Schlüsselwörter injizierender Drogenkonsum - andere Drogenkonsumformen Hepatitis C - Prävention - Testung - antivirale Behandlung
Keywords injecting drug use - other forms of drug use - hepatitis C - prevention - testing - antiviral treatment
Einleitung
Die Infektion mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) ist aufgrund der erheblichen
Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität von wachsender nationaler
und internationaler Bedeutung. In Ländern mit hohem Einkommen ist
injizierender Drogenkonsum der Hauptübertragungsweg für
HCV-Infektionen [1 ]
[2 ]
[3 ] und
macht die überwiegende Mehrheit der Neuinfektionen aus [4 ]. Auch in Deutschland sind Menschen mit
injizierendem Drogenkonsum mit Antikörperprävalenzen von bis zu
75% die Hochrisikopopulation, die am häufigsten von einer
HCV-Infektion betroffen ist [5 ]
[6 ].
Dabei geht die akute HCV-Infektion häufig mit unspezifischen Symptomen wie
Abgeschlagenheit und Müdigkeit einher und wird entsprechend selten von
Menschen mit injizierendem und anderen Drogenkonsumformen als solche erkannt.
Unerkannt und unbehandelt chronifiziert die akute HCV-Infektion in bis zu
85% der Fälle zu einer dauerhaften Infektion, die ohne eine
frühzeitige antivirale Behandlung mit einem erhöhten Risiko
für eine fortgeschrittene leberassoziierte Morbidität und
Mortalität einhergeht. Zwischen 23,1–54,0% der Menschen mit
injizierendem Drogenkonsum in Deutschland sind chronisch HCV-infiziert [5 ] und aktuelle internationale Studien zeigen,
dass die Belastungen durch HCV-bedingte Morbidität und Mortalität
bei Menschen mit injizierendem Drogenkonsum bedeutsam sind [7 ]
[8 ].
Aufgrund der hohen Prävalenzraten gelten – mit Hinblick auf das Ziel
der Eliminierung des HCV – Menschen mit injizierendem Drogenkonsum heute als
vorrangig zu adressierende Bevölkerungsgruppe, auch vor dem Hintergrund der
überproportionalen gesundheitlichen Belastung [9 ].
Mit den verbesserten pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten hat die
Bedeutung der Früherkennung von HCV-Infektionen sowie der rechtzeitigen
Vermittlung in die medizinische Versorgung nochmals zugenommen [10 ]. Gleichzeitig ist der Bedarf an
Maßnahmen zur Prävention der HCV bei Menschen mit injizierendem
Drogenkonsum nach wie vor hoch (vgl. [11 ]). So
ist der Wissensstand über konsumbezogene Infektionsrisiken in dieser
Hochrisikogruppe verbesserungswürdig und insbesondere bzgl. spezifischerer
Übertragungswege (z. B. durch die gemeinsame Nutzung von Filtern,
Wasser oder Sniefröhrchen) offenbaren sich Wissenslücken [11 ]. Auch ist die Kenntnis des eigenen
HCV-Status in der Zielgruppe sehr unterschiedlich ausgeprägt. So wiesen
Studienteilnehmer:innen der DRUCK-Studie mit neuerem injizierendem Drogenkonsum
(weniger als 5 Jahre) höhere HCV-Prävalenzraten und eine geringere
Kenntnis des eigenen HCV-Status auf als die Vergleichsgruppe mit einem injizierenden
Drogenkonsum von 5 Jahren und mehr [12 ].
Mit Hinblick auf niedrigschwellige, schadensminimierende Interventionen zeigt eine
Vielzahl von Studien, dass Kombinationen aus Testung, Beratung,
Nadelaustauschprogrammen sowie Zugang zur Diagnostik und antiviraler Behandlung
geeignet sind, HCV-Inzidenz- und Prävalenzraten bei Menschen mit
injizierendem Drogenkonsum zu senken [13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]. Um das Ziel einer
Eliminierung des HCV zu erreichen, ist die flächendeckende Umsetzung von
Maßnahmen erforderlich, die in globalen gesundheitspolitischen Strategien
(WHO) und auch in den deutschen Strategieempfehlungen zur Eindämmung von
HIV, Hepatitis B und C und anderen sexuell übertragbaren Infektionen
zusammengefasst sind [17 ]. Für Menschen
mit injizierendem Drogenkonsum werden Maßnahmen im Bereich der
Wissensvermittlung (u. a. bzgl. Übertragungswegen und
Risikovermeidung), aber auch eine Ausweitung der Behandlungsraten empfohlen. Dazu
sollen HCV-Testungen besser in die Behandlungsangebote der Suchtmediziner:innen
integriert werden sowie niedrigschwellige Präventions-, Test- und
Versorgungsangebote z. B. in Drogenhilfeeinrichtungen fortgesetzt und
gegebenenfalls ausgebaut werden [17 ].
Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe bieten einen niedrigschwelligen Zugang
für Menschen mit injizierendem und anderen Drogenkonsumformen und spielen
durch Angebote zur Prävention, Testung, Diagnostik sowie (ggf. Vermittlung)
der antiviralen HCV-Therapie eine zentrale Rolle für die Eindämmung
von HCV-Infektionen. Über die aktuelle Umsetzung von HCV-spezifischen
Maßnahmen in Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe ist bislang wenig
bekannt. Ziel dieser Studie ist es, die Versorgungsleistungen sowie
Umsetzungsdeterminanten (Barrieren und Förderfaktoren) von HCV-spezifischen
Maßnahmen in den Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe mit
niedrigschwelligen Angeboten in Deutschland zu beschreiben.
Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe bieten einen niedrigschwelligen Zugang
für Menschen mit injizierendem und anderen Drogenkonsumformen und spielen
eine zentrale Rolle für die Eindämmung von HCV-Infektionen in dieser
Hochrisikogruppe.
Methodik
Studiendesign und Erhebungsinstrument
Für das Studienziel wurde eine anonyme Querschnittsbefragung von
Einrichtungen der Aids- und Drogenhilfe anhand eines spezifischen
Kurzfragebogens durchgeführt. Dazu wurde eine Adressdatenbank einer
früheren Studie zu Vergabe von Konsumutensilien genutzt, die um
Einrichtungen der Deutschen Aidshilfe (DAH) ergänzt wurde. Insgesamt
wurden 380 Einrichtungen postalisch angeschrieben. Nach einem Pre-Test des
Fragebogens im April 2020 durch fünf Einrichtungen erfolgte die
Datenerhebung zwischen 10.07.2020–31.08.2020. Um den Rücklauf zu
erhöhen, wurde an alle Einrichtungen am 18.08.2020 ein
Erinnerungsschreiben mit der Bitte versandt, sich an der Studie zu beteiligen.
Um Einrichtungsdaten aus möglichst allen Bundesländern zu
erhalten, wurde der Rücklauf kontinuierlich anhand der erhobenen
Postleitzahlen ausgewertet und Einrichtungen aus Bundesländern ohne oder
mit geringem Rücklauf (weniger als 20%) nochmals postalisch um
Studienbeteiligung gebeten.
Der eingesetzte Kurzfragebogen adressierte die Einrichtungsstruktur
(Einrichtungsart/Trägerschaft, Anzahl an
Klient: innen/Monat sowie Anzahl an Menschen mit injizierendem
Drogenkonsum und Klient: innen mit inhalativem/nasalem Konsum,
Region, Anzahl Mitarbeiter: innen in Berufsgruppen und deren
Qualifikation). Anschließend wurde der Stellenwert der
HCV-Prävention, -Beratung, -Testung und -Behandlung im Rahmen der
täglichen Arbeit erhoben, sowie die Verfügbarkeit von Angeboten
zur HCV-Prävention und Versorgung (Vergabe von Konsumutensilien und
„Safer Use“-Informationen, HCV-Beratung, HCV-Testangebote,
Vereinbarung von Terminen zur weiterführenden Testung, Diagnose oder
Behandlung bei Nutzer: innen mit positivem HCV-Test oder mit
entsprechender Indikation) abgefragt. Zudem wurden strukturelle,
einrichtungsbezogene und
klient: innen/patient: innenbezogene Barrieren und Bedarfe
an eine Verbesserung der Versorgungssituation sowie eine Einschätzung
zur regionalen HCV-Angebots- und Versorgungssituation für
Drogenkonsument: innen in der Region (Landkreis, Stadt) erfasst.
Auswertung
Die Fragebögen wurden mittels der Erfassungssoftware TeleForm (Firma
Cardiff Software Inc., 1998) entworfen, die zurückerhaltenen Daten
elektronisch eingelesen und verifiziert. Die Datenanalyse erfolgte vornehmlich
deskriptiv, indem Einrichtungen anhand ihrer Merkmale zusammengefasst
beschrieben und analysiert wurden. Um mögliche Zusammenhänge
zwischen Einrichtungsmerkmalen, Versorgungsleistungen, wahrgenommenen
Versorgungsbarrieren und Bedarfen für eine Verbesserung der Versorgung
zu prüfen, wurde die Vergabe von Konsumutensilien als Merkmal
für den Zugang für die Zielgruppe definiert. Die Prüfung
von Mittelwertsunterschieden erfolgte mittels t-Tests oder einfaktorieller
Varianzanalysen, für die statistische Auswertung von kategorialen
Unterschieden wurden Chi-Quadrat-Tests durchgeführt. Das
Signifikanzniveau wurde für alle statistischen Berechnungen auf
α=0,05 festgesetzt. Die statistischen Analysen erfolgten mit IBM
SPSS Statistics 23 (IBM Corp., 2015).
