Schlüsselwörter
Mensch-Roboter-Interaktion - Haptisches Feedback - Tele-medizin
1. Einleitung
Für die Medizinrobotik findet sich eine Vielzahl von Anwendungen, darunter
chirurgische und interventionelle Verfahren, Rehabilitation und Assistenz, Diagnose
u.v.m. Allen gemein ist, dass Roboter und Menschen (PatientIn und/oder
Ärztin/Arzt) sich den Arbeitsbereich teilen. Dies ist bei Industrierobotern
noch nicht überall der Fall, da diese in der Regel in einem strukturierten
und von Menschen getrennten Arbeitsbereich eingesetzt werden. Die Einführung
eines Roboters in die menschliche Umgebung erfordert vor allem aus
Sicherheitsgründen zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen und
Vorkehrungen. In der Regel wird der Roboter im selben Raum installiert, in dem sich
auch PatientInnen und medizinisches Personal aufhalten. Nur bei telemedizinischen
Anwendungen, wird der Roboter in erheblicher Entfernung von Ärztin oder Arzt
installiert (von einigen Metern bis zu Hunderten von Kilometern). Der Roboter kann
autonom gesteuert werden, basierend auf einem vordefinierten Programm, halbautonom
durch direkte Führung des Personals oder der PatientInnen, mit nachgiebiger
Interaktion, oder im Tele-Operations- bzw. sogar Tele-Präsenz-Modus
über ein haptisches Eingabegerät. Bis 2050 wird der Anteil der
über 60-Jährigen in vielen europäischen Gesellschaften
über 30 % betragen [1]. Die
Zunahme des Anteils älterer Menschen an der Bevölkerung ist so
dramatisch, dass sie als „stille Revolution“ bezeichnet wird [2]. Das bedeutet wiederum, dass altersbedingte
Behinderungen und Krankheiten in naher Zukunft zu einer weltweiten Krise
führen können. In den letzten zehn Jahren wurden die nationalen
Programme zur Entwicklung intelligenter Gesundheitseinrichtungen wie Assistenz- und
Rehabilitationsroboter, chirurgische Roboter und telemedizinische Systeme
beschleunigt. Dieser Trend scheint sich im laufenden Jahrzehnt noch schneller
fortzusetzen, da die Anforderungen an die Gesundheitstechnologien steigen, um den
Menschen ein längeres Leben bei verbesserter Lebensqualität zu
ermöglichen [3]. Zentralisierte und
telemedizinische Gesundheitssysteme schaffen Zugang zu medizinischen Leistungen
unabhängig vom Wohnort [4]. Es gibt auch
Belege dafür, dass die robotergestützte Telemedizin auch aus
wirtschaftlicher Sicht attraktiv ist [5]. Um das
volle Potenzial solcher Modelle auszuschöpfen, müssen jedoch sowohl
die Technik als auch die Infrastruktur entsprechend vorbereitet werden.
In letzter Zeit und insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie hat die Telemedizin
besondere Aufmerksamkeit erlangt. Studien haben gezeigt, dass das Infektionsrisiko
des medizinischen Personals dringender Aufmerksamkeit bedarf, es muss besser
geschützt werden, um die Verbreitung von Viren zu verhindern [6]. Es ist davon auszugehen, dass sich das
Gesundheitspersonal bei den Patienten anstecken kann, wodurch sich das Risiko einer
Verbreitung der Infektion bei anderen PatientInnen und beim medizinischen Personal
erhöht. Um dieses Problem anzugehen, hat zum Beispiel die Firma Franka Emika
in Zusammenarbeit mit dem Klinikum rechts der Isar in München und einem Team
am MIRMI eine Tele-Diagnose-Station entwickelt. Sie basiert auf dem taktilen
Roboterarm Panda, der einen Nasen-Rachen-Abstrich und notwendige Werkzeuge zur
Untersuchung der Mundhöhle enthält. Der Arzt ist über einen
Führungsroboter mit der Diagnosestation verbunden und kann so den Roboterarm
aus der Ferne steuern [7]. Für
Ultraschalluntersuchungen wird an ähnlichen Aufbauten gearbeitet [8].
