Schlüsselwörter
Cochlea-Implantation heute - Technologie - Indikationen und Diagnostik - Chirurgie
- Anpassung und Training - Nachsorge - Ergebnisse - Hörergebnisse - Sprachentwicklung
- Erziehung - Bildung und Beruf - Weitere Ergebnisse - Komplikationen und Implantatausfälle
- Lebensqualität - Zukünftige Entwicklungen
1. Cochlea-Implantation heute
1. Cochlea-Implantation heute
Cochlea-implantate (CI) sind heute die Therapie der Wahl zur Hörrehabilitation bei
hochgradiger und an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit sowie Taubheit sensorischer
oder perisynaptischer Ursache sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen [1]
[2]. Sie ersetzen die Funktion der ausgefallenen inneren Haarzellen durch direkte elektrische
Stimulation des Hörnerven über intracochleär positionierte mehrkanalige Reizelektroden
([Abb. 1]). Durch die schnelle technologische Entwicklung vor allem auf der Seite der Mikroprozessoren
seit 1980 haben sich die Hörergebnisse signifikant verbessert, so daß es zu einer
konsekutiven Erweiterung der Indikationen kam und das CI mit mehr als einer Million
Implantierter Patienten zu Recht als Erfolgsgeschichte der Neuroprothetik gelten darf
([Abb. 2]). Waren anfangs in den 1980er Jahren nur Patienten mit bilateraler Taubheit Kandidaten
für ein Cochlea-Implantat, werden heute zunehmend Patienten mit Restgehör und residualem
Sprachverstehen implantiert ([Abb. 3]).
Abb. 1 Grundprinzip heutiger Cochlea-Implantate (mit freundlicher Genehmigung der Fa. Cochlear,
bereits erschienen in T. Lenarz, 2017).
Abb. 2 Indikationsbereiche für Hörsysteme in Abhängigkeit vom Sprachverstehen im Störgeräusch
(mit freundlicher Genehmigung des Exzellenzclusters Hearing4All).
Abb. 3 Entwicklung der Indikationen für ein CI seit 1990.
Ein CI ist immer dann indiziert, wenn ein besseres Sprachverstehen als mit alternativen
Methoden z. B. Hörgeräten, knochenverankerten Hörsystemen, akustischen Implantaten
oder hörverbessernden Operationen zu erwarten ist ([Abb. 4]). Dies setzt eine adäquate und altersgerechte mehrdimensionale Diagnostik ebenso
voraus wie eine daraus abgeleitete zuverlässige Prädiktion des zu erwartenden Hörerfolges.
Dabei sind zahlreiche Faktoren mit in die Entscheidung einzubeziehen, um sicherzustellen,
daß der Patient mit dem CI besser hört als präoperativ, das neue Hören subjektiv als
besser einstuft und die Lebensqualität sich verbessert.
Abb. 4 Indikationsbereiche für Hörsysteme in Abhängigkeit vom Sprachverstehen im Störgeräusch
(mit freundlicher Genehmigung des Exzellenzclusters Hearing4All).
Die enorme Bandbreite der Ursachen und Pathophysiologie der Schwerhörigkeit erfordert
ein angepaßtes Therapiekonzept für jeden einzelnen Patienten. Heute stehen für alle
Grade und Typen von Schwerhörigkeit Hörimplantate zur bestmöglichen Hörrehabilitation
des einzelnen Patienten zur Verfügung ([Abb. 5]). Die individualisierte Cochlea-Implantation ist ein herausragendes Beispiel für
Präzisionsmedizin, um das technisch mögliche Optimum für den hochgradig schwerhörigen
Patienten zu realisieren. Wesentliche Elemente dabei sind die anatomischen Dimensionen
der Cochlea, das Restgehör und die Funktion des Hörnerven sowie die Verarbeitung im
Bereich der Hörbahn. Diesen Faktoren muß Rechnung getragen werden durch die Auswahl
des Stimulationsverfahrens (elektrische Stimulation ES versus elektro-akustische Stimulation
EAS), des geeigneten Elektrodenträgers, einer atraumatischen OP-Technik, der darauf
abgestimmten Sprachverarbeitungsstrategie sowie eines Hörtrainings, das zusätzlich
kognitive Faktoren und Zusatzbehinderungen berücksichtigt. Rehabilitation und lebenslange
Nachsorge sind weitere Teile eines integrierten Versorgungsmodells der Cochlea-Implantation.
Abb. 5 Indikationsbereiche Auditorischer Implantate anhand der Hörschwelle für Luft- und
Knochenleitung und der Schwerhörigkeitsgrade (mit freundlicher Genehmigung der Fa.
Cochlear).
Objektive Meßverfahren stellen heute einen unverzichtbaren Baustein in allen Prozeßphasen
der CI-Versorgung dar. Dies bezieht sich sowohl auf die präoperative Diagnostik zur
Erfassung von Schweregrad und Typ der Schwerhörigkeit, die intraoperative Kontrolle
des Restgehörs und der Funktion von Hörnerv und Hörbahn, die postoperative Anpassung
als auch die Nachsorge mit Funktionskontrolle des Implantates und Erfassung von medizinischen
Komplikationen.
Moderne CI-Systeme ermöglichen die breite Nutzung von Audiotechnologie über spezielle
Übertragungsprotokolle wie Bluetooth. Diese sogenannte Connectivity ermöglicht u. a.
die vereinfachte Nutzung des Mobiltelefons. Neben der Telekommunikation können darüber
auch telemedizinische Applikationen wie die Implantatkontrolle, die Fernanpassung
oder die Übertragung technischer und audiologischer Daten realisiert werden. Für den
Patienten bedeutet diese Remote Care eine wesentliche Vereinfachung der wohnortnahen
postoperativen Rehabilitation und Nachsorge mit uneingeschränktem direktem Zugang
zur Expertise der implantierenden Klinik. Durch Einbeziehen regionaler Kooperationspartner
lassen sich so auch Versorgungsnetzwerke realisieren.
Die Implantate erlauben dem Patienten im begrenzten Rahmen auch eine Selbstkontrolle
mit Anpassung und Messung des Hörvermögens, speziell des Sprachverstehens (Patient
Empowerment). Dadurch lassen sich Feinanpassungen für bestimmte Hörsituationen vornehmen,
die zu einer weiteren Optimierung des Hörerfolges beitragen können.
Die Fernübertragung dieser Daten sowie der Funktionsparameter des Implantats erlaubt
ein fortlaufendes Monitoring, was zur automatisierten Erkennung von technischen Defekten
und medizinischen Komplikationen genutzt werden kann.
Durch das Zusammenführen der Daten zahlreicher Patienten lassen sich Datenbanken wie
z. B. CI-Register aufbauen. Durch Anwendung von Algorithmen der künstlichen Intelligenz
können so Vergleiche verschiedener Implantattypen, die Erkennung von technischen Defekten
und Fehlermustern und gestrichen, stattdessen sowie medizinischen Komplikationen vereinfacht
werden. Der Big Data-Ansatz erlaubt auch die Berechnung von Prädiktionsmodellen zur
Vorhersage des individuellen Hörerfolges.
Interdisziplinäre Teams und Expertennetzwerke bilden dafür die Grundlage. Telemedizin,
Remote Care und Self Care sind weitere Elemente einer weit fortgeschrittenen Technologie,
die beispielgebend für eine effektive Rehabilitation chronischer Krankheiten ist.
2.CI-Technologie
2.1 Das CI-System
CI-Systeme heute sind teilimplantierbar und bestehen aus einem extern getragenen Sprachprozessor
und dem eigentlichen Implantat, auch als Receiver-Stimulator bezeichnet ([Abb. 6]) [3]. Die Energieübertragung zum Betrieb des Implantates erfolgt induktiv, die Signalübertragung
durch eine bidirektionale Hochfrequenz-Übertragungsstrecke. Voll implantierbare System
sind in der weiteren Entwicklung, nachdem mit der ersten Gerätegeneration grundlegende
Erfahrungen über Vor- und Nachteile bei wenigen Pilotpatienten gesammelt werden konnten.
Den Vorteilen der Unsichtbarkeit (invisible hearing) und situationsunabhängigen Anwendbarkeit
stehen akustische Nachteile durch die retroaurikuläre Position des subkutanen Mikrophons,
die begrenzte Lebensdauer der wieder aufladbaren Batterie von wahrscheinlich maximal
10 Jahren mit konsekutiv erforderlicher Reimplantation sowie das auf Softwaretausch
begrenzte technologische Upgrade entgegen.
Abb. 6 Heutige CI-Systeme (Auswahl) mit Implantat und extern getragenem Sprachprozessor.
2.1.1 Implantat (Receiver-Stimulator)
Die Implantate sind aktive Systeme zur kontrollierten Elektrostimulation des Hörnerven.
Sie enthalten Hochleistungsmikroprozessoren, die mehrere zehntausend Pulse pro Sekunde
erzeugen können. Diese werden gemäß Sprachverarbeitungsalgorithmus auf die einzelnen
Kontakte des Elektrodenträgers nach Maßgabe des übertragenen Eingangssignales verteilt.
Die Energieversorgung erfolgt von außen induktiv. Die Übertragungsstrecke erfolgt
transkutan über 2 parallele Spulensysteme im Implantat und Sprachprozessor, die durch
integrierte Magneten zentriert in Position gehalten werden.
Die Implantate verfügen über eine Backward-Telemetrie, über die sowohl Funktionsdaten
des Implantates als auch elektrophysiologische Parameter erfaßt, verstärkt und nach
außen gesendet werden können. Diese Objective Measures stellen ein wichtiges diagnostisches
Instrument dar, das sowohl intra- als auch zu jedem beliebigen Zeitpunkt postoperativ
eingesetzt werden kann. Sie erlauben im einzelnen:
Abb. 42 Komplikationen nach CI.
-
Messung der Elektroden-Impedanzen zur Charakterisierung der Funktion des einzelnen
Elektrodenkontaktes, der Elektroden-Nerven-Schnittstelle und deren zeitliche Veränderung.
Durch Verwendung verschiedener elektrischer Stimulationsfrequenzen lassen sich Aussagen
über die Position des Elektrodenträgers in der Cochlea und mögliche Fehllagen wie
z. B. Umknicken der Elektrodenspitze, sog. Tip Foldover ([Abb. 42]) machen
-
Messung evozierter Potentiale des Innenohres und des Hörnerven
-
Cochleäre Mikrophonpotentiale (CMs) aus den äußeren und inneren Haarzellen zur Erfassung
und Überwachung des Restgehörs im Rahmen der hörerhaltenden Cochlea-Implantation (sog.
Cochlear Monitoring) intra- und postoperativ ([Abb. 28]
[29]) Dabei erfolgt die akustische Reizung mit Sinustönen verschiedener Frequenz über
einen im äußeren Gehörgang platzierten Schallgeber. Die evozierten Haarzellantworten
werden über meistens apikale Elektrodenkontakte des Elektrodenträgers abgeleitet.
Die Amplitude wächst mit zunehmender Insertionstiefe, Verminderungen zeigen eine mögliche
mechanische Interaktion mit intracochleären Strukturen, wahrscheinlich der Basilarmembran
an. Ist die Reduktion bei Lagekorrektur der Elektrode reversibel, ist von einer geringen
Beeinflussung des Restgehörs auszugehen, ansonsten muß von einer substantiellen Schädigung
ausgegangen werden [4]
[5].
-
Electrical Compound Action Potentials (ECAP) des peripheren Hörnerven bei akustischer
oder häufiger elektrischer Stimulation. Letztere stellen das am häufigsten benutzte
Verfahren zur Erfassung der durch den elektrischen Reiz ausgelösten neuralen Antworten
des Hörnerven dar, je nach Hersteller sog. Neural Response Telemetry (NRT) oder Imaging
(NRI) oder Auditory Response Telemetry (ART). Dabei werden die Antworten mit den der
Reizelektrode benachbarten Kontakten abgeleitet. Sie erlauben in begrenztem Rahmen
eine Anpassung des CI an die individuellen Eigenschaften des Hörnerven (NRT based
fitting bei Kindern), die Erfassung (von Veränderungen) der elektrischen Stimulierbarkeit
des Hörnerven sowie die Messung der elektrischen Feldausbreitung (Electrical Field
Imaging EFI) bei Stimulation einzelner Elektrodenkontakte zur Bestimmung der Kanal-Interaktion
in der Cochlea [6]. Zusätzlich sind Aussagen zum Funktionsstatus des Hörnerven möglich [7]
-
Summating Potential (SP) aus den Inneren Haarzellen zur Erfassung des Restgehörs im
Rahmen der hörerhaltenden Cochlea-Implantation und zur Bestimmung der Elektrodenposition
in der Cochlea (selten eingesetzt) [8]
-
Elektrisch ausgelöster Stapediusreflex (ESRT)
Es handelt sich um ein indirektes Maß der korrekten Stimulation des Hörnverven im
überschwelligen Bereich mit guter Korrelation zu dem sogenannten C-Level, dem Comfortable
Loudness Level. Lässt sich der Stapediusreflex auslösen, kann von einer intracochleären
Lage der Elektrode ausgegangen werden. Der Schwellenwert kann ebenso wie das Compound
Action Potential des Hörnerven für die Anpassung des Sprachprozessors unterstützend
Verwendung finden.
Objective Measures spielen auch im Rahmen der telemedizinischen CI-Versorgung eine
zunehmende Rolle, zB zur Überwachung der Implantat-Funktion einschließlich der Fehlerdetektion
sowie in der Früherkennung medizinischer Komplikationen zB. entzündlicher Prozesse
in der Cochlea, erkennbar an erhöhten Impedanzwerten.
Abb. 28 Intraoperatives Cochlear Monitoring. ECochG über das CI mit Einsteckhörer für die
akustische Reizung im äußere Gehörgang. Real-time Monitoring des Restgehörs durch
intracochleäre Ableitung der Cochlear Microphonics CM.
Abb. 29 CM Messung während der Elektrodeninsertion über die Implantatelektroden und die Systemsoftware,
Einsteckhörer zur akustischen Stimulation im äußeren Gehörgang. Anstieg der CM-Amplitude
mit Zunahme der Insertionstiefe.
2.1.2 Elektroden
Elektroden werden heute fast ausnahmslos als intracochleäre Elektrodenträger für die
Scala tympani konzipiert ([Abb. 7]). Extracochleäre Elektroden dienen als Referenzelektroden und sind entweder als
Gehäuseelektroden, als Teil des Elektrodenträgers oder als separate Elektrodenträger
ausgelegt. Die elektrischen Pulse werden über elektrische Kontakte des intracochleären
Elektrodenarrays an das umgebende Gewebe abgegeben. Die Zahl beträgt je nach Hersteller
zwischen 12 und 22 aktiven Kontakten. Je nach Design des Elektrodenträgers besteht
ein unterschiedlich großer Abstand zu den neuronalen Elementen des Hörnerven. Gerade
Elektroden sind in verschiedenen Längen von 16 bis 31 mm verfügbar und liegen der
Außenwand der Cochlea an, während vorgeformte Elektrodenträger eine perimodioläre
Lage einnehmen. Auf Grund der großen Variabilität der Cochlea-Anatomie, besonders
der Länge, ergeben sich patientenindividuelle Unterschiede in der sog. Cochlear Coverage,
also dem durch die Elektrode abgedeckten Teil der Gesamtlänge des Innenohres ([Abb. 18]), sowie des Insertionswinkels. Dies ist bei der Auswahl des Elektrodenträgers im
Hinblick auf eine individualisierte CI-Versorgung zu beachten.
Abb. 7 Auswahl gebräuchlicher CI-Elektroden unterschiedlicher Länge verschiedener Hersteller
im postoperativen DVT-Bild in Stenvers-Projektion.
Abb. 18 Einfluß der Cochlea-Länge auf die cochleäre Abdeckung, sog Cochlear Coverage, mit
voll inserierten Elektroden verschiedener Länge.
Ziel ist eine möglichst selektive Stimulation des Hörnerven über eine hohe Zahl von
Elektrodenkontakten mit ausreichender Kanaltrennung. Auf Grund der elektrischen Feldausbreitung
in der Cochlea kommt es zu einer Überlappung der elektrischen Felder im Bereich des
Hörnerven, so daß eine wesentliche Erhöhung der Anzahl elektrischer Kontakte bei der
jetzigen Form der Elektroden-Nerven-Schnittstelle nicht sinnvoll ist . Dadurch ist
ein tonales Gehör mit Präsentation einzelner Frequenzen nicht möglich, statt einzelner
Frequenzen werden Frequenzbereiche den einzelnen Elektrodenkontakten zugeordnet. Diese
Aufteilung nach Critical Bands ist jedoch für das Sprachverstehen ausreichend, wohingegen
sich für das Musikhören klare Grenzen ergeben. Eine wesentliche Verbesserung der Kanaltrennung
versprechen intraneurale Elektroden des Auditory Nerve Implants ANI (9) ([Abb. 61]).
Unklar ist weiterhin, welche Teile des Innenohres und Hörnerven durch die elektrische
Reizung angeregt werden. Bei vollständiger Ertaubung mit eingetretener Degeneration
der Dendriten kommen nur die Spiralganglienzellen im Rosenthal-Kanal und die Axone
im Modiolus in Frage, während in Bereichen mit Restgehör, also vorwiegend apikal auch
Dendriten und Haarzellen (elektrophones Hören) angeregt werden können.
2.1.3 Sprachprozessor und Sprachverarbeitung
Der extern getragene Sprachprozessor ([Abb. 8]) ist entweder als Ear Level-Prozessor oder als Button-Prozessor ausgelegt. Er besitzt
ein Mikrofonsystem zur Schallaufnahme, mehrere Komponenten der Schall-Vorverarbeitung,
einen Prozessor zur Umsetzung des Schallsignals in einen elektrischen Stimulationscode,
eine Sendevorrichtung zur transkutanen Übertragung des codierten Signals auf das Implantat,
eine Antenne zur HF-Übertragung, eine Energieversorgung in Form von Einmalbatterien
oder Akkus sowie ein System zur induktiven Energieübertragung auf das Implantat. Der
eingebaute Magnet hält die Übertragungsspule zentrisch über dem Magneten des Implantates
für eine optimale Ausrichtung der Sende- und Empfängerspule. Weitere Komponenten umfassen
eine Backward-Telemetrie zur Aufnahme aus dem Implantat zurückgesendete Informationen
zum Funktionszustand des Implantates sowie der Objective Measures (s. unter 2.1.1).
Zusätzlich verfügen die Sprachprozessoren über Einrichtungen zur Connectivity wie
Bluetooth Empfänger und Sender für das Streaming sowie drahtlose Verbindungen zu Hörsystemen
des Gegenohres.
Abb. 8 CI-System mit integrierter Konnektivität zur Verbindung mit verschiedenen Geräten
der Audio-Technologie und dem Internet. Basis für Telemedizin und Remote Care.
Die Kodierung des akustischen Eingangssignals in elektrische Erregungsmuster des Hörnerven
erfordert auch eine Anpassung des Dynamikbereiches durch Kompression des akustischen
Eingangssignals von z. B. 60 dB auf den in der Regel viel kleineren elektrischen Dynamikbereich
des individuellen Patienten von üblicherweise weniger als 15 dB. Dies erfolgt durch
Bestimmung der Stimulationslevel für angenehme Lautstärke (C-Level) sowie die Hörschwelle
(T-Level) für jeden einzelnen Elektrodenkontakt. Zusätzlich ist eine Anpassung der
Lautheits-Wachstumsfunktion, sogenannte Lautheitsskalierung, für die einzelnen Kanäle
möglich.
Das akustische Eingangssignal wird für eine optimale Sprachverarbeitung vorbereitet,
indem die für das Sprachverstehen wesentlichen Anteile hervorgehoben werden bei gleichzeitiger
Reduktion verzichtbarer Signalanteile und Störgeräuschunterdrückung. Zum Einsatz kommen
u. a. Multi-Mikrofonsysteme als Beamformer sowie verschiedene Verfahren der Störschallunterdrückung,
um ein besseres Signal- zu Rauschverhältnis zu erzielen. Das solchermaßen vorbereitete
Eingangssignal wird anschließend über eine Filterbank in unterschiedliche Frequenzbereiche
aufgetrennt und den einzelnen Elektrodenkontakten auf der Reizelektrode in tonotoper
Ordnung zugeordnet ([Abb. 9]). Dadurch wird eine optimale Nutzung der im Vergleich zum natürlichen Hören deutlich
eingeschränkten Informations-Übertragungskapazität der aktuellen Elektroden-Nerven-Schnittstelle
angestrebt.
Abb. 9 Grundprinzip der Sprachverarbeitung. Frequenzbereiche werden in tonotoper Ordnung
den einzelnen Kanälen des CI-Systems zugewiesen (mit freundlicher Genehmigung der
Fa. Advanced Bionics).
Aktuelle Sprachverarbeitungsalgorithmen verwenden dazu die n-of-m-Strategie mit Auswahl
der Frequenzbereiche mit der höchsten Amplitude für einen Stimulationszyklus.
Andere Verfahren basieren auf psychoakustischen Maskierungsverfahren, bei denen eine
Kompression der zu übertragenden Information durch Weglassen der in Folge der Maskierung
nicht wahrnehmbaren Signalanteile erzielt wird (MP3-Verfahren für Cochlea-Implantate)(10).
Die meisten Algorithmen verwenden eine sequentielle Stimulation, so dass nacheinander
die ausgewählten Elektrodenkontakte mit den vorbereiteten Stimuli beschickt werden
und durch deren sequentielle Abfolge der Stimuli eine zeitlich überlappende Stimulation
derselben Nervenpopulation mit unkontrollierbaren Lautheitseffekten vermieden wird.
Simultane Stimulationsverfahren können dann eingesetzt werden, wenn durch eine modiolusnahe
Elektrodenlage eine ausreichende Kanaltrennung für benachbarte Elektrodenkontakte
im Hinblick auf die elektrische Feldausbreitung erzielt werden kann. Sie weisen den
grundsätzlichen Vorteil einer vergrößerten Informationsübertragung gegenüber sequentiellen
Stimulationsverfahren auf, allerdings zum Preis eines deutlich erhöhten Energieverbrauches.
Durch hohe Reizfolgeraten können die Vorteile simultaner Stimulation zum Teil auch
durch sequentielle Stimulation erreicht werden. Auf Grund der Refraktärzeit werden
durch den nachfolgenden Stimulus andere neurale Elemente erregt, so daß eine zeitlich
genauere Abbildung des akustischen Eingangssignals möglich wird. Übersicht über technische
Entwicklungen bei Büchner und Gärtner [3].
Bei der Hybrid-Konfiguration für die elektroakustische Stimulation verfügt der Sprachprozessor
über eine zusätzliche akustische Komponente in Form eines konventionellen Hörgerätes
für den tief- und mittelfrequenten Hörbereich.
2.1.4 Hybridsysteme für die elektroakustische Stimulation
Bei Patienten mit ausreichendem Restgehör im Tieftonbereich kann dieses entweder durch
natürliche akustische Stimulation oder durch eine zusätzliche akustische Komponente
des Sprachprozessors genutzt werden. Als Grenzwert für eine ausreichende akustischen
Verstärkung darf eine postoperative Hörschwelle bei 500 Hz von 65 dB oder besser gelten.
Bei 250 Hz beträgt dieser Wert 50 dB. In der Regel werden dabei Stimulationsstrategien
verwendet, die eine nicht-überlappende Frequenzaufteilung zwischen akustischem und
elektrischem Stimulationsbereich verwenden. Dabei liegt der akustisch präsentierte
Anteil des Schallsignals unterhalb der Grenzfrequenz, die die Hörschwelle bei etwa
70 dB schneidet, wobei im entsprechenden Grenzbereich eine gewisse Überlappung des
elektrischen und akustischen Frequenzbereiches durch die begrenzte Flankensteilheit
der Bandpassfilter intrinsisch gegeben ist ([Abb. 3]
[21]).
Abb. 21 Hybrid-System mit CI-Anteil für die elektrische Stimulation im Hochtonbereich und
akustischer Komponente im Tieftonbereich (EAS).
Aufgrund der Laufzeit des akustischen Signales wird der elektrische Stimulus zeitverzögert
angeboten (Laufzeitkorrektur), um eine zeitlich abgestimmte Präsentation des gesamten
Eingangssignales zu erzielen.
2.1.5 Diagnostische Komponenten
Die Cochlea-Implantat-Systeme verfügen über eingebaute Diagnostikelemente zur technischen
Überprüfung des CI-Systems, zur Charakterisierung und Monitoring der Elektroden-Nerven-Schnittstelle
mit Hilfe der Elektrodenimpedanzen und der Nervenreizantwort sowie der Haarzellantworten
bei elektrischer respektive akustischer Stimulation. So lassen sich objektiv Restgehör
und Antwortprofil des Hörnerven wiederholt bestimmen und im Zeitverlauf vergleichen.
Veränderungen der Meßparameter geben so frühzeitig Hinweise auf technische oder medizinische
Komplikationen. Entzündungen im Bereich des Innenohres (Labyrinthitis) sind durch
Erhöhung der Elektrodenimpedanzen, Elektrodenmigrationen durch Verschiebungen des
NRT-Profils gekennzeichnet [11]. Intraoperativ können so auch Elektrodenfehllagen, z. B. durch die Impedanzspektroskopie
erkannt und entsprechend korrigiert werden.