Ergebnisse
Stichprobe
Von den 380 kontaktierten Einrichtungen konnten Antworten von 174 Einrichtungen
(45,8%) aus allen Bundesländern in die Datenanalyse
eingeschlossen werden. Entsprechend der Verteilung der angeschriebenen
Einrichtungen ist Nordrhein-Westfalen (NRW) in der Stichprobe am
stärksten vertreten (n=62 Einrichtungen; 35,6% der
Stichprobe), gefolgt von Baden-Württemberg (n=21;
12,1%), Bayern (n=18; 10,3%) und Niedersachsen
(n=16, 9,2%). Die Rücklaufquote (Anteil der
kontaktierten Einrichtungen) betrug für nahezu alle Bundesländer
mindestens 40% oder mehr; lediglich in Sachsen-Anhalt (12,5%)
und Bremen (16,7%) wurden geringere Werte erreicht.
Die beteiligten Einrichtungen lassen sich kategorisieren in
„niedrigschwellige Einrichtungen“ (z. B. Kontaktladen,
mobiles Angebot) (n=54; 31,0%), Einrichtungen der Deutschen
Aidshilfe (ohne Wohnprojekte/ Konsumräume) (n=50;
28,7%) sowie reine Beratungseinrichtungen bzw.
„klassische“ Suchtberatungsstellen (n=40;
23,0%). Einrichtungen mit Konsumraum (n=14) machten 8,0%
der Stichprobe aus, Einrichtungen mit Wohnprojekten (n=12) 6,9%.
Vier Einrichtungen haben keine Angaben zum Einrichtungstyp gemacht ([Tab. 1 ]).
Tab. 1 Durchschnittliche Anzahl an Klient:innen pro Monat
und Einrichtungstyp sowie die Anteile an Klient:innen mit
intravenösem bzw. mit nasalem/inhalativen Konsum
(N=174)
niedrigschwellige Einrichtungen (*)
Einrichtungen mit Konsumraum
Klassische Suchtberatung
Aidshilfen
(**/***)
Einrichtungen mit Wohnprojekten
(***)
Sonstige
M (±SD); n
M (±SD); n
M (±SD); n
M (±SD); n
M (±SD); n
M (±SD); n
Klient:innen pro Monat
167,2
456,6
184,6
73,4
146,4
147,5
(178,1); 52
(385,1); 12
(140,0); 34
(81,5); 44
(153,2); 12
(55,6); 4
Anteil mit intravenösem Konsum
41,0%
58,4%
19,3%
15,3%
42,9%
24,5
(28,8); 48
(28,4); 11
(16,5); 30
(24,7); 37
(32,9); 10
(9,5); 4
Anteil mit nasalem oder inhalativen Konsum
31,2%
41,5
25,8
11,3
32,3
26,8
(19,5); 44
(29,5); 11
(25,4); 26
(13,2); 37
(31,3); 8
(23,6); 4
* z. B. Kontaktläden, mobiles
Angebot; ** ohne Wohnprojekte;
*** ohne Konsumräume
Versorgungsleistungen der beteiligten Einrichtungen
26,4% (n=46) der beteiligten Einrichtungen versorgten bis zu 50
Klient:innen pro Monat, 21,8% (n=38) bis zu 100 Klient:innen pro
Monat und 31% (n=54) bis zu 300 Klient:innen pro Monat.
11,4% (n=20) der Einrichtungen versorgten mehr als 300
Klient:innen pro Monat. Im Durchschnitt versorgten Einrichtungen mit Konsumraum
die meisten Klient:innen; hier lag der Anteil der Klient:innen mit
intravenösem bzw. mit nasalem/ inhalativem Konsum ebenfalls am
höchsten ([Tab. 1 ]).
