Schlüsselwörter chronische Niereninsuffizienz, CKD - Geschlechtsunterschiede - Unkenntnis einer Erkrankung
- Prädiktoren einer CKD-Unkenntnis
Key words chronic kidney disease, CKD - sex differences - disease unawareness - predictors of
CKD unawareness
Einleitung
Chronische Niereninsuffizienz (CKD) ist in der Bevölkerung ab einem Alter von 40 Jahren
mit einer Prävalenz von etwa 10 % ebenso häufig wie Diabetes mellitus, koronare Herzkrankheit
oder Depression. Die Folgen für die Gesundheit der einzelnen Patienten sind ein erhöhtes
Risiko für ein terminales Nierenversagen, für kardiovaskuläre Folgeerkrankungen und
für vorzeitigen Tod. Trotz der individuellen Folgen und der sozialen Kosten von Nierenersatz-Therapien
ist die Erkrankung selten im Fokus der Öffentlichkeit. In einer Aufstellung wichtiger
chronischer Erkrankungen in Bremer Allgemeinarzt-Praxen wurde chronische Niereninsuffizienz
nicht mit aufgeführt [1 ], obwohl die Prävalenz in diesem Setting auf etwa 30 % geschätzt wird [2 ].
Da eine CKD meist über lange Zeit asymptomatisch bleibt, ist in den früheren Stadien
eine Diagnose aufgrund von Beschwerden der Patienten eher selten. In der „Studie zur
Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS)“ wussten 72 % der 187 Befragten mit einer
CKD im Stadium 3–5 nicht von ihrer Krankheit [3 ]. Ähnlich hohe Anteile von CKD-Patienten mit unbekannter Niereninsuffizienz werden
aus USA, Großbritannien, Australien oder Kanada berichtet [4 ]
[5 ]
[6 ]
[7 ]. Bei Vorliegen einer Albuminurie oder Anämie scheint die Chance, über eine vorhandene
CKD Bescheid zu wissen, erhöht [4 ].
Nicht nur bezogen auf das Monitoring der Medikation weisen Leitlinien auf die Bedeutung
der Niereninsuffizienz als Prädiktor, Risikofaktor und mögliche Folgeerkrankung bei
Diabetes, Hypertonie oder Herzinsuffizienz hin. Daher ist anzunehmen, dass eine noch
asymptomatische Niereninsuffizienz im Rahmen der Behandlung von Diabetes mellitus,
kardiovaskulären Erkrankungen oder älteren Patienten frühzeitig diagnostiziert wird.
Jedoch ist auch der Anteil von vorerkrankten Personen mit Unkenntnis ihrer CKD hoch.
Zwei von 3 Patienten mit koronarer Herzkrankheit [8 ] oder Diabetes [9 ] in Deutschland wussten nicht von ihrer CKD. Bei 80 % der Patienten war die prävalente
Niereninsuffizienz nicht in der Patientenakte vermerkt [8 ].
Im „National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES)“ wurde für die Erhebungsperiode
2007–2010 bei 620 Personen kaukasischer Abstammung ein deutlicher Geschlechtsunterschied
zuungunsten von Frauen, bezogen auf die Kenntnis über die eigene Nierenerkrankung,
berichtet (Odds Ratio (OR) = 2,45 (95 %- Konfidenzintervall (KI): 1,21; 4,95)) [10 ]. Eine Auswertung von Teilnehmern deutscher CKD-Kohortenstudien und -Register ergab,
dass mehr Männer (34 %) als Frauen (29 %) von ihrer CKD im Stadium 1–4 wussten [9 ].
Das Ziel unserer Untersuchung ist es, diese Geschlechtsunterschiede genauer zu untersuchen
und mögliche Ursachen für die geschlechtsabhängige Unkenntnis einer prävalenten Niereninsuffizienz
bei CKD-Patienten in Deutschland zu finden. Dabei sollen Patienten verschiedener CKD-Stadien
und Komorbiditäten, wie z. B. Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen, mitberücksichtigt
werden.
Material und Methoden
Es wurden Baseline-Daten von 2010 aus deutschen Kohortenstudien und Registern ausgewertet.
Diese enthalten neben studienspezifischen Fragen auch einen gemeinsamen Pool an Fragen
zu Demografie, Klinik, Komorbiditäten und Laboranalysen und wurden in einem standardisierten
Vorgehen zur sogenannten Kern-Datenbank zusammengeführt und zu Auswertungen über die
originären Studien-Fragestellungen hinaus Kohorten-übergreifend bereitgestellt. Für
die Untersuchung der Bekanntheit der CKD haben wir diese Kern-Datenbank mit Daten
aus der Diabetes-Kohorte (DIACORE, N = 1.093), dem Coronary-Artery-Disease-and-Renal-Failure-Register
(CAD-Ref, N = 1.173) und der Berliner Initiative-Studie (BIS, N = 1.039) zusammen
ausgewertet [11 ]
[12 ]
[13 ].
Die ausgewerteten Baseline-Daten umfassen Alter, Geschlecht, Blutdruck (mmHg), Body-Mass-Index
(BMI, kg/m2), Erhebung von Vorerkrankungen und Medikamenten sowie zentral analysierte
(Firma Synlab, Mannheim) Laborwerte zu Serumkreatinin (mg/dl), Albumin (g/l), Hämoglobin
(g/dl), Albumin-Kreatinin-Ratio (ACR, mg/g) und HbA1c (%).
Da die Bekanntheit einer prävalenten CKD geschätzt werden sollte, wurden nur diejenigen
Studienteilnehmer berücksichtigt (N = 3305), die gemäß ihrer Serumkreatinin- und Urin-Albumin-Werte
nach Definition der internationalen Leitlinie KDIGO (Kidney Disease: Improving Global
Outcomes) [14 ] eine CKD der Stadien 1–4 hatten.
Variablen-Definition
Eine unbekannte CKD wurde gemäß der Antwort der Studienteilnehmer auf die Frage: ‚Wurde
Ihnen jemals gesagt, dass Sie nierenkrank seien oder dass Sie Nierensteine haben?
kodiert. Serumkreatinin wurde mit der enzymatischen Methode auf einer Roche Cobas
6000 C502 bestimmt. Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR, ml/min/1,73 m²)
wurde mit der CKD-Epi-Formel berechnet [15 ].
