Antikoagulation
Eine orale Antikoagulation (OAK) ist meist indiziert zur Prophylaxe thromboembolischer
Ereignisse bei Vorhofflimmern, zur Prävention und Behandlung tiefer Beinvenenthrombosen
und Lungenarterienembolien sowie nach Herzklappenersatz. Eine Operation oder interventionelle
Prozedur ist jährlich bei 10–20% aller Patienten unter OAK erforderlich [1]
[2]. Die OAK wird entweder mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) oder mit nicht Vitamin-Kabhängigen
oralen Antikoagulanzien (NOAK) durchgeführt. In Deutschland wird als VKA meist Phenprocoumon
verwendet, seltener Warfarin. Es gibt 4 zugelassene NOAK,
-
zum einen den direkten Thrombin-(Gerinnungsfaktor-IIa-)Inhibitor Dabigatran,
-
zum anderen die direkten Gerinnungsfaktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban, Apixaban und
Edoxaban.
Thromboembolisches Risiko
In der Vergangenheit wurde eine Antikoagulationstherapie in der Regel parenteral mit
unfraktioniertem Heparin (UFH) oder niedermolekularem Heparin (NMH) überbrückt (engl.
Bridging), solange Patienten für die periinterventionelle Phase keine OAK erhielten.
Ziel war es, thromboembolische Ereignisse zu verhindern.
In den letzten Jahren ergaben sich durch einige Studien Zweifel an der Sicherheit
und Effizienz dieser Bridging-Strategie. Beispielsweise erhielten in der randomisiert
geplanten BRIDGE-Studie Patienten unter OAK bei Vorhofflimmern mit einem moderaten
Risiko für thromboembolische Ereignisse vor einer chirurgischen Intervention randomisiert
entweder NMH oder Placebo. Die Rate thromboembolischer Ereignisse war in beiden Randomisierungsarmen
gleich niedrig, unter Bridging mit Heparin kam es jedoch im Vergleich zu Placebo zu
einer mehr als doppelt so hohen Rate relevanter Blutungsereignisse [3]. Diese Daten weisen darauf hin, dass die Antikoagulation, im Gegensatz zu einer
Bridging-Therapie, bei niedrigem bis intermediärem Risiko für thromboembolische Ereignisse
pausiert werden sollte.
Blutungsrisiko
In den letzten Jahren wurde in verschiedenen Studien untersucht, ob bestimmte operative
Prozeduren mit einem niedrigen Blutungsrisiko möglich sind, ohne die Antikoagulation
mit VKA zu unterbrechen. Die Untersuchungen bezogen sich auf Schrittmacherimplantationen,
Zahnextraktionen und Kataraktoperationen. Im Ergebnis ist es nicht nur so, dass solche
Prozeduren mit niedrigem Blutungsrisiko ohne Unterbrechung der OAK durchgeführt werden
können, sondern dass das Risiko für Blutungen im Operationsgebiet dabei sogar vermindert
werden kann [4]
[5]
[6]. Dieses zunächst paradox erscheinende geringere Blutungsrisiko unter Fortführung
der Antikoagulanzien erklärt sich durch die postinterventionell fehlende überlappende
Gerinnungshemmung mit Heparin während der Wiederaufnahme der VKA. Daneben wird ein
großer Teil der Patienten mit NOAK antikoaguliert, bei denen eine Überbrückung der
pausierten Therapie mittels parenteraler Antikoagulation nicht sinnvoll ist [1].
Tab. 1 Zu erwartendes Blutungsrisiko bei interventionellen und operativen Eingriffen ausgewählter
Fachrichtungen ohne Berücksichtigung der antithrombotischen Therapie und der individuellen
Patientenfaktoren.
|
Fachrichtung
|
geringes Blutungsrisiko
|
intermediäres Blutungsrisiko
|
hohes Blutungsrisiko
|
|
Herzchirurgie
|
–
|
Minithorakotomie, transapikaler Aortenklappenersatz, Bypassoperation, Klappenoperationen
|
Reinterventionen, Endokarditis, Aortendissektion
|
|
Allgemeinchirurgie
|
Hernioplastie, Cholezystektomie, Appendektomie und Kolektomie, Magenresektion, Darmresektion,
Brustchirurgie
|
Hämorrhoidektomie, Splenektomie, Gastrektomie, bariatrische Chirurgie, Rektalresektion,
Thyroidektomie
|
Leberresektion, Duodenopankreatektomie
|
|
Gefäßchirurgie
|
Endarteriektomie Karotiden, Bypass oder Endarteriektomie der unteren Extremitäten,
endovaskuläre Angioplastie, Extremitätenamputationen
|
offene Bauchaortenchirurgie
|
offene Thorax- oder kombinierte Thorax- und Bauchchirurgie
|
|
Orthopädie
|
Handchirurgie, Schulter- und Kniearthroskopie, kleine Spinalchirurgie
|
Schulterprothese, große Spinalchirurgie, Knieoperationen, Fußchirurgie
|
große Prothesenchirurgie von Knie und Hüften, große Traumatologie von Becken und großen
Knochen, proximale Femurfrakturen
|
|
Urologie
|
flexible Zystoskopie, Ureteroskopie, Ureterkatheterisierung
|
Prostatabiopsie, Orchiektomie, Zirkumzision
|
partielle und totale Nephrektomie, perkutane Nephrostomie, perkutane Lithotripsie,