Anzahl an Mitarbeiter:innen pro Einrichtung sowie die
Mitarbeiter:innenstruktur
169 Einrichtungen haben Angaben zur Anzahl und den Berufsgruppen der
Mitarbeiter:innen gemacht. Kleinere Einrichtungen mit bis zu 50 Klient:innen pro
Monat verfügten über durchschnittlich 5 Mitarbeiter:innen,
große (300–500 Klient:innen pro Monat) und sehr große
Einrichtungen (mehr als 500 Klient:innen pro Monat) über
durchschnittlich 18 bzw. 27 Mitarbeiter:innen. Erwartungsgemäß
waren unabhängig von der Anzahl an Klient:innen pro Monat mehr als die
Hälfte der Mitarbeiter:innen (Sozial-)Pädagog:innen,
Psycholog:innen und/oder Therapeut:innen ([Abb. 1 ]). Je größer die
Anzahl an Klient:innen pro Monat in der Einrichtung, desto
größer war der durchschnittliche Anteil an medizinischem
Personal.
Vergabe von Konsumutensilien als Merkmal für
Zielgruppenzugang
Um für diese Auswertung sicherzustellen, dass Einrichtungen einen
niedrigschwelligen Zugang für Menschen mit injizierendem und anderen
Drogenkonsumformen bieten, wurde die Vergabe von Konsumutensilien als
Operationalisierung gewählt. Insgesamt 135 der 174 Einrichtungen
erfüllten dieses Kriterium. 39 Einrichtungen, zum Großteil
Aidshilfen ohne Beratungsschwerpunkte für Menschen mit injizierendem und
anderen Drogenkonsumformen (n=28), wurden aus der weiteren Auswertung
ausgeschlossen.
Medizinische Versorgung in Einrichtungen mit Vergabe von
Konsumutensilien
Von den 135 Einrichtungen mit einer Vergabe von Konsumutensilien gaben 37
Einrichtungen (27,4%) an, über medizinisches Personal zu
verfügen. Im Großteil der Einrichtungen (n=98;
72,6%) war mindestens eine Mitarbeiter:in darin geschult,
lebenssichernde Maßnahmen bei Drogennotfällen
durchzuführen, in 47 Einrichtungen (34,8%) mehr als zwei Drittel
aller Mitarbeiter:innen. Bei mehr als der Hälfte der Einrichtungen
(n=75; 55,6%) mit einer Vergabe von Konsumutensilien gab es
keine Mitarbeiter:innen, die für eine medizinische Grundversorgung
zuständig waren. Bei etwa einem Drittel (n=40; 29,7%)
der Einrichtungen war ein- oder mehrmals die Woche eine Ärzt:in vor Ort.
In 17 Einrichtungen (12,6%) konnten die Klient:innen direkt Impfungen
erhalten.
Angebote zur HCV-Prävention in Einrichtungen mit Vergabe von
Konsumutensilien
Der Großteil der Einrichtungen mit Vergabe von Konsumutensilien bot
Informationen zu Safer Use (98,5%) und Beratungen zu HCV an
(87,4%) (Abb. 2). Etwa 28% der Einrichtungen boten
HCV-Antikörper- bzw. HCV-Schnelltests an. 40% bzw. 64,4%
der Einrichtungen konnten Klient:innen mit entsprechendem HCV-Testergebnis
(Antikörper-/Schnelltest) bzw. Klient:innen mit einer
entsprechenden Diagnose (z. B. chronische HCV-Infektion) in die
medizinische Versorgung weitervermitteln, etwa 6% der Einrichtungen
boten eine antivirale Behandlung vor Ort an ([Abb. 2 ]).
Abb. 1 Anzahl an Klient:innen pro Monat sowie die Mitarbeiter:innenprofile in den
beteiligten Einrichtungen
Abb. 2 Angebot an HCV-Maßnahmen in den Einrichtungen (in Prozent)
Während die Inanspruchnahme von Konsumutensilien von den befragten
Einrichtungen als hoch eingeschätzt wurde (40,7% der
Einrichtungen schätzten den Anteil der Klient:innen mit Inanspruchnahme
auf über 60%), wurden die weiteren angebotenen
HCV-Maßnahmen aus Sicht der Einrichtungen eher selten in Anspruch
genommen ([Tab. 2 ]). Mehr als 60%
der Einrichtungen schätzten, dass weniger als 20% ihrer
Klient:innen die angebotenen HCV-Maßnahmen nutzten ([Tab. 2 ]).
Tab. 2 Geschätzte Inanspruchnahme von den in den
Einrichtungen angebotenen HCV-Maßnahmen
Angebotene Maßnahmen (n=135)
Vorhanden
Von den Einrichtungen geschätzte Inanspruchnahme (n
(%) der Einrichtungen mit diesem Angebot)
n (%)
<10%
11–20%
21–40%
41–60%
61–80%
>80%
k.A.