Das Alter wurde in Altersgruppen (< 50, 50–59, 60–69, 70–79 und ≥ 80 Jahre) einbezogen.
Die Einnahme antihypertensiver Medikation wurde gemäß Selbstangabe der Teilnehmer
kodiert. Die Einnahme antidiabetischer Medikamente wurde angenommen, wenn eines der
angegebenen Medikamente einen ATC-Code, beginnend mit A10 aufwies. HbA1c war für 2471
Patienten vorhanden.
Eine ACR von 30–299 mg/g wurde als Mikroalbuminurie, eine ACR ≥ 300 als Makroalbuminurie
kodiert. Eine Anämie wurde bei Frauen bei einem Hb < 12 g/dl, bei Männern < 13 g/dl
kodiert. Bei einem BMI ≥ 30 kg/m² wurde Adipositas kodiert. Die KDIGO-Leitlinie von
2012 empfiehlt, bei Patienten mit CKD den Blutdruck auf einen Zielwert von unter 140 mmHg
systolisch und unter 90 mmHg diastolisch zu senken [14 ]. Dieser Grenzwert wurde als Grenze für eine gute bzw. weniger gute Blutdruck-Kontrolle
verwendet. Ein Blutdruck von ≥ 160 mmHg systolisch oder ≥ 95 mmHg diastolisch wurde
als nicht adäquate Blutdruckkontrolle klassifiziert. Als anzustrebender Wert für den
HbA1c gilt nach KDIGO < 7 %. Als Zielwert bei Niereninsuffizienz wird etwa 7 % empfohlen
[14 ]. HbA1c-Werte wurden in die Kategorien < 7, 7–< 7.5, 7.5–< 9 und ≥ 9 % eingeteilt,
um eine optimale, adäquate, weniger gute und inadäquate Glukose-Kontrolle zu kodieren.
Eine kardiovaskuläre Vorerkrankung wurde bei mindestens einer positiven Antwort auf
die Fragen nach erlittenem/r Herzinfarkt, Bypass-Operation, Schlaganfall oder Herzversagen
angenommen.
Für jeden Teilnehmer wurde mit der Kidney-failure-risk-equation (KFRE) die Wahrscheinlichkeit
für das Eintreten eines terminalen Nierenversagens innerhalb der nächsten 5 Jahre
geschätzt [16 ].
Zusammenfassend über die Risikofaktoren Alter ≥ 70 Jahre, Makroalbuminurie, Anämie,
Adipositas, kardiovaskuläre Vorerkrankungen, antihypertensive sowie antidiabetische
Medikation wurde die Variable „Summe CKD-relevanter Risikofaktoren“ gebildet. Dazu
wurden für jeden vorliegenden Risikofaktor ein Punkt angenommen und die Belastungen
addiert. Die Variable hat demnach einen Wertebereich von 0 (keine CKD-bezogenen Risikofaktoren)
bis 7.
Umgang mit fehlenden Werten
Alle Auswertungen wurden als „Complete-case“-Analyse durchgeführt. Die Variablen ‚antihypertensive
Medikation‘ (N = 2), ‚Blutdruck‘ (N = 4), ‚BMI‘ (N = 8), ‚Proteinurie‘ und der davon
abgeleitete KFRE-Risikoscore (N = 74) und ‚Anämie‘ (N = 150) enthielten fehlende Werte.
Statistische Methoden
Stratifiziert nach Altersgruppen, CKD-Stadien, BMI- und Blutdruck-Kategorien, nach
antihypertensiver und antidiabetischer Medikation, den Komorbiditäten (Anämie, Albuminurie,
kardiovaskulären Vorerkrankungen) sowie dem Risiko für ein terminales Nierenversagen
wurden die Prävalenz-Differenzen (mit 95 %-Konfidenzintervallen [KI], exakten Konfidenzintervallen
nach Clopper-Pearson) hinsichtlich des Anteils an Männern und Frauen mit einer unbekannten
CKD berechnet. Die Prävalenz der Unbekanntheit einer vorliegenden CKD (mit 95 % KI)
wurde geschlechtsspezifisch und zusätzlich stratifiziert nach CKD-Stadien für die
genannten Subgruppen geschätzt.
Zusätzlich haben wir die Prävalenz-Ratio (PR, mit 95 %-KI) für die Unkenntnis einer
vorliegenden CKD geschlechtsspezifisch, univariat für demografische und klinische
Merkmale, sowie für Frauen im Vergleich zu Männern, CKD-Stadien-spezifisch grob sowie
nach Alter und den in der Analyse berücksichtigten Risikofaktoren adjustiert (antihypertensive
Medikation, antidiabetische Medikation, Albuminurie, Bluthochdruck, Adipositas, kardiovaskuläre
Vorerkrankungen und Kohorten-Zugehörigkeit) sowie durch Regressionsmodelle (Poisson-Verteilung
mit robuster Varianzschätzung) geschätzt.
Alle Auswertungen wurden mit SAS 9.4 durchgeführt.
Ergebnisse
Von 3305 teilnehmenden Personen waren 1237 (37 %) Frauen ([Tab. 1 ]). Etwa ein Drittel der Frauen (35 %) und knapp ein Viertel der Männer (24 %) war
80 Jahre und älter. Dieser Unterschied ist dadurch begründet, dass unter den Frauen
ein größerer Anteil an Teilnehmern der BIS-Studie zu finden ist (43 %) als bei den
Männern (25 %). Der Anteil von Personen mit einer höhergradigen CKD (Stadium 4) betrug
in beiden Geschlechtern etwa 6 %. Knapp 90 % aller Teilnehmer gaben an, antihypertensive
Medikation einzunehmen. Frauen waren häufiger adipös als Männer (46 % vs. 41 %) und
hatten häufiger einen inadäquat kontrollierten Blutdruck (≥ 160/95 mmHg) (25 % vs.
20 %). Männer nahmen öfter antidiabetische Medikation als Frauen (47 % vs. 42 %),
ihr HbA1c war jedoch häufiger schlecht kontrolliert (21 % vs. 16 % für HbA1c ≥ 7,5 %).