Viele bestehende telemedizinische Ansätze beinhalten noch keinen Roboter und
konzentrieren sich hauptsächlich auf digitale und Internet-of-Things
(IoT)-Technologien, die vernetzte Gesundheitsinformationen, elektronische
Krankenakten und Audio-Video-Streams ermöglichen [9]. Für medizinische Szenarien, die eine
physische Interaktion beinhalten, sind neue fortschrittliche, auf Robotik basierende
Technologien, Infrastrukturen und Paradigmen für die physische Interaktion
zwischen Arzt und Patient erforderlich. Kürzlich wurde beispielsweise ein
duales Arzt-Patienten-Zwilling-Paradigma vorgestellt [10], das zwei roboterbasierte Zwillinge umfasst, von denen einer die
Ärztin oder den Arzt (auf der Patientenseite) und einer den Patienten (auf
der Arztseite) repräsentiert. Jeder Roboterzwilling dient als multimodaler
Sensor sowie als physischer Avatar seines menschlichen Gegenstücks, und ein
bidirektionaler telemedizinischer Ansatz ermöglicht eine natürliche
physische Interaktion zwischen dem Arzt und dem Patienten.
Insgesamt lassen sich die Vorteile von medizinischen und assistiven Robotern in vier
Hauptbereiche unterteilen:
Verbesserung der technischen Fähigkeiten zur Durchführung von
Prozessen durch Nutzung der sich ergänzenden Stärken von Menschen
und Robotern ([Tab. 1])
Tab. 1 Komplementäre Stärken von Mensch und
Roboter (ursprünglich erhoben für chirurgische Aufgaben
[11])
|
Mensch
|
intelligenter Roboter
|
Stärken
|
Exzellentes Urteilsvermögen
|
Exzellente geometrische
|
Exzellente Hand-Augen Koordination
|
Genauigkeit
|
Exzellente Geschicklichkeit (im natürlichem menschlichen
Maßstab)
|
Ermüdet nicht, stabile Performanz Unempfindlich gegen
ionisierende Strahlung
|
Kann mehrere Informationsquellen integrieren
|
Operiert auf diversen Skalen bzgl. Bewegung
|
und nutzen
|
und Nutzlast
|
Leicht auszubilden (lernfähig)
|
Fähigkeit zur Integration von numerischen und Sensordaten
aus mehreren Quellen
|
Vielseitig und improvisationsfähig
|
|
Grenzen
|
Neigung zu Müdigkeit und Unaufmerksamkeit
|
Schlechtes Urteilsvermögen
|
Eingeschränkte Feinbewegungskontrolle (Tremor)
|
Eingeschränkte Hand-Augen Koordination
|
Begrenzte Manipulationsfähigkeit und Geschick- lichkeit
außerhalb des natürlichen Rahmens
|
Begrenzte Geschicklichkeit
|
„Klobige“ Endeffektoren (Hände)
|
Passen sich schwer an neue Situationen an
|
Begrenzte geometrische Genauigkeit
|
Begrenzte haptische Erkennung (heute)
|
Schwer steril zu halten
|
Begrenzte Fähigkeit, komplexe Informationen zu
integrieren und zu interpretieren
|
Strahlungs- und infektionsgefährdet
|
|
Erhöhung der Sicherheit durch Einbeziehung der technischen
Leistungsfähigkeit und aktiver Unterstützung (z. B. durch
virtuelle Wände, automatischer Verringerung des Tremors usw.)
Einbeziehung von Online-Informationen aus verschiedenen Quellen und Evidenzbasierung
des Verfahrens durch die Aufzeichnung sensorischer Daten
Mögliche Durchführung von medizinischen Eingriffen aus der Distanz
durch Telemedizin
Abgesehen von den oben genannten Vorteilen, die für Medizin- und
Assistenzroboter erwartet werden, erfordert der Einsatz eines Roboters in
menschlicher Umgebung viele Vorkehrungen und Überlegungen im Vorfeld. Im
weiteren Verlauf dieses Artikels werden jene Überlegungen erörtert,
die hauptsächlich für die Mensch-Roboter-Interaktion (MRI) und
Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) relevant sind.