Beratung zu HCV
118
42
36
14
10
3
6
7
(87,4)
(35,6)
(30,5)
(11,9)
(8,5)
(2,5)
(5,0)
(5,9)
HCV-Antikörper-, HCV-Schnelltests
38
13
13
4
3
2
1
2
(28,1)
(34,2)
(34,2)
(10,5)
(7,9)
(5,2)
(2,6)
(5,2)
Vereinbarung von ärztlichen Terminen bei positivem
HCV-Antikörpertest
55
23
11
3
5
1
6
6
(40,7)
(41,8)
(20,0)
(5,4)
(9,1)
(1,8)
(10,9)
(10,9)
Vereinbarung von ärztlichen Terminen bei
entsprechender Diagnose (z. B. chronische
HCV-Infektion)
87
50
10
8
4
2
7
6
(64,4)
(57,5)
(11,5)
(9,2)
(4,6)
(2,3)
(8,0)
(6,9)
Antivirale Behandlung direkt in der Einrichtung
8
2
2
–
1
–
2
1
(5,9)
(25)
(25)
(12,5)
(25)
(12,5)
Entsprechend dem Angebot und der Inanspruchnahme durch die Klient:innen fiel der
Stellenwert für Maßnahmen zur HCV-Testung und -Behandlung bei
den befragten Einrichtungen gering aus ([Tab.
3 ]). Für 65 Einrichtungen (48,1%) bzw. 79
Einrichtungen (58,5%) wurde der Stellenwert von Testung bzw. Behandlung
in der täglichen Arbeit als niedrig angegeben ([Tab. 3 ]). Hingegen planten fast 30%
der Einrichtungen (28,9%; n=39) zum Zeitpunkt der Erhebung, neue
HCV-Angebote für Drogenkonsument:innen in ihren Einrichtungen
einzuführen.
Tab. 3 Geschätzter Stellenwert von
HCV-Maßnahmen in den Einrichtungen
Maßnahme (N=135)
geschätzter Stellenwert (1 – sehr niedrig bis
10 – sehr hoch); n (%)
Niedrig (1–3)
Mittel (4–7)
Hoch (8–10)
k.A.
HCV-Beratung
40
56
34
5
(29,6)
(41,5)
(25,2)
(3,7)
HCV-Testung
65
21
22
27
(48,1)
(15,6)
(16,3)
(20,0)
HCV-Behandlung
79
12
15
29
(58,5)
(11,3)
(14,2)
(21,5)
Gegenüber anderen Angeboten zur HCV-Prävention ist sowohl die
Verfügbarkeit als auch die Inanspruchnahme von Maßnahmen zur
HCV-Testung und -Versorgung deutlich reduziert.
Barrieren bei der Umsetzung von HCV-Maßnahmen
Etwa jede siebte Einrichtung (14,1%; n=19) gab an, Versuche
unternommen zu haben, HCV-Angebote fest zu verankern, die jedoch gescheitert
waren. Eine ungenügende Finanzierung von HCV-spezifischen
Maßnahmen und fehlende zeitliche Kapazitäten der
Mitarbeiter:innen wurden von Einrichtungen mit und ohne HCV-Testangebot als
Hauptbarrieren für eine verbesserte Umsetzung von HCV-spezifischen
Maßnahmen gesehen ([Tab. 4 ]).
Zudem wurden klient:innenbezogene Barrieren (mangelnde Zuverlässigkeit,
fehlende Motivation/Interesse am Thema) als Hemmnisse bei der Umsetzung
von HCV-Maßnahmen wahrgenommen, insbesondere von Einrichtungen, die ein
HCV-Testangebot vorhielten ([Tab. 4 ]). In
rund einem Drittel dieser Einrichtungen war eine fehlende Krankenversicherung
eine Barriere für die weitere Diagnostik und Versorgung der
Klient:innen. In Einrichtungen ohne HCV-Testangebote wurde fehlendes
medizinisches Personal als Barriere wahrgenommen. Sieben von zehn Einrichtungen
(n=92; 68,1%) sahen in dem durch die neue Gesetzeslage zum
01.03.2020 weggefallenen Arztvorbehalt bei der Durchführung und
Auswertung von HCV/HIV-Schnelltests eine Möglichkeit, die
Hürden für die Testung in ihrer Einrichtung merklich zu
senken.
Nach dem Wegfall des Arztvorbehalts ist die Sicherstellung einer ausreichenden
Finanzierung nötig, um die Verfügbarkeit für
HCV-Testangebote nachhaltig zu verbessern.
