25 000 (ca. 25 %) aller Arzt- und Psychotherapeutenpraxen nutzten im Herbst 2020 Videosprechstunden. Im Februar 2020 traf dies nur auf rund 1700 Praxen zu. Im Herbst 2020 wurden zudem die Abrechnungsmöglichkeiten von Telekonsilien erleichtert [2]. Es bleibt abzuwarten, ob dieser Trend auch nach Abebben der pandemischen Lage anhält.


#

Die Diskussion

Das Virtuelle Krankenhaus NRW [5] ermöglicht durch den Einsatz von Telemedizin in der Intensivmedizin und der Infektiologie Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern den Rückgriff auf die Expertise der beiden Universitätskliniken Aachen und Münster.

Frau Dr. Dohmen berichtete, dass das Virtuelle Krankenhaus folgende Angebote bereit hält:

  • Telekonsile, elektronische Visiten, Videosprechstunden – durch Nutzung telemedizinischer Lösungen

  • Elektronische Fallakte – gemeinsamer Zugriff auf behandlungsrelevante Daten

  • Zentrales Verzeichnis der Leistungserbringer – für die schnelle Suche nach Spezialisten [3]

In der Pandemie war es das Ziel, die medizinische Betreuung von COVID-Patient*innen vor Ort zu optimieren und dadurch Verlegungen von kritisch Erkrankten zu verhindern. Über 100 Krankenhäuser sind in das Netzwerk eingebunden. Bis zum 1. September 2020 konnte in ca. 90 % der Fälle durch diesen telemedizinischen Konsiliardienst die Verlegung der Erkrankten vermieden werden. Das Telekonsil dauert inklusive Vor- und Nachbereitung etwa 45 Minuten pro Patient*in. Der begrenzende Faktor ist zurzeit der Ausbau der technischen Möglichkeiten. Eine bessere technische Ausstattung der Leistungserbringer und ein automatisierter Datentransfer sind wünschenswert. Die Regelung etwaiger Haftungsansprüche ist wie für das Präsenz-Konsil geregelt. Wichtig ist eine klare und datenschutzkonforme Regelung zur Speicherung der Daten.

Herr Füssel (Techniker Krankenkasse) berichtete, über die erfolgreiche Einführung der elektronischen Patientenakte und des e-Rezeptes bei der TK.

Die TK und andere Kassen setzen sich intensiv mit digitalen Themen auseinander und möchten auch auf diesem Gebiet kompetente Ansprechpartner für ihre Versicherten sein und die hochwertige Gesundheitsversorgung sicherstellen. Anreize z. B. zur Nutzung des e-Rezeptes sind vorstellbar. Ärzt*innen und Patient*innen sollten an dieser Stelle vertrauensvoll zusammenarbeiten. Aktuell hat die Digitalisierung im Gesundheitswesen enorm Fahrt aufgenommen, es ist jedoch wahrscheinlich, dass analoge und digitale Anwendungen, wie das e-Rezept, parallel genutzt werden.

Herr Dr. Geldmacher berichtete, dass der Einsatz von Videosprechstunden Zeit kostet. Die Praxisorganisation muss angepasst werden, Software ist einzurichten, der Umgang mit Daten ist zu regeln. Videosprechstunden sind laut Dr. Geldmacher z. B. für technikaffine Patient*innen mit Asthma eher geeignet als für Patient*innen mit COPD, die mehr apparative Medizin benötigen. Schlafmedizin könnte eine weitere Domäne von Videosprechstunden sein.

Eine Videosprechstunde kann die medizinische Begleitung der Patient*innen unterstützen. Wichtig ist, die „richtigen“ Patient*innen auszuwählen. Sowohl die Erkrankung als auch die persönlichen Präferenzen sind dabei zu berücksichtigen.

Telemedizin ersetzt den Praxisbesuch nicht vollständig. Allerdings könnte Telemedizin zur Optimierung der Versorgungssituation beitragen. Dies gilt insbesondere für Regionen mit ärztlicher Unterversorgung oder Regionen, in denen (Fach-)Ärzt*innen aufgrund langer Anfahrtswege oder unzureichender Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr schlecht erreichbar sind. Optimierbar ist darüber hinaus die technische Infrastruktur, wie z. B. die flächendeckende Anbindung an schnelles Internet. Der Telemedizinische Konsiliardienst kann in der Zukunft auch ein wesentlicher Bestandteil der spezialisierten fachärztlichen Versorgung werden.

