Schlüsselwörter Lymphödem - COVID-19 - Pandemie - Telemedizin - Lebensqualität
Hintergrund
Die COVID-19-Pandemie stellte und stellt auch weiterhin, besonders für Menschen mit
chronischer Erkrankung, mit Behinderung oder mit drohender Behinderung und
Rehabilitationsbedarf, eine große Herausforderung dar [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]. Vielfältige individuelle Problemlagen und
Versorgungseinschränkungen entstanden insbesondere während der bundesweiten
Infektionsschutzmaßnahmen mit Einschränkungen des öffentlichen Lebens („Lockdown“)
mit
konkreten negativen Konsequenzen für die Teilhabe, einschließlich der Inanspruchnahme
der
Gesundheitsversorgung. Für verschiedene Patient*innengruppen wurden konkrete Folgen
beschrieben [5 ]
[6 ].
Die Gruppe der Patient*innen mit chronischem Lymphödem ist von regelmäßigen und
umfangreichen interdisziplinären und multiprofessionellen Versorgungsnetzwerken abhängig
[7 ]. Verschiedene
Gesundheitsdienstleister und Berufsgruppen wie Ärzt*innen verschiedener Disziplinen,
Physiotherapeut*innen, medizinische Masseur*innen und Sanitätshäuser sind standardmäßig
in die
dauerhafte, meist lebenslange Versorgung involviert. Zusätzliche Betrachtung und Behandlung
bedürfen die bekannten Komorbiditäten dieser Patient*innengruppe [8 ].
Während der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie im Jahr 2020 wurde ein Konsensusdokument
erstellt, welches bei der Gewichtung der Fallschwere und Behandlungsnotwendigkeit
von
Patient*innen mit venösen und lymphatischen Erkrankungen unterstützen sollte [9 ]. Diese konsentierte
Vorgehensweise mit Berücksichtigung von telefonischen, videobasierten bzw. telemedizinischen
Kontaktmöglichkeiten sollte einen individuellen, abwendbar negativen Verlauf möglichst
unwahrscheinlich machen, gleichzeitig aber eine deutliche Reduktion der medizinischen
Versorgungsleistungen zugestehen. Besonders im ärztlichen Bereich wurden solche Angebote
auch
in Deutschland lokal umgesetzt.
Demgegenüber besteht bei Lymphödemerkrankungen die Gefahr von Exazerbationen und
Komplikationen bei auch therapeutischer Unterversorgung, z.B. bei Verzögerung einer
eigentlich
indizierten intensiven KPE Phase I (komplexe physikalische Entstauungstherapie), Unterbrechung
von regelmäßiger manueller Lymphdrainage oder bei Verzögerung von Versorgungen durch
die
Sanitätshäuser mit adäquat wirksamen Kompressionsmaterialien wie Kompressionstrümpfen
oder
-bandagen. Auch bewegungstherapeutische Angebote wie Funktionstraining und
Rehabilitationssport sind übliche Bestandteile der komplexen Versorgung und können
bei Wegfall
derselben verschlechternde Auswirkungen zeigen.
Ein nicht unerhebliches Aufkommen von Patient*innenfragen und eine wahrgenommene große
Verunsicherung ergaben die Fragestellung, wie die Patient*innenperspektive hinsichtlich
der
erlebten Versorgungssituation, Risiken und Kompensationsstrategien unter Pandemiebedingungen
ausfällt.
Methoden
Studiendesign
Diese Studie wurde durch die Ethikkommission der Charité-Universitätsmedizin Berlin
bewilligt (Antragsnummer: EA1/107/21) und beim Deutschen Register Klinischer Studien
(DRKS)
registriert (ID: DRKS00026728).
Es wurde eine Umfrage unter einer Stichprobe von Patient*innen mit chronischem Lymphödem
durchgeführt, welche sich in dauerhafter Betreuung durch eine universitäre lymphologische
Spezialambulanz (Hochschulambulanz nach § 117 SGB V) befinden. Die Proband*innen wurden
zu
ihrer gegenwärtigen Situation, insbesondere zu erkrankungsbezogenen Sachverhalten,
befragt.