2. Die Bedeutung von MRI/MRK
2. Die Bedeutung von MRI/MRK
Serviceroboter, die in der Umgebung von Menschen eingesetzt werden, müssen
direkt und vor allem haptisch mit diesen interagieren. Das kann Seite an Seite
geschehen, indem sie sich einen Arbeitsbereich teilen, oder durch direkte
Integration, wie es bei Prothesen oder Exoskeletten der Fall ist. Die Interaktion
kann sowohl auf kognitiver als auch auf physischer Ebene stattfinden. Auf der
kognitiven Ebene muss der Roboter in der Lage sein, mit dem Menschen durch Audio-
und Videoübertragung, Gesten, Mimik usw. zu kommunizieren. Diese Funktionen
sind teilweise in vielen Computern und Smartphone-Anwendungen vorhanden und
können daher auch in die Roboter integriert werden. Der Roboter muss in der
Lage sein, diese wahrzunehmen, zu interpretieren und entsprechend zu reagieren.
Solche Funktionen sind auch in vielen Robotik-Plattformen in der Forschung
vorhanden. Der GARMI-Roboter ([Abb. 1]) ist
beispielsweise in der Lage, einige verbale Befehle zu erkennen oder anhand des
menschlichen Gesichtsausdrucks zu reagieren [10].
Diese sozialen Merkmale ermöglichen dem Roboter eine menschenbezogene
Interaktion und werden hauptsächlich durch die Verarbeitung der von der
Kamera und den Mikrofonen aufgenommenen Daten mittels maschineller Lernverfahren
gewonnen.
Abb. 1 GARMI, ein intelligenter Serviceroboter für die
Anwendung im Alltag oder im Gesundheitsbereich.
Eine der revolutionärsten und anspruchsvollsten Eigenschaften von
Servicerobotern ist die Fähigkeit auch physisch mit Menschen zu
interagieren. Es liegt auf der Hand, dass die physische Mensch-Roboter-Interaktion
(pMRI) ganz neue Herausforderungen stellt. Im Gegensatz zu Industrierobotern, die
meist schwer und steif sind, um eine hohe Präzision zu
gewährleisten, müssen die in menschlichen Umgebungen eingesetzten
Roboter leicht und vor allem nachgiebig konstruiert bzw. geregelt sein. Dies gilt
insbesondere für Anwendungen, die physische Interaktionen erfordern, jedoch
nicht nur um unerwartete Stöße des Roboters zu vermeiden, sondern
auch für die Ausführung kollaborativer Aufgaben, die einen gezielten
Austausch von Kräften über den gesamten Körper des Roboters
erfordern. So ist es in vielen Anwendungen der Mensch-Roboter-Kollaboration
unbedingt erforderlich, den Roboter-Endeffektor oder den Körper des Roboters
kinästhetisch zu bewegen. Um die Sicherheit des Menschen zu
gewährleisten, wurden bereits umfangreiche Studien durchgeführt
[12]
[13], um das Verletzungsrisiko während der
physischen Interaktion zu bewerten und eine systematische Einhaltung der Sicherheit
in der Mensch-Roboter-Interaktion zu erlauben.
Neben den oben genannten Überlegungen zur MRI ist die Fähigkeit des
Roboters zur Zusammenarbeit mit dem Menschen von wesentlicher Bedeutung. Wenn Mensch
und Roboter denselben Arbeitsbereich teilen, können sie als Team auf
dasselbe Ziel hinarbeiten. In diesem Fall muss der Roboter die Handlungen des
Menschen wahrnehmen, antizipieren und komplementär agieren können,
um so ein gemeinsames Handeln zu gewährleisten und konfliktreiche Bewegungen
bzw. Interaktionen zu vermeiden, sodass der Mensch im Mittelpunkt der Zusammenarbeit
steht.
3. Technologische Anforderungen
3. Technologische Anforderungen
Im vorherigen Abschnitt wurde die Bedeutung von MRI/MRK erörtert. Die
Gewährleistung von Sicherheit ist eine der wichtigsten technologischen
Anforderungen, damit ein Roboter für menschennahe Anwendungen geeignet ist.
