Schlüsselwörter
idiopathisches Parkinson-Syndrom - nicht-motorische Symptome - Adenosin A
2A Rezeptorantagonisten
Key words
Parkinson’s disease - non-motor symptoms - adenosine A
2A receptor antagonists
Die Kardinalsymptome der Parkinson-Erkrankung sind Bradykinesie, Rigor und Ruhetremor
sowie im Verlauf Haltungsinstabilität. Ein wesentlicher pathogenetischer
Faktor ist der Verlust dopaminerger Neurone in der Substantia nigra. Bisherige
medikamentöse Therapien fokussierten daher auf Mechanismen, die den
Dopaminspiegel wieder erhöhen, wie L-DOPA und Dopaminagonisten oder Hemmer
des Dopaminabbaus, die die Bioverfügbarkeit steigern [1]. Die motorischen Störungen der
Betroffenen sprechen im Anfangsstadium der Erkrankung in der Regel gut auf die
dopaminergen Therapien an, oft kommt es aber im weiteren Verlauf zu motorischen
Komplikationen wie dem Wearing-off-Phänomen mit On- und Off-Phasen,
Schwankungen zwischen starker Symptomatik und guter Beweglichkeit, sowie
L-DOPA-induzierte Dyskinesien [2].
Nichtmotorische Symptome werden oft vernachlässigt und nicht
adäquat behandelt
Nichtmotorische Symptome werden oft vernachlässigt und nicht
adäquat behandelt
Neben den motorischen Symptomen leiden Parkinsonpatienten auch an nichtmotorischen
Symptomen, wie kognitiven Beeinträchtigungen, Schmerzen, Angst,
Depressionen, Schlafstörungen, erhöhter Tagesmüdigkeit oder
Obstipation [2]. Häufig belasten diese
die Lebensqualität der Betroffenen sogar noch stärker als die
motorischen Symptome [3]. Lange Zeit wurden
diese Symptome vernachlässigt – einerseits, weil Patienten sie nicht
spontan berichten und andererseits, weil im Arztgespräch nur selten danach
gefragt wird [4]. Dementsprechend werden diese
Symptome oft nur selten behandelt. Die bisherigen dopaminergen Behandlungsoptionen
beim Parkinson-Syndrom adressieren die nichtmotorischen Nebenwirkungen meist nur
unzureichend [2]
[5]
[6].
Neben dem dopaminergen System sind auch andere Transmittersysteme bei der
Parkinson-Erkrankung dysreguliert, wie das cholinerge, noradrenerge und serotonerge
sowie das GABAerge System. Neue Einsichten in die Pathophysiologie der Erkrankung
und die Entwicklung aussagekräftiger Parkinson-Tiermodelle mit progressiver
Neurodegeneration und Lewy-Körperchen-Bildung haben dazu geführt,
dass sich neue Behandlungsansätze entwickelt haben. Auf der Suche nach
adäquaten Therapieoptionen zeichnet sich beispielsweise die Adenosin
A2A Rezeptorantagonisierung als potentieller Wirkmechanismus zur
optimierten Behandlung motorischer und nichtmotorischer Symptome bei Parkinson ab
[6].
Rationale: Rolle des Adenosin A2A Rezeptors auf motorische und
nichtmotorische Symptome
Adenosin A2A Rezeptoren sind ein vielversprechendes nicht-dopaminerges
Angriffsziel, da sie selektiv in den Basalganglien lokalisiert sind und die
striato-thalamo-kortikalen Schleifen modulieren, die nicht nur für die
Entwicklung motorischer Symptome bei Parkinson relevant sind [1]. Die Blockade der Adenosin-Rezeptoren
A1, A2A, A3 und A2B der
Gliazellen, Astrozyten, Oligodentrozyten und Neurone moduliert die Freisetzung
von Dopamin, Serotonin, Acetylcholin, GABA, Adrenalin und Noradrenalin im
Nucleus accumbens (NAc), Hippocampus und anderen Gehirnregionen [7]
[8]
[9]. Zudem spielt sie eine
Rolle bei synaptischer Plastizität und Neuroprotektion [9].
Extrazelluläres Adenosin, das bei der Dephosphorylierung von
Adenosintriphosphat, Adenosindiphosphat und Adenosinmonophosphat entsteht,
fungiert als ubiquitär exzitatorischer Neuromodulator im Nervensystem
[10]. Darüber hinaus ist
Adenosin an der Modulation des Schlaf-Wach-Rhythmus beteiligt [11]. Entsprechend finden sich
Adenosinrezeptoren in nahezu jeder Zellart [11]. Für die Parkinson Erkrankung scheint insbesondere der
A2A Rezeptor, der überwiegend im Striatum aber auch in
anderen Schlüsselbereichen wie Nucleus accumbens, Tuberculum
olfactorius, Amygdala, Hippocampus, Hypothalamus, Thalamus, frontaler Kortex und
Kleinhirn exprimiert wird, ausschlaggebend zu sein. A2A Rezeptoren
finden sich ebenfalls in Astroglia, Mikroglia und Oligodendrozyten und sind an
der Kontrolle einer Reihe verschiedener Neurotransmitter beteiligt [11].