Tab. 4 Benannte Hauptbarrieren für eine
verbesserte Umsetzung von HCV-spezifischen Maßnahmen in
Einrichtungen ohne und mit einem HCV-Testangebot
Einrichtungen mit Vergabe von Konsumutensilien
(n=135)
Einrichtungen ohne HCV-Testangebot (n=97) (n
(%))
Einrichtungen mit HCV-Testangebot (n=38) (n
(%))
Ungenügende Finanzierung HCV-spezifischer
Maßnahmen
43 (44,3)
Zu wenig zeitliche Kapazitäten der
Mitarbeiter:innen
20 (52,6)
Zu wenig zeitliche Kapazitäten der
Mitarbeiter:innen
33 (34,0)
Ungenügende Finanzierung HCV-spezifischer
Maßnahmen
17 (44,7)
Thema HCV ist zu wenig präsent
33 (34,0)
Mangelnde Zuverlässigkeit der
Klient:innen
16 (42,1)
Zu wenig medizinisches Personal
27 (27,8)
Klient:innen sind nicht krankenversichert
12 (31,6)
Fehlende Motivation / Interesse der
Klient:innen
25 (25,8)
Fehlende Motivation / Interesse der
Klient:innen
12 (31,6)
Einschätzung der regionalen Versorgung
Rund ein Drittel (n=47; 34,8%) der befragten 135 Einrichtungen
mit Vergabe von Konsumutensilien gab an, die einzige niedrigschwellige
Einrichtung in der Region (Landkreis, Stadt) zu sein. Bei einem weiteren Drittel
der Einrichtungen (33,3%) waren in der Region noch ein oder zwei weitere
Einrichtungen vorhanden, bei 11,1% sogar fünf oder mehr.
Auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 10 (sehr gut) wurde die
Versorgungssituation in der Region hinsichtlich der HCV-Prävention mit
durchschnittlich 5,9 (SD 2,4) bewertet (n=126). Vergleichbare
Einschätzungen zeigten sich für die Aspekte HCV-Testung (5,7; SD
2,5; n=125), HCV-Diagnostik (5,9; SD 2,5; n=119) und
HCV-Behandlung (6,2; SD 2,7; n=120). Hierbei verteilten sich die
Bewertungen auf die gesamte Skala von 1–10: So schätzten
20,8% der Einrichtungen die Versorgungssituation hinsichtlich
HCV-Testungen als schlecht ein (Werte von 1–3), wohingegen 31,2%
der Einrichtungen diese als gut bewerteten (Werte von 8–10).
Die 47 Einrichtungen, welche angaben, die Einzige in der Region zu sein,
bewerteten die Versorgungssituation durchschnittlich schlechter. Signifikante
Mittelwertsunterschiede zeigten sich für die Aspekte
HCV-Prävention (4,7 vs. 6,5; p <.001), HCV-Testung (4,9
vs. 6,1; p =.012) und HCV-Diagnostik (5,1 vs. 6,3;
p =.013).
Diskussion
Die vorliegende Querschnittsstudie ist die erste bundesweite Bestandsaufnahme zur
Umsetzung von Testung, Diagnostik und Behandlung der Hepatitis C in Einrichtungen
der Aids- und Drogenhilfe mit niedrigschwelligen Angeboten für Menschen mit
injizierendem, inhalativem oder nasalem Drogengebrauch in Deutschland. Die
Studiendaten spiegeln die Vielfältigkeit von Einrichtungstypen und Angeboten
der niedrigschwelligen Drogenhilfe wider, die von reinen, klassischen
Suchtberatungsstellen über Aidshilfen,
„Kontaktläden“, Wohnprojekten bis hin zu niedrigschwelligen
Einrichtungen mit Konsumraum reichen. Entsprechend sind die Möglichkeiten
der Einrichtungen zur Prävention, Testung und Vermittlung in die
medizinische Versorgung unterschiedlich ausgeprägt. Verglichen mit anderen
Einrichtungstypen der niedrigschwelligen Drogenhilfe unterliegen Konsumräume
strengeren, gesetzlich festgelegten Hygienestandards und verfügen oftmals
über mehr entsprechend geschultes Personal. Der Konsum in der Einrichtung
ermöglicht zudem, Hygienedefizite und Risikoverhalten der Klinient:innen zu
identifizieren und direkt zu thematisieren [18 ]. Um für diese Auswertung sicherzustellen, dass Einrichtungen
einen niedrigschwelligen Zugang für Menschen mit injizierendem und anderen
Drogenkonsumformen bieten, wurden nur Daten von Einrichtungen mit einer Vergabe von
Konsumutensilien einbezogen. Somit sind diese Einrichtungen für die
Eindämmung von HCV mittels Prävention, Testung, Diagnostik sowie
(ggf. Vermittlung) der antiviralen HCV-Therapie relevant.
