CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2022; 84(10): 971-978
DOI: 10.1055/a-1911-8605
Originalarbeit

Notwendigkeit und Wege zur Entwicklung von Versorgungszielen für das Gesundheitssystem in Deutschland – ein Positionspapier des DNVF

Necessity and Ways to Develop Care Goals for the Health System in Germany – a Position Paper of the DNVF
Edmund Neugebauer*
1   Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB), Theodor Fontane Neuruppin, Germany
,
Klaus Piwernetz*
2   Public Health, Medimaxx Health Management GmbH, München, Germany
,
Anke Bramesfeld
3   Hannover Medical School, Medizinische Hochschule Hannover Institut fur Epidemiologie Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung, Hannover, Germany
,
Stefanie Deckert
4   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
,
Peter Falkai
5   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinikum der Universität München, Munchen, Germany
,
Lars Gabrys
6   Gesundheitssport und Prävention, ESAB Fachhochschule für Sport und Management Potsdam, Potsdam, Germany
,
Alfons Hollederer
7   Fachbereich 01 Humanwissenschaften, Universität Kassel, Kassel, Germany
,
Steffi G. Riedel-Heller
8   Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health, Universität Leipzig, Leipzig, Germany
,
Andrea Schaller
9   Institut für Bewegungstherapie un bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation, Deutsche Sporthochschule Köln, Köln, Germany
,
Madlen Scheibe
10   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden, Germany
,
Thomas Bierbaum
11   Geschäftsstelle, Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung, Berlin, Germany
,
Jochen Schmitt**
4   Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Dresden, Germany
,
Karsten E. Dreinhöfer**
12   Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CMSC), Charité Universitätsmedizin Berlin und Medical Park Berlin Humboldtmühle
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Gesundheits- und Versorgungsziele sind eine unverzichtbare Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Gesundheitssystem. Das Dilemma des deutschen Gesundheitssystems ist, dass es nicht planvoll weiter entwickelt wurde, sondern dass es historisch gewachsen ist. In den letzten Jahren hat es sich im freien Spiel der Kräfte zu dem entwickelt, was es heute ist. Den aktuellen Zustand beschreibt die OECD so: Die Kosten des deutschen Gesundheitssystems entsprechen nicht den oft nur durchschnittlichen Gesundheitsergebnissen für die Bevölkerung. Zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen (vor allem SGB V §§ 12, 27 und 70) braucht die Gesundheitsversorgung/das Gesundheitssystem in Deutschland konkrete Ziele. Eine Orientierung an Versorgungszielen zieht Maßnahmen auf allen Ebenen der Versorgung nach sich: auf der Makroebene (Gesamtsystem/gesamte Bevölkerung), auf der Mesoebene (unterteilt nach Regionen, spezifischen Bevölkerungsgruppen etc.) sowie auf der Mikroebene ( Patient:innen und Leistungserbringer) Ausgehend von nationalen und internationalen Erfahrungen zeigt das vorliegende Positionspapier des DNVF e.V. (Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung) das Potenzial, wie operationalisierte Versorgungsziele eine effektive, finanzierbare und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung gewährleisten können. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung propagiert eine Neuausrichtung mit Patient:innen bezogenen Versorgungszielen. Jetzt gilt es, aus dieser Absichtserklärung konkrete und umsetzbare Ziele abzuleiten und dabei alle wesentlichen Gruppen zu beteiligen. Ergänzend werden in diesem Prozess Werte und ethische Normen für die Umsetzung vereinbart. Das BMG (Bundesministerium für Gesundheit) sollte den Prozess der gesellschaftlichen Willensbildung zur Definition von Nationalen Versorgungszielen ermöglichen und fördern. Dazu bedarf es einer klaren politischen Willensbildung. Als Ergebnis liegen am Ende des Prozesses die Nationalen Versorgungsziele vor, die zusammen mit evidenzbasierten Fakten sowie mit validen und belastbaren Daten in einem Handbuch „Nationale Versorgungsziele“ veröffentlicht und gepflegt werden. Die operative Verantwortung für die Umsetzung könnte bei dem neu zu gründenden Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit liegen, wie es bereits im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition angekündigt wurde. Das DNVF ist bereit, an der Entwicklung von Versorgungszielen aktiv mitzuwirken.


