Innehalten

Der Anlass für dieses Editorial ist ein trauriger. Ich möchte es Ramona widmen, einem für mich wichtigen Menschen, eine Freundin und Kollegin. Sie war Ergotherapeutin aus Überzeugung, die täglich mit neuer Kraft versuchte, die Ergotherapie in „ihrer“ Klinik professionell darzustellen und weiterzuentwickeln ( Seite 5). Sie hat ihren Mitarbeitenden den Rücken gestärkt, wenn es „von oben“ mal wieder hieß, „20er-Gruppen sind doch völlig normal“. Unsere fachliche Verbindung durch die psychiatrische Ergotherapie ebenso wie auch unser gemeinsamer persönlicher Weg seit mehr als einem Jahrzehnt waren für mich von unermesslicher Bedeutung. Ramona war eine ganz besondere Persönlichkeit, der Inbegriff von Liebenswürdigkeit, Hilfsbereitschaft, Kreativität und Lebenslust.

„Nehmen Sie sich nicht irgendwann Zeit für Ihre Liebsten, sondern heute.“

Der Verlust gehört zum Leben dazu, dies steht außer Frage. Dennoch kommt er manchmal so plötzlich und unerwartet, dass er nur schwer zu begreifen ist. Wie oft sagen wir, „Das machen wir irgendwann“, und denken nicht darüber nach, wie viel Zeit uns dafür bleibt? Wie oft hetzen wir durch den Alltag und vergessen, den Augenblick wahrzunehmen und ihm mit Wertschätzung zu begegnen? Viel zu selten sagen wir den Menschen, die uns nahestehen, wie wertvoll sie sind und wie sehr sie unser Leben lebenswert machen. Welche Streitigkeiten sind es wirklich wert, ausgefochten zu werden? Könnte man Meinungen nicht auch nebeneinander stehen lassen? Unsere Arbeit nimmt häufig so viel Raum in Anspruch, dass wir selbst abends noch ganz dringend E-Mails versenden, anstatt die Zeit mit unseren Liebsten zu verbringen.

Ich möchte diese Zeilen nutzen, um Sie einzuladen, kurz innezuhalten und zu überlegen, wie das bei Ihnen ist. Haben Sie sich heute schon für einen lieben Menschen Zeit genommen?

Nicole Kaldewei

Publication History

Article published online:
01 June 2022