Geburtshilfe Frauenheilkd 2022; 82(08): 795-830
DOI: 10.1055/a-1765-4157
GebFra Science
Guideline/Leitlinie

Nierenerkrankungen und Schwangerschaft. Leitlinie der DGGG, OEGGG und der DGfN (S2k-Level, AWMF-Registernummer 015 – 090)

Artikel in mehreren Sprachen: English | deutsch
Markus Schmidt
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Sana Kliniken, Duisburg, Germany
,
Sylvia Stracke
2   Klinik und Poliklinik für Innere Medizin A, Universitätsklinikum, Greifswald, Germany
,
Uwe Schneider
3   Frauenärztliche Gemeinschaftspraxis, Jena, Germany
,
Bettina Kuschel
4   Frauenklinik, Klinikum rechts der Isar, München, Germany
,
Thorsten Feldkamp
5   Nephrologisches Zentrum Niedersachen, Hann. Münden, Germany
,
Sandra Habbig
6   Universitätskinderklinik, Köln, Germany
,
Karoline Mayer-Pickel
7   Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Graz, Austria
,
Andreas Hartung
8   Frauenarztpraxis Fulda, Fulda, Germany
,
Birgit Bader
9   Klinik für Nephrologie, St. Joseph Krankenhaus, Berlin, Germany
,
Julia Weinmann-Menke
10   Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsmedizin, Mainz, Germany
,
Uwe Korst
11   PKD Familiäre Zystennieren e. V., Bensheim, Germany
,
Frank Vom Dorp
12   Klinik für Urologie, Helios Kliniken, Duisburg, Germany
,
Ute Margaretha Schäfer-Graf
13   Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, St. Joseph Krankenhaus, Berlin, Germany
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Ziel Dank verbesserter diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten können heutzutage auch Frauen mit eingeschränkter Nierenfunktion unterschiedlicher Ätiologie schwanger werden. Je nach Ausprägung und Begleiterkrankungen stellt die Betreuung dieser Frauen eine besondere Herausforderung dar. Ziel der Leitlinie ist eine Verbesserung der interdisziplinären Betreuung von Schwangeren mit Nierenerkrankungen.

Methoden Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche. Diese S2k-Leitlinie wurde dann durch eine strukturierte Konsens-basierte Vorgehensweise aller beteiligten Fachgesellschaften erstellt.

Empfehlungen Es wurden Empfehlungen zur Betreuung von Schwangeren mit Nierenerkrankungen erarbeitet, die sowohl die präkonzeptionelle Beratung und Erfassung von Risiken, die besonderen Aspekte der Schwangerenvorsorge und Pränataldiagnostik sowie die spezifischen Therapiemöglichkeiten der Grunderkrankung bei Kinderwunsch und in der Schwangerschaft umfassen.


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I  Leitlinieninformation

Leitlinienprogramm der DGGG, OEGGG und SGGG

Informationen hierzu finden Sie am Ende der Leitlinie.


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Zitierweise

Chronic Kidney Disease and Pregnancy. Guideline of the DGGG, OEGGG, DGfN (S2k Level, AWMF Registry No. 015 – 090). Geburtsh Frauenheilk 2022; 82: 795–830


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Leitliniendokumente

Die vollständige Langfassung dieser Leitlinien sowie eine Aufstellung der Interessenkonflikte aller Autoren befinden sich auf der Homepage der AWMF.


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Leitliniengruppe ([Tab. 1] und [2])

Tab. 1 Federführender und/oder koordinierender Leitlinienautor/in.

Autor/in

AWMF-Fachgesellschaft

Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf

DGGG – AG G

Prof. Dr. Markus Schmidt

DGGG – AG G

Prof. Dr. Sylvia Stracke

Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)

Tab. 2 Beteiligte Leitlinienautoren/innen (alphabetisch geordnet).

Autor/in

Mandatsträger/in

DGGG-Arbeitsgemeinschaft (AG)/
AWMF/Nicht-AWMF-Fachgesellschaft/
Organisation/Verein

Prof. Uwe Schneider

Prof. Dr. Bettina Kuschel

Deutsche Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin (DGPGM)

Prof. Dr. Thorsten Feldkamp

Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)

PD Dr. Sandra Habbig

Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI)

PD Dr. Karoline Mayer-Pickel

Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (ÖGGG)

Dr. Andreas Hartung

Berufsverband der Frauenärzte (BVF)

Prof. Dr. Sylvia Stracke

Dr. Birgit Bader

Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke

Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)

Uwe Korst

Bundesverband Niere e. V. (Patientinnenvertreter)

Prof. Dr. Ute Schäfer-Graf

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG)

Prof. Dr. Markus Schmidt

Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM)

Prof. Dr. Frank vom Dorp

Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU)


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II  Leitlinienverwendung

Begründung für die Auswahl des Leitlinienthemas

Mit zunehmendem Alter der Schwangeren nehmen auch die vorbestehenden Vorerkrankungen zu, die den Schwangerschaftsverlauf für Mutter und Kind entscheidend beeinflussen können. Dank verbesserter diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten können heutzutage auch Frauen mit eingeschränkter Nierenfunktion unterschiedlicher Ätiologie schwanger werden. Je nach Ausprägung und Begleiterkrankungen stellt die Betreuung dieser Frauen eine besondere Herausforderung dar.


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Fragestellung und Ziele

Die Leitlinie hat das Ziel, den Klinikern ein Instrumentarium an die Hand zu geben, um die Versorgung dieses Risikokollektivs zu verbessern und zu vereinheitlichen. Dazu werden alle relevanten Bereiche zur Schwangerschaftsbetreuung bearbeitet einschließlich der präkonzeptionellen Beratung und der postpartalen Folgen für Mutter und Kind.


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Versorgungsbereich

  • stationärer Versorgungssektor

  • ambulanter Versorgungssektor


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Patient*innenzielgruppe

Die Leitlinie richtet sich an Frauen mit Nierenerkrankungen sowohl in der Phase des Kinderwunsches als auch in der Schwangerschaft.


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Anwenderzielgruppe/Adressaten

Diese Leitlinie richtet sich an folgende Personenkreise:

  • Gynäkolog*innen in der Niederlassung

  • Gynäkolog*innen mit Klinikanstellung

  • Internist*innen und Allgemeinmediziner*innen speziell mit Zusatzbezeichnung Nephrologie

  • Neonatolog*innen

Weitere Adressaten sind (zur Information):

  • Pflegekräfte

  • Hebammen


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Verabschiedung und Gültigkeitsdauer

Die Gültigkeit dieser Leitlinie wurde durch die Vorstände/Verantwortlichen der beteiligten Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine sowie durch den Vorstand der DGGG und der DGGG-Leitlinienkommission im September 2021 bestätigt und damit in ihrem gesamten Inhalt genehmigt. Diese Leitlinie besitzt eine Gültigkeitsdauer von 01.10.2021 bis 30.09.2024. Diese Dauer ist aufgrund der inhaltlichen Zusammenhänge geschätzt.


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III  Methodik

Grundlagen

Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es wird zwischen der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden. Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen, erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe S2 in die systematische Evidenzrecherche-basierte (S2e) oder strukturelle Konsens-basierte Unterstufe (S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.

Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k


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Empfehlungsgraduierung

Während mit der Darlegung der Qualität der Evidenz (Evidenzstärke) die Belastbarkeit der publizierten Daten und damit das Ausmaß an Sicherheit/Unsicherheit des Wissens ausgedrückt wird, ist die Darlegung der Empfehlungsgrade Ausdruck des Ergebnisses der Abwägung erwünschter und unerwünschter Konsequenzen alternativer Vorgehensweisen.

Die Verbindlichkeit definiert die medizinische Notwendigkeit einer Leitlinienempfehlung, ihrem Inhalt zu folgen, wenn die Empfehlung dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. In nicht zutreffenden Fällen darf bzw. soll von der Empfehlung dieser Leitlinie abgewichen werden. Eine juristische Verbindlichkeit ist durch den Herausgeber nicht definierbar, weil dieser keine Gesetze, Richtlinien oder Satzungen (im Sinne des Satzungsrechtes) beschließen darf. Dieses Vorgehen wird vom obersten deutschen Gericht bestätigt (Bundesgerichtsurteil VI ZR 382/12).

Die reine Evidenzgraduierung einer Leitlinie auf S2e/S3-Niveau nach SIGN und GRADE lässt einen leitlinientypischen Empfehlungsgrad zu. Dieser symbolische Empfehlungsgrad unterscheidet sich in 3 Abstufungen mit jeweils unterschiedlichen Stärken der sprachlichen Ausdrucksweise. Diese derzeit allgemein angewandte Graduierung wird außer von der AWMF auch von der Bundesärztekammer und ihren Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) benützt. Die gewählte Formulierung des Empfehlungsgrades sollte im Hintergrundtext erläutert werden ([Tab. 3]).

Tab. 3 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).

Beschreibung der Verbindlichkeit

Ausdruck

starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit

soll/soll nicht

einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit

sollte/sollte nicht

offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit

kann/kann nicht


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Statements

Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen Statements ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.


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Konsensusfindung und Konsensusstärke

Im Rahmen einer strukturellen Konsensusfindung (S2k/S3-Niveau) stimmen die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen ab. Hierbei kann es zu signifikanten Änderungen von Formulierungen etc. kommen. Abschließend wird abhängig von der Anzahl der Teilnehmer eine Stärke des Konsensus ermittelt ([Tab. 4]).

Tab. 4 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.

Symbolik

Konsensusstärke

prozentuale Übereinstimmung

+++

starker Konsens

Zustimmung von > 95% der Teilnehmer

++

Konsens

Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer

+

mehrheitliche Zustimmung

Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer

kein Konsens

Zustimmung von < 51% der Teilnehmer


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Expert*innenkonsens

Wie der Name bereits ausdrückt, sind hier Konsensusentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenz (S2e/S3) gemeint. Der zu benutzende Expert*innenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer Konsensuspunkt“ (KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Graduierung von Empfehlungen beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein semantisch („soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).


