Einführung
Die Behandlung von Schilddrüsenkrebs ist ein kontroverses Thema [2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]. Es gibt nur wenige prospektive, evidenzbasierte Studien zu Langzeitergebnissen
mit/ohne Radioiodtherapie (RIT). Um klinisch relevante Ergebnisse zu detektieren und
den Nutzen der RIT nachzuweisen, ist im Allgemeinen eine Nachbeobachtungszeit von
10 Jahren oder länger erforderlich. Daher gibt es in den Leitlinien verschiedener
Länder unterschiedliche Empfehlungen, wie Patienten mit differenziertem Schilddrüsenkarzinom
am besten zu behandeln sind [2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]. In mehreren Veröffentlichungen wurde auf entsprechende Kontroversen hingewiesen
[8]
[9]
[10]
[11]. Der multidisziplinäre Ansatz bei der Behandlung von Schilddrüsenkrebs hat dazu
geführt, dass in vielen spezialisierten Zentren spezielle endokrine Tumorboards eingerichtet
wurden, die auf interdisziplinärer Basis geeignete Therapiekonzepte für den einzelnen
Patienten empfehlen. Dazu gehören Chirurgie, Nuklearmedizin, Endokrinologie, Strahlentherapie,
Pathologie und andere Partner. Für die Entwicklung von Konsenserklärungen oder Leitlinien
erscheint es ratsam, regionale und nationale Unterschiede in der Schilddrüsenkrebsversorgung
sowie epidemiologische Unterschiede in den Bevölkerungen weltweit zu diskutieren und
zu berücksichtigen. Jede Empfehlung muss mit dem Patienten besprochen werden, der
die endgültige Entscheidung trifft.
Obwohl nur wenige Industrieländer einen anhaltenden Jodmangel aufweisen, gehört Deutschland
immer noch zu diesen Ländern [12], was zu einer relativ hohen Prävalenz von Schilddrüsenknoten führt. Unter Berücksichtigung
der Häufigkeit von Schilddrüsenknoten in verschiedenen Altersgruppen und demografischer
Daten schätzt man, dass in Deutschland etwa 15 Millionen Menschen oder mehr betroffen
sind [9]. Nur ein kleiner Teil dieser Knoten ist bösartig, wobei die Schätzungen von einem
bösartigen Knoten auf 375–1000 gutartigen Schilddrüsenknoten variieren. Angesichts
der hohen Zahl autonomer und anderer gutartiger Schilddrüsenknoten unterscheiden sich
die Diagnosestrategien und Therapieempfehlungen in Deutschland von denen in anderen
Ländern. So wird beispielsweise bei Patienten mit Schilddrüsenknoten, die größer als
1 cm im Durchmesser sind, eine Schilddrüsenszintigrafie mit Pertechnetat empfohlen,
um autonome Knoten als gutartige Befunde zu identifizieren [14]. Knoten unter 1 cm werden in der Regel durch Nachuntersuchungen festgestellt. Die
Feinnadelaspirationsbiopsie (FNAB) bei Knoten unter 1 cm wird weder in Deutschland
[15] noch in anderen europäischen Ländern empfohlen. Bemerkenswert ist, dass kein dramatischer
Anstieg der papillären Schilddrüsenmikrokarzinome (PTMC) beobachtet wurde, im Gegensatz
zu dem steilen Anstieg, der in der Literatur aus asiatischen Ländern, aber auch –
in geringerem Ausmaß – aus den USA berichtet wird [16]. Um die Vortestwahrscheinlichkeit für ein Schilddrüsenkarzinom zu erhöhen, gilt
es in Deutschland als gute Praxis, Knoten für die FNAB durch den Nachweis von Hypofunktionalität
(„kalte Knoten“) in der Szintigrafie in Kombination mit verdächtigen Ultraschallmerkmalen
auszuwählen. Bedauerlicherweise wird in Deutschland aufgrund der hohen Häufigkeit
von Schilddrüsenknoten und/oder des Vorhandenseins mehrerer Knoten bei einem Patienten
eine FNAB vor der Operation häufig nicht durchgeführt. Trotz erheblicher Fortschritte
bei der Reduzierung der „diagnostischen Schilddrüsenoperationen“ wird ein erheblicher
Teil der Operationen hauptsächlich zum Ausschluss einer bösartigen Erkrankung durchgeführt.
Eine aktuelle Analyse eines deutschen Chirurgieregisters ergab, dass von fast 18 000
Patienten mit gutartiger Schilddrüsenhistologie 68 % zum „Ausschluss einer Bösartigkeit“
überwiesen worden waren, und nur bei 12 % von ihnen war zuvor eine FNAC durchgeführt
worden [17].
In Deutschland werden jedes Jahr etwa 7000 neue Fälle von Schilddrüsenkrebs diagnostiziert
(5040 Frauen und 2192 Männer im Jahr 2017), wobei der differenzierte Schilddrüsenkrebs
mehr als 90 % aller Schilddrüsenkrebserkrankungen ausmacht. Die altersstandardisierte
Sterblichkeit an Schilddrüsenkrebs in Deutschland, die anfangs im Vergleich zu anderen
Ländern hoch war, hat sich im Zeitraum 1995–2015 etwa halbiert. Nach Zahlen aus den
USA und Deutschland für 2015 ist die Sterblichkeit an DTC mit etwa 0,3 Fällen pro
100 000 vergleichbar. Allerdings sind die USA eines der wenigen Länder weltweit, in
denen die Sterblichkeit an Schilddrüsenkarzinomen seit dem Jahr 2000 um etwa 25 %
gestiegen ist [18].
