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DOI: 10.1055/a-1755-7622
Der besondere Fall
An dieser Stelle möchte die Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie erneut einen besonderen Fall bieten – dieses Mal vorgestellt von BGPN-Vorstandsmitglied Prof. Hans-Peter Vogel. BGPN-Mitglieder sind herzlich eingeladen, eigene kurz gefasste Fälle einzusenden (info@bgpn.de). Die schriftliche Zustimmung des Patienten muss vorliegen, oder die Fälle müssen so verändert werden, dass ein Rückschluss auf die Identität unmöglich ist.
Depression und violetter Urin
Ich berichte über einen Patienten bzw. die Erkrankung einer Familie, deren Untersuchung über 30 Jahre zurückliegt. Der Fall ist mir wegen der diagnostischen Schwierigkeiten, aber auch seiner Tragik im Gedächtnis geblieben, auch wenn ich einige Details nicht mehr erinnere. Ein etwa 40-jähriger Mann wurde im Rahmen der Trauer über seinen kürzlich verstorbenen Vater depressiv und begab sich in nervenärztliche Behandlung. Dort erhielt er ein Antidepressivum, wurde danach ängstlicher und beklagte lumbale Rückenschmerzen und Missempfindungen in den Beinen. Dies führte zur Aufnahme in einer neurochirurgischen Abteilung, wo man unter der Verdachtsdiagnose einer bandscheibenbedingten Erkrankung eine Myelografie durchführte, die ein normales Ergebnis zeigte. Im weiteren Verlauf beklagte er Kopfschmerzen und wurde als „hysterisch“ beschrieben. Er erhielt daraufhin Dihydroergotamin, was seinerzeit auch bei postpunktionellen Beschwerden eingesetzt wurde, und zusätzlich Diazepam.
Er wurde delirant, erlitt einen Krampfanfall, entwickelte Fieber und eine Tachykardie. Zusätzlich kam es zu einer sich rasch entwickelnden, letztlich beatmungspflichtigen schlaffen Tetraparese. Ein CCT zeigte eine geringe Subarachnoidalblutung. Ein MRT war seinerzeit zumindest für beatmete Patienten noch nicht verfügbar. Inzwischen wurde u. a. durch Bestimmung der Delta-Aminolaevulinsäure eine akute intermittierende Porphyrie diagnostiziert. Eindrucksvoll war die Beobachtung, dass der Urin im Katheter noch goldgelb war, im angehängten Beutel dann aber violett nachdunkelte. Der Patient verstarb an Komplikationen der intensivmedizinischen Behandlung.
Der Bruder des Patienten – auch depressiv – wurde ebenfalls medikamentös antidepressiv behandelt. Während einer stationären psychiatrischen Behandlung wurde er wahnhaft und stieß sich während eines Belastungsurlaubs ein Messer ins Herz, konnte aber durch einen kardiochirurgischen Eingriff gerettet werden. Die behandelnde psychiatrische Klinik hatte bis dahin keine Kenntnis über die Erkrankung des Bruders. Eine Schwester der beiden litt unter einer leichten Polyneuropathie. Im Wissen um die erbliche Erkrankung ist es bei ihr zu keinen Komplikationen gekommen.
Die akute intermittierende Porphyrie (AIP) ist eine seltene autosomal-dominante Erkrankung der Hämsynthese, deren Attacken durch Stress, Hunger, Östrogene und einige porphyriefördernde Medikamente ausgelöst werden können. Die primäre psychopharmakologische Behandlung der beiden Brüder ist mir nicht mehr bekannt, Ergotamin und Diazepam sind aber sicher porphyrieauslösend. Unklar blieb seinerzeit, wieso eine metabolische Erkrankung auch zu Blutungskomplikationen führen kann. Inzwischen kann man eine mögliche Erklärung anbieten, denn man weiß jetzt, dass die AIP auch eine posteriore reversible Encephalopathie (PRES) auslösen kann, die ihrerseits in ca. 15 % mit Blutungskomplikationen, auch sulkalen Subarachnoidalblutungen, verbunden ist. Das Krankheitsbild der PRES war damals noch nicht bekannt. Die Gabe von Häm-Präparaten (Hämarginat) war noch nicht Standard.
Hans-Peter Vogel
Die zitierte Literatur ist kostenfrei herunterladbar.
Prof. Dr. Tom Bschor
Redaktion: Dr. Anja M. Bauer
Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Neurologie e. V.
Schlosspark-Klinik, Abteilung für Psychiatrie
Heubnerweg 2
14059 Berlin
info@bgpn.de
www.bgpn.de
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Literatur
- 1 Stölzel U. et al Porphyrien. Internist 2021; 62: 937-951
- 2 Zheng X. et al Medicine. 2018; 07: 36-44
- 3 Hefzy HM. et al A J Neuroradiol. 2009; 30: 1371-1379
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
05. Mai 2022
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Literatur
- 1 Stölzel U. et al Porphyrien. Internist 2021; 62: 937-951
- 2 Zheng X. et al Medicine. 2018; 07: 36-44
- 3 Hefzy HM. et al A J Neuroradiol. 2009; 30: 1371-1379