Zystektomie und radikale Prostatektomie, transurethrale Resektion der Blase oder Prostata,
Penektomie, partielle Orchiektomie
|
|
Thoraxchirurgie
|
Keilresektion, diagnostische Videothorakoskopie, Brustwandresektion
|
Lobektomie, Pneumoektomie, Mediastinoskopie, Sternotomie, Exzision mediastinaler Massen
|
Ösophagektomie, Pleurapneumektomie, Lungendekortikation
|
|
Gastroenterologie
|
Ösophago-, Gastro- und Duodenoskopie (ÖGD) ohne und mit Biopsie, Endosonografie ohne
Biopsie, Polypektomie < 1 cm, endoskopische retrograde Cholangiopankreatografie (ERCP)
mit ggf. Stenteinlage, Papillendilation ohne Sphinkterotomie
|
endoskopische Feinnadelaspirationsbiopsie solider Läsionen, Dilatation von ösophagealen
und kolorektalen Stenosen, gastroenterische Stents, Argonplasma-Koagulationsbehandlung,
Polypektomie > 1 cm, perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG), Bandligatur oder
Sklerosierung bei Varizen oder Hömorrhoiden
|
Dilatation bei Achalasie, Mukosektomie/submuköse Resektion, endosonografische Feinnadelaspirationsbiopsie
von zystischen Läsionen des Pankreas, Ampullektomie der Papilla Vateri
|
|
Gynäkologie
|
diagnostische Hysteroskopie mit endometrialer Biopsie, Polypektomie, Metroplastik,
Dilatation und Kürettage des Uterus, zervikale Konisation mit Loop-Diathermie, Marsupialisation,
Bartholin-Drüsen-Zystenresektion, laparoskopische Entfernung bzw. Laparotomie der
Adnexe bei gutartigen Erkrankungen, Laparoskopie und Laparotomie bei milder Endometriose,
hysteroskopische Tubensterilisation, diagnostische Laparoskopie oder minimale Operationen
|
Hysteroskopie, Endometriumablation, Laparoskopie und Laparotomie bei intermediärer
Endometriose, einfache abdominelle und einfache vaginale Hysterektomie bei gutartigen
Erkrankungen bzw. Prolaps, radikale Vulvektomie, Omentektomie
|
Laparotomie oder laparoskopische Hysterektomie bei großem Uterus, laparoskopische
und laparotomische Myomektomie, Laparoskopie oder Laparotomie bei komplizierter/tiefer
Endometriose, Debulking-Operation bei Ovarialkarzinom, radikale Operation bei Zervix-
und Endometriumkarzinomen, aortale Lymphadenektomie (Becken und Lenden), Beckeneviszeration
|
|
Neurochirurgie
|
Diskushernien, Laminektomie ≤ 2 Kanäle ohne Arthrodese, externe Ventrikelableitung,
intraventrikulärer Katheterwechsel zum Druckmonitoring, intraventrikuläre Reservoirintegration
|
Laminektomie > 2 Kanäle, spinale Arthrodese, ventrikuloperitonealer Shunt
|
Entfernung intraduraler Läsionen wie intrazerebraler Tumoren oder intraparenchymatöser
Blutungen
|
|
interventionelle Pneumologie
|
Bronchoskopie zur Inspektion, Bronchoaspiration, bronchoalveoläre Lavage (BAL)
|
Bronchialbiopsie, transbronchiale Nadelaspiration
|
Lungen- und transbronchiale Biopsie, starre Bronchoskopie, minimalinvasive Thorakoskopie
|
|
Ophthalmologie
|
intravitrale Injektionen, Kataraktoperationen, peribulbäre Anästhesie
|
Vitrektomie, Trabekulektomie
|
–
|
Beim Bridging einer Antikoagulation wird das periinterventionelle Blutungsrisiko im
Vergleich zum thromboembolischen Risiko oft unterschätzt. Bei niedrigem bis intermediärem
Risiko für thromboembolische Ereignisse sollte die Antikoagulation anstatt eines Bridgings
eher ganz pausiert werden. Bei Eingriffen mit einem geringen Blutungsrisiko sollte
das perioperative Fortführen der Antikoagulation erwogen werden.
Zur Entscheidung über das perioperative Management der Antikoagulation kann das Blutungsrisiko
anhand der Art des Eingriffs abgeschätzt werden ([Tab. 1]) [7]
[7].
Praktische Strategie
Bei operativen Eingriffen von Patienten unter Antikoagulation sollten folgende Aspekte
beachtet werden:
-
Besteht die Indikation zur Antikoagulation überhaupt noch?
-
Ist eine Unterbrechung der Antikoagulation erforderlich?
-
Wann soll die Antikoagulation unterbrochen werden?
-
Soll – bei Entscheidung zur Unterbrechung der Antikoagulation – ein Bridging stattfinden?
-
Wie soll das Bridging stattfinden?
-
Wann soll die Antikoagulation wieder aufgenommen werden?
Konkret wird eine Risikoeinschätzung für das periinterventionelle Management empfohlen
und entsprechend dem Eingriff und dem individuellen Risiko angepasst [1]. Wenn die Indikation zur Antikoagulation noch besteht, dann sollte geklärt werden,
ob die dringende Notwendigkeit zur Durchführung eines Eingriffs mit hohem Blutungsrisiko
gegeben ist ([Abb. 1])? Um die Entscheidung für oder gegen ein Bridging treffen zu können, muss man das
Blutungsrisiko gegen das individuelle Thromboembolierisiko abschätzen ([Abb. 2]) [1].