So modulieren A2A Rezeptoren die Freisetzung und den Transport von
exzitotoxischem Glutamat und sind damit an Signalwegen beteiligt, die mit
neuropsychiatrischen Symptomen wie Depressionen und Psychosen sowie kognitiven
Beeinträchtigungen, Depressionen und übermäßiger
Tagesschläfrigkeit assoziiert sind [11].
Wirkmechanismus von A2A Rezeptorantagonisten auf Motorik
Die Motorik unterliegt der Regulation durch Aktivitäten der
Basalganglienschleife. Ein Charakteristikum dieses neuronalen Schaltkreises ist
einerseits der striatonigrale Weg (direkter Weg), der durch
Dopamin-D1-Rezeptoren reguliert wird, und der striatopallidale Weg, der durch
Dopamin-D2-Rezeptoren moduliert wird (indirekter Weg). Eine gute Balance beider
Wege ist wichtig für eine komplikationsarme motorische Funktion. Bei der
Parkinson-Erkrankung kommt es zu einem zunehmenden Mangel an dopaminergen
Signalen und damit zu einem Ungleichgewicht beider Wege. Die verringerte
exzitatorische Aktivität des direkten Signalwegs und die erhöhte
inhibitorische Aktivität des indirekten Signalwegs resultiert in
motorischer Dysfunktion [12]. Der
fortschreitende Verlust dopaminerger Neurone und damit der
D2-Rezeptor-Hemmfunktion führt zu einer striatalen Enthemmung. Der
therapeutische Wirkmechanismus von A2A Rezeptorantagonisten,
z. B. die in Kakao und Kaffee vorkommenden nicht-selektiven Adenosin
A2A Rezeptorantagonisten Koffein (1,3,7-Trimethylxanthine) sowie
Theobromin (3,7-Dimethylxanthin) und Theophylin (1,3-Dimethylxanthin), beruht
dabei v. a. auf der funktionellen A2A Rezeptor-vermittelten,
dualen exzitatorischen Modulation des striatopallidalen GABAergen Systems [13].
In den letzten Jahren wurden Medikamente wie Istradefyllin, Tozadenant oder
Preladenant entwickelt, die mit einer hohen Selektivität und
Affinität die Adenosin A2A Rezeptoren blockieren.
Pharmakologische und klinische Untersuchungen konnten zeigen, dass diese
A2A Rezeptorantagonisten motorische Dysfunktionen und
Komplikationen lindern können (für eine Übersicht siehe
[13]
[14]
[15]). In Kombination mit
L-Dopa können A2A Rezeptorantagonisten sowohl die
intrastriatale rezidivierende Hemmung als auch die D2-vermittelte
direkte Hemmung der striatopallidalen Projektionsneurone sowie die aktivierende
Wirkung durch D1-Rezeptoren wiederherstellen [13].
Evidenz von A2A Rezeptorantagonisten bei motorischen und
nichtmotorischen Symptomen der Parkinson Erkrankung
Evidenz von A2A Rezeptorantagonisten bei motorischen und
nichtmotorischen Symptomen der Parkinson Erkrankung
In mehr als 100 Studien an Tiermodellen sowie in zahlreichen klinischen Studien
konnte nachgewiesen werden, dass A2A Rezeptorantagonisten, zusammen mit
der Einnahme von Levodopa oder von Dopamin-Agonisten, die therapeutischen Effekte
dieser amplifizieren können, und Off-Zeit verkürzen [Tab. 1]. Darüber hinaus können
A2A Rezeptorantagonisten bei der Parkinson-Erkrankung auch in
Monotherapie motorische und nichtmotorische Beeinträchtigungen verbessern,
wie im Folgenden gezeigt wird.
Studien zur Motorik
Im Tiermodell wurde belegt, dass A2A Rezeptorantagonisten dopaminerge
Therapien verstärken und die Motorik verbessern können [16]
[17]
[18].
Klinische Studien bestätigen, dass A2A Rezeptorantagonisten,
wie Istradefyllin, Tozadenant oder Preladenant, zusammen mit der Einnahme von
L-Dopa oder D2-Rezeptoragonisten, die therapeutischen Effekte dieser
amplifizieren können [27]
[28]
[29]
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[37]
[38]
[39]
[40]
[41]
[42]
[43]
[44]
[45].