Als Baseline wurden die Patient*innen zu ihrer präpandemischen Lebenssituation
(Bezugszeitraum war das Jahr 2019) befragt, diese wurde im Anschluss mit der Situation
während der Pandemie (Bezugszeitraum war März 2020 – Februar 2021) verglichen. Die
Rekrutierung erfolgte nach Durchsicht anhand von Patient*innenakten des Quartals 4/2019
und
deren Screening nach den unten genannten Ein- und Ausschlusskriterien.
Studienteilnehmer*innen
Alle Studienteilnehmer*innen waren zum Zeitpunkt der Studie regelmäßig in der
studiendurchführenden Hochschulambulanz (HSA) in Behandlung.
Einschlusskriterien:
Vollständige Dokumentation und Kontaktdaten
Volljährigkeit (≥18 Jahre)
Diagnose „Lymphödem“ (ICD I89.0; I97.2; I97.80–88; Q82.0)
Vorstellung in der Hochschulambulanz (HSA) im 4. Quartal 2019
Behandlungshistorie in der HSA (Termine in mindestens 2 von 4 Quartalen 2019)
Ausschlusskriterien:
Antwort außerhalb der Rücklauffrist
Unvollständiges Ausfüllen des Fragebogens
Ungenügendes Verständnis der deutschen Sprache in Wort und Schrift
Datenquellen und Variablen
Die Daten für diese Studie wurden zu einem Teil aus den Patient*innenakten, zum anderen
Teil aus den von den Patient*innen ausgefüllten Fragebogen gesammelt. Abgefragt wurden
demografische Basisdaten, krankheitsbezogene Basisdaten, Daten zur aktuellen medizinischen
Situation sowie Daten zur Lebensqualität und Behandlungssituation vor und während
der
Pandemie.
Zur Evaluation der Lebensqualität wurde die SWLS (Satisfaction With Life Scale) auswählt
[10 ]
[11 ]. Die SWLS ist ein
aus 5 Teilaspekten zusammengesetzter Score zur subjektiven Einschätzung der persönlichen
Lebensqualität durch die Proband*innen. Es können Scores zwischen 5 und 35 erreicht
werden.
Diese Werte werden wie folgt eingeschätzt: 35–31 extrem zufrieden; 30–26 zufrieden;
25–21
eher zufrieden; 20 neutral; 19–15 eher unzufrieden, 14–10 unzufrieden; 9–5 extrem
unzufrieden.
Zusätzlich wurden die Proband*innen mit einem nichtstandardisierten Fragebogen zu
ihrem
Verhalten und subjektiven Befinden während der Pandemie befragt.
Fallzahlberechnung
Die Fallzahl wurde durch die Ein- und Ausschlusskriterien definiert. Bei jährlich
etwa
6000 Fällen in der HSA erwartete das Studienteam, etwa 200–300 Patient*innen kontaktieren
zu
können. Bei einer in der HSA aus anderen Studien bekannten Rekrutierungsrate wurde
mit etwa
n=100 Studienteilnehmer*innen gerechnet. Die folgende Fallzahlabschätzung wurde unter
der
Annahme einer Normalverteilung der Daten durchgeführt: Mit einer Fallzahl von n=100
und
einer erwarteten Differenz der Mittelwerte von 3 Skalenpunkten sowie einer
Standardabweichung der Differenzen von 10 hat eine 2-seitiger t-Test bei einem alpha-Fehler
von 0,05 eine Power von 84%. Die Fallzahlschätzung wurde mit der Software nQuery +
nTerim
4.0 durchgeführt.
Statistische Methoden
Die Charakteristika der Studienteilnehmer*innen werden als Mittelwert mit einem
95%-Konfidenzintervall angegeben. Zum Vergleich der SWLS wurde der
Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test verwendet. Die weiteren Ergebnisse werden deskriptiv
dargestellt. Dargestellte p-Werte und Effektstärken sind explorativ zu werten.