Sie hatten häufiger eine Makroalbuminurie (12 % vs. 7 %) und gaben deutlich häufiger
als Frauen eine ischämische Herzkrankheit (28 % vs. 16 %) oder Herzversagen (16 %
vs. 6 %) als Vorerkrankung an.
Tab. 1
Beschreibung der Studienteilnehmer mit einer Niereninsuffizienz Stadium 1–4 (N = 3.305)
nach Geschlecht; Baseline-Daten deutscher Kohortenstudien und Register mit Bezug zu
chronischer Niereninsuffizienz (= Kern-Datenbank), 2010: Anzahl von Personen (%),
Mittelwert (MW), (Standardabweichung (STD) oder Median (Interquartils-Range (IQR)).
Frauen
Männer
Gesamt
Alle
1.237 (37,4)
2.068 (62,6)
3.305
Alter (Jahre) MW (STD)
75,0 (10,6)
72,6 (10,2)
73,5 (10,4)
Altersgruppen
29 (2,3)
54 (2,6)
83 (2,5)
89 (7,2))
149 (7,2)
238 (7,2)
157 (12,7)
491 (23,7)
648 (19,6)
531 (42,9)
869 (42,0)
1400 (42,4)
431 (34,9)
505 (24,4)
936 (28,3)
Kohorte/Register
344 (27,8)
368 (29,8)
525 (42,4)
829 (40,1)
725 (35,1)
514 (24,8)
1.173 (35,5)
1.093 (33.1)
1.039 (31.4)
eGFR (ml/min/1,73 m²), Median (IQR)
53,7 (44,5; 68,8)
56,6 (46,0; 77,3)
55,3 (45,3; 74,3)
112 (9,1)
250 (12,1)
362 (11,0)
277 (22,4)
580 (28,1)
857 (25,9)
528 (42,7)
756 (36,6)
1284 (38,9)
245 (19,8)
366 (17,7)
611 (18,5)
75 (6,01)
116 (5,6)
191 (5,8)
Albuminurie (N = 3.231)
ACR (mg/g), Median (IQR)
32,0 (10,0; 67,6)
46,5 (15,8; 128,2)
40,3 (13,0; 101,2)
562 (46,5)
671 (33,2)
1233 (38,2)
568 (47,0)
1111 (54,9)
1679 (52,0)
78 (6,5)
241 (11,9)
319 (9,9)
BMI (kg/m²), MW (Std)
30,0 (6,0)
29,6 (5,2)
29,8 (5,5)
250 (20,3)
359 (17,4)
609 (18,5)
413 (33,5)
869 (42,1)
1282 (38,9)
570 (46,3)
836 (40,5)
1406 (42,6)
Antihypertensive Medikation
1096 (88,7)
1844 (89,2)
2940 (89,0)
Blutdruck (mmHg), Mean (Std)
605 (49,0)
1108 (53,7)
1713 (51,9)
328 (26,5)
536 (26,0)
864 (26,2)
303 (24,5)
421 (20,4)
724 (21,9)
Antidiabetische Medikation
523 (42,3)
972 (47,0)
1495 (45,2)
Hba1c (N = 2.471) (%) MW (Std)
6,6 (1,1)
6,7 (1,1)
6,7 (1,1)
738 (74,5)
1021 (69,5)
1759 (71,5)
95 (9,6)
143 (9,7)
238 (9,7)
120 (12,1)
237 (16,1)
357 (14,5)
38 (3,8)
69 (4,7)
107 (4,4)
Anämie[
1
] (N = 3.155)
229 (19,3)
530 (27,0)
759 (24,1)
Kardiovaskuläre Vorerkrankung[
2
]
312 (25.2)
792 (38.3)
1104 (33.4)
Risiko ESRD (nach KFRE) (N = 3.231)
1033 (85,5)
1630 (80,6)
2663 (82,4)
92 (7,6)
193 (9,5)
285 (8,8)
54 (4,5)
110 (5,4)
164 (5,1)
29 (2,4)
90 (4,5)
119 (3,7)
4 und mehr Risikofaktoren[
3
]
139 (11,3)
284 (13,7)
423 (12,8)
ACR = Albumin-Kreatinin-Ratio, BMI = Body Mass Index, CAD-Ref = Coronary Artery Disease
– Renal Failure Register, CKD = chronische Niereninsuffizienz, eGFR = geschätzte glomeruläre
Filtrationsrate, ESRD = End stage renal disease, IQR = Inter-Quartils-Range, KFRE = kidney
failure risk equation, MW = Mittelwert, Std = Standardabweichung.
1 Anämie = Hb < 12 g/dl (Frauen), < 13 g/dl (Männer).
2 Ischämische Herzkrankheit, Herzversagen oder Schlaganfall.
3 Risikofaktoren = Makroalbuminurie, Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Vorerkrankung,
Anämie, Adipositas, Alter ≥ 70 Jahre.
Die Unkenntnis über eine CKD war bei beiden Geschlechtern hoch. Bei einer CKD im Stadium
1 oder 2 waren jeweils 82 % der Männer und Frauen nicht über ihre CKD informiert ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Geschlechtsspezifische Prävalenz der Unkenntnis über eine vorliegende CKD: nach CKD-Stadien
und weiteren Einflussfaktoren (links) sowie absolute Risikodifferenz (Unkenntnis bei
Männern – Unkenntnis bei Frauen) mit 95 %-Konfidenzintervall (rechts). Baseline-Daten
von 3305 Teilnehmern an deutschen Kohortenstudien und Registern mit Bezug zu chronischer
Niereninsuffizienz (= Kern-Datenbank), 2010 – eigene Darstellung. ACR Albumin-Kreatinin-Ratio,
BMI = Body-Mass-Index, CKD = chronische Niereninsuffizienz, ESRD = End Stage Renal
Disease (terminales Nierenversagen), KFRE = Kidney Failure Risk Equation. Definitionen
der in der Abbildung verwendeten Variablen: Adipositas = BMI ≥ 30 kg/m²; Anämie = Hb< 12
(Frauen), Hb < 13 (Männer); Kardiovaskuläre Vorerkrankungen = Herzinfarkt, Schlaganfall,
Herzversagen; Makroalbuminurie = ACR ≥ 300 mg/g; Risikofaktoren = Makroalbuminurie,
Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Vorerkrankung, Anämie, Adipositas, Alter
≥ 70.
