Schlüsselwörter
Zungengrundhyperplasie - Intubationsrisiko - BMI - Tonsillektomie - Einsehbarkeit Larynx
Keywords
lingual tonsil - tonsillectomy - BMI
Einleitung
Die Zungengrundtonsillen sind ein paarig angelegtes Organ, welche zusammen mit den Gaumentonsillen, der Rachenmandel, den Tubenmandeln sowie den Seitensträngen den Waldeyer-Rachenring bilden. Das Volumen der Zungengrundtonsillen nimmt von Geburt an bis zum siebten Lebensjahr zu. Danach setzt im Normalfall eine Atrophie ein, welche sich bis zum Erwachsenenalter fortsetzt [1]. Die Zungengrundtonsillen sind beim gesunden Patienten nach Literatur etwa einen Millimeter dick und liegen direkt auf der Zungengrundmuskulatur. Diese Ausdehnung kann jedoch bei Vorliegen einer Zungengrundhyperplasie (ZGH) um ein Vielfaches überschritten sein, in der Literatur sind Größen von bis zu 1,92 cm beschrieben [2].
Die Pathogenese der Zungengrundhyperplasie ist immer noch weitgehend unbekannt, jedoch werden seit Jahren verschiedene Ursachen der lymphoepithelialen Hyperplasie kontrovers diskutiert. Neben Ernährung, rezidivierenden bakteriellen und viralen Infekten, gastro-ösophagealem Reflux, Schlafapnoesyndrom sowie hormonellen Umstellungen wird unter anderem die Reduktion des lymphatischen Gewebes z.B. nach Tonsillektomie für eine kompensatorische ZGH verantwortlich gemacht [2]
[3]
[4].
Eine Zungengrundhyperplasie kann eine Vielzahl von Symptomen auslösen, unter anderem Dysphagie, Globusgefühl, Rhonchopathie, Durchschlafstörungen und Stimmveränderungen. Ferner kann eine Zungengrundhyperplasie zur Obstruktion der oberen Atemwege führen und damit ein Schlafapnoesyndrom auslösen oder unterstützen [5]
[6]
. In den meisten Fällen stellt die ZGH jedoch keine Erkrankung im eigentlichen Sinne dar. Sie zeigt sich klinisch meistens asymptomatisch und entzieht sich der üblichen präoperativen anästhesiologischen Untersuchung. Hierbei kann es zu einer Vielzahl von Komplikationen kommen, beginnend bei unzureichender Maskenbeatmung oder ein erhöhtes Blutungsrisiko, bedingt durch frustrierende orotracheale Intubation, bis hin zur Fehlintubation mit hypoxischen Schäden [4]
[7]
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[10]. In Studien wurde bereits der Zusammenhang zwischen einer Zungengrundhyperplasie und dem BMI untersucht, hierbei zeigten sich unterschiedliche Ergebnisse [11]
[12].
Ziel unserer Studie war es, zu untersuchen, ob ein signifikanter Zusammenhang zwischen einer ZGH und dem Zustand nach einer Tonsillektomie besteht. Zusätzlich wurde eine mögliche Korrelation zwischen dem BMI und einer ZGH in unserer Population untersucht.
Patienten und Methoden
In einem Zeitraum von etwa sechs Monaten wurden 2011 dreihundert erstvorstellige Patienten in der Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover im Rahmen der klinischen Routine untersucht, anhand der im Folgenden beschriebenen Einteilung dokumentiert und in die Studie eingeschlossen. Die Einwilligung hierfür wurde von den jeweiligen Patienten vorher eingeholt. Ausgeschlossen wurden Patienten mit chronischen Entzündungen sowie Tumoren des Kopf- und Halsbereichs. Patienten mit stattgehabter Tonsillektomie wurden nur in die Studie eingeschlossen, wenn der Eingriff mindestens 4 Monate zurücklag.
Im Rahmen einer Oropharyngoskopie sowie einer indirekten Laryngoskopie (mit dem Spiegel, 90°-Grad Optik oder flexibler Fiberoptik) wurden die Gaumentonsillen, der Zungengrund sowie die Einsehbarkeit des Larynx evaluiert und mithilfe von Ordinalskalen beschrieben:
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Es wurde der Status der Gaumentonsillen dokumentiert. Fehlende Tonsillen wurden als „Zustand nach Tonsillektomie“ eingeteilt, im Falle noch vorhandener Tonsillen wurden deren Status nach den Kategorien „unauffällig“, „hyperplastisch“ und „vernarbt“ beurteilt.
Die Kriterien wurden wie folgt definiert: „unauffällig“ – Die Gaumenmandeln sind kleiner als der mediale Gaumenbogenrand oder schließen mit diesem ab. „hyperplastisch“ – Die Gaumenmandeln wölben sich über den medialen Gaumenbogenrand. „vernarbt“ – Die Gaumenmandeln sind bei vorausgegangener Kappung nur partiell vorhanden oder kaum zu erkennen.
