Rofo 2022; 194(07): 793-796
DOI: 10.1055/a-1844-3623
DRG-Mitteilungen

Die Ausschreibungspraxis der Krankenkassen bei der Verordnung von Kontrastmitteln im Rahmen des Sprechstundenbedarfs

 

I. Einleitung

Der Bezug von Sprechstundenbedarf ist seit jeher Diskussionsgrundlage für zahlreiche Gerichtsentscheidungen, Fachbeiträge und gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Vertragsärzten, Leistungserbringern, Großhändlern, Arzneimittel- und Hilfsmittelherstellern und den Krankenkassen sowie den Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen der verschiedenen Bundesländer. Eine besondere Bedeutung kommt dabei stets dem Bezug von Kontrastmitteln als kostenintensivem Arzneimittel i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) zu. Das Interesse der leistungspflichtigen Krankenkassen an einer Regulierung und Verringerung der Kostenlast erscheint grundsätzlich nachvollziehbar, führt mitunter jedoch zu einer Benachteiligung der Hersteller/Lieferanten und/oder Vertragsärzte.

Zwei aktuelle Entscheidungen des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (LSG Ba-Wü) vom 15.10.2021, Az.: L 4 KR 3009/18 und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 09.12.2021, Az.: l 16 KR 868/18 befassen sich mit der Vergütung bei der Belieferung von Vertragsärzten mit Kontrastmittel.

Das LSG Ba-Wü stellt zugunsten der Arzneimittelgroßhändler fest, dass deren Vergütungsanspruch nicht einer Prüfung nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit unterworfen ist und somit nicht unter Hinweis auf einen vermeintlichen Verstoß gegen eben solches gemindert oder die Zahlung durch die zuständige Krankenkasse verweigert werden kann.

Einen Dämpfer hat die betroffene Krankenkasse auch hinsichtlich des fragwürdigen Ausschreibungsverhaltens für Sprechstundenbedarf erhalten. Zwar sieht das LSG Ba-Wü die Ausschreibungspraxis als grundsätzlich zulässig an, eine Verbindlichkeit der Vertragsärzte, ausschließlich bei den Ausschreibungsgewinnern Sprechstundenbedarf zu bestellen, folge daraus jedoch nicht.

Mit der Ausschreibungspraxis der Krankenkassen und der fehlenden Rechtsgrundlage für eine Verpflichtung der Vertragsärzte, ausschließlich bezuschlagte Kontrastmittel zu verordnen, hatten wir uns bereits in dem Beitrag Radiologie & Recht 8/2020 (Fortschr Röntgenstr 2020; 192: 797–800) auseinandergesetzt und dargelegt, warum die Ausschreibung von Kontrastmitteln in Verbindung mit einer Bezugsverpflichtung für die Radiologen und damit auch die Festsetzung entsprechender Regresse rechtswidrig ist. Das Urteil des LSG NRW ist das Berufungsurteil zu dem von uns in dem genannten RöFo-Beitrag besprochenen erstinstanzlichen Urteil des SG Düsseldorf.

Das LSG NRW bestätigt nun, dass die zuständige Krankenkasse den Arzneimittelherstellern und -lieferanten vermeintlich exklusive Verträge mit dritten Unternehmen zur Kürzung oder Verweigerung der Zahlung von Vergütungsansprüchen nicht entgegenhalten kann. Eine exklusive Bezugsverpflichtung hat das LSG Ba-Wü in Übereinstimmung dazu ebenfalls verneint.


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II. Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15.10.2021, Az.: L 4 KR 3009/18

1. Wirkstoffbezogene Ausschreibung

Die Entscheidung des LSG Ba-Wü betraf die Vergütung eines Arzneimittelgroßhändlers von an Arztpraxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland gelieferte Kontrastmittel als Sprechstundenbedarf.

Das Urteil des LSG revidiert die Entscheidung des vorbefassten Sozialgerichts (SG) Mannheim in dessen Kernaussage. Das SG war rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, der Arzneimittellieferantin stünde ein Vergütungsanspruch für unstreitig gelieferte Kontrastmittel bereits deswegen nicht zu, da diese kein gelisteter bezuschlagter Anbieter von Sprechstundenbedarf zur Belieferung von radiologischen Vertragsarztpraxen sei.