Vitamin-K-Antagonisten
Patienten unter Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) haben ein höheres peri-
und postprozedurales Blutungsrisiko. Dieses Risiko hängt wesentlich von der Art des
geplanten Eingriffs ab ([Tab. 1]) – ferner sind Operationen risikoreich, bei denen keine Kompression möglich ist:
-
Bei Prozeduren mit hohem Blutungsrisiko sollten VKA pausiert werden.
-
Bei Eingriffen mit geringem Blutungsrisiko kann die Antikoagulation fortgeführt werden.
Hierzu zählen u. a. Kataraktoperationen, kleine haut- oder zahnärztliche Eingriffe.
Dabei ist es sinnvoll, für die INR (Internationale Normalisierte Ratio) einen zum
Operationszeitpunkt niedrigen therapeutischen Bereich anzustreben.
Abb. 1 Algorithmus für die prozedurale Unterbrechung der Antikoagulation.
Abb. 2 Algorithmus für das Bridging der Antikoagulation; NOAK = nicht Vitamin-K-abhängige
orale Antikoagulanzien, VKA = Vitamin-K-Antagonisten.
Substanzen aus der Gruppe der VKA sind Phenprocoumon, Acenocoumarol (keine Zulassung
in Deutschland) und Warfarin. In Deutschland wird meist Phenprocoumon und seltener
Warfarin verschrieben. Der hauptsächliche Unterschied zwischen den Wirkstoffen liegt
in den Halbwertszeiten: Phenprocoumon hat mit 72–270 Stunden die längste Halbwertszeit,
Acenocoumarol mit 8–24 Stunden die kürzeste und Warfarin liegt mit 36–42 Stunden dazwischen.
Die INR kann durch eine Reihe von Interaktionen mit oft verordneten Medikamenten beeinflusst
werden:
-
Die Wirkung der VKA wird beispielsweise durch nicht steroidale Antirheumatika, Allopurinol
und Levothyroxin verstärkt.
-
Die Wirkung der VKA wird durch Rifampicin, Azathioprin, Carbamazepin und Glukokortikoide
abgeschwächt.
Zusätzlich sind Wechselwirkungen durch die Ernährung zu berücksichtigen. Die therapeutische
Breite von VKA ist gering, sodass bereits geringe Änderungen der Dosis dazu führen
können, dass der angestrebte INR-Zielkorridor nicht erreicht wird.
In der Regel können Operationen bei einer INR unter 1,5 sicher durchgeführt werden.
Eine Unterbrechung der Antikoagulation kann bei Hochrisikopatienten bewirken, dass
Thromboembolien auftreten. Als Hochrisikopatienten gelten u. a.:
-
Patienten mit Vorhofflimmern bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten
-
Patienten mit mechanischen Herzklappen oder weniger als 3 Monate zurückliegender Mitralklappenrekonstruktion
-
Patienten mit kürzlich zurückliegendem thromboembolischen Ereignis
-
Patienten mit besonderen schweren Formen einer Thrombophilie [8]
Wenn ein Bridging von VKA als sinnvoll erachtet wird, dann sollte man das NMH dem
UFH vorziehen. VKA sollten 3–5 Tage vor dem Eingriff pausiert werden mit dann täglichen
INR-Kontrollen, bis die INR unter 1,5 liegt.
Mit NMH oder UFH beginnt man, wenn die INR unter 2 ist. Bei hohem Thromboembolierisiko
wird dabei die zweimal tägliche, gewichtsadaptierte Gabe von NMH empfohlen. Eine Gerinnungskontrolle
des NMH ist nicht erforderlich, wenn man die Nierenfunktion berücksichtigt. Bei Niereninsuffizienz
ist der Einsatz des NMH im Gegensatz zum UFH eingeschränkt. NMH sollte spätestens
12 Stunden vor dem Eingriff zum letzten Mal appliziert werden. Am Operationstag sollte
man die INR kontrollieren.
NMH oder UFH sollte postoperativ frühestens nach 6–12 Stunden in der vor der Operation
verordneten Dosis wieder verabreicht werden – bei hohem postoperativen Blutungsrisiko
wird die erneute Heparintherapie auf bis zu 48–72 Stunden nach dem Eingriff verschoben,
wobei dann 6–8 Stunden nach der Operation eine Thromboseprophylaxe mit am besten subkutanem
NMH verordnet wird.
Die Medikation mit VKA sollte am ersten oder zweiten postoperativen Tag begonnen werden:
An den ersten beiden Tagen sollte die Dosis 50% über der bisherigen Erhaltungsdosis
liegen. NMH oder UFH sollte so lange gegeben werden, bis die angestrebte therapeutische
INR erreicht wird [8].
Bei Überdosierung mit VKA ist eine Therapie mit einem spezifischen Antagonisten möglich:
Vitamin K1 (Phytomenadion) ist in der Lage, die antikoagulatorische Wirkung innerhalb von 24
Stunden aufzuheben. Bei leichteren Blutungen ist eine Antagonisierung meist jedoch
nicht notwendig und es genügt, die VKA-Dosis vorübergehend zu verringern. Durch die
Antagonisierung mit Vitamin K1 wird eine effektive Antikoagulation für mehrere Tage
verhindert. Wenn man in Fällen von sehr starker oder bedrohlicher Blutung den Eintritt
der vollen Vitamin-K1-Wirkung nicht abwarten kann, gibt man Prothrombinkomplex-Konzentrat (PPSB) oder frisch
gefrorenes Plasma (FFP) und kann damit die VKA-Wirkung unmittelbar aufheben. Die Elimination
von VKA kann man zusätzlich beschleunigen, indem man Colestyramin oral verabreicht
und dadurch den enterohepatischen Kreislauf unterbricht.