Ein Geschlechtsunterschied in der Kenntnis ihrer CKD war ab einer CKD im Stadium 3a
sichtbar, in dem 74 % (95 %-Konfidenzintervall: 70–77 %) der Frauen und 68 % (65–72 %)
der Männer keine Kenntnis über ihre Krankheit hatten. Dieser Unterschied nahm mit
steigendem CKD-Stadium deutlich zu. Frauen mit einer CKD im Stadium 3b hatten um 14 %-Punkte
seltener Kenntnis über ihre Erkrankung als Männer (57,6 % vs. 43,7 %). Bei Vorliegen
einer CKD, Stadium 4 betrug die Differenz 21 %-Punkte (Männer 43 % vs. Frauen 22 %).
Die Betrachtung der geschlechtsspezifischen Prävalenz-Ratios zeigt unterschiedlich
starke Assoziationen einzelner klinischer Merkmale mit der Kenntnis über eine prävalente
CKD ([Tab. 2 ]). Eine Albuminurie war mit häufigerer Unkenntnis einer CKD assoziiert; dies besonders
deutlich bei Männern (PR: 1,15 (1,07; 1,23)). Eine Anämie dagegen war mit häufigerem
Wissen über eine CKD assoziiert (PR für Frauen: 0,78 (0,70; 0,88), für Männer: 0,80
(0,74; 0,87)). Bluthochdruck oder antidiabetische Medikation war bei Männern mit häufigerer
Unkenntnis assoziiert.
Tab. 2
Geschlechtsspezifische univariate Prävalenz-Ratios (95 %-Konfidenzinterval) für Unkenntnis
einer prävalenten CKD – stratifiziert nach demographischen und klinischen Merkmalen.
Baseline-Daten deutscher Kohortenstudien und Register mit Bezug zu chronischer Niereninsuffizienz
(= Kern-Datenbank), 2010.
Frauen
Männer
Altersgruppen
1.06 (0.85; 1.33)
Referenz
1.02 (0.86; 1.21)
Referenz
1,08 (0,94; 1,25)
0,93 (0,83; 1,03)
0,93 (0,81; 1,06)
0,85 (0,77; 0,95)
0,92 (0,81; 1,07)
0,85 (0,76; 0,95)
CKD – Stadien
Referenz
Referenz
0,89 (0,83; 0,96)
0,83 (0,78; 0,88)
0,71 (0,63; 0,79)
0,54 (0,48; 0,61)
0,51 (0,39; 0,67)
0,28 (0,20; 0,40)
Kohorte/Register
Referenz
1,06 (0,96; 1,16)
1,01 (0,92; 1,10)
Referenz
1,05 (0,99; 1,13)
0,93 (0,86; 1,01)
Risikofaktoren
1,07 (1,00; 1,15)
1,15 (1,07; 1,23)
0,93 (0,87; 1,00)
0,99 (0,93; 1,05)
0,86 (0,79; 0,94)
0,84 (0,77; 0,91)
0,97 (0.90; 1.04)
1,05 (0,99; 1,12)
0,96 (0,89; 1,03)
1,04 (0,98; 1,11)
0,78 (0,70; 0,88)
0,80 (0,74; 0,87)
0,89 (0.81; 0.98)
0,94 (0,87;1,01)
Referenz
Referenz
0,72 (0,59; 0,87)
0,67 (0,58; 0,78)
0,56 (0,41; 0,77)
0,45 (0,35; 0,59)
0,46 (0,28; 0,75)
0,30 (0,20; 0,44)
0,75 (0,65; 0,88)
0,89 (0,80; 0,98)
CAD-Ref = Coronary Artery Disease – Renal Failure Register, CKD = chronische Niereninsuffizienz,
ESRD = Endstage renal disease, terminales Nierenversagen, ACR = Albumin-Kreatinin-Ratio,
BMI = Body Mass Index. *Referenz-Gruppe: CKD-Patienten ohne das entsprechende Merkmal.
1 Albuminurie = ACR ≥ 30 mg/g.
2 Adipositas = BMI ≥ 30 kg/m².
3 Bluthochdruck = Systolisch ≥ 140 mmHg oder diastolisch ≥ 90 mmHg.
4 Anämie = Hb < 12 g/dl (Frauen), Hb < 13 g/dl (Männer).
5 Kardiovaskuläre Vorerkrankung = ischämische Herzkrankheit oder Herzinsuffizienz oder
Schlaganfall.
6 Bestimmt durch die Kidney Failure Risk Equation.
7 Risikofaktoren: Makroalbuminurie, Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Vorerkrankung,
Anämie, Adipositas, Alter ≥ 70 Jahre.
Stratifiziert nach CKD-Stadium ist der geschlechtsspezifische Unterschied in der Unkenntnis
auch bei Personen mit Komorbiditäten und über alle Altersgruppen sichtbar ([Tab. 3 ]). Bei einer CKD im Stadium 3–4 ist dies besonders deutlich für die Altersgruppe
60–69 Jahre: In 73 % (45–92 %) der Frauen, aber nur 34 % (21–49 %) der Männer sind
in diesem Alter in Unkenntnis einer CKD im Stadium 3b; 44 % (14–79 %) der Frauen gegenüber
12 % (1,5–36 %) der Männer wissen nichts von ihrer CKD im Stadium 4. Antidiabetisch
behandelte Patientinnen und Patienten waren – wenn überhaupt – nur unwesentlich häufiger
über ihre Niereninsuffizienz informiert. Bei gleichzeitigem Vorliegen von 4 oder mehr
der ausgewählten Risikofaktoren wussten Frauen mit einer CKD im Stadium 3a oder 4
häufiger von ihrer Erkrankung als Männer. In der BIS-Studie wussten Frauen seltener
von einer fortgeschrittenen CKD (CKD-Stadien 3b und 4) als die Teilnehmerinnen der
anderen Studien. Der Geschlechtsunterschied war hier besonders deutlich: etwa 2 von
3 Frauen war ihre CKD 3b bzw. CKD 4 nicht bekannt. Bei männlichen BIS-Teilnehmern
war dies bei einer CKD 3b bei 45 %, bei einer CKD 4 bei 29 % der Fall.