Die Mehrzahl der Patienten, die sich in Deutschland wie auch in anderen Jodmangelländern,
einer Schilddrüsenoperation unterziehen, haben gutartige histopathologische Befunde.
Anhand von intraoperativen Gefrierschnitten konnte kürzlich gezeigt werden, dass die
Rate an Komplettierungsoperationen erheblich reduziert werden konnte [19]. Nach Maneck et al. wurde bei weniger als 9465 (15,2 %) von 62 090 ausgewerteten
chirurgischen Eingriffen ein bösartiger Befund festgestellt [20]. Berücksichtigt man dagegen die SEER-Daten (Surveillance, Epidemiology, and End
Results), so führen etwa 36 % der Schilddrüsenoperationen in den Vereinigten Staaten
zu einer DTC-Diagnose, eine Häufigkeit, die mehr als doppelt so hoch ist wie die in
Deutschland. Banach et al. veröffentlichten, dass der präoperative Verdacht auf ein
Schilddrüsenkarzinom bei 37 % der deutschen, aber bei 84 % der amerikanischen Patienten
bestand [21].
Im Jahr 2016 veröffentlichten Haugen et al. die Leitlinien der American Thyroid Association
(ATA), die überwiegend von einer Gruppe nordamerikanischer Schilddrüsenexperten verfasst
wurden [3]. Obwohl ihr Ziel darin bestand, Empfehlungen auf höchstem Evidenzniveau zu generieren,
kann diese Leitlinie nur als S2 eingestuft werden, da weder eine systematische Literatursuche
noch Evidenztabellen vorlagen.
Da die europäischen Experten in dieser Frage unterschiedliche Ansichten vertreten,
wurde 2019 ein Positionspapier veröffentlicht, in dem verschiedene Aspekte vor allem
im Hinblick auf das Ausmaß der Operation (Lobektomie versus Thyreoidektomie bei PTC
≤ 4 cm) und die potenzielle Notwendigkeit einer kompletten Thyreoidektomie kontrastiert
werden [6]
[11]. Erhebliche Divergenzen gab es bei den Leitlinien der ATA 2015 zur RIT. Die europäischen
Diskussionsteilnehmer sprachen sich für einen breiteren Einsatz von postoperativem
Radiojod aus als die ATA 2015. Begründet wurde dies u. a. damit, dass diese Methode
mit günstigen Patientenergebnissen und im Regelfall keinen oder nur geringen Nebenwirkungen
assoziiert ist und dass es keine qualitativ hochwertigen Belege gibt, die einen Verzicht
auf eine Radiojodtherapie unterstützen. Die europäischen Diskussionsteilnehmer wiesen
auch darauf hin, dass das Risikostratifizierungssystem der ATA 2015 Informationen
erfordert, die in der täglichen Praxis manchmal nicht verfügbar sind [6].
Die ATA-Leitlinien führten ein dynamisches Risikomodell für das Rezidivrisiko ein,
das auf histopathologischen Kriterien und molekularen Analysen wie dem BRAF-Mutationsstatus
beruht, und empfahlen eine Standard-RIT nach der Operation nur bei Hochrisikopatienten.
Bei Patienten mit niedrigem oder mittlerem Risiko sollte entweder überhaupt keine
Radiojodtherapie durchgeführt werden oder die Radiojodtherapie sollte selektiv erfolgen
[3]. Diese Empfehlung ist jedoch nur begrenzt anwendbar, da nicht ganz klar ist, woher
die Autoren der ATA-Leitlinien die Wahrscheinlichkeit eines Tumorrezidivs ableiteten,
die als Grundlage für ihr Risikomodell diente. Das Problem wurde noch verschärft,
als die Konsenserklärung der Europäischen Schilddrüsenvereinigung (ETA) aus dem Jahr
2022 das ATA-Risikomodell ohne weitere Ausarbeitung übernahm und empfahl, dass die
Entscheidung für eine postoperative RIT auf der Grundlage der anfänglichen prognostischen
Indikatoren für Schilddrüsenkrebs-bedingte Todesfälle und das Rezidivrisiko getroffen
werden sollte. Die Autoren stellten fest, dass trotz der unvermeidlichen Strahlenbelastung
des Körpers die Verabreichung einer niedrigen Aktivität von Radioiod nachweislich
kein Risiko für sekundären Krebs oder Leukämie, Unfruchtbarkeit, unerwünschte Schwangerschaftsfolgen
oder andere Nebenwirkungen darstellt.
Im Folgenden modifizieren und kommentieren wir die Empfehlungen des ETA-Konsensus-Statements
mit besonderem Fokus auf den Einsatz von Radiojod. In Deutschland werden derzeit interdisziplinäre,
evidenzbasierte S3-Leitlinien für die DTC entwickelt, die eine spezifische, auf die
nationale Situation zugeschnittene Orientierung bieten sollen. Diese Leitlinien werden
wesentlich detailliertere Informationen liefern als das hier vorgestellte Positionspapier
der Fachärzte für Chirurgie und Nuklearmedizin.
Empfehlung 1 (ETA-Konsenserklärung)
Die Entscheidung für eine postoperative Radiojodtherapie sollte auf der Grundlage
erster prognostischer Indikatoren für Tod und Wiederauftreten von Schilddrüsenkrebs
getroffen werden, zu denen u. a. der chirurgische und pathologische Bericht sowie
die Ergebnisse der Serumthyreoglobulinmessungen und des Halsultraschalls nach der
Operation gehören.