Heparin
Heparin-Präparate werden entweder unfraktioniert als UFH oder fraktioniert als NMH
angewendet:
-
Heparin bindet an verschiedene Antithrombinmoleküle, vor allem Antithrombin III und
wirkt dadurch antikoagulatorisch.
-
NMH, das durch Spaltung und Fraktionierung der niedermolekularen Anteile aus konventionellem
Heparin gewonnen wird, hemmt überwiegend selektiv den Gerinnungsfaktor Xa. Als NMH
stehen in Deutschland neben der Leitsubstanz Enoxaparin noch Certoparin, Dalteparin,
Nadroparin, Reviparin und Tinzaparin zur Verfügung.
Als Nebenwirkung kann sowohl beim UFH als auch beim NMH eine heparininduzierte Thrombozytopenie
auftreten. Dieses Risiko ist mit einer Rate von weniger als 1% beim NMH geringer als
beim UFH. Für die Kontrollen gilt:
-
Im Gegensatz zum UFH ist eine Gerinnungskontrolle unter NMH in der Regel nicht erforderlich,
eine Therapiekontrolle ist jedoch durch die Bestimmung der Anti-Faktor-Xa-Aktivität
möglich.
-
Unter UFH ist eine Therapiekontrolle durch Bestimmung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit
(aPTT) erforderlich: Als Ziel gilt eine 1,5–2,5-fache Verlängerung der aPTT.
Der Vorteil des NMH liegt darin, dass es subkutan appliziert werden kann, während
eine kontrollierte therapeutische Antikoagulation mit UFH lediglich intravenös möglich
ist. Da NMH überwiegend renal eliminiert wird, ist eine Einschränkung bei Niereninsuffizienz
zu beachten. NMH wird subkutan gewichtsadaptiert in therapeutischer Dosis und zur
Thromboseprophylaxe in verringerter Dosis gegeben. Die Halbwertszeit von subkutan
verabreichtem NMH beträgt etwa 4 Stunden, sodass es vor Operationen letztmals spätestens
12 Stunden vor dem Eingriff gegeben werden sollte – bei besonders hohem operativen
Blutungsrisiko 24 Stunden vor dem Eingriff. Intravenös verabreichtes UFH hat eine
Halbwertszeit von 60 bis 90 Minuten, d. h., dass die antikoagulatorische Wirkung nach
3–4 Stunden Pause vergeht [9].
Als Antidot für UFH kann Protamin eingesetzt werden. Wegen der relativ kurzen Wirkdauer
von UFH ist dies jedoch selten erforderlich. Das Antidot Andexanet alfa wurde zur
Anwendung bei Patienten, die mit Faktor-Xa-Inhibitoren behandelt werden, entwickelt
– diese Substanz wurde jedoch nicht für den Einsatz als Antidot gegen NMH zugelassen.
Eine Zulassung für NMH besteht nicht; eine Wirkung des Antidot ist jedoch wegen des
Wirkmechanismus zu erwarten. Die Zulassung besteht nur für die Substanzen Apixaban
und Rivaroxaban.
Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien
Nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) werden als Alternative zu
den VKA zur therapeutischen Antikoagulation für die Indikationen nicht valvuläres
Vorhofflimmern und venöse Thromboembolie eingesetzt. Von den 4 verschiedenen NOAKs
ist Dabigatran ein direkter Thrombin-Inhibitor, und Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban
sind Faktor-Xa-Inhibitoren. Wegen der im Vergleich zu VKA relativ kurzen Eliminationshalbwertszeiten
von je nach Substanz etwa 9–17 Stunden ist in der Regel kein Bridging mit NMH oder
UFH erforderlich: Man spricht von einem gut definierten „On“- und „Off“-Effekt der
NOAK.
Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion ist Folgendes zu beachten:
-
Dabigatran wird mit einem Anteil von 80% überwiegend renal eliminiert.
-
Bei Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban überwiegt eine nicht renale Ausscheidung (der
Anteil der renalen Ausscheidung dieser Substanzen liegt zwischen 27 und 50%).
Dabigatran ist dementsprechend bei einer GFR < 30 ml/min nicht zugelassen. Rivaroxaban,
Apixaban und Edoxaban dürfen prinzipiell bei eingeschränkter Nierenfunktion bis zu
einer GFR von 15 ml/min verordnet werden. In den relevanten Studien zu allen 4 NOAKs
wurden jedoch nur Patienten mit einer GFR ≥ 30 ml/min eingeschlossen (Ausnahme: Apixaban
≥ 25 ml/min oder Kreatinin < 2,5 mg/dl), sodass die Datenlage nur aussagekräftig ist,
solange die Einschränkung der Nierenfunktion moderat bleibt [10].
Bei Patienten mit Lebererkrankungen gilt es bei der OAK abzuwägen: Patienten mit Lebererkrankungen
haben sowohl ein erhöhtes Risiko für thromboembolische Ereignisse als auch ein erhöhtes
Blutungsrisiko. Es besteht die falsche Annahme, dass bei fortgeschrittener Leberinsuffizienz
automatisch durch ein gewisses Maß an Antikoagulation ein Schutz vor Thromboembolien
besteht. Dazu ist der teilweise nicht unerhebliche hepatische Metabolismus der NOAK
bei Patienten mit Lebererkrankungen zu beachten: Die hepatische Ausscheidung von Dabigatran
ist unter den NOAK mit einem Anteil von 20% am geringsten. In den Zulassungsstudien
aller 4 NOAK zeigte sich kein Unterschied in Bezug auf hepatische Nebenwirkungen zwischen
NOAK und VKA: Die Inzidenz hepatischer Nebenwirkungen war bei den in den Studien zugelassenen
Patientengruppen insgesamt sehr niedrig, wobei Patienten mit relevanter Leberinsuffizienz
in den Studien ausgeschlossen wurden.