Die Sicherheit von Interaktion kann durch die Kombination verschiedener Strategien
gewährleistet werden. Im Allgemeinen können die technologischen
Anforderungen aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden: zum einen anhand mechanischer
Konstruktionsüberlegungen, zum anderen aus Perspektive von Sensorik und
Steuerungsparadigmen.
3.1 Mechanische Konstruktionsüberlegungen
Ein mechanischer Roboterarm ist das zentrale Element in vielen Anwendungen der
Servicerobotik. Er muss so beschaffen sein, dass er durch die Montage geeigneter
Werkzeuge an seinem Endeffektor leicht an jede Aufgabe angepasst werden kann.
Darüber hinaus muss er menschenkompatibel sein, also ein hohes
Verhältnis zwischen Nutzlast und Gewicht aufweisen sowie über
genügend Freiheitsgrade für die jeweiligen Aufgaben
verfügen. Trägheit und Reibung des Roboters sind entscheidende
Parameter, die die mechanische Bandbreite des Systems beeinflussen. Diese
Parameter lassen sich nicht ohne weiteres durch aktive Steuerung des Systems
beeinflussen. Dies bedeutet, dass es fast unmöglich ist, von einem
starren und schweren Roboter Sicherheit zu verlangen. Gefragt sind vielmehr
taktile Leichtbauarme mit hochintegrierten Gelenken, die Motor, Getriebe,
Bremse, Gelenkpositions- und Drehmomentsensoren sowie Leistungselektronik
umfassen. Das System muss außerdem über eine
zuverlässige Drehmomentsteuerung mit hoher Bandbreite und geringer
Reaktionszeit verfügen. Besonders der Tastsinn ist dabei entscheidend
und hängt von hochauflösenden Drehmomentsensoren am Abtrieb
jedes Gelenks ab. Die genannte hohe Auflösung und Genauigkeit
ermöglicht es dem Roboter, die Umgebung dynamisch zu erfassen und auf
physikalische Interaktionen angemessen zu reagieren. [Tab. 2] zeigt beispielhaft die wichtigsten
Sensor- und Interaktionsspezifikationen für den Panda-Roboterarm von
Franka Emika [14].
Tab. 2 Die wichtigsten Sensor- und
Interaktionssteuerungsfunktionen des Panda-Roboterarms der Franka
Emika GmbH, die ihn für taktile Anwendungen qualifizieren
[14].
SensorSpezifikationen
|
|
Kraftauflösung
|
<0,05 N
|
Relative Kraftgenauigkeit
|
0,8 N
|
Kraftwiderholbarkeit
|
<0,05 N
|
Drehmomentauflösung
|
<0,02 Nm
|
Interaktionsspezifikationen
|
|
Drehmomentfrequenz
|
1 kHz
|
Minimal regelbare Kraft
|
0,05 N
|
Kraftregelung Bandbreit
|
10 Hz
|
Teaching-Kraft
|
2 N
|
Kollisionsdetektionszeit
|
<2 ms
|
Nominelle Kollisionsreaktionszeit
|
<50 ms
|
Neben den genannten Sicherheitsaspekten sind vor allem die mechanische
Präzision und Impedanz des Roboters zu beachten. Die Anforderungen an
diese hängen von der jeweiligen Anwendung ab. So eignen sich
beispielsweise Roboter mit hoher Präzision und Steifigkeit für
das Setzen von Nadeln oder im Rahmen von Augenoperationen.