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Abstract

Goals for health and health care are an indispensable basic requirement for a functioning health care system. The dilemma of the German health care system is that it has not been designed in a planned way, but that it has grown historically. In recent years, it has developed through the free play of forces into what it is today. The OECD characterizes the current state as follows: The costs of the German health system do not correspond to the often only average health outcomes for the population. To meet the legal requirements (especially SGB V §§ 12, 27 and 70), health care/the health system in Germany needs concrete goals. An orientation towards health care goals entails measures on all levels of health care: on the macro level (overall system/total population), on the meso level (subdivided according to regions, specific population groups, etc.) as well as on the micro level (patients and health care providers). Based on national and international experiences, this position paper of the DNVF e.V. (German Network for health services research) shows the potential of how operationalised health care targets can ensure effective, affordable and high-quality health care. The coalition agreement of the current government propagates a reorientation with patient-related health care goals. Now it is important to derive concrete and realisable goals from this declaration of intent and to involve all important groups in the process. In addition, values and ethical standards for implementation shall be agreed upon in this process. The Health Ministry (BMG) should facilitate and promote the process of societal will-building for the definition of national health care goals. This requires a clear political will. As a result, the National Health Care Goals are available at the end of the process, which are published and maintained together with evidence-based facts as well as valid and resilient data in a Manual “National Health Care Goals”. The operational responsibility for implementation could lie with the newly to be founded Federal Institute of Public Health, as already announced in the agreement of the governing coalition. The DNVF is willing to actively participate in the development of health care targets.


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Einführung

Ziel dieses Positionspapiers des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF e.V.) ist es, die Bedeutung und die Potenziale operationalisierter Versorgungsziele aufzuzeigen, um eine effektive, finanzierbare und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Der Artikel zeigt die Relevanz sowie Wege und Methoden auf, wie die Formulierung und Umsetzung konsentierter Versorgungsziele gelingen kann. Lehren aus der Corona-Pandemie sollten hierfür konstruktiv genutzt werden. Der Prozess der Formulierung von Versorgungszielen sollte jetzt in Gang gesetzt werden.

Im SGB V ist der Versorgungsanspruch der Versicherten an wirksame Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten und damit an einen zu erwartenden Nutzen medizinischer Maßnahmen gebunden. „Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu verhindern, zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern“ (§ 27 Absatz 1 Satz 1 SGB V). Zudem findet sich dort aber auch das Wirtschaftlichkeits- und Qualitätsgebot: „Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (§ 12 Absatz 2 SGB V) und „Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots“ (§ 2 Absatz 1 SGBV) [[1.]

Das SGB V § 70 führt weiter aus und sagt in Satz 1: „Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden “ [1].

Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Anforderungen braucht die Gesundheitsversorgung/das Gesundheitssystem konkrete Ziele. Nach einer Analyse der IST-Situation sollten hieraus dann entsprechende, regional passfähige Maßnahmen abgeleitet, geplant, umgesetzt und auf ihre Wirkung hin evaluiert und ggf. angepasst werden.

Eine Orientierung an Versorgungszielen zieht Maßnahmen auf allen Ebenen der Versorgung nach sich: auf der Makroebene (Gesamtsystem/gesamte Bevölkerung), auf der Mesoebene (unterteilt nach Regionen, spezifischen Bevölkerungsgruppen etc.) sowie auf der Mikroebene, z. B. im direkten Kontakt der Patient:innen mit den Leistungserbringern. Bisher fehlt jedoch für eine solche Vorgehensweise ein methodisches Rahmenkonzept und eine Roadmap über alle Ebenen zur Definition messbarer, spezifischer und operationalisierbarer Versorgungsziele im Gesundheitswesen.

Am Beginn eines solchen Prozesses steht eine systematische, wissenschaftlich abgesicherte Ableitung und Konsentierung spezifischer Versorgungsziele für die genannten Ebenen. Diese Versorgungsziele bilden zusammen mit den Vorgaben von SGB V und IX die Grundlage für eine patientenzentrierte, gerechte und transparente Gesundheitsversorgung in Deutschland.