Abb. 3 Schema zur Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien (NOAK)
bei Lebererkrankungen unter Berücksichtigung des Child-Pugh-Scores zur Stadieneinteilung
der Leberzirrhose; ALT = Alaninaminotransferase, AST = Aspartataminotransferase.
Bei Patienten mit Lebererkrankungen gilt: Im Child-Pugh-Stadium A dürfen alle NOAK
verordnet werden, im Child-Pugh-Stadium B dürfen Dabigatran und Apixaban verordnet
werden, wohingegen im Child-Pugh-Stadium C keines der NOAK zugelassen ist – VKA sind
unter INR-Kontrollen prinzipiell in allen Child-Pugh-Stadien zugelassen ([Abb. 3]) [11].
Präoperativ sollte genau festgelegt werden, wann das NOAK zum letzten Mal vor dem
Eingriff einzunehmen ist – dabei spielen die Nierenfunktion und das operative Blutungsrisiko
eine Rolle ([Abb. 4]) [8]
[10].
Die NOAK-Therapie wird nach Eingriffen mit sofortiger und kompletter Blutstillung
nach 6–12 Stunden wieder aufgenommen. Hier ist der im Vergleich zu den VKA bereits
genannte rasche Wirkungseintritt nach Einnahme zu beachten. Bei Prozeduren mit hohem
Blutungsrisiko wird eine Wiederaufnahme der NOAK-Therapie erst nach bis zu 48–72 Stunden
empfohlen, wobei dann ab 6 Stunden nach einer Operation eine Thromboseprophylaxe,
z.B. mit subkutan verabreichtem NMH in verringerter Dosierung, gegeben wird: Hier
entscheidet die postoperative Blutungsneigung, wann die therapeutische Antikoagulation
wieder aufgenommen wird [10].
Eine Antikoagulation mit NOAK sollte wegen des im Vergleich zu VKA raschen Wirkungsein-
und ‑austritts nicht überbrückt werden.
Nur selten besteht eine Indikation zur spezifischen Antagonisierung der Gerinnungshemmung
mit NOAK: Meist genügen allgemeine Maßnahmen der Hämostase und das Abwarten des Wirkungsaustritts.
Für den Fall, dass die antikoagulatorische Wirkung rasch aufgehoben werden muss, wie
bei Notfalloperationen und bei lebensbedrohlichen oder nicht beherrschbaren Blutungen,
wurde für den direkten Thrombininhibitor Dabigatran ein spezifisches Antidot entwickelt:
Idarucizumab hebt die antikoagulatorische Wirkung von Dabigatran rasch und sicher
auf [12].
Abb. 4 Schema zur letzten Einnahme von nicht Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien
(NOAK) vor einemelektiven operativen Eingriff in Abhängigkeit vom Blutungsrisiko und
der Nierenfunktion, gemessen an der glomerulären Filtrationsrate (GFR).
Zur Anwendung bei Patienten, die mit Faktor-Xa-Inhibitoren behandelt werden, wurde
das Antidot Andexanet alfa entwickelt: Es bindet direkte Faktor-Xa-Inhibitoren mit
der gleichen Affinität wie der natürliche Gerinnungsfaktor Xa; dadurch wird die gerinnungshemmende
Wirkung der Faktor-Xa-Inhibitoren aufgehoben. Für Apixaban und Rivaroxaban besteht
eine Zulassung; für NMH und Edoxabsan besteht keine Zulassung. Jedoch ist zu beachten,
dass es bei 10% der mit dem Antidot behandelten Patienten zu einem thromboembolischen
Ereignis kam [13].
Bei lebensbedrohlichen Blutungen unter Therapie mit Edoxaban, die mit Maßnahmen wie
z. B. Transfusion oder Hämostase nicht beherrscht werden können, wird die Gabe eines
Prothrombinkomplex-Konzentrates (PPSB) in einer Dosierung von 50 IE/kg empfohlen.
PPSB kann die Wirkungen von Edoxaban 30 Minuten nach Ende der Infusion aufheben.
Bridging in besonderen Situationen
Vorhofflimmern
Das Thromboembolierisiko bei nicht valvulärem Vorhofflimmern wird mit dem CHA2DS2-VASc-Score abgeschätzt. Der CHA2DS2-VASc-Score beinhaltet die in [Tab. 2] Faktoren und Punkte. Es kann eine maximale Punktzahl von 9 erreicht werden – mit
zunehmender Zahl steigt die Rate thromboembolischer Ereignisse: Bei ≥ 4 Punkten spricht
man von einem hohen Risiko.
Somit sollte bei operativen Eingriffen mit einem hohen Blutungsrisiko bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten ein Bridging erwogen werden [8]. Außerdem besteht ein hohes Thromboembolierisiko innerhalb von 3 Monaten nach einem
Schlaganfall bzw. transitorisch ischämischer Attacke und bei valvulärem Vorhofflimmern.
Letzteres ist definiert als Vorhofflimmern bei mittelschwerer oder schwerer Mitralklappenstenose
bzw. bei mechanischen Herzklappenprothesen. Bei valvulärem Vorhofflimmern besteht
unabhängig vom CHA2DS2-VASc-Score ein besonders hohes Risiko für Thromboembolien [1].
