Schlüsselwörter
Hemmkörperhämophilie - Diagnose - Therapie
Key words
aquired hemophilia - diagnosis - treatment
Einleitung
Hemmkörperhämophilien sind sehr seltene erworbene
Gerinnungsstörungen, bei denen es zu Autoantikörper-vermittelten
Inhibition eines Gerinnungsfaktors kommt. Mit Abstand am häufigsten handelt
es sich dabei um Inhibitoren von Faktor VIII. Dieses Krankheitsbild wird auch als
erworbene Hämophilie A bezeichnet. Aufgrund der Rarität der anderen
Inhibitoren soll in diesem Artikel nur dieses Krankheitsbild besprochen werden.
Die Seltenheit des Krankheitsbildes und die eingeschränkte
Verfügbarkeit der diagnostischen Tests bedingen in der Regel eine erhebliche
Therapieverzögerung. Bereits eingeleitete Substitutionstherapien der
Gerinnungsstörung erschweren weiter die Diagnosestellung. Dies ist umso
problematischer als die Erkrankung nicht selten zu lebensbedrohlichen Blutungen
führt.
Epidemiologie und Ätiologie
In Großbritannien wurde in Studien eine Inzidenz von 1,3 bis 1,5
Fälle pro 1 Million pro Jahr gefunden [1]
[2]. In den zwei
größten Kohorten wurde ein medianes Alter zum Zeitpunkt der Diagnose
von 74 oder 78 Jahren ermittelt [8].
Die erworbene Hämophilie A tritt entweder idiopathisch auf oder ist mit
folgenden Erkrankungen oder Lebenssituationen vergesellschaftet:
-
Post partum: meist nach der ersten Schwangerschaft mit exzellenter
Prognose [3].
-
Rheumatisch-entzündliche Erkrankungen: allen voran die
rheumatoide Arthritis und der Systemische Lupus erythematodes [4].
-
Paraneoplastisch: bei soliden Tumoren oder hämatologischen
Erkrankungen [5].
-
Medikamente: zum Beispiel auch Checkpointinhibitoren.
-
In letzter Zeit häufen sich Fallberichte von
Hemmkörperhämophilien in Zusammenhang mit COVID oder
Impfungen gegen SARS-CoV2 [6]
[7].
Wann muss man an eine Hemmkörperhämophilie denken?
Die Gerinnungsstörung bedingt die typischen Blutungsmuster: Nachblutung nach
Trauma oder Operation, große Hämatome, großflächige
Ekchymosen, Zahnfleischblutung, Epistaxis, gastrointestinale Blutungen und
Makrohämaturie. Gelenkblutungen werden in der Literatur im Gegensatz zur
angeborenen Hämophilie selten beschrieben; gemäß der
Erfahrung des Autors können sie aber durchaus auftreten und
eindrücklich sein. Inhibition von Faktor VIII führt zur wegweisenden
Verlängerung der aktivierten partiellen Thromboplastinzeit (aPTT). Quick und
INR-Wert sind normal, was die Abgrenzung zur Verbrauchskoagulapathie einfach macht.
Die Blutungen sind oft Hb-wirksam, was eine notfallmäßige
Abklärung und rasche mehrgleisige Therapieeinleitung erforderlich macht.
Seltener sind die Patienten oligosymptomatisch oder sogar asymptomatisch (weniger
als 30% der Fälle) [8].
Wie wird die Diagnose bestätigt?
Ausgehend von der isoliert verlängerten PTT bei den Gerinnungsgruppentests
sind vor allem folgende Differentialdiagnosen zu bedenken:
-
Iatrogen durch unfraktioniertes Heparin, das auch durch Infusionen am Arm der
Blutentnahme die PTT beeinflussen kann, und andere Medikamente zur
Antikoagulation: die Medikamentenanamnese ist entscheidend.
-
Antiphospholipidsyndrom: Diese Differentialdiagnose stellt sich vor allem bei
Assoziation mit einem Systemischen Lupus erythematodes, da dieser sowohl ein
Antiphospholipidsyndrom als auch eine Hemmkörperhämophilie
verursachen kann. Aber auch das primäre Antiphospholipidsyndrom muss
abgegrenzt werden. Hier ist die Klinik (Blutungen versus thrombotische
Komplikationen) wegweisend und für den Rheumatologen
(selbstverständlich sind im Artikel stets Rheumatolog*innen
gemeint) einfach zu differenzieren.
-
Von Willebrand-Erkrankungen: außer Blutungszeichen der
Gerinnungsstörung finden sich auch oft petechiale Blutungen, da die
Thrombozytenaggregation ebenfalls gestört ist. Es handelt sich um
das häufigste vererbbare Blutungsübel. Die Diagnose wird
durch Bestimmung von Von-Willebrand-Antigen und dessen Funktion
gestellt.
-
Seltener der Mangel an Gerinnungsfaktoren XI, IX oder VIII oder auch deren
Inhibitoren, die die weitaus selteneren Varianten der
Hemmkörperhämophilie verursachen.
Zunächst wird ein Inhibitorenscreening mit dem Plasmamischversuch in
spezialisierten Gerinnungslabors durchgeführt. Hierbei wird Patientenplasma
mit gepooltem Spenderplasma in unterschiedlichem Verhältnis –
initial 1:1 – gemischt und jeweils die aPTT bestimmt. Lässt sich die
aPTT-Verlängerung durch Zugabe von Normalplamsa korrigieren, liegt ein
Faktorenmangel vor, bleibt dageben die PTT-Verlängerung trotz Mischung mit
Normalplasma bestehen, könnte ein Inhibitor vorliegen.
Als zweites werden Phospholipide zugemischt. Lässt sich dadurch die PTT
normalisieren, liegen am ehesten Antiphospholipide vor. Andernfalls schließt
sich der Bethesda-Test an, der das Vorliegen eines Faktor VIII-Inhibitors
bestätigt und die Titerhöhe des Inhibitors bestimmt. Beim
Bethesda-Test wird die Faktor-VIII-Aktivität gemessen und nochmals
Normalplasma in unterschiedlichem Mischungsverhältnis zugegeben. Je mehr
Normalplasma nötig ist um die Faktor-VIII-Aktivität zu
normalisieren, desto höher fällt der Titer aus.
Therapie
Aufgrund der meist vorherrschenden ausgeprägten Lebensbedrohlichkeit durch
Blutungskomplikationen muss die Therapie meist dringlich und mehrgleisig
vorangetrieben werden und verfolgt drei Ziele:
-
Blutstillung: Diese ist für das Akutmanagement ganz entscheidend und
sehr kostspielig.
-
Elimination des Inhibitors: Hier kommen immunsuppressive Therapiestrategien
zum Einsatz, die dem Rheumatologen gut bekannt sind.
-
Ursachenbekämpfung: Diese ist prinzipiell wichtig, aber oft schwer
– oder zumindest nicht zeitnah – möglich, zum
Beispiel bei paraneoplastischer Genese.
Zur Orientierung sind internationale Consensus-Empfehlungen von 2020 oder ganz
aktuell die nationalen Empfehlungen aus Italien von 2022 sehr hilfreich [8]
[9].
Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung existieren keine randomisierten Studien zur
Therapie der Hemmkörperhämophilie.
Blutstillung
Falls Faktor-VIII-Inhibitoren in geringen Titern vorliegen (maximal 5
Bethesda-Einheiten), können Faktor-VIII-Präparate zur Korrektur
des Blutungsübels verwendet werden.
Solange aber noch Faktor-VIII-Inhibitoren in relevanten Titern nachweisbar sind,
ist eine Gabe von Faktor-VIII-Präparaten wenig zielführend.
Zugeführter Faktor VIII wird ebenfalls inhibiert, die Blutungen kommen
nicht zur Ruhe. Es müssen Gerinnungspräparate gegeben werden,
die den Faktor-VIII-abhängigen Schritt der Gerinnungskaskade umgehen.
Dies wären aktivierte Prothrombinkomplex-Präparate (aPCC; zum
Beispiel factor eight bypassing activity = FEIBA) oder rekombinanter
Faktor VII a. Fibrin, das sich durch diese aktivierte Gerinnungskaskade bildet,
kann durch Einsatz von Tranexamsäure stabilisiert werden. Sobald der
Faktor-VIII-Inhibitor durch Immunsuppression absinkt, können
Faktor-VIII-Konzentrate verwendet werden, oder Desmopressin, wodurch Faktor VIII
aus dem Endothel freigesetzt wird.
Häufige Kontrollen von Vitalparametern, Hämoglobin,
Blutungszeichen, PTT und des Bethesda-Tests machen initial meist eine
intensivmedizinische Betreuung erforderlich.
In letzter Zeit mehren sich die Fallberichte und Metaanalysen zum erfolgreichen
Einsatz von Emicizumab [10]
[11]. Hierbei handelt es sich um einen
monoklonalen bispezifischen Antikörper, der mit einem Arm Faktor IXa und
mit dem anderen Arm Faktor X bindet und dadurch letzteren Faktor aktiviert.
Emicizumab übernimmt folglich die Funktion von Faktor VIII in der
Gerinnungskaskade und ist zur Therapie der angeborenen Hämophilie A
zugelassen. Im Gegensatz zu Faktor VIII wird Emicizumab natürlich nicht
vom Inhibitor der Hemmköperhämophilie gebunden und kann schon
vor Absinken des Inhibitors eingesetzt werden.
Elimination des Inhibitors durch Immunsuppression
Alle Patienten mit Hemmkörperhämophilie sollten eine
Glukortikoidstoßtherapie erhalten. Um eine rasche Wirkung zu erreichen
wäre prinzipiell ein Prednisolon- oder Methylprednisolon-Puls (zum
Beispiel 3×1000 mg Methylprednisolon i. v.) zu
diskutieren, die meisten Autoren empfehlen allerdings lediglich eine
Initialdosis von 1 mg /kg Prednisolonäquivalent,
behalten diese Dosierung aber über mehrere Wochen bei – ein
Vorgehen das bei anderen lebensbedrohlichen Autoimmunerkrankungen aufgrund der
drohenden Glukokortikoid-Nebenwirkungen bei hoher Kumulativdosis verlassen
wurde. Darüber hinaus kommen Cyclophosphamid oder Rituximab in
immunsuppressiven Standarddosierungen zum Einsatz. Während
früher sequentielle Therapiestrategien empfohlen wurden, die zu sehr
hohen Kumulativdosen von Glukokortikoiden geführt hatten, werden
mittlerweile refraktäre Fälle oder Patienten mit sehr schwerem
Mangel an Faktor VIII (zum Beispiel < 1 IU/dl)
frühzeitig und teils schon initial kombiniert immunsuppressiv behandelt.
Die meisten Experten empfehlen eher Rituximab als Cyclophophosphamid. Bei fitten
Patienten wäre auch eine Kombination aus Glukokortikoiden, Rituximab und
Cyclophosphamid denkbar. Bei Patienten, die auf diese Therapieoptionen
refraktär sind, kann man sich auf Fallserien berufen, in denen der
erfolgreiche Einsatz von Plasmaseparation [12], Immunadsorption [13] oder
Bortezomib [14] bei
Hemmkörperhämophilie beschrieben wurde.
Prognose
In der deutschen GTH-AH 01/2010-Studie waren außer dem
Allgemeinzustand (gemessen durch WHO-PS) und einer paraneoplastischen Genese
eine initial ausgeprägte Reduktion des Faktors VIII (< 1
IU/dl) mit einer geringeren Überlebenswahrscheinlichkeit
assoziiert, wobei Blutungen seltener zum Tod führten als Infektionen
oder kardiovaskuläre Ereignisse [15]. Die Autoren brachten diese Komplikationen mit der protrahierten
Glukokortikoidtherapie in Zusammenhang. Auch thromboembolische Ereignisse in
Assoziation mit der blutstillenden Therapie wurden – wenn auch seltener
– als Todesursachen identifiziert. Eine ausgeprägte Reduktion
von Faktor VIII war auch mit einem schlechteren und verzögerten
Ansprechen auf Immunsuppression (vor allem Glukokortikoide) vergesellschaftet.
Umso wichtiger erscheint ein frühzeitiger Einsatz von
Glukokortikoid-sparenden Medikamenten.