2.1.6 Telemedizinische Komponenten ([Abb. 10])
Die Verbindung des Cochlea-Implantat-Systems mit dem Smartphone über z. B. Bluetooth
ermöglicht nicht nur die Steuerung und Programmierung des Implantates, sondern auch
die Übertragung von Daten, die vom Implantat selbst erhoben werden (bidirektionale
Kommunikation). So können die biologischen Parameter sowie die Funktionsdaten des
Implantates und des Sprachprozessors drahtlos an das Mobiltelefon übertragen und von
dort an ein Implantat-Zentrum übermittelt werden. Umgekehrt lassen sich über diese
Verbindung auch Ferneinstellungen des Implantates sowie Fernüberprüfungen der Funktionalität
vornehmen. Diese sogenannten Remote Care-Optionen spielen bei der wohnortnahen Nachsorge
der Patienten eine zunehmende Rolle.
Abb. 10 Self Fitting und Remote Care mit dem CI.
Durch automatisierte Algorithmen können die Implantate sich fortlaufend selbst überprüfen
und objektive Messungen der Biopotentiale durchführen. Bei kritischen Abweichungen
können technische oder medizinische Probleme sehr früh erkannt werden und entsprechende
Interventionen erfolgen (s. 2.1.5)
2.1.7 Self Fitting ([Abb. 10])
Sprachprozessoren können über die Kontrollgeräte wie Smartphones vom Patienten selbst
in der Einstellung in vorab definierten Grenzen verändert und den jeweiligen Hörsituationen
angepasst werden. Damit ergeben sich Möglichkeiten des Patient-Empowerment, die auch
zu einer Verbesserung der Einstellungen für spezielle Hörsituationen Verwendung finden
können.
2.1.8 Data Logging
Die Nutzungsdaten des Implantatsystems werden automatisch registriert und geben Auskunft
über die Nutzungsintensität und die Nutzungsgewohnheiten des CI-Patienten. So können
wertvolle Daten für die postoperative Anpassung und Rehabilitation gewonnen werden,
etwa Veränderungen in den Hörgewohnheiten wie zunehmende Vermeidung geräuschbelasteter
Umgebungen o.ä..
2.2 Bilaterale Stimulation
Bei gleichzeitiger Cochlea-Implantat-Versorgung ist eine Abstimmung der beiden Implantat-Systeme
sinnvoll. Dies bezieht sich sowohl auf die jeweilige Frequenzzuordnung und damit Tonhöhenwahrnehmung
als auch die empfundene Lautheit, die zwischen den beiden Ohren ausbalanciert sein
sollte. Dadurch lassen sich die Vorteile der beidseitigen CI-Versorgung, nämlich die
Verbesserung des Richtungshörens und des Sprachverstehens im Störgeräusch im Wesentlichen
erreichen. Bisher werden interaurale Laufzeitunterschiede (ITD Interaural Time Differences),
Phasendifferenzen oder spektrale Unterschiede von den CI-Systemen in der Sprachverarbeitungsstrategie
noch nicht berücksichtigt.
2.3 Bimodale Versorgung
Bei Patienten mit asymmetrischem Hörvermögen ist u. U. eine bimodale Versorgung mit
Cochlea-Implantat auf einer Seite und Hörgerät auf der anderen Seite erforderlich.
Auch hier ist die Abstimmung zwischen den beiden Hörsystemen sinnvoll, um Richtungshören
und Sprachverstehen im Störgeräusch zu erleichtern. Bei beiden Versorgungsformen,
der bilateralen CI-Versorgung und der bimodalen Versorgung spielen Einstellmöglichkeiten
durch den Patienten mittels Smartphone APPs eine zunehmende Rolle im Nachsorgeprozess
(sog. Patient Empowerment).
2.4 Wertung der Technologieentwicklung für Lebensqualität der implantierten Patienten
Insgesamt hat die technische Entwicklung zu einer deutlichen Verbesserung der Hörergebnisse
geführt. Gleichzeitig hat sich die Handhabbarkeit deutlich vereinfacht. Die Connectivity
ermöglicht die Nutzung zahlreicher audio-technologischer Geräte ebenso wie die Direktnutzung
des Internets. Verbesserte diagnostische Möglichkeiten vereinfachen die Fehlersuche
sowie die Früherkennung medizinischer Komplikationen.
3. Präoperative Diagnostik und Indikationen
3. Präoperative Diagnostik und Indikationen
Die CI-Versorgung gliedert sich in verschiedene Phasen, wie sie in verschiedenen Dokumenten
zur Qualitatssicherung beschrieben sind (AWMF-Leitlinie CI (2); Weißbuch CI-Versorgung
der DGHNO, QUINCI Qualitätssicherung in der CI-Versorgung der Krankenkassen):
-
CI-Voruntersuchung zur Indikatonsstellung
-
CI-Operation
-
CI-(Früh- und) Erstanpassung
-
CI-Folgeanpassung und Rehabilitation
-
CI-Nachsorge
Diese Phasen werden im folgenden genauer beschrieben.
3.1 Präoperative Diagnostik ([Abb. 11])
Die präoperative Diagnostik dient der Erfassung und Typisierung der zugrundeliegenden
Schwerhörigkeit sowie der Prädiktion des weiteren Verlaufes der Schwerhörigkeit und
des zu erwartenden Hörerfolges mit einem Cochlea-Implantat. Sie zielt auch auf die
Ermittlung der Ursache des eingetretenen Hörverlustes sowie der zugrundeliegenden
Pathophysiologie, da beide ebenfalls Einfluss auf die Therapieentscheidung sowie die
Prognose des Hörerfolges haben können.
Abb. 11 Diagnostische Felder der CI-Voruntersuchung.
Die Diagnostik dient der Bestimmung des vorhandenen Hörverlustes hinsichtlich Grad
und Typ der Schwerhörigkeit. Grundvoraussetzung für das Cochlea-Implantat sind 1.
eine vorhandene Cochlea, 2. ein funktionstüchtiger Hörnerv und 3. eine funktionstüchtige
Hörbahn.
Folgende Untersuchungsmethoden kommen entweder obligat oder fakultativ in Abhängigkeit
vom Einzelfall zum Einsatz ([Tab. 1]):
Tab. 1 CI-Voruntersuchung – Diagnostik.
|
1. HNO-ärztliche Untersuchung einschließlich Otoskopie
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2. Tonaudiometrie zur Bestimmung der Hörschwelle und der Unbehaglichkeitsschwelle
sowie des Dynamikbereiches
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3. Sprachaudiometrie in Ruhe und im Störgeräusch ohne und mit angepaßter Hörhilfe
-
Freiburger Sprachverständlichkeitstest für Zahlen und Einsilber
-
Satztest ohne und mit Störgeräusch wie z. B. HSM-Satztest
-
Matrix-Satztest (im Deutschen Olsa-Test) im Störgeräusch, erlaubt die vergleichende
Bewertung der Sprachverständlichkeit zwischen verschiedenen Sprachen
|
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4. Objektive Audiometrie
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Impedanzaudiometrie mit Tympanometrie und Stapediusreflex
-
Transitorisch evozierte Otoakustische Emissionen TEOAE
-
Hirnstammaudiometrie (BERA)
-
Elektrocochleographie
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5. Bildgebung von Felsenbein, Hörnerv und Hörbahn
-
Hochauflösendes CT oder DVT des Felsenbeins
-
Hochauflösendes MRT des Felsenbeins mit Darstellung von Innenohr und Hörnerv
-
MRT des Schädels zur Darstellung der Hörbahn
-
DTI (Diffusion Tensor Imaging)
-
Funktionelle Bildgebung mittels funktioneller Kernspintomographie (fMRT), Positronen-Emissions-Tomographie
(PET) und NahInfraRot- Spektroskopie (NIRS)
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6. Genomik zur Erfassung genetisch assoziierter Ursachen der Schwerhörigkeit
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7. Proteomik und Metabolomik der Perilymphe zur Differenzierung der Schwerhörigkeitsursachen
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8. Zusätzlich bei Kindern:
-
psychoakustische Hörschwellenbestimmung mit altersbezogenen Methoden (Verhaltens-
und Spielaudiometrie)
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Frequenzspezifische BERA
-
ASSR (Auditory Steady-State Responses)
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Hörgerätetrageversuch
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Diagnostik von Sprachentwicklung und Kommunikationskompetenz
-
Entwicklungsphysiologischer Status mit Psychomotorik, Kognition
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Emotionale Entwicklung
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9. Gleichgewichtsdiagnostik zur Erfassung von Störungen der Gleichgewichtsfunktionen
|
Weitere Verfahren zur Bestimmung des Restgehörs respektive seiner Reserven für eine
akustische Verstärkung beziehen sich auf das maximal erzielte Einsilberverstehen bei
verschiedenen Präsentationsleveln. Da hierfür keine allgemein akzeptierten validierten
Grenzwerte vorhanden sind, dienen diese Messungen im Wesentlichen dazu, die noch vorhandene
cochleäre Reserve des Patienten hinsichtlich einer Verbesserung durch akustische und
auch elektroakustische Stimulation zu ermitteln.
In ähnlicher Weise kann das bestmögliche Sprachverstehen mit Hilfe des sogenannten
Master Hearing Aids [12] bestimmt werden (s.3.3.1) . Es stellt einen wichtigen prädiktiven Parameter für
die Vorhersage des Hörerfolges mit Cochlea-Implantaten dar ([Abb. 12]). Dabei findet sich eine positive Korrelation zwischen dem präoperativ ermittelten
bestmöglichen Sprachverständnis mit dem Master Hearing Aid und dem postoperativ erzielten
Einsilberverstehen mit Cochlea-Implantat.
Abb. 12 Beziehung zwischen dem bestmöglichen Sprachverstehen mit Master Hearing Aid präoperativ
und dem postoperativen Sprachverstehen mit CI.
Die kognitive Leistungsfähigkeit sollte vor allem bei älteren Patienten untersucht
werden, da sie wesentlich die Rehabilitationsfähigkeit beeinflußt [13]
Bei Kindern spielt die objektive Audiometrie insbesondere im Neugeborenen-Kleinkindesalter
eine wesentliche Rolle. Die Kombination verschiedener Methoden bestehend aus Ableitung
der transitorisch evozierten otoakustischen Emissionen, der Elektrocochleographie
mit Ableitung des Compound Action Potentials und der cochleären Mikrofonpotentiale
sowie der Hirnstammaudiometrie unter Verwendung frequenzspezifischer Reize ermöglicht
eine hinreichende Bestimmung der Hörschwelle im Hoch-, Mittel- und Tieftonbereich
als auch die Typisierung des Hörverlustes mit der Unterscheidung zwischen einer konduktiven,
einer cochleären und einer neuralen Schwerhörigkeit [14]. Von besonderer Bedeutung ist die Erfassung perisynaptischer Schwerhörigkeitsformen
mit gestörter Reizübertragung zwischen den Haarzellen des Innenohres und den Spiralganglienzellen
des Hörnerven. Diese sind zu unterscheiden von den Formen der echten Neuropathie,
bei der eine Schädigung neuraler Elemente, z. B. der Spiralganglienzellen oder der
Axone des Hörnerven, vorliegt [15].
Die funktionelle Diagnostik wird ergänzt durch die Bildgebung und die Labordiagnostik.
Hochauflösende Computertomographie CT resp. Digitale Volumen-Tomographie DVT [16]und die Magnetresonanztomographie des Felsenbeines sowie des Schädels liefern die
für die Implantation wichtigen Informationen über Größe und Form der Cochlea, Mißbildungen
und Obliterationen, den inneren Gehörgang sowie den Größenverhältnissen im Mastoid,
über die Existenz und Dicke des Hörnervens sowie den Zustand der Hörbahn mit Hilfe
des Diffusion Tensor Imaging DTI. Sie werden ergänzt durch die funktionelle Bildgebung
mittels funktioneller Kernspintomographie fMRT [17], der Nah-Infrarot-Spektroskopie NIRS [18] und der Positronen-Emissions-Tomographie PET.
Die Labordiagnostik umfaßt die Genomik zur Erfassung einer genetisch bedingter Schwerhörigkeit
in verschiedenen Varianten [19]
[20] sowie die Proteomik der Perilymphe zur Identifikation von krankheitsspezifischen
Biomarkern [21]
3.2 Indikationen
Cochlea-Implantate sind grundsätzlich dann indiziert, wenn andere Therapieverfahren
zur Wiederherstellung des für die lautsprachliche Kommunikation erforderlichen Hörvermögens
nicht ausreichend oder nicht einsetzbar sind [22] ([Abb. 4]). Die Indikationsstellung setzt also die Bestimmung des aktuellen Hörvermögens sowie
seine Verbesserung durch geeignete Methoden, z. B Hörgeräteanpassung voraus. Außerdem
ist zu überprüfen, ob durch hörverbessernde Operationen oder akustische Implantate
das Hörvermögen ausreichend verbessert werden könnte. Die Indikationsstellung ist
dabei auch von dem erreichten technologischen Stand der Hörimplantate und der damit
grundsätzlich erzielbaren Ergebnisse abhängig ([Abb. 5]). Es bleibt anzumerken, dass die mit der künstlichen elektrischen Stimulation erzielbaren
Hörergebnisse nicht das Niveau des natürlichen Hörvermögens erreichen, so dass grundsätzliche
Grenzen des elektrischen Hörens zu beachten sind, die im Einzelfall auch deutlich
unterschritten sein können. So ist die große individuelle Variabilität der Hörergebnisse
zu berücksichtigen ([Abb. 12]), in der sich verschiedene Einflussfaktoren auf das erzielte Hörergebnis wie Zustand
des Hörnerven, kognitive Fähigkeiten des Patienten, Taubheitsdauer und Zeitpunkt der
Ertaubung sowie anatomische Faktoren wie Missbildung der Cochlea niederschlagen. Nach
der aktuell gültigen Version der Leitlinie Cochlea Implantate der AWMF ergeben sich
folgende Indikationen und Kontraindikationen ([Tab. 2]):
Tab. 2 CI-Indikationen und Kontraindikationen heute.
|
1. Hochgradige bzw. an Taubheit grenzende Innenohrschwerhörigkeit
|
|
Postlinguale bilaterale Taubheit:
|
|
Einsilberverstehen unter best-aided conditions bei 65 dB SPL ≤ 60%
|
|
oder<50% ohne Hörhilfe bei 80 dB
|
|
Prälinguale Taubheit bei Kindern bis zum 6. Lebensjahr:
|
|
Objektiv ermittelte Hörschwelle>70 dB
|
|
Ausbleibende oder unzureichende Sprachentwicklung
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|
Perilinguale Taubheit (Eintritt des hochgradigen Hörverlustes nach der Geburt, aber
vor dem endgültigen Spracherwerb mit ca 10 Jahren)
|
|
Hörschwellen>70 dB
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Verlangsamte, stagnierende oder regrediente Sprachentwicklung
|
|
2. Einseitige Taubheit oder asymmetrischer Hörverlust (Single Sided Deafness SSD)
|
|
3. Hochtontaubheit mit einem Hörverlust von>80 dB oberhalb von 1 KHz und Hörschwelle
besser als 50 dB bei 500 Hz und darunter
|
|
4. Auditorische Synaptopathie und Neuropathie:
|
|
Fehlende Hirnstammantworten bei ggf. vorhandenen otoakustischen Emissionen und Cochlear
Microphonics in der Elektrocochleographie und morphologisch nachgewiesenem Hörnerven
in der Bildgebung.
|
|
Folgende Kontraindikationen bestehen:
-
Fehlende Cochlea oder fehlender Hörnerv
-
Mangelnde Fähigkeit zur Teilnahme am Gesamtversorgungsprozess, z. B. kognitive Beeinträchtigung
-
Fehlende Infrastruktur für die CI-Versorgung
-
Negativer subjektiver Promontoriumtest
-
Schwere Begleiterkrankungen, die den Versorgungsprozess wesentlich beeinträchtigen
|
3.3 Prädiktion des Behandlungserfolges und individualisierte Cochlea-Implantation
Die Cochlea-Implantat-Versorgung ist in Abhängigkeit vom diagnostischen Ausgangsbefund
individualisiert und zielt darauf ab, die bestmögliche Hörrehabilitation bei dem einzelnen
Patienten zu erzielen. Dabei spielen vor allem das Ausmaß des noch vorhandenen Restgehörs,
der funktionelle Zustand des Hörnerven, die Anatomie der Cochlea, Ätiologie und Pathophysiologie
des Hörverlustes ebenso eine Rolle wie zukünftige Therapien und die Präferenz des
Patienten ([Abb. 13])
Abb. 13 Faktoren, die für eine individualisierte CI-Versorgung relevant sind.
3.3.1 Präoperatives Sprachverstehen unter best-aided Conditions mit Master Hearing
Aid
Die Bestimmung des präoperativ vorhandenen Restgehörs bezieht sich nicht auf das Tonaudiogramm
alleine, sondern auf das damit erzielbare Sprachverstehen. Es findet sich eine hohe
Korrelation mit dem postoperativen Sprachverstehen mit CI ([Abb. 12]). Am aussagefähigsten hat sich dabei die Überprüfung des präoperativen Sprachverstehens
mit einem sogenannten Master Hearing Aids erwiesen, bei dem das vorhandene Restgehör
mit Hilfe eines PC-basierten Hörgerätes mit optimierter Schalldarbietung getestet
wird [12]. Die so ermittelten Werte geben die maximal erreichbare Sprachverständlichkeit wieder,
die unter realen Bedingungen konventioneller Hörgeräte nicht erreicht werden kann.
Damit werden zugleich die sogenannte cochleäre Reserve sowie der Zustand des Hörnerven
getestet, gleichzeitig sagt dieser Wert auch etwas über die kognitiven Fähigkeiten
des Patienten aus, Hörreste optimal für Sprachverstehen zu nutzen. Getestet wird das
Sprachverstehen mit Hilfe des Oldenburger Satztestes (OLSA) oder sogenanntem Matrixtest
mit Sprach-simulierendem Rauschen. Hier ergibt sich ein prädiktiver Wert von R²=0,389.
3.3.2 Wortschatztest
Der sogenannte Wortschatztest nach Schmitt und Metzler 1992 ermöglicht es, die Fähigkeit
des Patienten zu testen, aus einer Serie von fünf Wörtern jeweils das sinngebende
Wort zu identifizieren. Dieser Wortschatztest hat einen prädiktiven Wert von R²=0,158.
3.3.3 Nutzbares Restgehör für die elektro-akustische Stimulation
Grundsätzlich gilt es zu entscheiden, ob eine alleinige elektrische Stimulation (ES)
für den Patienten bessere Hörergebnisse liefern wird oder eine elektroakustische Stimulation
(EAS oder ENS) in Frage kommt (s. 3.4). Patienten mit EAS und ENS erreichen eine signifikant
bessere Sprachverständlichkeit besonders im Störgeräusch als Patienten mit alleiniger
Elektrostimulation [23]. Dabei sollte das postoperative Sprachverstehen mit EAS besser sein als das mit
ES (Median HSM Satztest 10 dB S/N=65%) ([Abb. 14]).
Abb. 14 EAS-Kandidatenauswahl anhand der präoperativen Hörschwelle bei 250 und 500 Hz. Die
meisten CI-Patienten mit einem Sprachverstehen im Störgeräusch von 65 Prozent und
besser finden sich im linken oberen Feld entsprechend einer Hörschwelle von 40 dB
bei 250 Hz und 55 dB bei 500 Hz.
Voraussetzung ist ein ausreichend erhaltenes postoperatives Restgehör bei 500 und
250 Hz. Dieses sollte postoperativ bei 65 dB bzw 50 dB oder besser liegen. Die Abschätzung
des implantationsbedingten Hörverlustes gelingt anhand vorhandener statistische Daten
implantierter Patienten. Dies bedeutet, dass in der Regel der präoperative Hörverlust
im Tieftonbereich bei 500 Hz nicht mehr als 55 dB und bei 250 Hz nicht mehr als 40 dB
betragen sollte. Zusätzlich sollte der Patient ausreichende Hörerfahrung mit Hörgeräten
haben und motiviert sein, ein Hybridsystem mit akustischer Komponente im Gehörgang
zu tragen. Liegt bei dem Patienten eine chronische Gehörgangsentzündung vor, ist ggf.
von dieser Versorgungsform Abstand zu nehmen.
Abb. 15 Vergleich der medianen Sprachverständlichkeit im Störgeräusch. Die elektro-akustische
Stimulation mit Hörgerät (EAS) und natürlichem Hören im Tieftonbereich (ENS) sind
besser als die bestmögliche alleinige elektrische Stimulation ES (65 Prozent).
Bei einer Hörschwelle im Tieftonbereich von 20 dB und besser kann die effektive Nutzung
des Restgehörs ohne Hörgerätekomponente erfolgen (sog ENS Electro-Natural Stimulation)
([Abb. 15]).
Auch in der Versorgung von Kleinkindern sollte das Restgehör speziell im Tieftonbereich
getestet werden, um es für EAS oder ENS nutzen zu können. Etwa 20% der Kinder kommen
dafür in Frage.
3.4 Auswahl des Elektrodensystems
Für eine optimale Stimulation des Hörnerven ist die Auswahl des für den einzelnen
Patienten geeignetsten Elektrodensystems von Bedeutung. Sie richtet sich bei ES und
EAS nach unterschiedlichen Gesichtspunkten ([Abb. 16]).
Abb. 16 Schema der individualisierten CI-Versorgung mit ES, EAS, Elektrodenauswahl in Abhängigkeit
von präoperativem Restgehör und Cochlea-Länge.
3.4.1 Elektrische Stimulation ES
Bei Patienten mit vorgesehener ES ist die sogenannte Cochlear Coverage CC von Bedeutung.
Darunter versteht man den Anteil der Gesamtlänge der Cochlea, der durch eine Elektrode
abgedeckt wird. Anhand präoperativer Bildgebung kann mit geeigneten Verfahren die
Gesamtlänge der Cochlea vermessen werden. Verschiedene Verfahren mit Verwendung z. B.
des A- und B-Durchmessers der basalen Windung erlauben eine ungefähre Abschätzung,
genauere Verfahren verwenden die sogenannte Multiplanare Regression, bei der die Cochlea
wie ein Gartenschlauch abgewickelt und die Gesamtlänge, z. B. der Außenwand bestimmt
wird ([Abb. 17]). Aus dem gesamten vorhandenen Elektrodenportfolio kann die nach der Länge geeignetste
Elektrode ausgewählt werden. Entscheidend ist dabei, dass eine möglichst große Zahl
der Spiralganglienzellen SGC sowie der noch vorhandenen Dendriten durch die elektrische
Stimulation erreicht wird. Aufgrund der Struktur der Cochlea befinden sich die SGC
im Wesentlichen in dem sogenannten Rosenthal-Kanal in der basalen und der zweiten
Windung, während sich die Dendriten in den dem Restgehör zugehörigen Teilen der Basilarmembran
befinden. Im apikalen Teil der Cochlea verlaufen sie senkrecht zu den zugehörigen
SGC, so daß die elektrische Stimulation dort keinen zusätzlichen Nutzen bewirkt. Andererseits
wird eine zu kurze Elektrode nicht alle vorhanden SGC und Dendriten stimulieren.
Abb. 17 Bestimmung der Länge der Cochlea an der Außenwand mit Hilfe der multiplanaren Regression
und Modellbildung für die virtuelle Elektrodeninsertion zur Abschätzung der Cochlear
Coverage aus dem CT oder DVT des Felsenbeins.
Unter Verwendung von geraden sogenannten Lateral Wall-Elektroden unterschiedlicher
Länge konnte dabei festgestellt werden, dass die Cochlear Coverage CC in erheblichem
Maße von der Gesamtlänge der Cochlea abhängt ([Abb. 18]). Die Cochlea-Länge an der Außenwand variiert erheblich zwischen 31 und 46 mm ([Abb. 16]). Berücksichtigt man diesen Faktor und wertet die erzielten postoperativen Hörergebnisse
aus, zeigt sich, dass für eine CC zwischen 0,75 und 0,80 die besten Sprachverständlichkeitswerte
erzielt werden ([Abb. 19]) [25]. Bei geringerer CC fällt das Ergebnis deutlich schlechter aus, bei höherer CC ebenfalls.
Ziel ist es daher, die Elektrodenlänge so zu wählen, daß eine Cochlear Coverage von
ca. 0,80 erzielt wird. Hierfür stehen Elektroden unterschiedlicher Längen zur Verfügung
([Abb. 20]).
Abb. 24 Greenwood-Funktion. Empirisch gewonnene Korrelation zwischen Position der Haarzellen
und wahrgenommener Frequenz (Greenwood 1961, 1990). (Mit freundlicher Genehmigung
der Fa. MEDEL).
Abb. 19 Einfluß der Cochlear Coverage auf das postoperative Sprachverstehen mit CI. Es findet
sich ein Optimum bei ca 75%.
Abb. 20 Individualisierte Elektrodenauswahl zur Optimierung der Cochlear Coverage bei elektrischer
Stimulation ES. Stratifizierung nach Elektrodenlänge (aus Timm et al, 2018).