Ergebnisse
Teilnehmer*innen
Es wurden 844 Akten der Hochschulambulanz für Physikalische Medizin gescreent. Es
konnten n=100 Patient*innen in die Studie eingeschlossen werden. [Abb. 1 ] stellt dies mittels Flussdiagramms
(modifiziert nach CONSORT [12 ]) dar.
Abb. 1 Flowchart, modifiziert nach CONSORT [12 ]. E1–4 bilden hier die
Einschlusskriterien: E1: „vollständige (Kontakt-)Daten“; E2: „Volljährigkeit (≥18
Jahre)“; E3: „Diagnose Lymphödem (alle entsprechenden ICDs); E4: „regelmäßige*r
Patient*in“ (2 von 4 Quartalen 2019 in HSA vorstellig gewesen).
In [Tab. 1 ] sind die
Charakteristika der Studiengruppe dargestellt. [Abb. 2 ] zeigt die Anteile der Diagnosen in der Studiengruppe. Das
sekundäre Lymphödem zeigte sich mit 48% am häufigsten vertreten. Mit 72% hatten die
meisten
Befragten ein Lymphödem im Stadium II nach Leitlinie, bei der Mehrheit waren die unteren
Extremitäten betroffen (79%) [7 ] . 69% der Patient*innen zählten sich selbst zu einer Risikogruppe für
eine Coronainfektion.
Tab. 1 Demografische Charakteristika.
demografische Charakteristika (n=100)
Studiengruppe (Mittelwert (95%-KI); Prozent)
Alter (Jahre)
65,7 (62,0–67,4)
Größe (cm)
165,4 (163,7–167,1)
Gewicht (kg)
84,2 (79,3–89,1)
BMI (kg/m²)
30,6 (29,1–32,4)
weiblich
78%
erwerbstätig
42%
Minderung der Erwerbstätigkeit
30%
Pflegegrad vorhanden (mind. PG 1)
19%
Grad der Behinderung vorhanden (mind. GdB 20)
69%
„Corona-Risikopatient“ laut Selbsteinschätzung
69%
Abb. 2 Klinische Basisdaten der Stichprobe.
Allgemeine Lebenszufriedenheit (SWLS)
Im Mittel sank die Satisfaction With Life Scale (SWLS) von 24,5±6,7SD präpandemisch
auf
21,4±7,4SD während der Pandemie. Dieser Unterschied ist hochsignifikant (p<0,0001),
das
Effektgrößenmaß zeigt mit r=-0,58 einen starken Effekt. Die Standardabweichung der
Differenzen zeigte sich mit 5,6 (MW 3,19; Md 1). In [Abb. 3 ] werden die SWLS-Scores vergleichend
dargestellt.
Abb. 3 Satisfaction With Life Scale bei n=100 Lymphödempatient*innen im Vergleich vor und
während der Pandemiesituation (35–31 extrem zufrieden; 30–26 zufrieden; 25–21 eher
zufrieden; 20 neutral; 19–15 eher unzufrieden; 14–10 unzufrieden; 9–5 extrem
unzufrieden).
Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen
Die explorative Auswertung der Umfrageergebnisse zur Inanspruchnahme ausgewählter
Gesundheitsleistungen zeigte, dass die Anzahl der Arztbesuche während der Pandemie
deutlich
zurückging (p<0,0001). Auffällig war jedoch, dass die Anzahl der Arztbesuche wegen
Komplikationen des Lymphödems einen gegenläufigen Trend zeigte und zunahm (15 vs.
20
Besuche). 48% der Patient*innen gaben an, dass Termine vonseiten der
Gesundheitsdienstleister abgesagt wurden. Hier waren Termine bei Physiotherapeut*innen
am
häufigsten betroffen (15%). Analog dazu gaben 37% an, selbst Termine abgesagt zu haben.
Auch
hier betraf der größte Anteil den Leistungsbereich der Physiotherapeut*innen (22%).
