Aktuelle Rheumatologie 2022; 47(02): 117-127
DOI: 10.1055/a-1715-5027
Übersichtsarbeit

Das Pädiatrische Inflammatorische Multisystem Syndrom (PIMS) in der COVID-19 Pandemie

Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) in the COVID-19 Pandemic
Normi Brück
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Deutschland
,
Catharina Schütz
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Deutschland
,
Tilmann Kallinich
2   Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Berlin, Deutschland
3   Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin, ein Institut der Leibniz-Gemeinschaft, Berlin, Deutschland
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Nach einer meist mild verlaufenden SARS-CoV-2-Infektion kommt es bei einem kleinen Teil der Kinder nach einem Zeitraum von ca. 6–8 Wochen zu einer ausgeprägten multisystemischen Hyperinflammation (Pediatriac multisystemic inflammatory syndrome (PIMS)). Klinisch präsentieren sich diese Patienten mit Zeichen eines Kawasaki-Syndroms bzw. eines toxischen Schocksyndroms. Gerade die kardiale Manifestation mit einer deutlichen Einschränkung der Herzfunktion erfordert in vielen Fällen eine intensivmedizinische Behandlung.

Die Pathophysiologie ist trotz des beeindruckenden Erkenntnisgewinns der letzten 1 ½ Jahre noch unklar. Möglicherweise spielen Superantigene eine wesentliche Rolle, die T-Zellen an einer bestimmten β-Kette des T-Zellrezeptors polyklonal stimulieren.

Neben den z.T. intensivmedizinischen supportiven Maßnahmen werden zur Kontrolle der Inflammation intravenöse Immunglobuline, Steroide und Biologika eingesetzt.


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Abstract

Following a SARS-CoV-2 infection, usually mild, a small proportion of children develop multisystemic hyperinflammation (paediatric inflammatory multisystem syndrome (PIMS)) within approximately 6–8 weeks. Clinically, these patients present with signs of Kawasaki syndrome or toxic shock syndrome. The cardiac manifestation, in particular, with a marked limitation of cardiac function, requires intensive medical treatment in many individuals.

The pathophysiology is still unclear although tremendous knowledge has been gained over the past one and a half years. A key role may be played by superantigens which, by binding to a specific β-chain of T-cell receptors, lead to polyclonal stimulation of T cells.

In addition to intensive care management, intravenous immunoglobulins, steroids, and biologics are used to control inflammation.


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Einleitung

Seit Ende 2019 hält die COVID-19 Pandemie und ihre Spätfolgen Mediziner und Nicht-Mediziner in Atem. Kinder- und Jugendärzte haben zusätzlich mit einem Post-COVID Syndrom besonderer Art zu tun, welches im April 2020 durch Intensivmediziner einer Londoner Kinderklinik als hyperinflammatorischer Schock erstbeschrieben wurde [1]. In derselben Lancet-Ausgabe wurde berichtet, dass in Bergamo Kawasaki-ähnliche Erkrankungen um den Faktor 30 häufiger aufträten als vor der initialen COVID-19 Welle [2]. In der Folge wurden nach der Erstbeschreibung binnen weniger Monate um die 1000 weitere Fälle des pädiatrischen inflammatorischen multisystemischen Syndroms (PIMS) veröffentlicht. Die Inzidenz in Deutschland wird auf 1 : 4000 SARS-CoV-2 infizierte Kinder geschätzt [3]. Das hyperinflammatorische Syndrom nach COVID-19 Infektion wird weltweit beobachtet und in Europa als PIMS oder PIMS-TS (PIMS Temporally Associated with SARS-CoV-2), alternativ z. B. in Nordamerika als MIS-C (Multisystem Inflammatory Syndrome in Children) bezeichnet.


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Klinik und Diagnostik bei Verdacht auf PIMS

Kinder oder Jugendliche mit PIMS haben klinische Zeichen und Symptome, welche der Manifestation des Kawasaki-Schock-Syndroms bzw. einem toxischen Schock-Syndrom ähneln. Wenige Wochen nach einer meist asymptomatischen SARS-CoV-2 Infektion, stellen sich die Kinder mit hohem Fieber über mehrere Tage, Gliederschmerzen, polymorphen Hauterscheinungen, Lacklippen, Konjunktivitis, peripheren Ödemen und häufig mit ausgeprägten gastrointestinalen Symptomen (Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfälle), bis hin zur Pseudoappendizitis, vor. Die Hyperinflammation kann zu einer Polyserositis (Pleuro- bzw. Perikardergüsse, Aszites) führen und unbehandelt in einem Multiorganversagens münden [4]. Gelegentlich haben die Patienten neurologische Symptome (Cephalgien, Meningismus); auch Zeichen einer Nierenbeteiligung mit Proteinurie wurden beobachtet. Potentiell gefährlich und Grund zur Aufnahme auf eine pädiatrische Intensivstation ist die kardiale Beteiligung mit warmem Schock, welche häufiger bei älteren Kindern (über 13 Lebensjahre) auftritt und nur schlecht auf Volumengaben anspricht und häufig eine Katecholamingabe erforderlich macht [5]. Auch Koronarveränderungen, wie etwa eine Wandverdickung, eine Aufweitung bzw. die Ausbildung von bleibenden Aneurysmata, als Ausdruck der systemischen Vaskulitis (analog dem Kawasaki-Syndrom) können bei bis zu 14% der Patienten auftreten [6]. Eine pulmonale Beteiligung ist weniger häufig, was PIMS von der akuten COVID-19 Infektion unterscheidet. Die Mehrheit der Patienten übersteht das PIMS ohne bleibende gesundheitliche Folgen; die Mortalität beträgt je nach Gesundheitssystem zwischen 0 und 2% [7]. PIMS-Patienten haben in der Regel einen negativen PCR Test auf SARS-CoV-2. Umgekehrt haben die meisten Kinder einen messbaren Antikörpertiter gegen das Coronavirus oder hatten direkten Kontakt zu Erkrankten. Bei 15–30% der Kinder, welche die klinischen und laborparametrischen PIMS-Kriterien erfüllen (s. weiter unten), können allerdings keine spezifischen Antikörper gegen das S- bzw. N-Protein von SARS-CoV-2 nachgewiesen werden [7]. Bei zwei der gebräuchlichen Falldefinitionen für PIMS fließt der positive Antikörpertiter bzw. der nachgewiesene Kontakt mit COVID-19 Erkrankten als Kriterium ein: es sind die Definitionen des Center of Disease Control (CDC) bzw. der World Health Organisation (WHO). Die allermeisten (>95%) der in der Literatur aufgeführten PIMS-Fälle lassen sich anhand der Falldefinition nach WHO-Kriterien diagnostizieren; die CDC-Kriterien würden teilweise schwer verlaufene PIMS-Fälle nicht als solche klassifizieren (geringe Sensitivität) [7]. Die Einschlusskriterien für die angelsächsische Klassifikation des Royal College of Paediatrics and Child Health (RCPCH) hingegen sind weniger streng gefasst als die erstgenannten [8] [9] [10]([Tab. 1]). Im Falle sich die Angaben nicht auf spezielle Studien beziehen wird in diesem Artikel der Einfachheit halber die Bezeichnung PIMS verwandt.

