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DOI: 10.1055/a-1803-6442
Nachlese zur Veranstaltung des BDDH am 03.03.2022 im Rahmen der 66. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) in Leipzig
- Susann Halimeh: Eine Einzelzentrum-Analyse der Ressourcen in einem Hämophiliezentrum
- Susan Halimeh in Zusammenarbeit mit Deutsche Bluthilfe e.V.: Unterstützung ukrainischer Patienten mit Hämophilie durch die Deutsche Bluthilfe e.V.
Im Rahmen des „offenen Teils“ der BDDH-Sitzung im Rahmen der 66. GTH-Jahrestagung wurde am 03.03.2022 auch ein Vortrag von Frau Dr. Susann Halimeh, Gerinnungszentrum Rhein Ruhr (GZRR), Duisburg, gehalten. Die Zusammenfassung dieses Vortrages wird nachfolgend dargestellt.
Susann Halimeh: Eine Einzelzentrum-Analyse der Ressourcen in einem Hämophiliezentrum
Das Behandlungszentrum teilt sich in 3 Haupt-Arbeitsbereiche rund um die Patientenbetreuung: Den Empfang, die Physiotherapie und die Hämophilieassistenz. Der Empfang plant die Patiententermine intern und extern. Hierzu zählen Aufnahme, Ablaufkoordination im Zentrum, Bearbeitung von Rezeptanforderungen und telefonischen Anfragen, Überweisungen sowie Terminabsprachen mit Krankenhäusern oder anderen Fachärzten. Im Bereich Physiotherapie muss man den Zeitaufwand pro Patientenaufnahme bei der Personalplanung berücksichtigen: Bei Kindern für Balance-Übungen und Parcours je 30 Minuten, für die Sonographie pro Gelenkeinheit 20 Minuten, bei einem Blutungsereignis mindestens 20 Minuten und zur Erfassung des „Hemophilia Joint Health Score“ ca. 25 Minuten. Bei erwachsenen Patienten ebenfalls je 20 Minuten Sonographie pro Gelenkeinheit, bei einem Blutungsereignis 20 Minuten, für die Bestimmung des HJH-Scores 25 Minuten und für eine spezielle physiotherapeutische Betreuung, beispielsweise nach einer Gelenkersatz-OP, nochmals 30 Minuten. Bei Folgeterminen benötigt man zusätzlich 20 Minuten für die regelmäßige Untersuchung der Patienten. Die Hämophilieassistenz hat bereits vor der Quartalskontrolle telefonisch Kontakt zum Patienten, um aktuelle Beschwerden und den Faktorenbestand zu erfragen. Sie erinnert an die nötige Überweisung des Hausarztes und bereitet den Krankenkassenvertrag vor. Ein Zeitaufwand von 10-20 Minuten je Patienten. Während der Quartalskontrolle wird die Akte mit aktuellen Beschwerden, Befunden, Fragebögen, MRTs etc. ergänzt, das dauert bis zu 15 Minuten. Dazu kommt ein Zeitaufwand von etwa 30 Minuten zur Vorbereitung und Durchführung der Blutentnahme und Faktorgabe. Es wird eine Kopie des Substitutionskalenders erstellt und die individuelle Faktorbestellung bei Apotheken fällt ebenfalls in den Aufgabenbereich der Hämophilieassistenz. Bei regelmäßiger Betreuung dauert die Dokumentation je Patient pro Kontakt etwa 10 Minuten, hinzu kommen die Kontrolle und Pflege der Substitutionsdokumente und des Notfalldepots, sowie individuelle Schulungen bei Faktorgaben und Venentrainings für die Patienten und Eltern der kleinen Patienten mit einer Dauer von 10 bis 20 Minuten. Schulungen für Kindergärten und Schulen benötigen 2 bis 3 Stunden Personaleinsatz. Für das Patientenmanagement sollte man zusätzlich 20 Stunden pro Woche ansetzen: Ernährungsberatung, Coaching in diversen Lebenssituationen, gegebenenfalls Besprechungen von Auffälligkeiten mit Arzt oder Patient und die Unterstützung der Patienten bei behördlichen Anträgen, z.B. beim Versorgungsamt, nimmt diese Zeit in Anspruch. Zusätzlich fallen die Erfassung und Evaluierung der Lebensqualität-Fragebögen in diesen Aufgabenbereich. Die Hämophilieassistenz ist auch für die Dokumentation im Deutschen Hämophilie Register (DHR) verantwortlich – die Meldung kann je nach Patientensituation sehr zeitintensiv sein und auch für die Migration des Patientenstamms von DHR 1.0 nach 2.0 muss man zwischen 25 Minuten bis zu einer Stunde einplanen, je nachdem ob der Patient eine Sammel- oder Einzelmeldung bekommt, Blutungen hat, einen Krankenhausaufenthalt oder neue Faktorverordnungen benötigt hat oder gerade erst geboren wurde (1-50 Tage alte Säuglinge). Das Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr hat im Jahr 2021 330 Einzelmeldungen an das DHR übermittelt, darunter 59 Fälle schwerer Hämophilie A, 76 Fälle mit Faktor VII-Mangel sowie 78 Patienten mit von- Willebrand-Syndrom. Es gab 2.641 Sammelmeldungen, beispielsweise 389mal Faktor XIII, 40 schwere Hämophilie A Fälle und 997mal von-Willebrand-Syndrom. Zudem wurden 8 diagnostizierte Neugeborene, sogenannte PUPs („previously untreated persons“), neu ins Register aufgenommen.