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Die Zungengrundtonsillen wurden in Abhängigkeit von der Vergrößerung („keine“, „gering“, „mittel“ und „stark“) in vier Gruppen eingeteilt. Diese wurden angelehnt an die Veröffentlichung von Friedman et al. [13]. Die Kriterien wurden wie folgt definiert:
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„keine“ – Die Valleculae epiglotticae sind frei, entspricht Grad 1 nach Friedman et al. ([Abb. 1])
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„gering“ – Die Valleculae epiglotticae sind nicht zu erkennen, jedoch ist die Epiglottis weitgehend frei, entspricht Grad 2 nach Friedman et al. ([Abb. 2])
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„mittel“ – Die ZGH lässt nur den oberen Epiglottisrand identifizieren, entspricht Grad 3 nach Friedman et al. ([Abb. 3])
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„stark“ – Die Epiglottis ist nicht sichtbar, entspricht Grad 4 nach Friedman et al. ([Abb. 4])
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Die Einsehbarkeit des Larynx wurde als „komplett“ oder „partiell“ eingestuft. Bei partieller Einsehbarkeit wurde zusätzlich nach Sichtbarkeit von „Aryhöcker“, „Stimmbänder“ und „vordere Kommissur“ differenziert.
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Der BMI der Patienten wurde ermittelt und ein etwaiger Zusammenhang mit der Vergrößerung der Zungengrundtonsillen untersucht.
Abb. 1 Beispiel für eine flexibel endoskopische Untersuchung eines Patienten mit „keiner“ Zungengrundhyperplasie oder Grad 1 nach Friedman et al.
Abb. 2 Beispiel für eine flexibel endoskopische Untersuchung eines Patienten mit einer „geringen“ Zungengrundhyperplasie oder Grad 2 nach Friedman et al.
Abb. 3 Beispiel für eine flexibel endoskopische Untersuchung eines Patienten mit einer „mittleren“ Zungengrundhyperplasie oder Grad 3 nach Friedman et al.
Abb. 4 Beispiel für eine flexibel endoskopische Untersuchung eines Patienten mit einer „starken“ Zungengrundhyperplasie oder Grad 4 nach Friedman et al.
Die Daten wurden anschließend statistisch ausgewertet.
Ergebnisse
In der Studie wurden insgesamt 300 Patienten mit einem Alter von 4 bis 83 (Mittelwert 45,6) Jahren untersucht. Die 300 Patienten waren zu 60,4% (181) männlichen und 39,6% (119) weiblichen Geschlechtes.
Evaluierung der Gaumentonsillen
In 89 Fällen (29,7%) bestand ein „Zustand nach Tonsillektomie“.
Von den 211 nicht-tonsillektomierten Patienten zeigten 169 (56,3%) unauffällige, 12 (4%) vernarbte und 30 (10%) hyperplastische Tonsillen ([Abb. 5]).
Abb. 5 Diagramm des Patientenkollektivs nach Status der Gaumentonsillen.
Evaluierung der Zungengrundtonsillen
Von den insgesamt 300 untersuchten Patienten zeigte sich bei 126 (42%) keine, bei 103 (34,3%) eine geringgradige, bei 57 (19%) eine mittelgradige und bei lediglich 14 (4,7%) eine starke Vergrößerung der Zungengrundtonsillen ([Abb. 6]).
Abb. 6 Diagramm des Patientenkollektivs nach Status der Zungengrundhyperplasie.
Bei den 14 Patienten mit starker ZGH bestand in 4 Fällen ein „Zustand nach Tonsillektomie“, die anderen 10 (71,4%) Patienten zeigten klinisch unauffällige Gaumenmandeln.
Evaluierung der Einsehbarkeit des Larynx
Bei 165 (55%) Patienten war der Larynx durch die indirekte Laryngoskopie komplett einsehbar, hiervon bestand bei 49 (29,7%) der Patienten ein „Zustand nach Tonsillektomie“.
In den 135 (45%) anderen Fällen war der Larynx nur zum Teil oder gar nicht einsehbar. In dieser Patientengruppe waren insgesamt 40 (29,6%) Patienten tonsillektomiert. Die weitere Evaluierung erfolgte nach Einsehbarkeit der einzelnen Regionen: Aryregion, Stimmbandebene und vordere Kommissur.
1. Aryregion
Bei 257 (85,7%) von allen 300 Fällen war die Aryregion komplett durch die indirekte Laryngoskopie einsehbar. Bei 79 (30,7%) dieser Patienten bestand ein Zustand nach Tonsillektomie.
