Schlüsselwörter chronisch unspezifischer Rückenschmerz - Depressivität - stationäre verhaltensmedizinisch orthopädische
Rehabilitation - multimodale Therapie - kognitiv-behaviorales Schmerzkompetenz- und
Depressionspräventionstraining
Key words non-specific chronic low back pain - depressive symptoms - multidisciplinary inpatient rehabilitation - multimodal therapy - cognitive-behavioral pain competence and depression prevention training
Einleitung
Unspezifische Rückenschmerzen und Krankheiten der Wirbelsäule
gehören in Deutschland zu den führenden Gesundheitsproblemen [1 ]. Hierbei sind 85% chronischer
Rückenschmerzen (CRS) unspezifisch, die mit einem geringeren
Behandlungserfolg in der Funktionskapazität und Schmerzintensität
assoziiert waren [2 ]. Zur Erklärung
der Entstehung und Aufrechterhaltung von unspezifischen CRS wird ein
biopsychosoziales Modell herangezogen, in dem psychosozialen und arbeitsbezogenen
Risikofaktoren eine besondere Rolle in der Schmerzchronifizierung zukommt. Vor dem
Hintergrund des Flaggenmodells (vgl. [3 ])
werden psychosoziale Risikofaktoren als „yellow flags“ bezeichnet,
wobei sich insbesondere die psychologischen Variablen Depressivität und
Angst sowie dysfunktionale Kognitionen als wesentliche Prädiktoren erwiesen
haben [4 ]
[5 ]. So waren in der orthopädischen Rehabilitation (OR) die
häufigsten somatopsychischen Komorbiditäten Depressionen mit
11% und Angststörungen mit 15%, die im Zusammenhang mit
einem erhöhten Risiko für frühzeitige Berentungen durch eine
verminderte Erwerbsfähigkeit standen [6 ]. Zudem werden als wichtiger Schutzfaktor auf der kognitiven Ebene die
Selbstwirksamkeitserwartungen diskutiert. So sagten Selbstwirksamkeitserwartungen
eine niedrigere schmerzbedingte Beeinträchtigung vorher [7 ]. Ferner sind arbeitsbezogene Risikofaktoren
als „blue flags“ für die Chronifizierung bedeutsam; hier
erwiesen sich Belastungen am Arbeitsplatz, eine geringe Arbeitszufriedenheit und
Zeitdruck als ungünstig (vgl. [3 ]).
Demnach muss eine Behandlung von unspezifischen CRS vor dem Hintergrund des
biopsychosozialen Modells erfolgen. Bislang hat sich die interdisziplinäre
multimodale Schmerztherapie (MMST) als Goldstandard etabliert [8 ]. Die MMST integriert psychologische
Behandlungselemente als wesentliche Komponente und hat sich gegenüber
alleinigen physikalischen oder medizinischen Behandlungen als effektiv erwiesen
[9 ]. Allerdings zeigten sich in einem
aktuellen internationalen systematischen Review im Vergleich mit aktiven Kontrollen
wie z. B. Entspannungsverfahren kurz- und langfristig nur sehr kleine
Effekte auf die Schmerzintensität und den Distress [10 ]. Kritisch merkt die Autorengruppe insgesamt
an, dass langfristige Wirksamkeitsnachweise sehr selten über eine
12-Monatskatamnese (MK) hinausgehen.
Auch in deutschen Überblicksartikeln und Studien im Bereich der
stationären Rehabilitation ergaben sich keine nachhaltigen Effekte. So fasst
ein aktuelles Review zusammen, dass die additiven Effekte in der 12-MK auf die
Schmerzintensität klein und auf die Funktionskapazität klinisch
unbedeutend sind [11 ]. Ein Grund
könnte sein, dass wenige Rehabilitationsprogramme bislang
störungsspezifische Behandlungselemente integrierten, um den höheren
Behandlungsbedarf der Rehabilitanden mit psychischen Mehrfachbelastungen angemessen
zu decken. So wurde bereits 2008 für die OR gefordert, frühzeitig
psychische Risikofaktoren abzuklären und psychosomatische Interventionen
innerhalb eines multiprofessionellen Teams umzusetzen [12 ]. Vor diesem Hintergrund wurde ein
kognitiv-behaviorales störungsspezifisches
Depressionsbewältigungstraining als Ergänzung zu einem
Schmerzkompetenztraining für die OR entwickelt, das vor allem mittel- aber
auch langfristig in den psychologischen Kennwerten Depressivität und Angst
dem alleinigen Schmerzkompetenztraining überlegen war [13 ]. Des Weiteren verschlechterte sich unter
dem alleinigen Schmerzkompetenztraining die Depressivität bei Rehabilitanden
mit geringer Depressivität, sodass ein Bedarf an
primärpräventiven Maßnahmen zur Vorbeugung psychischer
Auffälligkeiten in der OR nahegelegt wurde. In einer Analyse der Effekte auf
die Schmerzverarbeitung bis zur 24-MK ergaben sich keine Unterschiede [14 ]. Somit wurde ferner die Annahme
unterstützt, dass die Schmerzverarbeitung zwar durch das alleinige
Schmerzkompetenztraining verbessert werden kann, jedoch für eine
langfristige Verbesserung psychologischer Kennwerte noch Elemente einer
Depressionsbewältigung integriert werden müssen.
Um der Relevanz psychischer Mitbehandlungen somatischer Erkrankungen gerecht zu
werden, wurde im deutschen Rehabilitationssystem 2013 ein Anforderungsprofil
für ein neues Konzept durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund
erstellt, die verhaltensmedizinisch orthopädische Rehabilitation (VMO; [15 ]). Als Schnittstelle zwischen der OR und
Psychosomatik soll hier Rehabilitanden mit psychischen Mehrfachbelastungen in
geschlossenen Bezugsgruppen eine biopsychosoziale Sichtweise auf die CRS vermittelt
werden [16 ]. In diesem Rahmen konnten eine
Rückenschule [17 ], eine
Standardrehabilitation mit verhaltensmedizinischen Elementen [18 ] und ein integratives
Schmerzbewältigungstraining ohne kognitiv-behaviorale Elemente [19 ] keine langfristigen Effekte auf
psychologische Kennwerte erzielen. Günstige Effekte zeigten sich aber
für die Schmerzbewältigung [18 ] oder Funktionsfähigkeit [19 ]. Um die positiven Effekte des störungsspezifischen Trainings
auf die VMO zu übertragen, wurde das Training in der Arbeitsgruppe um Hampel
2014 überarbeitet (Tab. 1 ) und an
die damaligen Rahmenbedingungen in der VMO angepasst [20 ]. Es ergaben sich zwar kurzfristige Effekte
des kombinierten Trainings Debora auf die geringste Schmerzintensität, aber
mittelfristig konnte keine Überlegenheit gegenüber dem
Schmerzkompetenztraining und Entspannungsübungen in der
Depressivität, Angst und schmerzbezogenen Kennwerten festgestellt werden
[21 ]. In der 12-MK konnte auch keine
Überlegenheit des kombinierten Trainings in der Depressivität und
der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit belegt werden, jedoch in dem Gesamtindex
der Arbeitsfähigkeit (Work Ability Index, WAI), der psychischen
Arbeitsfähigkeit und der Minderung der schmerzbedingten
Arbeitsunfähigkeitstage [22 ]. Zudem
deutete sich an, dass hoch depressive Rehabilitanden mehr von dem kombinierten
Training Debora profitierten.
