Schlüsselwörter
Computer-assistierte Chirurgie - Patienten-spezifische Implantate - Computer-assistierte
Planung - Mittelgesichtsrekonstruktion - Navigation - Qualitätssicherung
1. Ergebnisse und Lebensqualität nach individueller computer-gestützter Rekonstruktion
des Mittelgesichtes
1. Ergebnisse und Lebensqualität nach individueller computer-gestützter Rekonstruktion
des Mittelgesichtes
Das Mittelgesicht ist nicht lediglich die anatomische Mitte des Gesichtes, sondern
ist Rahmenstruktur und Grundvoraussetzung für die Ausübung der Identität eines Individuums.
Hier sind wichtige Sinne wie Sehen und Riechen ebenso verortet wie auch die Kaufunktion
sowie Luftpassage. Es verkörpert damit eine Multifunktionalität für eine anatomische
Region im Hinblick auf Struktur und Design. Ist die anatomische Einheit des Mittelgesichtes
durch angeborene oder erworbene Deformitäten beeinträchtigt, so ist das Individuum
zumeist nicht nur in seiner Funktion beeinträchtigt, sondern ebenso massiv in seiner
Lebensqualität [1]. Dies ist eine wichtige Feststellung, die auch zur besonderen Qualitätssicherung
vor jedem operativen Eingriff des Mittelgesichtes verpflichtet. Genau hierfür kann
Computer-Assistenz dienen, um rekonstruktive Eingriffe des Mittelgesichtes vorhersagbarer,
transparenter, überprüfbarer und auch risikoärmer zu machen [2]
[3]. Digitale Planungsmöglichkeiten unter Einbeziehung von unterschiedlichen Oberflächen-
und Volumendaten in Kombination mit modernen additiven Fertigungstechniken zur Biomodell-
und Implantat-Herstellung und mit intraoperativer Unterstützung von realer und virtueller
3D-Volumendaten-Anwendung durch Navigation sowie intraoperativer Ergebnissicherung
durch 3D-Volumendatensatz-Erhebung mittels 3D-C-Bogen-Volumentomomografie-Technologie
haben heute in die moderne Mittelgesichtsrekonstruktion Einzug gehalten und setzen
neue Standards für die medizinische Versorgung [4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9].
Eine Einbeziehung neuer Technik ist jedoch immer vor dem Hintergrund klinischer Relevanz
zu sehen: die Limitationen für einen Behandlungserfolg definieren sich dabei selten
aus der Technik selber, sondern vielmehr aus klinischen Gründen, wie z. B. motorischen
Einschränkungen, Narben, Gewebemangel. Somit obliegt dem Kliniker umso mehr die Verantwortung,
die Balance von theoretisch Machbarem mit real Erzielbarem zu ermitteln und zu definieren.
Die Generation junger Chirurgen erhält ebenso wie der Erfahrene die nie dagewesene
Chance, komplexe Wiederherstellungen aus der individuellen Dreidimensionalität im
wahrsten Sinne des Wortes zu sehen und zu begreifen, und zwar in allen Behandlungsphasen,
d. h. prä-, intra-, postoperativ und im Verlauf [10]. Damit erfährt der Begriff der Qualitätssicherung eine neue Dimension und erlaubt
letztlich, für den individuellen Einzelfall des Patienten Evidenz zu erzeugen. Somit
könnte der Begriff der Evidenz-basierten Medizin auch eine neue, chirurgisch-reale
und patienten-relevante, Sichtweise erhalten [3]
[11]!
Im Folgenden sollen die modernen Möglichkeiten der Patienten-spezifischen Mittelgesichtsrekonstruktion
unter Einbeziehung computer-assistiert geplanter und gefertigter (CAD/CAM) Patienten-spezifischer
Implantate zur Wiederherstellung aufgezeigt werden. Dabei werden auch Dogmenwechsel
offensichtlich und benannt: wie bspw. dass Rekonstruktionen der Orbita formstabil
sein sollten, woraus sich wiederum ergibt, dass bioresorbierbare Materialien hierfür
ganz besonderer Begründung bedürfen [12]
[13]; oder dass die uneingeschränkte Kaufunktion des zentral und/oder lateral abladierten
Mittelgesichtes durch eine einzeitige Operation mit funktionsstabiler Verschraubung
eines Patienten-spezifischen Implantates rückgewonnen werden kann [14].