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IV  Leitlinie

1  Nierenfunktion in der Schwangerschaft

1.1  Definition der chronischen Nierenkrankheit (chronic kidney disease; CKD)

Eine chronische Nierenkrankheit (chronic kidney disease; CKD) liegt nach der Definition der KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) vor, wenn Abweichungen von der normalen Struktur oder Funktion der Nieren mit negativen Auswirkungen auf den Gesundheitszustand länger als 3 Monate bestehen. Die Ursache und Art der Nierenschädigung kann vielfältig sein und sich in verschiedenen Messparametern bemerkbar machen: Albuminurie, Urinsediment-Anomalien, Tubulus-Problemen, histologischen Veränderungen oder strukturellen anatomischen Anomalien.

Klassifiziert wird die chronische Nierenkrankheit durch Angabe der Grunderkrankung, der glomerulären Filtrationsrate und der Albumin-Ausscheidung.

Die CGA-Klassifizierung der chronischen Nierenkrankheit erfolgt nach Grunderkrankung (Causa), glomerulärer Filtrationsrate und Albuminurie. Die glomeruläre Filtrationsrate wird in 5 Kategorien (G1–5) eingeteilt, die Albuminurie in 3 (A1–3).

Nach GFR werden folgende Stadien unterteilt:

  • Stadium 1: GFR ≥ 90 ml/min

  • Stadium 2: GFR 60 – 89 ml/min

  • Stadium 3: GFR 30 – 59 ml/min

  • Stadium 4: GFR 15 – 29 ml/min

  • Stadium 5: GFR < 15 ml/min


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1.2  Bestimmung der Nierenfunktion

Glomeruläre Filtrationsrate

Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ist das wichtigste Maß für die Ausscheidungsfunktion der Nieren. Sie kann mithilfe von Näherungsformeln aus der Kreatinin-Konzentration im Serum berechnet werden. Bei jungen gesunden Erwachsenen liegt die glomeruläre Filtrationsrate bei ca. 125 ml/min/1,73 m2. Eine chronische Nierenkrankheit liegt vor, wenn die glomeruläre Filtrationsrate unter 60 ml/min/1,73 m2 gesunken ist.


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Albuminausscheidung

Bei einer Schädigung der Blut-Harn-Schranke im Nierenkörperchen (Glomerulus) kommt es zum Übertritt von Proteinen aus dem Blut in den Urin. Die Albuminkonzentration im Urin wird bestimmt und auf die gleichzeitig gemessene Kreatininkonzentration im Urin bezogen (Normalwert: Albumin-Kreatinin-Quotient < 30 mg/g).


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Messung der glomerulären Filtrationsrate (GFR)

Die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) ist nicht direkt messbar, sondern muss als Clearance eines möglichst idealen Markers berechnet werden. Die seit 1935 durchgeführte Inulin-Clearance gilt heute immer noch als Goldstandard (genaueste Methode).


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Kreatinin

Der Kreatininwert wird im Blut (Serum) der Patientin ermittelt und gehört zu den wichtigen Laborbestimmungen. Bei eingeschränkter Nierenfunktion können die Glomeruli Kreatinin nicht mehr ausreichend filtrieren, mit der Folge, dass es sich im Blut ansammelt.

Das Serumkreatinin wird erst pathologisch, wenn die Nierenfunktion bereits um mehr als 50% vermindert ist. Deshalb ist Kreatinin als isolierter Marker zur Abschätzung der Nierenfunktion (GFR) und für die Früherkennung einer Nierenerkrankung nicht gut geeignet, weil er erst spät bei eingeschränkter Nierenfunktion ansteigt und von Alter, Geschlecht, Abstammung, Muskelmasse und Ernährung abhängig ist.


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Cystatin C

Cystatin C (auch: CysC) ist ein körpereigenes niedermolekulares Protein, das in der Nierendiagnostik zur Bestimmung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) verwendet wird. Die Serum-Normalwerte beim Menschen liegen für beide Geschlechter zwischen 0,53 und 0,95 mg/l. Cystatin C steigt im Gegensatz zu Kreatinin bereits bei einer leichten Einschränkung der GFR, eine Abnahme der GFR bei noch normaler Nierenfunktion lässt sich besser erkennen als mittels Serumkreatinin oder GFR-Formeln.


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Nierenfunktion in der Schwangerschaft

Die Niere passt sich an die veränderten Umstände einer Schwangerschaft an. Durch vermehrte Vaskularisation der Plazenta nimmt der insgesamt zu versorgende Gefäßquerschnitt zu, was zu einer Abnahme des Blutdrucks führt. Da die Mutter sowohl sich als auch den Fetus mit Blut versorgen muss, nehmen kompensatorisch das Blutvolumen, die mütterliche Herzfrequenz und somit auch das Herzminutenvolumen zu. Damit einhergehend steigen der renale Plasmafluss (RPF) um 60 – 80% sowie die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) um etwa 50% bei gleichbleibendem intraglomerulärem Druck.

Als Folge davon nimmt die Konzentration der über die Niere eliminierten Metaboliten im mütterlichen Serum ab; dazu gehören auch die Retentionsparameter Kreatinin, Harnsäure und Harnstoff. Normalbefunde der Serumkreatininwerte außerhalb der Schwangerschaft gelten in der Schwangerschaft damit schon als erhöht und können Hinweis auf eine Nierenschädigung geben.

Physiologische Veränderungen:

  • Kreatinin sinkt auf 0,4 – 0,5 mg/dl (36 – 45 µmol/l)

  • Harnstoff sinkt auf ca. 18 mg/dl (3,0 mmol/l)

  • Harnsäure sinkt auf 3,2 – 4,3 mg/dl (190 – 256 µmol/l)

Zusätzlich dazu verändert sich die Durchlässigkeit des glomerulären Filters: eine Proteinurie bis zu maximal 300 mg pro Tag (im 24-Stunden-Sammelurin) wird daher in der Schwangerschaft als physiologisch betrachtet.

Der durch vasoaktive Substanzen verursachte verminderte Gefäßwiderstand wiederum führt zur Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS). Die Niere gewinnt an Volumen und Länge (1 – 2 cm), was bei bis zu 80% der Schwangerschaften zu einer physiologischen Hydronephrose führt. Die dadurch bedingte Dilatation des Nierenbeckens und des Harntraktes (bzw. der Ureteren) können einen Harnstau vortäuschen und haben ein häufigeres Auftreten von vesikoureteralem Reflux, eine Stase in den Ureteren durch Kompression des Blasenostiums und eine damit einhergehende Begünstigung für Bakteriurien und aufsteigende Harnwegsinfektionen bis hin zur Pyelonephritis zur Folge.


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1.3  Epidemiologie

Insgesamt ist eine chronische Nierenkrankheit bei Schwangeren selten, genaue Inzidenzen sind nicht bekannt.

Generell kann man bei Schwangerschaften mit chronischer Nierenkrankheit 3 Risikokonstellationen unterscheiden:

  • Patientinnen mit noch normaler oder nur leicht eingeschränkter Nierenfunktion (Serumkreatinin < 1,5 mg/dl oder GFR > 70 ml/min),

  • Patientinnen mit einer mittelgradigen Nierenfunktionseinschränkung (in den meisten Studien Serumkreatinin von 1,5 – 3,0 mg/dl),

  • Patientinnen mit einer höhergradigen Nierenfunktionseinschränkung (Serumkreatinin > 3,0 mg/dl).

Bei mittel- und höhergradiger Nierenfunktionseinschränkung kann aufgrund der hohen Komplikationsrate eine Schwangerschaft nicht generell empfohlen werden. Es sollte bei Kinderwunsch eine Beratung unter Abwägung der individuellen Gesundheits- und Lebenssituation erfolgen.

Doch auch Schwangere mit Nierenerkrankungen, die (noch) nicht mit einer Reduktion der Nierenfunktion einhergehen, haben ein signifikant höheres Risiko für ein schlechtes Outcome der Schwangerschaft.


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2  Präkonzeptionelle Beratung

2.1  Schwangerschaftskomplikationen bei chronischer Nierenkrankheit

Konsensbasierte Empfehlung 2.E1

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Sichere und effektive Verhütungsmethoden sollen folgenden Frauen empfohlen werden: Frauen, die derzeit teratogene Medikamente nehmen, mit einer aktiven Glomerulonephritis, innerhalb eines Jahres nach Nierentransplantation bzw. nach einer Transplantatabstoßung. Bei der Wahl des Kontrazeptivums sollte die Grunderkrankung berücksichtigt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E2

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit sollen über das erhöhte Risiko von Schwangerschaftskomplikationen, wie Aborte, Frühgeburtlichkeit, Präeklampsie, fetale Wachstumsrestriktion, vorzeitige Plazentalösung oder intrauterinem Fruchttod, sowie eine Verschlechterung der Nierenfunktion aufgeklärt werden.

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit haben ein erhöhtes Risiko, Schwangerschaftskomplikationen zu entwickeln.

Die Häufigkeit sowie der Zeitpunkt des Auftretens von Schwangerschaftskomplikationen sind sowohl abhängig vom Grad der chronischen Nierenkrankheit als auch von der zugrunde liegenden Erkrankung und deren Behandlung.

Es existiert keine Grenze für Nierenwerte, bei denen von einer Schwangerschaft abgeraten wird. Die Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft ist individuell und gemeinsam mit der Patientin unter Berücksichtigung individueller Risikofaktoren zu treffen. Sowohl bei Dialysepatientinnen als auch bei Nierentransplantierten wurden erfolgreiche Schwangerschaften berichtet.