Tab. 1 Falldefinitionen des MIS, MIS-C und PIMS.

WHO Falldefinition

CDC Falldefinition

Royal College of Paediatrics and Child Health Falldefinition

Multisystem Inflammatory Syndrome (8)

Multisystem Inflammatory Syndrome in Children (MIS-C) (9)

Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome Temporally associated with COVID-19 (PIMS-TS) (10)

Alle 6 Kriterien müssen erfüllt sein:

Alle 4 Kriterien müssen erfüllt sein:

1. Alter 0 bis 19 Jahre

1. Alter<21 Jahre

2. Fieber ≥ 3 Tage

2. Klinik vereinbar mit MIS-C, folgende Kriterien müssen erfüllt sein:

Kind mit persistierendem Fieber

dokumentiertes Fieber>38.0°C (100.4+°F) ≥ 24 Stunden oder subjektiv empfundenes Fieber über ≥ 24 Stunden

3. Klinische Zeichen einer multisystemischen Beteiligung (mindestens zwei der folgenden):

schwere Erkrankung, die mindestens 2 der folgenden Organmanifestationen umfasst und eine stationäre Aufnahme nach sich zieht:

Zeichen einer Dysfunktion eines oder mehrerer Organe

Hautausschlag, bilaterale nicht-purulente Konjunktivitis oder mukokutane Entzündungsszeichen (Mund, Hände, Füße)

Dermatologische Symptome (z. B. Erythrodermie, Mukositis, Hautausschlag)

arterielle Hypotension oder Schock

Kardiovaskuläre Symptome (z. B. Schock, erhöhtes Troponin und BNP, auffällige Echokardiographie, Arrhythmien)

Schock, Kardiale, respiratorische, renale, gastrointestinale oder neurologische Symptome, sowie weitere Zeichen (dies umfasst auch Kinder, die Kriterien für ein Kawasaki-Syndrom partiell oder voll erfüllen)

myokardiale Dysfunktion, Perikarditis, Klappenentzündung oder koronare Auffälligkeiten (auffällige Echokardiographie oder erhöhtes Troponin bzw. BNP)

Respiratorische Symptome (z. B. Pneumonie, ARDS, pulmonale Embolien)

Anzeichen einer Koagulopathie (verlängerte PT or PTT; erhöhte D-Dimere)

Renale Syptome (z. B. AKI, Nierenversagen) Neurologische Symptome (z. B. Krämpfe, Schlaganfälle, aseptische Meningitis)

Akute gastrointestinale Symptome (Diarrhoe, Erbrechen oder Bauchschmerzen)

Hämatologische Symptome (z. B. Koagulopathie)

4. erhöhte Entzündungmarker (z. B. BSG, CRP oder Procalcitonin)

Gastrointestinale Symptome (z. B. Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhoen, erhöhte Leberenzyme, Ileus, gastrointestinale Blutung)

Entzündungsmarker (Neutrophilie, erhöhtes CRP and Lymphopenie)

5. Keine Anzeichen für eine infektiologische Genese (z. B. bakterielle Sepsis und toxisches Schock Syndrom)

und mind. einer der folgenden Entzündungsmarker (erhöhtes CRP, BSG, Fibrinogen, Procalcitonin, D-Dimere, Ferritin, LDH, IL-6, Neutrophiclie, Lymphozytopenie, Hypalbuminämie)

Ausschluss andere infektiologischer Ursachen (z. B. bakterielle Sepsis, toxisches Schock Syndrom, mit Myokarditis assoziierte Infektionen (weitere Konsiliare sollen rechtzeitig und ggf. vor Erhalt aller Untersuchungsergebnisse hinzugezogen werden!)

3. Ausschluss einer anderen Diagnose

6. Hinweise auf SARS-CoV-2-Infektion eines der folgenden Kriterien:

4. Akute oder zurückliegende SARS-CoV-2-Infektion oder Exposition und eines der folgenden Kriterien:

SARS-CoV-2 PCR kann positiv oder negativ sein

Positive SARS-CoV-2 RT-PCR

positive SARS-CoV-2 RT-PCR

Positive Serologie

Positive Serologie

Positiver Antigentest

Positiver Antigentest

Kontakt mit SARS-CoV-2-infizierter Person

COVID-19 Eposition innerhalb der letzten 4 Wochen vor Manifestation

CDC: Centers for Disease Control and Prevention; WHO: World Health Organization; MIS-C: multisystem inflammatory syndrome in children; CRP: C-reaktives Protein; BSG: Blutsenkungsgeschwindigkeit; LDH: Laktatdehydrogenase; IL-6: Interleukin 6; BNP: brain natriuretic peptide; ARDS: acute respiratory distress syndrome; AKI: acute kidney injury; SARS-CoV-2: severe acute respiratory syndrome coronavirus 2; RT-PCR: real-time polymerase chain reaction; COVID-19: coronavirus disease 2019; PT: prothrombin time; PTT: partial prothrombin time.