Die Entscheidung, mit der postoperativen RIT fortzufahren, sollte auf der Empfehlung
eines interdisziplinären Tumorboards beruhen, das erste prognostische Indikatoren
für Schilddrüsenkrebs-bedingte Todesfälle und Rezidive berücksichtigt, wozu nicht
nur der chirurgische und pathologische Bericht und das Alter des Patienten gehören,
sondern auch die Ergebnisse der postoperativen Labor- und Bildgebungsuntersuchungen.
Der Patient sollte in den Entscheidungsprozess einbezogen werden („shared decision
making“).
Die RIT hat viele Aspekte, die sowohl vom behandelnden Arzt als auch vom Patienten
bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung berücksichtigt werden müssen [22]. Ein Aspekt ist die Behandlung einer okkulten Erkrankung als adjuvanter Ansatz.
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass die Häufigkeit von Lymphknotenmetastasen
bei Schilddrüsenkrebs recht hoch ist. Bei der histopathologischen Untersuchung werden
Lymphknotenmetastasen bei etwa 20–80 % der PTC-Patienten gefunden [2]
[23] und treten mit zunehmender Wahrscheinlichkeit bei Tumoren im höheren T-Stadium auf.
Aber auch für das PTMC wurden Häufigkeiten von Lymphknotenmetastasen von 35 % und
57 % berichtet [24]
[25]. Die prophylaktische Lymphknotendissektion ist der Goldstandard zum Ausschluss eines
metastasierenden Lymphknotenbefalls, wird aber nur in bestimmten Konstellationen wie
dem Vorhandensein verdächtiger Lymphknoten oder anderer hoher Risikofaktoren durchgeführt.
Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen durch eine prophylaktische
Lymphknotendissektion höher als bei der (alleinigen) Thyreoidektomie. Bei vielen Patienten
mit einem zufälligen Schilddrüsenkrebsbefund wird keine Lymphknotendissektion durchgeführt.
Sowohl die posttherapeutische Bildgebung nach Verabreichung der RIT als auch die prätherapeutische
Bildgebung unter Verwendung radioaktiver Jodisotope ermöglichen in diesem Zusammenhang
ein hochempfindliches Staging und können dazu beitragen, Patienten für die Entfernung
von Lymphknoten vor oder nach der RIT auszuwählen [26].
Wir stimmen nicht mit den Autoren der ETA-Konsenserklärung überein, dass postoperative,
nicht stimulierte Tg-Werte unabhängig zur Entscheidung über die Verabreichung von
therapeutischem Radiojod verwendet werden können, insbesondere bei Patienten, die
aufgrund der Informationen über die chirurgische Pathologie in die Kategorie „geringes
Risiko“ eingestuft wurden. Campenni et al. berichteten bei 570 DTC-Patienten mit niedrigem
und mittlerem Risiko, dass die posttherapeutische Radiojodbildgebung einschließlich
SPECT/CT 82 Patienten (14,4 %) mit Metastasen identifizierte, von denen 73 Patienten
(90,2 %) nach der Operation ein nicht stimuliertes Tg ≤ 1 ng/ml aufwiesen. Außerdem
hatten 44 (54 %) von 82 metastasierten Patienten ein stimuliertes Tg ≤ 1 ng/ml [27].
Darüber hinaus kann die diagnostische postoperative Radiojodbildgebung wichtige zusätzliche
Informationen liefern. In einer Gruppe von 320 Schilddrüsenkrebspatienten, die zur
postoperativen RIT überwiesen wurden, zeigten Avram et al., dass die diagnostische
Bildgebung mit 131I einschließlich SPECT/CT nach Schilddrüsenhormonentzug (THW) regionale Metastasen
in 35 % und Fernmetastasen in 8 % der Fälle sichtbar machte. Das TNM-Stadium wurde
durch diese Bildgebung bei 4 % der jüngeren und 25 % der älteren Patienten verändert
[25]. In einer weiteren Studie von Avram et al. lieferten bildgebende Daten sowie stimulierte
Thyreoglobulinspiegel, die zum Zeitpunkt der diagnostischen postoperativen 131I-Bildgebung gemessen wurden, Informationen, die die Behandlung der Patienten in 29 %
der Fälle änderten, verglichen mit der ursprünglichen Strategie, die auf chirurgisch-pathologischen
Informationen und klinischen Informationen allein beruhte [28].
Ein weiterer wichtiger Aspekt der RIT sind die psychologischen Auswirkungen, die den
Patienten die Gewissheit geben können, dass sie frei von Krankheit sind und langfristig
eine gute Lebensqualität behalten werden [29]
[30]. Die veröffentlichten Daten zu den Ergebnissen der postoperativen RIT bei Patienten
mit niedrigem Risiko (Kombination aus Restablation und adjuvanter Behandlung) haben
gezeigt, dass Patienten dieser Kategorie ein vollständiges Ansprechen auf die Behandlung
zugesichert werden kann. Sie benötigen auch eine weniger intensive Nachsorge und weniger
bildgebende Verfahren [31]. Veröffentlichte Daten über DTC-Patienten (einschließlich derjenigen der Niedrigrisikokategorie),
die nach der Operation eine RIT erhielten, zeigten, dass die Lebenserwartung bei diesen
Patienten normal ist, mit Ausnahme derjenigen mit einer Erkrankung im Stadium IV [32]
[33]. Ähnliche Daten mit einer ausreichend langen Nachbeobachtungszeit im Allgemeinen,
aber auch speziell für Deutschland, liegen jedoch für eine restriktivere Anwendung
von Radiojod nicht vor.