Ziel der Studie
Das hauptsächliche Ziel der vorliegenden Analyse bestand darin, den
langfristigen Effekt von Debora und des Depressivitätsgrades auf die
Depressivität (primärer Outcome) zu untersuchen. Als
Nebenfragestellungen wurden die Einflüsse von Debora auf die Angst,
schmerzspezifische Selbstwirksamkeit und die Gefährdung der subjektiven
Erwerbsprognose (sekundäre Outcomes) im Verlauf der 24-MK untersucht.
Schließlich sollten hypothesengenerierend die Effekte auf die subjektive
Arbeitsfähigkeit und geringste Schmerzintensität geprüft
werden.
Material und Methoden
Studiendesign
Es wurde ein dreifaktorielles Design mit zwei unabhängigen und einem
abhängigen Faktor realisiert. Der erste unabhängige Faktor, die
„Experimentelle Bedingung“, wies die Abstufungen
„Kontrollgruppe“ (KG; n =207; per protocol; pp)
und „Interventionsgruppe“ (IG; n =215) auf. Der
zweite unabhängige Faktor wurde durch den Depressivitätsgrad
gebildet und war zweifach abgestuft. Anhand der Allgemeinen Depressionsskala
(ADS; [23 ]) erfolgte die Einteilung in
ohne bzw. niedrige Depressivität (ADS<23; n =208)
und mittlere bzw. hohe Depressivität (ADS ≥ 23;
n =214). Der Messwiederholungsfaktor war fünffach gestuft
und umfasste folgende Messzeitpunkte: Rehabilitationsbeginn (t0),
Rehabilitationsende (t1), 6 Monate (t2), 12 Monate (t3) und 24 Monate nach
Rehabilitationsende (t4).
Die Rehabilitanden wurden konsekutiv in die Studie aufgenommen und durch eine
Doktorandin der Europa-Universität Flensburg den beiden experimentellen
Bedingungen zugewiesen. Weder das ärztliche noch das Pflegepersonal
waren über die Zuweisung informiert. Um die Durchführbarkeit in
den Kliniken zu gewährleisten und einen Motivationsverlust in der KG zu
vermeiden, wurde eine Randomisierung mit Anteilen einer Block- und
Cluster-Randomisierung genutzt: Immer zwei der vier kooperierenden Kliniken
realisierten die KG und die anderen zwei Kliniken die IG; zudem wechselten die
Bedingungen innerhalb der Kliniken alle zwei Monate. Hierdurch sollten die
saisonalen Effekte kontrolliert und die Überschneidungszeiträume
verringert werden, in denen beide Bedingungen gleichzeitig in den Kliniken
durchgeführt wurden.
Auf der Basis früherer Befunde anderer Arbeitsgruppen und der eigenen
Arbeitsgruppe ermittelte eine Poweranalyse für einen kleinen Effekt in
der pp-Analyse in dem primären Outcome
„Depressivität“ zur 24-Monatskatamnese ein
erforderliches n =176 für jede der vier Versuchsgruppen
(vertiefend s. [22 ]).
Stichprobe
In die Studie wurden Rehabilitanden eingeschlossen, die seit mindestens sechs
Monaten CRS, eine Hauptdiagnose nach ICD-10 in den Bereichen M51, M53 oder M54
und ausreichende deutsche Sprachkenntnisse aufwiesen. Um die Wirksamkeit des
Trainings sowohl als primäre als auch sekundäre
Prävention ermitteln zu können, wurden alle Rehabilitanden
unabhängig vom Depressivitätsgrad zu Rehabilitationsbeginn in
die Studie eingeschlossen. Ausschlusskriterien waren jedoch schwere
psychiatrische oder somatische Komorbiditäten,
Unfälle/Operationen in den letzten sechs Monaten und eine
bestehende Schwangerschaft.
Die 422 Teilnehmenden waren zu Rehabilitationsbeginn im Durchschnitt 53,5 Jahre
alt (SD =5,7; Altersbereich: 32−64 Jahre) und hatten eine
mittlere Schmerzdauer von 15.8 Jahren (SD =11,1; [Tab. 2 ]). Es wurden 344 (81,5%)
Frauen und 78 (18,5%) Männer untersucht. Die Dauer der
Rehabilitation variierte zwischen 3 bis 5 Wochen; der überwiegende Teil
(74.6%) hatte einen 4-wöchigen Rehabilitationsaufenthalt. Bei
50,7% der Teilnehmenden konnten klinische Auffälligkeiten mit
der ADS [23 ] festgestellt werden. Die
Teilnehmenden der beiden experimentellen Gruppen unterschieden sich in den
aufgeführten Kennwerten nicht signifikant voneinander (ADS: KG:
MW =23,9; SD =11,6; IG: MW =22,4;
SD =11,0).
Tab. 2 Stichprobencharakteristika für die beiden
experimentellen Bedingungen und die Gesamtstichprobe.