Tab. 3
Anzahl (N) Patienten je Untergruppe sowie Anteil der Patienten ohne Kenntnis über
eine vorliegende chronische Niereninsuffizienz (CKD) (% mit 95 %-Konfidenzintervall)
stratifiziert nach Geschlecht und CKD Stadium sowie weiteren CKD bezogenen Risikofaktoren.
Baseline-Daten von 3305 Teilnehmern an deutschen Kohortenstudien und Registern mit
Bezug zu chronischer Niereninsuffizienz (= Kern-Datenbank), 2010.
CKD Stadium 1 oder 2
CKD Stadium 3a
CKD Stadium 3b
CKD Stadium 4
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Frauen
Männer
Alle
N
389
830
528
756
245
366
75
116
%
82,5 (78,4; 86,2)
82,2 (79,4; 84,7)
73,7 (69,7; 77,4)
68,4 (64,9; 71,7)
57,6 (51,1; 63,8)
43,7 (38,6; 49,0)
42,7 (31,3; 54,6)
21,6 (14,5; 30,2)
Alter[
1
]
50–59 Jahre
N %
59
81,4 (69,1; 90,3)
118
82,2 (74,1; 88,6)
19
79,0 (54,4; 94,0)
19
73,7 (53,9; 93,5)
7
28,6 (3,7; 71,0)
7
14,3 (0,3; 57,9)
4
25,0 (0,6; 80,6)
5
20,0 (0,5; 71,6)
60–69 Jahre
N %
75
84,0 (73,7; 91,5)
270
83,7 (78,8; 87,9)
58
86,2 (74,6; 93,9)
154
64,3 (56,2; 71,8)
15
73,3 (44,9; 92,2)
50
34,0 (21,2; 48,8)
9
44,4 (13,7; 78,8)
17
11,8 (1,5; 36,4)
70–79 Jahre
N %
153
81,7 (74,7; 87,5)
298
82,6 (77,8; 86,7)
257
72,0 (66,1; 77,4)
350
66,9 (61,7; 71,8)
93
49,5 (38,9; 60,0)
171
43,9 (36,3; 61,6)
28
39,3 (21,5; 59,4)
50
18,0 (8,6; 31,4)
80 + Jahre
N %
77
81,8 (71,4; 89,7)
97
74.2 (64,4; 82,6)
192
71,9 (65,0; 78,1)
231
73,2 (67,0; 78,8)
128
64,1 (55,1; 72,4)
137
48,9 (39,9; 79,8)
34
47,1 (29,8; 64,9)
40
32,5 (18,6; 49,1)
CAD-Ref
N %
113
92,9 (86,7; 96,9)
316
88,9 (84,9; 92,2)
134
73,1 (64,8; 80,4)
325
66,8 (61,4; 71,9)
73
45,2 (33,5; 57,3)
143
35,0 (27,2; 43,4)
24
8,3 (1,0; 27,0)
45
11,1 (3,7; 24,1)
Diabetes Kohorte (DIACORE)
N %
151
78,8 (71,4; 85,0)
380
79,0 (74,9; 82,9)
144
79,2 (71,6; 85,5)
216
69,9 (63,3; 75,9)
49
55,1 (41,2; 69,0)
89
55,1 (44,1; 65,6)
24
54,2 (32,8; 74,5)
40
27,5 (14,6; 43,9)
Berlin Initiative Studie (BIS)
N %
125
77,6 (69,3; 84,6)
134
75.4 (67,2; 82,4)
250
70,8 (64,7; 76,4)
215
69,3 (62,7; 75,4)
123
65,9 (56,8; 74,2)
134
45,5 (36,9; 54,4)
27
63,0 (42,4; 80,6)
31
29,0 (14,2; 48,0)
Adipositas (BMI≥ 30 kg/m²)
N %
184
77,7 (71,0; 83,5)
390
80,5 (76,2; 84,3)
233
72,5 (66,3; 78,2)
266
65,0 (59,0; 70,8)
107
58,9 (49,0; 68,3)
134
41,8 (33,3; 50,6)
46
34,8 (21,4; 50,3)
46
26,1 (14,3; 41,1)
Antihypertensive Medikation
N %
324
81,5 (76,8; 85,6)
703
81,8 (78,7; 84,6)
465
73,3 (69,1; 77,3)
683
67,2 (63,5; 70,7)
235
57,0 (50,4; 63,4)
349
43,3 (38,0; 48,7)
72
43,1 (31,4; 55,3)
109
22,0 (14,7; 31,0)
Blutdruckkontrolle[
2
]
Weniger gut
N %
93
75,3 (65,2; 83,6)
231
83,1 (77,7; 87,7)
149
75,2 (67,4; 81,9)
187
70,1 (62,9; 76,5)
64
53,1 (40,2; 65,7)
91
44,0 (33,6; 54,8)
22
27,3 (10,7; 50,2)
27
29,6 (13,8; 50,2)
Inadäquat
N %
117
83,8 (75,8; 89,9)
211
80,1 (74,1; 85,3)
126
69,1 (60,0; 77,0)
131
65,7 (56,9; 73,7)
49
61,2 (46,2; 74,8)
67
44,8 (32,6; 57,4)
11
54,6 (23,4; 83,3)
; *
Antidiabetische Medikation
N %
198
78,8 (72,4; 84,3)
468
80,1 (76,2; 83,7)
195
73,9 (67,1; 80,0)
315
67,0 (61,5; 72,2)
89
51,7 (40,8; 62,4)
137
46,7 (38,2; 55,4)
41
43,9 (28,5; 60,3)
52
28,9 (17,1; 43,1)
Mikroalbuminurie (ACR 30- < 300 mg/g)
N %
355
82,8 (78,5; 86,6)
719
83,2 (80,2; 85,8)
113
71.7 (62,4; 79,8)
220
65,9 (59,2; 72,2)
75
54,7 (42,8; 66,2)
131
42,8 (34,2; 51,7)
25
40,0 (21,1; 61,3)
41
19,5 (8,8; 34,9)
Makroalbuminurie (ACR ≥ 300 mg/g)
N %
34
79,4 (62,1; 91,3)
111
75,7 (66,6; 83,3)
16
75,0 (47,6; 92,7)
52
71,2 (56,9; 82,9)
16
50,0 (24,7; 75,4)
44
34,1 (20,5; 49,9)
12
33,3 (9,9; 65,1)
34
23,5 (10,8; 41,2)
Anämie[
3
]
N %
37
83,8 (68,0; 93,8)
99
73,7 (63,9; 82,1)
85
68,2 (57,2; 77,9)
213
67,1 (60,4; 73,4)
70
47,1 (35,1; 59,5)
147
46,3 (38,0; 54,7)
37
32,4 (18,0; 49,8)
71
21,1 (12,2; 32,4)
Kardiovaskuläre Vorerkrankung[
4
]
N %
81
77,8 (67,2; 86,3)
266
83,1 (78,0; 87,4)
116
73,3 (64,3; 81,1)
301
65,1 (59,4; 70,5)
85
54,1 (43,0; 65,0)
162
43,2 (35,5; 51,2)
30
36,7 (19,9; 56,1)
63
22,2 (12,7; 34,5)
4 oder mehr Risikofaktoren[
5
]
N %
28
75,0 (55,1; 89,3)
90
73,3 (63,0; 82,1)
48
62,5 (47,4; 76,1)
87
66,7 (55,8; 76,4)
37
51,4 (34,3; 68,1)
67
47,8 (35,4; 60,3)
26
26,9 (11,6; 47,8)
40
37,5 (22,7; 54,2)
ACR = Albumin-Kreatinin-Ratio, BMI = Body Mass Index, CAD–Ref = Coronary Artery Disease
– Renal Failure Register, CKD = chronische Niereninsuffizienz. * keine Patienten mit diesen Merkmalen.