Tab. 1 Auswahl publizierter Studien zum Potential des
A2A Rezeptorantagonismus
|
Autor
|
Jahr
|
Studiendesign
|
Substanz
|
Outcome
|
Mögliche Substanzen als Biomarker für die
frühe Parkinson-Erkrankung
|
Bakshi et al.[19]
|
2020
|
Querschnitts-/Fallkontrollstudie mit 197 gesunden
Kontrollen vs. 369 idiopathische Parkinson-Patienten
|
Koffein, Harnstoff
|
Robuste inverse Relation von idiopathischer
Parkinson-Erkrankung, Koffeinmetabolismus und
Harnsäure-Plasmaspiegel
|
Fujimaki et al.[20]
|
2018
|
Klinische Studie/31 gesunde Kontrolle vs. 108
Parkinson-Patienten ohne Demenz
|
Koffein, Theophyllin, Theobromin, Paraxanthin und
Metabolite
|
verringerter Koffeinspiegel und seiner Metaboliten,
möglicherweise als Biomarker für die
frühe Parkinson-Erkrankung
|
Crotty et al. [21]
|
2020
|
Klinische Studie/Proben aus der
„23andMe“-Studie, Längs- und
Querschnittstudie von Personen mit LRRK2-Mutationen
(n=380)
|
Koffein, Theophyllin, Paraxanthin und andere Metabolite sowie
Trigonellin (Nicht-Xanthin Bestandteil von Kaffee)
|
deutlich verringerte Plasma und CSF-Spiegel von Koffein und
seinen Metaboliten bei Parkinson-Patienten
|
Ohmichi et al. [22]
|
2018
|
klinische Studie/31 Parkinson-Patienten vs. 33
altersangepasste Kontrollen
|
Theophyllin
|
Theophyllin-Serumspiegel waren niedriger bei
Parkinson-Patienten im Vergleich zu Kontrollen
|
Untersuchungen für möglichen
krankheitsmodifizierenden Wirkmechanismus
|
Bakshi et al.[19]
|
2020
|
Querschnitts-/Fallkontrollstudie mit 197 gesunden
Kontrollen vs. 369 idiopathische Parkinson-Patienten
|
Koffein
|
Höherer Koffeinkonsum war mit einem späteren
Start der Levodopa-Therapie verbunden
|
Hong et al. [23]
|
2020
|
Metaanalyse aus 13 Studien (9 gesunde Kohorten, 4
Parkinson-Kohorten)
|
Koffein
|
Koffeinkonsum war mit geringerem Risiko für die
Entwicklung der Parkinson-Erkrankung verbunden
|
Maclagan et al. [24]
|
2020
|
Fallkontrollstudie von 14.866 Parkinson-Patienten und 74.330
gesunden Kontrollen zur Indentifikation
krankheitsmodulierender Substanzen mittels
künstlicher Intelligenz
|
Pentoxifyllin, Theophyllin, Dexamethason
|
Kortikosteroide und Methylxanthine als mögliche
krankheitsmodifizierende Targets
|
Untersuchungen zur Besserung der Parkinson-Symptomatik
|
Bakshi et al.[19]
|
2020
|
Querschnitts-/Fallkontrollstudie mit 197 gesunden
Kontrollen vs. 369 idiopathische Parkinson-Patienten
|
Koffein
|
Höherer Espressokonsum korrelierte mit verbesserter
Motorik nach der UPDRS (Unified Parkinson’s Disease
Rating Scale) und ebenfalls mit nicht-motorischen
Symptomen
|
Sako et al. [25]
|
2017
|
Metaanalyse aus 6 Studien
|
Istradefyllin
|
Istradefyllin (20 und 40 mg/Tag)
verkürzt „Off-Episoden“ bei
Parkinson-Patienten
|
Nagayama et al. [26]
|
2019
|
offene 12-wöchige Studie mit 30
Parkinson-Patienten
|
Istradefyllin
|
Verbesserte Motorik und Abnahme der depressiven Symptomatik
|
Istradefyllin reduzierte in multizentrischen, doppelblinden,
placebokontrollierten Studien mit insgesamt mehr als 3.000 Teilnehmern als
Add-on zu dopaminerger Medikation die täglichen Off-Zeiten der Patienten
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]
[36]
[46]
[47]
[48]. Häufigste
Nebenwirkungen waren unwillkürliche Muskelzuckungen (Dyskinesien),
Benommenheit, Verstopfung, Übelkeit, Halluzination und Schlaflosigkeit
[49]
[50]. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf [15].