Die Inanspruchnahme von Lymphödem-typischen nichtärztlichen Gesundheitsleistungen
(KPE
Phase I, Kompressionsmittel, Besuche im Sanitätshaus und manuelle Lymphdrainage) wird
in
[Tab. 2 ] dargestellt.
Tab. 2 Veränderung der Inanspruchnahme nichtärztlicher Gesundheitsleistungen während der
Pandemie. KPE=komplexe physikalische Entstauungstherapie.
Inanspruchnahme nichtärztlicher Gesundheitsleistungen
Veränderung
KPE Phase I
–31%
Neuversorgung mit Kompressionsmitteln
–14%
Besuche im Sanitätshaus
–12%
manuelle Lymphdrainage
–2%
Ersatzangebote
Ersatzangebote wurden von 23% der Patient*innen wahrgenommen. Die ärztliche
Videosprechstunde, die präpandemisch noch nicht etabliert war, machte hier mit großem
Abstand den wichtigsten Anteil (21%). Internet-Apps (3%), Informationsangebote auf
Webseiten
(3%) und Selbsthilfegruppen (2%) wurden hingegen weniger häufig in Anspruch genommen.
23%
der Studiengruppe gaben an, mehr krankheitsbezogene Ausgaben zu haben.
Bewegung und Sport
61% der Patient*innen gaben an, sich durch die Pandemie weniger bewegt zu haben. Es
zeigte sich eine Verlagerung vom professionellen Bereich (Fitnessstudios, Rehasport)
in den
privaten Bereich. Eigenübungen und Freizeitsport nahmen zu (s. [Tab. 3 ]).
Tab. 3 Veränderung von Bewegungstherapie und Sport während der Pandemie.
Bewegungstherapie und Sport
Veränderung
Fitnessstudio
–13%
Rehasport
–10%
Selbstübungen
+6%
Freizeitsport
+12%
Befürchtungen der Studienteilnehmer*innen
94% der Studienteilnehmenden fanden die Hygienemaßnahmen in Einrichtungen, die der
Behandlung oder Versorgung des Lymphödems dienen, ausreichend. 37% der Patient*innen
gaben
an, beim Besuch von Gesundheitseinrichtungen Angst vor Ansteckung gehabt zu haben.
60%
hatten Befürchtungen vor einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus, 17% auch in Bezug
auf ihr
Lymphödem. 67% haben den öffentlichen Nahverkehr gemieden. 19% waren dadurch in
Möglichkeiten reduziert, Gesundheitsdienstleistungen in Anspruch zu nehmen.
Therapieziele
Dabei wurden bei 23% der Befragten die Behandlungsziele (Selbstangabe) nicht erreicht.
40% der Patient*innen gaben an, eine Verschlechterung ihres Lymphödembefundes erlebt
zu
haben. Als häufigstes Symptom wurde eine Volumenzunahme (34%) genannt, häufig auch
noch eine
Verhärtung des Gewebes (19%), Erysipele (6%), seltener Bewegungseinschränkungen, Schmerzen,
Blasen oder Lymphzysten. 91% der Patient*innen gaben aber auch an, mit der aktuellen
Situation in Bezug auf ihr Lymphödem gut zurechtzukommen.
Diskussion
Hauptergebnisse
Wir konnten bei der Stichprobe der Lymphödempatient*innen eine effektstarke und
signifikante Verschlechterung der Lebenszufriedenheit durch die Pandemie identifizieren.