Die klagende pharmazeutische Großhändlerin vertreibt Kontrastmittel u. a. an vertragsärztlich tätige Radiologen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Gegenüber der Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung machte sie einen Vergütungsanspruch verschiedener Lieferungen von Kontrastmitteln auf der Grundlage der SSB Vereinbarung (SSBV) als Sprechstundenbedarf geltend.

2016 schrieben verschiedene Krankenkassen durch Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union den „Abschluss von Rahmenverträgen zur Belieferung der radiologisch tätigen Vertragsarztpraxen in den Bezirken der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein und in den Ländern Rheinland-Pfalz und Saarland“ aus. Die Ausschreibung erfolgte unter Einteilung verschiedener Kategorien nach Wirkstoffen PZN-bezogen als Teillose. Aus Wirtschaftlichkeitsgründen seien die Vertragsärzte verpflichtet, während der Laufzeit des ausgeschriebenen Rahmenvertrages den Bedarf an Wirkstoffen aus einem Fachlos nur mit bezuschlagten Kontrastmitteln zu befriedigen. Die Arzneimittellieferantin hatte an dem Ausschreibungsverfahren nicht teilgenommen.

Die Krankenkasse teilte den Radiologen schriftlich mit, dass die Belieferung von Kontrastmittel durch die nach europaweiter Ausschreibung bezuschlagten pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern erfolge. Daraufhin beantragte die Arzneimittellieferantin eine einstweilige Verfügung beim SG Mannheim, die Krankenkasse solle es unterlassen, das genannte Schreiben an Vertragsärzte zu versenden ohne hinzuzufügen, dass der jeweilige Arzt auch andere Lieferanten unter Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots beauftragen könne. Der Antrag wurde abgelehnt, ebenso wie ein weiterer Antrag bei dem Landgericht Mannheim.

Die Arzneimittellieferantin erhob Klage vor dem SG Mannheim, welche mit der Begründung abgewiesen wurde, die Abgabe sei nicht innerhalb eines Monats erfolgt, die Zahlung sei rechtmäßig verweigert worden, die Arzneimittellieferantin sei als nicht bezuschlagte Anbieterin zu den Lieferungen nicht berechtigt gewesen und habe keine öffentlich-rechtliche Leistungspflicht erfüllt.


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2. Garantiefunktion des Vertragsarztes im Rahmen der Arzneimittelverordnung

In seinen Entscheidungsgründen stellt das LSG klar, dass die nach erfolgter Ausschreibung durch die Krankenkassen mit den jeweiligen Zuschlagsgewinnern geschlossenen Rahmenverträge für die Lieferung von Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf dem Vergütungsanspruch eines Arzneimittelherstellers oder -lieferanten, welcher die Ausschreibung nicht gewonnen oder nicht an dieser teilgenommen hat, nicht entgegenstehen.

Das Urteil des LSG Ba-Wü stärkt damit zum einen die Position der Arzneimittelhersteller und -händler, zum anderen aber auch die Eigenverantwortlichkeit der Vertragsärzte, indem festgestellt wird, dass die Verordnung von Sprechstundenbedarf durch den Vertragsarzt eine Garantiefunktion besitzt, dieser demnach bereits vor der Verordnung eigenverantwortlich geprüft hat, dass die verordneten Produkte korrekt ausgewählt wurden und für die Untersuchung oder Behandlung seiner Patienten geeignet und notwendig sind.

Die Garantiefunktion der aufgrund einer SSBV erfolgenden Verordnung von Sprechstundenbedarf durch den Vertragsarzt im Rahmen des Sachleistungssystems der Krankenversicherung hat das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 20.10.2004 (B 6 KA 41/03 R – juris Rn. 28), festgestellt. Einer weiteren Überprüfung durch die zuständige Krankenkasse bedarf es dann zunächst nicht mehr, sondern diese ist als sprechstundenbedarfsabwickelnde Krankenkasse verpflichtet, die Kosten des von den Vertragsärzten verordneten Sprechstundenbedarfs gegenüber dem Händler bzw. Lieferanten zu begleichen (vgl. BSG Urt. v. 06.05.2009, Az.: B 6 KA 2/08 R – juris Rn. 20).

Anspruchsgrundlage für die Vergütungen der Arzneimittellieferantin ist Abschnitt IV Nr. 1 i. V. m. Nr. 5 Satz 3 der Sprechstundenbedarfsvereinbarung Rheinland-Pfalz (SSBV RLP) i. V. m. den jeweiligen vertragsärztlichen Verordnungen.