Der Mitarbeiterbedarf des Hämophiliezentrums liegt aktuell bei 12 Vollzeit-Kräften, davon 5 Empfangsmitarbeiter, 1 Physiotherapeut, 4 Hämophilieassistenzen und 2 Mitarbeiter für Abrechnung und Verwaltung. Dazu kommen 4 Teilzeitkräfte und 2 Auszubildende am Empfang, 1 Teilzeitunterstützung in der Physiotherapie, 4 weitere Auszubildenden und 2 studentische Aushilfskräfte. Wir haben die notwendige Vergütung berechnet, indem wir den einheitlichen Bewertungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigung mit einem aktuellen Minutenwert von 2,56 EUR zugrunde gelegt haben: So ergeben sich für einen erwachsenen Hämophiliepatienten ohne akute Blutung und lediglich einer Quartalskontrolle und einem Zeitaufwand von mindestens 130 Minuten 332,80 EUR. Ein Hämophiliepatient mit akuter Blutung hingegen, einer täglichen Vorstellung im Zentrum für 2 Wochen sowie einer Quartalskontrolle benötig einen Zeitaufwand von mindestens 7 Stunden, was 1408 EUR entspricht. Bei Kindern ist der unterschiedliche Zeitaufwand noch auffälliger: Ohne Blutung und mit nur einer Quartalskontrolle müssten maximal 130 Minuten mit 332,80 EUR verrechnet werden. Bei einem diagnostizierten Neugeborenen (PUP) mit 1-2 Terminen zur Faktorgabe pro Woche, wöchentlicher Physiotherapie inklusive Meldung beim DHR entsteht ein Zeitaufwand von etwa 22 Stunden (3.379,20 EUR).
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Susan Halimeh in Zusammenarbeit mit Deutsche Bluthilfe e.V.: Unterstützung ukrainischer Patienten mit Hämophilie durch die Deutsche Bluthilfe e.V.
Bereits zu Beginn des Krieges rief die Deutsche Bluthilfe e.V. gemeinsam Dr. Susan Halimeh zur Unterstützung ukrainischer Patienten mit Hämophilie auf und vernetzte sich mit ukrainischen und anderen osteuropäischen Hämophilie-Zentren sowie der WFH und dem EHC.
In knapp 9 Wochen haben sich bis heute über 50 Hämophilie-Patienten im Alter von 2 bis 39 Jahren, alleinreisend oder mit ihren Angehörigen, bei der Patientenvereinigung in Duisburg gemeldet: Häufig sind sie zu diesem Zeitpunkt noch in der Ukraine, manchmal schon auf der Reise oder in Polen - alle haben schreckliche Tage und Erlebnisse hinter sich. Vor Ort angekommen werden den Flüchtlingen Hotelzimmer gestellt, um erst einmal durchzuatmen und sicher schlafen zu können, soweit sie nicht bei Verwandten unterkommen. Für Essen, Kleidung, Windeln etc. wird gesorgt, bei Behördengängen und Registrierung wird unterstützt und auch mit kleinen Events wie Eisessen, Zoo-Besuch und einem ersten Alltags-Sprachkurs versucht die Deutsche Bluthilfe die traurigen Gedanken an die verlassene Heimat ein wenig abzulenken. Die medizinische Erstversorgung in Duisburg leistet das Gerinnungszentrum Rhein-Ruhr mit Dr. Halimeh. Ein Patient, der zu Verwandten nach München geflüchtet ist, konnte an das Münchener Hämophiliezentrum im Haunerschen Kinderspital vermittelt werden, ein Weiterer wurde im Werlhof-Institut in Hannover versorgt. Ein Mädchen mit Faktor VII-Mangel wurde direkt nach der Ankunft von der Berliner Charité aufgenommen und auch Dr. Fischer in Heidelberg behandelt die Flüchtlingspatienten. Ein Spendenkonto für die Ukraine-Hilfe der Deutsche Bluthilfe e.V. wurde eingerichtet.
Inzwischen sind die zuerst angekommenen Patienten bereits einige Woche da und können den bis heute immer noch anreisenden Neuankömmlingen unter die Arme greifen und Ihnen die Ankunft in der neuen, unfreiwilligen Heimat erleichtern. So haben Sie bereits untereinander eine Whatsapp-Gruppe gegründet und zum orthodoxen Osterfest vor einigen Wochen ein ukrainisches Picknick veranstaltet. Sie helfen sich gegenseitig - ganz im Sinne der Bluthilfe, die Hilfe zur Selbsthilfe leisten will.
Für den Vorstand der Deutschen Hämostaseologen Priv.-Doz. Dr. med. Jürgen Koscielny, Vorsitzender Dr. med. Günther Kappert, Stellvertretender Vorsitzender Priv.-Doz. Dr. med. Christoph Sucker, 1. Beisitzer des Vorstandes
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Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
30. Juni 2022
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