Andererseits besteht ein breiter Konsens darüber, dass eine risikoangepasste Behandlung
von Schilddrüsenkrebs ein erstrebenswertes Ziel ist und die Patienten keinen unnötigen
therapeutischen Verfahren ausgesetzt werden sollten. Das Risiko der Metastasierung
und des Wiederauftretens ist bei DTC sehr unterschiedlich, wobei die meisten Patienten
eine gute Prognose haben. Die Patienten sollten informiert und in die gemeinsame Entscheidungsfindung
einbezogen werden, die sich nicht nur auf die Ergebnisse der Histopathologie und des
Thyreoglobulins stützt, sondern auch auf die postoperative Radiojodbildgebung und
das individuelle Sicherheitsbedürfnis [22].
Empfehlung 2 (ETA-Konsenserklärung)
Der Einsatz der I-131-Therapie als adjuvante Behandlung oder zur Behandlung einer
bekannten Erkrankung ist bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko oder mit bekannter
struktureller Erkrankung angezeigt. In diesem Fall sind hohe Radiojodaktivitäten (≥ 3700 MBq)
gegenüber niedrigen Aktivitäten vorzuziehen.
Der Einsatz der I-131-Therapie als adjuvante Behandlung oder zur Behandlung einer
bekannten Erkrankung ist bei Patienten mit hohem Rezidivrisiko oder mit bekannter
struktureller Erkrankung angezeigt. In diesem Zusammenhang sind hohe Radiojodaktivitäten
(≥ 3700 MBq) gegenüber niedrigen Aktivitäten vorzuziehen. Eine individuelle Dosimetrie
kann in Betracht gezogen werden.
In dieser Hinsicht stimmen wir mit den Autoren der ETA überein. Es fehlt jedoch noch
der Nachweis, ob ein dosimetrischer Ansatz einer Therapie mit fester Dosierung überlegen
ist. Aus strahlenbiologischer Sicht werden höhere Aktivitäten gegenüber (fraktionierten)
niedrigeren Aktivitäten bevorzugt. Die Dosimetrie mit diagnostischer postoperativer
Radiojodbildgebung hilft, die Überschreitung organspezifischer Dosisgrenzen zu vermeiden,
insbesondere bei Patienten mit Nierenfunktionsstörungen und diffusen Lungenmetastasen.
Empfehlung 3 (ETA-Konsenserklärung)
In der mittleren Risikokategorie* kann eine RIT-Therapie angezeigt sein und sollte
auf den Einzelfall zugeschnitten werden.
*Patienten mit 1) mikroskopischer Invasion des Tumors in die perithyreoidalen Weichteile;
2) aggressiver Histologie (z. B. tall cell, hobnail variant, columnar cell carcinoma);
3) PTC mit vaskulärer Invasion; 4) klinischem N1 oder > 5 pathologischen N1 mit allen
N1 < 3 cm in der größten Ausdehnung; 5) multifokalem papillärem Mikrokarzinom mit
mikroskopischer Invasion des Tumors in die perithyreoidalen Weichteile und BRAFV600E-Mutation
(falls bekannt)
In der mittleren Risikokategorie ist eine RIT-Therapie angezeigt.
Unserer Ansicht nach gibt es eine klare Indikation für eine adjuvante RIT-Therapie
in der ATA-Intermediate-Risk-Gruppe. Belege aus einer großen retrospektiven Patientenserie
zeigen, dass es einen Nutzen für die Patienten gibt, nicht nur in Bezug auf das Überleben,
sondern auch in Bezug auf das Rezidivrisiko.
Im Jahr 2008 veröffentlichten Sawka et al. einen Pilot-Review-Artikel zur RIT-Therapie
mit insgesamt 28 Publikationen. In Bezug auf die tumorbedingte Sterblichkeit ergab
eine Zusammenführung der Daten von 11 Studien eine signifikante Senkung von 3,9 %
ohne auf 2,5 % mit RIT. In Bezug auf das rezidivfreie Überleben zeigten 5 Studien
mit der größten Patientenzahl (n = 3474) eine erhebliche und signifikante Risikoreduktion
von 24,2 % ohne RIT-Therapie auf 12,5 % mit RIT-Therapie. Hervorzuheben ist, dass
Patienten mit einer Lebenserwartung von 10 oder mehr Jahren einen eindeutigen Nutzen
von der Radiojodtherapie hatten [34].
Von 1998–2006 enthielt die nationale Krebsdatenbank der USA 21 870 DTC-Patienten mit
pT3 N0 M0 oder pT1–3 N1 M0. Bei 15 418 Patienten, die mit Radiojod behandelt wurden,
sank die Gesamtmortalität um 29 % im Vergleich zu 6452 Patienten, die nicht mit Radiojod
behandelt wurden. Dieser Vorteil zugunsten der Radiojodtherapie wurde trotz der bemerkenswerten
Tatsache festgestellt, dass die Patienten, die mit Radiojod behandelt wurden, an einer
fortgeschritteneren Erkrankung litten: in der Radiojodgruppe wiesen 51 % der Patienten
eine multifokale Erkrankung auf gegenüber 47 % in der Gruppe ohne Radiojodbehandlung.
Sowohl Lymphknotenmetastasen (74 % gegenüber 68 %) als auch R1-Resektionen (19 % gegenüber
15 %) traten in der Radiojodgruppe häufiger auf. Die Analyse der Daten zeigte, dass
die RIT trotz der ungünstigeren Patientenpopulation die Situation vor der RIT in dieser
Gruppe in eine geringere Mortalität nach der Behandlung umwandeln konnte [35].