2. Posttraumatische Rekonstruktion des Mittelgesichtes
2. Posttraumatische Rekonstruktion des Mittelgesichtes
In der Rekonstruktion posttraumatischer Defekte ist die Primärrekonstruktion von der
Sekundärrekonstruktion zu unterscheiden. Dann wiederum müssen isolierte Orbitadefekte
von kombinierten Orbita- und Mittelgesichtsdefekten unterschieden werden [8]
[10]. Grundsätzlich gilt, dass die Rekonstruktion umso erschwerter ist, je später sie
erfolgt und je komplexer das individuelle Traumamuster ist. Hier haben Güte und Art
der dreidimensionalen Bildgebung enormen Vorschub geleistet, sodass in unserem Gesundheitssystem
diesbezüglich grundsätzlich keine Einschränkung mehr vorliegen. Insbesondere Spiral-CT-Technologie
(CT) und digitale Volumentomografie (DVT) sind in der Traumatologie des Mittelgesichtes
hervorzuheben. Moderne DVT ist z.T. dem CT im Hinblick auf die Diagnostik für das
Hartgewebe überlegen, da metallische Artefakte weniger negativ überlagernd sind als
in der CT-Diagnostik [14]
[15]. Sind Fragen des Weichgewebes adressiert, wie z. B. die intraorbitale Einblutung,
dann ist der kontrastmittel-verstärkten CT sicher der Vorzug zu geben [16]
[17]. Das klinisch wichtigere und unbedingt zu lösende Problem in der Traumatologie ist,
dass 3D-Datensätze grundsätzlich die Qualität haben sollten, um im folgenden Bestandteil
eines digitalen Planungsprozesses zu sein [18]. Die Traumatologie wird deswegen als Indikationsbereich erwähnt, weil sie in der
zeitlichen Versorgungsachse die größten Anforderungen im Hinblick auf den Faktor Zeit
bedeutet. Hier obliegt es den Bild-erhebenden Stellen, den Gedanken „was kann ein
3D-Datensatz über die Diagnostik hinaus auch noch leisten?“ zu entwickeln und den
Chirurgen obliegt es, den Diagnostikern zu vermitteln, dass und welche therapeutischen
Konsequenzen aus den 3D-Datensätzen entstehen können. Kurzum, computer-assistierte
Planung mit virtueller Modellerstellung und additiver Fertigung von 3D-Biomodellen,
Navigation, Robotik sind nur möglich, wenn die Volumendaten im DICOM-Format exportiert
werden und im Hinblick auf die Schichtdicke und das gescannte Volumen die Anforderungen
für mögliche nachfolgenden Technologieeinsatz erfüllen. Beruhigend ist, dass dies
heutzutage nahezu jedes CT und DVT leisten kann; zumal im Hinblick auf das Mittelgesicht
die Scanvorgaben denkbar einfach sind, d. h. Ausrichtung des zu scannenden Objektes
in Neutral-Null-Position, axiale Scanrichtung, Schichtdicke<1 mm. Realität ist, dass
diese Scan- bzw. DICOM-Export-Vorgaben in ca. 50% externer Datensatzübermittlungen
nicht eingehalten wird und so – sonst vermeidbare – neue 3D-Volumendatensätze erzeugt
werden müssen. Hier ist noch eine Menge an Aufklärungsarbeit zu leisten [19].
Anhand verschiedener Indikationsbereiche sollen im Folgenden moderne computergestützte
Verfahren bei Rekonstruktionen im Bereich des Mittelgesichtes dargestellt werden.
2.1. Primäre posttraumatische Mittelgesichtsrekonstruktion
2.1. Primäre posttraumatische Mittelgesichtsrekonstruktion
Bei einer älteren Patientin bestand sturzbedingt ein rechtsseitiger posttraumatischer
Orbitadefekt, der sowohl die sagittale als auch die transversale Dimension des gesamten
Orbitabodens umfasste. [Abb. 1] zeigt den ausgedehnten Defekt, der die Transitionszone zwischen medialer Orbitawand
und Orbitaboden erfasste. Die Indikation für die Verwendung Patienten-spezifischer
Implantate konnten über die Jahre der Anwendung auf folgende Indikationen fokussiert
werden:
Abb. 1 Posttraumatischer Orbitabodendefekt rechts in coronarer Schicht a sowie in schrägsagittaler Schicht b mit 25,5 mm messender subtotaler Defektausdehnung im DVT.*: Transitionszone, Pfeil:
posterior ledge.
Notwendigkeit der formstabilen Wiederherstellung bei Verlust der sogenannten „key
areas“ der Orbita, d. h. der anterioren 10 mm des Orbitabodens („postentry zone“,
gemessen ab Infraorbitalrand nach posterior in der paramedianen schrägsagittalen Ebene),
der medialen posterioren Vorwölbung („posterior medial bulge“), der Umschlagsregion
zwischen posteriorer Kieferhöhlenwand und posteriorem Orbitaboden („posterior ledge“),
des hinteren Drittels des Orbitabodens, der Transitionszone zwischen medialer Orbitawand
und Orbitaboden, oder einer Formveränderung des in der koronaren Schicht linsenförmigen
Kontur des M. rectus inferior hin zu einer runden Formation als Hinweis auf eine Eröffnung
der Periorbita sowie Enophthalmus oder Hypoglobus. In allen vorgenannten Defektkonstellationen
der Binnenorbita sind Patienten-spezifische Implantate vorteilhaft, die neben der
perfekten Form noch Elemente der Funktionalisierung und des präventiven Designs tragen:
diese Implantate wurden durch die Autorenklinik entwickelt und haben das Ziel, Lageinformation
sowohl für die klinische intraoperative Bewertung zu beinhalten als auch die automatische
Ausrichtung des STL-files des Patienten-spezifischen Implantates im Volumendatensatz
für die intraoperative Navigation zu erlauben, damit sowohl Pointer-basiert als auch
Trajektorien-basiert die Navigationskontrolle erfolgen kann. Dieser workflow ist für
IPS Implants (KLS-Martin Group, Tuttlingen, Deutschland) in Kombination mit der iPlan-Software
(Brainlab, München, Deutschland) gewährleistet. Zusätzlich können an diese Implantate
anatomische Erweiterungen erfolgen, die eine Lagestabilisierung in der adäquat dissektierten
Orbita erlauben; eine rundliche zirkuläre Einfassung (von 0,5 mm Dicke) trägt zur
Versteifung des im Zentrum nur 0,3 mm dicken Implantates bei und erlaubt auch die
atraumatische Interaktion des Implantates mit Nachbargewebe. Im posterioren Orbitadrittel
liegt eine betonte Krümmung der Implantatgeometrie weg vom Sehkanal-nahen Bereich
in Form einer invertierten Schneeschaufel vor. Multiple schlitzförmige Öffnungen dienen
zur Materialreduktion und auch zur Drainage im Falles eines retrobulbären Hämatoms.
Diese Implantatform vereint die Erfahrung von 30 Jahren rekonstruktiver Orbitachirurgie
und ist so gewählt, dass sie klassische Fehler der Orbitarekonstruktion sicher vermeiden
hilft. Eine Fixierung am oder über den Infraorbitalrand ist durch ein bis 2 Minischrauben
im Durchmesser 1,2, 1,3 oder 1,5 mm zumeist möglich, ggf. kann auch die Verankerung
innen lateroorbital anterior erfolgen ([Abb. 2]).