Tab. 2 Parameter des CHA2DS2-VASc-Scores.
|
Buchstabe
|
Parameter
|
Punkte
|
|
C
|
Herzinsuffizienz („congestive heart failure“)
|
1
|
|
H
|
Hypertonie
|
1
|
|
A
|
Alter > 74 Jahre
|
2
|
|
D
|
Diabetes mellitus
|
1
|
|
S
|
Schlaganfall
|
2
|
|
V
|
vaskuläre Erkrankung im Sinne einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, eines
vorangegangenen Herzinfarkts oder komplexer Aortenplaques
|
1
|
|
A
|
Alter 65–74 Jahre
|
1
|
|
Sc
|
weibliches Geschlecht („sex category“)
|
1
|
Ein Vorhofflimmern bei einem CHA2DS2-VASc-Score von ≥ 4 Punkten oder ein valvuläres Vorhofflimmern gehen mit einem erhöhten
Risiko für Thromboembolien einher. Unter valvulär versteht man ein Vorhofflimmern
bei mittelschwerer oder schwerer Mitralklappenstenose bzw. bei mechanischen Herzklappenprothesen.
Antikoagulation mit VKA bei Vorhofflimmern
Eine 78-jährige Patientin wird wegen einer symptomatischen Bradykardie stationär aufgenommen.
Bei symptomatischen Pausen bis 6 Sekunden in der Monitorüberwachung wird die Indikation
zur Schrittmacherimplantation gestellt. Es besteht eine orale Antikoagulation mit
Phenprocoumon bei langjährig bekanntem permanentem Vorhofflimmern. Ein Schrittmacher
kann komplikationslos unter Fortführung der Antikoagulation mit einer im niedrigen
therapeutischen Korridor eingestellten INR von 2,0 bis 2,5 implantiert werden.
Venöse Thromboembolien
In den ersten 3 Monaten nach einer tiefen Beinvenenthrombose und/oder Lungenarterienembolie
gilt: Es besteht ein hohes perioperatives Thromboembolierisiko. Daher sollten elektive
Eingriffe nach Möglichkeit bis 3 Monate nach der Thrombose/Embolie verschoben werden.
Wenn ein dringlicher operativer Eingriff in diesen ersten 3 Monaten erforderlich wird,
dann ist unter Antikoagulation mit VKA ein Bridging indiziert. Sollte ein dringender
operativer Eingriff mit hohem Blutungsrisiko gar innerhalb eines Monats nach einer
venösen Thromboembolie erforderlich werden, dann sollte bei vorhandener Expertise
zumindest die präoperative Implantation eines Vena-cava-Filters erwogen werden [9].
Außerdem besteht ein hohes Thromboembolierisiko bei Patienten mit nachgewiesener schwerer
Thrombophilie, hierzu gehören u. a.: der Protein-C-, der Protein-S- oder der Antithrombinmangel
und das Antiphospholipidsyndrom [1].
In den ersten 3 Monaten nach einer tiefen Beinvenenthrombose und/oder Lungenarterienembolie
sollten elektive Eingriffe vermieden werden.
Antikoagulation mit NOAK bei venöser Thromboembolie
Eine 63-jährige Patientin stellt sich in der Allgemeinchirurgie vor zur elektiven
laparoskopischen Cholezystektomie bei seit Jahren bestehender symptomatischer Cholezystolithiasis.
Es besteht – seit einem Rezidiv einer tiefen Beinvenenthrombose vor 2 Monaten – eine
dauerhafte Antikoagulation mit Rivaroxaban.
Es wird die Entscheidung getroffen, den Eingriff um 1 Monat zu verschieben, um ein
Zeitintervall von mindestens 3 Monaten nach der Beinvenenthrombose einzuhalten. Bei
normaler Nierenfunktion mit einer glomerulären Filtrationsrate von > 80 ml/min wird
vereinbart, Rivaroxaban letztmalig 24 Stunden vor dem Operationstermin einzunehmen.
Mechanische Herzklappenprothesen
Bei mechanischen Herzklappenprothesen sind lediglich VKA zur OAK zugelassen. Das Management
zur Antikoagulation während nicht kardialer Eingriffe sollte bei diesen Patienten
präoperativ geplant werden. Auch hier gilt, die Antikoagulation während kleinerer
Operationen, bei denen eine Blutung leicht zu kontrollieren ist, nicht zu unterbrechen.
Wurde die Entscheidung zugunsten eines Bridgings getroffen, sollte die INR – nach
Pausieren der VKA – für größere chirurgische Maßnahmen < 1,5 betragen; eine Überbrückung
mit Heparin wird empfohlen.
UFH ist die einzige zugelassene Heparintherapie für Patienten mit mechanischen Prothesen,
die intravenöse Gabe wird bevorzugt. Die Verwendung von subkutanem NMH ist eine „Off-Label“-Alternative
zum UFH für das Bridging: Wird NMH eingesetzt, dann sollte es zweimal täglich in an
das Körpergewicht angepasster therapeutischer Dosierung verabreicht werden – wenn
möglich, unter laborchemischer Kontrolle der Anti-Xa-Aktivität mit einem Ziel-Wert
von 0,5–1,0 U/ml [14].
Thrombozytenaggregationshemmung
Innerhalb von 5 Jahren nach koronarer Stentimplantation findet bei bis zu einem Viertel
dieser Patienten ein nicht kardialer operativer Eingriff statt [8]. Bei Patienten mit geplanter Operation unter dualer Plättchenhemmung ist
-
das Risiko einer Stentthrombose,
-
die Konsequenzen einer Verzögerung des Eingriffs und
-
das erhöhte perioperative Blutungsrisiko
zu berücksichtigen. Wegen der Komplexität ist eine interdisziplinäre Diskussion ratsam,
um das thrombotische Risiko und das Blutungsrisiko gegeneinander abzuwägen [15].