Für Tozadenant untermauern zwei klinische Studien ebenfalls eine
synergistische Wirkung mit dopaminergen Medikamenten bei der
Parkinson-Erkrankung [37]
[45]. Die weitere Forschung wurde allerdings
aufgrund von unerwünschten Ereignissen während der
Entwicklungsphase eingestellt [15].
Preladent verringerte in einer placebokontrollierten Phase-IIb-Studie bei
Patienten mit Parkinson-Krankheit die „Off“-Zeit [42], Phase-III-Studien konnten dies jedoch
nicht konsistent betätigen [39]
[40]
[41]
[42]
[43]
[44]. Die laufenden Studien wurde aufgrund
mangelnder Effizienz beendet [15].
Depression
Neben der Verbesserung der Motorik unter A2ARezeptorantagonisten gibt
es auch Hinweise darauf, dass depressive Störungen, die bei der
Parkinson-Erkrankung auftreten, verbessern werden können. Sowohl
natürlich vorkommende als auch synthetische A2A
Rezeptorantagonisten verbesserten im Tiermodell das Auftreten depressiver
Symptome [51]
[52]
[53]
[54]. In einer kleinen
offenen 12-wöchigen Studie mit 30 Parkinson-Patienten
bestätigten Nagayama und Mitarbeiter, dass der in Japan zugelassene
A2A Rezeptorantagonist nicht nur die Ergebnisse nach der Unified
Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS) verbesserte, sondern auch
signifikante antidepressive Effekte hatte [26]. Die Werte anhand der Snaith-Hamilton Pleasure Scale Japanese
version (SHAPS-J), der Apathie Skala und des Beck Depression Inventory (BDI)
hatten sich innerhalb der Studiendauer signifikant verbessert. Die Ergebnisse
korrelierten dabei nicht mit den Motorikwerten, was dafür spricht, dass
die antidepressive Wirksamkeit auf andere Wirkmechanismen
zurückzuführen ist [11].
Schläfrigkeit
Adenosin moduliert den Schlafrhythmus und wird ausgeschüttet, wenn der
Körper lange Zeit wach war [55].
Adenosin hemmt die aktivierenden Neurotransmitter wie Noradrenalin. Die
schlaffördernde Wirkung von Adenosin wird vor allem durch A2A
Rezeptoren vermittelt, wie im Tierexperiment und auch mit entsprechenden
A2A Knock-out-Modellen bestätigt werden konnte. So
induziert der A2A Agonist CGS21680 Schlaf bei Wildtyp- und
A1A-Knockout-Mäusen, aber nicht in A2A
Knock-out-Mäusen [56]. Das
untermauert auch die Beobachtung, dass der bekannt wachmachende Effekt von
Kaffee bei A2A Knockout Mäusen ausbleibt [57]. Auch bei Parkinson-Patienten wird
für A2A Rezeptorantagonisten eine Reduktion der
Tagesschläfrigkeit nach der Epworth Sleepiness Scale (ESS) berichtet,
ohne dass der Nachtschlaf beeinträchtigt wird, wie anhand der Parkinson
Disease Sleep Scale (PDSS) bestätigt wurde [58]
[59]. Große, doppelblinde und placebokontrollierte Studien zu
diesem Parameter stehen aus [11].
Neuroprotektion
Studien im Tiermodell deuten auf ein neuroprotektives Potential von spezifischen
selektiven A2A Rezeptorantagonisten hin, den Verlauf der Erkrankung
oder vielleicht sogar die Entstehung einer Parkinson-Erkrankung verhindern zu
können [60]
[61]
[62]
[63]
[64]. Humane klinische Studien, die eine
Neuroprotektion dieser A2A Rezeptorantagonisten eindeutig nachweisen
können, stehen jedoch derzeit noch aus. Die Schwierigkeit besteht
hierbei darin, dass Studien zur Neuroprotektion möglichst bei Menschen
mit Parkinsonrisiko begonnen werden sollten, die noch nicht erkrankt sind und
dann einer langen Behandlungsdauer unterzogen werden müssten [65]. Der potenzielle neuroprotektive Effekt
der A2A Rezeptorantagonisten ist durchaus spannend, aber noch nicht
hinreichend wissenschaftlich untersucht.
Ausblick
Die A2A Rezeptoragonisten stellen eine wichtige, neue Therapieoption
beim M. Parkinson dar und beeinflussen nicht nur motorische Symptome wie
Off-Zeit und Dyskinesien vorteilhaft, sondern können auch
nichtmotorische Beeinträchtigungen lindern. Interessant sind die nach
Tierversuchen postulierten neuroprotektive Effekte, die auch in humanen
klinischen Studien untersucht werden sollten.