Im Gegensatz zu den Autoren des ETA-Konsensus sehen wir die Rolle der RIT bei BRAF-mutierten
Patienten nicht als umstritten, sondern als eindeutig angezeigt an. Auch die von den
Autoren zitierte Literatur stützt ihre Schlussfolgerung. Die zitierte Studie von Sabra
at al. wurde an 43 Patienten mit DTC durchgeführt, die wegen ursprünglich bekannter
Fernmetastasen eingeschlossen wurden; diese Autoren kamen zu dem Schluss, dass der
Tumorgenotyp keinen Einfluss auf das Ansprechen auf die RIT-Therapie hat [36]. In der zweiten zitierten Publikation, in der Liu et al. rezidivierte DTC untersuchten,
lassen sich die Ergebnisse jedoch nicht ohne Weiteres auf den postoperativen Einsatz
von RIT übertragen [37]. Selbst bei rezidiviertem BRAF-mutiertem DTC (nach einer ersten RIT-Therapie) wurde
in 37 % der Fälle noch eine RIT-Therapie durchgeführt, was auf einen potenziellen
Nutzen der RIT-Therapie hindeutet. Außerdem gibt es veröffentlichte Belege dafür,
dass der BRAF-Status das Ansprechen auf die RIT-Therapie nicht negativ beeinflusst
[38]
[39].
Wir sind auch nicht der Meinung, dass postoperative Thyreoglobulinspiegel und Ultraschall
des Halses ausreichen, um ein metastasiertes DTC auszuschließen, insbesondere in der
Gruppe mit mittlerem Risiko (siehe Kommentar zu Empfehlung 1) [40].
Empfehlung 4 (ETA-Konsenserklärung)
Bei Patienten§ mit niedrigem Risiko ist der Nutzen der I-131-Therapie Gegenstand intensiver wissenschaftlicher
Diskussionen, und die Entscheidung, ob eine Radiojodtherapie durchgeführt werden soll,
sollte auf dem Vorhandensein individueller Risikomodifikatoren beruhen.
§ Patienten mit 1) intrathyreoidalem PTC ohne Gefäßinvasion, mit oder ohne kleinvolumige
Lymphknotenmetastasen (klinisch N0 oder ≤ 5 pathologische N1, alle < 0,2 cm in der
größten Ausdehnung); 2) intrathyreoidaler abgekapselter follikulärer Variante des
papillären Schilddrüsenkrebses oder intrathyreoidalem gut differenziertem follikulärem
Karzinom mit kapsulärer oder geringer vaskulärer Invasion (< 4 beteiligte Gefäße);
3) intrathyreoidalen papillären Mikrokarzinomen, die entweder BRAF-Wildtyp oder BRAF-mutiert
sind (falls bekannt)
Bei Patienten mit niedrigem Risiko sollte die RIT-Therapie in den Stadien pT1b-2,
N0–1 durchgeführt werden; im Stadium pT1a kann die RIT durchgeführt werden, allerdings
unter Berücksichtigung zusätzlicher Risikomodifikatoren (z. B. Multifokalität, aggressive
Histologie, BRAF-Mutation).
Hier verweisen wir auch auf unseren Kommentar zu Empfehlung 1. Wir sehen keine klare
Dichotomie zwischen ablativer und adjuvanter RIT-Therapie, da die therapeutische Verabreichung
von RIT immer auch eine adjuvante Komponente zur Behandlung von Metastasen sowie eine
diagnostische Intention hat (was zu einem angemesseneren Tumor-Staging führt). In
der Tat hat es eine intensive wissenschaftliche Debatte über die RIT bei Patienten
mit niedrigem Risiko gegeben. Unseres Erachtens sind große Patientenkollektive und
lange Nachbeobachtungszeiträume erforderlich, um den Wert der RIT in dieser Kategorie
im Hinblick auf das Gesamtüberleben und das rezidivfreie Überleben zu beurteilen.
Derzeit laufen 2 Studien, die die Nichtunterlegenheit einer Nichtradiojodbehandlung
im Vergleich zu einer niedrig dosierten RIT bei Patienten mit niedrigem Risiko untersuchen:
ESTIMABL2 und ION (NCT01837745 und NCT01398085). Erste Ergebnisse der ESTIMABL2-Studie
wurden veröffentlicht. Hier wird die Verabreichung von 1,1 GBq I-131 mit keiner RIT
verglichen. In einer ersten Auswertung mit einer Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren
wurde in dieser Studie kein Unterschied in Bezug auf die Rezidivrate bei den 776 Patienten
festgestellt [41]
[42]. Leider werden die Patienten nur über 5 Jahre nachbeobachtet, was nach Sawka et
al. [34] für Daten aus der Analyse von Krebsregistern zu kurz ist. Auch die Aktivität von
1,1GBq I-131 ist unseres Erachtens für eine adjuvante Behandlung zu gering. Die Verwendung
dieser Aktivität ist sogar für den Zweck der Ablation umstritten (siehe Kommentar
zu Empfehlung 6). Die Autoren des ETA-Konsensus stellen selbst fest, dass „eine Tendenz
zu größeren Gruppen und einer längeren Nachbeobachtungszeit locker mit dem Nachweis
eines Vorteils der RIT verbunden zu sein scheint“. Unserer Ansicht nach sprechen die
Daten aus retrospektiven Serien mit sehr großen Patientenkollektiven und einer langen
Nachbeobachtungszeit für eine RIT auch in einer Niedrigrisikopopulation, und es ist
daher nicht gerechtfertigt, diesen Patienten diese Behandlung generell vorzuenthalten.
