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DOI: 10.1055/a-1856-9537
Tue Gutes und sprich darüber!
Do good and talk about it!Die Geschichte der Kinderrheumatologie in Deutschland ist ein Beispiel für den Erfolg einer beharrlichen und engagierten Arbeit von Kinderärztinnen und -ärzten, die es auf erfreuliche Art verstanden haben, die Fortschritte der molekularen Medizin, der Medikamentenentwicklung, der Datenverarbeitung und der Kommunikation für das Wohl rheumakranker Kinder nutzbar zu machen.
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In dieser Ausgabe erscheint ein umfassender und kompetenter Bericht über die Langfristentwicklung der Kinder- und Jugendrheumatologie, verfasst von Herrn Prof. Johannes-Peter Haas und Frau Prof. Kirsten Minden, zwei in diesem Fachgebiet führend tätigen Kollegen [1].
Aus dem Bericht wird deutlich, dass Fortschritte in der Kinderrheumatologie alle Bereiche des medizinischen Alltags betreffen. Trotz der relativen Seltenheit rheumatischer Krankheitsbilder im Kindesalter stellt die Patientenzahl von ca. 22.000 bis 25.000 betroffenen Kindern (bei ca. 14. Millionen Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland) eine sehr relevante Größe dar. Fortschritte in der Molekulargenetik haben ermöglicht, eine Reihe dieser Krankheitsentitäten als genetisch bedingt zu charakterisieren. Dies gilt v. a. bei Kindern mit rezidivierenden Fieberschüben ohne erkennbare Ursache. Bei ihnen wurden zahlreiche Mutationen von Genen identifiziert, die Zytokine oder Regulationsfaktoren kodieren, welche in proinflammatorischen Signalübertragungswegen des angeborenen Immunsystems aktiv sind. Daher werden „autoinflammatorische“ Erkrankungen (autoinflammatory disease=AID) des Kindes- und Jugendalters heute zu einer eigenständigen Krankheitsgruppe zusammengefasst, deren Unterformen im vorliegenden Artikel angesprochen werden. Auch die Subtypen der juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA) sind in den letzten Jahrzenten immer besser charakterisiert worden, erkennbar an der mehrfachen Überarbeitung der Nomenklatur, welche mittlerweile 8 Unterformen der JIA unterscheidet.
Die Therapie kinderrheumatologischer Krankheitsbilder hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nachhaltig verbessert – erkennbar daran, dass schwere Schadensfolgen wie Gelenkzerstörungen, Fehlstellungen, Minderwuchs, Augen- und Organschäden heute kaum noch auftreten. Die Autoren zeigen mit zwei instruktiven Grafiken und einer Tabelle, wie viele Neuentwicklungen und in den letzten Jahren Eingang in die Praxis gefunden haben, allen voran die Biologika (gerichtet gegen TNF- alpha, Interleukin I und 6 sowie gegen B-Zell-Antigene), aber auch die JAK-Inhibitoren. Sie zeigen auch, wie sich die Behandlung weg bewegte von einer auf Steroiden und nichtsteroidalen Antirheumatika basierenden Medizin hin zum verbreiteten Einsatz von Biologika bei unveränderter Popularität von Methotrexat. Früher verwendete konventionelle Immunsuppressiva kamen in der Pädiatrie meist empirisch und nicht selten als off-label Anwendung zur Anwendung, basierend auf (oft mangelhaften) Daten der Erwachsenenmedizin. Im Gegensatz dazu fußt der Einsatz von Biologika und JAK-Inhibitoren auf suffizienten Studien mit für die Kinderrheumatologie validierten Erfolgsparametern. Diese Studien bildeten die Grundlage für reguläre Zulassungsverfahren und schafften Rechtssicherheit für die Anwender. In Folge dieser Verbesserungen stieg der Anteil von Betroffenen ohne Krankheitsymptome zwischen den Jahren 2000 und 2018 auf das Zwei- bis Dreifache.
Auch strukturell hat sich in der Kinder- und Jugendrheumatologie vieles positiv verändert. Seit 2004 ist von der Bundesärztekammer die Kinderrheumatologie als Subspezialität der Kinder-und Jugendmedizin anerkannt. 2005 bildete sich aus der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendrheumatologie der DGRh die eigenständige Gesellschaft für Kinder- und Jugendrheumatologie (GKJR). Mehr als 200 Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendrheumatologie stehen mittlerweile für die ambulante Versorgung und die Betreuung an 60 stationären Einrichtungen bereit. Ihre Arbeit an den Patienten kann sich auf validierte, praxistaugliche Messinstrumente stützen, die einen Therapieerfolg quantifizieren und ein Therapieversagen frühzeitig anzeigen können. Diese KollegInnen leiten der Kerndokumentation des Deutschen Rheumaforschungszentrums pro Jahr zwischen 13.000 und 14.000 Falldokumentationen zu, und sorgen so für einen kontinuierlichen Wissenszuwachs zu Verläufen, Spätfolgen und Langzeitprognose auch seltener Entitäten. Und nicht zuletzt hat das jahrelange Engagement um die Einführung von Transitionssprechstunden dazu geführt, dass die jugendlichen Patientinnen und Patienten auf strukturierte und kompetente Art in die Betreuung der Erwachsenenrheumatologie überführt werden, wenn ihr Verlauf dies notwendig macht.
Die Geschichte der Kinderrheumatologie in Deutschland zeigt auf eindrucksvolle Weise, zu welchen Leistungen der Wille zur Kooperation, die Bereitschaft zur Innovation und das mobilisierende Engagement aller Beteiligten – darunter Ärzteschaft, Eltern und Fachkräfte in Physiotherapie, Ergotherapie und Rehabilitation – befähigen kann. Über diese Entwicklung legt der vorliegende Artikel ein lesenswertes Zeugnis ab.
Gernot Keyßer
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Literatur
- 1 Haas J-P L, Minden K. Langfristentwicklungen in der Kinder- und Jugendrheumatologie. Akt Rheumatol 2021; 46: 399-408
Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
04. Oktober 2022
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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart,
Germany
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Literatur
- 1 Haas J-P L, Minden K. Langfristentwicklungen in der Kinder- und Jugendrheumatologie. Akt Rheumatol 2021; 46: 399-408