Niere und Diabetes

Konsensbasierte Empfehlung 2.E3

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine präkonzeptionelle Stoffwechselkontrolle mit einem HbA1c unter 7,0% sollte angestrebt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E4

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Präkonzeptionell sollte eine Optimierung der Blutdruckeinstellung erfolgen.

Diabetes ist häufigster Grund für CKD bei Frauen im gebärfähigen Alter. Bei Diabetikerinnen besteht auch ohne vorbestehende CKD ein erhöhtes Risiko für Hypertonie, Proteinurie sowie Präeklampsie.


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2.2  Medikation in der Schwangerschaft

Konsensbasierte Empfehlung 2.E5

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit G3 – 5 (EGFR < 60 ml/min) oder A3 (Albuminausscheidung > 300 mg/g) sollten eine Thromboseprophylaxe mit niedermolekularem Heparin während der Schwangerschaft und im Wochenbett (6 – 8 Wochen postpartal) erhalten.

Niedermolekulares ist unfraktioniertem Heparin aufgrund einer höheren Bioverfügbarkeit, längerer Halbwertszeit und einem besseren prognostizierbaren therapeutischen Ansprechen vorzuziehen.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E6

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine bereits begonnene Substitution von Vitamin D bei Frauen mit chronischer Nierenkrankheit soll während der Schwangerschaft fortgeführt werden bzw. bei neu diagnostiziertem Mangel begonnen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E7

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit sollten keine Kalzimimetika und keine nicht kalziumhaltigen Phosphatbinder während der Schwangerschaft und Stillzeit erhalten.

Antihypertensiva

Konsensbasierte Empfehlung 2.E8

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei vorbestehendem Bluthochdruck nierenerkrankter schwangerer Patientinnen sollen Kalziumantagonisten wie Nifedipin oder Amlodipin als Mittel der 1. Wahl eingesetzt werden. Alternativ oder additiv können α-Methyldopa, Urapidil, β1-selektive β-Blocker oder Labetalol (A/CH) verwendet werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E9

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Therapie in der Schwangerschaft mit einem ACE-Hemmer, AT1-Antagonisten sowie Renin-Inhibitoren (RAS-Blockade) ist kontraindiziert, Diuretika sollten nur unter strenger Indikationsstellung eingesetzt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E10

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei einer bestehenden Therapie mit einer RAS-Blockade soll die Patientin darüber aufgeklärt werden, dass diese bei Bekanntwerden einer Schwangerschaft beendet und auf geeignete Alternativpräparate umgestellt werden soll. Eine Therapie mit einer RAS-Blockade stellt jedoch keine medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar.

In [Tab. 5] sind sowohl Mittel der 1. und 2. Wahl als auch nicht geeignete Mittel zur Therapie eines Bluthochdrucks in der Schwangerschaft aufgeführt.

Tab. 5 Antihypertensiva in der Schwangerschaft.

Medikament

perikonzeptionell

Schwangerschaft

Stillzeit

Dosierung

Anmerkungen

geeignete Medikamente

α-Methyldopa (Aldometil/Presinol)

sicher

sicher

sicher

200 – 250 mg (2 – 4 ×/d). Max. 2 g/d

Mittel der 1. Wahl

Nifedipin retard (Adalat ret.)

sicher

sicher

sicher

20 – 60 mg. Max. 120 mg/d

Amlodipin (Norvasc)

sicher

limitierte Datenlage

limitierte Datenlage

5 mg. Max. 10 mg/d

Urapidil (Ebrantil)

nicht teratogen, aber limitierte Datenlage

nicht teratogen, aber limitierte Datenlage

nicht teratogen, aber limitierte Datenlage

30 – 60 mg. Max. 180 mg/d

eingeschränkt geeignet

selektive β1-Blocker (Metoprolol)

nicht teratogen

nicht teratogen

sicher

25 – 100 mg/d (2 × tgl.)

Cave IUGR! Selten neonatale Bradykardie und Hypoglykämie

nicht geeignete Medikamente

Diuretika

nicht empfohlen

nicht empfohlen

nicht empfohlen

potenzielle Beeinträchtigung der uteroplazentaren Perfusion

ACE-Hemmer

nicht empfohlen

nicht empfohlen

nicht empfohlen

vor allem im 2. und 3. Trimenon: ANV, Lungenhypoplasie, Knochen und Aortenbogenmalformationen bei Neugeborenen, Oligohydramnion

Angiotensin AT-1 Antagonisten

nicht empfohlen

nicht empfohlen

nicht empfohlen

Oligohydramnion, Schädelknochenhypoplasie, nephrotoxisch


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Cyclophosphamid

Konsensbasierte Empfehlung 2.E11

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit, die Cyclophosphamid erhalten, sollten über die Möglichkeiten der Fertilitätsprotektion in spezialisierten Zentren aufgeklärt werden.


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Immunsuppressiva

Immunsuppressiva, die in der Schwangerschaft angewendet werden können, sind in [Tab. 6] gezeigt.

Tab. 6 Immunsuppressiva in der Schwangerschaft.

Medikament

perikonzeptionell

Schwangerschaft

Stillzeit

Dosierung

Anmerkungen

geeignete Medikamente

Azathioprin

sicher

sicher

sicher

Max. Tagesdosis 2 mg/kgKG

Cyclosporin A

sicher

sicher

sicher

Zielspiegel (Erhaltung) 80 – 100 ng/ml

Cave bei Medikamenten mit Calcineurin Inhibitor Metabolismus (z. B. Erythromycin, Clarithromycin). Fraglich erhöhtes Risiko eines Gestationsdiabetes

(Hydroxy-)
Chloroquin

sicher

sicher

sicher

200 – 400 mg/d

Tacrolimus

sicher

sicher

sicher

Zielspiegel (Erhaltung) 5 – 8 ng/ml

Cave bei Medikamenten mit Calcineurin Inhibitor Metabolismus (z. B. Erythromycin, Clarithromycin). Fraglich erhöhtes Risiko einer Frühgeburtlichkeit, eines Gestationsdiabetes und neonataler Hypokaliämie

eingeschränkt geeignet

Eculizumab

nicht teratogen

nicht teratogen

möglich

kaum Datenlage, da fast nur Case Reports

Rituximab

nicht teratogen

nicht teratogen

nicht empfohlen

Cave im 2. und 3. Trimenon aufgrund einer (passageren) Immunsuppression bzw. B-Zell-Depletion des Neugeborenen

nicht geeignete Medikamente

Mycophenolatmofetil

teratogen

teratogen

kaum Daten, eher nein

erhöhtes Abortrisiko, Kontrazeption während und 6 Monate nach der Behandlung

Cyclophosphamid

teratogen

teratogen

nicht empfohlen

erhöhtes Abortrisiko, erhöhtes Risiko einer IUGR und Panzytopenie im 2. und 3. Trimenon. Kontrazeption während und mind. 3 Monate nach der Behandlung

Leflunimid

teratogen

teratogen

nicht empfohlen

erhöhte Rate an Malformationen; Auswaschen des Leflunomid mittels Cholestyramin 6 Monate vor geplanter Konzeption


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2.3  Genetik

Konsensbasierte Empfehlung 2.E12

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen, die eine bekannte oder vermutete vererbbare Nierenerkrankung haben, soll eine humangenetische Beratung bezüglich Vererbungsrisiken, Geno-/Phänotyp-Variabilität, Prognose und Optionen (Präimplantationsdiagnostik, Pränataldiagnostik, Optionen im Schwangerschaftsverlauf und postpartal) bereits vor Planung einer Schwangerschaft/bei Kinderwunsch angeboten werden.

Bei Familien mit bekannter oder vermuteter vererbbarer Nierenerkrankung ist eine genetische Beratung indiziert.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E13

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Wenn beim Fetus eine oder mehrere unilaterale oder bilaterale Nierenzysten und/oder eine Hyperechogenität der Niere(n) mit/ohne Oligohydramnion diagnostiziert werden, so soll eine erweiterte, qualifizierte Fehlbildungsdiagnostik (DEGUM 2) angeboten werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E14

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Wenn beim Fetus eine, mehrere unilaterale oder bilaterale Nierenzysten und/oder eine Hyperechogenität der Niere(n) mit/ohne Oligohydramnion diagnostiziert werden, so soll eine humangenetische Beratung und Evaluation bezüglich vererbbarer Nierenerkrankungen/Verwandtenehe erhoben werden.

Zystische Nephropathien und Dysplasien zeigen ein sehr breites Phänotypspektrum mit großer genetischer Heterogenität.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E15

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei ausgeprägten, pränatal sichtbaren Befunden (insbesondere mit Hinweisen auf eine Nierenfunktionsstörung/Oligohydramnion) soll eine interdisziplinäre Beratung unter Beteiligung pränatalmedizinischer, kindernephrologischer, neonatologischer und ggf. humangenetischer Expertise angeboten werden.


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3  Schwangerschaft

3.1  Kontrolle der Nierenfunktion

Exkretorische Nierenfunktion

Da die Nierenfunktion der Schwangeren in der Gesamtbetrachtung stark von der einer gesunden, nicht schwangeren Frau abweicht, ist es schwierig, die GFR in der Schwangerschaft durch normalerweise übliche Formeln und Verfahren (Cockroft–Gault, MDRD, CKD-EPI) abzuschätzen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E 16

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren sollte ein Serumkreatinin ≥ 0,87 mg/dl (77 µmol/l) nephrologisch abgeklärt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E17

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

In der Schwangerschaft sollte das Serumkreatinin zur Abschätzung der Nierenfunktion herangezogen werden. Bei speziellen Fragestellungen sollte die Kreatinin-Clearance über den 24-Stunden-Sammelurin zur Bestimmung der GFR herangezogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E18

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Alle Formeln zur eGFR-Bestimmung wurden durch Studien an gesunden, nicht schwangeren Probanden entwickelt, sind für die Schwangerschaft nicht validiert und sollten daher nicht angewandt werden.