Abb. 2 Patientenspezifisches Implantat zur Rekonstruktion der rechten Orbita (KLS Martin
Group, Tuttlingen, Deutschland) mit diversen Funktionalisierungen. Pfeile: Trajektorien
für intraoperative Navigation. ǂ Präventive Design mit kaudal angulierter Auflage
(invertierte Schneeschaufel). *: Rekonstruktion des „posterior medial bulge“.
Als Zugänge zur Orbitarekonstruktion können damit grundsätzlich kleinere gewählt werden,
die jedoch die hinreichende Dissektionsmöglichkeiten und -erfordernisse erfüllen müssen.
Bewährt hat sich bei den Autoren v. a. der untere transkonjunktivale retroseptale
Zugang für die Rekonstruktion des Orbitabodens und der kaudalen Abschnitte der lateralen
und medianen Orbitawand ([Abb. 3]) – eine Kanthotomie kann in Ausnahmefällen zur besseren Übersicht mit durchgeführt
werden. Ist die mediane Orbitawand bis unterhalb der anterioren Schädelbasis zu rekonstruieren,
empfiehlt sich der zusätzliche mediale transkonjunktivale Zugang trans- oder retrokarunkulär.
Obere Abschnitte der lateralen Orbitawand und laterale Bereiche des Orbitadaches lassen
sich sicher über den oberen lateralen Blepharoplastikzugang versorgen. Ein Augenbrauenschnitt
sollte hierfür nicht mehr Anwendung finden.
Abb. 3 Klinische Bilder eines unteren transkojunktivalen, retroseptalen Zugangsweges. Sicherstellen
einer Inzision mind. 10 mm dorsal der Lidkante a Darstellung des Orbitabodes b mit Frakturzone (Pfeile). Intraoperative Bildgebung mittels DVT nach Einbringen des
Implantates in coronarer c und schrägsagittaler paramedianer d Schicht.
2.2. Sekundäre posttraumatische Orbita- und Mittelgesichtsrekonstruktion
2.2. Sekundäre posttraumatische Orbita- und Mittelgesichtsrekonstruktion
Sekundäre Rekonstruktionen haben den Vorteil des längeren Planungs- und Vorbereitungszeitraumes.
Es handelt sich hierbei um die herausforderndeste Region für sekundäre Rekonstruktionen,
weil alleine die Interaktion nur der Orbita mit immerhin 50% der 12 Hirnnerven einhergeht.
Die Komplexität definiert sich hier über das anatomische und funktionelle Defizit,
wird zudem erschwert durch eine oft hohe Erwartungshaltung in Richtung einer restitutio
ad integrum, was – im Falle der Sekundärkorrekturen – in der Regel ein Ding der Unmöglichkeit
darstellt. Angestrebt werden kann nur eine bestmögliche Zustandsoptimierung, die auf
realistische Ziele und Erwartungen des Patienten abgetimmt sein muss.
Nach einer viele Monate zurückliegenden Primärversorgung eines schweren Schädelhirntraumas
mit Mittelgesichts- und Orbitafrakturen zeigt die [Abb. 4a–c] bei einer Patientin die radiologischen Analoga der klinisch ersichtlichen Deformität:
Im Rahmen der Primärbehandlung erfolgten zwar die Reposition der Mittelgesichtsstrukturen
unter Einsatz bioresorbierbarer Materialien auch die Rekonstruktion der Binnenorbita,
allerdings befinden sich all diese Strukturen nun im eingefrorenen Zustand der offensichtlichen
Fehlstellung und damit inadäquaten Versorgung. Klinisch imponieren ein Hypoglobus
mit massivem Enophthalmus rechts sowie massiv zurückliegender Projektion der Jochbeinprominenz
rechts. Hier wurde gemeinsam mit der Patientin entschieden, den äußeren Rahmen zur
korrekten Rekonstruktion des Mittelgesichtes und der Orbita simultan zu korrigieren.
Dazu gehörten die Rekonturierung der rechten Augenhöhle. Mit der klinischen Information
und der Bewertung der Gewebeverhältnisse werden die Planungsanforderungen an das Biomedizintechnikunternehmen
so übergeben, sodass präoperativ ideale patientenspezifische Implantate digital geplant
und computer-assistiert gefertigt werden können. Exemplarisch sind hier Screenshots
aus der Planungsansicht dargestellt, die sowohl das Implantat für den äußeren Rahmen
zeigen, als auch das geplante funktionalisierte und mit präventivem Design ausgestattete
Mehrwandimplantat für die rechte Orbita [Abb. 4d–f]. Beide Implantate definieren für sich und in der Kombination qualitätssichernd die
korrekte Position des umzustellenden und in Fehlbildung befindlichen Jochbeines rechts.
Die infrarotbasierte Navigation erfolgte intraoperativ zur Kontrolle der Schraubenbohrung
und -verankerung im Bereich der Laterobasis. Es wurden sowohl die Pointer-basierte
Navigation als auch die trajektorienbasierte Naviation eingesetzt, um sowohl die korrekte
Dissektion als auch die Implantatpositionen im Verhältnis zu den Nachbarstrukturen
zu überprüfen.
Abb. 4 Planung einer sekundären Jochbeinumstellung mit Segmentierung des in Fehlstellung
verheilten Knochens a, welcher repositioniert wird b sowie eines patientenspezifischen Implantates (PSI) zur Definition der Idealposition
d und eines weiteren PSI zur Orbitarekonstruktion anhand der nun Volumenvergrößerten
neuen Situation e. DVT präoperativ c mit Jochbeinfehlstellung und postoperativ f nach Korrektur.
Als operativer Zugang wurde für die Orbita der transkonjunktivale retroseptale Zugang
gewählt; für den lateralen Rahmen erfolgten der transorale und präauriculäre Zugang
rechts.
Das wesentliche Bedürfnis der Patientin, nämlich die Korrektur der Gesichtsdeformität
inklusive der Bulbusfehlpositionierung mit Doppelbildwahrnehmung zur erbringen, ist
erfolgt. Die orbitale Volumenvergrößerung wurde mittels Titanspacern zusätzlich korrigiert
([Abb. 5]) Des Weiteren waren während dieses Eingriffes durch die HNO-Kollegen eine Eröffnung
und Schienung des Ductus nasofrontalis rechts erfolgt.
Abb. 5 DVT der Pat. aus [Abb. 4] präoperativ vor Orbitarekonstruktion a+c mit ausgedehntem Orbitadefekt und postoperativ b+d nach Rekonstruktion mittels eines patientenspezifischen Orbitaimplantates sowie Titanspacern
zur Volumenaugmentation.
Dieses Patientenbeispiel zeigt den hohen Beitrag zur Qualitätssicherung durch Computer-Assistenz
zu drei verschiedenen Zeitpunkten, d. h. präoperativ, intraoperativ und postoperativ.
3. Wachstums-bedingte erworbene Orbita- und Mittelgesichtsdeformität
3. Wachstums-bedingte erworbene Orbita- und Mittelgesichtsdeformität
Infolge einer entzündlichen Erkrankung der rechten Kieferhöhle mit operativer Behandlung
im frühen Kindesalter ergab sich im Erwachsenenalter das klinische Bild einer durch
eine Wachstumsstörung des Mittelgesichtes induzierte komplexe Gesichtsasymmetrie mit
einer Rücklage des rechten Jochbeines, einer Orbitaasymmetrie mit Hypoglobus und Enophthalmus
rechtsseitig sowie einer schräger Okklusionsebene ([Abb. 6]). Radiologisch waren die Kieferhöhlenwandungen knöchern deutlich verdickt. Zunächst
muss die Erhebung und Zuordnung der Asymmetrie zu den anatomischen Strukturen erfolgen.
Die Transitionszone zwischen medialer Wand und Orbitaboden rechts war nach kaudal
verlagert, das Orbitavolumen war insgesamt vergrößert auf der rechten Seite im Vergleich
zur nicht betroffenen kontralateralen Seite.
Abb. 6 Präoperatives DVT einer Patientin mit Mittelgesichtsdeformität in axialer a und koronarer Schicht b mit hypoplastischem Sinus maxillaris rechts (Stern) sowie reaktiver Sklerosierung
des umgebenden Knochens (Pfeil) bei deutlich zurückliegender Jochbeinprominenz rechts.
Das Ergebnis der interaktiven Bildanalyse zwischen Oberflächen- und Volumenbilddaten
und der Korrelation zur klinisch erfassbaren Asymmetrie mündete in folgenden Behandlungsplan:
zweizeitig sollten zunächst das laterale Mittelgesicht und die Orbita rechts rekonstruiert
und symmetrisiert werden. In einem zweiten Eingriff war eine bimaxilläre Umstellungsosteotomie
vorgesehen, um das zentrale Mittelgesicht und den Unterkiefer zu korrigieren. Während
die Mittelgesichtsdeformität den Leidensdruck für die Patientin darstellte, war ihre
Kieferfehlstellung für sie nicht die führende Problematik, weshalb auch keine Kieferumstellung
durchgeführt wurde. Um jedoch für die Zukunft diese Option nicht zu verbauen, mussten
die Orbita- und Mittelgesichtsrekonstruktion so geplant werden, dass eine spätere
Le Fort I Osteotomie dennoch möglich wäre, ohne dann das Ergebnis der ersten Operation
zu gefährden.
Für die Orbita und auch für das äußere Mittelgesichtsskelett wurden 2 unabhängige
Patienten-spezifische Implantate so geplant, dass sie im Falle von Komplikationen
unabhängig voneinander zu behandeln wären. Ferner wurde für die nervnahe Augmentation
im Bereich des Jochbeines ein zweigeteiltes PEEK (Poly-Ether-Ether-Keton)-Implantat
gewählt, um gefahrenarm den Kontur- und Volumenenffekt um das N. infraorbitalis-nahe
Areal chirurgisch umsetzen zu können und werkstoffseits weniger wärmeleitend zu sein.
Für die Korrektur der Bulbusposition wurde hingegen ein im Laserschmelzverfahren hergestelltes
IPS-Implant (KLS Martin, Group, Tuttlingen, Deutschland) für die Orbita konstruiert,
das unabhängig von dem PEEK-Implantat verankerte ([Abb. 7]). Lediglich über den transoralen Zugang und den retroseptalen transkonjunktivalen
Zugang ließen sich beide Implantattypen in die vorgeplante Zielposition einbringen.
Postoperativ bestand temporär für wenige Wochen eine Doppelbildwahrnehmung, die sich
dann sowohl im Gebrauchsgesichtsfeld als auch bei endgradigem Blick legte.
Abb 7 Planung a einer Rekonstruktion der Pat. aus [Abb. 6] mittels eines patientenspezifischen Orbitaimplantates sowie eines zweigeteilten
PEEK-Augmentates. Intraoperative Situation b mit Schonung des N. infraorbitalis (Pfeil).
4. Defekte der Maxilla und Mittelgesichtsregion
4. Defekte der Maxilla und Mittelgesichtsregion
Die zahnärztliche Implantologie ist eine der wesentlichen Errungenschaften der modernen
Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde bzw. der zahnärztlichen Chirurgie, die grundsätzlich
auf der Implantation eines alloplastischen Fremdkörpers in den orstständigen Knochen
basiert. Kommt es zu ungünstigen Verhältnissen von Knochenangebot und Qualität in
Kombination mit negativ verstärkender biomechanischer Belastung im Hinblick auf eine
Zunahme der Atrophie, dann sind alle herkömmlichen Verfahren der präimplantologischen
Knochenverpflanzung mit nachfolgendem Einsatz konventioneller Zahnimplantate begrenzt.