Kennwerte
Kontrollgruppe (n =207)
Interventionsgruppe (n =215)
Gesamte Stichprobe (N =422)
Soziodemographische Daten
Alter [J] (M ±SD )
53,76±5,47
53,33±5,99
53,54±5,74
BMI [kg/m²] (M ±SD )
23,62±4,89
23,51±4,87
23,56±4,87
Geschlecht, Frauen n (%)
165 (79,7%)
179 (83,3%)
344 (81,5%)
Verheiratet n (%)
136 (67,0%)
144 (67,6%)
280 (67,3%)
Schulabschluss
n
(%)
Niedrig
43 (21,1%)
37 (17,4%)
80 (19,2%)
Mittel
133 (65,2%)
137 (64,3%)
270 (64,7%)
Hoch
28 (13,7%)
39 (18,3%)
67 (16,1%)
Erwerbstätigkeit
Vollzeit
107 (53,8%)
106 (52,0%)
213 (52,9%)
Teilzeit
71 (35,7%)
83 (40,7%)
154 (38,2%)
Erwerblos
12 (6,0%)
8 (3,9%)
20 (5,0%)
In Rente
2 (1,0%)
1 (0,5%)
3 (0,7%)
Sonstige Erwerbslosigkeit
7 (3,5%)
6 (2,9%)
13 (3,2%)
Monatliches Haushaltsnettoeinkommen
<1500€
51 (25,2%)
42 (20,5%)
93 (22,9%)
1500−3000€
93 (46,0%)
103 (50,2%)
196 (48,2%)
>3000€
58 (28,7%)
60 (29,3%)
118 (29,0%)
Schmerzdaten
Schmerzdauer [J] (M ±SD )
15,10±10,05
16,42±11,94
15,77±11,05
Chronifizierungsstadium (MPSS) n (%)
I
47 (23,5%)
49 (23,9%)
96 (23,7%)
II
97 (48,5%)
112 (54,6%)
209 (51,6%)
III
56 (28,0%)
44 (21,5%)
100 (24,7%)
Psychische Beeinträchtigung
Klinische Depression (ADS; T≥60) n
(%)
115 (55,6%)
99 (46,0%)
214 (50,7%)
Klinische Angst (HADS; T≥60) n (%)
95 (46,1%)
105 (48,8%)
200 (47,5%)
Anmerkung: BMI=Body Mass Index, ADS=Allgemeine
Depressionsskala, HADS=Hospital Anxiety and Depression Scale,
MPSS=Mainzer Stadienmodell der Schmerzchronifizierung.
Für die Studie lag ein positives Ethikvotum der Deutschen Gesellschaft
für Psychologie vor (Kürzel: PH082013_amd_112013). Die
Deklaration von Helsinki wurde eingehalten und alle Teilnehmenden unterschrieben
eine schriftliche Einverständniserklärung. Die Studie wurde beim
Deutschen Register Klinischer Studien retrospektiv registriert (DRKS00015465)
und wurde durch die DRV Bund finanziert (Kennzeichen: 8011–106 −
31/31.115).
Dropout-Analysen
Von den 2075 angesprochenen Rehabilitanden nahmen 1306 an der Studie teil
(Ausschöpfungsrate: 62,94%). Während der Rehabilitation
brachen 100 Personen die Studienteilnahme ab (Dropout-Rate: 7,66%) und
bis zur 24-MK insgesamt 833 Personen (Dropout-Rate insgesamt: 63,78%; s.
[Abb. 1 ]). Zudem wurden 51
Teilnehmende aufgrund umfangreicher fehlender Daten ausgeschlossen (4%).
Die Abbrecher waren über die beiden experimentellen Bedingungen der
Studie gleich verteilt (χ²(1)=0,012,
p =0,913). Für die intention-to-treat-(itt-)Analyse
konnten insgesamt Daten von 1225 Personen genutzt werden.
Abb. 1 Rekrutierungsverlauf und Dropouts dargestellt nach
CONSORT.
Die t -Tests über die 884 Abbrecher und die 422 Personen, die bis
zur 24-MK an der Studie teilnahmen, zeigten folgende Gruppenunterschiede
(Schwankungen in den Freiheitsgraden sind auf fehlende Werte in einzelnen
Variablen zurückzuführen): Die Studienabbrecher waren
jünger (t (1097,7)=5,50, p <0,001) und
hatten eine geringere Schmerzdauer (t (1141)=3,65,
p <0,001).
Die χ²-Tests ergaben, dass die Studienabbrecher eher
männlich (χ²(1)=5,50, p =0,019),
seltener verheiratet (χ²(1)=15,74,
p <0,001) und seltener mindestens halbtags berufstätig
waren (χ²(1)=6,16, p =0,013). Keine
Unterschiede konnten für den BMI, die Depressivität, die Angst,
die geringste Schmerzintensität, die Schulbildung, die
Arbeitsunfähigkeitszeiten und das Chronifizierungsstadium festgestellt
werden (alle p >0,05).
Versuchsdurchführung
Die Rekrutierung der Studienteilnehmer erfolgte in den VMO-Abteilungen von den
vier folgenden Kooperationskliniken: „Paracelsus-Klinik an der
Gande“ in Bad Gandersheim, „Reha-Zentrum Bad Sooden-Allendorf
Klinik Werra“ in Bad Sooden-Allendorf, „Rehabilitationsklinik
Auental“ in Bad Steben und „Rehabilitationsklinik
Göhren“ in Göhren. Nach einem Train-the-Trainer-Seminar
führten alle Kliniken einheitlich das neu entwickelte Training durch,
allerdings variierte die Gestaltung der übrigen Rehabilitationsinhalte
in den Kliniken. Die Datenerhebung für die Messzeitpunkte t0 und t1 fand
in den Kliniken im Gruppensetting von Oktober 2014 bis Dezember 2015 mit einer
Beschränkung der Gruppengröße auf n =16
statt. Die Erhebung der 24-MK wurde postalisch von Oktober 2016 bis Dezember
2017 durchgeführt.
Experimentelle Bedingungen
Das Schmerzkompetenztraining mit und ohne Depressionsprävention wurde von
Psychologen bzw. psychologischen Psychotherapeuten in geschlossenen Gruppen von
7 bis 16 Teilnehmenden durchgeführt. Das Schmerzkompetenztraining
enthielt vier Trainingseinheiten und das Depressionspräventionstraining
weitere vier Einheiten, die sich über jeweils 75 Minuten erstreckten
(vertiefend s. [20 ]). Die Inhalte wurden
überwiegend in Einzel- oder Gruppenübungen erarbeitet,
diskutiert und durch Aktivierungsübungen ergänzt.
Zusätzlich wurden in Verbindung mit den vier bzw. acht Einheiten
25-minütige Kleingruppenworkshops ohne Trainer durchgeführt, um
das Empowerment der Rehabilitanden zu steigern. Hierbei bearbeiteten die
Teilnehmenden gemeinsam eine vorgegebene Aufgabe, wodurch der Alltagstransfer
unterstützt werden sollte. Darüber hinaus erhielten alle
Rehabilitanden drei psychoedukative Vorträge zu medizinischen Aspekten,
dem biopsychosozialen Modell und der Rolle der psychischen
Komorbiditäten bei CRS.