1 Altersgruppe < 50 Jahre ist nicht dargestellt, da die geringe Anzahl von Personen
in den Strata keine Abschätzung der Prävalenz der CKD-Unkenntnis erlaubt. Altersgruppe
50–59 Jahre: Schätzung der Prävalenz der Unkenntnis bei CKD Stadien 3b und 4 wegen
kleiner Fallzahl nur eingeschränkt interpretierbar, da sehr großes Konfidenzintervall.
2 Blutdruckkontrolle weniger gut: systolisch 140-< 160 mmHg oder diastolisch 90-< 95 mmHg,
inadäquat: systolisch ≥ 160mHg oder diastolisch ≥ 95 mmHg.
3 Anämie = Hb < 12 g/dl (Frauen), Hb < 13 g/dl (Männer).
4 Herzversagen oder ischämische Herzkrankheit oder Schlaganfall.
5 Risikofaktoren = Makroalbuminurie, Bluthochdruck, Diabetes, kardiovaskuläre Vorerkrankung,
Anämie, Adipositas, Alter ≥ 70.
Auch nach Adjustierung ausgewählter Einflussfaktoren zeigt sich der mit CKD-Stadium
ansteigende Geschlechtsunterschied: Die PR für die Unkenntnis einer CKD im Stadium
3a beträgt 1,08 (1,00; 1,16) und 1,75 (1,14; 2,68) bei CKD im Stadium 4 ([Tab. 4 ]).
Tab. 4
CKD Stadium-spezifisches Prävalenz Ratio (PR) für die Unkenntnis einer prävalenten
CKD von Frauen im Vergleich zu Männern (N = Anzahl der in den jeweiligen Modellen
einbezogene Beobachtungen)- Roh, sowie adjustiert nach Alter, und zusätzlichen Einflussfaktoren.
Baseline-Daten von 3.305 Teilnehmern an deutschen Kohortenstudien und Registern mit
Bezug zu chronischer Niereninsuffizienz (= Kern-Datenbank), 2010.
Modell für geschlechtsspezifische
Kenntnis einer CKD
CKD 1 oder 2
CKD 3a
CKD 3b
CKD 4
…Roh
N
1.219
1.284
611
191
PR
1,00 (0,95; 1,06)
1,08 (1,00; 1,16)
1,32 (1,12; 1,54) [ǂ ]
1,98 (1,28; 3,06)
…adjustiert nach Alter
N
1.219
1.284
611
191
PR
1,01 (0,95; 1,07)
1.08 (1.00; 1.16)
1,27 (1,09; 1,49)
1,90 (1,23; 2,94)
…adjustiert nach allen Einflussfaktoren[
1
]
N
1.214
1.233
591
180
PR
1,02 (0,96; 1,08)
1,08 (1,00; 1,16)
1,25 (1,07; 1,46)[ǂǂ ]
1,75 (1,14; 2,68)
ACR = Albumin-Kreatinin-Ratio, BMI = Body Mass Index, CAD-Ref = Coronary Artery Disease
– Renal Failure Register, CKD = chronische Niereninsuffizienz, PR = Prävalenz-Ratio.
ǂ Interpretationsbeispiel: PR = 1,32 = > Frauen sind 1,32x so häufig in Unkenntnis
einer vorliegenden CKD 3b wie Männer.
1 adjustiert nach Alter, antihypertensive Medikation, antidiabetische Medikation, Albuminurie
(ACR≥ 30 mg/g), kardiovaskuläre Vorerkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzversagen),
Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m²), Bluthochdruck (Systolisch ≥ 140 mmHg oder diastolisch
≥ 90 mmHg) und Kohorten-Zugehörigkeit (CAD-Ref, DIACORE, BIS).
ǂǂ Interpretationsbeispiel: PR = 1,25 = > Frauen sind 1,24x so häufig in Unkenntnis
einer vorliegenden CKD 3b wie Männer – unabhängig vom Alter und vom Vorliegen weiterer
Einflussfaktoren.
Diskussion
Die Unkenntnis über eine prävalente CKD in allen Stadien ist bei Frauen häufiger als
bei Männern. Der Geschlechtsunterschied zuungunsten der Frauen wächst mit steigendem
CKD-Stadium und besteht unabhängig vom Alter und dem Vorliegen weiterer Risikofaktoren
und Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus, Hypertonie, Proteinurie oder kardiovaskulärer
Erkrankungen.