Bis zum Ende des 1. Trimesters steigt die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) während einer normal verlaufenden Schwangerschaft in der Regel um 50% an. Für Frauen im reproduktionsfähigen Alter wird ein Serumkreatinin von 0,51 bis 1,02 mg/dl als „normal“ bzw. unauffällig betrachtet. Außerhalb der Spanne einer normalen Schwangerschaft liegen folgende Serumkreatininwerte:

  • 1. Trimester: > 0,86 mg/dl (> 76 µmol/l)

  • 2. Trimester: > 0,81 mg/dl (> 72 µmol/l)

  • 3. Trimester: > 0,87 mg/dl (> 77 µmol/l)

Konsensbasiertes Statement 3.E19

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit einer chronischen Nierenkrankheit sollte die Proteinurie quantifiziert werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E20

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Schwangere mit einem Proteinnachweis im Stix von ≥ 1+ (0,3 g/l) oder mehr sollten eine Quantifizierung der Proteinurie erhalten (mittels Spot-Urin und Protein/Kreatinin-Quotient oder 24-Stunden-Sammelurin).

Konsensbasierte Empfehlung 3.E21

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren ist eine Proteinurie > 300 mg/24 Stunden bzw. ein Protein/Kreatinin-Quotient > 30 mg/mmol (> 0,3 mg/mg) pathologisch und sollte bei chronischer Nierenerkrankung weiter abgeklärt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E22

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

In der Schwangerschaft sollte die Proteinurie über den 24-Stunden-Sammelurin quantifiziert werden oder aus dem Spot-Urin über den Protein/Kreatinin-Quotienten erfolgen.

Durch eine Urin-Teststreifenuntersuchung kann in den meisten (aber nicht allen) Fällen eine signifikante Proteinurie ausgeschlossen werden.

Die tägliche Proteinausscheidung beträgt bei nicht schwangeren Frauen in der Regel unter 150 mg/d und setzt sich zusammen aus Albumin bis zu 20 mg/d und anderen Proteinen, die meist tubulären Ursprungs sind. Während einer normal verlaufenden Schwangerschaft bleibt die Albuminausscheidung unverändert, die Proteingesamtausscheidung steigt jedoch an. Die obere Grenze einer normalen Urinausscheidung beträgt in der Schwangerschaft 300 mg/d. Im Mittelstrahlurin (Spot-Urin) korreliert ein Protein/Kreatinin-Quotient > 30 mg/mmol (0,3 mg/mg) mit einer Proteinurie von > 300 mg/d.

Eine Proteinurie vor der 20. SSW gilt als Hinweis auf eine präexistente Nierenerkrankung.


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3.2  Schwangerschaftsvorsorge bei chronischer Nierenkrankheit

Konsensbasierte Empfehlung 3.E23

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit chronischer Nierenkrankheit sollte eine Gabe von Acetylsalicylsäure 150 mg/d ab 11 + 0 SSW bis spätestens 16 SSW zur Reduktion des Präeklampsierisikos begonnen und bis zur kompletten 34 – 36 SSW weitergeführt werden. Bei negativem Präeklampsiescreening kann der Verzicht auf ASS erwogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E24

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Ein frühes Organscreening nach DEGUM-II-Kriterien (11 + 0 bis 13 + 6 SSW) inklusive Präeklampsiescreening (MAD, PlGF, Widerstände der Aa. uterinae) kann angeboten werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E25

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit chronischer Nierenkrankheit sollte wegen des erhöhten Fehlbildungsrisikos ein Screening auf fetale Fehlbildungen nach DEGUM-II-Kriterien zwischen 20 – 22 SSW erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E26

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Zur Risikoabschätzung einer Präeklampsie im Sinne der Prädiktion kann die Doppler-Sonografie der Aa. uterinae sowie die Bestimmung angiogener Faktoren im 2. und 3. Trimenon zum Einsatz kommen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E27

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit chronischer Nierenkrankheit sollte mindestens alle 4 Wochen auf die evtl. Entwicklung einer fetalen Wachstumsrestriktion geachtet werden (fetale Biometrie, Doppler-Sonografie, Fruchtwasserbeurteilung).

Konsensbasierte Empfehlung 3.E28

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit chronischer Nierenkrankheit sollte alle 4 Wochen ein Blutbild und alle 12 Wochen eine Ferritin- und Transferrinsättigungs-Kontrolle vorgenommen werden und bei Bedarf eine Eisentherapie begonnen bzw. die Gabe von Erythropoetin erwogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E29

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit chronischer Nierenkrankheit und Eisenmangel sollten eine orale Eisensubstitution unterhalb eines Hb von 10,5 g/dl bzw. eine i. v. Substitution mit Fe-III-Derivaten unterhalb von 8,5 g/dl erhalten.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E30

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Gabe von Erythropoese-stimulierenden Agenzien (ESA) sollte bei entsprechender Indikation empfohlen werden.

Frauen mit Nierenerkrankungen haben ein erhöhtes Risiko von Schwangerschaftskomplikationen wie Aborte, Präeklampsie, Frühgeburtlichkeit sowie fetale Wachstumsrestriktion. Trotzdem ist es für die meisten Frauen mit entsprechend engmaschiger und spezialisierter, interdisziplinärer Betreuung möglich, ein gesundes Kind zu bekommen.

Pränatale Diagnostik

Eine maternale Nierenerkrankung geht nicht mit einem erhöhten Aneuploidierisiko einher. Bei der Beratung der Patientin ist aber zu beachten, dass gewisse Nierenerkrankungen, wie z. B. polyzystische Nierendysplasien, einen autosomal rezessiven oder autosomal dominanten Vererbungsmodus aufweisen. Bei CKD, insbesondere bei genetisch bedingter Erkrankung, sollte ein Organscreening nach DEGUM-II-Kriterien erfolgen, auch aufgrund der typischerweise bestehenden Vormedikation und damit verbundenen Ängsten.

Im Rahmen eines evtl. gewünschten Ersttrimesterscreenings ist eine evtl. erhöhte Rate an falsch positiven Ergebnissen zu bedenken, da der MoM-Wert des β-HCG aufgrund einer Niereninsuffizienz erhöht sein kann. Für die Durchführung eines NIPT (nicht invasiver pränataler Test) gelten die gleichen Vorgaben wie für nicht erkrankte Patientinnen.


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Diabetes-Screening

Steroide und Calcineurin können eine diabetogene Stoffwechsellage hervorrufen. Es sollte daher bei Frauen, die auf diese Medikation eingestellt sind, ein Screening auf vorbestehenden Diabetes im 1. Trimenon erfolgen. Zudem ist das Screening mit 24 – 28 SSW eher primär durch 75-g-oGTT zu empfehlen.


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Präeklampsie

Eine Schwangere mit vorbestehender Nierenerkrankung hat ein 3-fach erhöhtes Risiko, im Verlauf der Schwangerschaft eine Präeklampsie zu entwickeln. Die Organmanifestation bei Präeklampsie lässt sich typischerweise an der Niere durch eine Proteinurie ≥ 300 mg/d oder einen Protein/Kreatinin-Quotient ≥ 30 mg/mmol nachweisen bzw. durch einen Anstieg der Proteinausscheidung einer bestehenden Proteinurie.

Die derzeit einzige effektive Prävention der Präeklampsie bei Frauen mit einem anamnestischen Risiko und/oder einem hohen Präeklampsierisiko im Ersttrimesterscreening besteht in einer ab der Frühschwangerschaft (möglichst vor der 16 + 0 SSW) beginnenden oralen Einnahme von niedrig dosierter Acetylsalicylsäure (ASS: 150 mg/d).

Im weiteren Schwangerschaftsverlauf besteht das Screening auf Präeklampsie in der regelmäßigen Erhebung von Blutdruck und Proteinurie gemäß Mutterschaftsrichtlinien. Die Erhöhung des mittleren Pulsatility-Index (PI) der Aa. uterinae alleine oder in Kombination mit der postsystolischen Inzisur (Notching) – gilt im 2. Trimenon als bester Marker für die Prädiktion einer Präeklampsie mit einer Sensitivität von bis zu 93%.

Besteht der Verdacht auf Präeklampsie bzw. kann diese nicht ausgeschlossen werden, so eignet sich die Bestimmung des sFlt-1/PLGF-Quotient (angiogene Faktoren) mit dem Ziel des Ausschlusses bzw. der Sicherung einer Präeklampsie.


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Fetale Überwachung

Wegen des erhöhten Risikos für Wachstumsrestriktion (IUGR) sind engmaschige Ultraschalluntersuchungen zur Evaluation des Gestationsalter gerechten Wachstums indiziert, insbesondere im 3. Trimenon.


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Anämie

Die Hämodilution durch Anstieg des extrazellulären Volumens bedingt einen physiologisch niedrigeren Hb-Wert in der Schwangerschaft, der untere Grenzwert zur Intervention liegt bei 10 mg/dl.


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Geburtsplanung

Konsensbasierte Empfehlung 3.E31

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

CKD sollte nicht per se eine Indikation zur Einleitung ≤ 40 Schwangerschaftswochen sein. Der Entbindungszeitpunkt wird durch das Vorliegen von fetalen oder maternalen Komplikationen bestimmt.


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3.3  Spezifische Aspekte Hypertonie ([Tab. 7])

Tab. 7 Empfehlungen zum Management der Hypertonie in der Schwangerschaft – Leitlinienadaptation aus den 2018 ESC Guidelines.