Adam et al. zeigten, dass die Radiojodtherapie bei 61 775 Patienten aus der National
Cancer Database mit PTC-Durchmessern von 1,0–2,0 cm und 2,1–4,0 cm zu einem deutlich
verbesserten Gesamtüberleben führte [43]. Bezieht man die durchschnittliche Sterblichkeit auf einen Wert von 1,0, so sank
die Sterblichkeit in der RIT-Gruppe auf einen Wert von 0,77 (95 %-KI 0,68–0,87) im
Stadium pT1b und auf einen Wert von 0,86 (95 %-KI 0,76–0,98) im Stadium pT2. Der klinische
Nutzen der RIT-Therapie war größer als der Einfluss des Ausmaßes der chirurgischen
Resektion.
In einer Auswertung der Surveillance, Epidemiology, and End Results (SEER) -Datenbank
über die Jahre 1973–2009 mit 61 049 Patienten erhöhte sich die krankheitsspezifische
Sterblichkeit durch das Auslassen der RIT. Bei Patienten der Gruppe pT2 N0 M0 und
< 45 Jahren war die Hazard Ratio für den Tod bei Patienten, die keine RIT erhalten
hatten, signifikant um 1,3 erhöht (p < 0,002) [44]. In einer anderen Studie aus Hongkong mit 855 Patienten stieg das rezidivfreie Überleben
von 82,5 % auf 95 % nach 10 Jahren, wenn Radiojod in das Therapiekonzept einbezogen
wurde [45].
Wie bereits in der Anmerkung zu Empfehlung 1 erwähnt, liefert die posttherapeutische
Radiojodbildgebung wertvolle Informationen in Form eines hochspezifischen und empfindlichen
Staging-Instruments, das für die Sicherheit des Patienten von großem Wert ist.
Die Autoren der ETA-Stellungnahme sprechen sich auch eindeutig gegen eine RIT bei
papillärem Mikrokarzinom (< 1 cm, uni- oder multifokal) aus, sofern keine anderen
Merkmale mit höherem Risiko vorliegen. Die zitierte Studie von Hänscheid et al. scheint
dieses Thema überhaupt nicht zu behandeln [46]. Die zweite erwähnte Publikation gibt eine gemeinsame Erklärung von ATA, EANM, SNMMI
und ETA zu Kontroversen, Konsens und Zusammenarbeit bei der Anwendung der RIT bei
differenziertem Schilddrüsenkrebs wieder [3]. Eine Empfehlung, die RIT bei Tumoren unter 1 cm nicht anzuwenden, findet sich in
diesem Konsens nirgends, stattdessen wird erwähnt, dass „einige Autoren einen Nutzen
der RIT auch bei Patienten mit nicht metastasierten Mikrokarzinomen feststellen, während
andere Gruppen keinen Nutzen sehen“. Angesichts dieser Aussage scheint es gerechtfertigt,
nicht nur den Nutzen, sondern auch die potenziellen Nebenwirkungen der RIT bei papillärem
Mikrokarzinom mit dem Patienten im Rahmen der gemeinsamen Entscheidungsfindung zu
besprechen; Risikofaktoren, wie z. B. Multifokalität, aggressive Histologie oder nicht
zufälliger Befund [47], sollten zusammen mit den Erwartungen des Patienten gewichtet werden. Bei minimalinvasivem
follikulärem Schilddrüsenkrebs ohne Gefäßinvasion sehen wir aufgrund der guten Prognose
dieser Entität einen begrenzten Wert der RIT, unabhängig von der Größe. Allerdings
wurden auch in dieser Gruppe Rezidive beobachtet, die höchstwahrscheinlich auf eine
übersehene Gefäßinfiltration zurückzuführen sind.
Die Autoren des ETA-Konsenspapiers stellen fest, dass Rezidive später sehr erfolgreich
behandelt werden können, auch wenn nach der Operation keine RIT durchgeführt wird.
Allerdings wird in dem Konsenspapier keine entsprechende Literatur zitiert, um diese
Hypothese zu untermauern. Darüber hinaus ist uns selbst keine größere retrospektive
oder gar prospektive Studie bekannt, die diesen Ansatz unterstützt.
Empfehlung 5 (ETA-Konsenserklärung):
Rekombinantes humanes TSH während der l-T4-Behandlung sollte die bevorzugte Methode
zur Vorbereitung auf die RITVerabreichung sein..
Rekombinantes humanes TSH und Schilddrüsenhormonentzug (THW) können beide zur Vorbereitung
der Patienten auf die RIT-Therapie verwendet werden.
Rekombinantes humanes TSH (rhTSH) ist eine wichtige Entwicklung für die Behandlung
von Patienten mit Schilddrüsenkarzinom, die die Symptome der Schilddrüsenunterfunktion
reduziert und den Patienten einen Gewinn an Lebensqualität gebracht hat. Obwohl es
in der Regel gut vertragen wird, zeigt die klinische Erfahrung, dass einige Patienten
nach der Injektion von rhTSH über Muskelschmerzen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Unwohlsein,
Übelkeit und Erbrechen klagen. Die Wahl der Präparationsmethode (THW vs. rhTSH) hängt
stark von den regional etablierten Behandlungsschemata sowie von patienten- und tumorspezifischen
Faktoren ab. Aus früher veröffentlichten Daten geht hervor, dass bei der Entfernung
von Schilddrüsenresten die Stimulation mit rhTSH und THW gleichwertig ist, da normales
Schilddrüsengewebe in der Regel eine hohe Expression von NIS aufweist und keine längeren
Intervalle der TSH-Stimulation erforderlich sind, um eine angemessene Aufnahme von
RAI zu erreichen.