Rehabilitationsroboter benötigen eine gewisse regelbare Nachgiebigkeit
und Rücktreibbarkeit, um den menschlichen Körper optimal zu
unterstützen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der
mechatronische Entwurf eines Roboters stark von seiner beabsichtigten Anwendung
abhängt. Die wichtigsten Faktoren lassen sich jedoch wie folgt
zusammenfassen:
-
Sicherheit und menschenkompatible Eigenschaften
-
Integrierter Entwurf und Kompaktheit
-
Mechanische Präzision, Wiederholbarkeit und Steifigkeit
-
Kinematische Redundanz und Geschicklichkeit
-
Rücktreibbarkeit
3.2 Sensorik und Regelungsparadigmen
Medizin- und Assistenzroboter sollen in der Nähe von PatientInnen und
medizinischem Personal arbeiten, weshalb es zu vielen zufälligen aber
auch beabsichtigten physischen Interaktionen kommen kann. Daher müssen
passende Kollisionsüberwachungs- und Reaktionsstrategien integriert
werden. Es existieren bereits geeignete Algorithmen, um Kollisionskräfte
aus internen Sensoren äußerst genau abzuschätzen und zu
beobachten [15]. Neben den taktilen
Sensorfähigkeiten muss auch die Nachgiebigkeit des Roboters
erhöht bzw. adaptierbar werden, um sinnvoll auf
Interaktionskräfte zu reagieren. Diese Nachgiebigkeit kann intrinsisch
in der mechanischen Struktur des Roboters realisiert werden (passive
Nachgiebigkeit), beispielsweise durch eine elastische Entkopplung zwischen Aktor
und dem angetriebenen Glied wobei feste oder variable Gelenksteifigkeit
verwendet wird [16]. Dies kann zu starken
Vibrationen des Systems führen und die Steuerung des Roboters
erschweren. Alternativ kann die Nachgiebigkeit durch schnelle Regelkreise
mittels Kraft- und Impedanzregelung effizient erreicht werden [17]. Diese sogenannte aktive Nachgiebigkeit ist
eine wichtige teilautonome Funktion und ist bereits in einigen kommerziellen
Roboterarmen integriert.
Für Anwendungen der Mensch-Roboter-Kollaboration muss der Roboter mit
Systemen zur Online-Beobachtung des menschlichen Zustands und ein hohes
Maß an logischem Denken und Wahrnehmungsvermögen haben, so dass
die Intention des Menschen eingeschätzt und bilateral antizipiert werden
kann. Die meisten der vorgeschlagenen Ansätze basieren bisher noch auf
der Überwachung sensorischer Informationen, wie z. B. dem
Austausch von Kräften im Aufgabenbereich, sowie der Überwachung
der menschlichen Umgebung, ohne dass die Systeme das Kollaborationsszenario
verstehen und bewerten. In [18]
[19] beispielsweise verwendet der Roboter ein
dynamisches Ganzkörpermodell und erkannte Gesten des Menschen, um die
Position der Ko-Manipulationsaufgabe im Arbeitsraum zu optimieren und eine
ergonomischere Konfiguration für den Menschen zu ermöglichen. In
[20] wird ein neuronales Netz eingesetzt,
um die menschliche Bewegungsabsicht für ein
Mensch-Roboter-Kollaborationsszenario zu erfassen. Darüber hinaus wird
in [21] Spieltheorie angewendet, um die eigene
Rolle entsprechend der Absicht des Menschen, zu führen oder zu folgen,
anzupassen. Diese Anpassung wird durch die Ausnutzung der gemessenen
Interaktionskräfte sowie die Aufteilung der Aufgabe zwischen dem
Menschen und Roboter durch einen Optimierungsansatz hergeleitet.
Bei der MRK handelt der durch lokale Regelung gesteuerte Roboter meistens auf
Anweisung des menschlichen Benutzers. Diese geteilte Steuerung (Shared Control)
kann für viele Anwendungen im Gesundheitswesen und in der Medizin
interessant sein, z. B. in der Rehabilitation [22], beim Einsatz von Exoskeletten [23]
[24], bei der Teleoperation [25]
[26] oder in der Roboterchirurgie [27]
[28]. Wie in [Tab. 1] dargestellt, sind Menschen in Bezug auf kognitive
Fähigkeiten, wie Situationsbewusstsein und
Entscheidungsfähigkeit Robotern überlegen, während
Letztere oft in Bezug auf physische Fähigkeiten, wie Präzision
und Kraft, Aufgaben besser bewältigen können. Insbesondere kann
der Roboter auf der Grundlage von grobem Vorwissen über die Aufgabe und
die Umgebung autonom einer gewünschten Bahn folgen, während der
Mensch Korrekturmaßnahmen, Feinabstimmungen und situationsbedingte
Führung übernimmt. Wie bei der Mensch-Mensch-Kollaboration
erfordert eine intuitive und erfolgreiche gemeinsame Zusammenarbeit jedoch
Wissen und Erfahrung über die spezifische gemeinsame Aufgabe.