Empfehlung

Evidenzlevel

SBD – systolischer Blutdruck, DPD – diastolischer Blutdruck

Aspirin niedrig dosiert (150 mg abends) von 12. – 36. SSW zur Präeklampsieprophylaxe

A

präexistierende Hypertonie, Schwangerschafts-induzierte Hypertonie mit Pfropf-Präeklampsie oder Hypertonie mit subklinischer Organschädigung/Symptomen sollte (spätestens) ab SBP > 140 oder DPB > 90 mmHg medikamentös therapiert werden

C

SBP > 160 oder DBP > 110 mmHg bei Schwangeren mit CKD sollte hospitalisiert werden

C

Kalziumantagonisten (Nifedipin/Amlodipin), α-Methyldopa oder β-Blocker (Labetolol/Metoprolol) werden für die medikamentöse Therapie empfohlen und gelten als sicher

B (Methyldopa)/

C (β-Blocker und Kalziumantagonisten)

Bei schwerer Hypertonie sind Kalziumantagonisten und β-Blocker effektiver als α-Methyldopa

B

ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker, Renininhibitoren werden nicht empfohlen

C

Konsensbasiertes Statement 3.S32

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Der Zielblutdruck sollte zwischen 110/70 mmHg und 135/85 mmHg liegen. Dies soll dokumentiert werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E33

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die antihypertensive Therapie soll in der Schwangerschaft fortgesetzt werden, es sei denn der systolische RR ist kontinuierlich < 110 mmHg oder der diastolische RR ist kontinuierlich < 70 mmHg und/oder es besteht eine symptomatische Hypotension.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E34

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Diagnose Präeklampsie sollte gestellt werden, wenn bei einer Schwangeren mit CKD ohne vorbestehende Proteinurie/Albuminurie eine neue Hypertonie (> 140/90 mmHg) mit mindestens einer neu aufgetretenen Organmanifestation auftritt, das gilt auch für eine auffällige sflt-1/PLGF Ratio.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E35

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Schwangeren mit CKD und vorbestehender Hypertonie und Proteinurie/Albuminurie sollte eine Präeklampsie klinisch ausgeschlossen werden, wenn eine schwere Hypertonie (> 160/>110 mmHg oder eine Verdoppelung der antihypertensiven Medikation) und/oder eine starke Zunahme der Proteinurie/Albuminurie (Verdoppelung der vorbestehenden Werte aus dem 1. Trimenon) auftreten.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E36

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

PlGF und sflt-1 sollten als zusätzliche diagnostische Parameter herangezogen werden, wenn bei Patientinnen mit CKD eine Präeklampsie vermutet wird.


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3.4  Ernährung bei CKD und Schwangerschaft

Konsensbasierte Empfehlung 3.E37

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit CKD sollte in der Schwangerschaft, unter Berücksichtigung von Gesundheitszustand und Nebenerkrankungen, eine Ernährungsberatung zur Anpassung von Energie-, Vitamin-, Folsäure-, Eisen-, Phosphat-, Protein-, Kalium- und Kochsalzgehalt der Nahrung angeboten werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E38

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Der Energiegehalt der Nahrung sollte für schwangere Frauen mit CKD G3 – 5 bei 30 – 35 kcal/kg/d liegen. Zu diesem Grundumsatz sollten im 2. Trimenon 250 kcal/d und im 3. Trimenon 500 kcal/d addiert werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E39

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei schwangeren Frauen mit CKD G3 – 5 sollen normale Kalzium- und Phosphatwerte im Serum angestrebt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E40

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Proteinzufuhr bei schwangeren, nicht dialysepflichtigen Frauen mit CKD soll etwa 0,8 – 1,0 g/kg/d plus 10 g Protein/d betragen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E41

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Proteinzufuhr bei schwangeren, hämodialysepflichtigen Frauen soll aufgrund des Verlustes von Aminosäuren ins Dialysat etwa 1,2 g/kg/d plus 10 g Protein/d betragen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E42

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Schwangere Frauen mit CKD G3 – 5 sollen maximal 6 g Kochsalz (entsprechend ca. 2 – 3 g Natrium) pro Tag mit der Nahrung aufnehmen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E43

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei schwangeren Frauen mit CKD G3 – 5 sollten die Mikronährstoffe und Mineralien überprüft und substituiert werden, insbesondere Eisen, Folsäure, Vitamin B6 und B12, Vitamin D, Zink, Natrium, Kalium, Kalzium, Phosphat mit nochmals erhöhtem Bedarf bei Hämodialyse.

Eine gesunde Ernährung aus Früchten, Gemüsen, Fisch, Getreide, Vollkornprodukten und Ballaststoffen sowie ein geringerer Anteil roten Fleisches, Salzes und raffinierten Zuckers waren bei großen Metaanalysen sowohl mit einer geringeren CKD-Inzidenz als auch mit einer geringeren Mortalität und Dialysepflichtigkeit bei CKD-Patient*innen assoziiert ([Tab. 8]).

Tab. 8 Ernährungsempfehlungen für schwangere Frauen mit CKD G3 – 5.

CKD G3 – 5

Hämodialyse

CAPD

* bezogen auf das Gewicht vor der Schwangerschaft

CAPD – continuous ambulatory peritoneal dialysis: kontinuierliche ambulante Bauchfelldialyse

Makronährstoffe

Energie

kcal/kg/d

1. Trimenon

35

30 – 35

25 – 30

kcal/kg/d

2. – 3. Trimenon

30 – 35 (+ 300)

30 – 35 (+ 300)

25 – 30 (+ 300)

Proteine

g/kg/d*

0,6 – 0,8 (+ 10 g)

1,2 (+ 10 g)

1,2 (+ 10 g)

Mikronährstoffe

Folsäure (mg/d)

6

2 – 5

25-OH-Vitamin D3 (IU/d)

1000 – 2000

1000 – 2000

Zink (mg/d)

15

15

Eisen (mg/d)

20 – 30

20 – 30

Elektrolyte

Kalzium (mg/d)

< 2000

1500 – 2000

Phosphat (mg/d)

CKD 4 – 5: 800 – 1000

Kalium (mEq/l/d) [gr]

abhängig vom Serumkalium

< 75 [3 gr]

Ernährung bei Dialysepflichtigkeit in der Schwangerschaft

Der Energiegehalt der Nahrung schwangerer, dialysepflichtiger CKD-Patientinnen ist zunächst ähnlich wie für CKD-Patientinnen ohne Dialysepflicht ([Tab. 9]).

Tab. 9 Für den Ernährungsstatus sinnvolle, unterstützende Strategien bei schwangeren, dialysepflichtigen Frauen.

Settings

Empfehlungen

Bemerkungen

Beratungen vor der Schwangerschaft

Berücksichtigung von klinischem Zustand, Komorbiditäten, teratogener Medikation, sozialen Zusammenhängen

Ernährungsmodifikationen

Erfassung der Ernährungsgewohnheiten

frühzeitig; Berücksichtigung von Gewohnheiten, ökonomischen Bedingungen; Definition individueller Bedürfnisse

Berücksichtigung medizinischer Ernährungstherapie

Supplemente

je nach allgemeinen und krankheitsspez. Empfehlungen

Dialysemanagement

Dialysedosis

erhöhte Dialysedosis: HD mind. > 20 h/Woche; PD-Wechsel intensivieren (nicht definiert; evtl. Wechsel zu HD erwägen)

prädialytischer Harnstoff-Soll < 50 mg/dl; vermehrte Entfernung von Mikronährstoffen durch Dialyse

Flüssigkeitsmanagement

Anpassen an die erwartete Gewichtszunahme

Dialysatzusammensetzung

Kalium, Kalzium und Phosphat individuell anpassen

oftmals höhere Kalziumkonzentration erforderlich

dialysebezogene Medikation anpassen

Phosphatbinder

oftmals pausiert, je nach Serumwerten

ggf. auch kalziumhaltige Phosphatbinder wechseln

Vitamin D und Eisengaben

sowohl orale als auch i. v. Gaben sind als sicher anzusehen

häufige Kontrollen des Mineralhaushalts und der Anämie erforderlich


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Ernährung bei Z. n. Nierentransplantation in der Schwangerschaft

Die Ernährungsempfehlungen für nierentransplantierte Frauen in der Schwangerschaft sind zunächst identisch wie für Schwangere mit CKD.

Die Ernährungsberatung schwangerer Nierentransplantierten soll individuell erfolgen und an die gemessenen Laborparameter (v. a. Elektrolyte, Harnsäure, Lipide, Blutzucker) und die jeweilige immunsuppressive Therapie angepasst werden ([Tab. 10]).

Tab. 10 Referenzwerte für Laborparameter bei CKD und Schwangerschaft.

Frauen mit CKD

Schwangerschaft ohne CKD

1. Trimenon

2. Trimenon

3. Trimenon

Knochenstoffwechsel

Kalzium (mg/dl)

9 – 10,5

8,8 – 10,6

8,2 – 9,0

8,2 – 9,7

Phosphat (mg/dl)

3 – 4,5

3,1 – 4,6

2,5 – 4,6

2,8 – 4,6

25-OH-Vitamin D3 (pg/ml)

30 – 65

20 – 65

72 – 160

60 – 119

Parathormon (pg/ml)

CKD 3: 35 – 70

10 – 15

18 – 25

9 – 26

CKD 4:70 – 110

CKD 5: 150 – 300

alkalische Phosphatase (IU/l)

30 – 85

17 – 88

25 – 126

38 – 229

Eisenstatus

Hämoglobin (g/dl)

11 – 12

> 11

> 10,5

> 11

Hämatokrit (%)

37 – 47

> 33

> 33

> 33

Serumeisen (µg/dl)

50 – 170

72 – 143

44 – 178

30 – 193

Ferritin (ng/ml)

ohne Dialyse: > 30; HD: > 20, PD: > 100

6 – 130

2 – 230

0 – 116

totale Eisenbindungskapazität (µg/dl)

250 – 420

278 – 403

359 – 609

Transferrinsättigung (%)

> 20

keine Angabe

18 – 92

9 – 98


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4  Spezifische Aspekte

4.1  Diabetes

Konsensbasierte Empfehlung 4.E44

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Schwangerschaftsvorsorge und -überwachung sollte entsprechend der Leitlinie zur Versorgung von schwangeren Diabetikerinnen erfolgen mit entsprechender Anpassung an die geburtshilflichen Indikationen.