3.4.2 Elektroakustische Stimulation EAS
Ziel der elektroakustischen Stimulation ist es, das vorhandene Restgehör möglichst
optimal mit dem elektrischen Hören, das durch die eingeführte Elektrode, insbesondere
im Hoch- und Mitteltonbereich wiederhergestellt wird, zu kombinieren. Voraussetzung
dafür ist die Erhaltung des Restgehörs im Rahmen der Cochlea-Implantat-Operation [26]. Die sogenannten Hybridsysteme liefern dafür die technische Voraussetzung, indem
der Sprachprozessor zusätzlich eine akustische Komponente (Hörgerät) für den Tieftonbereich
aufweist ([Abb. 21]).
Grundsätzlich gelingt es, diese Hörerhaltung bei sehr vorsichtiger Elektrodeninsertion
unter Verwendung atraumatischer Operationstechniken und zusätzlicher Innenohrprotektion
mittels systemischer oder lokaler Kortisongabe zu erreichen. Dafür wurden spezielle
kurze Elektrodensysteme entwickelt, deren maximale Insertionstiefe auf 16 mm beschränkt
ist. Diese decken in der Cochlea ca. 270° ab mit einer durchschnittlichen CC von 0,44.
Damit lassen sich die hohen Frequenzanteile des Hörbereiches funktionell in Abhängigkeit
von der Gesamtlänge der Cochlea wiederherstellen. Die Ergebnisse prospektiver Studien
zeigten eine hohe Raten für die Hörerhaltung [27]
[28] Es lassen sich dabei drei Klassen von Hörerhaltung im Tieftonbereich anhand der
postoperativen Hörschwellenveränderung von 125 bis 1000 Hz unterscheiden:
Unter Verwendung dieser Einteilung ergeben sich dabei folgende Hörerhaltungswerte
für kurze Elektroden:
Bei Verwendung längerer Elektroden steigt das Ertaubungsrisiko deutlich an, ebenso
bei der Verwendung präformierter Elektroden ([Tab. 3])[29]
[30].
Tab. 3 Hörerhaltung mit CI-Elektroden verschiedener Länge.
|
Ø PTA loss (125..1 kHz)
|
Hearing loss pre – post surgery (125 Hz- 1 kHz) n/percent of patients
|
|
|
≤15 dB
|
≤30 dB
|
Total hearing loss (>30 dB or exceeds audiometer limit)
|
|
Hybrid-L (n=97)
|
10.0 dB
|
53 (54,6%)
|
90 (92,8%)
|
7 (7,2%)
|
|
CI 422 (n=100)
|
14.2 dB
|
36 (36%)
|
83 (83%)
|
17 (17%)
|
|
FLEX20 (n=46)
|
17.5 dB
|
21 (45.6%)
|
12 (75.7%)
|
8 (24.3%)
|
|
FLEX24 (n=34)
|
20.0 dB
|
10 (29.4%)
|
18 (79.3%)
|
6 (20.7%)
|
|
FLEX28 (n=40)
|
24.0 dB
|
6 (15.0%)
|
20 (65%)
|
14 (35%)
|
|
532 (n=25)
|
24.5 dB
|
8 (32%)
|
9 (68%)
|
8 (32%)
|
Dies kann u. a. durch die Anatomie der Cochlea erklärt werden. Von basal nach apikal
nimmt die Höhe der Scala tympani, insbesondere im lateralen Bereich der Cochlea ab
einer Insertionstiefe von ca. 18 mm kontinuierlich ab, so dass jenseits dieser Insertionstiefe
die Wahrscheinlichkeit eines mechanischen Kontaktes des Elektrodenträgers mit der
Basilarmembran steigt und es bei sehr flacher Scala tympani zu einem Mismatch zwischen
dem Elektrodendurchmesser und der Höhe der Scala tympani kommt. Die Lage dieser sogenannte
High-Risk-Zone hängt u. a. auch von der Gesamtlänge der Cochlea sowie der Höhe der
Cochlea ab und kann mit heute klinisch einsetzbaren Imaging-Methoden nur bedingt bestimmt
werden ([Abb. 22]
[31]). Dies bedeutet, dass ab einer Insertionstiefe von mehr als 18 mm grundsätzlich
mit einer Erhöhung des Risikos zu rechnen ist und bei Verwendung noch längerer Elektroden
eine substantielle Schädigung cochleärer Strukturen mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten
kann. Für einen guten Hörerhalt sollten daher atraumatische Elektroden mit variabler
Insertionstiefe Verwendung finden [32].
Abb. 22 Risiko-Verteilung für ein cochleäres Trauma in Abhängigkeit von der Insertionstiefe.
Durch Verminderung der Höhe der Scala tympani nimmt das Risiko ab 18 mm Insertionstiefe
zu (aus Afci et al, 2016.
Abb. 31 Insertionskraft bei manueller und langsamer robotisch assistierter Elektrodeninsertion
(Rau et al, 2021).
Kommt es jedoch im Rahmen der Cochlea-Implantation selbst oder im weiteren Zeitverlauf
zu einer Abnahme des Restgehörs bis hin zum kompletten Verlustes, dann weisen die
Patienten aufgrund der nur geringen Cochlear Coverage deutlich schlechtere Hörergebnisse
auf als Patienten mit einer längeren Elektrode und größerer Cochlear Coverage. Hier
besteht also ein Entscheidungsdilemma zwischen einerseits guter Hörerhaltung und andererseits
ausreichender Cochlear Coverage ([Abb. 23]). Kommt es also bei einem Patienten zu einem postoperativen Hörverlust unter Verwendung
einer kurzen Elektrode, müßte eine Reimplantation mit einer ausreichend langen Elektrode
durchgeführt werden, um das bestmögliche Hören mit ES zu erzielen.
Abb. 23 Vergleich des Sprachverstehens im Störgeräusch für EAS mit kurzer Elektrode versus
ES mit langer Elektrode. Bei Verlust des Restgehörs liegen die Patienten mit kurzer
Elektrode deutlich unter dem maximalen Wert mit ES (aus Büchner et al, 2017).
Aus diesem Grund wurde das Konzept der sogenannten partiellen Insertion entwickelt.
Dabei wird eine entsprechend der Gesamtlänge der Cochlea ausgewählte lange Elektrode
nur partiell inseriert, um so eine möglichst hohe Chance für die Hörerhaltung zum
Zeitpunkt der Implantation zu haben. Dabei verbleiben gezielt Elektroden außerhalb
der Cochlea. Sollte es zu einer weiteren Zunahme des Hörverlustes kommen, kann die
Elektrode in einem kleinen Eingriff anschließend tiefer in die Cochlea inseriert werden
(sogenanntes Afterloading). Dies Verfahren konnte in einzelnen Fällen erfolgreich
praktiziert werden. Das Vorschieben der Elektrode war in diesen Fällen ausnahmslos
möglich. Durch die geeignete Vorauswahl der Elektrode wird dann bei kompletter Insertion
der Elektrode eine ausreichende Cochlear Coverage erzielt und somit das bestmögliche
Hören mit elektrischer Stimulation alleine erreicht [33].
In Voruntersuchungen konnte festgestellt werden, dass die geringere Zahl intracochleärer
Elektroden für den abzudeckenden hochfrequenten Hörbereich ausreichend ist und sich
dadurch für die Nutzung des Implantates gegenüber der Komplettinsertion einer langen
Elektrode keine Nachteile ergeben.
Die Ergebnisse bei partieller Insertion und EAS zeigen sehr gute überdurchschnittliche
Hörergebnisse, insbesondere für das Sprachverstehen im Störgeräusch. Dies belegt eindrucksvoll
den Wert des akustischen Restgehörs für das Sprachverstehen, insbesondere unter akustisch
ungünstigen Bedingungen ([Abb. 49]).
Abb. 49 Hörergebnisse bei individualisierter partieller Insertion. Sehr gute Hörerhaltung
und sehr gutes Sprachverstehen besonders im Störgeräusch.
Die erforderliche Insertionstiefe zur Repräsentation der Frequenzen im Mittel- und
Hochtonbereich mit einem Hörverlust größer 70 dB durch ES bei der partiellen Insertion
kann anhand der folgenden drei Parameter bestimmt werden:
-
Nutzbares Restgehör
-
Gesamtlänge der Cochlea
-
Vorhergesagte postoperative Hörschwellen im Tieftonbereich.
Dabei wird eine Frequenzzuordnung auf der Basilarmembran entsprechend der sogenannten
Greenwood-Funktion vorgenommen. Diese gibt an, an welchem Ort der Basilarmembran eine
bestimmte Frequenz abgebildet wird unter Berücksichtigung der individuellen Anatomie
der Cochlea. ([Abb. 24]). Die Elektrode wird hierbei virtuell in die Cochlea inseriert, die Spitze der Elektrode
liegt am Ort der Transitionsfrequenz für den Bereich zwischen elektrischem und akustischem
Hören. Die eingezeichneten Hörschwellen zeigen die tatsächlich erzielte postoperative
Hörschwelle, die mit dem vorhergesagten Wert übereinstimmt ([Abb. 25]).
Abb. 25 Individualisierte Cochlea-Implantation mit partieller Insertion bei elektro-akustischer
Stimulation EAS. Auswahl der Elektrode und Bestimmung der angestrebten Insertionstiefe
anhand der präoperativen Hörschwelle und der Cochlea-Länge.
4. CI-Implantation
4.1 Standard-OP-Technik
Für die Cochlea-Implantation hat sich im Lauf der Jahrzehnte eine Standard-OP-Technik
etabliert. Diese umfasst die folgenden Elemente [34] ([Tab. 3]).
Diese standardisierte OP-Technik kann bei allen Implantaten und bei allen Patienten
unterschiedlichster Altersstufen sowie allen anatomischen Situationen mit geringer
Komplikationsrate angewendet werden. Sie läßt sich für verschiedene spezielle Situationen
modifizieren. Eine einheitliche OP-Technik ist auch Voraussetzung für eine konsequente
Qualitätssicherung. Auftretende Komplikationen können rasch erkannt, auf ihren Ursprung
zurückgeführt und durch geeignete Maßnahmen korrigiert werden. Die einzelnen Schritte
lassen sich anhand der vorliegenden Erfahrung und im Hinblick auf eine Minimierung
der Komplikationsrate wie folgt begründen und beschreiben. Alternative Verfahren wie
der suprameatale oder transmeatale Zugang konnten sich nicht durchsetzen [35] ([Tab. 4])
Tab. 4 Schritte der standardisierten OP-Technik.
-
Retroaurikuläre Schnittführung mit Bilden des Periostlappens und Abheben der Weichteile
-
Teilmastoidektomie mit Darstellung der hinteren Gehörgangswand, des Antrum mit dem
Amboss, des Facialiskanals im Mastoid, des Sinus-Dura-Winkels und des Labyrinthblocks
-
Anlage eines Knochenbettes zur Fixation des Implantatkörpers retromastoidal
-
Anlage eines Verbindungskanals oder Verbindungstunnels zum Mastoid
-
Posteriore Tympanotomie zur Darstellung des Mittelohres mit Promontorium, Amboß-Steigbügelgelenk,
Stapediussehne und Rundfensternische
-
Übersichtliche Darstellung der Rundfenstermembran durch Abtrag des Knochenüberhangs
-
Einsetzen des Implantates in das vorbereitete Knochenbett und Durchführen der Elektrodenträger
in das Mastoid
-
Inzision der Runfenstermembran, ggf Erweiterung des Zuganges mit dem Bohrer nach anterior
inferior
-
Insertion der Elektrode mit langsamer und gleichmäßiger Geschwindigkeit in die Scala
tympani unter Verwendung der elektrodenspezifischen Insertionstechniken, ggf unter
Einsatz des cochleären Monitorings zur Hörerhaltung
-
Cochlea-nahe sichere Fixation der Elektrode zur Vermeidung von Elektrodenmigration
-
Intraoperative Elektrophysiologie zur Überprüfung der Implantatfunktion und Messung
der Nervenreizantworten
-
Sicherer schichtweiser Wundverschluss
-
Intraoperative Bildgebung zur Verifikation der Elektrodenlage
|
1. Retroaurikuläre Schnittführung und Weichteilpräparation
Sie wird in der Länge der Ohrmuschel ausgeführt und dient der übersichtlichen Darstellung
des mastoidalen Periostes und der Temporalisfaszie. Nach Darstellen des äußeren Gehörgangs
erfolgt die Bildung des Periostlappens, der am äußeren Gehörgang gestielt ist und
zur sicheren Abdeckung von Mastoid und Implantat dient. Ziel ist eine zweischichtige
Weichteilbedeckung, um bei Wundheilungsstörungen eine Infektion des Implantates zu
verhindern. Die Inzision kreuzt nicht das Implantat.
Es wird anschließend eine Weichteilttasche nach okzipital unter weiterer Abhebung
des Periostes und des M. temporalis gebildet. Dadurch ist eine sichere Weichteil-Abdeckung
des Implantates mit guter Durchblutung besonders über dem Antennenteil gewährleistet.
2. Mastoidektomie ([Abb. 26])
Das Mastoid wird bei gesunder Schleimhaut teilausgebohrt. Bei chronischen Entzündungen
muß die gesamte erkrankte Schleimhaut entfernt werden. Wichtig ist die Darstellung
anatomischer Leitstrukturen. Dazu gehören die hintere Gehörgangswand, das Antrum mit
dem Amboss zur sicheren Darstellung der Fosssa incudis, der mastoidale Facialiskanal
und der Kanal der Chorda tympani zur präzisen Bestimmung des Bereiches für die posteriore
Tympanotomie, der Sinus-sigmoideus-Verlauf, der Labyrinthblock mit den drei Bogengängen,
die Corticalis zur mittleren und hinteren Schädelgrube sowie der Sinus-Dura-Winkel.
Dabei bleibt ein Corticalis-Überhang oben, hinten und unten zur sicheren Positionierung
des Elektrodenträger im Mastoid mit Vermeidung eines direkten Kontaktes mit den bedeckenden
Weichteilen stehen.
Abb. 26 Standard-OP-Technik für CI. Wesentliche Schritte (mit freundlicher Genehmigung von
Endo-Press, Tuttlingen).
3. Anlage des Knochenbettes ([Abb. 26])
Das ausreichend tiefe und ebene Bett dient der sicheren Fixation des Implantates zur
Vermeidung von Migration und Protrusion mit konsekutiven Problemen der bedeckenden
Haut. Dieses sollte 1 cm hinter und oberhalb des Sinus-Dura-Winkels angelegt werden.
Damit ist ein ausreichend weiter Abstand zur Ohrmuschel gewährleistet, um ausreichend
Platz für Übertragungsspule und Brillenbügel zu gewährleisten. Bei Implantaten mit
integrierten Magneten ist das Implantatbett entsprechend weiter nach posterior zu
legen.
4. Verbindung zum Mastoid ([Abb. 26])
Von dem Knochenbett aus wird dann ein Verbindungskanal oder ein Verbindungstunnel
in Projektion auf den Sinus-Dura-Winkel in Richtung Mastoid gelegt. Hier ist der Knochen
am dicksten. Dies trifft auch für Säuglinge und Kleinkinder zu. Dieser Verbindungsweg
ist entscheidend für die Einlage des Elektrodenträgers und dessen Protektion. Der
Tunnel bietet hier noch zusätzliche Fixationsmöglichkeiten zum Vermeiden des Wanderns
des Implantates.
5. Posteriore Tympanotomie ([Abb. 26])
Entscheidend ist die übersichtliche Darstellung des mastoidalen Facialiskanals von
der Höhe der Fossa incudis bis nach kaudal des Abgangs der Chorda tympani. Gleicherweise
ist der Kanal der Chorda tympani darzustellen. In diesem Dreieck der genannten drei
Strukturen kann dann sicher die posteriore Tympanotomie unter Erhalt der Brücke als
kraniale Begrenzung angelegt werden. Dabei wird der Bereich des Mittelohres mit Amboss-Steigbügelgelenk,
Stapediussehne, Promontorium mit Rundfensternische dargestellt. Am unteren Ende des
Chorda-Fazialis-Winkels sollte Knochen zur Anlage des Knochenschlitzes für eine sichere
Fixation des Elektrodenträgers belassen werden. Der Knochenschlitz verhindert die
Migration insbesondere gerader Elektroden aus der Cochlea. Alternativ können Metallclips
zum Einsatz kommen.
Das Facialismonitoring ist für diesen Schritt der Operation zu empfehlen.
6. Darstellen der Rundfenstermembran ([Abb. 26])
Dazu ist es erforderlich, den sehr unterschiedlich ausgeprägten Knochenüberhang für
eine übersichtlichen Darstellung der gesamten Rundfenstermembran abzutragen. Ein Kontakt
des Bohrers mit der Membran ist zu vermeiden. Die Erweiterung des runden Fensters
nach vorne unten im Sinne einer Cochleostomie ist dann indiziert, wenn das runde Fensters
zu eng für eine sichere reibungsarme Insertion dicker Elektrodensysteme ist oder eine
Obliteration vorliegt. So können neu gebildetes Gewebe und Knochen, der sich durch
seine weiße Farbe vom Labyrinthknochen unterscheidet, aus der Scala tympani unter
Erhalt der cochleären Strukturen der basalen Windung entfernt werden
7. Einsetzen des Implantates ([Abb. 26])
Das Implantat wird sicher in das vorgefertigte Knochenbett eingebracht, die Elektrode
in Richtung Mastoid durchgeführt und der Antennenteil nach okzipital oben orientiert,
so daß er auf ebenem Knochen zu liegen kommt, um Kippbewegungen zu vermeiden.
8. Inzision der Rundfenstermembran
Es erfolgt zunächst die vorsichtige halbmondförmige Eröffnung des Innenohres durch
eine ausreichend große Inzision der Rundfenstermembran, so dass der Elektrodenträger
widerstandsfrei eingeführt werden kann und Perilymphe austreten kann, um intracochleäre
Drucksteigerungen zu vermeiden.
9. Elektrodeninsertion ([Abb. 26]
[27])
Die Insertion der Elektrode erfolgt langsam mit Hilfe spezieller Insertions-Zängelchen
oder Pinzetten. Dabei ist eine Insertionszeit von ca. 1–3 Minuten anzustreben, ggf.
auch mit zwischenzeitigen Pausen, um das cochleäre Monitoring durchzuführen. Die Insertion
kann mit robotischen Assistenzsystemen unterstützt werden, z. B. Iota-Motion [36], Robotol [37] oder OtoJig [38].
Abb. 27 OP-Technik bei partieller Elektroden-Insertion. Markierung der berechneten Insertionstiefe
auf der Elektrode Atraumatische langsame Elektrodeninsertion. Stop der Insertion,
wenn der Marker an der Rund-Fenstermembran liegt Fixation der Elektrode im Knochenschlitz
im Recessus facialis Intraoperative Lagekontrolle mittels DVT.
10. Elektrodenfixation ([▶Abb. 27])
Am Ende des Insertionsvorgangs kann die Elektrode im vorgefertigten Knochenschlitz
sicher fixiert werden, um so eine postoperative Elektrodenmigration zu vermeiden.
Es können auch Clips oder Tubes verwendet werden. Anschließend erfolgt die s-förmige
Einlage des Elektrodenkabels im Mastoid, so dass Kontakte mit der darüberliegenden
Haut vermieden werden. Dazu eignet sich vor allem der Kortikalisüberhang des Mastoids.
Ein Verschluss des Innenohres erfolgt mit frisch entnommenem Venenblut, Muskulatur
oder Bindegewebe.
11. Intraoperative Elektrophysiologie
Die intraoperative Funktionskontrolle des Implantates erfolgt, um aufgetretene Schäden
am Implantat während der Insertion zu erkennen. Die Messung der Nervenreizantworten
dient der indirekten Lagekontrolle des Implantates und der Bestimmung der für die
postoperative Anpassung des Sprachprozessors wichtigen Stimulationsparameter, insbesondere
bei Kleinkindern. Im Wesentlichen werden dazu der elektrisch ausgelöste Stapediusreflex
mit direkter Beobachtung und Bestimmung der Reflexschwelle sowie die elektrisch ausgelösten
Compound Action Potentiale des Hörnerven (sogenannte NRT-, NRI-oder ART-Messung) verwendet.
Sie geben auch Auskunft über die korrekte Lage der Elektrode, insbesondere bei Verwendung
der Multifrequenz-Impedanzmessung.
12. Wundverschluß
Der Verschluß sollte in mehreren Gewebsschichten erfolgen, um eine Fortleitung von
Infektionen bei Wundheilungsstörungen auf das Implantat zu verhindern. Periost und
Muskulatur bilden die innerste Schicht und dienen der Abdeckung von Implantat und
Mastoid. Subkutangewebe und Haut bilden 2 weitere separate Verschlußschichten.
13. Intraoperative Bildgebung zur Lagekontrolle der Elektrode ([Abb. 27])
Die intraoperative Bildgebung ist essentiell, um Fehllagen der Elektrode zu erkennen
und ggf. sofort intraoperativ zu korrigieren. Dies ist insbesondere bei Fällen mit
erschwerter Elektrodeninsertion wie Missbildungen, Obliteration oder Reimplantation
von Bedeutung.
4.2 Hörerhaltende Cochlea-Implantat-Chirurgie
Die Erhaltung des Restgehörs kann grundsätzlich durch eine atraumatische OP-Technik
erzielt werden. Zusätzlich kann das sogenannte cochleäre Monitoring eingesetzt werden
( s. auch 2.1.1.). Die durch akustische Reizung evozierten Antworten der Haarzellen des Innenohres in
Form der cochleären Mikrofonpotentiale erlauben eine quasi Online-Funktionskontrolle
[39]
[40] ([Abb. 28]
[29]). Kommt es zu Amplitudenabnahmen bei Vorschieben der Elektrode, insbesondere im
Bereich der sogenannten Risk-Zone jenseits der 18 mm-Insertionstiefe, ist von einer
Beeinflussung der cochleären Mechanik durch die eingeführte Elektrode auszugehen.
Bei weiterem Vorschieben der Elektrode ist darüber hinaus mit strukturellen Schäden
der Basilarmembran oder anderer cochleärer Strukturen zu rechnen, was gleichbedeutend
ist mit einem erheblichen Hörverlust bis hin zur Ertaubung. Wird bei einsetzender
Amplitudenabnahme die Insertion gestoppt, die Elektrode etwas zurückgezogen oder die
Insertionsrichtung geändert, kann dies zu einer Erholung der Antwort-Amplitude führen.
Auf diese Weise kann die für eine Hörerhaltung maximal mögliche Insertionstiefe bei
gleichzeitiger Erhaltung des Restgehörs ermittelt werden [5]
[41]
[42]. Dabei ergibt sich eine gute Korrelation zwischen den intraoperativ beobachteten
Veränderungen und dem postoperativen Hörvermögen ([Abb. 30]). Neben den Amplitudenveränderungen werden weitere Parameter wie Phasenwechsel oder
Mehrtonmessungen verwendet, um tatsächliche schädigungsrelevante Veränderungen von
Amplitudenabnahmen durch Passieren der Recording-Elektrode am Generator der frequenzspezifischen
Antwort auf der Basilarmembran zu unterscheiden [42]. Zusätzlich kann die Insertion noch unter gleichzeitiger Röntgendurchleuchtung,
sogenannter Fluoroskopie, vorgenommen werden. Der Chirurg erhält damit Informationen
über die Position und das Verhalten der Elektrode während des Insertionsvorgangs und
kann so sehr frühzeitig z. B. einen sogenannten Tip fold-over ([Abb. 42]) erkennen und korrigieren. Dies ist vor allem bei Verwendung vorgeformter Elektroden
von Bedeutung.
Abb. 30 Korrelation zwischen Typ des Amplitudenverlaufs der CM und postoperativem Hörvermögen.
4.3 Cochlea-Implantation in lokaler Anästhesie
Die Cochlea-Implantation kann in lokaler Betäubung, ggf. mit Unterstützung der Anästhesie
im sogenannten Analgosedierungsverfahren durchgeführt werden. Sie folgt dabei den
bewährten Prinzipien der Ohrchirurgie in lokaler Betäubung [43]. Für den Patienten ergeben sich folgende Vorteile:
-
Fehlende Risiken der Vollnarkose
-
Schnelle Erholung des Patienten
-
Intraoperative Kontrolle des Restgehörs durch unmittelbare Befragung des Patienten
bei gleichzeitiger Präsentation akustischer Reize z. B. eines tieffrequenten Dauertons
zur Testung des residualen Tieftongehörs
-
Unmittelbare Angabe von Schwindel als Zeichen eines Insertionstraumas mit Möglichkeit
zur Modifikation der Elektrodeninsertion
-
Direkte Kontrolle der Hörrehabilitation durch Direktaktivierung des Implantates intraoperativ
mit Bestimmung der verschiedenen Tonhöhen mit T- und C-Level für die Frühanpassung
des Sprachprozessors.
Der Operation in Lokalanästhesie kommt im Rahmen der angestrebten Vereinfachung der
Cochlea-Implantat-Operation und der Steigerung der Zahl cochlea-implantierter Patienten
besonders bei älteren und alten Patienten große Bedeutung zu [44].