Demgegenüber stehen Vergleichswerte der Normalbevölkerung vor der Pandemie als auch
eine bis
dato bereits verfügbare Subgruppenanalyse von Schwangeren innerhalb der Pandemie [13 ]
[14 ]. Im Mittel lag die
SWLS der Normalbevölkerungsstichprobe bei 26,5±5,6SD (Männer 26,3±5,6SD, Frauen 26,6±5,6SD)
und damit bereits über dem Scorewert, der in der hier untersuchten Subgruppe von
Lymphödematient*innen präpandemisch im Mittel mit 24,5±6,7 ermittelt wurde [14 ]. Die Untersuchung
von Schwangeren wiederum fand in den untersuchten Gruppen präpandemisch eine SWLS
von im
Mittel 26,0 (23,0–29,0), in der frühen Phase der Pandemie von im Mittel 26,0 (23,0–29,0)
sowie 25,0 (22,0–28,0) in späten Phasen der Pandemie. Insgesamt aber zeigte sich dort
kein
signifikanter Unterschied [13 ]. Dagegen sank der SWL-Score in der Stichprobe der
Lymphödempatient*innen signifikant von 24,5±6,7SD präpandemisch auf 21,4±7,4SD während
der
Pandemie. Vergleichende Untersuchungen zu Patient*innen mit Lymphödemen liegen bislang
nicht
vor. Chronisch Erkrankte und Menschen mit Behinderungen stellen ja ganz offensichtlich
in
Pandemiesituationen diesbezüglich vulnerable Gruppen dar, und dies scheint auch für
die hier
untersuchte Stichprobe der Patient*innen mit Lymphödemen zu gelten.
In den konkreten krankheitsbezogenen Fragestellungen fiel insbesondere auf, dass weniger
Arztbesuche und weniger Inanspruchnahme weiterer Gesundheitsleistungen auf der einen
Seite
mit mehr Komplikationen auf der anderen Seite zusammenfallen. Hier zeigen sich eindeutige
Parallelen mit anderen chronisch Erkrankten [4 ]. Ein sehr großer Anteil (40%) berichtet
von Befundverschlechterungen, vor allem Volumenzunahmen und Verhärtungen, aber auch
Erysipelen. Neben einer – aus Gründen der Studiendesigns allerdings nicht belegten
–
Kausalitätsvermutung zwischen diesen Beobachtungen belegen diese Daten die Relevanz
einer
multiprofessionellen Versorgung in einem ambulanten Netzwerk, in dem alle Berufsgruppen
die
Risiken der Patient*innen im Blick behalten. Die ambulante Versorgung sollte regelmäßige
Kompressionsversorgung, manuelle Lymphdrainage, Bewegungstherapie und notwendigerweise
regelmäßige ärztliche Befundkontrollen einschließen. Die Versorgung mit Hilfsmitteln
hinsichtlich Kompression und Heilmitteln zur KPE sowie die Anleitung zur Selbstbehandlung
(Schulungsvideos etc.) scheinen essenziell [2 ].
Neben den pandemiebedingten Einschränkungen der Angebote hatten 37% der Patient*innen
Angst beim Besuch von Gesundheitseinrichtungen. Die schlechtere Versorgung ist demnach
nicht
allein den fehlenden oder eingeschränkten Angeboten, sondern zusätzlich auch dem geänderten
Patient*innenverhalten zu attribuieren [4 ]. Diese Annahme deckt sich mit Erfahrungen
physiotherapeutischer Praxen im Beobachtungszeitraum: So beschreiben Litke et al.
Ausfälle
von Therapien insbesondere bei Patient*innen mit erhöhtem Risiko für einen schweren
Krankheitsverlauf [15 ]. Vor diesem Hintergrund wurde die Befürchtung geäußert, dass genau
diese Gruppe auch im Therapiefortschritt zurückfällt sowie ein Fortschreiten von
degenerativen Erkrankungen und Chronifizierungen von akuten Erkrankungen erleiden
könnte.
Angeleiteter Sport ist in Pandemiezeiten rückgängig, Sport in Eigenregie hat offenbar
hingegen zugenommen. Bewegungstherapie ist bei Lymphödemerkrankungen äußerst wichtig,
weil
die durch Muskelaktivität erzielten Druckspitzen (Arbeitsdruck) unter der getragenen
Kompression eine hohe entstauende Wirksamkeit entfalten [7 ]. Für die hier beobachtete Verlagerung der
Bewegungstherapie in den Freizeitsportbereich bieten sich telemedizinische bzw.
telerehabilitative, idealerweise krankheitsspezifische Formate an.