Die Schwangerschaft führt bei der Mehrzahl der Diabetikerinnen mit Nephropathie zum passageren Anstieg der Proteinurie, mit Übergang zum nephrotischen Syndrom. Nach den bisher vorliegenden Studien entwickelten 10% der Frauen mit einer fortgeschrittenen Nephropathie innerhalb der Schwangerschaft eine massive Proteinurie und nach vorzeitiger Entbindung wurden diese Frauen dialysepflichtig.

Das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie erhöht zusätzlich das Risiko von Schwangerschaftskomplikationen, insbesondere von Präeklampsie, Frühgeburtlichkeit (21% vor der 32. SSW und 70% vor der 37. SSW) und Sectio.

Antiphospolipidsyndrom und systemischer Lupus erythematodes mit Lupusnephritis

Konsensbasierte Empfehlung 4.E45

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Liegt ein Antiphospholipidsyndrom vor, so sollte die Gabe von ASS 100 – 150 mg/d und niedermolekularem Heparin in der Schwangerschaft sowie bis zu 6 Wochen postpartal erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E46

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Beim Vorliegen eines Lupus erythematodes sollte ein 6-monatiger klinisch symptomfreier Verlauf vor Anstreben einer Schwangerschaft angestrebt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E47

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Beim Vorliegen eines Lupus erythematodes oder eines Antiphospholipidsyndroms soll eine Therapie mit Hydroxychloroquin in der Schwangerschaft fortgeführt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E48

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Vorliegen eines Lupus erythematodes sollten in der Schwangerschaft die Krankheitsaktivität und die Aktivität der Lupusnephritis regelmäßig überwacht werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E49

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Liegen Anti-Ro-(SSA-) oder Anti-La-(SSB-)AK vor, so soll zum Ausschluss eines fetalen AV-Blocks eine fetale Echokardiografie ab 16 SSW erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E50

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Vorliegen einer Lupusnephritis können Steroide, Azathioprin, Calcineurin-Inhibitoren, Hydroxychloroquin, intravenöse Immunglobuline und Plasmaaustausch zur Behandlung in der Schwangerschaft eingesetzt werden.

Die Lupusnephritis ist eine schwere Organmanifestation des SLE. Daten aus systematischen Übersichtsarbeiten und Metaanalysen zeigen übereinstimmend, dass eine aktive Lupusnephritis mit unerwünschten Schwangerschaftsergebnissen einhergeht. Da ein Aktivitätsschub einer Lupusnephritis negative Auswirkungen auf die Schwangerschaft hat, sollte sich der SLE vor Planung einer Schwangerschaft in Remission befinden, um eine entsprechende Optimierung der Medikation vor Eintritt einer Schwangerschaft zu ermöglichen.

Beim APS handelt es sich um eine systemische Autoimmunerkrankung, die sich über arterielle oder venöse Verschlüsse oder Schwangerschaftskomplikationen bei gleichzeitigem Nachweis von Antiphospholipidautoantikörpern (aPL) definiert.

Folgende Kriterien definieren ein Antiphospholipidsyndrom:

  1. Auftreten von venösen oder arteriellen Thrombosen und/oder Schwangerschaftskomplikationen

    • ungeklärter Tod eines morphologisch unauffälligen Fetus ab 10 SSW

    • Geburt vor 34 SSW aufgrund Eklampsie, schwerer Präeklampsie oder Plazentainsuffizienz

    • 3 Spontanaborte vor 10 SSW ohne chromosomale, anatomische oder hormonelle Ursachen

  2. Nachweis von Lupusantikoagulans (LA) und/oder Antikardiolipinantikörpern (aCL > 40 U/ml) u. o. Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörper (aβ2GPl > 99. Perzentile). Die aPL-Titer müssen zur Diagnose und Risikoeinschätzung mindestens 2-mal nachgewiesen werden im Abstand von ≥ 12 Wochen und ≤ 5 Jahren.

Das Therapieziel in der Behandlung einer Schwangeren mit APS liegt in der Primär- bzw. Sekundärprophylaxe thrombembolischer Komplikationen sowie der Vermeidung von Schwangerschaftskomplikationen.

Eine kombinierte Behandlung mit Aspirin 100 mg sowie Heparin in prophylaktischer Dosierung wird empfohlen bei Schwangeren mit APS ohne bisheriges Auftreten von Thrombosen. Liegen arterielle oder venöse Thrombosen anamnestisch vor, so sollte die Heparinisierung in therapeutischer Dosierung erfolgen.


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Akutes Nierenversagen in der Schwangerschaft

Konsensbasierte Empfehlung 4.E51

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Auftreten einer Thrombozytopenie, Anämie und/oder eines Nierenversagens spät in der Schwangerschaft oder peripartal soll diffenzialdiagnostisch auch an andere Ursachen, wie z. B. thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP), atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (aHUS) oder akute Schwangerschaftsfettleber (AFLP) gedacht werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E52

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Liegt ein unklares Nierenversagen in der Schwangerschaft oder peripartal vor, so soll ein/eine Nephrolog*in und ggf. Hämatolog*in hinzugezogen werden.

Das akute Nierenversagen (ANV), klinisch definiert als rascher Abfall der glomerulären Filtrationsrate (GFR), ist die häufigste Nierenerkrankung im Krankenhaus, die unabhängig von anderen Erkrankungen mit einer Zunahme der Sterblichkeit einhergeht. Das klinische Syndrom des ANV umfasst ein weites und heterogenes Spektrum an Ursachen. Diese können in 3 Gruppen zusammengefasst werden:

  • prärenales ANV mit für die Aufrechterhaltung der GFR unzureichendem renalem Blutfluss

  • renales ANV mit Abfall der GFR durch eine direkte Schädigung der Niere

  • postrenales ANV mit GFR-Abfall durch Harn-Abfluss-Störungen

Eine prärenale Ursache bei Schwangeren stellen insbesondere akute Hypoperfusionen aufgrund von Blutungen dar, wie z. B. bei Placenta praevia oder im Rahmen einer fulminanten Atonie. Aber auch eine ausgeprägte Hyperemesis gravidarum kann zu einem Nierenversagen führen. Ein postrenales Nierenversagen kann in seltenen Fällen z. B. durch eine funktionelle Hydronephrose ausgelöst werden. In den allermeisten Fällen wird die Nierenfunktion hierdurch jedoch nicht beeinträchtigt.

Renale Ursachen wie z. B. Glomerulonephritiden, entzündliche Nierenerkrankungen sowie toxische Nierenschädigungen können zufällig in der Schwangerschaft auftreten.

Ein akutes Nierenversagen kann aber ebenfalls im Rahmen einer Präeklampsie, eines HELLP-Syndroms, einer Fettleber sowie seltener mikroangiopathisch-hämolytischen Anämien wie thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura und hämolytisch-urämischem Syndrom auftreten. Die differenzialdiagnostische Unterscheidung ist wichtig für das therapeutische Vorgehen, ist jedoch aufgrund der ähnlichen klinischen Symptome oft schwer zu erstellen.

[Tab. 11] zeigt einige differenzialdiagnostisch verwertbare Unterschiede zwischen den verschiedenen Erkrankungen auf.

Tab. 11 Differenzialdiagnostische Parameter zur Differenzierung von Präeklampsie, HELLP, TTP, aHUS, ASFL und SLE.

Prä-/Eklampsie

HELLP

TTP

aHUS

ASFL

SLE

HELLP – Hemolysis, elevated Liver Enzyme, low Platelets; TTP – thrombotisch thrombozytopenische Purpura; aHUS – atypisches hämolytisch urämisches Syndrom; ASFL – akutes schwangerschaftsassoziiertes Fettleber-Syndrom; SLE – systemischer Lupus erythematodes; MAHA – mikroangiopathische hämolytische Anämie; DIC – disseminierte intravasale Koagulopathie; ANV – akutes Nierenversagen; ZNS – zentrales Nervensystem

Zeitpunkt des Auftretens

2. – 3. Trimenon

3. Trimenon

1. – 3. Trimenon

3. Trimenon post partum

3. Trimenon

1. – 3. Trimenon

MAHA

+

++

+++

+++

(+)

+

Thrombopenie

+

++

+++

++

+

+

DIC

(+)

++

0

0

+++

(+)

Hypertonie

+++

++

+

++

0

+

Anstieg der Transaminasen

+

+++

(+)

(+)

+++

(+)

Proteinurie

++

++

(+)

++

0

++

ANV

(+)

+

+

+++

++

++

ZNS-Beteiligung

++

+

+++

++

++

+

Leukozytose

+++

(+)

Dominierend beim atypischen hämolytisch-urämischen Syndrom (aHUS), das bei Frauen einige Tage bis zu 10 Wochen post partum auftritt, ist die primäre Einschränkung der Nierenfunktion (Oligurie, Anurie) mit akutem Nierenversagen und Dialysepflicht sowie die Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz in 76% der Fälle.

Die Differenzialdiagnose zwischen dem hämolytisch-urämischen Syndrom und einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura ist in der Akutsituation häufig schwierig. Durch die neuen Therapieoptionen ist die Differenzialdiagnose des HUS aber von hoher Relevanz. Dabei ist es entscheidend, das HUS von der TTP zu unterscheiden. Die TTP führt ebenso wie das HUS zu einer generalisierten TMA und kann wie ein HUS imponieren. Da die TTP jedoch unbehandelt eine sehr hohe akute Sterblichkeit aufweist, kann mit der Einleitung einer spezifischen Therapie der TTP nicht bis zur endgültigen diagnostischen Klärung gewartet werden. Es muss also schnell und ohne Verzögerung eine Plasmaseparation mit Austausch von Frischplasmen eingeleitet werden. Für die Differenzialdiagnostik ist die Bestimmung der ADAMTS-13-Aktivität (A Desintegrin And Metalloproteinase with ThromboSpondin type 1 motif 13) entscheidend. Denn die TMA bei der TTP wird durch eine stark reduzierte Aktivität der ADAMTS13 ausgelöst, einem Plasmaenzym, welches für die Spaltung von ultra-großen Multimeren des Von-Willebrand-Faktors (vWF) verantwortlich ist. Im Regelfall sollte die Plasmaseparation durchgeführt werden, bis der Wert der ADAMTS-13-Aktivität vorliegt, da nur so eine sichere Differenzialdiagnose möglich ist.