Nach Hänscheid et.al. kann die Vorbereitung auf eine ablative RIT mit THW jedoch zu
höheren Strahlendosen im Blut und im ganzen Körper führen als rhTSH [46]. In dieser prospektiven, randomisierten, multizentrischen internationalen Zulassungsstudie
für rhTSH wurde die THW so lange durchgeführt, bis ein TSH-Blutspiegel von 25mU/L
erreicht war, was ca. 4 Wochen Schilddrüsenhormonentzug entsprach [46]. In Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen haben Bacher et al. in einer retrospektiven
Studie an einer größeren Anzahl von Patienten gezeigt, dass eine Erhöhung der Strahlen-Energiedosis
nur bei Patienten mit einem Intervall von 4 oder mehr Wochen zwischen Hypothyreose
und RIT nachweisbar war. Wurde ein kürzeres Zeitintervall von 18–25 Tagen gewählt,
wurde kein Unterschied in der Strahlen-Energiedosis festgestellt, obwohl beide Präparationsschemata
gleich wirksam waren [49]. Im Rahmen der adjuvanten Behandlung, die bei vielen Patienten bevorzugt wird, ist
die Situation hinsichtlich der bevorzugten Vorbereitungsmethode komplexer. Der adjuvante
Aspekt der RIT wurde erst nach dem Zeitraum anerkannt, in dem die Zulassungsstudien
für rhTSH durchgeführt wurden. Daher gibt es in der Literatur keine eindeutigen Daten,
die für oder gegen eine bestimmte Vorbereitungsmethode sprechen, und die Zulassung
von rhTSH erstreckt sich auf die Verwendung in einem adjuvanten Umfeld.
Empfehlung 6 (ETA-Konsenserklärung)
Aktivitäten von 1110 MBq sind bei der Ablation von vermutlich gutartigen Schilddrüsenresten
ebenso wirksam wie höhere Aktivitäten.
Aktivitäten von 1–3,7GBq können für die ablative/adjuvante Behandlung gewählt werden,
wenn kein dringender Verdacht auf einen Resttumor oder auf Fernmetastasen besteht.
Aktivitäten von 1,85–3,7GBq werden unter dem Aspekt der adjuvanten RIT bevorzugt.
Unserer Meinung nach hat die RIT, auch wenn sie als ablativ bezeichnet wird, angesichts
der hohen Prävalenz von Lymphknotenmetastasen immer auch adjuvante Aspekte [9]
[51]. Selbst für das Ziel der Ablation sprechen die Daten unseres Erachtens nicht für
eine eindeutige Bevorzugung von 1,1GBq I-131 gegenüber höheren Aktivitäten.
Zwei prospektive, randomisierte Studien – HiLo und ESTIMABL – verglichen die Wirksamkeit der „Radiojodablation“ entweder mit Hypothyreose oder
rekombinantem TSH (rhTSH) unter Verwendung von 1,1GBq (30mCi) oder 3,7GBq (100mCi)
Radiojod [48]
[50]. Sie kamen zu dem Schluss, dass die beiden Stimulationsmethoden gleich wirksam sind,
und stellten fest, dass 1,1GBq dem 3,7GBq I-131 nicht unterlegen ist. In beide Studien
wurden Patienten mit niedrigem Risiko einbezogen und aggressive histologische Subtypen
ausgeschlossen. Bemerkenswert ist, dass keine der beiden Studien die Verwendung von
Radiojod für die Behandlung von Schilddrüsenkrebs infrage stellte.
In der HiLo-Studie [48] war die Erfolgsrate in der rhTSH-Gruppe mit 1,1GBq (84,3 %) im Vergleich zu 3,7GBq
(90,2 %) Radiojod um 6 % niedriger, was zu doppelt so vielen zweiten Radiojodbehandlungen
in der Niedrigrisiko- gegenüber der Hochrisikogruppe führte. Insgesamt 21 Patienten
(9,5 %), die Radiojod in niedriger Aktivität erhielten, bekamen eine zweite therapeutische
Aktivität, verglichen mit 9 Patienten (4,1 %), die Radiodjod in hoher Aktivität erhielten
(p = 0,02). Bei den zweiten Applikationen handelte es sich um mehr als 4GBq Radiojod.
Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 13 Monaten (mit einer Nachbeobachtungszeit
von ≥ 24 Monaten bei 21 % der Patienten) wurden 6 Fälle mit einem Rezidiv festgestellt
(3 in jeder Radiojodgruppe), und zwar anhand einer Kombination aus Ergebnissen der
Ultraschalluntersuchung, der Feinnadelaspiration und der Computertomografie [48].
Ein weiterer Aspekt erscheint bemerkenswert: In der HiLo-Studie wurde vor der RIT-Therapie
eine 99 mTc-Pertechnetat-Szintigrafie durchgeführt, um Schilddrüsenreste sichtbar zu machen,
und nur 2,3 % der Patienten hatten einen großen Rest. Dies könnte erklären, warum
die Ablation bei 182 von 214 Patienten (85,0 %) in der Gruppe mit niedrig dosiertem
Radiojod und bei 184 von 207 Patienten (88,9 %) in der Gruppe mit der hohen therapeutischen
Aktivität erfolgreich war.