Das perioperative Risiko für kardiale Ereignisse kann in 3 Gruppen unterteilt werden
([Tab. 3]) [8]:
Plättchenhemmung
Medikamente
Eine duale Plättchenhemmung ist in der Regel zeitweise nach einer Stentimplantation
zur Prävention einer Stentthrombose erforderlich. Dabei wird Azetylsalizylsäure in
Kombination mit einem der folgenden P2Y12-Rezeptorantagonisten gegeben: Clopidogrel,
Ticagrelor oder Prasugrel. Clopidogrel und Prasugrel wirken genauso wie Azetylsalizylsäure
irreversibel für die gesamte Lebensdauer der Thrombozyten von etwa 5 bis 12 Tagen.
Erst neu gebildete Thrombozyten sind voll funktionsfähig. Demgegenüber wirkt Ticagrelor
reversibel, d. h. die Thrombozyten werden mit dem fallenden Medikamentenspiegel wieder
funktionsfähig. Ticagrelor wird zweimal täglich eingenommen.
Tab. 3 Einschätzung des Risikos eines kardialen Todes oder Myokardinfarkts innerhalb von
30 Tagen: geringes Risiko < 1%, intermediäres Risiko 1–5% und hohes Risiko ≥ 5%.
|
Risikogruppe
|
Eingriffe
|
|
gering
|
oberflächliche Chirurgie, Brust, Zahn, Schilddrüse, Auge, asymptomatische Karotiden
mittels Stenting oder Endarteriektomie, kleine gynäkologische Eingriffe, kleine orthopädische
Eingriffe wie Meniskusoperation, kleine urologische Eingriffe
|
|
intermediär
|
intraperitoneal wie Splenektomie, Hiatushernien und Cholezystektomien, symptomatische
Karotiden mittels Stenting oder Endarteriektomie, periphere arterielle Angioplastie,
endovaskuläre Angioplastie bei Aneurysmen, Kopf- und Halschirurgie, große neurologische
und orthopädische Operationen wie Spinal- und Hüftchirurgie, große urologische Operationen,
Nierentransplantation, kleine intrathorakale Eingriffe
|
|
hoch
|
Chirurgie der Aorta und großen Gefäße, offene Operation der unteren Extremitäten zur
Revaskularisierung, Amputation oder Thromboembolektomie, Chirurgie an Duodenum und
Pankreas, Leberresektion und Gallengangsoperation, Ösophagektomie, Chirurgie bei Darmperforation,
vollständige Zystektomie, Pneumektomie, Lungen- und Lebertransplantation
|
Unterbrechung der Medikation
Wird die Entscheidung getroffen, die duale Plättchenhemmung zu unterbrechen, dann
sollte die folgende Mindestdauer vom Absetzen der Medikation mit dem P2Y12-Rezeptorantagonisten
bis zum operativen Eingriff eingehalten werden:
-
Ticagrelor mindestens 3 Tage
-
Clopidogrel mindestens 5 Tage
-
Prasugrel mindestens 7 Tage
Die duale Plättchenhemmung sollte postoperativ, so früh wie von operativer Seite her
möglich, für die anfangs festgelegte Dauer fortgeführt werden: In der Regel kann die
duale Plättchenhemmung 1–4 Tage nach dem operativen Eingriff wieder aufgenommen werden
[15].
Wird die duale Plättchenhemmung ausgesetzt, sollten nach dem Pausieren der P2Y12-Rezeptorantagonisten
bei Ticagrelor mindestens 3 Tage, bei Clopidogrel mindestens 5 Tage und bei Prasugrel
mindestens 7 Tage bis zum Eingriff vergehen.
Generelle Strategie
Ist eine duale Plättchenhemmung indiziert, sollte der entsprechende Fall vor einem
geplanten operativen Eingriff nach Möglichkeit interdisziplinär besprochen werden,
um das Risiko des Patienten einschätzen zu können [15]. Bei den meisten operativen Eingriffen wird das Fortführen der Medikation mit Azetylsalizylsäure
empfohlen, weil der Nutzen die negativen Effekte in der Regel überwiegt, insbesondere
wenn die Entscheidung getroffen wird, die duale Plättchenhemmung vorzeitig zu unterbrechen
– Ausnahmen sind z.B. Operationen im Spinalbereich oder neurochirurgische Eingriffe.
Generell sollten operative Eingriffe innerhalb des ersten Monats nach koronarer Stentimplantation
vermieden werden [8].
Bei Patienten mit Indikation für Azetylsalizylsäure wird das Fortführen dieser Medikation
meist unabhängig von der Strategie empfohlen: Ausnahmen sind z. B. Operationen im
Spinalbereich oder neurochirurgische Eingriffe.