Als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig sind in Rheinland-Pfalz nur die in Anlage 1 der SSBV RLP aufgeführten zulässigen Arznei- und Hilfsmittel (Abschnitt I Nr. 1 Satz 1 und 2), worunter auch Kontrastmittel fallen. Sprechstundenbedarf ist zulasten des festgelegten Kostenträgers, der zuständigen Krankenkasse, direkt zu verordnen.

Die nach den §§ 44 oder 47 des AMG in der jeweiligen Fassung von der Apothekenpflicht oder von der Vertriebsbindung über die Apotheken ausgenommenen Mittel (z. B. Verbandmittel, Kontrastmittel, Infusionslösungen mit min. 500 ml pro Einheit, injizierbare Diagnostika) sollen nach Nr. 4 Satz 1 der SSBV RLP direkt vom Hersteller oder Großhandel bezogen werden, wenn ein solcher Direktbezug wirtschaftlicher ist. Denn eine Vertriebsbindung über Apotheken besteht für Kontrastmittel nicht (§ 47 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d AMG; vgl. Bundeskartellamt Bonn, Beschluss vom 7. Mai 2018 – VK 1–31/18 – juris, Rn. 2; LSG NRW, Beschluss vom 27. Mai 2010 – L 21 KR 11/09 SFB – juris, Rn. 2). Die Rechnung des Lieferanten ist mit der Verordnung des Arztes bei der zuständigen Krankenkasse einzureichen (Nr. 5 Satz 1), aus dieser sollen Art und Menge des Mittels, die Kosten der Lieferung sowie ein etwaig vom Vertragsarzt verauslagter Betrag ersichtlich sein.

Sofern die Verordnung auf Grundlage der SSBV i.V.m. den Abrechnungsbedingungen ordnungsgemäß erfolgt, ist der Vergütungsanspruch des jeweiligen Herstellers oder Lieferanten demnach zu befriedigen.

Insbesondere ist der Vergütungsanspruch nicht nach Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten durch die zuständige Krankenkasse zu prüfen. Bei Rechnungstellung durch den Lieferanten findet eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie den Regelungen in Abschnitt IV Nr. 5 zu entnehmen ist, nicht statt, sondern erst nachträglich im Rahmen der zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Antrags- bzw. Prüfungsfristen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 6. Mai 2009 – B 6 KA 2/08 R – juris, Rn. 20) – und zwar sodann bei dem verordnenden Vertragsarzt und nicht bei dem Arzneimittelhersteller/-lieferanten.

Nach Abschnitt VI Nr. 1 der SSBV RLP erfolgt die Wirtschaftlichkeitsprüfung der vertragsärztlichen Verordnungen von Sprechstundenbedarf und die Verordnungsfähigkeit der jeweiligen Gegenstände und Substanzen auf der Ebene der Betriebsstätte durch eine Gemeinsame Prüfungseinrichtung, welche sachlich-rechnerische Berichtigungen und zusätzlich auf Prüfanträge Wirtschaftlichkeitsprüfungen nach den Bestimmungen der zwischen den Verbänden der Krankenkassen und der KV Rheinland-Pfalz getroffenen Prüfvereinbarung (Abschnitt VI Nr. 4) vornimmt. Sofern andere als die zulässigen Mittel verordnet wurden, kann die Gemeinsame Prüfungseinrichtung im Wege sachlich-rechnerischer Richtigstellung die entsprechenden Kosten festsetzen und vom Vertragsarzt erstattet verlangen (Abschnitt VI Nr. 2 Satz 1).

Von dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus der SSBV RLP nicht betroffen ist jedoch der Vergütungsanspruch des Arzneimittelherstellers/-lieferanten, da dieser nicht Vertragspartner der SSBV und per Definition auch nicht Leistungserbringer i.S.d. des SGB V ist. Leistungserbringer sind die in § 69 Abs. 1 SGB V aufgeführten Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten und Apotheken sowie die sonstigen Leistungserbringer, für die die §§ 132 ff. SGB V nähere Regelungen enthalten. Arzneimittelhersteller/-lieferanten sind dort nicht aufgeführt und unterliegen damit nicht den Regelungen des SGB V. Daran ändert auch nichts, dass Direktlieferanten aus abrechnungstechnischen Gründen in den Abrechnungsrichtlinien des GKV-Spitzenverbandes als Leistungserbringer bezeichnet werden.