Da es in Deutschland kein strukturiertes CKD-Screening gibt, ist der hohe Anteil unbekannter
Niereninsuffizienz für beide Geschlechter in den frühen Stadien 1 und 2 nicht überraschend.
Obwohl 98 % der Betroffenen antihypertensiv oder antidiabetisch behandelt wurden oder
eine kardiovaskuläre Vorerkrankung hatten, ist auch der Anteil von Personen mit einer
unbekannten CKD im Stadium 3b oder 4 hoch [9 ]. Die Empfehlungen einer regelmäßigen Kontrolle der Nierenfunktion in den Versorgungsleitlinien
zu Diabetes mellitus oder kardiovaskulären Erkrankungen sowie zum Medikationsmonitoring
scheinen nicht dazu zu führen, dass betroffene CKD-Patienten von ihrer Erkrankung
erfahren. Nach einer Auswertung von Daten aus Allgemein- und Facharztpraxen 2016 in
Deutschland zum Monitoring von Nierenfunktion und Blutdruck bei Diabetikern wurde
nur bei 15 % der Betroffenen in allgemeinärztlicher Behandlung die jährliche Bestimmung
der Nierenfunktion durchgeführt [17 ]. Bei einer länger als einem Jahr zurückliegenden Diabetes-Diagnose verringerte sich
die Chance auf eine jährliche Überprüfung der eGFR (OR = 0,72 (0,62–0,83)). Die empfohlene,
halbjährliche Überprüfung des Blutdrucks wurde nur bei 52 % der Diabetiker durchgeführt.
Eine prävalente koronare Herzkrankheit hatte keine Auswirkung auf die Frequenz dieses
Monitorings. Ähnliches galt auch für die Behandlung von Hypertonikern [18 ].
Jedoch – selbst wenn eine CKD-Diagnose nach Überprüfung der Nierenfunktion erfolgt
– könnte diese Information nicht immer an Patienten weitergegeben werden. Dies wäre
insbesondere bei älteren Patienten denkbar, da der altersunabhängige eGFR-Grenzwert
für Niereninsuffizienz von < 60 ml/min/1,73 m² kritisch diskutiert wird [19 ]. Viele Ärzte sehen das Absinken der Nierenfunktion eher als einen normalen Alterungs-Prozess
denn als eine zu diagnostizierende und zu therapierende Krankheit [19 ].
Schwierigkeiten im Verständnis der Arzt-Informationen könnten dazu führen, dass die
Bedeutung der Niereninsuffizienz durch den Patienten nicht erkannt wird. Untersuchungen
der Arzt-Patienten-Kommunikation zeigten, dass Gespräche nach einer CKD-Diagnose seltener
stattfinden und weniger informativ sind als bei anderen chronischen Erkrankungen.
Dabei ist die Informiertheit der Patienten wichtig, um Therapieziele zu erreichen
und die Compliance zu erhöhen [7 ]
[20 ].
Es ist schwer zu erklären, warum Frauen in fast allen betrachteten Subgruppen seltener
von ihrer Erkrankung wussten als Männer und warum der Geschlechtsunterschied in den
höheren Stadien der Niereninsuffizienz (Stadium 3b und 4) deutlich zunimmt. Ein geschlechtsbezogener
Unterschied in der Unkenntnis über eine CKD der Stadien 3–5 wurde bisher nur mit NHNANES-Daten
aus den USA beschrieben [10 ]. In fast allen Untergruppen (nach Alter, Krankheits-Stadium oder nach Risikofaktoren)
war ein Geschlechtsunterschied zuungunsten der Frauen sichtbar.
Da Männer mit einer Niereninsuffizienz ein höheres Risiko für ein terminales Nierenversagen
haben als Frauen [21 ]
[22 ], könnte dies dazu führen, dass Ärzte die Nierenfunktion bei Männern mit bekannter
CKD in einem früheren Stadium häufiger überprüfen und die Patienten somit häufiger
von ihrer Krankheit wissen. Allerdings sind Frauen allgemein öfter von einer Niereninsuffizienz
betroffen [22 ], was wiederum eine häufigere Kontrolle der Nierenfunktion in der regulären Versorgung
bei weiblichen Patienten – insbesondere bei Vorliegen weiterer Risikofaktoren – initiieren
müsste.
Frauen interessieren sich im Allgemeinen mehr für gesundheitliche Themen und suchen
häufiger aktiv nach Gesundheits-Informationen als Männer [23 ]
[24 ], die wiederum seltener an Vorsorgeprogrammen teilnehmen und häufiger ein gesundheitliches
Risikoverhalten zeigen [25 ]. Diese Unterschiede im Gesundheitsverhalten würden erwarten lassen, dass Frauen
häufiger über ihre Niereninsuffizienz Bescheid wissen als Männer.
In unseren Daten sind keine Angaben zur Bildung der Teilnehmer und Teilnehmerinnen
verfügbar. Es ist aber anzunehmen, dass Studien-Teilnehmende ein höheres Bildungsniveau
haben als Personen, die kein Interesse an Studien haben [26 ]. Im höheren Alter könnte ein Kohorteneffekt einer geringeren Schulbildung bei Frauen
zu einer selteneren Kenntnis der CKD beitragen. Die Geschlechtsunterschiede im Krankheitswissen
waren jedoch gerade bei Betroffenen im Alter von 60–69 Jahren groß. Insbesondere der
deutliche Anstieg des geschlechtsspezifischen Unterschieds in der Kenntnis der CKD
in den höheren CKD-Stadien kann durch eine potenziell niedrigere Bildung der Frauen
nicht erklärt werden. Die höhere Prävalenz der CKD-Unkenntnis bei Frauen ist in allen
CKD-Stadien über fast alle Altersgruppen erkennbar. Frauen im Alter von 70–79 Jahren
mit einer CKD im Stadium 1 oder 2 sowie Frauen im Alter von 80 Jahren und mehr mit
einer CKD im Stadium 3a gaben sogar etwas häufiger an, von ihrer Krankheit zu wissen
als Männer.