Die KG erhielt ein Schmerzkompetenztraining (Tab. 1 ). In der ersten Trainingseinheit wurde der Zusammenhang von
Verhalten und Schmerz thematisiert und die Unterscheidung von günstigem
und ungünstigem Verhalten geübt. In der zweiten Trainingseinheit
wurde der Zusammenhang von Gefühlen und Schmerz besprochen und wie
Gefühle das Schmerzerleben verringern oder verstärken
können. In der dritten Trainingseinheit wurde der Zusammenhang von
Gedanken und Schmerz erarbeitet. Hierbei wurde vor allem auf die Rolle der
Aufmerksamkeit eingegangen und positive Gedanken wurden formuliert. Die vierte
Trainingseinheit hatte den Zusammenhang von Stress und Schmerz zum Gegenstand.
Es wurden individuelle Stresssituationen, -reaktionen und
-verarbeitungsstrategien exploriert.
In der IG wurden die Inhalte in den vier weiteren Trainingseinheiten vertieft und
Anteile eines Depressionsbewältigungstrainings integriert. Das Ziel von
Debora besteht in einer primären Prävention, indem der
Entwicklung depressiver Symptome vorgebeugt werden soll. Es verfolgt jedoch auch
sekundärpräventive Ziele, da bereits bestehende depressive
Symptome mitbehandelt werden [20 ]. In der
ersten Trainingseinheit wurden im Rahmen eines Aktivitätsmanagements
individuelle angenehme Aktivitäten exploriert. Zudem wurde ein
Aktivitäten-Gefühle-Schmerz-Protokoll eingeführt, das
die Teilnehmer im Verlauf der Rehabilitation selbstständig
führen sollten. Die zweite Trainingseinheit hatte die Kommunikation von
Schmerzen zum Thema, wobei der Fokus auf der nonverbalen Kommunikation lag. In
der dritten Trainingseinheit wurden automatische Gedanken erarbeitet, wobei auf
bagatellisierende und katastrophisierende Gedanken und das ABC-Schema
eingegangen wurde. In der vierten Trainingseinheit wurde insbesondere die
Stressverarbeitung vertieft. Ferner wurden günstige von
ungünstigen Stressverarbeitungsstrategien unterschieden und individuelle
Beispiele exploriert. Als Abschluss des gesamten Trainings wurde ein gemeinsames
Abschlussritual durchgeführt. Hierbei wurden die erlernten
Handlungsweisen und erarbeiteten Ressourcen nochmals in Erinnerung gerufen und
in Arbeitsblättern verschriftlicht. Um den geringeren zeitlichen Umfang
in der KG gleichzuhalten, wurden zusätzlich Entspannungsübungen
durchgeführt.
Messinstrumente
Die 20 Items der ADS [23 ] erfassten auf
einer vierstufigen Likert-Skala (0=„selten“, 0, bis
„meistens“, 3) die Depressivität in Bezug auf die letzte
Woche. Zudem wurde anhand der Angstskala der deutschen Version der Hospital
Anxiety and Depression Scale (HADS-D/A; [24 ]) die Angst in der letzten Woche bestimmt, die aus sieben Items
mit einer vierstufigen Likert-Skala und itemspezifischen Antwortalternativen
besteht. Die Summenwerte beider Skalen wurden gemäß den Vorgaben
der Manuale bestimmt. Die schmerzbezogene Selbstwirksamkeit wurde mittels des
Fragebogens zur Erfassung der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit (FESS) in
seiner deutschen Version erhoben [25 ]. Der
FESS enthält zehn Items, die auf einer sechsstufigen Antwortskalierung
eingeschätzt werden müssen („gar nicht
überzeugt“, 1, bis „vollkommen
überzeugt“, 6). Der Summenwert weist einen Range von 10 bis 60
auf.
Im Bereich der arbeitsbezogenen Kennwerte wurde die subjektive Gefährdung
der Erwerbsfähigkeit anhand der Skala zur Messung der subjektiven
Prognose der Erwerbstätigkeit (SPE) erhoben [26 ]. Die Skala umfasst drei Items zur
Einschätzung der derzeitigen Berufstätigkeit,
Erwerbsfähigkeit und des Rentenbegehrens. Höhere Werte geben
eine höhere subjektive Gefährdung der Erwerbsfähigkeit
an. Außerdem wurde der WAI erfasst, der die subjektive
Arbeitsfähigkeit erfragt. Es wurde die deutschsprachige Kurzversion
verwendet, die zehn Items umfasst [27 ].
Die Berechnung des WAI erfolgte anhand der Bildung von dimensionsspezifischen
Summenwerten. Der Wertebereich liegt zwischen 7 und 49. Hierbei geht der
Krankheitsstatus in den Gesamtwert ein. Deswegen wurde der WAI nicht zu
Rehabilitationsende erhoben.
Als schmerzbezogener Kennwert wurde die geringste Schmerzintensität in
den letzten zwei Wochen mit dem Deutschen Schmerz-Fragebogen der Deutschen
Schmerzgesellschaft [28 ] auf einer
11-stufigen Likert-Skala von 0 (kein Schmerz) bis 10 (stärkster
vorstellbarer Schmerz) bestimmt.
Statistische Auswertung
Zur Beantwortung der Fragestellungen wurden univariate Varianzanalysen mit den
unabhängigen Faktoren „Experimentelle Bedingung“ (KG vs.
IG), „Depressivitätsgrad“ (niedrig vs. hoch) und dem
abhängigen Faktor „Messzeitpunkt“ (prä, post, 6
Monate, 12 Monate vs. 24 Monate nach der Rehabilitation) berechnet: die
Depressivität (ADS), Angst (HADS), schmerzspezifische Selbstwirksamkeit
(FESS), subjektive Erwerbsprognose (SPE), subjektive Arbeitsfähigkeit
(WAI) und geringste Schmerzintensität. Zur Lokalisation von
Mittelwertunterschieden wurden paarweise Vergleiche mit Bonferroni-Korrektur
berechnet. Die Verletzung der Sphärizitätsannahme wurde in den
Varianzanalysen nach Greenhouse-Geisser korrigiert. Schließlich wurden
Effektstärken der abhängigen und unabhängigen
t -Tests berechnet [29 ].
Außer für den WAI und die geringste Schmerzintensität
wurden sowohl pp- als auch itt-Analysen berechnet, um die Effekte abzusichern.