Darüber hinaus benötigt sie eine verbale/gestische
Online-Kommunikation mitsamt menschenähnlichen Fähigkeiten und
Reaktionsvermögen. Die Kommunikation kann auf der Grundlage von Gesten-
und Spracherkennung erfolgen und die Fähigkeiten können durch
die Kombination von Primitiven kodiert werden [29]. Allerdings zählen Denkfähigkeit und schnelle
Entscheidungsfindung zu den höchsten menschlichen Fähigkeiten
und können schlichtweg nicht einfach adäquat digital ersetzt
werden. Zusammenfassend erfolgt die Steuerung von Robotern durch eine oder eine
Kombination der folgenden Modalitäten erfolgt;
-
Autonomer, halbautonomer Modus, in dem der Roboter eine zugewiesene
Aufgabe ohne direkte Kontrolle des Benutzers ausführt.
-
Teleoperation, bei der der Roboter über bestimmte (haptische)
Schnittstellen direkt vom Menschen gesteuert wird ([Abb. 2]).
-
Kooperativer und gemeinsamer Modus, bei dem die Stärke und
Präzision des Roboters mit der Intelligenz und den
Fähigkeiten des Menschen kombiniert werden, um ein gemeinsames
Ziel zu erreichen ([Abb. 3]).
Abb. 2 Beispiele für bidirektionale Konzepte der
Tele-Diagnose (oben) und Tele-Rehabilitation (unten): In beiden
Fällen wird der Roboterarm auf der Patientenseite durch einen
Roboterarm auf der Arztseite über die Entfernung gesteuert,
wobei er sich auf eine präzise haptische Rückkopplung
stützt.
Abb. 3 Halbautonomer, nadelbasierter medizinischer Eingriff auf
Grundlage 3D-rekonstruierter CT-Scan-Bilder an Dummy-Phantom: Ein
nachgiebiger Steuerungsalgorithmus ermöglicht es dem Chirurgen,
die Nadelführung physisch in die gewünschte Richtung zu
bewegen. Das endgültige Einführen der Nadel wird vom
Chirurgen durchgeführt [28].
Der in [Abb. 1] gezeigte GARMI-Roboter
verwendet beispielsweise den autonomen Modus zum Greifen des Auskultations- oder
Ultraschallgeräts, das dann zur Fernuntersuchung eines Patienten durch
einen Arzt verwendet wird. Derselbe Roboter kombiniert durch ein gemeinsames
Kontrollsystem den zweiten und dritten Modus für die Tele-Rehabilitation
der oberen Extremitäten [30].
Darüber hinaus ist es durch die Kombination der ersten und zweiten
Modalität möglich, den Endeffektor des Roboters durch so
genannte virtuelle Zwänge in einer bestimmten Zone oder Richtung zu
halten. Diese Eigenschaft erhöht die Sicherheit und
Vertrauenswürdigkeit des Teleoperationsprozesses.
4. Technologische Herausforderungen
4. Technologische Herausforderungen
Wie bereits ausgeführt, beinhalten medizinische und assistive Verfahren in
der Regel eine Form der physischen Interaktion zwischen Patient und medizinischem
Hilfsmittel. Diese ist sicherlich eine der größten Herausforderungen
beim Einsatz von Robotern in menschlichen Umgebungen die weitere technologische
Notwendigkeiten nach sich zieht:
-
Höchste mechatronische Integration und niedriger Energieverbrauch
-
Garantierte Stabilität und Sicherheit der physischen Interaktion
-
Hohe Transparenz im Teleoperationsbetrieb
-
Hohe Qualität und niedrige Latenz der Kommunikation
Die Forderung nach effizienten und leichten Roboterarmen erfordert ein hohes
Maß an hochintegrierter Mechatronik. Das Verhältnis von Nutzlast zu
Eigengewicht (bzw. bewegter Masse) ist bei Robotern ein zentraler Faktor. Die
derzeitige Technologie der Leichtbauroboterarme Panda (von Franka Emika) und iiwa
R800 (von Kuka) hat beispielsweise ein Verhältnis von 3 kg/17 kg bzw. 7
kg/23 kg erreicht. Zum Vergleich: Bei einem durchschnittlichen menschlichen Arm
beträgt dieses Verhältnis zumindest kurzfristig nahezu 4 kg/4 kg
[31]. Diese Lücke gilt es nach wie vor
weiter zu schliessen, um Assistenzroboter noch beweglicher und sicherer zu
machen.