Verschlimmert wird diese Situation, wenn zudem noch durch Allgemeinerkrankungen und
Medikamenteneinnahmen sowie Bestrahlung oder Beeinträchtigung des Immunsystems, Gewebedefekte
und -ersatz die Rahmenbedingungen erschwert werden.
Zu den konventionellen Therapiestrategien zählt auch die klassische Einlagerungsosteoplastik
in den Recessus alveolaris (externer Sinuslift), aus der alleine sich ein komplexes
Krankheitsbild formen kann, das bei Verwendung autogenen Knochens zwar in der Regel
im Falle der Sinusitis maxillaris folgenfrei abheilt, die verbreitete Anwendung sogenannter
Knochenersatzmaterialien von sogenannten „Implantologen“ in oft unkontrollierter Form
kann jedoch zu folgenschweren nachhaltigen Entzündungen und auch zusätzlichem Knochen-
und Gewebeverlust führen.
Die Problematik der ungünstigen biomechanischen Belastung im Falle starker Atrophie
in Form einer sog. Angle Klasse III-Relation ist mit eine der größten Anforderungen
an den geschwächten und atrophen Oberkiefer und war Ausgangspunkt eines neuen strategischen
Versorgungsansatzes, indem computer-assistierte Planung mit Innovationen in der Biomedizin-Technik
einen neuen Lösungsansatz in Form der patientenspezifischen Implantate (Individual
Patientspecific Solution (IPS)- IPS-Implants Preprosthetic, KLS Martin Group, Tuttlingen,
Deutschland) brachten. Es ist zudem eine präventive Versorgungsantwort, da herkömmliche
Verfahren sich oft durch zu starke Invasivität oder auch durch einen biologisch-indäquaten
Ansatz für den bereits austherapierten oder schwer-therapierbaren Patienten darstellten,
weil dieser zu alt, zu krank oder bereits zu vorgeschädigt war. Präventiv bedeutet
hierbei auch, dass dieses neue durch die Autoren entwickelte Verfahren z. B. den Sinus
maxillaris und die internen Mittelgesichtsstrukturen ausspart und stattdessen rein
auflagernd ist in Kombination mit einer funktionsstabilen Multivektorverschraubung.
Dieses Verfahren steht nicht kompetitiv zur zahnärzlichen Implantologie, aber kann
sehr wohl eine entscheidende „line-extension“ für diejenigen Fälle darstellen, in
denen die Invasivität klassischer präimplantologischer Operationen als inadäquat einzustufen
ist. Abgesehen davon sind die konventionellen Strategien mit einem ca. 1 Jahr währenden
Behandlungsprotokoll verbunden. Dabei sind zudem alle konventionellen Strategien umso
kritischer zu betrachten und umso gefährdeter im Hinblick auf die Zielerreichung,
je ungünstiger die o.g. skelettale Relation in Richtung einer Angle Klasse III weist.
Hier ist lediglich das Zygomaimplantat als eine mögliche Alternative für den atrophen
Oberkieferseitenzahnbereich zu nennen; dieses hat jedoch grundsätzliche Designschwächen,
da die Verankerung zwar ortsfern im Zygoma liegt – was grundsätzlich positiv ist –,
jedoch die Implantatachse in unmittelbarer Nähe zum oder sogar im Durchtritt durch
den Sinus maxillaris hat. Liegt eine anteriore Restbezahnung des Unterkiefers vor,
so erfordert die Versorgung des extrem atrophen Oberkiefers hingegen besonders belastbare
Verhältnisse. Keineswegs ist diese Betrachtung auf den alten Menschen limitiert, sondern
bereits der z. B. im Zusammenhang mit syndromalen Erkrankungen stehende Zahnverlust
im jungen Patienten oder auch die Kompromiss-behafteten singulär-konservativen kieferorthopädischen
Kompensationsversuche bei z. B. im Oberkieferwachstum gehemmten Patienten mit ausgeprägten
Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten können frühzeitig zu einem komplexen biomechanisch
induzierten weiteren Zahn- und hiernach Kieferknochenverlust führen. In diesen Fällen
wäre ebenso die zumeist intakte Unterkiefersituation als kausal für einen Dekompensations-Mechanismus
aufgrund von Fehl- und Überbelastung insbesondere der anterioren Oberkieferregion
zu bewerten, die dann im bereits mittleren Alter der Patienten zum extrem atrophierten
Oberkiefer als Ergebnis führen kann. Besonders herausfordernd ist die Kombination
der Oberkieferschwächung von starker Atrophie mit zusätzlicher Ablation von Oberkieferanteilen
und umgebendem Weichgewebe infolge radikalchirurgischer Therapie bei bösartigen Erkrankungen
ggf. noch kombiniert mit adjuvanter Radio- und/oder Chemotherapie bei gleichzeitig
intaktem bezahnten Unterkiefer. Für das planerische Vorgehen zur computer-assistieren
Herstellung eines IPS-Implants Preprosthetic gibt es grundsätzlich keine Unterschiede
zur der sonst üblichen Planung Zahnimplantat-getragener Behandlungen, d. h. die Planung
kann sowohl analog, digital oder auch kombiniert analog/digital durchgeführt werden.
Vor allem in Fällen der nicht definierten Kieferrelation und Bisshöhe sollte eine
radioopake Wachsaufstellung erfolgen und Bestandteil des prätherapeutischen Scanvolumens
entweder im DVT oder CT sein. Sind präoperative Ausgangssituationen durch Gipsmodelle
3D-Datensätze vorhanden, dann können diese Daten in den Planungsdatensatz integriert
werden. Die Pfeileranzahl und -ausrichtung müssen definiert werden, um dann deren
digitale Designanbindung an die Gerüstbasis zu gestalten.