Hierfür wurden zunächst multiple Imputationen auf Skalenebene
vorgenommen (N =1225), da auch bei einzelnen fehlenden Werten die
Summenwerte der Kennwerte gemäß den Vorgaben der Manuale
berechnet werden konnten. Somit wurden tatsächlich erhobene Skalenwerte
erhalten und nur bei einem höheren Anteil fehlender Werte innerhalb
eines Messinstruments wurde der Skalenwert imputiert. Durch die zehn multiplen
Imputationen wurden sowohl einzelne fehlende Werte zu den verschiedenen
Messzeitpunkten als auch die fehlenden Werte aufgrund von Dropouts ersetzt. Die
relativ umfangreichen fehlenden Werte im WAI und der geringsten
Schmerzintensität verhinderten eine Integration in den imputierten
Datensatz. Da der Little’s Missing Completely at Random (MCAR) Test
signifikant war (χ2 (2339)=2480,97,
p =0,020), wurden die itt-Befunde lediglich zur Ergänzung
herangezogen und die pp-Ergebnisse in den Vordergrund gestellt [30 ].
Die Analysen wurden mit SPSS Version 26 (SPSS Inc., Chicago, USA)
durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde auf p <0,05
festgesetzt. Die Effektstärken der abhängigen und
unabhängigen Mittelwertunterschiede wurden als klein
(d =0,20), mittel (d =0,50) und groß
(d =0,80) interpretiert [29 ]. Effektstärken unter 0,20 werden nicht beschrieben. Die
tabellarische Darstellung der abhängigen paarweisen Vergleiche
beschränkt sich aus inhaltlichen Gründen auf die Unterschiede zu
Rehabilitationsbeginn bzw. auf die rückläufigen Effekte von
Rehabilitationsende zur 24-MK.
Ergebnisse
Im Folgenden werden die varianzanalytischen Effekte mit dem Schwerpunkt auf den
pp-Analysen dargestellt ([Tab. 3 ]). Alle
einfachen Interaktionen „Bedingung und Depressivität“ waren
in den pp- und itt-Analysen nicht signifikant und werden nicht aufgeführt.
Für die pp-Analysen ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden
Bedingungen. Jedoch zeigten sich Gruppenunterschiede in den itt-Analysen.
Tab. 3 Varianzanalytische Ergebnisse zum Einfluss
„Experimentelle Bedingung, Depressivität und
Zeit“ (N=422; Auswertungen per protocol).
Kennwert
Faktoren
Bedingung (A)
Depressivität (B)
Zeit (C)
AxC
BxC
AxBxC
Depressivität (ADS)
df 1,2
1, 418
1, 418
3,3, 1387,1
3,3, 1387,1
3,3, 1387,1
3,3, 1387,1
F
0,08
259,88
126,52
1,62
30,65
1,76
p
0,772
<0,001
<0,001
0,177
<0,001
0,147
η2
0,000
0,383
0,232
0,004
0,068
0,004
Angst (HADS; N =421)
df 1,2
1, 417
1, 417
3,6, 1493,6
3,6, 1493,6
3,6, 1493,6
3,6, 1493,6
F
0,01
141,24
132,52
2,39
4,02
1,21
p
0,934
<0,001
<0,001
0,056
0,004
0,307
η2
0,000
0,253
0,241
0,006
0,010
0,003
Schmerzspezifische Selbstwirksamkeit (FESS)
df 1,2
1, 418
1, 418
3,6, 1508,8
3,6, 1508,8
3,6, 1508,8
3,6, 1508,8
F
1,28
65,65
31,16
3,07
2,44
1,49
p
0,259
<0,001
<0,001
0,019
0,051
0,209
η2
0,003
0,136
0,069
0,007
0,006
0,004
Gefährdung der subjektiven Erwerbsprognose (SPE;
N =330)
df 1,2
1, 326
1, 326
3,6, 1159,1
3,6, 1159,1
3,6, 1159,1
3,6, 1159,1
F
,004
35,66
20,18
1,58
0,40
2,77
p
0,952
<0,001
<0,001
0,183
0,787
0,032
η2
0,000
0,099
0,058
0,005
0,001
0,008
Subjektive Arbeitsfähigkeit (WAI Gesamt;
N =116)
df 1,2
1, 112
1, 112
2,6, 296,2
2,6, 296,2
2,6, 296,2
2,6, 296,2
F
0,02
13,74
13,83
4,78
0,97
1,93
p
0,904
<0,001
<0,001
0,004
0,401
0,132
η2
0,000
0,109
0,110
0,041
0,009
0,017
Geringste Schmerzintensität (N =357)
df 1,2
1, 353
1, 353
3,6, 1275,4
3,6, 1275,4
3,6, 1275,4
3,6, 1275,4
F
0,44
43,21
28,10
4,26
0,76
0,57
p
0,507
<0,001
<0,001
0,003
0,539
0,666
η2
0,001
0,109
0,074
0,012
0,002
0,002
Anmerkung: p =statistische Signifikanz,
η2= Eta-Quadrat. ADS=Allgemeine
Depressionsskala, HADS=Hospital Anxiety and Depression Scale,
FESS=Fragebogen zur Erfassung der schmerzspezifischen
Selbstwirksamkeitserwartung, WAI=Work-Ability-Index.
Interaktion „Experimentelle Bedingung, Depressivitätsgrad und
Zeit“
Lediglich eine zweifache Wechselwirkung stellte sich insgesamt in den pp-Analysen
dar. Die subjektive Gefährdung der Erwerbsfähigkeit war
nur in der IG mit hoher Depressivität zur 12- und 24-MK verbessert
(Tab. 4 ). Jedoch wurden in allen
vier Bedingungen vom Rehabilitationsende bis zur 24-MK signifikante
Verschlechterungen in der subjektiven Erwerbsprognose mit kleinen
Effektstärken festgestellt, die insbesondere in der KG mit hohen
Depressivitätswerten auftraten. Allerdings wurde die zweifache
Interaktion nicht durch die itt-Analyse bestätigt (Tab. 5 ).
Interaktion „Experimentelle Bedingung und Zeit“
Eine einfache Interaktion ergab sich in der pp-Analyse für die
schmerzspezifische Selbstwirksamkeit (Tab. 6 ). Die schmerzspezifische
Selbstwirksamkeit nahm nur in der IG zur 12- und 24-MK zu. Die itt-Analyse
bestätigte alle Effekte. Zudem ergab sich noch ein kleiner Effekt im
Gruppenvergleich zur 24-MK: Die Ausprägungen waren in der IG signifikant
höher als in der KG (p= 0,010; d =0,21).
Für die Angst konnte in der pp-Analyse lediglich eine Tendenz
festgestellt werden, die jedoch bei der itt-Analyse signifikant war und die
Effekte bei den abhängigen Vergleichen bestätigte. In der
itt-Analyse verringerten sich die Angstwerte mit mittleren Effektstärken
in der IG zur 12- und 24-MK sowie in der KG mit kleinen Effektstärken
zur 12- und 24-MK. Rückläufige Effekte von Rehabilitationsende
zur 24-MK waren in der IG klein und in der KG moderat. Zur 24-MK waren die
Ausprägungen in der Angst bei der IG signifikant niedriger als in der KG
(p= 0,006; d =0,20).
Hinsichtlich der Zusatzfragestellungen waren in beiden Kennwerten
Wechselwirkungen in den pp-Analysen nachweisbar: Die subjektive
Arbeitsfähigkeit stieg lediglich in der IG zur 12- und 24-MK an.
Die Anstiege wiesen moderate Effektstärken auf. Die geringste
Schmerzintensität verringerte sich in der IG moderat zur 12- und
24-MK. Demgegenüber sanken die Werte der KG mit kleinen
Effektstärken zur 12- und 24-MK. In der IG nahm die geringste
Schmerzintensität zwischen Rehabilitationsende und 24-MK mit kleinen
Effektstärken wieder zu.
Interaktion „Depressivitätsgrad und Zeit“
Sowohl für die Depressivität als auch für die Angst waren
einfache Interaktionen nachweisbar, die nahelegen, dass die Rehabilitanden mit
hoher Depressivität langfristig mehr profitierten (Tab. 7 ): Die Depressivität
verringerte sich nur bei Rehabilitanden mit hoher Depressivität zur 12-
und 24-MK und dies mit hohen Effektstärken. In der Angst
verbesserten sich beide Gruppen, allerdings mehr bei Rehabilitanden mit hoher
Depressivität. Rückläufige Effekte von
Rehabilitationsende zur 24-MK zeigten sich für beide Gruppen in beiden
Kennwerten. Die unabhängigen Vergleiche zeigen, dass sich die erwarteten
anfänglichen Unterschiede zuungunsten der Rehabilitanden mit hoher
Depressivität über den Rehabilitationsverlauf
zurückbildeten, jedoch bestehen blieben (ADS: prä:
p< 0,001; d =2,89; 24-MK:
p< 0,001; d =0,91; HADS: prä:
p< 0,001; d =1,30; 24-MK:
p< 0,001; d =0,78). Die itt-Analysen
bestätigten die Effekte bis auf eine Ausnahme: Die Angst nahm bei den
Rehabilitanden mit niedriger Depressivität zur 24-MK zu
(p< 0,001; d =0,26).
Die Wechselwirkung für die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit
war in der pp-Analyse tendenziell und in der itt-Analyse signifikant. Im
Gegensatz zur pp-Analyse, die übereinstimmende Ergebnisse zur
Depressivität und Angst erbrachte, verschlechterten sich in der
itt-Analyse die Rehabilitanden mit hoher Depressivität langfristig.
Haupteffekt „Depressivität“
Ein Haupteffekt, der nicht in den pp-Analysen durch Interaktionen
überlagert war, ergab sich für drei Kennwerte ([Tab. 3 ]): Die Ausprägungen in der
schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit der Rehabilitanden mit
niedrigem Depressivitätsgrad waren signifikant höher als die der
Rehabilitanden mit hohem Depressivitätsgrad (niedrig:
MW =46,0; SE =0,7; hoch: MW =37,9;
SE =0,7; d =0,79). Ein gleichgerichteter Effekt
zeigte sich für die subjektive Arbeitsfähigkeit (niedrig:
MW =32,5; SE =1,0; hoch: MW =27,3;
SE =1,0; d =0,69). Schließlich war die
geringste Schmerzintensität der Rehabilitanden mit niedrigem
Depressivitätsgrad signifikant niedriger als die der Rehabilitanden mit
hohem Depressivitätsgrad (niedrig: MW =2,7;
SE =0,1; hoch: MW =3,8; SE =0,1;
d =0,70).
Diskussion
Frühere Studien schlussfolgerten, dass der Rehabilitationserfolg langfristig
verbessert werden soll, indem die psychischen Mehrfachbelastungen der Rehabilitanden
mit CRS in den Programmen mehr adressiert werden [3 ]
[12 ]. Daran anknüpfend
wurde das kombinierte störungsspezifische Schmerzkompetenz- und
Depressionspräventionstraining Debora entwickelt, das zunächst
für die stationäre OR [13 ]
[14 ]
[31 ] und in Folge auf der Grundlage des
Anforderungsprofils der DRV Bund für die VMO [15 ] konzipiert wurde [20 ]. Ziel der vorliegenden Analyse war es, die
langfristige Wirksamkeit des zusätzlichen
Depressionspräventionstrainings (IG) im Vergleich zum
Schmerzkompetenztraining und Entspannungsübungen (KG) und des
Depressivitätsgrades auf die Depressivität, Angst,
schmerzspezifische Selbstwirksamkeit und subjektive Erwerbsprognose zu untersuchen.
Weiterhin sollten hypothesengenerierend die Effekte von Debora auf die subjektive
Arbeitsfähigkeit und geringste Schmerzintensität
überprüft werden.
Vergleich des Schmerzkompetenztrainings mit und ohne
Depressionsprävention
In der zweifachen Wechselwirkung stellte sich in der pp-Analyse lediglich ein
Effekt in der subjektiven Gefährdung der Erwerbsfähigkeit
dar, der jedoch nicht durch die itt-Analyse bestätigt wurde. Der Befund
legt nahe, dass die Rehabilitanden mit hoher Depressivität mehr von dem
kombinierten Training Debora profitierten. Ähnlich hatte sich dieses
Ergebnis in einer früheren Auswertung der kurz- und mittelfristigen
Effekte für die durchschnittliche Schmerzintensität gezeigt
[21 ]. Zukünftige Studien
müssen diesen Effekt zunächst jedoch absichern.