Sollte ein dringender operativer Eingriff geplant werden, für den eine notwendige
duale Plättchenhemmung unterbrochen werden muss, sollte dieser mindestens auf 1 Monat
nach koronarer Stentimplantation verschoben werden – dies gilt sowohl nach Einsetzen
von unbeschichteten Stents (BMS) als auch beschichteten Stents (DES). Bei Patienten
nach einem Myokardinfarkt oder mit hohem ischämischen Risiko sollten operative Eingriffe
wenn möglich auf bis zu 6 Monate nach dem Ereignis bzw. nach Stentimplantation verschoben
werden. Faktoren, die ein hohes ischämisches Risiko anzeigen, sind:
-
eine vorherige Stentthrombose
-
ein Stent in dem einzig offen verbliebenen Koronargefäß
-
eine diffuse Mehrgefäßerkrankung insbesondere bei Diabetes mellitus
-
chronische Niereninsuffizienz
-
mindestens 3 implantierte Stents oder behandelte Läsionen
-
Bifurkation mit 2 implantierten Stents
-
totale Stentlänge > 60 mm
-
Rekanalisierung eines zuvor chronisch verschlossenen Koronargefäßes [15]
Elektive operative Eingriffe sollten innerhalb von 1 Monat nach koronarer Stentimplantation
generell vermieden werden. Bei akutem Koronarsyndrom oder hohem ischämischen Risiko
sollten elektive Eingriffe nach Möglichkeit bis zu 6 Monate nach dem Ereignis bzw.
der Stentimplantation verschoben werden.
In den seltenen Fällen, in denen ein operativer Eingriff innerhalb der Zeit von weniger
als 1 Monat nach koronarer Stentimplantation durchgeführt und beide Thrombozytenaggregationshemmer
pausiert werden müssen, gilt: Eine Bridging-Strategie mit kurz wirksamen Thrombozytenaggregationshemmern
(Cangrelor, Tirofiban oder Eptifibatid) kann erwogen werden [15]. Cangrelor ist ein intravenös zu verabreichender reversibler P2Y12-Rezeptorantagonist
(die zuvor genannten P2Y12-Rezeptorantagonisten Clopidogrel, Ticagrelor und Prasugrel
werden oral verabreicht): Die Wirkung setzt innerhalb von Minuten ein und muss durch
eine kontinuierliche Infusion aufrechterhalten werden. Wegen der im Vergleich zu den
übrigen P2Y12-Rezeptorantagonisten sehr kurzen Halbwertszeit von wenigen Minuten ist
die vollständige Thrombozytenfunktion innerhalb von einer Stunde nach Beendigung der
Infusion wiederhergestellt. Demgegenüber stehen Tirofiban und Eptifibatid als Inhibitoren
des Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptors, welche die Thrombozytenfunktion besonders effektiv
hemmen. Tirofiban und Eptifibatid werden intravenös verabreicht. Die Wirkung setzt
ebenfalls rasch ein – die Halbwertszeit beider Substanzen beträgt etwa 2 bzw. 2,5
Stunden. In einem solch besonderen Fall, in dem diese Bridging-Strategie erwogen wird,
wird empfohlen: Der Eingriff sollte in einem Zentrum durchgeführt werden, in dem eine
durchgehende Herzkatheterbereitschaft bei Auftreten einer Stentthrombose besteht [8].
Duale Plättchenhemmung nach koronarer Stentimplantation
Ein 57-jähriger Patient mit ausgeprägtem kardiovaskulären Risikoprofil wird wegen
thorakaler Beschwerden stationär in die Kardiologie eingewiesen. Ein akuter Myokardinfarkt
kann ausgeschlossen werden. Weil die nicht invasive Bildgebung eine belastungsabhängige
Ischämie der Hinterwand zeigt, wird eine Koronarangiografie durchgeführt. In dieser
wird eine hochgradige Stenose der rechten Koronararterie diagnostiziert und ein beschichteter
Stent (DES) implantiert. Eine duale Plättchenhemmung mit Azetylsalizylsäure und Clopidogrel
wird für 6 Monate empfohlen.
Im weiteren Aufenthalt werden in der Thoraxröntgenaufnahme und in der anschließenden
Computertomografie der Zufallsbefund einer Raumforderung gestellt, die suspekt auf
ein Bronchialkarzinom ist. Es wird die Entscheidung getroffen, den Patienten zunächst
zu entlassen und nach 1 Monat wieder einzubestellen zur dann dringlichen diagnostischen
Bronchoskopie mit ggf. transbronchialer Biopsie; hierzu wird Clopidogrel 1 Monat nach
Stentimplantation für 5 Tage abgesetzt und die Medikation mit Azetylsalizylsäure während
des endoskopischen Eingriffs unverändert fortgeführt.
-
Eine orale Antikoagulation sollte nicht für Eingriffe mit geringem Blutungsrisiko
unterbrochen werden.
-
Ein Bridging der oralen Antikoagulation sollte in der Regel Patienten unter Vitamin-K-Antagonisten
(VKA) und einem hohen Risiko für thromboembolische Ereignisse vorbehalten bleiben.
-
Entsprechend sollte während der perioperativen Pause der Antikoagulation kein Bridging
stattfinden, wenn ein geringes oder intermediäres Thromboembolierisiko vorliegt.
-
Generell sollten nicht Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOAK) nicht gebridgt
werden.
-
In den ersten 3 Monaten nach stattgehabter venöser Thromboembolie sollten elektive
Eingriffe vermieden werden.
-
Eine duale Plättchenhemmung sollte im ersten Monat nach elektiver koronarer Stentimplantation
nach Möglichkeit generell nicht unterbrochen werden.
-
Nach akutem Koronarsyndrom sollten elektive Eingriffe nach Möglichkeit erst nach 6
Monaten stattfinden.
Zitierweise für diesen Artikel
Phlebologie 2022; 51: 37–50. DOI: 10.1055/a-1679-0677
Dieser Beitrag ist eine aktualisierte Version des Artikels: Altiok E, Almalla M. Bridging
unter Antikoagulation und Thrombozytenaggregationshemmung. Kardiologie up2date 2020;16:
243 – 256.