Ärzte und – in geringerem Ausmaß – Ärztinnen sind nicht immun gegen einen unbewussten
Geschlechter-Bias [27 ]
[28 ]. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Behandlung von Patienten und Patientinnen
wurden für verschiedene Erkrankungen beschrieben. Im Falle einer koronaren Herzkrankheit
werden bei Frauen seltener optimale Präventionsmaßnahmen eingeleitet [29 ]; trotz gleicher Anamnese werden sie seltener invasiv behandelt als Männer [30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]
[34 ]
[35 ]. Im Vergleich zu Männern wurden Frauen mit Brustschmerzen unabhängig vom Alter seltener
zur weiteren Abklärung zum Belastungstest oder ins Krankenhaus überwiesen [36 ]. In Allgemeinarzt-Praxen wurde bei Patientinnen mit Hypertonie seltener eine Bestimmung
und ein Monitoring von Risikofaktoren durchgeführt als bei Patienten. Wurde die Betreuung
von einer Ärztin durchgeführt, war der Geschlechtsunterschied kleiner [37 ]. Allgemeine Präventionsmaßnahmen werden häufiger für Männer als für Frauen verschrieben
(OR = 1,60 (1,47; 1,75)) und häufiger von Ärztinnen als von Ärzten (OR = 1,35 (1,05;
–1,73)) [38 ].
Limitationen
Die ausgewerteten Daten stammen zwar bereits aus dem Jahr 2010, wir gehen aber davon
aus, dass ein Geschlechtsunterschied in der CKD-Kenntnis unabhängig vom Jahr der Datenerhebung
ist. Die von uns beschriebene Fragestellung wurde bisher in Deutschland noch nicht
untersucht. Im Vergleich zu Daten anderer deutscher Surveys oder Kohorten – auch aus
jüngerer Zeit – enthält die von uns verwendete Datenbasis eine auch im internationalen
Vergleich außergewöhnlich große Anzahl von Patienten mit Niereninsuffizienz, denen
auch die Frage nach Kenntnis ihrer Erkrankung gestellt wurde. Unsere Analyse bezieht
sich darüber hinaus auf qualitätsgesicherte Daten und zentral analysierte Laborwerte
von Patienten mit CKD und/oder CKD-bezogenen Komorbiditäten und Risikofaktoren. Informationen
zu Bildung oder Sozialstatus der Teilnehmer war nicht verfügbar. Wie von uns dargestellt,
ist nicht anzunehmen, dass dieser Faktor die Geschlechtsunterschiede entscheidend
beeinflusst. Die hier vorgestellte Auswertung wurde nach Bereitstellung der harmonisierten
Gesamtdatenbank post-hoc mit den Daten der Kohortenstudien durchgeführt. Daher waren
gegebenenfalls weitere in dem Zusammenhang interessierende Variablen nicht verfügbar.
Die Kernaussage unserer Auswertung wird durch diesen Sachverhalt jedoch nicht beeinflusst.
Fazit
Die Unkenntnis von Patienten und Patientinnen über eine prävalente CKD ist in Deutschland
sehr häufig. Der dabei beobachtete Geschlechtsunterschied ist besonders in den späteren
CKD-Stadien 3b und 4 sehr ausgeprägt. Der Unterschied in der Kenntnis über eine CKD
zwischen den Geschlechtern bleibt bestehen, unabhängig von prävalenten Risikofaktoren
oder Komorbiditäten wie Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen. Als Ursache kann
ein nicht leitliniengetreues Monitoring der Nierenfunktion bei Patienten mit höherem
CKD-Risiko vermutet werden, verbunden mit geschlechtsabhängigen Behandlungsunterschieden
in der allgemeinen Versorgung. Die konsequente Umsetzung der Leitlinien-Empfehlungen,
das Bewusstmachen von vorhandenen unbewussten Geschlechts-Stereotypen in der Behandlung
sowie Verbesserungen in der Arzt-Patienten-Kommunikation bei Niereninsuffizienz könnten
zu einer häufigeren Diagnose und zu einer besseren Kenntnis der Erkrankung führen.
Diese Faktoren zusammen könnten darüber hinaus zu rechtzeitiger Behandlung mit höherer
Patienten-Compliance führen.
Mehr als die Hälfte von Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz im Stadium
3 und höher wissen nicht, dass sie daran erkrankt sind.
Frauen wissen deutlich häufiger als Männer nicht, dass sie eine chronische Niereninsuffizienz
haben – dieser Unterschied vergrößert sich mit ansteigendem CKD-Stadium.
Der Anteil von Patienten ohne Kenntnis ihrer CKD sinkt nur marginal bei gleichzeitigem
Vorliegen von Diabetes, Hypertonie oder kardiovaskulären Erkrankungen – unabhängig
vom CKD-Stadium.
Ein unbewusster Geschlechter-Bias in der primären Patientenversorgung oder bei der
Arzt-Patienten-Kommunikation könnte zum Geschlechtsunterschied in der Kenntnis über
eine vorliegende CKD beitragen.
Finanzierung
Die Kern-Datenbank wird finanziert und betrieben durch die Stiftung Präventivmedizin
des Kuratoriums für Dialyse und Nierentransplantation e. V., KfH.
Ethik
Die Ethikkommissionen der jeweils zuständigen Institutionen haben die Datenschutzbestimmungen
und die Studienprotokolle der Kohorten-Studien und Register, deren Daten in der Kern-Datenbank
zusammengestellt wurden, genehmigt:
CAD-REF: Ethikvotum durch Ethikkomitee der Landesärztekammer Westfalen-Lippe und der
medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 2007 (No. 2007–315-f-S).
BIS: Ethikvotum durch das Ethikkomitee der Charité – Universitätsmedizin, Berlin,
2008 (No. EA2/009/08)
DIACORE: Ethikvotum durch das Ethikkomitee der Universitäten Regensburg and Mannheim,
2007 (No. 06/139) and 2012 (Nr. 2012–248N-MA).
Von allen Teilnehmern liegt eine schriftliche Patienteneinwilligung in die Studienteilnahme
vor. Die Studien wurden im Einvernehmen mit der Deklaration von Helsinki ausgeführt.
Studienregistrierung
CAD-REF: ClinicalTrials.gov under the identifier number NCT00 679 419
(http://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00679419?term=NCT00679419&rank=1 ).