Aus diesem Grund sollten grundsätzlich Nephrolog*innen sowie Hämatolog*innen hinzugezogen werden.


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4.2  Schwangerschaft nach Nierentransplantation

Konsensbasierte Empfehlung 4.E53

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Konzeption sollte frühestens 1 Jahr nach Transplantation mit Erreichen einer stabilen Transplantatfunktion erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E54

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Immunsuppression bei nierentransplantierten Frauen mit Kinderwunsch sollte aus einer Kombination von Calcineurin-Inhibitoren, Azathioprin und Steroiden erfolgen. Mycophenolatmofetil, mTOR-Inhibitoren und Belatacept sollten bei bestehendem Kinderwunsch und Schwangerschaft nicht eingesetzt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E55

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Betreuung schwangerer Patientinnen nach Nierentransplantation soll interdisziplinär in enger Abstimmung zwischen Gynäkolog*innen und Nephrolog*innen erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E56

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine immunsuppressive und antihypertensive Therapie soll mit Eintritt der Schwangerschaft nicht abgesetzt, aber ggf. angepasst werden. Diese Anpassung soll durch einen/eine in der Betreuung nierentransplantierter Patientinnen erfahrene*n Nephrolog*in in Abstimmung mit einem/einer Perinatalmediziner*in erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E57

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Entbindung der Patientin sollte im Perinatalzentrum erfolgen und mit der Transplantationschirurgie abgestimmt sein, besonders im Falle von kombinierten Transplantationen (z. B. Niere-Pankreas, Niere-Leber).

Konsensbasierte Empfehlung 4.E58

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Entscheidung über den Entbindungsmodus soll im Rahmen der präpartalen Vorstellung in der Entbindungsklinik durch einen erfahrenen Geburtshelfer erfolgen und sollte sich primär nach geburtsmedizinischen Kriterien richten. Bei der Durchführung der Sectio muss die Lage der Transplantatniere beachtet werden.

Patientinnen nach Nierentransplantation (NTx) sind funktionell einnierig und auf lebenslange Immunsuppression angewiesen. Die in der terminalen Niereninsuffizienz und unter Hämodialyse eingeschränkte Fertilität restauriert sich nach erfolgter NTx binnen weniger Wochen.

Wie bei anderen chronisch erkrankten Patientinnen, so sind Schwangerschaften auch nach NTx durch eine erhöhte Rate an Frühgeburtlichkeit (43 – 50%), fetale Wachstumsrestriktion (LBW 42%, VLBW 10%) und insbesondere Hypertonie (50%)/Präeklampsie (20 – 30%, RR etwa 6-fach im Vergleich zum gesunden Kontrollkollektiv), aber auch Gestationsdiabetes (6 – 8%) kompliziert.

Die Entbindung von Patientinnen nach Nierentransplantation erfolgt häufig per Sectio caesarea. Die Raten liegen bei ca. 60%. Dabei stellt die Transplantatniere in aller Regel keine Indikation dar, sondern sekundäre Faktoren führen zur Entscheidung zugunsten eines Kaiserschnitts. Die Entscheidung zur Sectio sollte auf Basis geburtsmedizinischer Einschätzung getroffen werden und im Konsens mit der Patientin und im interdisziplinären Team erfolgen.

Dialysepatientinnen

Konsensbasierte Empfehlung 4.E59

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Dialysepflichtige Frauen sollen vor einer Schwangerschaft eine Beratung erhalten, welche die Option enthält, eine geplante Schwangerschaft bis nach einer Nierentransplantation zu verschieben sowie die Notwendigkeit langer und häufiger Hämodialysezeiten vor und während der Schwangerschaft erklärt.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E60

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Dialysepflichtige schwangere Frauen sollen eine hochfrequente, tägliche Dialyse erhalten, da hiermit die Chancen auf das erfolgreiche Austragen der Schwangerschaft am größten sind.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E61

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Dialysepflichtige schwangere Frauen sollten während der Schwangerschaft eine Dialysedosis erhalten, die die Nierenrestfunktion berücksichtigt und einen prädialytischen Harnstoff von < 12,5 mmol/l (< 75 mg/dl) anstrebt.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E62

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Schwangere Peritonealdialysepatientinnen sollen während der Zeit der Schwangerschaft auf Hämodialyse umgestellt werden. Die Fortführung der Peritonealdialyse kann in Einzelfällen erwogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E63

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die klinische Beurteilung des Trockengewichts sollte mindestens 1 ×/Woche mittels Cava-Schall erfolgen und die schwangerschaftstypische Gewichtszunahme von ca. 300 g/Woche ab dem 2. Trimenon einbeziehen. Der Blutdruck sollte nach Dialyse < 140/90 mmHg liegen und intradialytische Blutdruckabfälle sind zu vermeiden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E64

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Hämodialyse sollte bei schwangeren Frauen initiiert werden, wenn der mütterliche Serumharnstoff 17 – 20 mmol/l (102 – 120 mg/dl) beträgt und die Risiken einer vorzeitigen Geburt die Risiken des Dialysebeginns übersteigen. Zusätzlich sollten die Nierenrestfunktion, die Flüssigkeitsbilanz, weitere biochemische Parameter, der Blutdruck und mögliche urämische Symptome berücksichtigt werden.

Frauen im reproduktiven Alter, die im terminalen Nierenversagen auf Dialyse angewiesen sind, weisen oft anovulatorische Zyklen auf, sodass die Aussicht auf Spontankonzeption gering ist.

Die Ergebnisse einer Schwangerschaft sind bei nierentransplantierten Frauen günstiger als bei dialysepflichtigen Patientinnen, sodass nach Möglichkeit eine Schwangerschaft bis zur erfolgreichen Nierentransplantation verschoben werden sollte.


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4.3  Glomerulonephritiden und Schwangerschaft

Zur Beurteilung der Effekte einer Schwangerschaft auf die Nierenfunktion einer Patientin mit einer Glomerulonephritis ist es wichtig, zwischen akuten schwangerschaftsassoziierten Veränderungen und den Langzeiteffekten auf die Nierenfunktion zu differenzieren. Generell kommt es bei etwa 50% der Patientinnen im Verlauf der Schwangerschaft zu einem Ansteigen der Proteinurie, bei etwa 20 – 30% zu einem Anstieg der Blutdruckwerte (mit möglichen ungünstigen Effekten für Mutter und Fetus). Auch die Ödementwicklung kann aufgrund der erhöhten Proteinurie gesteigert sein.

Bei Patientinnen mit einem Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl kommt es in fast 50% der Fälle zu Frühgeburten, hauptsächlich aufgrund von Präeklampsien und intrauterinen Wachstumsrestriktionen.

Die Betreuung von Schwangerschaften bei Patientinnen mit Glomerulonephritiden erfordert eine enge Kooperation von Gynäkolog*innen und Nephrolog*innen mit regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen und Kontrollen durch beide Fachrichtungen. Bei einem Serumkreatinin > 1,5 mg/dl ist von einem deutlich erhöhten Risiko für Mutter und Kind auszugehen. Ab einem Serumkreatinin von 3,0 mg/dl ist von einer Schwangerschaft abzuraten.

IgA-Nephropathie

Der Schwangerschaftsverlauf scheint bei IgA-Patientinnen mit einer GFR von über 70 ml/min mit nur einem geringen Risiko verbunden zu sein. Liegt schon eine höhergradige Niereninsuffizienz, ein unkontrollierter arterieller Hypertonus oder ein ausgeprägter tubulointerstitieller Schaden vor, ist die Komplikationsrate jedoch deutlich höher.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E65

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

In der Gravidität sollte der Fokus in der Therapie der IgA-Nephropathie auf der antihypertensiven/-proteinurischen Therapie liegen.


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Immunsuppressive Therapie von Glomerulonephritiden in der Schwangerschaft

Kommt es während der Schwangerschaft zu einem Schub oder einer Neudiagnose einer Glomerulonephritis, die eine immunsuppressive Therapie erfordert (in der Mehrzahl der Fälle aufgrund einer Lupusnephritis), sollte je nach Schweregrad und zugrunde liegender GN-Form mit Steroiden einschließlich Pulstherapie und ggf. in Kombination mit Azathioprin behandelt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E66

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Kommt es trotz immunsuppressiver Therapie mit Steroiden und ggf. Azathioprin zu einer rasch progredienten Glomerulonephritis, so sollte insbesondere im 1. Trimenon eine Beendigung der Schwangerschaft erwogen werden und eine immunsuppressive Therapie mit Mycophenolatmofetil oder Cyclophosphamid begonnen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E67

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Indikation für eine Nierenbiopsie während der Schwangerschaft sollte nur bei einer unklaren akuten Nierenfunktionsverschlechterung oder einem ausgeprägten nephrotischen Syndrom gestellt werden.


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4.4  Zustand nach Lebendspende

Konsensbasierte Empfehlung 4.E68

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit bestehendem Kinderwunsch sollten von einer Nierenlebendspende nicht ausgeschlossen werden, sollten aber über die Folgen einer Nierenlebendspende auf nachfolgende Schwangerschaften (erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Hypertonie in der Schwangerschaft oder Präeklampsie) aufgeklärt werden.