Die Ergebnisse zeigen, dass HCV-präventive Maßnahmen
(Informationsvergabe zu „Safer Use“, HCV-Beratungen, Vergabe von
Konsumutensilien) sowohl hinsichtlich der Verfügbarkeit als auch
hinsichtlich der Inanspruchnahme durch die Klient:innen integraler Bestandteil der
niedrigschwelligen Drogenhilfe in Deutschland sind. Damit tragen
Drogenhilfeeinrichtungen substantiell zur Umsetzung von deutschen
Strategieempfehlungen (Wissensvermittlung, Verringerung von Infektionsrisiken) zur
Eindämmung der Hepatitis C bei Menschen mit injizierendem Drogengebrauch bei
[17 ]. Die Studienergebnisse zeigen jedoch
auch, dass bezüglich spezifischer HCV-Maßnahmen für Menschen
mit injizierendem und anderen Drogenkonsumformen weiterer
Unterstützungsbedarf nötig ist, um die etwaige medizinische
Versorgung (d. h. HCV-Antikörpertestung, Diagnostik und Vermittlung
in die antivirale Behandlung) effektiv in der niedrigschwelligen Drogenhilfe zu
verankern.
Das Rational für die Dringlichkeit dieser Anpassungen liegt in der hohen
Prävalenz von HCV-Infektionen bei Menschen mit injizierendem Drogenbrauch in
Deutschland, mit regionalen Antikörperprävalenzen zwischen
42,3–75,0% [5 ]. Etwa jede
zweite Person mit injizierendem Drogenbrauch ist chronisch HCV-infiziert (CHC) [5 ] und unterliegt somit einem erhöhten
Risiko für eine fortgeschrittene leberassoziierte Morbidität und
Mortalität. Studien zeigen, dass die Progression von leberassoziierten
Folgeerkrankungen bei Menschen mit injizierendem Drogenbrauch mit chronischer
HCV-Infektion gegenüber nicht-drogenabhängigen Menschen mit
chronischer HCV-Infektion beschleunigt ist [19 ]. Entsprechend sind ausreichend vorhandene Testangebote zur
Früherkennung von chronischen HCV-Infektionen bei Menschen mit injizierendem
und anderen Drogenkonsumformen von zentraler Bedeutung, um eine zeitnahe
medizinische Versorgung zu gewährleisten. Zudem ist vor dem Hintergrund der
hohen Prävalenz an chronischen HCV-Infektionen eine ausreichende
Verfügbarkeit von Maßnahmen zur Schadensminimierung und
medizinischer Versorgung grundlegend erforderlich, um neue Ansteckungen zu
verhindern. Aktuelle HCV-Modellschätzungen mit Projektionen in die Zukunft
zeigen, dass eine Kombination aus Zugang zur Substitutionsbehandlung,
Nadelaustauschprogrammen und antiviraler Behandlung dazu geeignet ist, die
HCV-Prävalenz und -Inzidenz nachhaltig zu senken [13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]. Die Wirksamkeit dieser Strategien
hängt jedoch von mehreren Faktoren ab, darunter die Zeit bis zur
Diagnosestellung, die Anbindung des Patienten bzw. der Patientin an die medizinische
Versorgung, der frühzeitige Behandlungsbeginn sowie die Therapietreue, um
eine hohe SVR-Rate zu erreichen [20 ].
Für letzteres zeigt eine Vielzahl von Studien, dass die antivirale
Behandlung auch bei Menschen mit injizierendem und anderen Drogenkonsumformen nicht
nur durchführbar, sondern auch effektiv ist [23 ]
[24 ].
Mit der Änderung der Gesetzeslage ist zum 01.03.2020 der Arztvorbehalt bei
HCV- und HIV-Schnelltests entfallen. Dies ermöglicht Einrichtungen der
niedrigschwelligen Drogenhilfe, dass auch nicht-ärztliches Personal wie
z. B. Sozialpädagog:innen oder Krankenpfleger:innen
HCV-/HIV-Tests durchführen können. Auch im Hinblick auf die
mangelnde Verfügbarkeit von ärztlichem/medizinischem
Personal wurde die Neuregelung von der Mehrzahl der Einrichtungen in dieser Studie
als positiver Schritt wahrgenommen. Darüber hinaus besteht Bedarf nach einer
ausreichenden Finanzierung für benötigtes Personal und die
notwendigen Testmaterialien. Modellprojekte wie „Das check‘
Ich“ zeigen den erhöhten Ressourcenbedarf, der nötig ist, um
Testangebote nachhaltig in Einrichtungen der niedrigschwelligen Drogenhilfe zu
implementieren [25 ]. So ist oftmals mehrfaches
proaktives Ansprechen seitens der Mitarbeiter:innen nötig, um ausreichende
Aufmerksamkeit und Motivation bei den Klinient:innen zu erreichen, an einem Test-
und Beratungsangebot teilzunehmen [25 ].