Systeme für die physische MRI müssen ihre Stabilität
gewährleisten, was bei der Interaktionsregelung typischerweise durch
sogenannte Passivitätsansätze getan wird. Auch ist das konsistente
Verhalten der Systeme zentral. Dies ist beispielsweise bei Exoskeletten oder in der
Teleoperation, die eine Echtzeitrückkopplung der Interaktion
benötigt, eine Herausforderung. Von entscheidender Bedeutung ist dieses
Feedback zum Beispiel in der Roboter-Telechirurgie, wo jede Fehlanpassung oder
falsche taktile Information unnötig große Gewebekräfte
erzeugen würde. Es gibt andererseits aber auch technische Grenzen bei der
Übertragung eines transparenten und robusten Tastsinns. In solchen
Situationen könne jedoch zusätzliche visuelle Hinweise oder
Warnungen integriert werden, um die temporäre Limitierung in der
Kraftrückkopplung zu kompensieren.
Hohe Transparenz war schon immer eine kritische Anforderung in der Telerobotik. Sie
beschreibt die Genauigkeit, mit der eine entfernte Umgebung für den
menschlichen Benutzer wiedergegeben wird und kann auf verschiedenen Ebenen
betrachtet werden. Die mechanische Transparenz berücksichtigt die Diskrepanz
zwischen der Umgebungsimpedanz und der vom Benutzer wahrgenommenen Impedanz. In
einem vollständig transparenten System würde der Benutzer dasselbe
Gefühl haben, als würde er direkt in der Umgebung arbeiten. Dies
bedeutet alternativ, dass der Benutzer bei freien Bewegungen keine
äußere Dynamik spürt. Ein volltransparentes System ist
nahezu unmöglich, und die Erfahrung der Interaktion über die
haptische Konsole unterscheidet sich immer von dem realen Gefühl der
Umgebung auf der entfernten Seite. Das Konzept der mechanischen Transparenz
überträgt sich auch auf Exoskelett- und Assistenzsysteme. Die volle
Transparenz wird hier erreicht, wenn das System exakt der Bewegung des Benutzers
folgt und dieser somit weder die Trägheit noch jedwede
Widerstandskräfte spürt. In der Regel stehen jedoch
Stabilität und Transparenz im Widerspruch zueinander und es muss ein
Kompromiss gefunden werden [32]. Neben der
mechanischen Transparenz kann die Gestaltung multimodaler Schnittstellen
(z. B. durch Einbeziehung des Sehvermögens oder eines virtuellen
Modells der Umgebung) das Situationsbewusstsein weiter verbessern und menschliche
Fehler reduzieren. Transparenz kann auch als das Gegenteil von Unvorhersehbarkeit
beschrieben werden [33]. Wenn das Verhalten des
Systems vorhersehbar und für den menschlichen Benutzer beobachtbar ist, wird
es als transparenter angesehen. Der Grad der Autonomie hat auch einen großen
Einfluss auf die Transparenz des Systems [34].
Sowohl ein zu hoher wie auch ein zu niedriger Grad an Autonomie gefährden
die Transparenz des Systems. Wenn das System ohne nennenswerten Benutzereingriff
handelt, wird der Zustand des Systems als für den menschlichen Benutzer
nicht gut beobachtbar klassifiziert. Der Benutzer hat also das Gefühl, dass
ein Teil des Systems nicht unter seiner Kontrolle steht. Im Gegensatz dazu ist das
Gefühl für den Systemzustand besser, wenn der menschliche Bediener
fast alle Aufgaben ausführt, allerdings steigt die Arbeitsbelastung des
Benutzers wiederum und verringert somit das Bewusstsein und die Transparenz des
Systems. Daher ist ein angemessener Grad an Autonomie in der medizinischen Robotik
besonders wichtig.