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Aktueller Stand in Deutschland und international

Gesetzliche Grundlagen

Im gesetzlichen Bereich des SGB V ist mit Ausnahme der obengenannten allgemeinen Punkte wenig zu konkreten Versorgungszielen ausgeführt. Lediglich im §87b werden die Kassenärztlichen Vereinigungen verpflichtet, Grundsätze und Versorgungsziele des Honorarverteilungsmaßstabs jährlich bekannt zu geben sowie Rahmenvorgaben insbesondere zu Versorgungszielen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze mit dem GKV Spitzenverband abzustimmen.

In diesen Rahmenvorgaben werden verschiedene Strukturanforderungen wie die Größe von Praxisnetzen, deren Zusammensetzung sowie gemeinsame Standards für Qualitäts- und Wissensmanagement bestimmt. Neben diesen strukturellen Grundanforderungen legt die Rahmenvereinbarung drei Versorgungsziele für Praxisnetze fest: Patientenzentrierung, kooperative Berufsausübung und verbesserte Effizienz.

Zu diesen Zielen sollen Indikatorensets gebildet werden, um Ziele bis zur Ebene spezifischer Krankheitsbilder messen und somit die Versorgung verbessern zu können

Hingegen sind im SGB IX für den Rehabilitationssektor die Versorgungsziele wesentlich deutlicher bestimmt (§4):

„(1) Die Leistungen zur Teilhabe umfassen die notwendigen Sozialleistungen, um unabhängig von der Ursache der Behinderung:

1. die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern,

2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit oder Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten sowie den vorzeitigen Bezug anderer Sozialleistungen zu vermeiden oder laufende Sozialleistungen zu mindern,

3. die Teilhabe am Arbeitsleben entsprechend den Neigungen und Fähigkeiten dauerhaft zu sichern oder

4. die persönliche Entwicklung ganzheitlich zu fördern und die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sowie eine möglichst selbständige und selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen oder zu erleichtern “ [2].


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Nationale Gesundheitsziele in Deutschland

Zur Etablierung von nationalen Gesundheitszielen wurde eine gesundheitspolitische Bund-Länder-Initiative im Jahr 2000 ins Leben gerufen (www.gesundheitsziele.de). Gesundheitsziele sollen danach ein ergänzendes Steuerungsinstrument sein, das zur Zielorientierung und damit zur Qualität der Versorgung beitragen und helfen soll, begrenzte Mittel optimal einzusetzen. Gesundheitsziele sind dort Vereinbarungen der verantwortlichen Akteure im Gesundheitssystem, in deren Mittelpunkt als übergeordnetes Ziel die Gesundheit der Bevölkerung steht. Rund 120 Organisationen beteiligen sich im Kooperationsverbund, der von der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG) koordiniert wird. Zwischen 2003 und 2017 wurde neun Gesundheitsziele erarbeitet, die zum Teil krankheitsspezifisch sind, zum Teil auf Lebensphasen abzielen oder den Umgang mit Risikofaktoren adressieren. In Zukunft ist die Erarbeitung von Evaluationskonzepten für Einzelziele geplant. Für die Umsetzung wird das Prinzip der Freiwilligkeit betont. Verantwortlichkeiten werden nicht zugeordnet. Damit sind zentrale, international geforderte Anforderungen an Versorgungsziele [3], insbesondere deren Operationalisierung und Umsetzung, nicht erfüllt. Allerdings können Vorarbeiten in die weitere Ausformulierung von Versorgungszielen einfließen.


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Versorgungsziele im deutschen Gesundheitswesen

Obwohl es von den Akteuren bisher keine sichtbaren Bestrebungen gab, nationale Versorgungsziele zu konsentieren, sind zuletzt in verschiedenen Bereichen Versorgungsziele explizit erwähnt worden.

Der 120. Ärztetag 2017 hat eine Optimierung der Patientenversorgung eingefordert und als Voraussetzung gefordert, den Bedarf an medizinischer Versorgung regional aufgeschlüsselt zu untersuchen und regionale Versorgungsziele zu definieren [4].

Der 125. Deutsche Ärztetag 2021 hat eine versorgungsorientierte Strategie für die Digitalisierung im Gesundheitswesen konsentiert. „Die neue Bundesregierung solle dabei insbesondere die Verbesserung der Versorgung vulnerabler Gruppen in den Fokus nehmen und die Strategie an definierbaren Versorgungszielen ausrichten. Aus Sicht der Ärzteschaft müsse es dazu einen Konsensprozess zur Strategie geben, an dessen Ende dann messbare Parameter stehen, die sich auf medizinische sowie aus Patientensicht relevante Outcomes beziehen. Die Strategie solle versorgungsorientiert und zunächst unabhängig von technischen Vorgaben konsentiert werden. Als Leitplanke für die technische Umsetzung sollten die erarbeiteten inhaltlichen Anforderungen fungieren “ [5]

Die Bundesärztekammer hat in einem Thesenpapier 2021 gefordert, dass sich eine Digitalstrategie auf Versorgungsziele fokussieren muss und sich an konkreten Versorgungsnotwendigkeiten orientieren soll. Die Bundesärztekammer sollte gemeinsam mit der AWMF hier entsprechende Vorschläge erarbeiten und in die Diskussion bringen. Der bestehende Mangel einer Digitalstrategie gefährde die Entwicklung und Akzeptanz der Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung [6]. „Die dringende Notwendigkeit einer Digitalstrategie wurde mittlerweile auch durch die Bundesregierung erkannt. Im Herbst 2022 soll mit deren Entwicklung im Rahmen eines umfangreichen Beteiligungsverfahrens und eines partizipativen Prozesses begonnen werden [7]. Hier besteht nun die Chance und die Aufgabe, Versorgungsziele und Digitalstrategie zusammenzuführen und so eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat gefordert, ambulante Versorgungsstrukturen schrittweise zu entwickeln und an Versorgungszielen der Zukunft auszurichten [8]

Das Gutachten 2018 des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen (SVR) adressiert explizit die Leistungssteuerung in der Gesundheitsversorgung. Der SVR folgt in seinem Gutachten dem Deutschen Ethikrat mit der Forderung, das Patientenwohl als Leitprinzip festzuschreiben [9]. Daraus leitet der SVR die „Bedarfsgerechte Steuerung als Chance zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung und zur Sicherung des Patientenwohls“ ab. Damit behält er Struktur und Ausrichtung des aktuellen Gesundheitssystems im Grundsatz bei und benennt Versorgungsziele nur am Rande als Forderung für ambulante Versorgungsnetze.

Im Bereich der Gesundheitsversorgung finden sich in Deutschland bereits einige Ansätze, bei denen Versorgungsziele – wenn auch nicht immer explizit so benannt – elementarer Bestandteil sind, so beim Nationalen Krebsplan, der Diabetes-Surveillance und im Bereich der Entwicklung von Qualitätsindikatoren.


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DNVF-Forum Versorgungsforschung 2018

Das DNVF befasste sich im 6. Forum und einem nachfolgenden Workshop der Ad-hoc Kommission bereits mit der Formulierung von nationalen Versorgungszielen [10] Es sollte ein Projekt zur Konsentierung von Versorgungszielen angestoßen werden. Die Ad-hoc-Kommission schlug vor, einem Stufenmodell für lernende Systeme zu folgen [11]:

  1. Deskription der Versorgung,

  2. ihrer Analyse,

  3. Ableitung von Zielen, auf deren Grundlage,

  4. Maßnahmen festgelegt und, z. B. im Rahmen von Innovationsfonds-Projekten, getestet werden, um

  5. ihren Erfolg hinsichtlich Zielerreichung bzw. Verbesserung zur initialen Situation vor einer breiten Implementation darzustellen.

Die Wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollten dafür gewonnen werden, operative Versorgungsziele in alle Leitlinien einzuarbeiten. In die gleiche Richtung weist auch ein Vorschlag von Schmitt und Neugebauer, Leitlinien mit Qualitätsindikatoren zu versehen [12] Dies entspricht auch der aktuellen Forderung des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) sowie der oben genannten Nationalen Diabetes-Surveillance RKI [13] [14] [15]


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International

Gesundheitsziele

Ein Rahmenkonzept „Gesundheit für alle“ wurde für die Europäische Region der WHO 1998 erarbeitet [16] Dieses Rahmenkonzept basiert auf einer gründlichen Analyse der Gesundheitsprobleme der Menschen in dieser Region, setzt Ziele für die gesundheitliche Verbesserung und beschreibt Strategien, nach denen Länder, Organisationen und Bürgerinnen/Bürger länderspezifische Konzepte in praxisnahe Programme umsetzen können.