Zahlreiche Publikationen aus den vergangenen zwei Jahren zum Thema PIMS zeigen, dass die Altersverteilung betroffener Kinder und Jugendlicher weltweit vergleichbar ist (Altersgipfel 8–11 Jahre) und Jungen etwas häufiger als Mädchen betroffen sind. Übergewicht (BMI>25 kg/m 2) ist ein Risikofaktor und findet sich bei ca. 25% der PIMS-Patienten [7] [11]. Kaukasier und Asiaten erkranken seltener an PIMS als Latinos und Schwarze [7] [12]. PIMS wird auch selten bei jungen Erwachsenen beschrieben, und dann als MIS-A bezeichnet (A=adults). Der Altersmedian betrug bei 51 Patienten 29.4 Jahre, die Symptome ähnelten denen bei PIMS außer, dass mit über 80% die kardiovaskulären Symptome deutlich häufiger auftraten [13]. Die Häufigkeit verschiedener Symptome von PIMS ist in [Abb. 1] zusammengestellt.

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Abb. 1 Häufigkeit von Symptomen [7] [12] [14] [15], KS=Kawasaki Syndrom.

Eine Metaanalyse, welche Laborparameter zwischen Patienten mit Kawasaki Syndrom (KS, n=2053) mit PIMS-Patienten (n=969) vergleicht, zeigt bei letzteren signifikant niedrigere Leukozyten- und Lymphozytenzahlen sowie häufiger eine Thrombozytopenie als beim KS [16]. Zudem finden sich bei PIMS höhere Werte für Ferritin, D-Dimere und Kreatininkinase. In derselben Übersichtsarbeit unterschieden sich PIMS und KS Patienten interessanterweise nicht bei kardialen Markern wie Troponin, nt-proBNP sowie ASAT.

Eine weitere Metaanalyse kommt zum Schluss, dass Patienten mit schwerem PIMS/MIS-C höhere Werte für pro-BNP im Vergleich zu Patienten mit milder COVID-19 Erkrankung und Patienten mit leichtem PIMS/MIS-C aufwiesen; für Troponin und ASAT ergaben sich hingegen keine Unterschiede zwischen diesen Patientengruppen. Interessanterweise waren die proBNP- und Troponinwerte bei Patienten mit PIMS/MIS-C mit und ohne Beteiligung der Koronararterien nicht signifikant verschieden [17].

Typischerweise findet man bei PIMS etwas niedrigere Werte für Albumin, ALAT; Kreatininwerte sind hingegen meist höher als beim KS. Inflammationsmarker wie Blutsenkung und Procalcitonin verhalten sich bei beiden Erkrankungen ähnlich, jedoch tendieren PIMS-Patienten zu höheren CRP und IL-6 Werten [7] [16].

Zusammenfassend fallen Patienten mit PIMS anders als mit KS laborparametrisch insbesondere durch die Lympho- und Thrombozytopenie, hohes Ferritin und D-Dimere auf. Der alleinige Blick auf die Veränderung von Troponin- und nt-proBNP Werten hilft bei der Entscheidung, ob ein PIMS vorliegt selten weiter. Die Autoren der zweiten Metaanalyse postulieren, dass die Schwere der Inflammation nicht immer mit der Myokardbeteiligung korreliert. Hier sind der Kinderkardiologe, das EKG und die Echokardiographie im Verlauf zur Einschätzung unabdingbar.


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Pathogenese des PIMS

Rolle einer Infektion mit SARS-CoV-2

Die rein epidemiologische Beobachtung, dass PIMS-Erkrankungen ca. 3–6 Wochen nach regionalen Inzidenzgipfeln einer SARS-CoV-2-Infektion auftreten, weist auf einen zeitlichen Zusammenhang hin [18] [19] [20] [21] [22]. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (ca. 85%) lassen sich Antikörper gegen das S- und N-Protein von SARS-CoV-2 bzw. virale RNA im oberen Respirationstrakt nachweisen, in allen Fällen lässt sich eine Expositionsquelle eruieren [23]. Somit bestehen keine Zweifel, dass eine SARS-CoV-2-Infektion eine Grundvoraussetzung für die hyperinflammatorische Reaktion darstellt.

Der zeitliche Zusammenhang der akuten Infektion mit der versetzt auftretenden multisystemischen Entzündung scheint aber bisher der einzige gesicherte pathophysiologische Mechanismus zu sein. Auch wenn großangelegte Studien, die „-omics“-Technologien einsetzen, in kürzester Zeit viele Detailkenntnisse zu immunologischen Veränderungen beschreiben konnten, bleiben die ursächlichen molekularen Mechanismen weitgehend unklar. Da das PIMS eine seltene Folgeerscheinung einer SARS-CoV-2-Infektion darstellt sind prädisponierende seltene wirtsspezifische Eigenschaften denkbar. Die klinischen Ähnlichkeiten zu einem Kawasaki-Syndrom lassen vermuten, dass hier gleichartige pathophysiologische Alterationen vorliegen, wobei vergleichende Analysen bisher keinen klaren Zusammenhang herstellen konnten [24]. Im Folgenden soll der aktuelle Wissenstand über die immunologischen Veränderungen, die in der akuten Phase eines PIMS beobachtet wurden, beschrieben werden.


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Rolle genetischer Varianten in der Pathogenese des PIMS

Aus Untersuchungen bei erwachsenen Patienten ist bekannt, dass schwere Verlaufsformen einer COVID-19-Erkrankung mit angeborenen Störungen der Immunität (inborn error of immunity (IEI)), welche die Regulation der Typ I Interferone betreffen, einhergehen können. Hierbei wurden insbesondere Varianten beschrieben, welche die Signalwege des Toll-like Receptor 3 (TLR3) und des Interferon Regulatory Factor 7 (IRF7) regulieren [25].

In einer Arbeit wurden 18 Kinder mit einem PIMS auf mögliche zugrundeliegende IEIs hin untersucht. Hierbei zeigten sich bei je einem Kind genetische Alterationen im Suppressor Of Cytokine Signaling 1 (SOCS1), im X-linked Inhibitor of Apoptosis Protein (XIAP) bzw. in der Cytochrome B-245 Beta Chain (CYBB) [26]. Diese Befunde zeigen, dass auch bei Patienten mit PIMS eine detaillierte Eigen- und Familienanamnese erforderlich sind. Zudem kann diskutiert werden, ob Untersuchungen auf mögliche genetische Varianten bei Patienten mit PIMS sinnvoll sind.


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Lösliche Mediatoren während eines akuten PIMS

Das PIMS wird häufig als Hyperinflammationssyndrom bezeichnet, welches sich im Allgemeinen durch hohe Spiegel unterschiedlicher Zytokine im Serum der Betroffenen auszeichnet. Zahlreiche Arbeiten belegten in breiten Ansätzen, dass u. a. die Zytokine IL-1β, IL-6, IL-8, IL-10, IL-17, IL-18, Interferon-γ und TNF-α deutlich erhöht sind. Möglicherweise ist die Erhöhung des TNF-α und des IL-10 im Vergleich zur akuten COVID-Infektion ein spezifisches Phänomen [27] [28] [29] [30] [31] [32]. Insbesondere in der klinischen Routine eingesetzte Entzündungsmarker wie CRP, Procalcitonin, Troponin und Ferritin sowie das pro-BNP sind in der überwiegenden Zahl der Fälle sehr stark erhöht [33].

In einer weiteren Arbeit wurden im Rahmen eines Proteomic-Ansatzes 244 Proteine identifiziert, die während einer schwer verlaufenden PIMS-Erkrankung erhöht sind. Signalweg-Analysen zeigten, dass diese insbesondere mit einer starken Antikörper-vermittelten Inflammation und einer Endotheldysfunktion assoziiert sind [34].

Zusammenfassend weisen diese Mediator-Analysen auf die starke hyperinflammatorische Reaktion hin ohne dass hierdurch ein pathophysiologischer Mechanismus klar beschrieben werden kann.


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SARS-CoV-2-spezifische Abwehr und mögliche gastrointestinale Viruspersistenz

Bei Patienten mit einem PIMS lassen sich i.d.R. keine Viruspartikel (mehr) im Nasen-Rachen-Raum nachweisen. Die erfolgreiche antivirale Abwehr lässt sich durch den Nachweis neutralisierender SARS-CoV-2-spezifischer Antikörper gegen das S-Protein abbilden, vergleichbar mit den Befunden bei genesenen Patienten nach klinisch eindeutiger COVID-19-Erkrankung. Unterschiede zeigen sich allerdings in der Höhe der einzelnen SARS-CoV-2-spezifischen Immunglobulinklassen [35] [36] [37].

Eine Arbeit wies bei Kindern mit einem PIMS eine persistierende gastrointestinale Viruspartikelausscheidung sowie eine anhaltende SARS-CoV-2-Antigenämie nach. Zudem war Zonulin, ein Protein, das die Permeabilität der Darmschleimhaut reguliert, im Serum nachweisbar. Die Autoren schlossen daraus, dass möglicherweise das Phänomen des „leaky gut“ dazu führt, dass Viruspartikel aus dem Gastrointestinaltrakt in die Blutbahn gelangen und dort die Entzündungsreaktion unterhalten [36].

Diese Beobachtung einer möglichen (intestinalen) Antigen-Persistenz als Ursache einer anhaltenden Immunreaktion stellt eine interessante Hypothese dar, die allerdings durch weitere Analysen bestätigt werden muss.


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Rolle einer aktiven viralen oder bakteriellen Infektion

Eine weitere pathophysiologische Hypothese ist, dass das Zusammentreffen einer aktiven SARS-CoV-2 Infektion mit einer neu erworbenen oder reaktivierten viralen oder bakteriellen Infektion in einer Hyperinflammation mündet. Im Gegensatz zu Analysen bei einer akuten COVID-Infektion weist die Einzel-Zellsequenzierung von Monozyten und Neutrophilen im akuten Stadium eines PIMS keine Genexpressionsmuster auf, die auf eine akute Infektion hinweisen [38]. Zudem erbrachten diese Analysen keinen direkten Nachweis einer CMV- oder EBV-(Re-)Aktivierung [38].

Somit liegen zum jetzigen Zeitpunkt keine Hinweise vor, dass andere Ko-Infektionen oder Virus-Reaktivierungen das Krankheitsbild des PIMS auslösen.


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Veränderungen einzelner Immunzell-Populationen

Monozyten von Patienten mit einer aktiven PIMS-Erkrankung weisen eine deutliche Produktion von S100-Molekülen auf. Gleichzeitig werden Moleküle, die wesentliche Signale an die T-Zellen vermitteln (HLA-Klasse II-Moleküle, CD86) deutlich weniger exprimiert [27] [38]. Dies weist darauf hin, das sowohl im Bereich der natürlichen wie auch der adaptiven Immunität eine erhebliche Immundysregulation vorliegt. Eine andere Arbeit wies bei akut an PIMS erkrankten Kindern eine deutliche Reduktion der zirkulierenden konventionellen und plasmazytoiden dendritischen Zellen nach. In dieser Untersuchung war sowohl in Monozyten als auch in dendritischen Zellen Faktoren, eine vermehrte Aktivierung des Nuclear factor-κB (NF-κB) und des Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) nachweisbar [27]. Dies war insbesondere bei Kindern mit schwerer Myokarditis stark ausgeprägt. In dieser Patientenpopulation war zudem die antivirale Typ 1 und 2-Interferonantwort durch die Monozyten deutlich reduziert.

Arbeiten mit umfangreichen Transkriptom-Analysen zeigen, dass die zytotoxischen NK-Zellen und CD8+-Zellen während der hyperinflammatorischen Phase erniedrigt sind. Die CD8+-Zellen zeigen hierbei einen „erschöpften“ („exhausted“) Phänotypen, den man auch von chronischen Entzündungsprozessen kennt [39]. Diese Beobachtung könnte für die Pathologie der Erkrankung entscheidend sein, da diese beiden Zellpopulation sich direkt und indirekt regulieren [31] [40].

Darüber hinaus reichern sich im peripheren Blut kurzlebige Plasmablasten an. Außerdem produzieren B-Zellen vermehrt Antikörper vom IgM-Typ und zeigen ein Muster, das auf eine kürzlich zurückliegende Expansion hinweist [34] [38]. Zudem lassen sich vermehrt CD4+-T Zellen nachweisen, die dem Subtyp einer peripheren T-Helferzelle entsprechen. Diese besitzen ein hohes Potential B-Zellen zur Proliferation und Antikörper-Produktion anzuregen [38]. Daher wird diskutiert, ob die Pathologie des PIMS insbesondere durch die Expansion autoreaktiver Antikörper-produzierender Zellen getriggert wird.

Diese Analysen demonstrieren die schwerwiegenden pathophysiologischen Veränderungen zahlreicher Immunzellen. Ihre exakte Rolle bei der Entstehung und Unterhaltung des PIMS sowie mannigfaltigen Interaktionen müssen in weiteren Studien allerdings noch detailliert und funktionell analysiert werden.


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Rolle von Auto-Antikörper

Mehrere Studien haben gegen unterschiedliche Organe gerichtete Autoantikörper nachgewiesen. So wurden in einer kalifornischen Studie neben IgG-Autoantikörpern gegen ubiquitär vorkommende Antigene auch Antikörper gegen Gewebs-spezifische Proteine des Gastrointestinaltrakts, des kardiovaskulären Systems, der Skelettmuskulatur sowie des Gehirns identifiziert. Zudem beschreibt diese Studie Autoantikörper vom IgA-Typ, die Darmstrukturen (-epithel) bzw. Muskulatur erkennen [34]. Eine weitere Studie zeigte, dass bei Kindern während der hyperinflammatorischen Phase eines PIMS, Antikörper vom IgG-Typ vorliegen, die zur Aktivierung von Monozyten führen [35]. Darüber hinaus wurden in einer Untersuchung 189 Kandidaten-Antikörper vom IgG-Typ und 108 vom IgA-Typ bei Patienten mit einem PIMS identifiziert [31]. Zum Teil wurden diese Antikörper bereits mit einem systemischen Lupus erythematodes, einem Sjögren Syndrom oder einem Antisynthetase-Syndrom in Verbindung gebracht.

Da eine SARS-CoV-2-Infektion bekanntermaßen die Ausbildung von Autoantikörpern induziert, liegt die Annahme nahe, dass solche auch für die Pathophysiologie des PIMS verantwortlich sein könnten. Jedoch gelang es bisher nicht, eine eindeutige antigene Zielstruktur zu identifizieren, welche die PIMS-charakterisierende Symptomatik erklärt.


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Expansion einzelner T-Zellklone

Superantigene binden an spezifische β-Ketten der T-Zellrezeptoren unabhängig von der variablen Region (complementary-determining region 3 (CDR3)). Gleichzeitig binden diese Proteine an MHC-Klasse II-Komplexe, die von antigen-präsentierenden Zellen exprimiert werden. Dies führt dazu, dass Monozyten/Makrophagen und T-Zellen Antigen-unabhängig aktiviert werden und expandieren [41]. So löst das Staphylokokken-Enterotoxin B (SEB) beim Toxic-Shock-Syndrom (TSS) einen Zytokin-Sturm, verbunden mit einer massiven T-Zell-Proliferation aus. In Blutproben akut erkrankter Patienten mit einem TSS lässt sich so ein verschobenes Repertoire der Vβ-Ketten der T-Zellrezeptoren mit Expansion der stimulierten Zellen nachweisen.

Im Herbst vergangenen Jahres wurden erste in silico Daten publiziert, die zeigen, dass das SARS-CoV-2 Spike (S)-Glykoprotein ein hochaffines Motiv zur Bindung von TCRs aufweist und einen Komplex mit MHCII bilden kann [42]. Das Bindungsepitop des S-Proteins beherbergt eine bei anderen SARS-verwandten Coronaviren nicht vorkommende Sequenz und weist Ähnlichkeiten mit dem bakteriellen SEB auf. Bereits diese Arbeit konnte zeigen, dass bestimmte T cell Receptor Beta Variable (TRBV)-Gene (TRBV5–6, −14, −13, −24–1) bei schweren Verlaufsformen eines COVID-Syndroms bei erwachsenen Patienten überrepräsentiert sind.

Diese Beobachtungen sowie die klinische Überschneidung mit dem TSS zogen mehrere Studien nach sich, welche das T-Zellrezeptor-Repertoire bei PIMS-Patienten analysierten: So beobachteten Porritt et al. bei 2/3 aller PIMS-Patienten eine signifikante Expansion des Genes TRBV11–2 in bis zu 24% aller T-Zellen, welches für die Kette Vβ 23.1 kodiert [43]. Moreews et al. konnte mit dem Nachweis einer Expansion dieser Vβ23.1+T-Zellen in 75% der PIMS-Fälle diesen Befund bestätigen [44]. In dieser Arbeit war die Expansion dieser T-Zellpopulation mit einer vermehrten Produktion der Zytokine IL-18 und IL-1RA assoziiert. Diese T-Zellen exprimieren zudem den Chemokinrezeptor CX3CL1, was die Beteiligung an der Gefäßentzündung unterstreicht [45]. Zudem expandierte diese Zellpopulation polyklonal, d. h. unterschiedliche Vβ23.1-tragende T-Zellen wurden zur Proliferation angeregt. Interessanterweise spielten hierbei Proteine des SARS-CoV-2-Virus keine Rolle.

Die Expansion einzelner T-Zell-Populationen legt die Rolle eines Superantigens in der Pathogenese des PIMS nahe. Da zum Zeitpunkt der Hyperinflammation die akute SARS-CoV-2-Virämie bereits Wochen zurückliegt, ist es unwahrscheinlich, dass Virusproteine per se diese Funktion übernehmen. Alternativ wäre denkbar, dass Immunkomplexe als Superantigene wirken, wobei eine Studie beschreibt, dass solche im akuten Krankheitsstadium nicht messbar waren [46]. Möglicherweise spielen Nicht-Peptid-Antigene bei der Pathologie des PIMS eine Rolle, da die Expression von Vβ23.1 durch autoreaktive T-Zellen mit einer nicht-klassischen MHC-Restriktion assoziiert ist [47].

Die robust dargestellte Expansion von Vβ23.1+T-Zellen sowie die klinische Überlappung mit einem toxischen Schocksyndrom lässt stark vermuten, dass Superantigene eine Rolle bei der Genese des PIMS spielen. Es wird von größtem Interesse sein, solche in naher Zukunft potentiell zu identifizieren.


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Therapie des PIMS

Ein wesentliches Therapieziel in der Behandlung von Patienten mit PIMS ist die Kontrolle der Inflammation, die Stabilisierung und Sicherung der Vitalfunktionen, und das Vermeiden von Langzeitfolgen, wie Koronaraneurysmen oder Myokardfibrose. Mangels randomisierter Studien basieren die aktuellen Therapieempfehlungen auf Daten aus Fallserien, retrospektiven Kohortenstudien und Expertenmeinung.

PIMS-Patienten bedürfen einer interdisziplinären Betreuung durch Kollegen der Infektiologie, der pädiatrischen Rheumatologie bzw. Immunologie, der pädiatrischen Intensivmedizin und Kardiologie sowie der Hämostasiologie.

Prinzipiell sollten alle Patienten, welche die PIMS-Kriterien erfüllen, stationär aufgenommen werden und eine immun-modulatorische Therapie mit intravenösen Immunglobulinen (IVIG) und Glukokortikoiden erhalten. Dies gilt auch, wenn initial die klinischen Symptome nur mild ausgeprägt sind und der Allgemeinzustand stabil ist, da sich diese Patienten häufig im Verlauf klinisch verschlechtern. In einer großen Fallserie benötigten weit über die Hälfte der Patienten im Verlauf eine intensivmedizinische Betreuung {[20]}.

Patienten in klinisch stabilem Zustand können auf Normalstation unter Kreislaufüberwachung betreut werden. Bei hämodynamisch instabilen Kindern muss eine Aufnahme auf die pädiatrische Intensivstation erfolgen. Fallserien zeigen, dass ca. 60–80 Prozent der Patienten mit PIMS eine intensivmedizinische Betreuung benötigten [6] [20] [21] [48].


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Immun-modulatorische Therapie

Die Grundlage der immun-modulatorischen Therapie basiert auf der Gabe von intravenösen Immunglobulinen (IVIG), entweder als Monotherapie oder in Kombination mit Glukokortikoiden. In [Tab. 2] sind die immunmodulatorischen Optionen bei Patienten mit PIMS zusammengefasst. [Abbildung 2] zeigt einen Therapiealgorithmus bei Patienten mit PIMS.

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Abb. 2 Therapiealgorithmus bei PIMS (adaptiert nach [61]).

Tab. 2 Immun-modulatorische Ansätze bei Patienten mit PIMS (in Anlehnung an [61], PIMS-TS; Multisystem Inflammatory Syndrome in Children, MIS-C).

Immun-Modulation

Dosis

Dauer

Kommentar

IVIG (i. v.)

2 g/kg (max. 100 g)

Infusion über 12 h

Bei eingeschränkter Pumpfunktion/Volumenüberladung, Aufteilung der Dosis auf 2 Tage

Methylprednisolon (i. v.)

1 mg/kg/Tag alle 12 h (max. 60 mg/Tag) alternativ 20–30 mg/kg/Tag (max. 1 g/Tag)

Für 3 Tage

Initiale Kombination mit IVIG bei moderatem bis schwerem PIMS empfohlen, Überlegenheit zu Monotherapie mit IVIG in einzelnen Studien nachgewiesen

Prednisolon (p.o.)

2 mg/kg/Tag (max. 60 mg/Tag)

Tapering über 2–4 Wochen

Cave Re-Bound Phänomen bei zu raschem Absetzen der Steroidtherapie

Anakinra (s.c.)

4–6 mg/kg/Tag ggfs. Aufteilung in 2 Einzelgaben/Tag

mehrere Tage – Wochen, je nach klinischem Befund und Inflammationsmarker

Off-label use
Tapering über Tage bis Wochen, Re-Bound Phänomen bei zu rascher Reduktion
Bei sehr schwerem PIMS ggfs. i. v. Gabe in Erwägung ziehen

Tocilizumab (i. v.)

<30 kg: 12 mg/kg (max. 800 mg)
>30 kg: 8 mg/kg (max. 800 mg)

Einzelgabe

Off-label use
NW: Transaminasenanstieg, Neutropenie, Infektionen

Infliximab (i. v.)

5–10 mg/kg

Einzelgabe

Off-label use
NW: Infusionsreaktion, Zytopenie, Infektionen

IVIG intravenöse Immunglobuline.


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Intravenöse Immunglobuline

Patienten, welche die PIMS-Kriterien erfüllen, sollen als Primärtherapie mit IVIG behandelt werden. Die empfohlene Dosis beträgt 2 g/kg Körpergewicht (Maximum 100 g) als Einzelinfusion über 8–12 Stunden. Bei ausgeprägter linksventrikulärer Dysfunktion kann zur Vermeidung einer kardialen Dekompensation die Dosis auf zwei Tage aufgeteilt werden.

Zu beachten ist, dass serologische Tests auf SARS-CoV-2 und andere Pathogene vor Beginn der Therapie mit IVIG erfolgen um falsch positive Ergebnisse zu vermeiden. Zudem tragen IVIG zu einer Erhöhung der Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) bei, sodass diese als Inflammationsmarker im Weiteren ungeeignet ist.

Neben der Analogie zur Therapie des Kawasaki Syndroms beruht die Empfehlung für den Einsatz von IVIG bei Patienten mit PIMS auf Fallserien in den gezeigt werden konnte, dass die meisten Patienten eine klinische Verbesserung und Normalisierung der kardialen Funktion nach Gabe von IVIG zeigen [1] [2] [6] [20] [21] [33] [48] [49] [50] [51] [52] [53].


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Glukokortikoide

Trotz fehlender randomisierter Studien sind Glukokortikoide bei Patienten mit PIMS fester Bestandteil der Therapie bei Patienten mit moderatem bis schwerem Krankheitsverlauf. Verdoni et al. berichtete über eine hohe Rate von Non-respondern auf die alleinige Gabe von IVIG im Vergleich zu einer historischen Kawasaki-Kohorte [2] [53] [54] was den Stellenwert der Glukokortikoide in der Behandlung des PIMS unterstreicht.

Wir empfehlen daher, Patienten mit moderatem bis schwerem Krankheitsverlauf primär mit IVIG kombiniert mit Glukokortikoiden zu behandeln. Des Weiteren sollten alle Patienten mit persistierendem Fieber, Anstieg der Inflammationsmarker oder rekurrierendem Verlauf der Erkrankung trotz Gabe von IVIG, mit Kortikosteroiden behandelt werden.

Typischerweise kommt Methylprednisolon in der Dosierung von 2 mg/kg Körpergewicht (KG) in zwei Einzelgaben/Tag zum Einsatz. Bei schwerer Erkrankung oder unzureichendem Ansprechen einer niedrig-dosierten Steroidtherapie kann eine Methylprednisolonstoßtherapie (20–30 mg/kgKG/Tag max. 1 g) erforderlich sein. Nach Entfieberung und Stabilisierung kann eine Umstellung auf eine orale Therapie erfolgen, die anschließend über 2–3 Wochen schrittweise reduziert werden soll um ein Rebound-Phänomen zu vermeiden.

Studienlage zum Einsatz von Glukokortikoiden

Drei große Observationsstudien mit jeweils etwas unterschiedlichem Studiendesign sowie primären und sekundären Endpunkten zum Einsatz von IVIG versus IVIG plus Glukokortikoide konnten eine Überlegenheit der Kombinationstherapie nachweisen.

Eine französische Arbeitsgruppe publizierte im Februar 2021 ihre Daten einer retrospektiven Kohortenanalyse mit 111 Kindern mit PIMS, von denen 72 mit IVIG, 34 mit IVIG plus Methylprednisolon und 5 ohne Immunmodulation behandelt wurden. Die Kombinationstherapie IVIG plus Methylprednisolon ging mit einem niedrigeren Risiko für eine weitere Therapieeskalation, Kreislaufunterstützung, akuter linksventrikulärer Dysfunktion nach initialer Therapie und verkürzter Dauer einer ITS-Pflichtigkeit einher [51].

Eine amerikanische Studie mit 518 Patienten berichtete über 89 Patienten mit IVIG als Monotherapie, 241 Patienten erhielten IVIG plus Glukokortikoide, 107 Patienten erhielten IVIG, Glukokortikoide und Biologika; 81 Patienten wurden anderen Therapien zugeführt, darunter 43 Patienten, die exklusiv mit Glukokortikoiden therapiert wurden. Auch diese Untersuchung zeigte unter IVIG plus Glukokortikoiden eine Reduktion des Risikos einer Therapieeskalation, der Notwendigkeit einer Kreislaufunterstützung sowie einer linksventrikulären Dysfunktion [53] .

Eine internationale Studie mit 614 PIMS-Patienten verglich die Therapie mit IVIG, IVIG plus Glukokortikoide sowie die Monotherapie mit Glukokortikoiden. 246 Patienten wurden mit IVIG, 208 mit IVIG plus Glukokortikoide und 99 mit Glukokortikoiden als Monotherapie behandelt. Weitere 22 Patienten erhielten andere immunmodulierende Therapien und 39 wurden nicht immunmodulatorisch behandelt. Diese Studie konnte keine Evidenz für eine Überlegenheit einer der drei Therapieoptionen belegen [52] .

Dieser Unterschied zwischen den Ergebnissen der französischen und amerikanischen sowie der Internationalen Studie ist wahrscheinlich mit auf die Patientenselektion zurückzuführen; die Patienten der beiden erst genannten Studien zeigten eine höhere Krankheitsaktivität im Vergleich zum Patientenkollektiv der internationalen Studie.

Zudem unterschieden sich die Patientenkollektive hinsichtlich der Erfüllung der WHO – Klassifikationskriterien, auch die primären Endpunkte der Studien waren nicht einheitlich.


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Biologika

Trotz intensivierter Therapie mit IVIG und Glukokortikoiden kommt es bei einem Teil der Patienten zu refraktären Verläufen, gekennzeichnet durch fehlende Entfieberung/rekurrierendes Fieber, Anstieg der Inflammationsmarker sowie schwere Organmanifestationen. In diesen Fällen ist eine Therapie mit einem Biologikum indiziert. In publizierten Fallserien waren bei ca. 10–20% der Patienten Zytokin-blockierende Medikamente nötig [21] [55].

Interleukin-1 Blockade

Bei Patienten mit therapierefraktärem Verlauf wird zunehmend Anakinra im Off-Label use eingesetzt. Anakinra wird mit 4–6 mg/kg/Tag, gegebenenfalls aufgeteilt auf 2 Einzelgaben, subkutan verabreicht. Es zeichnet sich durch ein gutes Sicherheitsprofil bei Patienten mit Hyperinflammationssyndromen sowie Infektionen aus und ist durch die kurze Halbwertszeit gut steuerbar [56]. In kleineren Fallserien konnte ein gutes Ansprechen von Patienten mit therapierefraktärem PIMS auf Anakinra gezeigt werden [6] [50]. Anakinra ist bei Erwachsenen mit einer Sauerstoff-bedürftigen Pneumonie bzw einem Risiko für ein schweres Lungenversagen (abgeschätzt durch hohe Serumspiegel der lösliche Form des Urokinase Plasminogen-Aktivator-Rezeptors) für die Behandlung von COVID-19 zugelassen.

Der Einsatz anderer Interleukin-1 Zytokin-blockierender Substanzen wie Canakinumab (IL-1 Inhibition) wird aktuell nicht empfohlen, kann aber in Einzelfällen in Erwägung gezogen werden.


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Interleukin-6 Blockade

Das pro-inflammatorische Zytokin Interleukin-6 spielt eine zentrale Rolle in der Pathogenese der Hyperinflammation des PIMS; die Interleukin-6 Blockade stellt somit einen möglichen therapeutischen Ansatz dar. Die intravenöse Applikation von Tocilizumab stellt eine zugelassene Therapieform bei Erwachsenen Patienten mit progredient schwerer COVID-19 Erkrankung dar. Aufgrund der derzeitigen Datenlage sollte Tocilizumab allerdings erst nach fehlendem Ansprechen auf Anakinra bei Patienten mit schwerem therapierefraktärem PIMS zur Anwendung kommen.


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TNF – alpha Blockade

In Analogie zu Patienten mit therapierefraktärem Kawasaki-Syndrom wurde Infliximab bei Patienten mit schwerem PIMS, einhergehend mit fortbestehender Hyperinflammation oder myokardialer Dysfunktion, angewendet [57] [58].

So zeigte eine retrospektiven Kohortenanalyse mit 72 PIMS-Patienten, dass eine Kombinationstherapie aus IVIG und Infliximab einer IVIG-Monotherapie überlegen war, obwohl die Patienten der ersten Gruppe deutlich schwerer erkrankt waren [59].

Aufgrund des erhöhten Infektionsrisikos sowie der langen Halbwertszeit von Infliximab (ca. 8 Tage) sollte auch Infliximab bei Patienten mit PIMS erst nach fehlendem Ansprechen auf Anakinra eingesetzt werden.


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Antithrombotische Therapie

Ein hoher Anteil der Kinder mit einem PIMS erfüllt die (laborchemischen) Kriterien einer thrombotischen Mikroangiopathie [30]. In einer multizentrischen retrospektiven Kohortenanalyse konnte gezeigt werden, dass Patienten mit PIMS ein erhöhtes Risiko für ein thrombembolisches Ereignis im Vergleich zu Patienten mit COVID 19 oder asymptomatischer SARS-CoV-2 Infektion haben. In der multivariablen Analyse stellten ein Alter ≥ 12 Jahren, das Vorliegen einer malignen Erkrankung, das Vorhandensein eines zentralen Venenkatheters, sowie das Vorliegen eines PIMS Risikofaktoren für ein thrombembolisches Ereignis dar [60].

  • In Analogie zur Therapie des Kawasaki-Syndroms bzw. der Sepsis, wird folgendes Vorgehen vorgeschlagen:

    • Alle Patienten mit PIMS erhalten niedrig dosiertes Aspirin (ASS) (3–5 mg/kg/Tag, maximal 100 mg) über einen Zeitraum von 4–6 Wochen. Kontraindikationen für ASS stellen z. B. eine schwere Thrombozytopenie dar.

    • Die Entscheidung einer zusätzlichen Antikoagulation erfolgt in Abhängigkeit von individuellen Faktoren:

      • Jugendliche sowie Patienten mit schwerer Erkrankung, die auf Intensivstation betreut werden müssen, sollten eine prophylaktische Antikoagulation mit Heparin erhalten. Bei schwerer linksventrikulärer Dysfunktion, Schock oder thrombembolischem Ereignis (akut oder in der Vorgeschichte) sollte eine therapeutische Antikoagulation erfolgen.

      • Bei Patienten mit großen Koronaraneurysmen erfolgt eine Antikoagulation entsprechend der Leitlinien zur Therapie des Kawasaki Syndroms (AWMF Kawasaki Syndrom, AHA Kawasaki Disease).


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Fazit

Das PIMS ist eine neubeschriebene Entität, die insbesondere bei Kindern zeitlich assoziiert zu einer SARS-CoV-2-Infektion auftritt. Die Krankheit präsentiert sich als Hyperinflammation mit klinischen Zeichen eines Kawasaki Syndroms bzw. eines toxischen Schocksyndroms. Es bestehen Hinweis, dass Superantigene eine Rolle in der Pathogenese der Erkrankung spielen. Neben supportiven, z.T. intensivmedizinischen Maßnahmen kommen IVIG, Glukokortikoide und eine IL-1-Blockade zum Einsatz.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Tilmann Kallinich
Charité - Universitätsmedizin Berlin
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie
Immunologie und Intensivmedizin
Augustenburger Platz
113353 Berlin
Deutschland   

Publication History

Article published online:
07 April 2022

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Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Häufigkeit von Symptomen [7] [12] [14] [15], KS=Kawasaki Syndrom.
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Abb. 2 Therapiealgorithmus bei PIMS (adaptiert nach [61]).