Die [Abb. 8] zeigt klinisch den Zustand bei einer 84-jährigen Patientin nach mehrfacher operativer
Intervention mit Narbenbildung und Gewebereaktion auf das unkontrollierte Einbringen
inadäquater Knocherersatzmaterialmengen in den massiv atrophierten Oberkiefer sowie
den Sinus maxillaris beidseits. Das diagnostische DVT erlaubte die Analyse des Knochenlagers
und stellte das massiv dislozierte radiodense Knochenersatzmaterial in beiden Kieferhöheln
dar, so daß zunächst das Fremdmaterial umfangreich entfernt werden musste.
Abb. 8 Pat. mit einer für einen Prothesenhalt mangelhafter intraoraler Situation nach Augmentation
alio loco mit Knochenersatzmaterial. Intraorale Situation a und DVT b mit Darstellung des Knochenersatzmaterials (Pfeile).
Vorbestehende oroantrale Fisteln im beidseitigen Seitenzahnbereich heilten daraufhin
ab. Die Patientin wünschte keine neuerlichen Versuche präimplantologischer Augmentationen.
Das beunruhigende Vorbehandler-Konzept zeigte sich auch für den Unterkiefer in Form
der sehr rigiden Verankerung eines Zahnersatzes bei komplett fehlpositionierten Zahnimplantatachsen
im Hinblick auf den ohnehin schon geschwächten Oberkiefer, d. h. durch die Aufrichtung
der Implantaschultern nach labial wurde die biomechanische Belastung für den extrem
atrophen Oberkiefer zusätzlich negativ verstärkt ([Abb. 9])
Abb 9 DVT in sagittaler Schicht der Pat. aus [Abb. 8] mit unvorteilhafter Angle Klasse-III Relation (Pfeil) sowie periimplantärem Knochenabbau
(*).
Hier wurde daraufhin entschieden, für den extrem atrophierten und durch Fremdmaterial
maximal vorbelasteten Oberkiefer die Behandlungsalternative durch ein IPS-Implants
Preprosthetic zu wählen [Abb. 10] zeigt die Situation nach Sanierung des infizierten Knochenersatzmaterials mit belüfteten
Kieferhöhlen sowie einer beim 3D-Scan getragenen Schiene für ein backwards-planning.
Abb. 10 DVT in coronarer Schicht der Pat. aus [Abb. 8] und [9] nach Entfernung des Knochenersatzmaterials a sowie Orthopantomogramm b nach Insertion eines patientenspezifischen Gerüstimplantate (IPS-Implants Preprosthetic,
KLS-Martin Group, Tuttlingen, Deutschland). Klinische Situation nach Einheilung mit
Teleskopen c und definitivem Zahnesatz in situ d.
Es erfolgte eine einzeitige Versorgung mittels eines IPS-Implants Preprosthetic, was
aufgrund der wenig invasiven Methode in einem ambulanten Setting möglich ist. Im Gegensatz
zu konventionellen augmentativen Verfahren ist dieses Implantat sofort belastbar,
was gerade bei betagten Patienten, die komplexe mehrstufige Behandlungskonzepte scheuen
eine Vorteil sein kann.
4.1. Mittelgesichtsdefekt nach Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
4.1. Mittelgesichtsdefekt nach Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
Die [Abb. 11] zeigt eine grosse anteriore oronasale Fistel nach Verlust der Prämaxilla im Rahmen
des Primäreingriffes alio loco, Die computer-assistierte Planung zur Rekonstruktion
mittels eines IPS-Implants Preprosthetic verdeutlicht in [Abb. 11b] erneute die ungünstiger skelettale Angle Klasse III Relation. In dem interaktiven
Viewer des Case-Designers sind verschiedene Planungsstufen durch Einbeziehung der
Weichgewebeinformation durch das eingescante unbezahnte Oberkiefermodell, die eingescante
prothetische Wachsaufstellung für die geplante Oberkieferbezahnung, die geplante Okklusionsebene
und das Gerüstimplantat mit erforderlicher Knochenresektion aus unterschiedlichen
Ansichten dargestellt. Das Design des IPS-Implants Preprosthetic erlaubt eine starke
Protrusion der Pfeiler, um die Position des deutlich zurückliegenden Oberkiefers gegenüber
dem skelettale vorliegenden Unterkiefer zu kompensieren. Die Operation selber wird
ambulant durchgeführt und erlaubt innerhalb eines Tages die Rehabiliation komplexer
Oberkieferdefekte, wofür konventionelle Protokolle ansonsten schwerlich unterhalb
eines Jahres – bei einhergehender großer Morbidität – imstande gewesen wären.
Abb. 11 Pat. mit ausgedehntem Restloch nach Lippen-Kiefer-Gaumenspalte a und prothetisch unvorteilhafter Angle Klasse III-Relation b. Digitale backwards-Planung einer prothetischen Rehabilitation c unter Einbeziehung der Weichgewebssitation d mit einem patientenspezifischen Gerüstimplantat e+f (IPS-Implants Preprosthetic, KLS Martin Group, Tuttlingen, Deutschland).
Als Besonderheiten sind anhand des Patientenbeispieles in [Abb. 11] das funktionalisierte und das präventive Design für das IPS-Implants Preprosthetic
zu benennen, d. h. es ist eine eindeutige Lagepositionierung gegeben, die durch zusätzliche
dreidimensional am individuellen Implantat gestaltbare Landmarken, wie z. B. kleine
Umfassungen, Ausleger, Ärmchen oder Häkchen um definierte anatomische Strukturen,
unterstützt werden kann: im Oberkiefer dienen hierfür v. a. die mittleren oder seitlichen
Mittelgesichtspfeiler um die Apertura piriformis bzw. die Crista zygomatico-alveolaris
beidseits; die Dicke der Gerüstbasis kann zum tastbaren Randbereich auslaufend gestaltet
werden, die Verwendung von Non-Locking- 1,5 oder 2,0 mm Non-Locking- oder auch Locking-
Osteosyntheseschrauben ist möglich. Grundprinzip ist die von den Pfeilerdurchtrittsstellen
entfernt durchgeführte funktionsstabile Osteosynthese.