4.4 Computer- und Roboterassistierte Chirurgie CAS – RAS
Die Grenzen der konventionellen Cochlea-Implantat-Chirurgie ergeben sich aus der Tatsache,
daß der Chirurg über keine unmittelbare visuelle Kontrolle des Insertionsvorgangs
jenseits des Runden Fensters respektive der Cochleostomie verfügt. So kann die Insertionsrichtung
der Elektrode nicht kontrolliert auf die Verlaufsrichtung z. B. der Scala tympani
am Anfangsteil der basalen Windung ausgerichtet werden. Auch die Rotation der Elektrode
lässt sich innerhalb der Cochlea nicht kontrollieren. Weitere Limitationen der manuell
ausgeführten Elektrodeninsertion ergeben sich aus der minimal möglichen Insertionsgeschwindigkeit
sowie des gleichmäßigen Vorführens der Elektrode [45]. Experimentelle Untersuchungen zeigen, daß die auftretenden Insertionskräfte durch
Verlangsamung der Insertionsgeschwindigkeit unterhalb dieser Grenze signifikant geringer
sind, was mit einer Reduktion des Schädigungsrisikos cochleärer Strukturen einhergeht
([Abb. 31]) [46]. Anzustreben sind deswegen langsame und gleichmäßige Insertionsvorgänge, wie sie
händisch nicht mehr auszuführen sind.
Um hier zu einer höheren Präzision der Chirurgie zu kommen, wurden computer- und roboterassistierte
Chirurgieverfahren entwickelt bzw. sind zurzeit in Entwicklung [47]
[48]
[38]. Der grundsätzliche Vorgang ist dabei folgender ([Abb. 32]):
Abb. 32 Prinzip der Computer- und roboter-assistierten Präzisionschirurgie für eine verbesserte
Hörerhaltung.
Aus einem präoperativ angefertigten CT- oder DVT-Bilddatensatz werden die wesentlichen
anatomischen Strukturen des Felsenbeines segmentiert. Unter Berücksichtigung des ggf.
zu erhaltenden Restgehörs wird die Insertionstiefe der Elektrode bestimmt. Aus dem
Bilddatensatz lässt sich ein Modell der Cochlea erstellen und die Cochlea-Implantation
virtuell ausführen. Dabei können die anatomisch möglichen Trajektorien zur optimalen
Elektrodeninsertion in die Cochlea definiert werden. Sie können mit Hilfe eines Navigationssystems
auf den Operations-Situs übertragen und für die Insertion benutzt werden ([Abb. 33]).
Abb. 33 Navigationsbasierte Cochlea-Implantation mit geplanter Trajektorie für einen anatomiegerechten
Zugang zur Cochlea und Elektrodeninsertion.
Allerdings haben die nur navigationsbasierten Verfahren grundsätzliche Probleme mit
der erzielbaren Genauigkeit der Planung, falls keine knochenverankerten Marker verwendet
werden. Weiterhin bereitet die Anwendung der Trajektorie bei der Elektrodeninsertion
Probleme, da die Insertionsinstrumente nicht ausreichend genau referenziert und manuell
geführt werden können.
Aus diesem Grund wurden zusätzliche robotische Systeme für die präzise Umsetzung der
geplanten Trajektorie in einen minimal-invasiven Bohrkanal und die optimierte Elektrodeninsertion
entwickelt. So kann von der Oberfläche des Mastoids der vorberechnete Bohrkanal bis
in die Cochlea hinein mit Hilfe geeigneter Bohrsysteme unter gleichzeitiger Temperaturkontrolle
und Facialismonitoring angelegt werden. Die dabei erforderliche Genauigkeit mit einem
Gesamtfehler von<0,3 mm lässt sich durch Anwendung hochauflösender CT-Verfahren, knochenverankerter
Markersysteme für navigationsbasierte Verfahren und Nutzung starrer Fixationssysteme
(Mayfield-Klemme) zur Verbindung des Patientensitus mit dem Robotersystem erzielen.
Zum Einsatz kommen auch Bohrschablonen, sog. Jigs, die individuell gefertigt werden.
Der Bohrer sowie das Insertionstool können so exakt in der vorberechneten Trajektorie
geführt werden. Sie werden mit Hilfe eines am Patientenkopf starr fixierten Ministereotaxie-Rahmens
in die vorberechnete Position gebracht ([Abb. 34]).
Abb. 34 Roboter-assistierte Cochlea-Implantation.
Nach Ausführen der Bohrung und entsprechender Eröffnung der Cochlea kann dann die
Elektrode mit Hilfe eines Insertionsroboters (Robotol) in beliebig langsamer Geschwindigkeit
in die Cochlea durch den Bohrkanal hindurch inseriert werden ([Abb. 35]
[37]). Integrierte Kraftsensoren ermöglichen eine haptische Kontrolle. Ein vereinfachtes
System zur sehr langsamen Elektrodeninsertion wurde von Rau angegeben ([49]; s [Abb. 31])
Abb. 35 Otochirurgischer Roboter zur kontrollierten Elektrodeninsertion (Robotol, Fa. Collin).
Abb. 37 CI und Mißbildungen des Innenohres 2.
4.5 Chirurgie – Besondere Fälle
4.5.1 Chronische Otitis media
Die verschiedenen Formen der chronischen Otitis media erfordern ein an den Krankheitsprozeß
angepaßtes Vorgehen. Dabei sind folgende Formen zu unterscheiden:
-
Seröse oder muköse Otitis media, sogenanntes Sero- bzw. Mukotympanum
-
Otitis media chronica mesotympanalis
-
Otitis media chronica epitympanalis
-
Zustand nach Ohrradikaloperation
Bei der serösen und mukösen Otitis media handelt es sich in der Regel um bakteriell
kontaminierte Flüssigkeitsansammlungen im Mittelohr, die im Rahmen der CI-Voruntersuchung
auch aus audiologischen Gründen beseitigt werden sollten [50].
Bei negativem Keimnachweis kann bei rezidivierendem Paukenerguß dennoch eine CI-Operation
durchgeführt werden, um eine ergebnisrelevante Therapieverzögerung bei Kindern zu
vermeiden.
Bei Otitis media chronica mesotympanalis sollte zunächst vor der Implantation eine
sanierende Ohroperation nach den Prinzipien der Tympanoplastik durchgeführt werden.
Nach Ausheilen der chronischen Entzündung kann eine Cochlea-Implantation wie üblich
vorgenommen werden. Entscheidend ist eine gute Mittelohrbelüftung zur Vermeidung von
Trommelfellretraktionen und konsekutiver Cholesteatomentwicklung. Hier sind ggf Knorpelunterfütterungen
zur Vermeidung von Retraktionstaschen sinnvoll, die bei Kontakt zum Elektrodenträger
im Mastoid und Mittelohr zur Cholesteatombildung führen können.
Bei Otitis media chronica epitympanalis ist zunächst die Cholesteatomsanierung durchzuführen.
In Abhängigkeit von der Ausprägung des Befundes kann entweder simultan oder im Intervall
die Cochlea-Implantation vorgenommen werden.
Liegt eine Radikalhöhle vor oder sind aufgrund der Enge der anatomischen Verhältnisse
Implantationen mit Erhalt der hinteren Gehörgangswand nicht möglich, sollte zunächst
die sogenannte subtotale Petrosektomie mit Gehörgangsverschluss und Bauchfettobliteration
der Höhle durchgeführt werden. In der Regel kommt es dadurch zu einer Eradikation
des Entzündungsprozesses mit entzündungsfreien lokalen Verhältnissen, so dass das
Risiko des Implantatverlust durch Infektion oder entzündliche Reaktionen bei der nach
6 Monaten durchgeführten Implantation deutlich reduziert werden kann. Ein einzeitiges
Vorgehen wird nicht empfohlen [51]
[52].
4.5.2 Malformationen
Mißbildungen der Cochlea stellen besondere Herausforderungen an die präoperative Diagnostik,
das chirurgische Konzept, das intraoperative Management und die postoperative Anpassung
dar. Sie lassen sich in Anlehnung an Sennaroglu [53]
[54] in folgende Typen mit zunehmendem Grad der Mißbildung, d. h. Abweichung von der
normalen Anatomie einteilen ([Tab. 5]):
Tab. 5 Mißbildungen des Innenohres mit Relevanz für die CI-Versorgung.
|
Mißbildungen mit vorwiegend cochleärer Beteiligung
-
Verkürzte Cochlea, sogenannte Incomplete Partition Typ II oder Mondini-Dysplasie (Abb),
häufig zusammen mit einem Large-Vestibular-Aqueduct LVAS ([Abb. 36])
-
Cochlea mit fehlender Abgrenzung zum inneren Gehörgang, sogenannte Incomplete Partition
Typ III oder x-linked Deafness
-
Mißgebildete Cochlea ohne erkennbare Ausformung des Modiolus und intracochleärer Strukturen,
sogenannter Incomplete Partition Typ I ([Abb. 36])
-
Common Cavity ([Abb. 37]) ohne erkennbare Differenzierung cochleärer und vestibulärer Anteile
-
Cochleäre Aplasie ([Abb. 37]) mit Ausbildung nur einer vestibulären Anlage
-
Komplettes Fehlen des Innenohres
|
|
Mißbildungen mit vorwiegend vestibulärer Beteiligung
-
Vestibuläre Fehlbildungen
|
|
Mißbildungen des Hörnerven
-
Cochleäre Aperture Stenose mit engem knöchernen Durchtritt für den Hörnerven in den
Modiolus
-
Enger innerer Gehörgang ([Abb. 37])
-
Fehlender innerer Gehörgang
|
Wichtig für Indikationsstellung und Chirurgie ist die genaue präoperative Analyse
anhand genauest möglicher Bildgebung in Form eines hochauflösenden Felsenbein-CTs
oder DVTs sowie hochauflösender MRT-Untersuchungen von Felsenbein und Hörnerv unter
Verwendung von Oberflächenspulen. Die Operationen sollten nur von erfahrenen Chirurgen
ausgeführt werden, die Verwendung des Facialismonitoring ist essentiell.
Die chirurgische Technik richtet sich nach der vorliegenden Missbildung und muss die
Lage der Hörnervenfasern ebenso berücksichtigen wie den Zugangsweg und die Zugangsmöglichkeiten
zur Cochlea. Das Management von Gusher und Liquorhoe muß beherrscht werden [55]. Zu den Missbildungen im Einzelnen:
1. Incomplete Partition Typ II ([Abb. 36])
Die Elektrodenauswahl richtet sich nach den Kriterien für eine normal lange Cochlea
in Abhängigkeit vom Restgehör für ES oder EAS. In der Regel tritt kein Gusher (schwallartiger
Austritt von Perilymphe durch abnorme Verbindung zum Liquorraum) auf.
Abb. 36 CI und Mißbildungen des Innenohres 1.
2. Incomplete Partition Typ III
Hier ist die Verwendung eines vorgeformten Elektrodenträger zur Vermeidung der Dislokation
in den inneren Gehörgang zu empfehlen, ebenso die Anwendung intraoperativer Röntgendurchleuchtung
zur sicheren intracochleären Positionierung der Elektrode. Sie kann durch das runde
Fenster oder bei seinem Fehlen durch eine dem Durchmesser der Elektrode angepaßte
Cochleostomie eingeführt werden. In der Regel tritt ein Gusher auf, der durch Einbringen
von Muskel- oder Bindegewebsstückchen in die Cochleostomie gestoppt werden kann. Nur
selten ist die Anlage einer Liquordrainage erforderlich.
3. Incomplete Partition Typ I ([Abb. 36])
Da die Lage der Hörnervenfasern nicht bekannt bzw. ein Modiolus nicht vorhanden ist,
sollten Elektroden mit Ring-Kontakten eingesetzt werden, z. B. Nucleus Straight Elektrode,
da diese an der Außenwand der Cochlea zu liegen kommen und somit die dort ggf. lokalisierten
Hörnervenfasern ebenso wie mittig gelegene Fasern stimulieren können. Kontrolle der
Lage ebenfalls mit intraoperativer Röntgendurchleuchtung, um Fehllagen z. B. im inneren
Gehörgang zu erkennen und eine Repositionierung vornehmen zu können ([Abb. 36]). In der Regel ist die Anlage einer dem Durchmesser der Elektrode angepaßte Cochleostomie
erforderlich. Behandlung des Gusher wie oben angeführt.
4. Common Cavity ([Abb. 37])
Es existiert nur eine gemeinsame Anlage für Cochlea und Vestibularorgan. Da kein Modiolus
existiert, sollte eine gerade Elektrode mit Ringelektroden eingesetzt werden. Hier
ist die Öffnung der Cochlea möglichst klein zu halten, um den in der Regel auftretenden
Gusher sicher zu beherrschen durch Verschluss der gebohrten Öffnung mit Bindegewebsstückchen
um die Elektrode herum. Die Elektrodeninsertion sollte unter Fluoroskopie-Kontrolle
erfolgen. Ergibt sich eine Fehllage der Elektrode im inneren Gehörgang, ist u. U.
eine spezielle Loop-Technik zu verwenden, bei der ein Schlitz in die Cochlea gebohrt
und die Elektrode dann als Loop unter Festhalten der Elektrodenspitze, die extracochleär
verbleibt, eingelegt wird ([Abb. 36]).
5. Cochleäre Aplasie mit vorhandener vestibulärer Anlage ([Abb. 37])
Vorgehen wie bei Common Cavity.
6. Komplettes Fehlen des Innenohres
Kontraindikation für eine Cochlea-Implantation, ggf. kommt ein auditorisches Hirnstammimplantat
in Frage.
7. Vestibuläre Mißbildungen
Hier finden sich unterschiedliche Formen mit Beteiligung der Bogengänge oder des Vestibulum.
Das Ausmaß des Hörverlustes ist sehr unterschiedlich. Die Cochlea-Implantation folgt
daher den Regeln bei normaler Anatomie der Cochlea.
8. Cochlear Aperture-Stenose ([Abb. 36])
Die Öffnung des knöchernen Durchtritts aus dem Modiolus in den inneren Gehörgang ist
eingeengt. Dies ist gleichbedeutend mit einem dünnen oder fehlendem Hörnerven. In
der Regel erfordert dies die intraoperative erweiterte Messung der Hörnervenantworten,
z. B. durch Verwendung einer Probeelektrode (ANTS-Elektrode) mit Ableitung der ECAPs
und EABR vor einer Cochlea-Implantation.
9. Enger innerer Gehörgang ([Abb. 37])
Vorgehen wie bei der Cochlear Aperture-Stenosis
10. Fehlender innerer Gehörgang
Hier liegt eine Kontraindikation für eine Cochlea-Implantation vor, ggf. Versorgung
mit einem Hirnstammimplantat.
Intraoperativ müssen alle verfügbaren Methoden zum Nachweis von Hörnervenantworten
(ESRT, ECAPs, EABR s. o.) ggf. auch unter Verwendung sogenannter Probeelektroden eingesetzt
werden. Sie sind für die postoperative Anpassung besonders bei Kindern unverzichtbar.
Lassen sich keine Antworten ableiten, muß im Einzelfall entschieden werden, ob dennoch
eine Implantation zur Probe durchgeführt wird. Bleiben postoperativ Hörreaktionen
und eine Hör-Sprachentwicklung aus, bietet sich als Alternative einzig das Auditorische
Hirnstammimplantat ABI an [56].
Ergebnisse der Cochlea-Implantation bei Mißbildungen
Die erzielten Ergebnisse sind in der Regel abhängig vom Typ der Mißbildung. Bei verkürzter
Cochlea können normale Ergebnisse erzielt werden. Manchmal ist die verkürzte Cochlea
auch mit einem Large-Vestibular-Aqueduct-Syndrom LVAS (Abb) verbunden, bei dem sich
u. U. eine progrediente Schwerhörigkeit mit hörsturzartiger Verschlechterung besonders
nach Kopftraumen findet, sodaß günstige Voraussetzungen für den Hörerfolg aufgrund
der bereits vorhandenen Hörerfahrung vorliegen (perilinguale Ertaubung).
Bei schweren Formen der Missbildung, z. B. Common Cavity sind in der Regel die Ergebnisse
schlechter als der Durchschnitt der Kinder mit normaler Anatomie [57].
4.5.3 Obliteration/Ossifikation ([Abb. 38])
Obliterationen und Ossifikationen können auftreten bei einer Vielzahl von Grunderkrankungen,
z. B. posttraumatisch, postmeningitisch, Otosklerose, chronisch entzündlichen Erkrankungen
mit Innenohrbeteiligung wie Morbus Wegener (Granulomatose mit Polyangiitis) oder Cogan-Syndrom.
Initial handelt es sich um eine Bildung von Entzündungs- und Granulationsgewebe, gefolgt
von bindegewebiger Umwandlung, gefolgt von Ossifikation. Für das chirurgische Vorgehen
ist deswegen die präoperative Bildgebung mit hochauflösendem CT oder DVT sowie Kernspintomographie
mit Kontrastmittel entscheidend, um Ausmaß, Grad und Stadium der Obliteration anzuzeigen.
So findet sich ein ausgeprägtes Kontrastmittel-Enhancement bei frischen Entzündungsprozessen,
das bei eingetretener Ossifikation abgeklungen ist. Die Knochenumbauprozesse der Schneckenkapsel
bei Otosklerose sind pathognomonisch [58].
Abb. 38 Obliteration der Cochlea. Verschiedene Stadien. Split Array-Elektrode bei kompletter
Ossifikation.
Die Obliteration startet meistens im Bereich des Runden Fensters und breitet sich
nach apikal aus, allerdings sind bei postmeningitischer Ertaubung auch verschiedene
andere Obliterationsorte zu beobachten.
Bei partieller Obliteration ([Abb. 38]) besteht das Ziel darin, den Teil der Cochlea mit Obliteration freizuräumen, z. B.
durch Entfernen des einliegenden Gewebes, bis man das offene Lumen der Scala tympani
oder der Scala vestibuli der apikal von der Obliteration gelegenen Cochlea-Anteile
erreicht. Zur Vorbereitung der Insertion sollte zusätzlich eine steifere Probeelektrode
eingeführt werden, eine sogenannte Stiff-Probe, mit der es möglich ist, auch kleinere
Hindernisse innerhalb der Cochlea zu überwinden und so den Weg für eine danach einzuführende
Elektrode aufzudehnen. Liegt eine über den geraden Teil der basalen Windung reichende
Obliteration vor, ist ggf. die Anlage einer zweiten Cochleostomie im Bereich der zweiten
Windung erforderlich. Sie wird anterior des Steigbügels, inferior des Processus lenticularis
und des M. tensor tympani angelegt Dort erreicht man dann in der Regel das Lumen der
zweiten Windung und kann auch retrograd den weiteren Verlauf der ersten Windung erreichen
[59]. So kann die Verbindung zum Bohrkanal in der basalen Windung hergestellt und die
Elektrode ggf. dann über eine längere Strecke eingeführt werden. Gelingt diese Verbindung
der beiden Bohrkanäle in der basalen Windung nicht, kommt der Einsatz eines Split-Arrays
in Betracht mit einer Elektrode in der basalen und einer zweiten Elektrode in der
zweiten Windung ([Abb. 38]).
Insgesamt sind die Hörergebnisse deutlich schlechter als bei regulär eingeführter
Elektrode, da der Hörnerv nur partiell stimuliert wird, die elektrische Feldausbreitung
durch die Ossifikation und deren operative Entfernung verändert ist und zusätzlich
ein Schädigung bzw Verlust der Spiralganglienzellen durch die Grundkrankheit vorliegt.
Bei partieller Obliteration und komplett inserierter Elektrode ergeben sich keine
signifikanten Performance-Unterschiede.
4.5.4 Cochlea-Implantat und Facialisstimulation
Bei bestimmten Erkrankungen ergibt sich ggf. ein erhöhtes Risiko der Facialisreizung
nach Cochlea-Implantation. Die Inzidenz wird zwischen 1 und 14% angegeben [60]. Dazu zählen z. B. die fortgeschrittene Otosklerose, Felsenbeinfrakturen, Mißbildungen
oder Knochenumbauprozesse anderer Art. Bei sehr schwer ausgeprägter Facialisreizung
ist ggf. die Nutzung des Implantates in Frage gestellt. In der Regel kann durch Abschaltung
einzelner Elektroden, durch Reduktion der Stimulationslevel oder durch Änderung des
Reiz-Paradigmas z. B. eine tripolare Stimulation das Problem beherrscht werden. Sollte
dies nicht gelingen oder führen diese Maßnahmen zu einem deutlichen Performance-Verlust,
ist die Reimplantation mit ggf. einem anderen Cochlea-Implantat-System zu überlegen.
Bei lateralen Elektroden kann ein Wechsel auf eine vorgeformte Elektrode erfolgreich
sein [61]. In letzter Zeit konnte gezeigt werden, dass die Reimplantation mit einem Oticon
Neuro-Implantat die Fazialisstimulation auch in schweren Fällen beseitigen konnte
und zu einer deutlich verbesserten Hörleistung führt. Dieses Implantat verfügt über
einen grundsätzlich anderen Stimulationsmodus mit sogenannter pseudo-monopolarer Stimulation
und einer kombinierten Common-Ground-Elektrode. Beides führt zu einer deutlichen Reduktion
der Feldausbreitung innerhalb der Cochlea und insbesondere zu einer kleineren Amplitude
der für die Facialisreizung verantwortlichen kathodischen Phase des biphasischen elektrischen
Reizes (73).
4.5.5 CI bei Vestibularis und Cochlearisschwannom (Akustikusneurinom) ([Abb. 39])
Ist der Hörnerv funktionell erhalten und die Cochlea implatationsfähig, kann ein CI
grundsätzlich für die Hörrehabilitation eingesetzt werden.
Abb. 39 Vestibularis-Schwannom und CI.
Folgende Konstellationen sind zu unterscheiden:
-
Intracochleäres Schwannom mit progredienter hochgradiger Schwerhörigkeit
-
Extracochleäres Schwannom ohne Behandlung
-
Extracochleäres Schwannom nach Radiotherapie
-
Z.n. operativer Entfernung eines Vestibularisschwannoms mit konsekutiver Ertaubung
-
Bilaterale Schwannome bei Neurofibromatose Typ 2 (NF 2)
Im ersten Fall führt das Schwannom zur Ertaubung ohne Beeinträchtigung der Funktion
des N. cochlearis. Der Tumor kann in geeigneter Weise durch das runde Fenster oder
durch eine Cochleostomie entfernt und die CI-Elektrode eingesetzt werden [63].
Beim unbehandelten extracochleären Vestibularisschwannom kommt es zu einem Hörverlust
durch Beeinträchtigung der cochleären Durchblutung und zu einer Schädigung der Nervenfasern,
die bei weiterer Größenzunahme des Tumors zunimmt. In Abhängigkeit dieser beiden Mechanismen
kann die Funktion des Hörnerven mehr oder minder ggf. auch progredient eingeschränkt
sein. Dadurch variieren die Ergebnisse sowohl inter- als auch intraindividuell im
Zeitverlauf. Ein anfänglich gutes Hörergebnis kann sich im weiteren Verlauf deutlich
verschlechtern. Voraussetzung für eine CI-Versorgung ist ein positiver Promontoriumtest,
ggf. ergänzt durch eine intracochleäre Probestimulation.
Dasselbe trifft für die Situation nach Radiotherapie zu.
Liegt ein Zustand nach mikochirurgischer Tumorentfernung mit anatomisch erhaltenem
Hörnerven vor, muß zunächst dessen funktionelle Integrität durch Promontoriumtest
und intracochleäre Probeelektroden nachgewiesen werden. Ist diese gegeben, kann eine
CI-Versorgung vorgenommen werden mit auch dauerhaft stabilem Hörerfolg ([Tab. 6]). Dabei zeigt sich, daß die Ergebnisse nach Mikrochirurgie besser sind als nach
Radiotherapie. Sie sind am schlechtesten bei Patienten mit Neurofibromatose Typ 2,
wohl auf Grund des aggressiven infiltrativen Tumorwachstums in den Hörnerven. In diesen
Fällen ist eine auditive Rehabilitation nur mit zentral-auditorischen Implantaten
(Auditorisches Hrnstamm-Implantat ABI, Auditorisches Mittelhirnimplantat AMI) möglich
[56].
Tab. 6 Hörergebnisse mit CI bei Vestibularisschwannom.
|
n
|
Einsilber%
|
HSM in Ruhe%
|
HSM S/N 10 dB%
|
|
Wait and Scan
|
44
|
55 (0–65)
|
59 (0–75)
|
25 (0–45)
|
|
Radiotherapie
|
19
|
33 (0–55)
|
30 (0–55)
|
12 (0–35)
|
|
Mikrochirurgie
|
53
|
67 (0–85)
|
74 (5–85)
|
27 (0–55)
|
|
NF 2
|
11
|
21 (0–55)
|
27 (0–35)
|
5 (0–10)
|
4.6 Cochlea-Implantation bei Kindern
Bei Kindern gelten besondere Qualitäts-Anforderungen in der Chirurgie [65]
[66]. Allgemein zu beachten sind die Unreife der Organe wie Lunge und Herz-Kreislaufsystem,
die Hypothermieanfälligkeit sowie häufig vorliegende Zusatzbehinderungen. Im Vordergrund
steht daher die Sicherheit des Kindes, um schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden.
Der Wahleingriff sollte daher unter Mitwirkung erfahrener Kinderanästhesisten geplant
und durchgeführt werden. In der Regel kann der Eingriff ab dem 7. Lebensmonat ohne
erhöhtes Narkose- und OP-Risiko durchgeführt werden. Liegt eine postmeningitische
Ertaubung vor, so kann bei Zeichen einer beginnenden Obliteration die Operation auch
zu einem früheren Zeitpunkt unter Beachtung des Allgemeinzustandes durchgeführt werden.