Eine Leitlinie „Digitale Gesundheitsanwendungen“, die auch Themen wie Datenschutz und wirtschaftliche Aspekte umfasst, wäre zu begrüßen. Eine solche Leitlinie sollte u. a. die Ziele des Einsatzes telemedizinischer Anwendungen definieren, z. B. die intelligente Patientensteuerung. Eine finanzielle Infrastruktur muss geschaffen werden.

Die Frage, welche Mindestparameter für eine hochwertige pneumologische Versorgung notwendig sind, sollte ebenfalls Inhalt der Leitlinie sein. Zudem sollten neben den medizinisch- fachlichen Empfehlungen die technischen Details v. a. zum Datenschutz festgelegt werden. Es wäre sinnvoll, sich auf Datenformate zu einigen, die die Kompatibilität bei Nutzung unterschiedlicher Software gewährleisten. Diese technischen Spezifizierungen sollten dazu dienen, die Kommunikation zwischen Behandler*innen und IT-Dienstleistern zu vereinfachen, um eine schnelle, zielgerichtete Digitalisierung bei hoher Datensicherheit und guter Kompatibilität zu erreichen.

Die teilnehmenden Patient*innen erläutern, dass informierte Betroffene sich ohnehin selbst monitoren. Patient*innen wünschen sich, die (bisher privat erhobenen) Daten an die Behandler*innen weiterzugeben. Prinzipiell kann alles Messbare auch übermittelt werden. Es wird betont, dass erhobene Parameter in den richtigen medizinischen Kontext gesetzt werden müssen.

Weiterhin muss diskutiert und geklärt werden, in wie weit Behandler*innen verpflichtet sind, die digital erhobenen und ggf. automatisiert übermittelten Daten zu kontrollieren, zu überprüfen und auf mögliche Signale zu reagieren. Solange hier keine zuverlässige Unterstützung z. B. durch künstliche Intelligenz möglich und erprobt ist, um zumindest eine Vorauswahl zu treffen, würden Behandler*innen einer wahrscheinlich nicht zu bewältigenden Datenflut entgegensehen.

Welche (digitalen) Werkzeuge konkret gebraucht werden, ist abhängig von der gestellten Diagnose, dem Schweregrad, dem Verlauf der Erkrankung, der Funktionsuntersuchung, der Lebensqualität der Erkrankten und deren Bewegungsaktivität. Die erforderlichen „Tools“ müssen individuell nach Patient und Diagnose zusammengestellt werden.


#

Die Abschlussstatements

Perspektive der Patient*innen: Vieles spricht für die vermehrte Einbindung telemedizinischer Anwendungen in den Behandlungsalltag. Viele Betroffene sammeln bereits Gesundheitsdaten, ohne diese zeitnah ihren Behandler*innen zur Verfügung zu stellen (stellen zu können).

Telemedizinische Anwendungen sollen mit Patient*innen, die dies möchten, gestartet werden. Es ist wichtig, Erfahrungen zu sammeln und auch die Familien einzubinden. Der Einsatz telemedizinischer Anwendungen sollte mehr Fahrt aufnehmen. Patient*innen wünschen sich mehr Mut seitens der Ärzteschaft, Neues zu erproben und Möglichkeiten zur individualisierten Behandlung zu nutzen.

Perspektive der Ärzt*innen: Telemedizinische Anwendungen haben nach gegenwärtiger Einschätzung ein großes Potenzial in der Versorgung der Patient*innen. Es ist an der Zeit, konkrete Behandlungsziele zu definieren und Umsetzungsstrategien konsequent zu verfolgen. Die Möglichkeit der Erstattung von DiGAs ohne Verordnung bzw. Einbindung der Behandenden wird kritisch gesehen. Darüber hinaus sind die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte mit zu berücksichtigen.

Rolle der Krankenkassen: Obwohl Krankenkassen theoretisch Leistungserbringer werden könnten, wird dies aktuell nicht gewünscht. Im Vordergrund steht die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Behandler*innen und Patient*innen.


#
#

Interessenkonflikt

Herr Füssel ist Mitarbeiter der TK (Krankenkasse). Frau Frisch arbeitet bei einem Start-up. Herr Kümmel ist eine Agentur. Frau Dohmen ist Mitarbeiterin der Uniklinik Aachen. Herr Wollsching-Strobel ist Arzt im Klinikum Köln Merheim.
Die anderen Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Uta Butt
Deutsche Atemwegsliga e. V.
Raiffeisenstr. 38
33175 Bad Lippspringe
Deutschland   

Publication History

Article published online:
15 September 2021

© 2021. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany