Auf einer offenen Station einer Klinik verweigert ein freiwillig zur Aufnahme gekommener
Mitte 30-jähriger Patient die Medikation und widersetzt sich der Unterbringung. Der
hinzugerufene Sicherheitsdienst fixiert den Patienten, eine Krankenhausmitarbeiterin
verabreicht die Medikation. Der Patient verliert das Bewusstsein, es kommt zum Herz-Kreislauf-Stillstand
und er muss reanimiert werden. Tage später verstirbt der Patient. Das LKA ermittelt.
Ein nicht einsichts- und steuerungsfähiger Patient mit einer Manie im Rahmen einer
bipolaren Störung ist auf einer geschützten Station zunehmend bedrohlich, auch provokant
gegen den Sicherheitsdienst, schlägt gegen die Tür, bis diese bricht, und bedroht
die Mitarbeiter*innen. Personal und Sicherheitsdienst können ihn nicht begrenzen,
sodass ein Polizeieinsatz auf der Station notwendig wird. Acht Polizeibeamt*innen
sind schließlich erforderlich, um den Patienten zu fixieren.
Die beiden Beispiele zeigen die negativen Endpunkte auf einer fiktiven Nutzen-Risiko-Skala.
Dennoch: Vor dem Hintergrund (tatsächlich oder lediglich dokumentierter?) zunehmender
Gewalt in psychiatrischen Kliniken [1] und dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 3 und 4 ArbSchG) wird in letzter Zeit immer wieder
der Einsatz von externen (privaten) Sicherheitsdiensten diskutiert. Sicherheitsdienste
werden meist von Pflegenden gefordert, da sie (vermeintlich) Sicherheit auf Station
bringen, insbesondere wenn aggressive, nicht einsichts- und steuerungsfähige Patient*innen
auf einer geschützten Station der Allgemeinpsychiatrie oder der Suchtmedizin sind.
Für eine evidenzbasierte Entscheidung bezüglich des Einsatzes eines Sicherheitsdienstes
wären Studien dringend erforderlich. Wissenschaftliche Belege oder zumindest publizierte
Zahlen für eine erhöhte Sicherheit bzw. weniger Übergriffe auf Station bei Anwesenheit
eines Sicherheitsdienstes gibt es meines Wissens nicht. Trotzdem: Manche Klinken haben
auf ihren geschützten Akutstationen Sicherheitsdienste über 12–24 Stunden fest installiert
oder nachts und an Wochenenden oder anlassbezogen im Einsatz. Der Sicherheitsdienst
soll dabei nicht nur eine unmittelbare Gefahr für Mitarbeiter*innen (und andere Patient*innen)
abwenden, sondern auch durch die ständige Präsenz „präventiv“ wirken. Mancherorts
wird der Einsatz von externen Sicherheitsdiensten als unverzichtbar gesehen. Es gibt
allerdings eine Reihe von Gründen, die gegen den Einsatz eines Sicherheitsdienstes
sprechen:
-
Übergriffe können durch einen Sicherheitsdienst häufig nicht verhindert werden. Oft kommt es unvermittelt zu plötzlichen, impulshaften aggressiven Handlungen (z. B.
Faustschläge, Fußtritte), die so schnell erfolgen, dass selbst ein auf Station anwesender
Sicherheitsdienst zu spät kommt. Aggressive, krankheitsbedingt nicht steuerungs- und
einsichtsfähige oder gezielt instrumentelle Aggression einsetzende Patient*innen (explizit
beiderlei Geschlechts [2]) können manchmal nur durch eine hohe Personalpräsenz von weiterer Gewalt abgehalten
werden, ein bis zwei zusätzliche Sicherheitskräfte helfen oft wenig, in einzelnen
Fällen können erst mehrere Polizist*innen die Situation bereinigen.
-
Der Einsatz externer Sicherheitsdienste ist rechtlich problematisch. Der Umgang mit Gewalt, soweit diese nicht übermäßig ist, ist (leider) Teil unserer
Tätigkeit in der Psychiatrie. Die Anwendung unmittelbaren Zwangs (nach PsychKG) ist
Aufgabe der Beschäftigten und kann nicht an einen externen Sicherheitsdienst delegiert
werden. Der Sicherheitsdienst darf keine hoheitlichen Aufgaben übernehmen und keine
freiheitsentziehenden Maßnahmen durchführen. Diese dürfen nur von geschulten Mitarbeiter*innen
vorgenommen werden, so sieht es auch das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter
und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT). Diese Tatsache
ist auch haftungsrechtlich relevant. Dies umso mehr, als Mitarbeiter*innen eines Sicherheitsdienstes
in der Regel keine hinreichende Ausbildung im Umgang mit psychisch Kranken und in
der Anwendung von Zwangsmaßnahmen haben, sodass gerade das Verhalten des Sicherheitsdienstes
im Schadensfall von besonderer Relevanz ist.
-
Der Einsatz von Sicherheitsdiensten ist für das Klima auf den Stationen ungünstig
und fördert die Stigmatisierung. Sicherheitsdienste sind ein ungutes Symbol der Macht (der Psychiatrie), diese „Machtdemonstration“
widerspricht dem Prinzip der „Behandlung auf Augenhöhe“. Insbesondere ein äußerlich
erkennbarer, uniformierter Sicherheitsdienst macht Angst, es ist ein bedenkliches
Signal für Patient*innen, Angehörige und Gesellschaft. Psychiatrische Kliniken – auch
deren geschützte Stationen – sollten weder einer JVA noch einer Forensik ähnlich sein;
die Patient*innen sind krank und keine Straftäter*innen, die bewacht werden müssen.
Sicherheitsdienste tragen somit auch zur Stigmatisierung psychiatrischer Kliniken
und ihrer Patient*innen bei.
-
Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes könnte die emotionale Anspannung auf Station
zusätzlich erhöhen. Eine Aufnahme auf eine geschützte Station allein stellt in der Regel schon eine erhebliche
Stresssituation dar. Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes könnte sich weiter
negativ auf die Psychopathologie (z. B. Triggern psychotischen Erlebens) und damit
eskalierend auswirken. Das individuelle Erleben muss im Umgang und bei der Deeskalierung
berücksichtigt werden, was fachkundiges Personal erfordert, das die Patient*innen
kennt – was bei einem externen Sicherheitsdienst nicht gegeben ist. Gerade bei (unfreiwilliger)
Aufnahme und in den ersten zwei Wochen – hier kommt es am häufigsten zu Anforderungen
eines Sicherheitsdienstes [3] – ist ein empathisch-verstehender Zugang erforderlich, ein restriktiv-autoritäres
Auftreten eines Sicherheitsdienstes ist kontraproduktiv.
-
Die notwendige Verbesserung der Stationsatmosphäre und von Gewalt fördernden Stationsvariablen
gelingt nicht durch den Einsatz eines Sicherheitsdienstes. Stress und Gewalt steigen auf Akutstationen bekanntermaßen an, wenn mehrere schwer
begrenzbare Patient*innen auf Station sind und wenn die Station überbelegt ist [4]
[5]. Neben Patientenvariablen, deren Bedeutung eher überschätzt wird, spielen Stationsvariablen
eine wesentliche Rolle beim Auftreten von Aggressionen [6]. Daher sollten organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um eine Überbelegung
der Akutstationen zu vermeiden, um so eine intensive individuelle Betreuung und eine
Reizabschirmung zu ermöglichen. Architektonische Veränderungen könnten dabei unterstützend
sein. Grundsätzlich sind kleinere Stationen (max. 18 Betten) anzustreben.
-
Eine alleinige Personalmehrung durch die Personen des Sicherheitsdienstes ist nicht
hinreichend. Die Studienlage bezüglich der (präventiven) Effekte einer quantitativ besseren Personalbesetzung
einer Station ist uneinheitlich. „Genügend“ Mitarbeiter*innen im Dienst geben zwar
ein Gefühl von mehr Sicherheit, aber die meisten Studien finden keinen Zusammenhang
zwischen Personalausstattung und Zahl der aggressiven Übergriffe [4]
[7]. Daraus wäre zu folgern, dass auch eine zusätzliche Sicherheitskraft keinen relevanten
Effekt auf die Häufigkeit von Aggressionen hat. Eine genügend große Personalpräsenz
kann in jeder Klinik rasch bei Auftreten von Aggressionen durch entsprechende Alarmierungsketten
bereitgestellt werden.
-
Qualifizierte Mitarbeiter*innen sind hilfreicher als ein Sicherheitsdienst. Mehr als die Zahl der Mitarbeiter*innen ist deren Qualifikation wichtig. Eine Ausbildung
und kontinuierliche Fortbildung bezüglich Deeskalationstechniken und der sicheren
Anwendung von Zwangsmaßnahmen inkl. des Erlernens von Abwehrtechniken wird empfohlen
[8]. Am besten erfolgt dies mit dem gesamten Stationsteam, da ein „eingespieltes“ Team
auch Klarheit und Selbstwirksamkeit ausstrahlt und in der gemeinsamen Durchführung
der Interventionen sicher ist, auch beim Einsatz von Medikamenten bei Gefahr im Verzug
bzw. im Rahmen eines rechtfertigenden Notstands. Begleitet von einer qualifizierten
strukturierten Risikoeinschätzung (z. B. mittels der Broset Violence Checklist), einer
Dokumentation der Aggression (z. B. mittels der SOAS-R) und eingebettet in ein gewaltpräventives
Konzept wie Safewards kann evidenzbasiert eine Reduktion von aggressivem Verhalten
auch ohne Sicherheitsdienste erreicht werden.
-
Die Anwesenheit eines Sicherheitsdienstes macht Polizeieinsätze nicht entbehrlich. Es verbleibt immer ein Restrisiko und Deeskalationsmaßnahmen können insbesondere
bei Patient*innen mit einer Vorgeschichte von gewalttätigem Verhalten versagen, sodass
Polizeieinsätze bei erhöhter Gefahrenlage als Ultima Ratio weiter – in etwa 10 % der
Aggressionen [6] – erforderlich sind. Nach einem Anruf unter 110 ist die Polizei meist innerhalb
von 5 Minuten in der Klinik, wenn erforderlich mit mehreren Streifenwägen. Die Polizei
– im Gegensatz zu einem Sicherheitsdienst – kann den Patient*innen aber auch das Gefühl
von Sicherheit und Rechtmäßigkeit der Maßnahme geben. Die Polizei hat zudem ein anderes
„Image“ als ein Sicherheitsdienst.
-
Eine konsequente Haltung gegenüber gewalttätigen Patient*innen ist mit und ohne Sicherheitsdienst
erforderlich. Psychiatrie ist kein rechtsfreier Raum und es ist – gerade bei der heutigen Auffassung
von Autonomie – auch ethisch vertretbar [8], dass – nach individueller Abwägung – ein erheblicher tätlicher Angriff durch die
Klinikleitung zur Anzeige gebracht wird. Dies hat auch die Konsequenz, dass bei sich
wiederholendem aggressiven Verhalten dann konkret die Frage der Unterbringung nach
§ 63 StGB geprüft werden kann und so wiederholt schwer gewalttätige Patient*innen
einer längerfristigen (und oft hilfreichen) Behandlung in einer forensischen Klinik
zugeführt werden können.
-
Die Finanzierung eines Sicherheitsdienstes muss aus dem knappen Budget des Krankenhauses
erfolgen. Die Kosten für einen kontinuierlichen Sicherheitsdienst erreichen im Jahr schnell
sechsstellige Summen. Die entsprechenden Pflegesätze dienen aber der Bereitstellung
des „PsychPV-Personals“ und der Deckung der Sachkosten – und sind in der Regel bei
Umsetzung einer 100 %-Personalbesetzung ausgeschöpft. Die Kosten für den Sicherheitsdienst
müssten anders(wo?) eingespart werden.
Was kann man als Resümee ziehen? Absolute Sicherheit gibt es nicht, auch nicht durch
die ständige Präsenz eines Sicherheitsdienstes. Ausreichendes und qualifiziertes Personal bleibt das A und O in der Prävention und im Umgang mit Gewalt
in der psychiatrischen Klinik. Es bedarf fortlaufend der Risikoeinschätzung und Dokumentation
aggressiven Verhaltens, der Nachbesprechung aller kritischen Situationen, der Überprüfung
und Anpassung des gewaltpräventiven Konzeptes sowie der kontinuierlichen Fortbildung,
ebenso wie der Gestaltung der Umgebungsbedingungen und verschiedener organisatorischer
Maßnahmen der Klinikleitung sowie auch der Nachsorge für Mitarbeiter*innen nach Patientenübergriffen.
Die Umsetzung der Empfehlungen der S3-Leitlinie „Verhinderung von Zwang: Prävention
und Therapie aggressiven Verhaltens“ [8]
[9] im klinischen Alltag ist essenziell. All dies zusammen verbessert die Behandlung,
vermindert Aggressionen und macht Stationen sicherer – auch ohne externe Sicherheitsdienste.