Zwar betrafen die belieferten Verordnungen Kontrastmittel, die seitens der Krankenkasse im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung anderweitig bezuschlagt wurden, die Bezuschlagung eines konkreten Anbieters schließt die Vergütung der Belieferung einer vertragsärztlichen Verordnung durch einen anderen Anbieter ausweislich des LSG jedoch nicht aus, da diese keine exklusiven Liefer- bzw. Versorgungsberechtigungen der Ausschreibungsgewinner zur Folge haben. Ein Ausschluss der „Nicht-Gewinner“ kann aufgrund der Ausschreibung nicht begründet werden, da selbst der nach der Ausschreibung geschlossene Rahmenvertrag eine alleinige Zulassung von den Zuschlagsgewinnern und Vertragspartnern für das jeweilige Fach- und Gebietslos nicht vorsieht. Im Umkehrschluss ist auch kein Ausschluss anderer Anbieter als nicht zugelassene Leistungserbringer normiert.

Eine Ablehnung der Zahlung seitens der Krankenkasse war lediglich in denjenigen Fällen zulässig, in denen die Verordnungen nicht ordnungsgemäß und unter Beachtung der erforderlichen Angaben gemäß den Abrechnungsbedingungen ausgefüllt waren und in denen die Lieferfrist von einem Monat ab Ausstellung gem. § 3 Abs. 6 S. 1 der Abrechnungsbedingungen überschritten worden war. Bei Fristüberschreitung ist die Krankenkasse berechtigt, auf Null zu „retaxieren“ (S. 2).


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III. Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 09.12.2021, Az.: L 16 KR 868/18

Auch das LSG NRW verneint den Einwand von Krankenkassen, der Zahlungsverpflichtung von Arzneimittelherstellern/-lieferanten könnten mit Dritten geschlossenen Exklusivverträge entgegenhalten werden.

1. Exklusivverträge sind keine Rabattverträge

Bei diesen Exklusivverträgen handelt es sich nicht um Rabattverträge im Sinne des § 130a Abs. 8 SGB V (a.A. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 22.02.2021 – L 4 KR 200/21 ER-B –, juris Rn. 79). Dies folgt schon aus der Einbeziehung des Großhandels in die Ausschreibung, weil dieser nicht zu den pharmazeutischen Unternehmen im Sinne des § 130a Abs. 8 Satz 1 SGB V zählt (LSG NRW, Beschluss vom 27.05.2010 – L 21 KR 11/09 SFB -, juris Rn. 25). Sie sind daher für nicht bezuschlagte Arzneimittelhersteller oder –lieferanten auch nicht unmittelbar verbindlich.


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2. Fehlende Ermächtigung zur Ausschreibung

Ebenso wenig enthalten die SSBVen für Rheinland-Pfalz und das Saarland (im Gegensatz zu anderen landesvertraglichen Regelungen z. B. in Westfalen-Lippe) eine Ermächtigung der Krankenkassen zur Ausschreibung solcher Rabattverträge.

Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen auf Grund des jeweiligen Belieferungsvertrages steht unabhängig von dessen Rechtsnatur (öffentlich-rechtlicher Vertrag sui generis oder Kaufvertrag; in letzterem Sinne LSG Hamburg, Urteil vom 24.02.2011 – L 1 KR 32/08 –, juris Rn. 15 ff., Arndt, NZS 2009, 367) fest (vgl. LSG NRW, Urteil v. 09.12.2021, Az.: L 16 KR 868/18, Rn. 29).

Dass diese grundsätzliche Zahlungsverpflichtung der gesetzgeberischen Vorstellung entspreche, folge aus den entsprechenden Eingriffsbestimmungen des SGB V. Die Normen des § 130a Abs. 8 SGB V „Rabatte der pharmazeutischen Unternehmer“ und die zwischenzeitlich außer Kraft getretene Fassung des § 132e Abs. 2 SGB V durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz vom 22.12.2010 (BGBl. I 2262) – Berechtigung der Krankenkassen Verträge mit einzelnen pharmazeutischen Unternehmen zur Versorgung der Versicherten mit bestimmten Impfstoffen zu schließen – zeigen, dass der Gesetzgeber ausdrückliche Regelungen für erforderlich erachtet, soweit den Krankenkassen hinsichtlich der Arzneimittelversorgung der Versicherten das Recht eingeräumt werden soll, in die Preisgestaltung einzugreifen. An einer solchen ausdrücklichen Regelung fehlt es aber hinsichtlich der Verordnung von Kontrastmittel.