Zur besseren Abschirmung der Wangenweichgewebe gegenüber den Gerüstimplantatpfosten
hat sich für den atrophen Oberkiefer die Ummantelung der Pfeilerdurchtritte im Seitenzahnbereich
durch den nach anterior verlagerten Bichatʼschen Wangenfettpfropf als vorteilhaft
erwiesen. Zudem kann im Falle eines sehr unregelmäßigen Kieferkammes die limitierte
Entfernung von krestalen Kieferkammanteilen gerechtfertigt sein, damit eine bessere
Kongruenz zwischen Implantatunterseite und Empfängerregion erzielt werden kann ([Abb 12]). Digital kann diese Resektion vorweg geplant werden und in eine individuelle 3D-Resektionsschablone
überführt werden, die dann intraoperativ unmittelbar vor Einsetzen des IPS-Implants
Preprosthetic für die Kieferkammmodifikation eingesetzt wird. Selbstverständlich ist
das IPS-Implants Preprosthetic auch vollständig mit konventionellen Zahnimplantaten
kombinierbar. Die provisorische prothetische Versorgung für das IPS-Implants Preprosthetic
erfolgt unter Verwendung eines einfachen Metallsteges, der zum Zeitpunkt des operativen
Eingriffs als Qualitätssicherungstool zur Überprüfung der Parallelität der einzelnen
Pfeiler des IPS-Implants Preprosthetic dient, aber im weiteren Verlauf zusammen mit
einem Überwurf (Matrize) zur Verankerung eines Steg-getragenen Provisoriums dienen
kann.
Abb. 12 Intraoperative Sitation des Pat. aus [Abb. 11] mit patientenspezifscher Sägeschablone a sowie Deckung des Gerüstimplantates c mit Bichatʼschem Fettpfropf b. Postoperative Situation nach Implantatinsertion im OPT d und klinisch e sowie nach Eingliederung der prothetischen Versorgung f.
Grundsätzlich ist der Oberkiefer-Gewebeverlust trotz simultaner oder verzögerter Wiederherstellung
durch z. B. Weich- und Hartgewebetransplantation für die Versorgungsstrategie zur
dentalen Rehabilitation eine Herausforderung; diese ist nur dann als erfolgreich zu
bezeichnen, wenn letztlich auch eine biologisch adäquate dentale Rehabilitation erreicht
werden kann. Herausragende mikrochirurgische Rekonstruktionen, die jedoch weder funktionell
noch anatomisch die suffiziente Separierung der biologischen Einheiten erreichen oder
aber auch die Wiederherstellung einer knöchernen Basis, die letztlich nicht implantat-getragen
versorgt werden kann, sind als biologisch inadäquat und damit als rekonstruktiver
Fehlschlag zu werten, bzw müssen sich genau an den vorgenannten Parametern messen
lassen. Grundsätzlich muss für Behandlungen innerhalb unseres Gesundheitssystem, das
die implantat-getragene dentale Rehabilitation für den Tumor-bedingt abladierten Oberkiefer
ermöglicht, eine knöcherne Rekonstruktion beim teil-, hemi- oder komplett maxillektomierten
Patienten unabdingbar prothetisch rückwärtsgeplant erfolgen, um überhaupt den planerischen
Ansatz für eine spätere erfolgreiche implantat-getragene prothetische Rehabilitation
nachweisen zu können. Hier gibt es jedoch ein enormes Delta zwischen klinischer Realität
und zu fordernder Qualitätssicherung für die Durchführung dieser rekonstruktiven Eingriffe.
4.2 Mittelgesichtsdefekte nach Tumorresektion
4.2 Mittelgesichtsdefekte nach Tumorresektion
[Abb. 13] zeigt die klinische Situation eines multilokulären Melanoms des Oberkiefers. Gemäß
der Empfehlung der interdisziplinären Tumorkonferenz erfolgten neben der Empfehlung
zur radikalchirurgischen Resektion durch Maxillektomie eine Immuntherapie und Bestrahlung
des Patienten. Als bitte streichen primäre Rekonstruktion wurde nach pathohistologischer
Sicherung des R0-Resektionsstatus und ausschließlich zum Separieren anatomischer Einheiten
und zur Wahrung der perioralen, oralen und oropharyngealen Kompetenz die intraorale
mikrochirurgische Weichgeweberekonstruktion mittels eines mikrovaskulär anastomosierten
M. latissimus dorsi-Transplantates ([Abb. 13c]) durchgeführt. [Abb. 13d] verdeutlicht die postablativ vorliegende Angle Klasse III mit vollwertig vorhandenem
Unterkieferrestzahnbestand. Ohne eine massive Knochentransplantation wäre hier eine
Zahnimplantat-getragene prothetische Versorgung nicht möglich. Dies bedeutete für
den Patienten jedoch neben der stationären Behandlung incl. Intensivstation mögliche
Sekundärmorbiditäten an den Knochenentnahmestellen von Beckenkamm, Scapula oder Fibula
sowie ein Gesamtrehabilitationsprogramm von ca. einem Jahr. Stattdessen erfolgte früh
sekundär das Einbringen eines IPS-Implants Preprosthetic im Rahmen eines ambulanten
Eingriffes mit erster provisorischer prothetischer Versorgung und voller primärer
Funktionsstabilität und damit uneingeschränkter biomechanischen Belastungsmölichkeit.
Insbesondere die intraoperative Ansicht ([Abb. 13d]) verdeutlicht die komplexe Verankerung im knöchernen zentralen und lateralen Mittelgesicht
sowie das einteilige Implantat mit den weit protrudiert stehenden Pfosten. [Abb. 13f] zeigt den klinischen Situs mit der auf dem transoral eingesetzten Implantat gelagerten
definitiven prothetischen Versorgung mit einer abnehmbaren Steg-getragenen gaumenfreien
coverdenture ([Abb. 14]).