Internationale Studien zeigen, dass z. B. innovative Rekrutierungsstrategien
mit geschulten Peers [26 ], Belohnungsanreize
[27 ] oder Versorgungsmodelle mit
integrierter Testung, Diagnose und Versorgung [28 ] geeignet sein können, um die Inanspruchnahme von HCV-Test-
und -Behandlungsangeboten bei Menschen mit injizierendem und anderen
Drogenkonsumformen zu erhöhen.
Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse ist eine Ausweitung von integrierten
Versorgungsmodellen in Einrichtungen der niedrigschwelligen Drogenhilfe
erforderlich, auch um den regionalen Bedarf an Behandlungseinrichtungen, die
angemessen an die Bedürfnisse dieser gefährdeten
Bevölkerungsgruppe angepasst sind, zu adressieren. Um ein Maximum an
Menschen mit injizierendem, inhalativem oder nasalem Drogenbrauch zu erreichen, sind
darüber hinaus multidisziplinäre Ansätze in medizinischen
Settings einer Region/Stadt nötig, die einen Zugang zur Testung und
Versorgung der HCV für diese Hochrisikogruppe bieten [29 ].
Limitationen
Die vorliegenden Beschreibungen der Situation in Einrichtungen der Aids- und
Drogenhilfe mit einem niedrigschwelligen Zugang zu Menschen mit injizierendem und
anderen Drogenkonsumformen sind stichprobenbasiert und können somit
Selektionseffekten unterliegen. Die vorliegende Stichprobe ist trotz der hohen
Antwortrate von 45,8% der angeschriebenen Einrichtungen somit nicht
notwendigerweise repräsentativ für die Grundgesamtheit aller
Einrichtungen in Deutschland. Mangels eines vollständigen Registers aller
Aids- und Drogenhilfeeinrichtungen wurde in der vorliegenden Studie die Liste der
Einrichtungen aus einer früheren Konsumutensilienstudie verwendet, die um
Einrichtungen, die der Deutschen Aidshilfe vorliegen, ergänzt wurden. Die
hohe Anzahl der einbezogenen Einrichtungen (N=174 bzw. n=135) sowie
deren annähernd bevölkerungsproportionale Verteilung über
die Bundesländer sprechen aber dafür, dass von keiner
merkmalsspezifischen Selektion und damit von einer Verzerrung der Angaben auszugehen
ist.
Eine weitere mögliche Einschränkung der Validität der
Ergebnisse resultiert aus den Selbstangaben der Einrichtungen zu den abgefragten
Versorgungsparametern. Da es sich bei der vorliegenden Studie um eine
Bestandsaufnahme zur Prävention, Testung und medizinischen Versorgung
handelt, kann eine Verzerrung im Sinne eines systematischen Underreportings von
Versorgungsleistungen ausgeschlossen werden.
Während Maßnahmen zur HCV-Prävention integraler
Bestandteil der niedrigschwelligen Drogenhilfe sind, besteht bei der Mehrzahl
der Einrichtungen großer Unterstützungsbedarf für eine
Ausweitung von HCV-Testangeboten für Menschen mit injizierendem und
anderen Drogenkonsumformen. Der Wegfall des Arztvorbehalts hat das Potential,
die Verfügbarkeit von HCV-Schnelltests für diese relevante
Zielgruppe deutlich zu erhöhen, jedoch sind neben diesen
gesetzgeberischen weitere unterstützende Rahmenbedingen erforderlich, um
die HCV-Prävalenz in dieser Hochrisikogruppe nachhaltig zu senken. Dazu
bedarf es strukturell einer ausreichenden Finanzierung von Testangeboten sowie
einer nachhaltigen Einbindung der medizinischen Versorgung bei entsprechenden
Testangeboten. Zur Erhöhung der Inanspruchnahme durch Klient:innen
können Peer-Angebote, Belohnungsanreize und integrierte
Versorgungsmodelle hilfreich sein.
Finanzielle Förderung
Die Studie wurde von der AbbVie Deutschland GmbH & Co. KG finanziell
gefördert.