Einfache Interaktionen „Bedingung und Zeit“ für die
schmerzspezifische Selbstwirksamkeit und den WAI der
pp-Analysen untermauern eine langfristige Wirksamkeit mit moderaten
Effektstärken nur für das kombinierte Training Debora. Diese
günstigeren Rehabilitationsverläufe in der IG hatten sich
bereits in der Analyse der 12-MK für den WAI und die psychische
Arbeitsfähigkeit gezeigt, die noch durch eine geringere Anzahl der
schmerzbedingten Arbeitsunfähigkeitstage ergänzt wurde [22 ]. Ferner konnten günstige
Verläufe allgemein in der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit bereits
früher im Rahmen der VMO zur 12-MK nachgewiesen werden [18 ]. Die schmerzspezifische
Selbstwirksamkeit hat sich in neueren Studien als wesentlicher psychologischer
Schutzfaktor in der Schmerzchronifizierung erwiesen [7 ]. In der vorliegenden Analyse profitierte
die IG außerdem in der geringsten Schmerzintensität
langfristig moderat, während sich die KG nur mit kleinen
Effektstärken verbesserte. Dies steht im Gegensatz zu den
mittelfristigen Analysen, in denen sich die geringste Schmerzintensität
in der IG lediglich kurzfristig verbessert hatte [21 ].
Die itt-Analysen legen darüber hinaus nahe, dass das kombinierte Training
Debora in der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit und der Angst
dem alleinigen Schmerzbewältigungstraining zur 24-MK überlegen
war. Ähnlich war in der Vorläuferstudie für die 24-MK
eine Überlegenheit in der Depressivität in der itt-Analyse
festzustellen und in der Angst in der pp-Analyse [13 ]. Konsistente additive Effekte hatten
sich damals für die Depressivität, Angst und psychische
Lebensqualität nur für die 6-MK nachweisen lassen. Die
abweichenden Befunde könnten darauf zurückgeführt
werden, dass in der Vorläuferstudie die Wirksamkeit der IG nur bei den
Rehabilitanden mit höherer Depressivität untersucht wurde, die
eher von dem kombinierten Training profitieren könnten. Dies deutete
sich in der vorliegenden Analyse auch an. Vergleichbar ist allerdings, dass sich
die Überlegenheit erst in den langfristigen Katamnesen darzustellen und
sich in der 12-MK zunächst anzudeuten scheint: In der
Vorläuferstudie war die Depressivität der IG in der 12-MK
geringer als in der KG. In der vorliegenden Studie unterschritten die
Effektstärken zur 12-MK knapp das Kriterium in der schmerzspezifischen
Selbstwirksamkeit (p =0,005, d =0,19) und Angst
(p =0,018, d =0,15). Somit sollten langfristige
Studien, die über eine 12-MK hinausgehen, diese Effekte untersuchen.
Dies entspricht auch den Forderungen in der aktuellen Literatur [10 ]
[32 ].
Insgesamt ist zu diskutieren, dass die Gruppenunterschiede, die sich in der
Vorläuferstudie ergeben hatten, sich in der vorliegenden Studie
für Debora weniger zeigten. Wie bereits in unseren früheren
Arbeiten zur mittel- und langfristigen Wirksamkeit diskutiert wurde, kann die
Etablierung der biopsychosozialen Sichtweise in allen Therapieelementen der VMO
als Störfaktor angesehen werden [21 ]
[22 ]. Zu den geringeren
Gruppenunterschieden der vorliegenden Studie könnte zudem beigetragen
haben, dass die Rehabilitanden in der KG zur zeitlichen Kompensation in der
vorliegenden Studie noch Entspannungsübungen erhalten hatten. An dieser
Stelle soll noch vertieft auf die Rolle der achtsamkeitsbasierten Elemente
eingegangen werden, die sowohl im Schmerzkompetenz- als auch im
Depressionspräventionstraining implementiert wurden. Wenn auch die
Evidenzlage für die Wirksamkeit solcher Interventionen noch zu gering
ist [10 ], kann doch davon ausgegangen,
dass solche Verfahren eine emotionsbezogene Bewältigung fördern,
die insbesondere im Umgang mit unkontrollierbaren Situationen bzw. Schmerzen
indiziert ist. Somit wurde zusätzlich zur zweiten Einheit noch in der
vierten Einheit des Schmerzbewältigungstrainings durch einen Fokus auf
die emotionsbezogene Stressbewältigung und schließlich auch
durch die achtsamkeitsbasierten Elemente in allen Einheiten bei allen
Rehabilitanden eine Emotionsregulation gefördert. Dies kommt der
aktuellen Forderung entgegen, dass zukünftig Elemente eines
Emotionsregulationstrainings integriert werden sollen [32 ]: „the current therapies being
delivered do not attempt to change emotional functioning“ (S.4).
Depressivität und Rehabilitationserfolg
Übereinstimmend mit unserer Vorläuferstudie erwies sich die
Depressivität als wesentlicher Moderator des langfristigen
psychologischen Rehabilitationserfolgs [13 ]. Auch in der mittelfristigen Analyse hatte sich die
Depressivität bereits als Risikofaktor für die
Depressivität und Angst zur 6-MK ergeben [21 ]. Wie bereits die varianzanalytischen
Auswertungen der 12-MK [22 ] sprechen die
vorliegenden Analysen der 24-MK dafür, dass die Rehabilitanden mit
klinisch auffälligen Depressionswerten in der Depressivität und
schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit mehr profitierten als die Rehabilitanden
ohne bzw. mit niedriger Depressivität. Dennoch schlossen sie noch auf
einem ungünstigeren Niveau im langfristigen Rehabilitationsverlauf ab.
Der einzige negative langfristige Trend der Rehabilitanden ohne bzw. mit
niedriger Depressivität in der Depressivität der itt-Analyse
zeigte sich ähnlich in der Vorläuferstudie, dort jedoch nur bei
den Rehabilitanden ohne bzw. mit niedriger Depressivität der KG [13 ]. Die besondere Relevanz der
Depressivität spiegelt sich auch in den Haupteffekten
„Depressivität“ wider: Rehabilitanden mit
höherer Depressivität wiesen unabhängig von der Zeit
eine ungünstigere schmerzspezifische Selbstwirksamkeit, subjektive
Arbeitsfähigkeit und geringste Schmerzintensität auf. Insgesamt
unterstützen somit die Befunde den Bedarf
primärpräventiver psychologischer Interventionen in der VMO, um
einer Entwicklung von psychischen Auffälligkeiten vorbeugen zu
können.