Telemedizinische Arztsprechstunden wurden gut, auch in der Altersgruppe 70+, angenommen,
während andere Angebote, z.B. Apps, wenig verwendet wurden. Telemedizinische Angebote
können
einen Teil der ausgefallenen Termine auffangen und sollten bei Einschränkungen im
Gesundheitssystem zur überbrückenden ärztlichen oder physiotherapeutischen Versorgung
der
Patient*innen genutzt werden [2 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ]. Dennoch sollte eine solche Alternative nicht als ersetzende,
sondern additive Option gesehen werden [19 ]. Insbesondere bei besonders komplexen
Fällen sollte die persönliche Vorstellung präferiert werden [2 ]
[9 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]. Hierzu zählen Entzündungen,
rezidivierende Erysipele, stark volumenschwankende Ödeme sowie das Lymphödem Stadium
III.
Zwar gaben 91% der Patient*innen an, mit der gegebenen Situation in Bezug auf ihr
Lymphödem gut zurechtgekommen zu sein, gleichzeitig aber berichteten 40% von
Befundverschlechterungen. Kompensationsmechanismen könnten für vergleichbare Situationen
auch Videosprechstunden und ein noch stärker unterstütztes Selbstmanagement sein.
Im Bereich
der Kompressionsmaterialien könnte hier eine Flexibilisierung, wie sie durch die Anwendung
sogenannter Kompressions-„Wraps“ erfolgen kann, nützlich sein. Diese medizinischen
adaptiven
Kompressionsmittel könnten beispielsweise bei kurzfristigen Volumen-Exazerbationen
der
betroffenen Extremitäten zum Einsatz kommen, wenn keine Kompressionsbandagierung vor
Ort
möglich ist [23 ]
[24 ]
[25 ]
[26 ]. Sind diese Materialien bereits verordnet und ihre Anwendung
vertraut, können sie bei wie auch immer gearteten Therapieausfällen und/oder Volumenzunahme
überbrückend angewendet werden. Erstanwendungen jedoch setzen eine gute Einweisung
und
zumindest einmalige praktische Übung der Handhabung voraus, um suffiziente Ergebnisse
zu
erreichen [23 ]
[24 ].
Limitationen und Bias
Es wurde eine reine Befragungsstudie durchgeführt. Grundsätzlich besteht hier eine
Verzerrung dadurch, dass tendenziell Patient*innen, die ein Interesse an der Behandlung
und
Prävention ihrer Erkrankung haben, teilgenommen haben. So können die Angaben zu eigenem
Engagement im Vergleich zur durchschnittlichen Population der Erkrankten abweichen.
Auch
wurden die Outcomes nur innerhalb einer Stichprobe longitudinal und mit
patient*innenberichteten Outcome-Parametern gemessen. Ein Teil der Befragung bestand
aus
retrospektiv vorzunehmenden Bewertungen, sodass hier ebenso Verzerrungseffekte denkbar
sind.
Übertragbarkeit
Die Stichprobe aus langjährigen Patient*innen einer spezialisierten Hochschulambulanz
ist möglicherweise nicht ohne Weiteres auf die Grundgesamtheit aller Lymphödempatient*innen
übertragbar, da einerseits tendenziell komplexere Fälle vorliegen könnten, andererseits
die
Informiertheit und Edukation hier umfangreicher ausfallen könnten.
Lymphödempatient*innen erlitten unter Pandemiebedingungen eine Abnahme der subjektiven
Lebenszufriedenheit. Krankheitsspezifisch geht mit reduzierter Inanspruchnahme von
Gesundheitsleistungen eine erhöhte Komplikationsrate einher. Telemedizinische Angebote
können überbrückend wirksam sein, aber eine multiprofessionelle netzwerkbasierte
Behandlung kann so nicht ersetzt werden.
Dieser Artikel wurde ins Englische übersetzt mit der freundlichen Unterstützung
von: