Nervenheilkunde 2022; 41(05): 309-319
DOI: 10.1055/a-1796-5491
Schwerpunkt

Geschlechtsinkongruenz im Kindes- und Jugendalter

Ethische Maßgaben und aktuelle BehandlungsempfehlungenGender incongruence in childhood and adolescenceEthical requirements and current treatment recommendations
Georg Romer Romer
1   Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie, Universitätsklinikum Münster (UKM)
,
Thomas Lempp
2   Clementine Kinderhospital, Frankfurt am Main
› Author Affiliations
 

ZUSAMMENFASSUNG

In diesem Artikel wird ein praxisnaher Überblick über den aktuellen Wissensstand zur Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter dargestellt. Ausgehend von dem in der ICD-11 vollzogenen Paradigmenwechsel, wonach die Geschlechtsinkongruenz keine psychische Störung ist, werden die wichtigsten sich daraus ergebenden Neuerungen für den professionellen Umgang mit Geschlechtsdiversität diskutiert. Im Vordergrund steht dabei die Unterstützung geschlechtsdiverser Personen, ein Leben im empfundenen Geschlecht zu führen. Bei einer Geschlechtsinkongruenz im Kindesalter besteht meist kein weiterer Behandlungsbedarf. Im Jugendalter kann die fortschreitende körperliche Reifung zu einem geschlechtsdysphorischen Leidensdruck führen, der neben unterstützender Psychotherapie häufig die Empfehlung für gestufte somatomedizinische Interventionen zum Aufhalten der pubertären Reifung und zur Geschlechtsangleichung begründet. Die Voraussetzungen für individuelle Indikationen werden gemeinsam mit den hierbei zu berücksichtigenden ethischen Maßgaben ausgeführt.


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ABSTRACT

This article presents a practical overview of the current state of knowledge on gender incongruence and gender dysphoria in childhood and adolescence. Based on the paradigm shift in the ICD-11, according to which gender incongruence is not a mental disorder, the most important resulting innovations for the professional handling of gender diversity are discussed. The focus is on supporting gender diverse persons to live their lives in their perceived gender. In the case of gender incongruence in childhood, there is usually no need for further treatment. In adolescence, progressive physical maturation can lead to gender dysphoric distress which, in addition to supportive psychotherapy, necessitates staged somato-medical interventions to halt pubertal maturation and for gender reassignment. The prerequisites for individual indications are explained together with the ethical requirements to be considered.


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Die neue Sicht auf geschlechtliche Diversität in der ICD-11

In der medizinischen Fachwelt hat sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten ein grundlegender Paradigmenwechsel im Verständnis diverser Geschlechtsidentitäten vollzogen: Es erfolgte einerseits eine konsequente Entpathologisierung und andererseits eine Abkehr von der dichotomen Vorstellung binärer Geschlechtlichkeit. Dieser Paradigmenwechsel zeigt Parallelen zum Wandel im Umgang mit Homosexualität, die 1973 von der American Psychiatric Association aus dem Katalog psychiatrischer Diagnosen gestrichen wurde [1]. Entsprechend wurden in der ICD-11 die Diagnosen und damit auch die dahinterliegenden Störungskonzepte der „Störungen der Geschlechtsidentität“ (F64) und des „Transsexualismus“ (F64.0) verlassen und die neue Diagnose der Geschlechtsinkongruenz (GI, HA60) unter einer neuen Rubrik „Zustände mit Bezug zur sexuellen Gesundheit“ (conditions related to sexual health) eingeführt [2]. Die Geschlechtsinkongruenz gilt damit als „Zustand“ und nicht mehr länger als psychische Erkrankung. Sie ist definiert als eine dauerhafte Nichtpassung (Inkongruenz) zwischen der empfundenen Geschlechtsidentität und dem aufgrund anatomischer Merkmale bei Geburt zugewiesenen Geschlecht, verbunden mit einem starken Unbehagen gegenüber den angeborenen körperlichen Geschlechtsmerkmalen. Diese Diagnose soll im Jugend- und Erwachsenenalter nur gestellt werden, wenn bei einer betroffenen Person zudem ein starker Wunsch nach primären oder sekundären Geschlechtsmerkmalen des empfundenen Geschlechts und/oder danach besteht, angeborene Geschlechtsmerkmale loszuwerden, um das eigene körperliche Erscheinungsbild der empfundenen Geschlechtsidentität anzugleichen (Kasten).

DIAGNOSEKRITERIEN

Geschlechtsinkongruenz im Jugend- und Erwachsenenalter (HA60/ICD-11)

Ausgeprägte und anhaltende Inkongruenz zwischen dem empfundenen Geschlecht und dem zugewiesenen Geschlecht, die sich durch mindestens 2 der folgenden Punkte äußert:

  • starke Abneigung oder Unbehagen gegenüber den eigenen körperlichen Geschlechtsmerkmalen,

  • starker Wunsch, eigene körperliche Geschlechtsmerkmale loszuwerden,

  • starker Wunsch nach körperlichen Geschlechtsmerkmalen des empfundenen Geschlechts.

Die Person verspürt den starken Wunsch, als eine Person des erlebten Geschlechts zu leben und akzeptiert zu werden. Die erlebte Geschlechtsinkongruenz muss seit mindestens mehreren Monaten kontinuierlich vorhanden sein. Die Diagnose kann nicht vor dem Einsetzen der Pubertät gestellt werden. Geschlechtsvariante Verhaltensweisen und Vorlieben allein sind keine Grundlage für die Zuweisung der Diagnose.

Ein solcher Wunsch ist meist nur durch geschlechtsangleichende körpermedizinische Maßnahmen (Hormonbehandlung und geschlechtsangleichende Operationen) erreichbar, was wiederum einer leitliniengerechten Behandlung zur Reduzierung psychiatrischer Morbidität entspricht [3]. Durch die neue ICD-11-Diagnose der Geschlechtsinkongruenz wird für Trans-Personen der sozialrechtliche Zugang zu medizinisch indizierten Behandlungsmaßnahmen weiterhin gesichert. Im Unterschied zur im DSM-5 weiterhin verwendeten psychiatrischen Diagnose einer Geschlechtsdysphorie (GD), mit der das vorwiegend reaktive psychische Leiden an einer Geschlechtsinkongruenz (GI) definiert wird [4], erfordert die Diagnose einer GI nicht, dass ein gegenwärtiger psychisch beeinträchtigender Leidenszustand vorliegt.


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Implikationen für eine zeitgemäße Versorgungspraxis

Dieser Paradigmenwechsel erfordert ein grundlegendes Umdenken aller im Gesundheitswesen professionell Tätigen: Frühere Annahmen, wonach eine vom zugewiesenen Geschlecht abweichende Geschlechtsidentität durch eine psychopathologische „Fehlentwicklung“ verursacht sein könnte, haben sich als wissenschaftlich nicht haltbar erwiesen. Der bisherige Begriff einer „Störung der Geschlechtsidentität“ war und ist für Trans-Personen diskriminierend und deshalb obsolet. Die Entwicklung der Geschlechtsidentität kann, vergleichbar der Entwicklung der sexuellen Orientierung, im Verlauf fluide sein, ist aber nach heutiger Auffassung weder durch erzieherische noch durch psychotherapeutische Einflussnahme beeinflussbar. Daher sind psychotherapeutische Maßnahmen, die die Geschlechtsidentität einer Person verändern wollen, nicht nur unethisch, sondern seit 2020 in Deutschland zudem strafbar, was explizit auch Kinder und Jugendliche vor solchen Therapieversuchen schützen soll (KonvBG § 2).

Nach aktuellen Leitlinienempfehlungen soll bei Vorliegen einer GI das vorrangige Bestreben von professionell Helfenden zur Reduzierung psychischer Gesundheitsprobleme darauf ausgerichtet sein, die betreffende Trans-Person darin zu unterstützen, die eigene Persönlichkeit im Einklang mit ihrer empfundenen Geschlechtsidentität zu entfalten, sich dabei selbst zu akzeptieren und sich sozial akzeptiert zu fühlen [3], [5]. Im Kindes- und Jugendalter schließt dies ein, an der Schaffung einer sicheren und akzeptierenden sozialen Umgebung in Elternhaus und Schule mitzuwirken [6], [7]. Körpermedizinische Maßnahmen, sind zur Unterstützung einer sozialen Transition zwar nicht immer, jedoch bei den meisten Patienten mit GI im Behandlungsverlauf sinnvoll und notwendig. Sie sind individualisiert zu indizieren. Starre Ablaufschemata hinsichtlich der Reihenfolge von Transitionsschritten und der Erfüllung vorgegebener Zeit- und Alterskriterien gelten für eine fachgerechte Indikationsstellung medizinischer Transitionsbehandlungen als überholt [1], [3].


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Prävalenz und zunehmend steigende Fallzahlen bei Jugendlichen

In den vergangenen 10 Jahren ist die Zahl Jugendlicher, die wegen GI/GD spezielle Behandlungsangebote im Gesundheitswesen aufsuchen, international stark angestiegen [8]. Parallel hierzu sind auch die Schätzungen der Prävalenz der GI bei Erwachsenen stark angestiegen. So wurde in einer Metaanalyse aus dem Jahre 2015 die durchschnittliche Prävalenzrate von „Transsexualismus“ bei Erwachsenen noch auf 6,8 von 100000 Personen geschätzt [9]. Die zugrunde gelegten Studien beruhen meistens auf den Inanspruchnahmezahlen von medizinischen Spezialambulanzen, die mit den Bevölkerungszahlen von deren Einzugsgebieten verrechnet wurden. Dies impliziert eine systematische Unterschätzung, da Personen mit GI, die, aus welchen Gründen auch immer, (noch) keine medizinische Behandlung in Anspruch genommen haben, nicht als Fälle erfasst wurden. In einer neueren bevölkerungsrepräsentativen epidemiologischen Erhebung in Schweden wurde erstmals zwischen dem subjektiven Erleben einer GI bei Erwachsenen und dem konkreten Wunsch nach einer medizinischen Behandlung zur Geschlechtsangleichung differenziert [10]: Die Prävalenzrate für subjektive GI lag für beide Geschlechter bei ca. 1 %. Die Rate für den spezifischeren Wunsch nach einer geschlechtsangleichenden medizinischen Behandlung betrug bei beiden Geschlechtern 0,2 % und liegt damit bereits etwa 30-mal höher als die aus früheren Studien aus Behandlungszahlen geschätzte Prävalenzrate.

Für Jugendliche liegen nur wenige empirische Daten zur Prävalenz vor. In einer neuseeländischen Studie identifizierten sich 1,2 % einer Stichprobe von High-School-Schülern als transgender [11], was in der Größenordnung der ermittelten Prävalenz subjektiver GI bei Erwachsenen liegt. Der starke Anstieg behandlungssuchender Jugendlicher mit GI/GD in den vergangenen Jahren ist somit kein spezielles Phänomen des Jugendalters. Vermutlich nehmen im Rahmen einer wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz insgesamt zunehmend mehr Menschen mit GI auch im Erwachsenenalter medizinische Transitionsbehandlungen in Anspruch. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat sich die Zahl der geschlechtsangleichenden Operationen bei Erwachsenen in Deutschland von 2012 bis 2020 insgesamt verdreifacht, mit stetig zunehmender Tendenz [12]. Weiterhin finden Selbstfindungsprozesse und soziale Outings von Trans-Personen zunehmend in früherem Lebensalter in Kindheit und Jugend statt, was den steilen Anstieg der Fallzahlen Jugendlicher mit GI/GD in medizinischen Einrichtungen erklärt. Die absoluten Fallzahlen im Jugendalter liegen nach wie vor weit unter der anzunehmenden Prävalenz von GI und es ist zu erwarten, dass diese in den kommenden Jahren zunächst weiter ansteigen werden.


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Mit Geschlechtsinkongruenz assoziierte Psychopathologie

Bei der Mehrheit der Kinder und Jugendlichen, die in Spezialsprechstunden mit einer GI oder GD vorgestellt werden, findet sich keine psychiatrische Grunderkrankung, die der GI/GD vorausging [13], [14]. Dennoch sind psychopathologische Auffälligkeiten häufig, bei Jugendlichen mehr als bei Kindern, was u. a. mit der leidvoll erlebten fortschreitenden pubertären Reifung begründet ist [15]–[17]. Psychische Gesundheitsprobleme können unabhängig von einer GI/GD entstanden sein oder durch Begleitumstände einer GI/GD verursacht bzw. verstärkt werden. Vorrangig zu nennen sind eine internalisierende Verarbeitung der körperbezogenen Geschlechtsdysphorie, aversive Erfahrungen mit sozialer Nichtakzeptanz, Diskriminierung oder Gewaltviktimisierung (Minority Stress) sowie eine internalisierte Transphobie mit beeinträchtigter Selbstakzeptanz und verfestigten Negativerwartungen [18]. Die am häufigsten berichteten psychischen Auffälligkeiten bei GI/GD im Jugendalter sind depressive Störungen, Angststörungen, selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität [19], [20]. Die Lebenszeitprävalenz für Suizidversuche bei wegen GI/GD vorgestellten Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde in einer neueren Metaanalyse mit 15 % ermittelt [21]. Bei erwachsenen Trans-Personen liegt sie nach einem großen U.S.-amerikanischen epidemiologischen Survey bei ca. 40 % [22]. Als bedeutsamste protektive Faktoren wurden ein affirmativ unterstützendes familiäres Milieu und die Inanspruchnahme geschlechtsangleichender körpermedizinischer Behandlung ermittelt [22]. Eine vergleichende Analyse ergab, dass psychische Stressbelastung und Suizidalität im Erwachsenenalter deutlich seltener angegeben wurden, wenn eine geschlechtsangleichende Hormonbehandlung mit Testosteron oder Östrogen bereits im Jugendalter (14–17 Jahre) begonnen wurde [18]. In einer niederländischen Langzeitkohortenstudie (n = 43) konnte nachgewiesen werden, dass Jugendliche mit einer nach Pubertätseintritt persistierenden Geschlechtsdysphorie, die im Laufe ihrer Jugend eine gestufte medizinische Transitionsbehandlung erhielten (d. h. zunächst Pubertätsblocker, später geschlechtsangleichende Hormone und schließlich ab dem 18. Lebensjahr geschlechtsangleichende Genitaloperationen), sich im Erwachsenenalter in ihren Outcome-Werten für psychische Gesundheit nicht von der Normbevölkerung unterschieden [23]. Diese Studienergebnisse stützen neben anderen neueren Outcome-Studien [24]–[28] in konsistenter Weise die in aktuellen Leitlinienempfehlungen [29], [30] vertretene Annahme, dass bei einer dauerhaft anhaltenden GI/GD im Jugendalter die Einleitung körpermedizinischer Maßnahmen in Verbindung mit einer psychologisch und sozial unterstützten Transition geeignet ist, die mit GI/GD assoziierten psychopathologische Auffälligkeiten wirksam zu minimieren [1].


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Autismus-Spektrum-Störungen (ASS)

Zahlreiche Untersuchungen zeigen eine erhöhte Prävalenz sowohl von autistischen Symptomen bei Kindern und Jugendlichen mit GI als auch für non-konforme Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen mit ASS (bi-direktionale Überlappung der Phänomene Gendervarianz und Autismus-Spektrum). Unklar bleibt, ob ein solcher Zusammenhang auch für die tatsächliche Diagnosen ASS und GI besteht [31]. Die klinische Behandlungsrealität zeigt eine Subgruppe von Patienten, die entwicklungsüberdauernd das diagnostische Vollbild beider Phänomene aufweisen. Hier ist die Gefahr einer Unterdiagnostik vorhanden, wenn zeitlich anhaltende atypische Symptome fälschlicherweise einem zuerst diagnostizierten Phänomen zugeordnet werden. Autismusbedingte Besonderheiten erschweren zumeist den Transitionsprozess und die Indikationsstellung für somatomedizinische Maßnahmen bei GI/GD-Jugendlichen. Indizierte somatomedizinischen Maßnahmen sollten Jugendlichen mit ASS und eindeutiger GI/GD-Diagnose aber nicht generell vorenthalten werden.


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Besonderheiten im Kindesalter

Für das präpubertäre Kindesalter wird in der ICD-11 eine eigenständige Diagnose „Geschlechtsinkongruenz in der Kindheit“ definiert (Kasten).

DIAGNOSEKRITERIEN

Geschlechtsinkongruenz im KIndesalter (HA61/ICD-11)

  • starker Wunsch oder Insistieren, einem anderen als dem zugewiesenen Geschlecht anzugehören

  • starke Abneigung gegenüber eigenen anatomischen Geschlechtsmerkmalen

  • starker Wunsch nach körperlichen Geschlechtsmerkmalen, die der subjektiven Geschlechtszugehörigkeit entsprechen

  • Spielaktivitäten und Spielkameraden, die typisch für das erlebte Geschlecht sind

Bisherige Studien zum Entwicklungsverlauf geschlechtsvarianter Kinder haben gezeigt, dass diese mehrheitlich im Jugendalter keine persistierende GI entwickeln [32]. Auch wenn schon im Kindesalter die diagnostischen Kriterien einer GD erfüllt waren, lag die Persistenzrate laut einer Metaanalyse nicht höher als 60 % [33]. Demnach kann bei einer GI im Kindesalter vor Eintritt der Pubertät keine Vorhersage darüber getroffen werden, ob diese ins Jugendalter persistieren wird. Entsprechend soll vor Pubertätsbeginn eine Indikationsstellung für spätere medizinische Behandlungsschritte unterbleiben [29]. Die Diagnose einer GI im Kindesalter impliziert per se keinen Behandlungsbedarf. Auch psychotherapeutische Maßnahmen sind meist nicht nötig, wenn das Kind von seinem Umfeld in seinem geschlechtsdiversen Auftreten akzeptiert wird und sich ungestört entwickeln kann. Gleichwohl besteht im Kindesalter oft ein fachlicher Beratungsbedarf für das erzieherische Umfeld.


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Sozialer Rollenwechsel im Kindesalter

Für geschlechtsdiverse Kinder, die von ihrem Umfeld akzeptiert werden, haben z. B. Vornamen und Pronomina oft keine besondere Bedeutung. Es gibt jedoch auch Kinder, die von sich aus schon im Kindergarten- oder Grundschulalter vehement darauf bestehen, in einem anderen als dem zugewiesenen Geschlecht angesprochen zu werden und entsprechend einen sozialen Rollenwechsel von sich aus initiieren. Dies betrifft gegebenenfalls grundsätzlich keine Frage einer medizinischen Behandlungsentscheidung, sondern es obliegt allein den Erziehenden, hierzu eine kindgerechte Haltung zu entwickeln, die für dessen gesunde psychische Entwicklung am ehesten förderlich ist. Wird hierzu eine professionelle Beratung aufgesucht, sollten Fachpersonen u. a. darüber informieren, dass nach den konsistenten Ergebnissen bisheriger Studien geschlechtsdiverse Kinder, die mit Unterstützung ihrer Familien vor der Pubertät einen sozialen Rollenwechsel vollzogen haben, überwiegend eine unauffällige psychische Entwicklung durchlaufen haben [34], [35]. Wird den Kindern mit einer akzeptierenden Haltung begegnet, erscheint dies geeignet, die bei Trans-Personen erhöhten seelischen Gesundheitsrisiken im Jugendalter zu minimieren [36]–[39]. Ebenso sollten Eltern und Kind darüber informiert werden, dass sich die empfundene Geschlechtszugehörigkeit im Verlauf des Jugendalters verändern kann, wobei dies kein Grund sein muss, einem Kind einen sozialen Rollenwechsel zu verbieten. Eine ergebnisoffene Eigenexploration der geschlechtlichen Identität kann sich auch nach einer sozialen Transition im Kindesalter fortsetzen [36], [40]–[42]. Hingegen kann für Eltern die Sorge um Diskriminierungserfahrungen ein Grund sein, mit dem Kind vorübergehende Kompromisslösungen für Kleidung, Spitznamen etc. auszuhandeln.


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Besonderheiten im Jugendalter

Liegt bereits in der Kindheit eine GI vor, entscheidet sich meist bald nach Pubertätsbeginn, d. h. bis zum ca. 13. Lebensjahr, ob diese ins Jugendalter persistiert [15]. Symptome einer GI/GD können jedoch auch erstmals nach Eintritt der Pubertät in Erscheinung treten, was deren diagnostische Einschätzung ohne eine längere Verlaufsdiagnostik schwieriger macht. Im Rahmen ihrer Identitätssuche können sich Jugendliche temporär in verschiedenen genderbezogenen Stilen und Rollen ausprobieren. Auch finden sich bei einem Teil der Jugendlichen mit GI/GD Hinweise auf eine allgemeine Identitätsverunsicherung [43]. Typisch für ein fluides gendervariantes Verhalten im Jugendalter, aus dem sich keine persistierende GI entwickelt, ist beispielsweise, wenn das Ausleben atypischen Rollenverhaltens mit subjektiver Zufriedenheit einhergeht, ohne dass ein körperbezogenener Leidensdruck (fort-)besteht. Überdauert hingegen nach Pubertätsbeginn eine GI/GD über einen längeren Zeitraum, ist ihre dauerhafte Persistenz zunehmend wahrscheinlich. Typisch hierfür ist, dass der Leidensdruck im Zusammenhang mit fortschreitenden Körperveränderungen progredient ansteigt und sich nicht allein durch einen vollzogenen sozialen Rollenwechsel mit positiven Erfahrungen und sozialer Akzeptanz nennenswert lindern lässt. Dies kann mit gravierenden Beeinträchtigungen der sozialen Teilhabe einhergehen (z. B. sozialer Rückzug, jahrelang kein Schwimmbadbesuch). Trans-Jungen leiden u. a. besonders an ihrem weiblichen Brustwachstum. Sie binden häufig ihre Brüste ab, weil sie die Sichtbarkeit der Brustwölbung durch die Kleidung nicht ertragen. Die Menstruation wird typischerweise als zutiefst „falsch“ oder als demütigend erlebt. Trans-Mädchen äußern u. a. meist ein großes Unbehagen im Zusammenhang mit dem pubertären Stimmwechsel sowie der Vorstellung von Bartwuchs und männlicher Körperbehaarung [1].

Die Herausforderung bei der Behandlung von GI/GD im Jugendalter besteht darin, dass einerseits die zunehmende Irreversibilität der fortschreitenden körperlichen Reifeentwicklung, die mit erhöhten Langzeitrisiken für die psychische Gesundheit einhergeht, einen Zeitdruck schafft, andererseits jugendliche Selbstfindungsprozesse volatil und fluide sein können [44], [45]. Dies macht Behandlungsentscheidungen für körpermedizinische Maßnahmen schwierig, da der potenzielle Nutzen gegen das Risiko irreversibler Gesundheitsschäden im Falle einer sich später als verfrüht erweisenden Entscheidung abzuwägen ist [44]. Erschwerend kommt hinzu, dass bei Jugendlichen mit GI/GD – anders als im Erwachsenenalter – ein abwartendes Vorgehen über einen längeren Zeitraum keine neutrale Option ist, sondern durch die damit bewusst in Kauf genommene fortschreitende Vermännlichung bzw. Verweiblichung des körperlichen Erscheinungsbildes vermeidbare schädliche Langzeitfolgen für die psychische Gesundheit entstehen können [30]. Angesichts der Tragweite der somatomedizinischen Behandlungsentscheidungen und deren irreversiblen Implikationen (u. a. ggf. spätere Infertilität) sind besondere Anforderungen an die diagnostische Sicherheit sowie an die Feststellung einer hinreichenden Einwilligungsfähigkeit der Jugendlichen zu stellen. Es besteht somit nach aktuellen medizinethischen Maßgaben u. a. des Deutschen Ethikrates für Behandelnde eine gleichermaßen hohe ethische Begründungslast für eine geschlechtsangleichende medizinische Behandlung im Jugendalter ebenso wie im Falle einer Ablehnung oder zeitlichen Hinauszögerung einer gewünschten Behandlung [44], [45].


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Behandlungsempfehlungen bei Jugendlichen

Für die Behandlung jugendlicher Patienten mit GI/GD ist eine über mehrere Jahre kontinuierliche psychologische und medizinische Begleitung zu empfehlen, bei der einzelfallbezogen explorative Selbstfindungsprozesse, Schritte einer sozialen Transition und abgestufte somatomedizinische Interventionen mit schrittweise zunehmender Irreversibilität gemeinsam mit den Patienten und ihren Sorgeberechtigten im Verlauf evaluiert werden sollten. Dabei wird eine partizipative Entscheidungsfindung (shared decision making) empfohlen. Bestehen angesichts der Tragweite einer anstehenden Behandlungsentscheidung noch Zweifel an der erforderlichen Einwilligungsfähigkeit eines minderjährigen Patienten, ist es Aufgabe der Fachperson, den jungen Menschen darin zu unterstützen, die für eine eigenverantwortliche Entscheidung erforderlichen Kenntnisse und Kompetenzen zu erwerben [45].

Indikationen für Psychotherapie

Psychotherapie bei Jugendlichen mit GI/GD bedarf einer individuell zu stellender Indikation auf Basis einer psychiatrischen Zusatzdiagnose. Besteht im Hinblick auf die Stabilität vs. Fluidität der Geschlechtsidentität Unsicherheit, steht zunächst die Unterstützung bei einer introspektiven und sozial explorierenden Selbstfindung im Vordergrund, die meist die Ermutigung zu einer sozialen Rollenerprobung einschließt [40]. Zeichnet sich hingegen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine persistierende GI ab, steht die affirmative Prozessbegleitung bei einer sozialen Transition sowie deren stetige Reevaluation im Vordergrund [1]. Dabei geht es z. B. oft um das Erarbeiten konkreter Alltagslösungen im Umgang mit Situationen, in denen Geschlechtertrennung üblich ist (z. B. Toilettenbenutzung, Sportumkleide etc.). Die Grenzen zu einer unterstützenden psychosozialen Beratung sind dabei fließend.


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Indikation für pubertätsunterdrückende Hormonbehandlung

Nimmt pubertätsbedingt eine körperbezogene Dysphorie zu, kann frühestens ab einem Pubertätsstadium II nach Tanner eine zeitlich begrenzte Pubertätssuppression mit GnRH-Analoga empfohlen werden [29]. Diese Behandlung ist geeignet, den Leidensdruck betroffener Jugendlicher zu entaktualisieren, indem das Fortschreiten irreversibler Körperveränderungen wirksam verhindert wird. Dies führt bei behandelten Jugendlichen meist zu einer erheblichen psychischen Entlastung. Verlaufsdaten aus Langzeit-Follow-Up-Untersuchungen belegen einen günstigen Effekt auf die mit GI/GD einhergehenden psychopathologische Symptombelastungen (z. B. Depression), wobei die Körperdysphorie als solche meist fortbesteht [46]. Die Behandlung ist im Hinblick auf die somatische Reifeentwicklung vollständig reversibel, d. h. bei einem Absetzen würde die biologische Reifeentwicklung vollständig nachgeholt werden. Daher eignet sich dieser Behandlungsschritt auch dafür, ein Zeitfenster zu schaffen, in dem irreversible Körperveränderungen in jedwede Richtung verhindert werden. Ein solches temporäres Anhalten der körperlichen Reifeentwicklung sollte für eine Klärung und Vorbereitung weiterführender Entscheidungen, insbesondere bezüglich einer partiell irreversiblen geschlechtsangleichenden Hormonbehandlung genutzt werden. Diese wird nach bisheriger Erfahrung führender Behandlungszentren in den meisten Fällen, in denen eine Pubertätssuppression erfolgte, im weiteren Verlauf gewünscht. Für die Indikationsstellung zur Pubertätssuppression wird daher als Voraussetzung empfohlen, dass bereits von einer hohen Wahrscheinlichkeit für die dauerhafte Persistenz einer GI ausgegangen werden kann [1], [29], [47] (Kasten).

INDIKATIONSKRITERIEN

Pubertätsunterdrückende Hormonbehandlung bei Geschlechtsdysphorie im Jugendalter

  • Vorhandensein einer ausgeprägten Genderdysphorie nach Eintritt der Pubertät

  • Mindestens pubertäres Reifestadium II nach Tanner

  • Bei vorbestehender GI im Kindesalter: Deutliche Zunahme des geschlechtsdysphorischen Leidensdruckes mit Beginn der Pubertät

  • Normaler pubertärer Hormonstatus und erfolgte Ausschlussdiagnostik einer Differences of Sex Development: biologisch angelegte Intersexualität (DSD)

  • Abwesenheit koinzidenter psychiatrischer oder somatomedizinischer Störungen, die mit der Behandlung erheblich interferieren würden

  • Adäquate psychologische und soziale Unterstützung während der Behandlung

  • Bereitschaft zur Vorbereitung einer sozialen Transition und Alltagserprobung in empfundenem Geschlecht

  • Informierte Zustimmung von Patient und Sorgeberechtigten

(nach Daten aus [1])


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Indikation für geschlechtsangleichende Hormonbehandlung

Aufgrund der partiellen Irreversibilität der Auswirkungen einer geschlechtsangleichenden Hormonbehandlung sind an die diagnostische Sicherheit sowie an die Einwilligungsfähigkeit behandlungssuchender Jugendlicher entsprechend hohe Anforderungen zu stellen. Wenn möglich, sollte ein sozialer Rollenwechsel bereits vollzogen und eine allgemeine psychosoziale Stabilisierung in der trans-geschlechtlichen Rolle über mehrere Monate eingetreten sein. Zudem sollte ein anhaltender körperbezogener geschlechtsdysphorischer Leidensdruck handlungsleitend sein [29], [48]. Evtl. gleichzeitig bestehende psychische oder somatische Erkrankungen sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sie mit dem Beginn einer Behandlung interferieren würden, sie stellen jedoch per se keine Kontraindikation dar. Frühere Behandlungsempfehlungen, wonach begleitende psychische Störungen vor Beginn einer geschlechtsangleichenden Hormonbehandlung möglichst weitgehend remittiert sein sollten, sind nicht mehr leitliniengerecht [3]. Insbesondere depressive und sozial ängstliche Syndrome, aber auch selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität stehen in ihrer Entstehung häufig – wenngleich nicht immer – in kausalem Zusammenhang mit einer körperbezogenen Geschlechtsdysphorie. In diesen Fällen tritt entsprechend oft eine Symptomverbesserung erst durch den Beginn einer körpermedizinischen Behandlung ein. Andererseits sollten geschlechtsdysphorische Jugendliche darüber aufgeklärt werden, dass von einer Hormonbehandlung allein nicht erwartet werden kann, dass sich alle psychopathologischen Symptome auflösen. Nach unserer Erfahrung hat es sich bei koinzident (CAVE: nicht komorbid) bestehenden psychischen Störungen in den meisten Fällen bewährt, die Unterstützung einer sozialen Transition parallel und eng verzahnt mit medizinischen Transitionsschritten und psychotherapeutischen Interventionen in einem Behandlungsplan zu integrieren. Dabei sollte insbesondere auch in den ersten Monaten nach Beginn der Hormonbehandlung eine engmaschige fachliche Begleitung gewährleistet sein. Empfehlungen für feste Altersgrenzen, ab wann Minderjährige in Bezug auf partiell irreversible somatomedizinische Maßnahmen selbst einwilligungsfähig sind, sind aus entwicklungspsychologischer und empirischer Sicht nicht haltbar [49]. Die Einwilligungsfähigkeit im Sinne einer informierten Zustimmung zu einer geschlechtsangleichenden Hormonbehandlung muss daher individuell geprüft werden (Kasten).

INDIKATIONSKRITERIEN

Geschlechtsangleichende Hormonbehandlung bei Geschlechtsdysphorie im Jugendalter

  • Vollzogener sozialer Rollenwechsel in möglichst allen Lebensfeldern

  • Anhaltender Wunsch nach geschlechtsangleichender Hormonbehandlung

  • Reflektierte Antizipation der psychosozialen Implikationen eines weiteren transidenten Lebensweges

  • Abwesenheit koinzidenter psychiatrischer oder somatomedizinischer Störungen, die mit der Behandlung erheblich interferieren würden

  • Informierte Zustimmung von Patient und Sorgeberechtigten

(nach Daten aus [1], [48])


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Weiterführende geschlechtsangleichende operative Behandlung

Durch die zunehmende Verfügbarkeit fachgerechter Behandlungsangebote für Jugendliche mit GI/GD hat sich in den vergangenen 2 Jahrzehnten der Beginn sozialer Transitionen einschließlich somatomedizinischer Behandlungsschritte in frühere Altersspannen vorverlagert. Dies führt dazu, dass zunehmend häufig junge Menschen deutlich vor dem 18. Lebensjahr die gesamte soziale Transition erfolgreich durchschritten haben, einschließlich gesetzlicher Namens- und Personenstandsänderung und psychosozialer Stabilisierung unter geschlechtsangleichender Hormonbehandlung seit mehr als einem Jahr, und dann für eine vollständigere Teilhabe an einer altersgerechten Lebensgestaltung eine Mastektomie oder geschlechtsangleichende Genitaloperation wünschen. Insbesondere das Erscheinungsbild der weiblichen Brust beeinträchtigt bei Trans-Jungen häufig die psychosoziale Teilhabe erheblich und geht mit hohem Leidendruck einher, der sich unter Testosteronbehandlung verstärken kann. Es gibt bei einem hinreichend eindeutigen Gesamtbild, sorgfältiger Indikationsstellung und festgestellter Einwilligungsfähigkeit keine medizinethische Rechtfertigung, jungen Menschen vor Erreichen des 18. Lebensjahres grundsätzlich den Zugang auch zu geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen zu verwehren, auch wenn diese überwiegend erst nach dem 18. Lebensjahr erfolgen. Insbesondere die Indikation zu einer Mastektomie wird zunehmend häufig vor dem 18. Lebensjahr gestellt, was auch internationalen Leitlinienempfehlungen entspricht [29]. Bei der Indikationsstellung zu genitalangleichenden Operationen wird hingegen nach wie vor empfohlen, die Volljährigkeit abzuwarten. Hierzu trägt u. a. auch die Beobachtung bei, dass im Erwachsenenalter längst nicht alle Trans-Personen die operative Geschlechtsangleichung wünschen, sondern teilweise auch zu individuellen Entscheidungen kommen können, ohne eine solche Operation ein stimmiges Leben in ihrem empfunden Geschlecht realisieren zu können.


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Einbeziehung von Eltern in den Behandlungsprozess

Die Relevanz der Einbindung von Eltern in den gesamten Prozess der Transition und ihrer professionellen Begleitung kann nicht genug hervorgehoben werden. Für die psychische Gesundheit transidenter Jugendlicher ist die Qualität ihrer familiären Beziehungen ebenso wie die soziale Akzeptanz unter Gleichaltrigen hochgradig bedeutsam [50]. Entsprechend hängt die psychosoziale Bewältigung einer Transition im Jugendalter entscheidend von der Unterstützung durch die Eltern ab. Bei anhaltenden Akzeptanzproblemen der Eltern sollte im Interesse der Gesundheitsprognose der betreffenden Jugendlichen daher kein therapeutischer Aufwand gescheut werden, durch intensive Eltern- und Familienarbeit die Gründe für eine Nichtakzeptanz zu explorieren und nach Möglichkeit aufzulösen. Falls dies nicht gelingt, wird ein Beziehungsabbruch des Jugendlichen zu seinen Eltern wahrscheinlich, da im Erleben Betroffener eine fortbestehende Ablehnung ihres „So-Seins“ im Transgeschlecht durch die eigenen Eltern einer existenziell bedeutsamen Ablehnung gleichkommt [1].


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Non-Binärität

Über non-binäre Jugendliche, die sich in ihrer Geschlechtsidentität weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich fühlen, liegen kaum wissenschaftliche Erkenntnisse vor. Teilweise sind non-binäre Übergangsstadien in binäre Transidentitäten beschrieben, manchmal persistiert aber auch eine non-binäre Identität über Jahre, die dann bei Jugendlichen mit weiblichem Zuweisungsgeschlecht z. B. mit einem durch anhaltende Körperdysphorie ausgelösten Wunsch nach einer Mastektomie ohne geschlechtsangleichende Hormonbehandlung einhergehen kann. Eine erste Untersuchung zeigt eine hohe Rate an begleitender Psychopathologie mit schlechterem Zugang zu transspezifischen Gesundheitsleistungen [51]. Daher sollten diese Jugendlichen nach Möglichkeit an Spezialsprechstunden angebunden werden, um nach erfolgter Verlaufsdiagnostik ggf. hoch-individuelle Indikationsentscheidungen treffen zu können.

Fazit

Bei der Behandlung der GI/GD im Jugendalter müssen ethische Abwägungen von Nutzen und potenziellem Schaden im Falle einer möglicherweise verfrüht ebenso wie einer zu spät indizierten somatomedizinischen Behandlung im Kontext der Adoleszenzentwicklung vorgenommen werden. Dabei geht es auch darum, mit bleibenden Ungewissheiten umzugehen [52]. Im Vordergrund steht die Unterstützung einer schrittweise zu bewältigenden sozialen Transition, zu der das Angebot einer individualisiert zu indizierender psychotherapeutischer Begleitung ebenso gehört wie das Angebot einer entwicklungsorientierten schrittweise gestuften somatomedizinischen Behandlung zur Angleichung des körperlichen Erscheinungsbildes an die empfundene Geschlechtsidentität, bei der wiederum jeder Schritt eine sorgfältige interdisziplinäre Indikationsstellung erfordert. Eine solchermaßen fachgerechte interdiziplinäre Versorgung (comprehensive care) kann dazu beitragen, Jugendlichen mit GI/GD eine im Hinblick auf psychosoziale Teilhabe, psychische Gesundheit und Lebensqualität weitgehend unbeeinträchtigte Lebensgestaltung zu ermöglichen.


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Interessenkonflikt

Erklärung zu finanziellen Interessen

Forschungsförderung erhalten: ja; Honorar/geldwerten Vorteil für Referententätigkeit erhalten: ja; Bezahlter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger: nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner, Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.

Erklärung zu nicht finanziellen Interessen

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

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Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Dr. med. Georg Romer
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie
Universitätsklinik Münster
Schmeddingstr. 50
48149 Münster
Deutschland   

Publication History

Article published online:
05 May 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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