Rückläufige Rehabilitationserfolge
Obwohl langfristige Rehabilitationserfolge wie in anderen Studien belegt werden
konnten [18 ]
[19 ]
[31 ], ist anzumerken, dass insgesamt rückläufige
Effekte von Rehabilitationsende zur 24-MK festgestellt wurden. Hierbei deuteten
sich eher bei Rehabilitanden der KG in der Angst, schmerzspezifischen
Selbstwirksamkeit und subjektiven Erwerbsprognose rückläufige
Rehabilitationserfolge an. Demgegenüber entwickelte sich in der IG die
geringste Schmerzintensität langfristig zurück. Diese zeitlich
instabilen Befunde stimmen mit früheren Ergebnissen überein
[13 ], die vor allem gute kurz- und
mittelfristige Rehabilitationserfolge mit rückläufigen Effekten
nach der 6-MK zeigten. Somit wird erneut die Relevanz von
Nachsorgemaßnahmen untermauert, die psychologische Behandlungselemente
integrieren. Worringen [16 ] wies in diesem
Zusammenhang auf das neue psychotherapeutische Nachsorgeangebot der DRV Bund hin
(Psy-RENA), das die Rückkehr zur Arbeit und die Inanspruchnahme
weiterführender Teilhabeleistungen nachhaltig begünstigen
könnte.
Methodische Einschränkungen
Trotz der literaturkonformen Ergebnisse müssen methodische
Einschränkungen diskutiert werden: Die unabhängige Variable
„Depressivität“ wurde mittels eines
Selbstbeurteilungsbogens erfasst und anhand des klinischen Cut off-Wertes
eingeteilt. Eine Abklärung von Diagnosen nach ICD-10 anhand eines
strukturierten klinischen Interviews konnte nicht realisiert werden. Allerdings
spricht die gute Vorhersage der ADS auf klinische Auffälligkeiten bei
Rehabilitanden mit CRS in der VMO für ihre hinreichende
Validität [33 ]. Ferner ist
anzumerken, dass die Inanspruchnahme von psychotherapeutischen Behandlungen und
Schmerzmedikationen im Rehabilitationsverlauf als Confounder nicht in den
Analysen berücksichtigt wurden. Aufgrund mangelhafter Berichte der
Schmerzmedikamente durch die Patienten in der Vorläuferstudie wurden
diese nicht erfragt. Zu Rehabilitationsbeginn wurden die Angaben zu
psychotherapeutischen Behandlungen im Rahmen dieser Erhebung nicht erfragt,
jedoch wurde die Inanspruchnahme von Nachsorgemaßnahmen in den
Katamnesen erfasst. Vergleiche sprechen jedoch gegen einen Unterschied in den
Häufigkeiten der Inanspruchnahme psychotherapeutischer
Nachsorgemaßnahmen zwischen den beiden Behandlungsgruppen in den
Katamnesen (6-MK (N =354):
χ2 (20)=20,98, p =0,398; 12-MK
(N =364): χ2 (19)=21,51,
p =0,309; 24-MK (N =364):
χ2 (22)=18,26, p =0,691). Des Weiteren
könnte der hohe Dropout, der sich insbesondere zur 6-MK ergab, zu
systematischen Verzerrungen der Ergebnisse geführt haben. Die Abbrecher
waren jünger, eher männlich sowie seltener verheiratet und
mindestens halbtags berufstätig und hatten eine geringere
Schmerzintensität. Jedoch unterschieden sich die Dropouts nicht zwischen
den experimentellen Bedingungen und die itt-Analysen bestätigten
mehrheitlich die Effekte. Außerdem können die Bedingungseffekte
auf den WAI und die geringste Schmerzintensität erst als
vorläufig angesehen werden, da diese beiden Kennwerte aufgrund der hohen
Rate fehlender Werte nicht durch die itt-Analysen überprüft
werden konnten. Die Gruppenunterschiede, die lediglich in den itt-Analysen
abgesichert werden konnten, sind zudem in zukünftigen Studien mit
geringeren Dropoutraten zunächst zu replizieren. Ferner wurde zwar durch
die Einschränkung der Überschneidungszeiträume versucht,
Kontaminationseffekte zu vermeiden, allerdings hätten sich in den
Übergängen der Rehabilitationsdurchgänge die
Rehabilitanden über die Behandlungsinhalte austauschen können.
Qualitative Analysen sprechen jedoch für eine große
Gruppenkohäsion mit geringem Austausch außerhalb der
geschlossenen Gruppe (vgl. [21 ]).
Schließlich ist zu kritisieren, dass die Zuweisung der Rehabilitanden
zur VMO nicht kontrolliert werden konnte (vgl. [16 ]). So wurden einerseits Rehabilitanden behandelt, die aufgrund
ihrer geringen Schmerzchronizierung und geringeren psychischen Belastung eher in
der OR versorgt werden sollten. Andererseits wurden auch Rehabilitanden
untersucht, die aufgrund ihrer hohen Schmerzchronifizierung und/oder
hohen psychischen Belastung eher der psychosomatischen Rehabilitation
hätten zugewiesen werden müssen. In einer aktuellen Arbeit
werden differenzielle Indikationskriterien vorgestellt [34 ], die Empfehlungen für die
Zuweisungssteuerung von Patienten mit psychischen Störungen erlauben und
auch für die VMO eine hohe Relevanz aufweisen.
Aufgrund der Befunde kann angenommen werden, dass das
Schmerzkompetenztraining zwar langfristig die Schmerzintensität und,
wie in der Vorläuferstudie nachgewiesen, die Schmerzverarbeitung
verbessert [14 ]. Für eine
langfristige Verbesserung der schmerzspezifischen Selbstwirksamkeit ist
jedoch das störungsspezifische
Depressionspräventionstraining erforderlich, was in
zukünftigen Studien weiter untersucht werden muss. Die
schmerzspezifische Selbstwirksamkeit gilt als wesentlicher psychologischer
Schutzfaktor in der Schmerzchronifizierung und sollte in den
Interventionsmaßnahmen adressiert werden [7 ]. Insgesamt wird nahegelegt,
psychotherapeutische Behandlungselemente und hier vor allem
kognitiv-behaviorale Methoden sowie Komponenten eines
Emotionsregulationstrainings zu implementieren und bedarfsgerecht
anzubieten. Dies entspricht den Forderungen in der aktuellen Literatur, dass
Patienten mit chronischen Schmerzen abhängig von deren
Risikofaktoren und Komplexität mit angemessenen psychologischen
Behandlungen versorgt werden müssen, um die langfristigen Effekte
mit nur kleinen Effektstärken zu erhöhen [32 ].
Förderung
Die vorliegende Studie wurde durch die DRV Bund gefördert.