Kommunikationsverzögerungen sind eine weitere Herausforderung, die
insbesondere für Netzwerk- und Teleoperationssysteme kritisch ist. Sowohl
die Systemstabilität als auch die Transparenz werden durch
Verzögerungen, Bandbreitenbeschränkungen und Paketverluste im
Kommunikationskanal drastisch beeinträchtigt. Alle erwähnten
Algorithmen zur Interaktionssteuerung basieren routinemäßig auf
einer Rückkopplungssteuerung mit hoher Regelrate (1 kHz) und tolerieren nur
sehr geringe Verzögerungen. Dies ist unproblematisch, solange die Regelung
auf Basis lokaler sensorischer Rückkopplung arbeitet. In geografisch
verteilten Teleoperationssystemen, wie z. B. in der Telechirurgie, wird
jedoch ein bidirektionaler Kanal für haptische Signale eingerichtet, so dass
die lokale Reglung und Steuerung auf jeder Seite die Informationen der anderen Seite
benötigt. Selbst bei Protokollen mit hoher Bandbreite und geringer Latenz,
wie z. B. 5G, ist eine zuverlässige Datenübertragung
manchmal nicht möglich. Die Kommunikationsverzögerung hängt
von der Entfernung und der Infrastruktur ab und kann von einigen Millisekunden bis
zu mehreren hundert Millisekunden reichen. Für die meisten Szenarien muss
der Kommunikationskanal über eine ausreichende Bandbreite verfügen,
um qualitativ hochwertige Video- und Audioströme in Echtzeit zu
übertragen. Dies ist eine klassische Herausforderung und alle in der
Literatur vorgeschlagenen Lösungen verzichten auf einen Teil der
Systemtransparenz, um sie zu bewältigen.
5. Schlussfolgerungen und künftige Entwicklungen
5. Schlussfolgerungen und künftige Entwicklungen
Es ist offensichtlich, dass die Medizinrobotik und allgemein die computerintegrierte
Medizin unsere klinischen Erfahrungen und Routinen unweigerlich verändern.
Regelmäßig werden neue Anwendungen eingeführt, die darauf
abzielen, menschliche Grenzen zu überwinden. Von den zahlreichen
Forschungsinitiativen und Anwendungen in der interventionellen Medizinrobotik wurden
xbisher jedoch nur wenige nachhaltig kommerziell verwertet und auf breiter Basis zur
Unterstützung des medizinischen Personals sowie PatientInnen eingesetzt.
Ähnlich verhält es sich mit der Assistenz- und
Rehabilitationsrobotik. Abgesehen von den technologischen Einschränkungen
sind die Kosten der Produkte, die Benutzerfreundlichkeit und die Akzeptanz in der
Gesellschaft weitere wichtige Faktoren, die sich auf die Verbreitung von
Robotiktechnologien im Gesundheitswesen auswirken. Der Ausbruch der Corona-Pandemie
im Frühjahr 2020 hat besonders vor Augen geführt, wie wichtig
Digitalisierung und künstliche Intelligenz für die Aufrechterhaltung
des öffentlichen Lebens sind und zunehmend sein werden. Es ist auch
deutlicher geworden, wie die Technologie zur Verbesserung der Qualität der
medizinischen Versorgung und zur Verringerung der Belastung sowie des Risikos von
Infektionen für das Gesundheitspersonal beitragen kann. Ähnlich wie
bei anderen Technologien werden die konkreten menschlichen Bedürfnisse die
zentrale Rolle in der Frage spielen, was die Zukunft der Robotik im Gesundheitswesen
für uns bringen wird. Unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass
Menschen ihr Verhalten und ihre Umgebung sogar an Roboter anpassen können,
wenn sie diese Veränderung für vorteilhaft halten.