Abb. 13 Pat. Mit multilokulärem Melanom des Oberkiefers a+b sowie nach Maxillektomie und Rekonstruktion mittels eines mikrovaskulär anastomosierten
M. latissimus dorsi-Transplantates c. Verzögert primäre Rekonstruktion durch digital geplantes d patientenspezifischem Gerüstimplantat e sowie definitive Versorgung mit coverdenture f.
Abb. 14 Computertomografie a eines Pat. nach Mittelgesichtablation und adjuvanter Therappie aufgrund eines adenoidzystischen
Karzinoms. Sekundäre Rekonstruktion mittels eines patientenspezifschen Gerüstimplantates
(IPS-Implants Preprosthetic, KLS Martin Group, Tuttlingen, Deutschland). Digitale
Planung b mit Verankerung im Bereich des Jochbogens links. Der Pfeil zeigt optionale Schraubenlöcher
zur Verankerung im lateralen Mittelgesicht. Patientenspezifisches Implantat c auf einem Stereolithografiemodell. Intraorale Situation nach Implantatinsertion und
mikrovaskulär anastomosiertem Gewebetransfer d mit Teleskopgetragener Prothese e.
Im Falle später Sekundärversorgungen bei onkologischen Patienten von Oberkiefer und
Mittelgesicht müssen die Therapiefolgen von Gewebeverlust, Mundtrockenheit, Bestrahlung,
Vernarbung umso kritischer betrachtet werden. Dieses wird an einem Patienten verdeutlicht,
der postablativ mit kurativer Dosis bestrahlt worden war, ohne dass eine primäre Wiederherstellung
des abladierten Mittelgesichtes und Oberkiefers erfolgte ([Abb. 14]). Behelfsweise wurde der Patient mit einem mehrteiligen Obturator für die fehlenden
zentralen Mittelgesichtsstrukturen versorgt. Der linke Oberkieferzahnbestand befand
sich im osteonekrotischen Knochen des zentrolateralen Oberkieferalveolarfortsatzes
und knöchernen Mittelgesichtes. Das zweistufige Rekonstruktionskonzept beinhaltete
die Separierung anatomischer Einheiten, und zwar der extraoralen Weichgewebe und der
intraoralen Weichgewebe, wobei insbesondere die Lippenkompetenz erhalten bleiben und
die orale und oropharyngeale Kompetenz wiederhergestellt werden sollte; beim bestehenden
vollständigen Weichgaumenverlust war allerdings eine restitutio ad integrum für den
velopharyngealen Bereich nicht vollständig möglich.
Durch ein zervikal links anastomosiertes, mikrovaskuläres Latissimustransplantat wurden
das von Nekrosen befreite und knöchern angefrischte linke Mittelgesicht abgedeckt
und der zentrale Oberkiefer- und Mittelgesichtsdefekt obliteriert; durch ein ipsilateral
präaurikulär anastomosiertes, mikrovaskuläres Radialistransplantat wurde die vorrekonstruierte
horizontale Einheit – mit Trennung der Mund- zur Nasenhaupt- und -nebenhöhlenregion
– von der vertikalen Einheit – bestehend aus Oberlippe und Wange – separiert. Zwischen
den so entstandenen Separierungsgrenzen waren die späteren Pfeilerdruchtritte des
IPS-Implants Preprosthetic vorgesehen. Nach einer Einheilzeit von mindestens drei
Monaten konnte das einteilige Gerüstimplantat funktionsstabil eingesetzt und provisorisch
mit einem Zahnersatz versehen werden. Die definitive prothetische Versorgung erfolgte
auf Teleskopen durch eine modulare coverdenture.
Die Schwierigkeit einer implantat-getragenen dentalen Rehabilitation des Oberkiefers
definiert sich nicht allein durch den Restknochen des Oberkiefers oder die Qualität
des Knochens, sondern vielmehr durch das klinisch basierte Bewerten der Intaktheit
und adäquater Separierung anatomischer Einheiten des knöchernen Oberkiefers incl.
der ummantelnden und angrenzenden Weichgewebestrukturen in Relation zu den individuellen
funktionellen und anatomischen Unterkiefer-Gegebenheiten. Nur aus dieser Gesamtwertung
heraus kann eine qualifizierte Therapieentscheidung für den individuellen Patienten
entstehen. Grundsätzlich gilt, dass je biomechanisch stärker und skelettal in Richtung
einer Angle Klasse III weisender ein Unterkiefer ist, desto mechanisch stabiler muss
auch das Gesamtkonzept für den betroffenen Oberkiefer und das angrenzende Mittelgesicht
ausfallen. Hier zeigt sich der Vorteil primär funktionsstabil verankerter Patienten-spezifischer
Gerüstimplantate für die dentale Rehabilitation bei Patienten mit extremer Oberkieferatrophie
oder Zuständen nach Oberkieferablation, da diese – bei zwar höherem Planungsaufwand
für den Behandler – für den Patienten die modernste und schnellste Form der mechanisch
sofort belastbaren dentalen Rehabilitation darstellen, die auch von den Tumorpatienten
als sehr positiv im Hinblick auf ihre Lebensqualität bewertet wird.
Die modernen Möglichkeiten interaktiver Bildanalyse anhand von standardisiert und
optimiert erstellten und im DICOM-Format exportierten, aus diagnostischen Gründen
erstellten Volumendatensätzen haben das große Potential, alle rekonstruktiven Maßnahmen
des Mittelgesichtes unabhängig von der Indikation in allen Behandlungsphasen zu unterstützen
[20]. Aufgabe der behandelnden Disziplinen ist es, um diese Versorgungsmöglichkeiten
zu wissen, um deren Vorteile indikationsabhängig dann dem individuellen Patienten
zugutekommen zu lassen. Hierdurch lassen sich in den Indikationsbereichen der Onkologie,
Traumatologie, der angeborenen Fehlbildungen und der starken Atrophien signifikanten
Verbesserungen der Lebensqualität der Patienten erzielen [21].