Auch ansonsten sieht das SGB V ein Recht zur Ausschreibung von Rabattverträgen der Krankenkassen nicht vor. Insbesondere folgt dieses nicht aus dem allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 SGB V i. V. m. der Vertragsfreiheit, denn der damit verbundene Eingriff in die Gewerbefreiheit der Lieferanten erfordert eine spezielle Rechtfertigung, die sich allein aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht herleiten lässt (a.A. bei lediglich summarischer Prüfung LSG NRW Beschluss vom 27.05.2010 – L 21 KR 11/09 SFB).

Insoweit stimmt das LSG NRW dem LSG Ba-Wü hinsichtlich der nicht erforderlichen Wirtschaftlichkeitsprüfung zu, da die Wahrung des Wirtschaftlichkeitsgebots gem. § 12 SGB V bereits über den verordnenden Vertragsarzt erreicht wird.


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3. Ausschluss nicht bezuschlagter Arzneimittel verstößt gegen Art. 12 Abs. 1 GG

Ein Ausschluss von nicht bezuschlagten Arzneimittelherstellern/-lieferanten ist an dem Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu messen. Denn das Grundrecht der Berufsfreiheit umfasst auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen selbst festzusetzen oder mit den Interessenten auszuhandeln (vgl. BVerfGE 101, 331; 106, 275; 117, 163). Durch die – rechtswidrige – Ausschreibungspraxis und den Versuch, nicht bezuschlagte Anbieter von der Belieferung von Vertragsärzten gänzlich auszuschließen, nimmt die jeweilige Krankenkasse nicht nur Einfluss auf die mit dem Vertrieb von Kontrastmittel zu erzielende Preise, sondern versucht eine Regulierung der Preisgestaltung über eine Verdrängung nicht bezuschlagter Anbieter vom Markt durch den Abschluss von Exklusivverträgen zu erreichen. Ein solcher elementarer Eingriff bedürfe einer gesetzlichen Ermächtigung.

Mit der Norm zur Regelung der Rabatte von pharmazeutischen Unternehmern nach § 130a Abs. 8 SGB V hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auseinandergesetzt und ausgeführt, dass eine Beteiligung des Bundesrates bei der Einführung des § 130a Abs. 8 SGB V nicht erforderlich war, weil den Krankenkassen hierdurch kein neues Instrumentarium zur Verfügung gestellt worden ist, sondern lediglich das Verwaltungshandeln durch Abschluss öffentlicher Verträge, wie es bereits durch die §§ 53 ff. SGB X kodifiziert war, modifiziert worden ist (BVerfG, Urteil v. 13.09.2005, Az.: 2 BvF 2/03, BVerfGE 114, 196–257, SozR 4-2500, Rn. 166).

Das – modifizierte – Verwaltungshandeln begründet jedoch ebenfalls kein Recht der Krankenkassen, allein aufgrund der bestehenden Vertragsfreiheit beliebige Rabattverträge zum Nachteil von pharmazeutischen Unternehmen und Großhändlern abzuschließen.

Ohne die Regelung des § 130a Abs. 8 SGB V – welche vorliegend nicht anwendbar ist – fehlt aber eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, um einen zusätzlichen Preisabschlag gegenüber pharmazeutischen Herstellern anzuordnen (BVerfG a. a. O., Rn.172).

Die Vereinbarkeit des § 130a Abs. 8 SGB V mit der Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG hat das BVerfG bestätigt, weil die betroffenen Unternehmen bei der Preisbildung ohnehin aufgrund der schon zuvor bestehenden Bestimmungen des SGB V über die Preise für Arzneimittel Reglementierungen unterworfen waren (BVerfG a. a. O. Rn. 224). Dies belegt jedoch, dass allein das Wirtschaftlichkeitsgebot i. V. m. der Vertragsfreiheit derartige Eingriffsrechte der Krankenkassen durch den Abschluss von verbindlichen Rabattverträgen nicht rechtfertigt.

Für solche Eingriffe bedürfte es einer gesetzlichen Grundlage, welche vorliegend schlicht fehlt.

Auch die europaweit durchgeführte Ausschreibung der Belieferungsverträge für Kontrastmittel und die diesbezüglich geführten Vergabeverfahren implizieren keine bereits erfolgte Prüfung der Beschränkungen der Preisgestaltung von Herstellern und Großhändlern. Denn in den Vergabeverfahren wird ausschließlich die Verletzung vergaberechtlicher Bestimmungen geprüft, nicht aber die Statthaftigkeit der ausgeschriebenen Verträge und deren Wirkungen infolge der Bestimmungen des Sozialgesetzbuchs (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.06.2018 – VII-Verg 59/17).