In den 43 (14,3%) anderen Fällen war die Aryregion nicht einsehbar, hierbei hatten 10 (23,3%) Patienten dieser Gruppe keine Gaumenmandeln mehr.
2. Stimmbandregion
Bei 234 (78%) von allen 300 Fällen war die Stimmbandregion komplett durch die indirekte Laryngoskopie einsehbar, davon hatten 70 (29,9%) keine Gaumenmandeln mehr.
In den 66 (22 %) anderen Fällen war die Stimmbandregion nicht einsehbar. 19 (28.8%) Patienten dieser Gruppe waren tonsillektomiert.
3. Vordere Kommissur
Bei 175 (58,3%) aller untersuchten Patienten war die vordere Kommissur komplett durch die indirekte Laryngoskopie einsehbar, davon hatten 52 (29,7%) keine Gaumenmandeln mehr.
In den 125 (41,7%) anderen Fällen war die vordere Kommissur nicht einsehbar. 37 (29,6%) der Patienten waren tonsillektomiert ([Abb. 7]).
Abb. 7 Einsehbarkeit des Larynx und seiner anatomischen Regionen (Aryregion, Stimmbandebene, vordere Kommissur) in Abhängigkeit vom Status der Gaumentonsillen.
Betrachtet man die Gruppe der 14 Patienten mit starker Zungengrundhyperplasie, so war die Aryregion bei 8 (35,7%) sowie die Stimmbandebene bei 6 (42,8%) einsehbar. Der komplette Larynx war bei keinem dieser Patienten frei einsehbar.
Evaluierung des BMI
Das Körpergewicht der Patienten lag zwischen 13 und 137 (Mittelwert 74,6) kg. Die Körpergröße betrug 95 bis 195 (Mittelwert 171,5) cm. Der Body-Mass-Index (BMI) zeigte einen Wert von 14,4 bis 48,5 (Mittelwert 25,2). Hiervon hatte die Gruppe ohne ZGH einen BMI von 24,4, die Gruppe mit leichter ZGH einen BMI von 25,6, die Gruppe mit mittlerer ZGH einen BMI von 25,9 und die Gruppe mit starker ZGH einen BMI von 27,3 ([Abb. 8]).
Abb. 8 Die Abbildung zeigt den durchschnittlichen Body-Mass-Index (BMI) der verschiedenen Gruppen dargestellt nach dem Status der Zungengrundhyperplasie.
Statistik
Die Daten wurden mithilfe von Fischerʼs Exact Tests und Post-Hoc-Tests nach Scheffé ausgewertet. Es wurde ein statistisch signifikanter Zusammenhang (p < 0.001) zwischen dem BMI und einer ZGH festgestellt. Eine statistisch relevante Signifikanz zwischen einer ZGH und dem „Zustand nach Tonsillektomie“ bzw. der Einsehbarkeit der einzelnen Regionen des Larynx konnte nicht nachgewiesen werden.
Diskussion
Die Zungengrundhyperplasie (ZGH) ist eine häufige pathologische Veränderung im Oropharynxbereich [11]. Die Begleitsymptomatik reicht von Halsschmerzen, Globusgefühl, Dysphagie, Veränderung der Stimmlage, Dysphonie, rezidivierender Epiglottitis bis zur Ausbildung eines Schlaf-Apnoe-Syndroms (SAS) [4]
[5]
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[14]. Die ZGH tritt seltener im Kindesalter auf, wurde jedoch auch als Folge einer Adenotonsillektomie beschrieben [15]. Sie wurde ebenfalls bei extrem adipösen Personen erwähnt [16]. Die histopathologischen Untersuchungen von Breitmeier et al. konnten chronisch-entzündliche Prozesse im lymphatischen Gewebe der hyperplastischen Zungengrundtonsille objektivieren [5]. Der direkte Zusammenhang zwischen der Hyperplasie und einer chronischen Entzündung im lymphatischen Gewebe wird diskutiert. Differenzialdiagnostisch sollten bei der ZGH Schilddrüsenzysten, Dermoidzysten, Schwannome, Lymphangiome, Angiome, Fibrome, Lymphome, Plattenepithelkarzinome und Tumore der kleinen Speicheldrüsen in Erwägung gezogen werden [17].
Die Diagnose einer ZGH kann am einfachsten im Rahmen einer indirekten Laryngoskopie (Spiegeluntersuchung, 90°-Grad Optik oder flexible Fiberoptik) gestellt werden [13]. Ebenso kann mittels diagnostischer CT die Dicke der Zungengrundtonsille dargestellt werden, dies ist jedoch mit einer vermeidbaren Strahlenbelastung verbunden. Alternative hierzu wäre eine diagnostische MRT [2]
[15].