In der ESTIMABL-Studie [50] (www.ESTIMABL.com) wurde bei 27/752 Patienten (3,6 %) eine persistierende Erkrankung nach der Operation
festgestellt, und zwar durch einen Ganzkörperscan nach der Ablation (14 Patienten),
einen Ganzkörperscan nach der Ablation und eine Ultraschalluntersuchung des Halses
(8 Patienten) oder nur eine Ultraschalluntersuchung des Halses (5 Patienten). Es ist
eine der Aufgaben der Nuklearmedizin, diese kleine Gruppe von Patienten zu identifizieren,
die fortgeschrittene therapeutische Fähigkeiten für die Behandlung der persistierenden
Erkrankung benötigen.
Die Autoren des ETA-Konsenses zitieren zu Recht eine aktuelle deutsche Veröffentlichung,
die eine höhere DTC-bedingte Sterblichkeit bei Niedrig- und Hochrisikopatienten zeigt,
die bei der ersten RIT mit niedrigen Aktivitäten (≤ 2GBq I-131) behandelt wurden,
wenn die Patienten bei der Diagnose mindestens 45 Jahre alt waren, sowie eine höhere
Rezidivrate bei älteren Hochrisikopatienten ohne Fernmetastasen [33]. Aus unserer Sicht sollte die Behandlungsaktivität in diesem ablativen/adjuvanten
Setting entsprechend den individuellen Risikomodifikatoren, einschließlich der postoperativen
szintigrafischen Bildgebung, angepasst werden (siehe Kommentar zu Empfehlungen 1 und
7).
Empfehlung 7 (ETA-Konsenserklärung)
Wenn eine Entscheidung über die Durchführung einer postoperativen
RIT-Therapie getroffen werden muss, ist ein diagnostischer
Scan nicht routinemäßig erforderlich.
Ein postoperativer diagnostischer Funktionsscan kann hilfreich sein, da er nachweislich
ein individuelles Patientenmanagement ermöglicht.
Wir sind uns nicht sicher, was die Autoren des ETA-Konsenses mit „Wann immer eine
Entscheidung zur Durchführung einer postoperativen RIT getroffen werden muss“ meinen.
Es muss immer eine Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes diagnostisches und/oder
therapeutisches Vorgehen getroffen werden. Wir gehen jedoch davon aus, dass die Autoren
nicht für einen diagnostischen Funktionsscan vor einer RIT-Therapie sind. Nirgendwo
im Konsens findet sich eine Aussage darüber, wie vorzugehen ist, wenn die RIT NICHT
durchgeführt wird.
Wie in der Anmerkung zu Empfehlung 1 erwähnt, kann die postoperative funktionelle
Bildgebung mit Radioisotopen das postoperative klinische Management vor der therapeutischen
RIT-Verabreichung ändern [51]. Die funktionelle Bildgebung ist eine Option zur weiteren Stratifizierung von Patienten
in Gruppen, z. B. solche, die aufgrund eines ausgeprägten Lymphknotenbefalls eine
zusätzliche Lymphknotendissektion benötigen, solche, die eine höhere Radiojodaktivität
benötigen, insbesondere bei nachweisbaren Fernmetastasen, oder solche, die bei nicht
nachweisbaren Tumormanifestationen mit minimalen Schilddrüsenresten eine niedrigere
RIT-Aktivität benötigen. Wie im ETA-Konsens erwähnt, können in diesem Zusammenhang
auch histologische Informationen sowie Thyreoglobulinwerte und Ultraschalluntersuchungen
herangezogen werden, wenngleich deren Sensitivität deutlich eingeschränkt ist. Darüber
hinaus ermöglicht die diagnostische Radiojodbildgebung bei Patienten mit bekannter
persistierender Erkrankung eine maßgeschneiderte Dosimetrie für die anschließende
RIT-Therapie. Durch die Verwendung von 123I/I124 oder sogar 99 mTc (wie in einer großen Phase-III-Studie [48]) kann ein sogenanntes „Stunning“, welches in dem Konsens als Einschränkung genannt
wird, verringert oder sogar verhindert werden. Das Phänomen „Stunning“ (reduzierter
Ioduptake unter Therapiebedingungen nach vorausgegangener diagnostischer Radioiodapplikation)
selbst ist Gegenstand intensiver Debatten. 123I, das dieses Phänomen vermeidet, ist in Deutschland und den meisten europäischen
Ländern leicht erhältlich, ebenso wie 99 mTc. 124I ist dagegen nur in wenigen spezialisierten Zentren verfügbar.
Empfehlung 8 (ETA-Konsenserklärung)
Eine jodarme Diät kann verordnet werden, ihr Nutzen ist jedoch nicht eindeutig nachgewiesen.
Alle jodhaltigen Medikamente sollten vermieden werden.
Vor der RIT sollte 2 Wochen lang eine jodarme Diät eingehalten werden. Jodhaltige
Medikamente sollten vermieden werden.
Die Zufuhr hoher Mengen von nicht radioaktivem Jod sollte vor RIT vermieden werden,
weil hierdurch die Radioiodaufnahme in Schilddrüsenzellen erheblich reduziert werden
kann. Wir halten eine jodarme Diät für eine geringe Belastung für die Patienten in
Deutschland. Eine von Pluijmen et al. an 120 Patienten durchgeführte Studie zeigte,
dass eine jodarme Diät die 24-Stunden-Urinausscheidung von Jod um 83 % verringerte;
gleichzeitig stieg die Radiojodaufnahme in den Schilddrüsenresten im Vergleich zu
den Kontrollen um 65 % (p < 0,001). Die Wirksamkeit der RIT-Behandlung war in der
jodarmen Gruppe mit einer erfolgreichen Ablation bei 65 % im Vergleich zu 48 % der
Patienten in der Kontrollgruppe (p < 0,001) besser [52].