Nachdem die Rabattverträge nur inter partes, d. h. zwischen den Vertragsparteien Wirkung entfalten, können nicht bezuschlagte Anbieter sich auf die ihnen gegenüber bestehende Unwirksamkeit solcher Vertragsvereinbarungen berufen.


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IV. Fazit

Die Entscheidungen des LSG Ba-Wü und LSG NRW tragen zu einer Rechtssicherheit für Radiologen im Rahmen der Verordnung von Kontrastmitteln bei, denn durch die Urteile ist damit obergerichtlich festgestellt worden, dass von den Ausschreibungen der Krankenkassen abweichende Verordnungen von Kontrastmitteln vorgenommen worden dürfen. Entsprechende Regresse seitens der Gemeinsamen Prüfungseinrichtungen von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen sind als rechtswidrig anzusehen.

Beide LSG haben wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Angelegenheit die Revision zum BSG zugelassen. Insoweit bleibt eine höchstrichterliche Entscheidung des BSG zunächst abzuwarten. Die Entscheidungsgründe – insbesondere des LSG NRW – sind jedoch schlüssig, detailliert und durch die entsprechenden zugrundeliegenden Rahmenverträge und Rechtsgrundlagen begründet, sodass eine gleichlautende Entscheidung des BSG nicht unrealistisch erscheint. Nach diesseitiger Auffassung hat sich das BSG sodann auch grundsätzlich mit der Rechtmäßigkeit der Ausschreibungspraxis in Bezug auf Sprechstundenbedarf auseinanderzusetzen.

Rechtsdogmatisch überzeugen zudem die anhand der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts untermauerten Rechtsausführungen des LSG NRW. Das LSG NRW bestätigt die diesseitige Auffassung, dass bereits die Ausschreibungspraxis der Krankenkassen i. V. m. einer Bezugsverpflichtung für Radiologen jeglicher gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage entbehrt.

Des Weiteren ist festzuhalten, dass die von den Krankenkassen mit Dritten geschlossenen Exklusivverträge keine Rabattverträge i.S.d. § 130a Abs. 8 SGB V darstellen und daher für nicht bezuschlagte Arzneimittelhersteller oder -lieferanten nicht unmittelbar verbindlich sind.

Bei unterschiedlichen Bezugsmöglichkeiten für ein und dasselbe Medikament hat der Vertragsatzt zwar jeweils den günstigeren Bezugsweg auszuwählen (vgl. BSG Urteil v. 13.05.2015, Az.: B 6 KA 18/14 R – SozR 4-2500 § 106 Nr.51). Dies schließt jedoch nicht im Umkehrschluss die Wahl eines nicht bezuschlagten Anbieters aus.

In jedem Fall müssen auf eine vermeintlich fehlende Wirtschaftlichkeit abzielende oder bereits durchgeführte Regresse von Radiologen keinesfalls widerspruchslos hingenommen werden. Abgesehen davon, dass weiterhin erhebliche Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Ausschreibung von Sprechstundenbedarf, insbesondere von Kontrastmitteln, durch die Krankenkassen und eine Bezugsverpflichtung der Radiologen sprechen, bleibt für einen Regress bei einer ordnungsgemäßen Verordnung unter nachvollziehbarer Wahl der Bezugsquelle und Auswahl des für die eigenen Patienten wirtschaftlichen Arzneimittels kein Raum. Die zuständige Krankenkasse darf insoweit nur bei der Einhaltung des wirtschaftlichen Bezugsweges behilflich sein, indem diese den Vertragsärzten eine Information über das Ergebnis der Ausschreibung zukommen lässt. Eine Verpflichtung der Vertragsärzte, ausschließlich die Ausschreibungsgewinner zu beauftragen resultiert daraus nicht.

Entscheidend zum Schutz vor Regressen erscheint daher die genaue Einhaltung der in der jeweiligen SSBVen und Abrechnungsbestimmungen aufgeführten formalen Kriterien zum Ausfüllen der jeweiligen Verordnung. Sofern andere als die Ausschreibungsgewinner beauftragt werden, sollte dies kurz schriftlich begründet werden, um spätere Unstimmigkeiten zu vermeiden.

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Christina Feldmeier-Budelmann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

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Publication History

Article published online:
11 July 2022

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