Die präoperativ, routinemäßig durchgeführte anästhesiologische Untersuchung kann, mit einer alleinigen Inspektion des Oropharynx, eine Hyperplasie der Zungengrundtonsille nicht objektivieren [14].
In unserem Patientenkollektiv der 300 untersuchten Patienten zeigten lediglich 4,7% (14) eine starke Vergrößerung der Zungengrundtonsillen. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer Studie von Breitmeier et al. Im Rahmen dieser multizentrischen Studie wurden bei 497 Obduktionspräparaten die Zungengrundtonsillen untersucht. Hierbei wurde bei 3,2 % der Fälle eine Zungengrundhyperplasie festgestellt [5].
Eine stark ausgeprägte ZGH konnte in 4 Fällen von 89 tonsillektomierten Patienten festgestellt werden. Diese Ergebnisse ergaben somit keine statistische Signifikanz zwischen einem „Zustand nach Tonsillektomie“ und einer kompensatorischen ZGH.
Die Darstellbarkeit der einzelnen Larynxregionen zeigte im Allgemeinen erwartungsgemäß eine bessere Darstellbarkeit der Aryregion im Vergleich zu der vorderen Kommissur. Dieses Ergebnis lässt sich aus der Anatomie des Larynx gut nachvollziehen, da bei der indirekten Laryngoskopie der Blickwinkel zur Darstellung der hinteren im Vergleich zur vorderen Kommissur weniger steil ist. Im Weiteren konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Larynxdarstellbarkeit festgestellt werden. Somit konnte in unserem Patientenkollektiv eine kompensatorische ZGH bzw. eine schlechte Einsehbarkeit des Kehlkopfes bei der indirekten Laryngoskopie tonsillektomierter Patienten nicht nachgewiesen werden.
Die Untersuchungen zur Korrelation des BMI mit der ZGH zeigten jedoch eine statische Signifikanz. Bei Patienten mit einem höheren BMI ist ebenfalls die Glottisebene statistisch signifikant schlechter einsehbar. Übergewicht und eine ZGH werden auch in anderen Studien, wie z.B. von Sung et al., in einen Zusammenhang gebracht [3]. Es ist zu diskutieren, ob es eine echte ZGH ist, oder es sich dabei vielmehr um eine Folge der Fettleibigkeit handelt. Es ist anzunehmen, dass bei adipösen Personen die parapharyngealen und submentalen Fettgewebsmassen stärker ausgeprägt sind, was zur Einengung des Oro- und Hypopharynx führt und eine ZGH vortäuschen kann.
Die Inzidenz der starken ZGH fällt nach unseren Ergebnissen mit 4,7% bzw. mit 3,2% nach der Studie von Breitmeier et al. [5] gering aus. Die meisten dieser Patienten weisen zudem keine klinische Symptomatik auf. Im Rahmen der Intubation kann eine starke ZGH jedoch zu Intubationsschwierigkeiten, im schlimmsten Fall sogar bis hin zu einem letalem Ausgang führen [7]
. In Anbetracht dieser möglichen, schwerwiegenden Komplikationen und der bezüglich dieser Fragestellung nicht ausreichenden Aussagefähigkeit durch die routinemäßigen anästhesiologischen Untersuchungsmethoden, empfehlen wir, den BMI bei der Beurteilung des Atemweges als Indikator mit hinzuzuziehen. Vor einer geplanten Intubationsnarkose bei Patienten mit einem BMI über 27 sollten die Kollegen der Anästhesiologie einen HNO-Arzt hinzuziehen. Hierbei sollte mithilfe einer indirekten Laryngoskopie die Einsehbarkeit des Kehlkopfeinganges beurteilt werden. Auch wenn der BMI per se lediglich einen groben Richtwert angibt, da er die Statur eines Menschen und die individuelle Zusammensetzung des Körpergewichts aus Fett-, Muskel- und Knochengewebe nicht berücksichtigt, so zeigen unsere Daten, dass er einen signifikanten Hinweis auf mögliche Intubationsschwierigkeiten geben kann. Die Datenerhebung und Berechnung des BMI ist einfach umsetzbar. Bei Beschränkung der HNO-ärztlichen Diagnostik auf die betroffene Patientenklientel ist der klinische Mehraufwand überschaubar und somit in die tägliche Routine gut zu integrieren.
Zusammenfassend lässt sich in unserer Studie eine statistische Signifikanz zwischen dem BMI und einer ZGH feststellen. Ob die Fettleibigkeit allein oder in Kombination mit anderen Faktoren zu einer ZGH führt, kann in diesem Rahmen nicht geklärt werden. Einen statistischen validen Zusammenhang zwischen „Zustand nach Tonsillektomie“ und konsekutiver ZGH konnten wir dagegen nicht feststellen.