Inraoperativ ist auf eine sorgfältige Blutstillung zu achten, um den Blutverlust bei
der geringen Gesamtblutmenge von Kleinkindern zu minimieren. Gegebenenfalls muß bei
kreislaufwirksamem Blutverlust eine sequentielle Implantation statt einer geplanten
simultanen bilateralen Operation durchgeführt werden.
HNO-chirurgisch relevante Faktoren für die CI-Operation sind das Kopfwachstum, die
akute und chronische Otitis media mit ihren verschiedenen Formen, die dünne Schädelkalotte
sowie die dünnere Weichteilbedeckung. Ziel ist eine langzeitstabile Implantatlage
mit geringst möglicher Komplikationsrate. Im Rahmen der alterstypisch gehäuften Mittelohrerkrankungen
einschließlich der Otitis media kommt der Abdichtung des Innenohres zur Vermeidung
einer Labyrinthitis sowie dem vollständigen Ausbohren des Mastoids zur Vermeidung
einer potentiellen Mastoiditis besondere Bedeutung zu. Aufgrund der kleineren Verhältnisse
kann es schwierig sein, das Elektrodenträgerkabel im ausgebohrten Mastoid zu positionieren.
Hier sollte auf eine spannungsfreie Lage geachtet werden, um eine postoperativ durch
Schädelwachstum auftretende Elektrodendislokation zu vermeiden. Wichtig ist auch die
sichere Fixation des Implantates in einem sorgfältig angelegten Knochenbett sowie
der Schutz der Elektrode durch einen Verbindungstunnel oder -kanal zum Mastoid. Die
Elektrodenfixation nahe der Cochlea ist ebenfalls entscheidend zur Vermeidung von
Elektrodenmigration.
Die Komplikationsrate wird mit ca 10% angegeben, bei 5% schwere Komplikationen, die
meisten treten als Spätkomplikationen auf [66]
[67].
4.7 Reimplantation
Reimplantationen werden mit der zunehmenden Zahl implantierter Patienten auch in ihrer
Häufigkeit zunehmen. Sie werden aus folgenden Gründen ausgeführt:
-
Technischer Defekt des Implantates
-
Medizinische Komplikationen
-
Upgrade bei Bad-Performern sowie nicht mehr lieferbaren Ersatzteilen externer Implantatkomponenten
(Out of Service)
Reimplantationen folgen denselben chirurgischen Prinzipien wie bei der Erstimplantation,
gehen aber mit einem erhöhten Komplikationsrisiko einher. Dabei ist in Abhängigkeit
von der Ursache darauf zu achten, dass nach Möglichkeit dieselben Elektroden und Implantate
in der neuesten Version Verwendung finden, da sich in der Regel um die Elektrode ein
Bindegewebsschlauch gebildet hat. Bei Reimplantation mit einem anderen Elektrodenträger
kann dies zu Insertionsschwierigkeiten führen. Die Verwendung geeigneter Hilfsmittel
wie Stiff-Probe oder Entfernung neu gebildeten Bindegewebes ist dann hilfreich. Außerdem
sollte die Insertion unter Durchleuchtungskontrolle stattfinden. Nach Herauslösen
des Implantates aus dem umgebenden Weichgewebe wird der Elektrodenträger im Mastoid
bis zur posterioren Tympanotomie verfolgt. Dort erfolgt die Identifikation von N.
facialis, Chorda tympani, Promontorium mit Eintritt der Elektrode in die Cochlea.
Das Implantat wird hier von der Elektrode getrennt. Nach Anpassung des Knochenbettes
und des Verbindungspfades zum Mastoid wird das neue Implantat eingesetzt. Die Reimplantation
erfordert besondere Erfahrung des Operateurs, der Elektrodenwechsel sollte erst nach
Durchführung der vorbereitenden Schritte wie zB. Anpassung des Implantatbettes und
Präparation des Elektrodeneintrittsortes in die Cochlea erfolgen, um hier einen Kollaps
des intracochleären von Bindegewebe umgebenen Elektrodenkanals mit konsekutiven Problemen
bei der Elektrodeninsertion zu vermeiden.
Schwierigkeiten beim Elektrodenwechsel können sich vor allem bei eingetretener Obliteration
oder Ossifikation um die Elektrode ergeben ([Abb. 40]). Dann ist es erforderlich, das neugebildete Gewebe um den Elektrodenträger für
dessen Extraktion zu entfernen. Gelingt dies nicht im entsprechenden Maß, kann es
zum Abriß der Elektrode mit dann intracochleär verbleibenden Teilen kommen. Nachfolgend
kann die neue Elektrode nur partiell inseriert werden ([Abb. 40]), was zu einer verschlechterten Performance führt.
Abb. 40 Reimplantation mit verschiedenen Elektrodensystemen und Auswirkung auf die Hörperformance.
Sollten Elektrodensysteme nicht mehr verfügbar sein, ist auf ein ähnliches System
umzustellen. Bei Patienten mit sehr tiefer Elektrodeninsertion sollte versucht werden,
durch Verwendung einer langen Elektrode diese Situation wiederherzustellen, um auch
apikale Anteile der Cochlea mit zu stimulieren. Anderenfalls kann es zu einer Verschlechterung
der Hörperformance kommen, insbesondere bei früh implantierten prälingual ertaubten
Patienten.
Revisionsraten werden in der Literatur mit 7–8% angegeben [68]
[69]. Im Mittel werden vergleichbare Hörergebnisse bei Verwendung derselben Elektrode
und desselben Implantates erzielt, sofern die Elektrodenlage identisch ist [70]. Dies ist nicht immer zu erzielen. So finden sich zT. erhebliche Differenzen in
der Insertionstiefe prä- versus post reimplantationem. Diese und andere Faktoren können
zu erheblichen Differenzen im Sprachverstehen führen ([Abb. 41]). Bei einem technologischen Upgrade, d. h. einem technologisch weiterentwickelten
Cochlea-Implantat-System, können unter dieser Voraussetzung bessere Hörergebnisse
erzielt werden [68]. Bei prälingualer Taubheit können sich auch schlechtere Hörergebnisse finden, insbesondere
dann, wenn hinsichtlich Elektrodenlage, Elektrodentyp und Art der Sprachverarbeitungsstrategie
erhebliche Unterschiede vorliegen [71]. Kommt es bei der Reimplantation zu einer anderen Elektrodenlage z. B. mit geringerer
Cochlear Coverage respektive Insertionswinkel, kann dies zu einer Verschlechterung
der Performance führen. Offensichtlich ist das Hörsystem bei prälingualer Taubheit
durch ein bestimmtes elektrisches Stimulationsmuster spezifisch geprägt.
Abb. 41 Reimplantation. Differenzen prä- und postoperativ hinsichtlich Insertionstiefe der
Elektrode und Sprachverstehen.
4.8 Komplikationen
Bei Komplikationen ist zwischen technischen und medizinischen Komplikationen zu unterscheiden.
4.8.1 Implantatausfälle (technische Komplikationen)=Device Failure
Implantatausfälle treten zwischen 2% und 4% der Fälle auf. Sie sind bei Kindern häufiger
als bei Erwachsenen, was auf eine höhere Inzidenz äußerer Gewalteinwirkungen als Ursache
schließen lässt. Durch stetige Verbesserung der Implantatsicherheit konnte deren Rate
deutlich gesenkt werden. Ihre Häufigkeit hängt vom technologischen Reifegrad des Implantates
sowie seiner ordnungsgemäßen Anwendung ab. Die Ergebnisse der gesetzlich vorgeschriebenen
postoperativen Fehleranalysen und die Erfahrungen der Anwender können für eine kontinuierliche
Verbesserung der Implantatsicherheit und damit zur Reduktion der Fehlerrate eingesetzt
werden. Voraussetzung dafür ist ein konsequentes Datenmanagement zur möglichst vollständigen
Erfassung aller auftretenden potentiellen Device Failures in Form z. B. von Implantat-Registern.
Diese können sowohl von den einzelnen Herstellern als auch herstellerunabhängig z. B.
als bundesweites CI-Register, wie es zurzeit von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde,
Kopf- und Hals-Chirurgie aufgebaut wird, geführt werden. Diese Register erfordern
die Mitarbeit möglichst aller Cochlea-implantierenden Kliniken, um so einen möglichst
vollständigen Datensatz zu erhalten.
Gleichzeitig müssen einheitliche Kriterien für Definition, Typisierung und Reporting
vereinbart und eingehalten werden [72]. Hier haben sich verschiedene internationale Standards für eine Vielzahl von aktiven
Implantat-Systemen etabliert, die im Grundsatz auch auf Cochlea-Implantat-System anwendbar
sind. Wichtig ist dabei die Langzeiterfassung aller jemals in den Verkehr gebrachten
Implantat-Typen und Implantat-Generationen, um kumulative Fehlerraten zu bestimmen.
Diese Cumulative Failure Rate (CFR) besagt, wie viele Implantate eines bestimmten
Typs zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr funktionstüchtig sind. Umgekehrt gibt
die Cumulative Survival Rate (CSR) an, wie viele Implantate noch einwandfrei zu einem
bestimmten Zeitpunkt nach deren Implantation funktionieren.
Neben kompletten können auch partielle technische Ausfälle auftreten wie z. B. Ausfall
eines der Elektrodenkontakte [73]. Entscheidend für den Patienten ist dabei die durch den Fehler bedingte Auswirkung
auf die Hörleistung, entweder als kompletter oder Teilausfall. Dieses Decrement of
Performance sollte die gemeinsame Definitionsbasis für das Fehler-Reporting sein.
Meistens geht das Decrement of Performance auch mit einem technischen Out of Specification
einher, d. h. das Implantat erfüllt nicht mehr alle vorgegebenen technischen Funktionen.
Nicht jeder technischer Fehler muß sich auf die Hörperformance auswirken, z. B. der
Ausfall einzelner Elektrodenkontakte bei ansonsten voll funktionstüchtigem Implantat.
Die technische Spezifikation (Funktionstüchtigkeit) kann durch geeignete Funktionstests
des Implantates, sogenannte Integrity-Tests herstellerseitig am Patienten überprüft
werden. Einschränkend bleibt festzuhalten, daß damit nicht sämtliche Funktionalitäten
des Implantates geprüft werden können, so dass durchaus eine vom Patienten berichtete
und im Hörtest nachweisbare Verminderung der Hörleistung vorliegen kann, ohne dass
ein entsprechender Device Failure nachgewiesen werden kann (sogenannte Soft-Failure).
Ist bisher ein Fehler-Typ noch nie aufgetreten und in der entsprechenden Test-Konfiguration
damit auch nicht vorgesehen, so kann eine entsprechende technische Überprüfung diesen
Fehler ggf. nicht erfaßt werden. Bei entsprechender Datenbankabfrage wird sich ebenfalls
kein Fehler finden lassen, obwohl in der Realität bereits mehrere Patienten davon
betroffen sein können [73].
Auf der Basis der eingetretenen Fehler haben die Hersteller zahlreiche sogenannte
Corrective Actions durchgeführt und ihr Implantat-Design kontinuierlich verbessert,
um die CFR zu reduzieren. Dies ist anhand der publizierten Reports über die Implantate
verschiedener Generationen auch nachvollziehbar. Ein prominentes Beispiel solcher
Corrective Actions stellt die Umstellung von Keramik- auf Titangehäuse dar, die sich
im Nutzungsalltag als deutlich robuster und weniger fehleranfällig, insbesondere im
Hinblick auf Stoßfestigkeit und Undichtigkeiten erwiesen haben.
Eine Reimplantation ist immer dann indiziert, wenn durch den Device Failure die Hörleistung
signifikant beeinträchtigt wird. Dies trifft auch für intermittierend berichtete Failure
zu, die ggf. schwer zu erfassen sind, da sie evtl. zum Testzeitpunkt nicht vorhanden
sind. Typische Ursache für intermittierende Fehler sind z. B. Brüche des Antennenkabels
oder des Elektrodenauslasses aus dem Implantatgehäuse.
Am häufigsten liegen bei den technischen Ausfällen Gehäuseschäden durch externen Impact,
z. B. Schläge oder Unfälle, Undichtigkeiten im Bereich des Elektrodendurchtritts (Feed-throughs),
Ausfall von Elektronikkomponenten oder Kabelbrüche im Elektrodenträger vor [74].
Wichtig ist die intraoperative Funktionskontrolle des Implantates, um bereits bestehende
oder im Rahmen der Implantation auftretende Implantatdefekte zu erkennen und unmittelbar
intraoperativ eine Reimplantation vorzunehmen.
Zur Früherfassung von Device Failures kommt dem Data Logging, der Selbstüberprüfung
des Implantates und der telemedizinischen Übermittlung der so erhobenen Daten besondere
Bedeutung zu (s. Abschn. 2.1.6–8).
Eine Reimplantation ist dann indiziert, wenn dadurch die Hörleistung signifikant beeinträchtigt
wird. Intermittierende Fehler sind technisch schwierig zu erfassen, ebenso Soft Failure,
bei denen der Patient glaubhaft eine Hörverschlechterung aufweist, durch die verfügbaren
technischen Möglichkeiten jedoch ein Defekt nicht verifizierbar ist.
Bei festgestelltem Implantatausfall sollte die Reimplantation möglichst rasch durchgeführt
werden, um somit die bis dahin erreichte Hörleistung nicht zu gefährden. Dies trifft
insbesondere für Kinder zu, bei denen die weitere Hör-Sprach-Entwicklung von einem
einwandfrei funktionierenden Implantat in besonderem Maße abhängig ist. Das gilt insbesondere
für Kinder mit nur einseitiger Versorgung [75]
[76].
4.8.2 Medizinische Komplikationen ([Abb. 42])
Sie können durch adäquate Operationstechnik in der Regel vermieden werden. Eine niedrige
Komplikationsrate ist Ausdruck eines hohen Qualitätsstandards der Cochlea-Implantation
und eines ausreichenden Trainings durch eine adäquate Mindestzahl ausgeführter Operationen
pro Jahr und Operateur [67]
[77]
[78]
[79]
Hier gilt ähnliches wie bei den technischen Komplikationen. Auch hier konnte durch
das systematische Sammeln und Auswerten klinischer Daten eine signifikante Reduktion
der Komplikationsrate erzielt werden [67]. Wesentlich dazu beigetragen haben eine verbesserte Operationstechnik und das postoperativen
Follow Up der Patienten an großen Zentren. So werden heute trans- oder suprameatale
Zugänge zum Innenohr auf Grund ihrer höheren Extrusionsrate der Eletrode nur noch
selten verwandt, ebenso gehören große Schnittführungen mit weiter Exposition des Knochens
der Vergangenheit an.
Zu unterscheiden sind intraoperative von postoperativen Komplikationen.
Intraoperative Komplikationen
Intraoperative Komplikationen können in Form von Verletzungen z. B. des N. facialis,
des Trommelfells, des äußeren Gehörgangs, der Chorda tympani, des Sinus sigmoideus,
der Dura oder des Innenohrs mit Eröffnen des Modiolus, Gusher und Elektrodenfehllagen
([Abb. 42]) sowie Schädigungen des Labyrinths mit postoperativem Schwindel sowie Tinnitus auftreten.
Verletzungen der Arteria carotis interna sind ebenfalls beschrieben. Durch genaue
Analyse der präoperativen Bildgebung sowie Anwendung intraoperativer Hilfsverfahren
wie Monitoring oder Navigation lassen sich auch bei schwieriger anatomischer Konstellation
viele dieser Komplikationen vermeiden. Eine wichtige Voraussetzung sind ausreichendes
Training und Erfahrung des implantierenden Chirurgen. Im Sinn der Sicherung der Prozeßqualität
stellt sich dabei die Frage nach der erforderlichen Mindestzahl von Implantationen
pro Jahr, die von einem Chirurgen ausgeführt werden sollte. Dies trifft vor allem
für die CI-Operation im Kindesalter zu, da hier durch die lebensaltersbezogenen Risikofaktoren
verursachte Komplikationen durch eine adäquate chirurgische Technik zu minimieren
und durch geeignete konservative und chirurgische Maßnahmen zu behandeln sind (s.
Abschnitt CI-OP im Kindesalter). Treten intraoperativ Komplikationen auf, erfordern
diese in der Regel Sofortmaßnahmen zu ihrer Beherrschung. Dazu zählen die Blutstillung,
die Duraplastik, Stopp eines Gusher, die Rekonstruktion des Nervus facialis, der hinteren
Gehörgangswand und des Trommelfells sowie die Korrektur einer Elektrodenfehllage.
Die Rate intraoperativer Komplikationen wird mit 1–5 Prozent angegeben [67]
[77]
[78]
[79].
Postoperative Komplikationen
Hier ist zwischen schweren und leichten Komplikationen zu unterscheiden. Leichte Komplikationen
wie Otitis media ggf. mit Mastoidbeteiligung können in der Regel durch konservative
Maßnahmen mit Antibiotikagabe beherrscht werden. Zusätzlich können vorübergehende
Hörminderungen mit Erhöhung der Elektrodenimpedanzen auftreten, die gut auf zusätzliche
Kortisongabe ansprechen.
Schwere Komplikationen betreffen die bedeckenden Weichteile, den N. facialis, die
Elektrodenmigration sowie Infektionen.
Weiterhin sind Hautkomplikationen über dem Implantat z. B. durch zu starken Magnetdruck
besonders bei herausstehendem Implantat zu nennen, so dass es ggf. zum Freiliegen
und Extrusion des Implantates kommt ([Abb. 43]). Bei unzureichender Fixation des Implantates kann es zur Migration nach kaudal
und vorne bis zur Extrusion kommen. Bei unzureichender Weichteilbedeckung des Elektrodenträgers
z. B. in einer Radikalhöhle oder bei Defekt der hinteren Gehörgangswand kann es zum
Freiligen kommen ([Abb. 42]). Es hat sich hier bewährt, grundsätzlich bei diesen Fällen zunächst eine subtotale
Petrosektomie mit Obliteration auszuführen und im zweiten Schritt mit zeitlichem Abstand
die eigentliche Cochlea-Implantation [51]
[52]
Abb. 43 Schwere Hautnekrose durch Implantat-Migration und deren plastisch-chirurgische Versorgung.
Bei einer postoperativen Facialisparese muß zwischen einer direkten Verletzung des
Nerven zB durch Bohrer und einer sekundären Parese durch ein Ödem oder Reaktivierung
einer latenten Virusinfektion unterschieden werden. Ein postoperativ angefertigtes
hochauflösendes CT oder DVT zeigt eine potentielle Verletzung des knöchernen Nervenkanals
sowie die Lage des Elektrodenträgers zum ggf freiliegenden Nerven an. Liegt eine sekundäre
Parese vor, kann unter hochdosierter Kortisongabe zugewartet werden, ob sich eine
rasche Erholung der Nervenfunktion einstellt, ansonsten ist auch hier wie bei der
primären Parese eine operative Revision mit Inspektion, Dekompression und eventuell
Rekonstruktion auszuführen [80].
Bei Kontakt des Elektrodenträgerkabels zu den bedeckenden Weichteilen kann es durch
Weiterleitung mechanischer Bewegungen in das Innenohr zu Schwindel, Tinnitus sowie
Schädigung des Restgehörs kommen.
Postoperativ auftretender Schwindel erfordert eine genaue Vestibularisdiagnostik.
Hier ist Schwindel mit und ohne Betrieb des Implantates zu unterscheiden [81]. Potentielle Mechanismen betreffen eine Schädigung von Utriculus und Sacculus während
der Operation, der Verschluß des Aquaeductus cochleae durch die Elektrode sowie (neugebildetes)
Gewebe, auch Bogengangsarrosionen können auftreten. Tritt Schwindel nur bei Betrieb
des Implantates auf, ist eine Umprogrammierung erforderlich. Persistiert der Schwindel
trotz konservativer Therapie, ist ggf eine operative Revision oder Reimplantation
erforderlich.
Postoperativ auftretender Tinnitus kann in der Regel durch Gabe von Cortison behandelt
werden, ebenso der Schwindel. Längerfristiger Tinnitus kann ggf. zusätzliche Maßnahmen
wie z. B. Verhaltenstherapie oder kognitive Therapie erfordern.
Treten Komplikationen auf, ist unverzüglich die entsprechende Behandlung zu deren
Beherrschung durchzuführen. In geeigneter Weise sollte bei Migration und Extrusion
das Implantat im Knochen verankert, z. B. durch Anlage eines Knochenbettes an geeigneter
Stelle, Fixation des Implantates durch kreuzende Fäden und mit einer ausreichenden
Weichteilbedeckung, z. B. durch Bilden eines Muskelrotationslappens aus dem M. temporalis
geschützt werden. Bei Elektrodenmigration kann die Elektrode in der Regel vollständig
reinseriert werden ([Abb. 42]). Auf eine cochleanahe Fixation mit geeigneten Methoden ist zu achten. In der Regel
können diese Maßnahmen ohne Implantatverlust ausgeführt werden.
Infektionen, die auf das Implantat übergreifen, können auch in das Innenohr mit konsekutiver
Labyrinthitis und Post-Implantations-Meningitis vordringen [82]. Auf Grund des ausgebildeten Biofilms ist in der Regel die Explantation erforderlich
[83]. In Fällen ohne Innenohrbeteiligung (keine cochleovestibulären Symptome, s. o.)
sollte die Reizelektrode in der Cochlea belassen werden, sofern die Infektion nicht
in die Schnecke fortgeleitet wurde. Dies erleichtert die Reimplantation im Intervall
erheblich.
Auf eine ausreichende Infektionsprophylaxe ist zu achten. Grundsätzlich gilt eine
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Meningitis [84], deswegen sollten alle Patienten präoperativ sich einer Impfung gegen Haemophilus
influenzae und insbesondere Streptococcus pneumoniae unterziehen.
Die Rate postoperativer Komplikationen wird zwischen 2 und 10% angegeben [67]
Die Rate entzündlicher Komplikationen bei Kindern ist mit 6,9% deutlich höher als
bei Erwachsenen, ebenso die Rate der Elektrodenmigration. Diese tritt vor allem bei
atraumatischen Lateral Wall-Elektroden ([Abb. 40]) auf. Sie macht sich durch einen Hörverlust sowie fehlende NRT-Antworten auf den
aus der Cochlea migrierten Elektrodenkontakten bemerkbar. In der Regel ist eine operative
Revision mit Reinsertion der Elektrode und adäquater Fixation [42] erforderlich.
Komplikationen erfordern ein adäquates Management, das von dem Cochlea-Implantat-Operateur
beherrscht werden muss. Durch permanente Verbesserung der chirurgischen Technik lässt
sich eine deutliche Verminderung der Komplikationsrate erzielen.
Einen Überblick gibt [Tab. 7].
Tab. 7 Langzeitkomplikationen bei CI.
|
Langzeit-Komplikationen/n=1150:
|
|
|
|
4
|
|
|
12
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|
|
4
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|
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3
|
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1
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|
|
5
|
|
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6
|
|
|
35
|
5. Postoperative Anpassung und Hör-Sprach-Training
5. Postoperative Anpassung und Hör-Sprach-Training
5.1 Prinzipien und Inhalte
Die postoperative Anpassung des Implantat-Systems an die individuellen Reizbedingungen
des Hörnerven kann als Früh- oder als Erstanpassung ausgeführt werden. Bei der Frühanpassung
erfolgt die Aktivierung unmittelbar nach der Operation, bei der regulären Erstanpassung
nach Abschluss der Einheilungsphase ca. fünf bis sechs Wochen postoperativ. Bei der
Frühanpassung erhält der Patient die Chance, sich bis zur Erstanpassung bereits an
das Hören mit Cochlea-Implantat schrittweise zu gewöhnen. Nachteilig wirkt sich die
ggf. noch nicht ausreichende Feineinstellung aus, so dass evtl. das erzielte Hörergebnis
für den Patienten zunächst noch enttäuschend ist.
Bei der Anpassung werden zunächst für jeden Elektrodenkontakt der sogenannte T- und
C-Wert ermittelt. Darunter versteht man die minimale Stromstärke, bei der der Patient
gerade einen Höreindruck hat (T-Wert), sowie die Stromstärke, bei der der Patient
eine angenehme Lautheit des eingespielten Tones angibt. Die Differenz zwischen T-
und C-Level gibt den sogenannten Dynamikbereich an, in dem das akustische Signal angepasst
werden muss. Wichtig ist eine möglichst gleichmäßige Lautheitsempfindung über alle
Elektrodenkontakte des Elektrodenträgers [85].
Der gesamte Frequenzgehalt des übertragenen Schallsignals wird auf einzelne Frequenzbänder
aufgeteilt, diese dann den einzelnen Elektrodenkontakten respektive Kanälen des Implantates
zugeteilt. Die Zuordnung geschieht dabei ggf. nicht anatomiegerecht, jedoch in tonotoper
Ordnung, so dass hohe Frequenzanteile nahe am Runden Fenster, tiefe Frequenzanteile
näher zur Cochleaspitze hin abgebildet werden ([Abb. 9]).
Nach Ersteinstellung können gezielt Hörübungen zur Diskriminierung einfacher Geräusche,
rhythmisch-prosodischer Elemente und auch Wörtern, gefolgt von Vokal- und Konsonantunterscheidungsübungen
ausgeführt werden. In der Regel können die Patienten bereits im Rahmen der ersten
Anpassung einzelne Elemente von Sprache erkennen, so dass rasch der Schweregrad der
Trainingsaufgaben gesteigert werden kann. In einem iterativen Verfahren kann das Fitting
optimiert und so die Hörperformance im Zusammenspiel mit der zunehmenden Hörerfahrung
gesteigert werden.
Durch Verwendung verschiedener Übungsverfahren können dann auch einzelne Vokale und
Konsonanten, Zahlwörter, anschließend Einsilber und Sätze verstanden werden. Weitere
Elemente umfassen dann auch die Benutzung des Telefons und anderer Kommunikationsmittel,
das Sprachverstehen im Störgeräusch sowie das Richtungshören.
Aufgrund der hohen Leistungsfähigkeit heutiger Cochlea-Implantat-Systeme sowie der
deutlich verbesserten Ausgangsbedingungen heutiger Cochlea-Implantat-Kandidaten mit
meistens noch vorhandenem Restgehört, kurzer Ertaubungsdauer und ausreichender Hörerfahrung
mit Hörgeräten werden rasch wesentliche Erfolge erzielt, so dass Patienten in der
Regel nach einigen Tagen bereits über ein beginnendes offenes Sprachverstehen verfügen.
Durch konsequente Nutzung des Implantates sowie die bewusste Heranführung an verschiedene
Alltagssituationen kann das Hörspektrum erweitert werden. Gezielte Übungen ergeben
sich durch die Verwendung von Hörbüchern, zum Teil auch mit direkter Einkopplung in
den Sprachprozessor, was insbesondere bei Patienten mit einseitiger Taubheit zum gezielten
Training des tauben Ohres nach CI-Versorgung von Bedeutung ist.
Beim EAS-System ergeben sich erhöhte Anforderungen an die Einstellung der Systeme,
da hier zwei verschiedene Formen des Hörens effektiv miteinander kombiniert werden
müssen. Dies betrifft sowohl den aufzuteilenden Frequenzbereich als auch die gleiche
Lautheit der elektrisch und akustisch beschickten Kanäle sowie die Laufzeitkorrektur
des elektrischen Reizes.
Regelmäßige Überprüfung des Implantates sowie der Nervenreizantworten des Hörnerven,
weitere Verfeinerungen der Einstellung, das Hinzunehmen von zusätzlichen Hilfsmitteln
wie Zusatzmikrofon oder drahtloser Übertragungsanlage erweitern zunehmend die Hörerlebniswelt
des Patienten.
5.2 Erstanpassung und Training bei Kindern
Bei kongenitaler Taubheit verfügen die Patienten noch über keine eigene Hörerfahrung.
Hier kommt es auf die behutsame Heranführung des implantierten Kindes an die Hörwelt
an. Durch bewusste Kombination mit Umgebungsereignissen kann so die Verbindung zum
Hörraum hergestellt werden. Durch systematische Nutzung des neu eröffneten auditorischen
Sinneskanals gelingt es schließlich auch, die Sprachanbahnung zu erzielen und bei
konsequenter Frühförderung die rechtzeitige Lautsprachentwicklung in Gang zu setzen.
Dabei sind längere Zeiträume in Betracht zu ziehen, die der intensiven Betreuung in
spezialisierten Einrichtungen sowie der stetigen Förderung durch Frühfördereinrichtungen
ebenso dienen wie der kontinuierlichen täglichen Arbeit der Eltern mit dem hörgeschädigten
Kind
Bei Kindern kann die Anpassung auch auf der Basis objektiver z. B. intraoperativ erhobener
Parameter vorgenommen werden. Die ermittelten Schwellenwerte für den Stapediusreflex
und die elektrisch evozierten Compound Action Potentials (ECAPs) geben Anhaltspunkte
für die primäre Einstellung. Es lassen sich auch komplette ECAP-basierte Maps erstellen,
bei denen eine Korrektur des Stimulationslevels anhand der Verhaltensbeobachtung des
Kindes vorgenommen wird und allmählich eine Verbesserung der Einstellung nach Maßgabe
der Reaktion der Kinder erfolgt.
Zusätzlich finden elektrisch evozierte Hirnstammpotenziale (EABR) und EEG-Signale
[86] Anwendung. Zur Kontrolle der Tragegewohnheiten durch ein sogenanntes Data-Logging
zeichnet das Implantat mehrere Parameter wie z. B. tägliche Tragedauer auf. Diese
Informationen können zur Unterstützung der Rehabilitation eingesetzt werden [87].
Zukünftig wird die Anpassung der Systeme um automatisierte Elemente erweitert. Dabei
spielen zunehmend weitere objektive Messparameter wie kortikale elektrisch evozierte
Potentiale eine Rolle. Diese EEG-Anteile erlauben eine Beurteilung des bewußten Hörens,
der Aufmerksamkeit und der Diskriminationsfähigkeit des elektrisch kodierten akustischen
Reizes. Durch iterative Verfahren kann so die Sprachverarbeitungsstrategie für den
einzelnen Patienten und unterschiedliche Hörsituationen optimiert werden [87]
[88]
[89]. Dies kann auch für verschiedene Hörsituation unterschiedliche Einstellungen zur
Folge haben.
Die sogenannten Closed-Loop-Systeme werden in Zukunft deswegen zusätzliche EEG-Ableitelektroden
haben, die im Rahmen der CI-Operationen an vorbestimmten Punkten Temporalregion epi-
oder subdural platziert werden. Damit können die relevanten EEG-Komponenten, wie das
N1P1-Potential, die Mismatch-Negativity-Antworten oder auch P300 quasi online abgeleitet
werden [88]. Zusätzlich können bestimmte Frequenzanteile des EEG, die sogenannte Gamma-Aktivität
abgeleitet werden, die eine Aussage über die sogenannte Attention, also die Aufmerksamkeit
auf einen akustischen Reiz hin erlaubt. Durch gezielte Optimierung der Sprachverarbeitungsstrategie
zur Steigerung dieser EEG-Komponenten lässt sich eine Optimierung der Sprachverarbeitungsalgorithmen
für den einzelnen Patienten wahrscheinlich erzielen [89].
5.3 Hör- und Sprachtherapie
Grundsätzlich wird in der CI-Versorgung zwischen Basis- und Folgetherapie sowie der
lebenslangen Nachsorge unterschieden. Dabei haben die Basis- und Folgetherapie einen
hohen Stellenwert und sind integraler Bestandteil der CI-Versorgung. Bereits während
der Anpassung des Sprachprozessors beginnt die Basistherapie. Mit postlingual hörgeschädigten
Personen ist die Durchführung eines Hörtrainings ausreichend. Das Hörtraining knüpft
an die vorhandenen Hörerfahrungen und den individuellen Sprachstand an und verfolgt
das Ziel, umfassende akustische Erfahrungen für den Kontakt mit der Umwelt wieder
verfügbar zu machen und die binaurale Integration als kognitiven Prozess zu fördern.
Für die Hörtherapie haben sich nach langjähriger Praxis verschiedene Lerninhalte herauskristallisiert,
die bereits in der Basistherapie angebahnt und in der Folgetherapie ausgebaut und
gefestigt werden [90]. Diese Lerninhalte können unterschiedlichen Bereichen der zentral-auditiven Wahrnehmung
und Verarbeitung zugeordnet werden. Heutzutage lassen sich ergänzend Hörtrainings-Apps
oder online-Materialien einsetzen, mittels derer der CI-Träger selbständig und individuell
zu Hause trainieren kann [91].
Handelt es sich jedoch um pädagogische Maßnahmen an prälingual hörgeschädigten Kindern,
die das Ziel verfolgen, Höreindrücke mit den technischen Hörhilfen auszunutzen, eine
optimale Orientierung in der akustischen Umwelt zu ermöglichen und Grundlagen zur
umfassenden Lautsprachentwicklung zu schaffen, wird von „Hörerziehung“ gesprochen
[91]. In der Anfangsphase der Hörerziehung ist es wichtig, dass das Kind die gut eingestellten
Hörsysteme regelmäßig, möglichst ganztägig, trägt, damit sich das Hören zunehmend
als Alltagsfähigkeit entwickeln kann. Dann kann die Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung
und Identifikation bestimmter Geräusche gelenkt werden. Das Kind lernt, dass Hören,
wie Sehen, mit Information und Symbolik verbunden ist. Je höher nun die Aufmerksamkeit
für auditive Signale ist, desto besser lernt das Kind auch akustische Rückmeldungen
zu geben. Deshalb umfasst die Hörerziehung bei Kindern auch immer das Einbinden von
Übungen zur auditiven Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit. Diese Fähigkeiten bilden gemeinsam
mit der kognitiven Intelligenz eine entscheidende Grundlage zum Lautspracherwerb.
Die Förderung des hörgerichteten Lautspracherwerbs schließt sich parallel an und orientiert
sich an den gängigen sprachtherapeutischen Theorien und Methoden.
Der Erfolg von Hörtraining und Hörerziehung kann mit Hilfe von gängigen sprachaudiometrischen
Testmethoden geprüft werden.
5.4 Telemedizin/Remote Care
In zunehmendem Maße kommen die technischen Fortschritte dem Patienten im Hinblick
auf das Patient Empowerment zugute. Ziel ist dabei die möglichst heimatnahe und hörsituationsgerechte
Betreuung des Patienten über einen lebenslangen Zeitraum hinweg. Diese Nachsorge ist
dabei sowohl durch das Implantat-Zentrum zu leisten als auch durch ausgesuchte und
im Netzwerk verbundene Partner, die dezentral Aufgaben der Nachsorge und der Verbesserung
der Hörsituation übernehmen können. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Hörgeräteakustiker
sowie kooperierende Hals-Nasen-Ohren-Ärzte. Durch Einbindung in das Netzwerk und ein
einheitliches Datenmanagement können die erhobenen Daten bei einem Patienten lückenlos
dokumentiert und zwischen den Partnern ausgetauscht werden. Daraus ergeben sich vielfältige
Möglichkeiten der dezentralen Nachsorge bei gleichzeitigem Zugang zur vollen Expertise
des Implantat-Zentrums, sogenannte Hub and Spoke-Konstellation. Die Versorgung mit
Ersatzteilen, die Implantat-Kontrollen sowie verschiedene Formen der Feinanpassungen
und des technologischen Upgrades lassen sich so auch wohnortnahe durchführen.
Durch telemedizinische Verfahren lassen sich Fernanpassungen ausführen [92]. Dabei ist der Patient mit dem interagierenden Zentrum über eine Datenfernleitung
verbunden. Der Spezialist im Cochlear Implant Zentrum kann den Patienten beobachten
und mit ihm direkt sprechen. Ein direkter Zugriff auf das Implantat ist über einen
eingeschalteten Spezialisten vor Ort oder ein vom Patienten selbst bedientes Interface
möglich. Dadurch lassen sich Feinanpassungen, insbesondere in häuslicher Umgebung,
Technologiechecks und Upgrades der Software durchführen [93].
Über die telemedizinische Anbindung sind tägliche Implantatkontrollen möglich. So
können frühzeitig Impedanzanstiege als Zeichen einer beginnenden Labyrinthitis erkannt
werden. Remote Care ist insbesondere für die lebenslange Nachsorge von Bedeutung [94].
5.5 Self Fitting
Im Rahmen der zunehmenden Möglichkeiten der Kontrolle des Implantates können von dem
Patienten selbst verschiedene Einstellungsänderungen an dem Implantat und damit die
Optimierung an die jeweilige Hörsituation vorgenommen werden. Wichtig ist eine kontrollierte
Vorgehensweise, um Überstimulation und mangelnde Lautheit zu vermeiden. Die automatisierte
Funktionskontrolle der Implantate sowie die implementierten Möglichkeiten zur Performance-Testung
erlauben eine zunehmende Beteiligung des Patienten und damit auch eine Selbstbehandlung
z. B. durch Verwendung geeigneter Training-Apps. Über Apps lässt sich jederzeit auch
die Verbindung mit dem Implant-Zentrum herstellen. Die Auswertung der Meßdaten kann
automatisiert erfolgen. Die Bewertung durch lernende Systeme (KI) erlaubt außerdem
die fortlaufende Erfolgskontrolle und Abgleich mit dem Vorhersagewert der Performance.
So lassen sich frühzeitig Abweichungen in der Performance sowie technische und medizinische
Komplikationen (Anstieg der Elektrodenimpedanzen) erkennen.
5.6 Folgeanpassungen, Rehabilitation und Nachsorge
In der Zwischenzeit haben sich verschiedene Versorgungsmodelle herausgebildet, die
alle das Ziel einer möglichst lebenslangen, individuellen und lebenssituationsbezogenen
Nachsorge haben. Dabei sollen die Möglichkeiten des Patienten in seinem sozialen und
beruflichen Umfeld optimal genutzt und ggf. spezifische Unterstützung geleistet werden.
Verschiedene Elemente sind zu adressieren:
-
Regelmäßige Überprüfung der Implantat-Funktion, Upgrades von Hard- und Software, Versorgung
mit Ersatzteilen und Zubehör
-
Anpassung der Nachsorge an die Lebensumstände, in Form eines dezentralen Partnernetzwerkes
(s. o.) oder durch das Implantat-Zentrum
-
Dauerhaft Zugang zur Expertise des Implantat-Zentrums und weiterer Partner durch Remote-Care.
5.6.1 Rehabilitation
Zur Unterstützung des Hör- und Spracherwerbs, insbesondere bei Kindern, sind spezifische
Rehabilitationsmaßnahmen sinnvoll. Dies trifft auch für Erwachsene zu, bei denen die
erzielten Fortschritte langsam sind oder aufgrund ungünstiger prognostischer Faktoren
wie Langzeitertaubung eine intensivere therapeutische Herangehensweise sinnvoll ist.
Es lassen sich damit zumindest vorübergehend signifikant bessere Hörergebnisse erzielen
[95].
5.6.2 Lebenslange Nachsorge
Nach Implantation ist eine lebenslange Nachsorge in der Verantwortung des Operateurs
zu organisieren und durchzuführen. Diese bezieht sich sowohl auf die technische Überprüfung
als auch auf die Einstellung der Implantate. Weiterhin ist ein regelmäßiges Update
der Soft- und Hardware erforderlich. Damit werden Fortschritte in der Implantattechnologie
für die Patienten nutzbar gemacht. Außerdem können so medizinische Komplikationen
und Funktionsausfälle erkannt und behoben werden.
5.7 Testverfahren zur technischen Überprüfung und Erfassung der Hörergebnisse
Die oben geschilderten Aufgaben der Nachsorge und der Rehabilitation erfordern ein
systematisiertes und standardisiertes Vorgehen. Dazu stehen die verschiedenen z.T.
in [Tab. 1] beschriebenen Testverfahren zur Verfügung, die folgende Parameter prüfen:
-
Implantatfunktion
-
Elektrodenimpedanzen
-
Objektive audiometrische Parameter wie ESRT, ECAP und EABR
-
Psycho-akustische Verfahren zur Bestimmung von T- und C-Level, Lautheitsfunktion,
Dynamikbereich und Frequenzallokation
-
Sprachverstehen im Freifeld oder mittels direkter Kopplung ([Tab. 8])
Tab. 8 Testverfahren für die Erfassung der Hörperformance.
|
Sprachverstehen im Freifeld oder mittels direkter Kopplung
Erwachsene: Freiburger Einsilbertest, HSM Satztest in Ruhe und
Störgeräusch, Oldenburger Satztest (OLSA)
Kinder: LittlEars Hörfragebogen, Göttinger Kindersprachverständnistest,
Oldenburger Kinder-Satztest (OLKISA), altersabhängige Tests zur
Bestimmung der Categories of Auditory Performance (Literatur: Archbold et al., 1995
[167])
|
|
Beidohrige Versorgung: Testung der einzelnen Modalitäten sowie der Gesamtsituation
Bilateral=CI beidseits
Bimodal=CI+kontralaterales Hörgerät
Combined=EAS+kontralaterales Hörgerät
|
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Richtungshören
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Bei Kindern: Sprachentwicklungstests
Fragebogen zur frühkindlichen Sprachentwicklung (FRAKIS)
Sprachentwicklungstests für Kinder (SETK 2–5;11)
Marburger Sprachverständlichkeitstest für Kinder (MSVK)
|
Hier kommen die bereits oben geschilderten Verfahren bei Erwachsenen und Kindern zum
Einsatz, wie Freiburger Sprachverständlichkeitstest, HSM-Satztest in Ruhe und Störgeräusch
sowie der OLSA (Matrix-Test)
Bei Kindern kommen standardisierte Fragebögen für Eltern und Pädagogen (z. B. LittleEars,
FRAKIS),zur Dokumentation und einschätzung der beginnenden Hör- und Sprachentwicklung
zum Einsatz. Ab einem Lebensalter von etwa 2 Jahren ist die Anwendung von altersabhängigen,
normierten Testverfahren zur Einschätzung der Sprachentwicklung möglich. Diese bieten
auch den Vergleich der Testergebnisse mit denen normalhörender Gleichaltriger und
gleichzeitig eine Einschätzung des Therapieaufwandes.
Ab einem Lebensalter von etwa 4 Jahren sind bei Kindern audiologische Sprachverständlichkeitstests
mit kindlichem Wortschatz einsetzbar, etwa ab der 1. Klasse mit Wortschatz für Erwachsene.
Es lassen sich Vergleichsbewertungen mit dem präoperativen Hörstatus sowie die Entwicklung
des Sprachverstehens in Ruhe und im Störgeräusch über die Zeit mit Hilfe der CAP-Skala
dokumentieren [96] ([Tab. 9]).
Die Gesamthörsituation bei bimodaler und bilateraler CI-Versorgung lässt sich durch
Freifeldtestungen erfassen. Häufig sind die Patienten entweder bimodal (Cochlea-Implantat
und Hörgerät) oder bilateral (2 Cochlea-Implantate) versorgt oder auf einem Ohr mit
einem Hybrid System für das elektroakustische Hören sowie einem Hörgerät auf dem Gegenohr
(sogenannter Combined Mode). Die verschiedenen Hörsituationen müssen getrennt erfasst
und der jeweilige Anteil der verschiedenen Hörmodalitäten (akustisch, elektrisch,
elektroakustisch) an der Gesamthörsituation bewertet werden.
Bei der Einstellung des Systems ist auf eine ausreichende Hörempfindlichkeit zu achten,
die verstärkte Hörschwelle sollte etwa im Bereich von 20 bis 30 dB liegen über das
gesamte Elektrodenspektrum bzw. bei EAS-Systemen über den gesamten Frequenzbereich.
6. Ergebnisse
Die Ergebnisse der CI-Versorgung haben sich in den letzten Jahrzehnten wesentlich
verbessert.Dies ist im Wesentlichen auf die Technologieentwicklung sowie die geänderten
Indikationsstellungen hin zu Patienten mit deutlich besseren prognostischen Faktoren
zurückzuführen.
6.1 Ergebnisse bei postlingual ertaubten Patienten
Die postoperativen Hörergebnisse sind in der Regel mit einem raschen Einsetzen des
offenen Sprachverstehens verbunden. Die Ergebnisse verbessern sich kontinuierlich
über einen Zeitraum von in der Regel sechs bis zwölf Monaten. Darüber hinaus ist ein
weiterer Zuwachs, speziell beim Sprachverstehen im Störgeräusch und in besonderen
Hörsituationen zu beobachten [97]
[98]. Ca. 80% der Patienten erreichen ein offenes Sprachverstehen mit allerdings erheblicher
inter-individueller Streuung ([Abb. 44]). Bei einem Medianwert von ca 65% Einsilberverstehen lassen sich anhand der Perzentilen
bei 35 und 65 die Patienten in die drei Klassen Good Performer, Average Performer
und Poor Performer einteilen ([Abb. 45]). Nur wenige Patienten mit gutem Restgehör haben schlechtere Sprachverständlichkeitswerte
als präoperativ unter best aided conditions mit Hörgerät. In den meisten dieser Fälle
lagen besondere Bedingungen u. a. unvollständige Elektrodeninsertion bei ES, verminderte
kognitive Fähigkeiten oder Facialisstimulation vor. ([Abb. 44])
Abb. 44 Sprachverstehen bei postlingual ertaubten erwachsenen CI-Trägern prä- versus postoperativ
nach 12 Monaten. Deutliche Verbesserung mit hoher interindividueller Variabilität
der Ergebnisse.
Abb. 45 Sprachverstehen bei postlingual ertaubten erwachsenen CI-Trägern prä- versus postoperativ
nach 12 Monaten. Deutliche Verbesserung mit hoher interindividueller Variabilität
der Ergebnisse.
Abb. 46 Entwicklung der Hörperformance postlingual ertaubter CI-Patienten an der MHH seit
1984 bis 2019.
Neue Implantatgenerationen zeigen im Mittel ein besseres Sprachverstehen als ältere.
Dieses ist im Wesentlichen auf Fortschritte in der Prozessortechnologie, besonders
der Stimulationsrate zurückzuführen [99]. Allerdings nähern sich die Ergebnisse seit ca 10 Jahren trotz verbesserter Elektroden
und innovativer Sprachverarbeitungsstrategien einem wohl grundsätzlichen Maximum,
das nicht mehr wirkungsvoll überschritten werden kann ([Abb. 45]). Hier scheinen die grundsätzlichen Limitationen heutiger Cochlea-Implantat-Systeme,
insbesondere im Hinblick auf das gegebene Bottleneck des Elektroden-Nerven-Interfaces
zu Buche zu schlagen.
Wesentliche Einflußparameter auf das Sprachverstehen sind die Dauer und Ursache der
Ertaubung, die kognitiven Fähigkeiten und das Alter sowie das Restgehör.
Weitere Einflussfaktoren im Einzelnen betreffen die Lage der Elektrode, die Cochlear
Coverage, der funktionelle Zustand des Hörnerven, dessen Erfassung bisher immer noch
nur in Ansätzen, z. B. durch den sogenannten Cochlear Analyzer gelingt [100].
6.1.1 Ertaubungsdauer
Grundsätzlich gilt: Je länger die Ertaubung, desto länger dauert der Aufbau der Hörleistung,
insbesondere des Sprachverstehens [90]. Die Datensätze von 1002 postlingual ertaubten Patienten wurden zum Nachsorgetermin
nach fünf Jahren retrospektiv analysiert. Zur genaueren Evaluation wurden die Daten
definierten Taubheitsdauern zugeordnet. Alle Patienten absolvierten im Freifeld bei
65 dB SPL den Freiburger Einsilbertest, den HSM-Satztest in Ruhe und mit Geräusch
(10 dB SNR).
Patienten mit einer Taubheitsdauer unter einem Jahr erreichen 60% Sprachverstehen
im Einsilbertest. Patienten mit ein bis zehn Jahren Taubheitsdauer erreichen 65%,
Patienten mit zehn bis 20 Jahren 63%, Patienten mit 20 bis 30 Jahren 45% und Patienten
mit noch längerer Taubheitsdauer erreichen 28% im Einsilberverstehen. Die statistische
Analyse zeigt eine Abnahme des Sprachverstehens in Abhängigkeit der Taubheitsdauer
(Jonckheere-Terpstra test, p<0.05) ([Abb. 47]). Auch nach langer Tragedauer eines CIs hat die Taubheitsdauer noch einen entscheidenden
Einfluss auf das Sprachverstehen.
Abb. 47 Einfluß der Ertaubungsdauer auf die CI-Performance. Deutlich schlechteres Sprachverstehen
bei Langzeitertaubung, aber hohe interindividuelle Variablität erschwert die Prädiktion
im Einzelfall.
6.1.2 Einfluss kognitiver Fähigkeiten und Lebensalter
Bereits seit längerem ist der Zusammenhang zwischen Hörminderung und dem Abbau kognitiver
Leistungen bekannt [101]. Dabei besteht eine negative Korrelation mit dem Grad der Hörminderung [102]. Durch die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat wird das Hörvermögen wieder deutlich
verbessert, was auch zu einer Verbesserung kognitiver Leistungen beiträgt. Dabei können
verschiedene Leistungen im besonderen Maße, z. B. globale Kognition, verbessert werden
[103]. Nichtunterlegenheits-Tests zu den kognitiven Leistungen der Studiengruppe nach
der CI-Versorgung zeigen, dass nach zwölf Monaten CI-Tragedauer bei der globalen Kognition,
dem figuralen episodischen Gedächtnis und der Aufmerksamkeitskontrolle ein vergleichbares
Niveau wie bei normalhörenden Kontrollpersonen erreicht wurde. Die Verbesserung der
globalen Kognition steht in signifikantem Zusammenhang mit der Spracherkennung drei
Monate nach der Cochlea-Implantation.
Davon läßt sich nur schwer der Einfluß des Lebensalters auf die Hörperformance trennen.
So zeigt sich in den Altersdekaden ab 60 Jahren eine Abnahme der medianen Performance
([Abb. 48]).
Abb. 48 Einfluß des Lebensalters auf die Hörperformance mit CI 12 Monate postoperativ bei
postlingual ertaubten Patienten.
6.1.3 Einfluss des Restgehörs
Hybridsysteme führen in der Regel zu deutlich besseren Sprachverständlichkeitswerten,
vor allem im Störgeräusch sowie beim Richtungshören und Steigern das Musikerlebnis
aufgrund des tonalen Gehörs. Dabei ist auf die Auswahl geeigneter Patienten mit ausreichendem
Restgehör im Tieftonbereich zu achten, damit die Patienten postoperativ die akustische
Komponente des Hörens noch nutzen können [26]
[27]
[28].. Die Grenzwerte liegen bei 500 Hz und 50 dB sowie 40 dB bei 250 Hz präoperativ
sowie bei 65 und 50 dB postoperativ.
Die mit kurzen Elektroden erzielten elektroakustischen Hörergebnisse sind vor allem
im Störgeräusch signifikant besser als die Hörergebnisse mit langen Elektroden bei
alleiniger elektrischer Stimulation. Die Insertionstiefe und Elektrodenlänge zeigen
gemeinsam mit der Cochlea-Abdeckung einen Einfluss auf das Sprachverstehen. Büchner
et al. [23] zeigen, dass Patienten, die eine elektro-akustische Stimulation oder eine ausschließlich
elektrische Stimulation mit der längsten Elektrode nutzen, signifikant besseres Sprachverstehen
aufweisen als Patienten, die kürzere Elektroden ohne akustische Stimulation tragen.
Dies wiederum zeigt die Bedeutung der apikalen (akustischen besser als elektrischen)
Stimulationen für ein gutes Sprachverstehen.
Dies wird besonders deutlich an dem sehr guten Sprachverstehen im Störgeräusch bei
Patienten mit partieller Insertion und sehr gut erhaltenem, postoperativ für EAS nutzbaren
Restgehör ([Abb. 49]). Bei Patienten mit Presbyakusis und praktisch normaler Hörschwelle im tief- und
mittelfrequenten Hörbereich läßt sich bei kurzer Elektrodeninsertion mit Wiederherstellung
des Hochtonbereiches durch das CI ohne Hörverlust und ohne akustische Komponente ein
besseres Sprachverstehen erzielen als mit einem Hörgerät ([Abb. 50]). Hier liegt ein großes Potential zukünftiger Entwicklungen für eine wesentliche
Indikationserweiterung (s. Abschn 8.1)
Abb. 50 Indikationserweiterung bei Hochtontaubheit auf Patienten mit Presbyakusis ohne Hörgerätebenefit.
Elektro-akustische Stimulation mit natürlicher akustischer Komponente im Tief- und
Mittelfrequenzbereich. Operation in Lokalanästhesie erlaubt eine direkte intraoperative
Kontrolle des Restgehörs gemäß Angabe des Patienten.
6.1.4 Bimodales Hören
Beim bimodalen Hören wird das Restgehör der Gegenseite für die Kombination mit dem
elektrischen Hören auf dem implantierten Ohr genutzt. Dabei finden sich signifikant
bessere Hörleistungen als bei Verwendung des Cochlea-Implantates oder des Hörgerätes
alleine[104]
[105]
[106]
[107]. Die zusätzliche Verwendung des Hörgerätes führt insbesondere zu einer Verbesserung
des tieffrequenten Hörens. Der durch das Hörgerät verstärkte tieftonige Hörrest sorgt
dabei für das bessere Sprachverstehen ([Abb. 51]). In Cochlea-Implantaten ruft ein Stimulationspuls auf der äußersten apikalen Elektrode
oft nur ein Hörempfinden um 1000 Hz mit großen Variabilitäten hervor [108]
[109]. Eine zusätzliche Hörgeräteversorgung kann demnach das Hörfeld in Richtung tiefer
Frequenzen erweitern. Illg et al. [110] ermittelten, dass im Frequenzbereich von 125 bis 250 Hz die Hörschwelle gleich oder
besser als 80 dB betragen muss, um eine Steigerung des Sprachverstehens mit dem CI
durch das kontralaterale Hörgerät zu erreichen.
Abb. 51 Bimodale Versorgung mit verbessertem Sprachverstehen durch die zusätzliche akustische
Komponente auf dem kontralateralen Ohr (Illg et al, 2014).
Eine kleine Patientengruppe zeigte trotzdem keinen Nutzen beim bimodalen Hören oder
sogar ein schlechteres Sprachverstehen unter bimodalen Konditionen, obwohl diese Gruppe
keinen signifikant größeren Hörverlust der Frequenzen unter 1000 Hz im Vergleich zur
Gruppe mit bimodalem Nutzen zeigte. Dies lässt vermuten, dass zusätzlich auch andere
Parameter, wie z. B. Hörgeräteeinstellungen, das Sprachverstehen beeinflussen und
in die Versorgung bimodaler Patienten einbezogen werden müssen.
Verschlechtert sich das akustische Hören der Gegenseite unter die o. g. Werte, dann
ist der Patient ein Kandidat für eine bilaterale CI-Versorgung mit Implantation der
Gegenseite. Sie führt dann in der Regel zu besseren Ergebnissen beim Sprachverstehen
im Störgeräusch sowie beim Richtungshören. Dies trifft auch für Kinder zu.
6.1.5 Einfluss der Ertaubungsursache
Der Einfluß der Ertaubungsursache auf die Hörperformance läßt sich bei der großen
Gruppe von CI-Patienten mit ungeklärter Ätiologie des Hörverlustes nicht sicher beantworten.
Besonders deutlich wird der Einfluß in Fällen anatomischer oder funktioneller Besonderheiten
wie Mißbildungen, Obliterationen oder perisynaptischer Audiopathien. Zusätzlich spielen
Zusatzbehinderungen und Syndrome sowie genetische Faktoren eine Rolle [111]. Dies sei nachfolgend anhand der Mißbildungen detaillierter ausgeführt.
Die große Variabilität der verschiedenen Malformationen schlägt sich auch in der unterschiedlichen
Funktionstüchtigkeit des Hörnerven nieder. Dabei ist die Frage nach Vorhandensein
eines Hörnerven durch die heute klinisch verfügbaren Imaging-Verfahren nicht immer
eindeutig zu klären. Deswegen sollten Kinder grundsätzlich, wenn nicht eine Aplasie
der Cochlea oder des inneren Gehörgangs vorliegt, mit einem CI innerhalb des ersten
Lebensjahres versorgt werden.
Bei Kindern, die in den ersten beiden Lebensjahren mit CI versorgt werden und bei
denen eine Malformation der Cochlea und/oder der Verdacht auf einen dysplastischen
Hörnerv besteht, ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen HNO-Arzt, Neuroradiologe,
Audiologen, CI-Ingenieur und Hörpädagogen besonders wichtig, um zu entscheiden, ob
Quantität und Qualität der elektrischen Stimulation des Hörsystems durch das CI für
die audioverbale Entwicklung ausreichen. Die Anpassung des CI bei diesen Kindern unterscheidet
sich von der bei Kindern mit regelrechter Cochlea und/oder Hörnervenanlage durch nicht
messbare Neuronal- Response-Telemetrie-Antworten, erhöhten Strombedarf und das mögliche
Auftreten von Nebenwirkungen wie Facialis-Stimulation. Stellt sich keine ausreichende
Hör-Sprachentwicklung ein, kann von einem nicht funktionstüchtigen Hörnerven ausgegangen
und der Einsatz eines Hirnstammimplantates ABI erwogen werden. Begleitende EEG- und
NIRS-Messungen geben Auskunft darüber, ob eine Aktivierung des auditorischem Cortex
erfolgt. Dies wird parallelisiert durch Eltern-Fragebögen zur Erfassung der Fortschritte
in der audio-verbalen Entwicklung.
6.2 Einseitige Taubheit - Single Sided Deafness SSD
Das Cochlea-Implantat bei einseitiger Ertaubung ist in der Zwischenzeit eine vielgenutzte
Möglichkeit der auditiven Rehabilitation. Grundsätzlich verbessert das zweite Ohr
das Richtungshören sowie das Sprachverstehen im Störgeräusch und unterdrück sehr häufig
den begleitenden Tinnitus [112]
[113]
[114]
[115]
[116]. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Hörleistung grundsätzlich unter der des
normalhörenden Gegenohres bleibt. Bei Vorliegen einer asymmetrischen Schwerhörigkeit
kann dagegen das Hörvermögen mit Cochlea-Implantat mit dem des hörgeschädigten Gegenohres
ggf. vergleichbar werden oder sogar überlegen sein. Zur Sicherung der Hörergebnisse
sind wiederholt isolierte Hörübungen für das implantierte Ohr z. B. in direkter Kopplung
erforderlich.
Finke et al. [117] haben das Sprachverstehen über einen Zeitraum von 12 Monaten und den subjektiven
Nutzen bei einseitig ertaubten CI-Trägern ermittelt und mit dem Sprachverstehen von
sequentiell bilateral versorgten CI-Trägern in Zusammenhang gebracht.
Das Sprachverstehen mit CI bei den einseitig ertaubten Patienten steigert sich in
jedem der drei Sprachverständlichkeitstests, besonders in den ersten 6 Monaten. Wird
das Sprachverstehen dieser einseitig ertaubten und mit CI versorgten Patienten mit
dem Sprachverstehen der zweiten Seite von Patienten, die sequentiell bilateral versorgt
waren, verglichen, zeigen sich signifikant niedrigere Werte der einseitig ertaubten
und mit CI versorgten Patienten in allen drei angewandten Sprachtests. Der Erfolg
der CI-Versorgung, gemessen am Sprachverstehen, unterscheidet sich zwischen den beiden
Patientengruppen deutlich, obwohl die Patienten beider Gruppen ein vergleichbares
Hörtraining erhielten. Im ersten Jahr nach der Implantation findet in beiden Gruppen
ein vergleichbarer Leistungszuwachs statt. Jedoch erreichen bilateral taube, sequentiell
implantierte Patienten mit CI der zweiten Seite ein besseres Sprachverstehen als die
einseitig tauben Patienten mit einem CI. Der im Alltag ständig vorhandene normale
Höreindruck der Gegenseite scheint die Qualität des Sprachverstehens mit elektrischer
Stimulation bei einseitig ertaubten Patienten zu limitieren. Spezifische Vorteile
des bilateralen Hörens bleiben jedoch auf jeden Fall erhalten wie ein verbessertes
Sprachverstehen im Störgeräusch und die verbesserte Lokalisation von Geräuschen ([Abb. 52]). Auch im Vergleich zu Patienten mit Knochenleitungshörgeräten, wie BAHA- (Bone
Anchored Hearing Aid) oder CROS- (Contralateral Routing Of Signal) Geräten [118], ist das Rating im „Berner Benefit in Single-Sided Deafness Questionnaire“ deskriptiv
höher, d. h. ein Nutzen durch das Cochlea- Implantat ist vorhanden.
Abb. 52 CI bei einseitiger Taubheit (SSD = Single Sided Deafness). Sprachverstehen auf dem
implantierten Ohr wird erreicht. Ergebnisse schlechter als bei Patienten mit dem zweitimplantierten
Ohr bei bilateraler CI-Versorgung.
6.3 Ergebnisse bei prälingualer Taubheit/Kinder
Die Sprachentwicklung dauert entsprechend der bei Normalhörenden bekannten Zeiträume,
in der Regel zwei bis sechs Jahre. Ein Vergleich mit der Entwicklung bei normalhörenden
Kindern kann dann vorgenommen werden, wenn keine zusätzlichen Behinderungen oder Auffälligkeiten
vorliegen. So erreichen in der Regel früh implantierte Kinder sehr gute Sprachentwicklungs-Scores,
die denen normalhörender Kinder in Ruhe nahekommen [119]. Allerdings sind die Hörleistungen bei Sprachverstehen im Störgeräusch deutlich
schlechter, was die grundsätzliche Aussage stützt, dass das Cochlea-Implantat ein
Kind nicht normalhörend macht, sondern von der Gehörlosigkeit zur Schwerhörigkeit
anhebt ([Tab. 9]). Unter dem Gesichtspunkt der Gesamtentwicklung ist festzuhalten, dass durch die
Schwerhörigkeit bedingt Defizite, auch in anderen Entwicklungsfeldern, insbesondere
die gesamte kognitive Entwicklung betreffend, verbleiben. Dies ist auf die enge Verflechtung
des Hörsystems mit anderen Hirnarealen und deren Funktionen, dem sogenannten Connectome
zurückzuführen [120].
Tab. 9 Categories of Auditory Performance (Archbold et al., 1995).
|
CAP-Kategorie
|
Kriterium
|
|
8
|
Konversation im Störgeräusch ohne Lippenlesen
|
|
7
|
Telefonieren mit bekannten Sprechern
|
|
6
|
Konversation ohne Lippenlesen
|
|
5
|
Satzverstehen ohne Lippenlesen
|
|
4
|
Diksrimination von Sprachanteilen ohne Lippenlesen
|
|
3
|
Erkennen von Umgebungsgeräuschen
|
|
2
|
Reaktion auf Sprache
|
|
1
|
Wahrnehmung von Umgebungsgeräuschen
|
|
0
|
Keine Wahrnehmung von Geräuschen oder Stimmen
|
CAP-Mittelwert: 4,63 (Min – Max 0–8).
Wichtigster prognostischer Faktor ist dabei der Zeitpunkt der Implantation und der
Beginn des auditiv gestützten Spracherwerbs. Dabei kommt der bilateralen Versorgung
bei entsprechender Indikation besondere Bedeutung zu, um das Richtungshören und das
Sprachverstehen im Störgeräusch ausbilden zu können. Auch hier liegen kritische Phasen
der Hirnentwicklung vor. Bei Kindern kann es zur Entwicklung eines echten binauralen
Hörsystems kommen [121].
Die Hörergebnisse und die Sprachentwicklung bei kongenitaler Taubheit hängen stark
vom Lebensalter bei Implantation ab ([Abb. 53]). So bilden kongenital ertaubte Kinder, die innerhalb der ersten beiden Lebensjahre
bilateral mit Cochlea-Implantaten versorgt werden, einen signifikant höheren passiven
Wortschatz aus als später implantierte Kinder ([Abb. 54]). Bei erworbener Schwerhörigkeit haben das Lebensalter zum Zeitpunkt der Ertaubung
und die Zeitdauer bis zur Implantation entscheidende Bedeutung.
Abb. 53 Einfluß des Implantationsalters auf das Sprachverstehen bei kongenital tauben Kindern.
Abb. 54 Einfluß des Implantationsalters auf den Wortschatz bei kongenital tauben Kindern.
Dies drückt sich auch in den Ergebnissen der Beschulung aus. So können früh implantierte
Kinder zu ca. 70% eine Regelschule besuchen. Dieser Anteil sinkt bei später implantierten
Patienten erheblich [122].
Auch in der beruflichen Ausbildung wird in der Regel durch eine frühe Implantation
ein höherer Ausbildungsstand erreicht als bei Spätimplantation. Sämtliche Berufe werden
mittlerweile von Cochlea-implantierten Kindern im späteren Leben ergriffen und ausgeübt.
Allerdings verbleibt im Durchschnitt in der Regel eine niedrige Schulstufe und berufliche
Qualifikation als bei normalhörenden Peers [123].
Gesamthaft betrachtet hebt das Cochlea-Implantat den Patienten aus dem Niveau der
Gehörlosigkeit bzw. Taubheit auf das Niveau der Schwerhörigkeit. Es verbleibt die
vermehrte Höranstrengung gegenüber Normalhörenden. Damit wird ein höherer Teil der
kognitiven Kapazität durch das Hören gebunden, was zu einer steigenden kognitiven
Last führt. Die dann noch verbleibende kognitive Kapazität für darüber hinausgehende
Aufgaben, z. B. Lernfähigkeit oder Anpassung an besondere Aufgaben im Beruf, ist demzufolge
gegenüber Normalhörenden eingeschränkt. Dies drückt gleichzeitig jedoch auch die Bedeutung
der kognitiven Kapazität für den Hörerfolg aus. Je höher diese Kapazität ist, desto
größer ist auch der Hörerfolgt, insbesondere in schwierigen Hörsituationen.
Erfreulicherweise konnte durch die bundesweite Einführung des Neugeborenen-Hörscreenings
die Früherkennung hochgradig hörgeschädigter Kinder wesentlich verbessert werden [124]
[125]. Allerdings steht die Weiterführung des Screenings in späteren Altersstufen als
flächendeckendes Screening in Deutschland noch aus. So können leicht Kinder mit progredienter
Schwerhörigkeit zu spät erkannt werden, was dann zu entsprechenden Defiziten bei perilingualer
Ertaubung führen kann.
Weitere Faktoren, die die Hör- und Sprachentwicklung wesentlich beeinflussen, sind
Mißbildungen, Obliterationen, Zusatzbehinderungen mit Auswirkung auf die Rehabilitationsfähigkeit,
Syndrome und genetische Ursachen der Taubheit [111]. So sollte bei Kindern immer eine Diagnostik auf Vorliegen weiterer Behinderungen
erfolgen. Dabei liegt ein weites Spektrum potentieller Zusatzbehinderungen vor. Entscheidend
sind vor allem Behinderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit, z. B. bei Störungen
aus dem Autismus-Spektrum ASS. 80% der Patienten mit ASS akzeptieren den Sprachprozessor
gut, einige benutzen auch Lautsprache, jedoch kann nur die Hälfte damit erfolgreich
kommunizieren.
6.3.1 Einfluss des Inter-Implant-Intervalls bei sequentieller bilateraler Versorgung
Wird bei bilateral kongenital ertaubten Kindern in den ersten beiden Lebensjahren
eine unilaterale Cochlea-Implantation durchgeführt, entwickelt sich Sprachverstehen,
das in ruhiger Umgebung hohen Nutzen bringt [119]. Jedoch kann Sprache in geräuschvoller Umgebung nach einer unilateralen Cochlea-Implantation
und einer durchschnittlichen Tragedauer von 12,86 ± 1,99 Jahren nur bis zu 22% im
Mittel erkannt werden [126]. Ebenso prägt sich kein Richtungshören aus [127]
[128]
[129], da die Trennung von zwei oder mehr Geräuschquellen erst durch das binaurale Hören
unterstützt wird und somit das Sprachverstehen im Störgeräusch wesentlich unterstützt
[130].
Um das Sprachverstehen im Störgeräusch bei beidseitig ertaubten und unilateral mit
CI versorgten Kindern zu optimieren, wurden in den letzten Jahren viele dieser Kinder
nachfolgend mit einem zweiten Cochlea-Implantat versorgt. Trotz Hörtrainingsmaßnahmen
zeigt sich, dass der zeitliche Abstand zwischen den Implantationen und demzufolge
das erhöhte Lebensalter des Kindes die stärksten Parameter sind, um die Güte des Sprachverstehens
nach Implantation eines CIs auf der zweiten Seite zu prognostizieren. Das Inter-Implantat-Intervall
sollte bei einer sequentiell bilateralen CI-Versorgung von kongenital ertaubten Kindern
nicht größer als 4 Jahre betragen, da das Sprachverstehen bei einem größeren zeitlichen
Abstand signifikant schlechtere Ergebnisse als auf der ersten Seite zeigt [131] ([Abb. 55]).
Abb. 55 Einfluß des Inter-Implant-Intervalls auf das Sprachverstehen mit CI auf dem 2. Implanteirten
Ohr bei kongenital tauben Kindern (Illg et al, 2017).
Solange kontralateral ein Hörgerät zusätzlich zum unilateralen CI getragen wird, scheint
nutzbares Restgehör zur Hörbahnreifung beizutragen. Das Satzverstehen in Ruhe und
mit Geräusch lag bei den Kindern und Jugendlichen mit einer längeren Hörgerätetragedauer
(3–16 Jahre) signifikant höher als bei Kindern mit einer kurzen Tragdauer der Hörgeräte
[126].
Auch die bilaterale Tragedauer beider Cochlea-Implantate hat letztendlich einen Einfluss
auf das Sprachverstehen. Je länger beide CIs gemeinsam getragen werden, umso mehr
steigert sich das Sprachverstehen. Signifikante Verbesserungen konnten im Einsilber
und HSM-Satztest in Ruhe nachgewiesen werden [126].
7. Lebensqualität
7.1 Erfassung der Lebensqualität bei CI-Trägern
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit grundlegend als „einen
Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht
nur des Freiseins von Krankheit”. Folglich muss die Messung der Gesundheit und der
Auswirkungen der Gesundheitsversorgung Veränderungen der Häufigkeit und des Schweregrads
von Krankheiten sowie die Verbesserung der Lebensqualität (QOL) im Zusammenhang mit
der Gesundheitsversorgung (z. B. der gewählten Behandlung) umfassen. Mit allgemeinen
LQ-Messungen kann man die Wirksamkeit einer Behandlung und die qualitätsbereinigten
Lebensjahre bei verschiedenen Krankheiten vergleichen (z. B. die Wirkung eines Herzschrittmachers
im Vergleich zu einem Cochlea-Implantat), während sich krankheitsspezifische LQ-Messungen
auf eine bestimmte Patientenpopulation (z. B. Cochlea-Implantat-Empfänger, vielleicht
zum Vergleich von Indikationen oder Untergruppen) oder eine bestimmte Indikation (z. B.
Menschen mit einseitiger Taubheit, vielleicht zum Vergleich verschiedener Behandlungsoptionen)
konzentrieren.
Eine andere Perspektive für die Messung der (krankheitsspezifischen) Lebensqualität
bietet die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit,
besser bekannt als ICF (nicht zu verwechseln mit dem Einwilligungsformular, das in
diesem Dokument mit ICF abgekürzt wird) [132]. Die ICF ist eine Ergänzung zur ICD-11 (Internationale Klassifikation der Krankheiten).
Die ICF ist ein Klassifizierungsmodell, das den Gesundheitszustand und die Funktionsfähigkeit
(Körperfunktionen, Aktivitäten, Teilhabe) und die Behinderung (Beeinträchtigungen,
Aktivitätseinschränkungen, Einschränkungen der Teilhabe) einer Person beschreibt.
In den letzten Jahren haben patientenberichtete Ergebnisse zur subjektiven Lebensqualität
an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen [133]
[134], und die Akzeptanz von patientenberichteten QOL-Ergebnissen hat in den letzten Jahrzehnten
zugenommen [135]
[136]
[137]
[138]. Verschiedene krankheitsspezifische Messgrößen sind entwickelt und verwendet worden,
um die Auswirkungen eines Hörverlustes und den Nutzen von Hörgeräten oder Hörimplantaten
für verschiedene Indikationen zu untersuchen [139]
[140]
[141]
[142]
[143]
[144]
[145]
Viele krankheitsspezifische Maßnahmen in der Behandlung von Hörverlusten konzentrieren
sich jedoch stark auf die Hörfähigkeiten in alltäglichen Hörsituationen, also darauf,
was eine Person hören kann oder nicht [146], die Qualität des Hörens [147]
[148] oder die Klangqualität [149]. Nur wenige Fragebögen konzentrieren sich darauf, wie sich ein Hörverlust auf die
Lebensqualität einer Person auswirkt [150]
[151] oder wurden spezifisch für Hörgeräteträger, nicht aber für CI-Nutzer entwickelt
[153]
[152]. Der Fragebogen zum verkürzten Profil des Hörgeräte-Nutzens (APHAB) [151] wurde z. B. als Goldstandard für den Zugang zu Kommunikationsproblemen mit und ohne
Hörgerät bezeichnet, aber auch kritisiert; das Punktesystem ist ziemlich komplex,
die Items sind kompliziert formuliert, wenn der Fragebogen nicht vollständig ausgefüllt
wird, wird die Punktzahl nicht nach der Anzahl der beantworteten Fragen berechnet
und es wird behauptet, dass er keinen Aufschluss über die Auswirkungen des Hörverlusts
auf die Lebensqualität der Betroffenen gibt [139].
Der am häufigsten verwendete Fragebogen im CI-Bereich ist der Nijmegen Cochlear Implant
Questionnaire (NCIQ). Er wurde speziell für die Bewertung der Lebensqualität von CI-Nutzern
entwickelt, hat aber auch einige Nachteile: viele Items konzentrieren sich eher auf
die Hörfähigkeiten oder Probleme in verschiedenen Hörsituationen als auf die Lebensqualität,
mit 60 Items ist er sehr lang, was die Einbeziehung in die Nachsorgepraxis erschwert,
es wurde behauptet, dass einige Teilbereiche nicht zuverlässig sind [139] und nicht zuletzt wurden seine Items vor mehr als 20 Jahren formuliert, und man
kann argumentieren, dass sie nicht allzu gut mit den heutigen Erwartungen und Ergebnissen
bei CI-Trägern übereinstimmen. Unseres Wissens gibt es nur einen kürzlich entwickelten
QOL-Fragebogen zur Bewertung von Hörverlust, der sich auf die Lebensqualität bezieht,
den Évaluation du Retentissement de la Surdité chez l'Adulte, ERSA [139]. Der ERSA umfasst vier Sub-Scores: Lebensqualität, persönliches Leben, berufliches
Leben und soziales Leben. Die Autoren widmeten den Fragebogen hörgeschädigten Erwachsenen
und erklären, dass sie ihn entwickelt haben, um die Auswirkungen des Hörverlusts zu
bewerten (unabhängig davon, ob er hochgradig oder durch ein Cochlea-Implantat oder
ein herkömmliches Hörgerät rehabilitiert wurde). Er erfasst die Lebensqualität in
verschiedenen vier Bereichen des täglichen Lebens.
7.2 Lebensqualität bei erwachsenen CI-Trägern
In den letzten Jahren sind in Studien die Auswirkungen der CI-Behandlung auf das Alltagsleben
und das psychische Wohlbefinden der Betroffenen untersucht worden [154]
[155]
[156]
[157]. Die Ergebnisse zeigen, dass die Cochlea-Implantation die Lebensqualität signifikant
verbessert. In Studien, in denen die gesundheitsbezogene Lebensqualität zwischen CI-Trägern
unterschiedlichen Alters bewertet wird, wurden z.T. heterogene Ergebnisse beobachtet.