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4.5  Rekonstruktive Chirurgie

Konsensbasierte Empfehlung 4.E69

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Schwangere Patientinnen nach rekonstruktiver Chirurgie der ableitenden Harnwege (Ureter-Neuimplantation, Blasenrekonstruktion, komplexe pädiatrisch-urologische Chirurgie) sollten interdisziplinär betreut werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E70

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Fragen zum Entbindungsmodus sollten zwischen Geburtsmediziner und Urologen mit rekonstruktiv-operativer Expertise diskutiert und konsentiert werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E71

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei schwangeren Patientinnen mit Refluxnephropathie, nach rekonstruktiver Chirurgie der ableitenden Harnwege, mit angeborenen Erkrankungen der Nieren und ableitenden Harnwege (CAKUT) oder Nierenerkrankungen unter Immunsuppression kann nach einer Erstepisode einer Harnwegsinfektion einschließlich des Nachweises einer asymptomatischen Bakteriurie eine antibiotische Dauerprophylaxe erwogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E72

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Dauertherapie soll mit Substanzen fortgesetzt werden, die in der Schwangerschaft als sicher eingestuft werden können.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E73

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine milde Erweiterung der proximalen ableitenden Harnwege stellt ein physiologisches Phänomen dar, es sollte keine Therapie, insbesondere keine interventionellen Maßnahmen, erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E74

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Indikation zur Harnableitung mittels Ureterstent sollte nur im Einzelfall bei symptomatischer Harnstauungsniere nach Ausschöpfung konservativer Maßnahmen gestellt und streng geprüft werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E75

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die unkomplizierte Urolithiasis in der Schwangerschaft sollte konservativ behandelt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E76

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Ultraschall, ggf. unter Einsatz des „Resistive Index“, der Nierenperfusion zum Nachweis einer Ureterobstruktion sollte in der Schwangerschaft das bildgebende Verfahren der Wahl sein.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E77

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Interventionsbedürftigkeit der gesicherten Urolithiasis, definiert als Versagen konservativer Methoden, progrediente Dilatation des Nierenbeckens auf über 2 cm oder das Auftreten zervixwirksamer vorzeitiger Wehentätigkeit soll primär die Harnableitung mittels Ureterstent durchgeführt werden. Die definitive Steintherapie erfolgt nach dem Ende der Schwangerschaft. In Einzelfällen kann eine Ureterorenoskopie zur Steinentfernung erwogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E78

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Schwangerschaft stellt eine Kontraindikation für eine extrakorporale Stoßwellen-Lithotripsie (ESWL) oder perkutane Nephrolithotomie (PCNL) dar.


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5  Peripartales Vorgehen

Konsensbasierte Empfehlung 5.E79

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Neben einer peripartalen geburtshilflichen Versorgung sollte bei Frauen mit milder CKD eine zusätzliche internistisch-nephrologische Betreuung erfolgen, bei Frauen mit moderater und schwerer CKD soll eine nephrologische Mitbetreuung erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E80

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Peripartal sollte auf einen ausgewogenen Flüssigkeitshaushalt geachtet werden.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E81

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Das erhöhte Risiko eines Lungenödems bei Frauen mit CKD und Präeklampsie sollte in Therapieentscheidungen einbezogen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E82

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Der Zeitpunkt der Geburt bei Frauen mit CKD sollte durch geburtshilfliche Indikationen unter Berücksichtigung renaler Faktoren wie Verschlechterung der Nierenfunktion, symptomatischer Hypoalbuminämie, pulmonalem Ödem und refraktärer Hypertonie bestimmt werden.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass die Art der Entbindung die mütterliche Nierenfunktion beeinflusst. Die Art der Entbindung sollte daher auf geburtshilflichen Indikationen und der mütterlichen Präferenz beruhen gemäß den Leitlinien für Frauen ohne CKD.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E83

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine evtl. peripartale Pausierung der Antikoagulation sollte bereits bei Geburtsplanung festgelegt werden.

Bei Frauen mit CKD sollten entsprechend den in der Schwangerschaft aufgetretenen Komplikationen sowie der vorliegenden Grunderkrankung die notwendige Antikoagulation festgelegt werden und entsprechend bei der Geburtsplanung die evtl. mögliche Pausierung der Antikoagulation festgelegt werden.


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6  Postpartale Phase

6.1  Postpartale Betreuung Mutter

Konsensbasierte Empfehlung 6.E84

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit CKD sollten zum Stillen für mindestens 4 Monate entsprechend den Empfehlungen der Nationalen Stillkommission motiviert und entsprechend unterstützt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E85

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Auswahl der Medikation sollte in dieser Zeit, falls aus nephrologischer Sicht vertretbar, eine Unbedenklichkeit für das Kind berücksichtigen, um Stillen zu ermöglichen.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E86

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Nichtsteroidale Antipholgistika (NSAIDs) sollen in der postpartalen Phase zur Schmerztherapie nicht gegeben werden, alternativ Paracetamol.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E87

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit einer Nierenerkrankung (akut oder chronisch) sollen zu individuell zu vereinbarenden Zeitpunkten, spätestens jedoch 6 Wochen nach der Entbindung wieder nephrologisch mitbetreut werden.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E88

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Frauen mit CKD sollen postpartal nach Möglichkeit mit Medikamenten behandelt werden, die Stillen ermöglichen.

Es ist sinnvoll, dass folgende Frauen spätestens 6 Wochen nach Entbindung nephrologisch mitbetreut werden:

  • Frauen mit einer Nierenerkrankung, die in der Schwangerschaft neu aufgetreten ist

  • Frauen mit vorbestehender Nierenerkrankung

  • Frauen mit Risikofaktoren für eine CKD

Frauen mit CKD sollen in ihrem Wunsch zu stillen bestmöglich unterstützt werden und daher eine Medikation erhalten, die in der Stillzeit unbedenklich ist. Mycophenolatmofetil ist in der Stillzeit kontraindiziert. Captopril, Enalapril und Quinapril sowie Dihydralazin können in der Stillzeit eingesetzt werden. Ramipril sowie Sartane werden in der Stillzeit nicht empfohlen und sind zum Teil laut Fachinformation sogar kontraindiziert.


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6.2  Neonatale Versorgung

Konsensbasierte Empfehlung 6.E89

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Schwangere soll entsprechend den Richtlinien des G-BA frühzeitig in ein adäquates Zentrum verlegt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E90

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Entbindung von dialysepflichtigen Patientinnen sollte in einer Einrichtung der Versorgungsstufe I mit angeschlossener Dialyseeinheit erfolgen (Perinatalzentrum Level 1).

Konsensbasierte Empfehlung 6.E91

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Entbindung von kritisch kranken Patientinnen mit CKD und/oder Z. n. Nierentransplantation sollte bei gleichzeitiger kindlicher Mitgefährdung in einem Zentrum der Versorgungsstufe 1 erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E92

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Entbindung von Patientinnen mit präpartal bekannte Erkrankungen der Mutter, die eine intensive Überwachung der Schwangerschaft erfordern, aber Mutter und Fetus nicht akut bedrohen, sollte mindestens in einem Zentrum der Versorgungsstufe 2 erfolgen.

a) Patientinnen mit zusätzlichem Diabetes mellitus (maternale Risikofaktoren)

Konsensbasierte Empfehlung 6.E93

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei insulinbehandeltem Diabetes mit Gefährdung für den Fetus bzw. das Neugeborene sollte das Entbindungszentrum bereits vor der Geburt in die Betreuung mit einbezogen werden. Auch bei gut eingestellter diabetischer Stoffwechsellage soll eine prompte postnatale Hypoglykämiebehandlung ohne Trennung von Mutter und Kind ermöglicht werden Die Entbindung soll in einem Perinatalzentrum Level 1 oder 2 erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E94

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Die Betreuung bei intrauteriner Wachstumsrestriktion soll entsprechend der AWMF-Leitlinie „Intrauterine Wachstumsrestriktion“ erfolgen.


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b) Vorgehen bei pränatal bekanntem renalen Oligohydramnion (ROH) bzw. renaler Erkrankung des Fetus (kindliche Risikofaktoren)

Die pränatale Diagnose einer kindlichen Nierenerkrankung stellt sowohl die Eltern als auch die versorgenden Ärzt*innen vor große Herausforderungen, insbesondere, da die postnatale Prognose weiterhin schwer abschätzbar ist. Daher sollte pränatal eine interdisziplinäre Beratung durch die Kolleg*innen der Geburtshilfe/Pränatalmedizin, der Neonatologie und Kindernephrologie sowie ggf. weiterer relevanter Fachbereiche (Kinderchirurgie, Gastroenterologie) erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E95

Expert*innenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei pränatal bekanntem renalem Oligohydramnion sollten eine interdisziplinäre Fallbesprechung und Beratung der Eltern erfolgen. Die Entbindung sollte bei Wunsch einer maximalen Versorgung des Neugeborenen in einem Zentrum mit entsprechender Expertise (Beatmung bei Lungenhypoplasie, Dialyse bei Neugeborenen) erfolgen. Bei Wunsch einer palliativen Betreuung sollte ein Zentrum mit entsprechender Erfahrung und Betreuungsmöglichkeiten gewählt werden.


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  • References/Literatur

  • The references are included in the long (German-language) version of the guideline./Das Literaturverzeichnis ist in der Langfassung der Leitlinie aufgeführt.

Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Markus Schmidt
Sana Kliniken Duisburg GmbH
Gynecology & Obstetrics
Zu den Rehwiesen 3 – 9
47055 Duisburg
Germany   

Publikationsverlauf

Eingereicht: 28. Januar 2022

Angenommen nach Revision: 07. Februar 2022

Artikel online veröffentlicht:
10. August 2022

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • References/Literatur

  • The references are included in the long (German-language) version of the guideline./Das Literaturverzeichnis ist in der Langfassung der Leitlinie aufgeführt.

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