Olze et al. [158] beschrieben, dass der Nutzen bei älteren Teilnehmern (70–84 Jahre) höher war als
bei jüngeren Teilnehmern (19–67 Jahre), während Djalilian et al. [159] keine Unterschiede zwischen den Ergebnissen in der LQ in Abhängigkeit vom Alter
fanden. Diese unterschiedlichen Ergebnisse in der Literatur zeigen, dass die hörbasierte
Lebensqualität durch zusätzliche Faktoren wie Sprachverstehen, psychologische, kognitive
und audiologische Faktoren beeinflusst wird.
Die Ergebnisse der Studien an älteren CI-Trägern [158]
[161]
[160] zeigen ebenfalls, dass sich der positive Effekt der Cochlea-Implantation nicht nur
auf die Hörfähigkeit beschränkt, sondern auch eine Verringerung von Tinnitus, Depressionen,
kognitivem Abbau, Somatisierungsstörungen und Einsamkeit bei CI-Trägern einschließt,
was zu einer Steigerung der Lebensqualität führt. Alle Studien berichten eine Steigerung
der Lebensqualität innerhalb der ersten sechs Monate nach der CI-Behandlung ohne weitere
Änderungen zum Zwölfmonatstermin. Aktuelle Daten aus der HNO-Klinik der Medizinischen
Hochschule Hannover (MHH) zeigen, dass bereits nach drei Monaten eine signifikant
höhere Lebensqualität, gemessen mit dem NCIQ, bei älteren CI-Trägern erreicht wird
und diese bis zum Beobachtungsende 12 Mo. postoperativ stabil bleibt. Dabei zeigen
die Daten, dass der Nutzen bei jüngeren Patienten (Gruppe 1: 60–70 Jahre) größer als
bei älteren (Gruppe 2: 71–90 Jahre) ist. Dies deutet darauf hin, dass unabhängig von
der Ätiologie auch ältere Patienten über 60 Jahre von einer Cochlea-Implantation profitieren,
was die Lebensqualität erhöht und eine Verschlechterung der allgemeinen Gesundheit
verhindert ([Abb. 56]).
Abb. 56 Lebensqualität mit CI bei verschiedenen Altersgruppen postlingual ertaubter Patienten.
Der Effekt des CI-Einsatzes führt auch bei älteren Hörgeschädigten nicht nur zu einem
besseren Sprachverstehens in Ruhe und Geräusch, sondern ermöglicht auch die Regulierung
von Defiziten im psychischen und sozialen Bereich unabhängig vom Alter. Auch bei Vorhandensein
körperlicher Komorbiditäten (25% in Gruppe 1 und 40% in Gruppe 2) erreichten 12 Monate
postoperativ beide Gruppen das gleiche Niveau. Dies zeigt, dass auch ältere Patienten
mit anderen einschränkenden Krankheiten von einem verbesserten Hörvermögen mit CI
profitieren können.
7.3 Lebensqualität bei Kindern
Messinstrumente zur Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität stehen auch für
chronisch erkrankte Kinder zur Verfügung. Sie können meist als Selbst- und Fremdbeurteilungen
eingesetzt werden [162]. Messinstrumente zur hörbezogenen Lebensqualität bei Kindern sind bisher noch nicht
explizit entwickelt worden. Morettin et al. [163] kamen zu dem Schluss, dass die Messung der Lebensqualität bei Kindern verschiedene
Konzepte und Methoden umfasst. In Bezug auf Kinder, die CI verwenden, zeigen die Ergebnisse,
dass es schwierig ist, ein umfassendes Konzept dafür zu entwickeln, welche Bereiche
der Lebensqualität für das Kind wichtig sind und wie sich diese Bereiche im Laufe
der Entwicklung entwickeln können, wenn man die große Vielfalt der bewerteten Instrumente
und Aspekte berücksichtigt.
Bekannte Messinstrumente im deutschsprachigen Raum sind z. B. „Disabkids“ und „Kidscreens“.
Bei beiden Instrumenten handelt es sich um interkulturell entwickelte Fragebögen zur
Bewertung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Kindern und Heranwachsenden
[164]. Während der Fragebogen Disabkids für chronisch kranke Kinder und Jugendliche entwickelt
wurde, kann der Fragebogen Kidscreen sowohl für kranke als auch für gesunde Kinder
eingesetzt werden.
Haukedal et al. [165] haben die Lebensqualität von Kindern mit einem CI im Alter von 5;6 bis 13;1 Jahren
mit dem Pediatric Quality of Life Inventory gemessen und mit normalhörenden Gleichaltrigen
verglichen. Die meisten Kinder mit CI in dieser Studie berichteten über eine Lebensqualität,
die derjenigen ihrer alters- und geschlechtsgleichen normalhörenden Altersgenossen
nahekommt. Die Kinder berichteten jedoch über Bedenken hinsichtlich des sozialen und
schulischen Funktionierens, was darauf hindeutet, dass diese Bereiche mehr Aufmerksamkeit
erfordern, um Kindern mit CI eine gute LQ zu gewährleisten. Die Verbesserung der gesprochenen
Sprache bei Kindern mit CI kann zu einer verbesserten LQ beitragen.
7.4 Schulische und berufliche Perspektiven von Kindern mit CI
Während der letzten 20 Jahre wurden viele Auswertungen über den Langzeiterfolg der
ersten Patienten mit Cochlea-Implantat (CI) vorgenommen und veröffentlicht. Berichte
über die schulische und berufliche Entwicklung sind dagegen in der Literatur noch
wenig zu finden. Um die Effektivität der CI-Versorgung auch hinsichtlich der Bildungswege
und -abschlüsse über eine lange Periode zu bestimmen, wurden die Hörergebnisse von
933 CI-Trägern (Alter zum Zeitpunkt der Auswertung MW: 23,6 Jahre; Implantationsalter
MW 5,4 Jahre) retrospektiv analysiert und diese zu ihrer schulischen- und beruflichen
Laufbahn befragt [123]. Die auditiven Ergebnisse sind in die „Categories of Auditory Performance (CAP)“
dem Schwierigkeitsgrad nach (0–8) eingeteilt worden [167]. Von 174 Personen ist eine
Rückantwort auf die Befragung erfolgt. Das entspricht einer Rücklaufquote von 18,65%.
Soweit möglich wurden die Angaben in internationale Standards (ISCED: International
Standard Classification of Education, ISCO: International Standard Classification
of Occupation, ALLBUS: allgemeinen Bevölkerungsumfrage in Deutschland) eingeteilt
und mit nationalen Bevölkerungsangaben verglichen und statistisch ausgewertet. Die
Ergebnisse zeigen, dass 86% der Befragten ihr CI länger als 11 Stunden pro Tag nutzen.
Nur 2% der Befragten geben an, ihr CI nicht mehr zu tragen ([Abb. 57]). Der mittlere auditive Wert (CAP) liegt bei 4,63 (0–8), d. h. dass Sprachlaute
ohne Lippenablesen unterschieden werden können ([Tab. 9]). Bestimmte Parameter stellen sich als Einflussfaktoren für die auditive Entwicklung
heraus, wie z. B. das Implantationsalter, das signifikant mit den CAP-Werten korreliert
(r=-0,472; p=0,0).
Abb. 57 Tägliche Nutzungsdauer des CI in Stunden. Non-User mit angegeben.
Die Schul- und Berufsabschlüsse der CI-Träger und der normalhörenden Gleichaltrigen
unterscheiden sich signifikant (p=0,001). Die Angaben der CI-Träger zeigen, dass Schulabschlüsse
wie Abitur oder Fachabitur, die den Eintritt in die universitäre Bildung ermöglichen,
seltener im Vergleich zu den normalhörenden Gleichaltrigen erreicht werden ([Abb. 58]). Deshalb sind auch Berufsabschlüsse, die die universitäre Bildung benötigen, bei
den CI-Trägern bisher unterrepräsentiert. Die meisten CI-Träger erreichen Berufsabschlüsse
im sog. skill level 2, in denen Serviceangestellte, Verkäufer, Landwirtschafts- und
Fischereiangestellte, Automechaniker u.ä. sowie Angestellte im Gartenbau zusammengefasst
sind ([Abb. 59]).
Abb. 58 Schulabschluß bei CI-implantierten Kindern (Illg et al, 2017).
Abb. 59 Skill-Levels (Ausbildungsgrad) von im Kindesalter implantierten CI-Patienten (Illg
et al, 2017).
Einen signifikanten Einfluss auf die Schulbildung hat der mütterliche Schulabschluss.
Je höher dieser ist, desto höher liegt der Schulabschluss des CI-Trägers. 94% der
Patienten geben an, dass ihr CI für die Kommunikation in der Schule notwendig war.
83% nutzten den Angaben zufolge Lautsprache als wichtigste Kommunikation während ihrer
Schullaufbahn. 64% der befragten Patienten besuchten während der Berufsausbildung
Förderschulen. Knapp 70% derjenigen, die den Fragebogen beantwortet haben, arbeiten
auch in ihrem gelernten Beruf. Insgesamt sind gut 40% berufstätig. In der normalhörenden
Bevölkerungsgruppe sind dagegen etwa 85% berufstätig (Gesis 2012). Von den befragten
CI-Trägern befindet sich noch ein größerer Teil in der Berufsausbildung. Gut 60 Prozent
der CI-Träger, die antworteten, arbeiten in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis,
gut jeder fünfte (20%) in einem befristeten. Knapp die Hälfte der CI-Träger war auch
schon zwischenzeitlich arbeitslos, bei Normalhörenden sind dies knapp 30 Prozent [166].
In der befragten Gruppe antworteten 70%, dass sie die Arbeit erlernen konnten, die
sie wollten und knapp zwei Drittel (62%) geben an, dass ihre Arbeit so ist, wie sie
es erwartet und gewünscht haben. Neun von zehn CI-Trägern kommen gut mit ihrer Arbeit,
ihren Aufgaben und ihrer dortigen Verantwortung zurecht, knapp 60% sind auch mit ihrem
Gehalt zufrieden. Ein gutes bis sehr gutes Verhältnis zu ihrem Vorgesetzten und auch
zu Kollegen geben vier von fünf CI-Trägern (80%) an. Die meisten CI-Träger (97%) nutzen
ihr CI dauerhaft am Arbeitsplatz, aber nur bei jedem fünften (18%) wurden bestimmte
Vorkehrungen am Arbeitsplatz getroffen, um besser zu hören oder zu verstehen. Das
CI ist notwendig für die Kommunikation bei der Arbeit, geben 68% an, 28% sagen, dass
es manchmal notwendig sei, da in Lautsprache kommuniziert wird. Die meisten CI-Träger
nutzen am Arbeitsplatz keine FM-Anlage (95%).
Die Datenanalyse ergab eine positive lineare Korrelation zwischen den auditiven Ergebnissen
und den Berufsabschlüssen. Deshalb besteht weiterhin die Hypothese, dass niedrige
auditive Fähigkeiten schlechtere Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten bedingen. Eine
frühe Diagnostik und Cochlea-Implantation eröffnet Gehörlosen die besten Chancen für
ihre Schulbildung und ihren Berufsweg. Cochlea-Implantate verbessern nicht nur die
Lebensqualität von gehörlosen Kindern, sondern sparen volkswirtschaftlich hohe Kosten.
Die Arbeitssituation von CI-Trägern zeigt im Vergleich zu Normalhörenden eine höhere
Arbeitslosenquote, auch Arbeitsverhältnisse sind öfter befristet. CI-Träger haben
auf dem Arbeitsmarkt bisher noch nicht dieselben Chancen wie Normalhörende. Es bleibt
offen, wie Arbeitsplätze für Hörgeschädigte gestaltet sein sollten. Dieses müsste
in Zukunft evaluiert und bewertet werden. Zukunftsperspektivisch erwarten wir, dass
sich die schulische- und berufliche Situation von CI-Trägern weiter verbessert und
sich denen Normalhörender annähert, denn ein immer jüngeres Implantationsalter und
technische Neuentwicklungen tragen zu besserem Sprachverstehen bei, sodass die Kinder
frühzeitig optimal versorgt werden können und die Bildungschancen weiter ansteigen.
7.5 Non-User
Angaben zu „Non-Usern“ sind schwierig zu erheben, da diese Patienten meist nicht mehr
in den CI-Kliniken auftauchen. Aus der CI-Datenbank der HNO-Klinik an der MHH sind
9949 Datensätze hinsichtlich anamnestischer Daten, Einsilberverstehen und Datalogprotokollen
der Audioprozessoren retrospektiv ausgewertet worden [168]. Als Non-User (Tragezeit<1 Tagesstunde) wurden n=104 (1,04%) CIs identifiziert,
als Partial User (Tragezeit=1–5 Tagesstunden) n=83 CIs (0,83%). Unter den 187 Implantaten
fielen Complianceprobleme mehrheitlich bei Früh- und Langzeitertaubung (32,6%) und
bei asymmetrischer Hörleistung oder einseitiger Taubheit (13,4%) auf. Weitere Gründe
für eine reduzierte Nutzung waren Unbehagen bei der Nutzung oder Enttäuschung über
den Verlauf und die Ergebnisse der Hörrehabilitation. Im Mittel betrug die Nutzung
der CIs 1,73 Tagesstunden (0–5,4; n=115). Das mittlere Einsilberverstehen der untersuchten
Gruppe betrug 15,5% (0–100; n=170), das mittlere Lebensalter zum Zeitpunkt der Erhebung
34,4 Jahre (1–84; n=187). Eine reduzierte oder eine Nicht-Nutzung eines CIs kann mannigfaltige
Ursachen haben. Complianceprobleme im Allgemeinen sind schwer zu prognostizieren,
zu identifizieren und schließlich auch zu lösen und machen einen multiprofessionellen
Ansatz umso wichtiger. Die Analyse individueller Verläufe und die Identifizierung
von Risikogruppen sind zur Prävention einer Nicht-Nutzung von großer Wichtigkeit.
Zu den Risikopatienten gehören Früh- und Langzeitertaubte sowie asymmetrisch Hörende.
Ergebnisse von befragten Non-Usern hinsichtlich des dauerhaften Ablegens des CI zeigen
ebenfalls, dass die Gründe vielfältig sind [169]. So gaben sie als Hauptgründe Limitationen in der auditiven Wahrnehmung und die
Entwicklung einer Gehörlosenidentität an. Bei Kindern mit einseitiger Ertaubung und
CI zeigen Non-User im Vergleich zu den Usern eine signifikant höhere Taubheitsdauer
[170]. Bei Kindern mit Zusatzbehinderungen ist darauf hinzuweisen, dass die Akzeptanz
eines Cochlea-Implantates sorgfältig abzuwägen ist. Etwa 27% der Kinder, die zusätzlich
zur Hörstörung Autismusspektrumsstörungen aufweisen, tragen ihr CI später nicht mehr
[171]. Aus der klinischen Praxis mit CI-Trägern ist uns auch bekannt, dass jugendliche
Gehörlose während der Pubertät oftmals selber kein CI erhalten möchten. Ebenso spielen
falsche Erwartungen und Versprechungen, sozialer Druck z. B. in der Schulklasse oder
psychische Probleme eine Rolle beim Trageverhalten.
8. Zukünftige Entwicklungen – Bionic Hearing
8. Zukünftige Entwicklungen – Bionic Hearing
Die großen Fortschritte in der Cochlea-Implantat-Technologie haben zu guten Ergebnissen
in der Hörrehabilitation geführt. Allerdings weisen die Ergebnisse ein große Variabilität
auf. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Neben den bekannten demographischen
Faktoren zählen dazu begleitende Erkrankungen und Zusatzbehinderungen. Von entscheidender
Bedeutung sind die Informationsübertragungskapazität an der Elektroden-Nerven-Schnittstelle,
die durch den Funktionszustand des Hörnerven sowie die Zahl der effektiven Elektrodenkanäle
bestimmt ist, sowie die zentral-auditorische Verarbeitung des rudimentären Eingangssignales
durch die vorhandene kognitive Kapazität
Das Ziel der zukünftigen Entwicklung liegt in der Realisierung des bionischen Ohres
([Abb. 60]) mit einer weitgehenden Wiederherstellung des Gehörs durch Nachbildung des physiologischen
Hörens mit Hilfe technischer Lösungen.
Abb. 60 Entwicklungen im CI-Bereich zum bionischen Ohr.
Wesentliche Elemente dieses bionischen Ohrs sind ein verbessertes Elektroden-Nerven-Interface
zur Wiederherstellung eines nahezu normalen physiologischen Erregungsmusters des Hörnerven,
die Regeneration des peripheren Hörsystems durch biologische Therapien und die adäquate
Nutzung der so geschaffenen Informationsübertragungskanäle durch eine adäquate Sprachverarbeitungsstrategie.
Der Weg zum bionischen Hören wird durch zahlreiche Zwischenschritte charakterisiert
sein und umfasst folgende Bereiche ([Tab. 10]):
Tab. 10 Zukünftige Entwicklungen – Bionic Hearing.
-
Verbesserung der Hörerhaltung
-
Verbesserung der Elektroden-Nerven-Schnittstelle
-
Regeneration des Hörnerven
-
Entwicklung hybrider Stimulationssysteme
-
Sprachverarbeitungsstrategien
-
Closed-Loop-Systeme und Brain-Computer Interfaces
-
Hearing Device of the Future mit integrierter Multi-Sensorik
-
Cochlea-Implantate als Personal Communicator
-
Invisible hearing – Totally Implantable CI TICI
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8.1 Verbesserung der Hörerhaltung
Grundsätzlich ist es möglich, das Restgehör im Rahmen der Cochlea-Implantation zu
erhalten und durch hybride Hörsysteme zu nutzen. Allerdings ist der Prozentsatz der
guten Hörerhaltung noch weit von dem bei z. B. Stapesplastik entfernt. Diese Zielvorgabe
bedeutet, dass sowohl die Elektrodenträger als auch die Operationstechnik und die
posttraumatische biologische Reaktion in der Cochlea zu adressieren sind. Der letzte
Punkt wird bereits durch Drug-Eluting Electrodes realisiert. So befinden sich zurzeit
Dexamethason-freisetzende Elektrodenträger in der klinischen Erprobung. Erste Ergebnisse
deuten auf eine deutliche Verminderung der Trauma-Reaktion und bessere Hörerhaltung
hin.
Die mechanischen Eigenschaften der Elektrodenträger werden so verbessert, dass sie
sich der individuellen cochleären Anatomie exakt anpassen. Dazu ist die additive Fertigung
von Elektrodenträgern mit Bezug auf die individuelle Cochlea-Anatomie eine der möglichen
Realisierungswege.
Ein drittes Element betrifft die verbesserte chirurgische Technik durch Einsatz von
robotischen Insertions-Systemen, die zielgenau Elektroden in die Cochlea unter Berücksichtigung
vorberechneter Insertionswege platzieren.
8.2 Verbesserung der Elektroden-Nerven-Schnittstelle
Durch Positionierung der Elektrodenträger am Modiolus kommt es zu einer deutlichen
Verminderung benötigter Stromstärken und damit auch zu einer Reduktion der elektrischen
Feldausbreitung. Dies kann durch adaptive Elektrodensysteme erzielt werden, die ihre
Form nach Insertion ändern und z. B. durch Aufnahme von Perilymphe über Polymer-Bimorphe
zu einer Krümmung und damit Anpassung an den Modiolus führen. In ähnlicher Weise sind
Nitinol-basierte Systeme denkbar. Ein anderer Weg ist das sogenannte Auditory Nerve
Implant, bei dem ein Elektroden-Igel mit sehr vielen Elektrodenkontakten (bis zu 96)
direkt im Hörnerven platziert wird ([Abb. 61]). Dadurch ist eine unmittelbare Reizung benachbarter Hörnervenfasern möglich bei
gleichzeitiger Reduktion der Stimulationsstromstärke und Verbesserung der Kanaltrennung.
Abb. 61 Auditory Nerve Implant zur Verbesserung der Elektroden-Nerven-Schnittstelle durch
intraneurale Reizung.
Advanced Implants verwenden zusätzlich intracochleäre biologische Faktoren wie Wachstumsfaktoren
oder Stammzellen zur Verbesserung der Schnittstelle.
8.3 Regeneration des Hörnerven
Ein weiteres Element zur Verbesserung der Informationsübertragungskapazität stellt
die Regeneration des Hörnerven dar. Durch Freisetzung von Nerven-Wachstumsfaktoren
sowie die Verwendung von zellulär beschichteten Elektroden zur Autoproduktion dieser
Nerven-Wachstumsfaktoren wird ein gerichtetes Aufwachsen von peripheren Dendriten
aus den Spiralganglienzellen auf die funktionalisierte Elektrode kommen. Diese direkte
Nerven-Verbindung verbessert die Spezifität der elektrischen Reizung und damit die
Kanaltrennung erheblich, so daß Elektrodensysteme mit wesentlich höherer Kanalzahl
realisierbar werden ([Abb. 62]).
Abb. 62 Advanced Cochlear Implants mit zusätzlicher biologischer Komponente zur Traumareduktion,
Verbesserung der Hörerhaltung und Hörnervenregeneration.
8.4 Entwicklung hybrider Stimulationssysteme
Für die elektroakustische Stimulation kommen alternativ auch elektromechanische und
elektrooptische Systeme in Frage, die in das Implantat mit integriert werden. Dadurch
können universelle Stimulatoren für das Innenohr realisiert werden, die in Abhängigkeit
des bestehenden Hörverlustes und seiner Entwicklung eine jederzeit optimale Nutzung
des peripheren Restgehörs und der Funktion des Hörnerven erlauben.
8.5 Sprachverarbeitungsstrategien
Das verbesserte Elektroden-Nerven-Interface ermöglicht neue und bessere Möglichkeiten
der Sprachverarbeitungsstrategie. Darunter versteht man den Algorithmus, mit dem das
akustische Signal in eine logische Abfolge elektrischer Pulse für das Cochlear Implant
System übersetzt wird. Bei einer deutlichen Verbesserung des Elektroden-Nerven-Interfaces
mit einer größeren Zahl elektrisch getrennter Kanäle können andere Sprachverarbeitungsstrategien
Verwendung finden, die eine Erhöhung der übertragenden Informationsmenge, eine spektrale
Kontrastierung und eine Nachbildung physiologischer Erregungsmuster des Hörnerven
erlauben. Durch geeignete Modellierung der individuellen Stromausbreitung in der Cochlea
lassen sich darüber hinaus die besten Kombinationen der Elektrodenkontakte zur Stimulation
ermitteln.
8.6 Closed-Loop-Systeme und Brain-Computer-Interfaces
Die durch die periphere Stimulation ausgelöste zentrale Verarbeitung der Hörinformation
kann in geeigneter Weise über integrierte EEG-Elektroden des CI-Systems abgeleitet
werden. Diese Signale können wiederum dem Implantat zugeführt werden ([Abb. 63]). Auf diese Weise ist eine Optimierung der Sprachverarbeitungsalgorithmen für eine
bestmögliche Hörleistung in Abhängigkeit der individuellen Hörsituation möglich.
Abb. 63 Closed-Loop-Systeme mit EEG-Feedback zur automatisierten Optimierung der Sprachverarbeitungsstrategie,
Kontrolle der Hörperformance und der Hör-Sprachentwicklung bei Kindern. CI-System
als Brain-Computer-Interface.
8.7 Hearing Device of the Future mit integrierter Multi-Sensorik
Die Erfassung zahlreicher zusätzlicher Parameter über das Hörimplantat eröffnet die
Möglichkeit z. B. Bewegungsstörungen im Rahmen vestibulärer Läsionen aufzunehmen und
zu diagnostizieren. Zusätzliche Elektroden für die mit Platzierung im vestibulären
System zur Kompensation der Gleichgewichtsstörung ist damit ebenso verbunden wie die
Registrierung biochemischer Veränderungen in der Perilymphe, z. B. im Rahmen von Entzündungsvorgängen
oder Durchblutungsstörungen. Diese multisensorischen Systeme erlauben außerdem die
Aufnahme zahlreicher Körperparameter wie Pulsrate, O2-Sättigung. Damit kommt dem Cochlea-Implantat
eine übergeordnete Funktion für das Gesundheitsmonitoring zu ([Abb. 64]).
Abb. 64 Multisensorisches CI-System zur zusätzlichen Erfassung weiterer Biomarker wie z.B.
vestibuläre Parameter (mit freundlicher Genehmigung des Exzellenzclusters Hearing4All).
8.8 Cochlea-Implantate als Personal Communicator
Durch Einbindung des Cochlea-Implantates in ein übergeordnetes Kommunikationssystem
können die Möglichkeiten der Audiotechnologie und Telekommunikation voll für das Cochlea-Implantat
genutzt werden. Die Steuerung geschieht z. B. über Bluetooth.
8.9 Invisible Hearing – Totally Implantable CI
Durch Fortschritte der Batterie- und Mikrofontechnologie sind vollimplantierbare Hörsysteme
möglich geworden. Die Energieversorgung erfolgt durch transkutan aufladbare Batterien.
Der Schall wird über subkutan platzierte Mikrophone aufgenommen. Bei Bedarf kann ein
externer Sprachprozessor angekoppelt werden. Zurzeit werden Akkulaufzeiten von ca.
10–15 Jahren als realistisch angesehen. Der Patient gewinnt weitere Handlungsfreiheit
und verliert das Stigma der Hörbehinderung. Hardware-Upgrades sind nur im Rahmen der
erforderlichen Reimplantation möglich.