Die Hauptziele sind die Gesundheit der Bevölkerung während der gesamten Lebensspanne zu fördern und zu schützen sowie die Verbreitung der wichtigsten Krankheiten und Verletzungen zu reduzieren.

Drei Grundwerte bilden hier die ethische Grundlage:

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Abb. 1 International werden „Versorgungsziele“ in der Schnittmenge zwischen breit angelegten – d.h. über das Gesundheitssystem im engeren Sinne hinausreichenden – Gesundheitszielen und dem Health System Performance Assessment“ (HSPA) verankert [[11].
  • Gesundheit als fundamentales Menschenrecht,

  • gesundheitliche Chancengleichheit und Solidarität bei den Handlungen

  • Partizipation und Rechenschaftspflicht in der gesundheitlichen Entwicklung

Das Rahmenkonzept sollte in der Gesundheitspolitik jedes Mitgliedstaats berücksichtigt werden. „Gesundheit für alle“ ist ein Prozess, der nach und nach die Gesundheit der Bevölkerung verbessern soll. Dafür wurden 21 Ziele für die EU-Region genauer formuliert. Sie bilden einen Handlungsrahmen und Anregungen für mögliche Ziele und Schwerpunkte auf Länder- bzw. Gemeindeebene.

„Gesundheit 2020“ trägt dem Umstand Rechnung, dass erfolgreiche Regierungen echte gesundheitliche Fortschritte erzielen können, wenn sie ressortübergreifend für zwei strategische Ziele arbeiten:

  • Verbesserung der Gesundheit für alle und Verringerung der gesundheitlichen Ungleichheiten

  • Verbesserung von Führung und partizipatorischer Steuerung für die Gesundheit.

Konkret verfolgte die WHO Europa seit 2013 folgende sechs „Dachziele“, die für den Zeitraum bis 2020 zum Teil genauer quantifiziert wurden [17]:

  1. Senkung der vorzeitigen Mortalität in der Europäischen Region

  2. Erhöhung der Lebenserwartung in der Europäischen Region

  3. Abbau gesundheitlicher Ungleichgewichte in der Europäischen Region

  4. Förderung des Wohlergehens der Bevölkerung in der Europäischen Region

  5. Allmähliche Verwirklichung einer allgemeinen Gesundheitsversorgung

  6. Aufstellung nationaler Zielvorgaben oder Ziele in den Mitgliedstaaten

Insbesondere der letzte Punkt ist jedoch bisher in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt worden.

Beispielgebend ist die Behandlung von Gesundheitszielen in Österreich (https://gesundheitsziele-oesterreich.at/). 2011 hat der Ministerrat die Umsetzung von Gesundheitszielen beschlossen. Zusammen mit 40 Institutionen wurden in fünf Workshops 10 Gesundheitsziele erarbeitet. In einer bundesweiten Vorstellung wurden über 4.500 Anregungen eingebracht. Als Ergebnis dieser gesellschaftsweiten Erörterung beschloss der Ministerrat bereits 2012 zehn Gesundheitsziele. Die Ziele wurden in Arbeitsgruppen operationalisiert.

Die konkrete Umsetzung wird von einem Monitoring begleitet. Die Ergebnisse werden der Bundesgesundheitskonferenz berichtet. Seitdem wird die Implementierung regelmäßig evaluiert, die Ergebnisse werden dem Parlament berichtet. Alle Berichte und Ergebnisse werden publiziert.

Health System Performance Assessments

Im Rahmen des Health System Performance Assessments (HSPA) der WHO werden vier Hauptziele definiert:

  • verbesserte Gesundheit (Niveau und Gerechtigkeit),

  • Responsiveness (Respekt vor der Person und Patienten-/Nutzerorientierung),

  • finanzieller Risikoschutz,

  • verbesserte Effizienz

zudem später auch sogenannte „intermediate goals“ kommen. (coverage, access, quality, safety) [18]

Im weiteren Verlauf hat das OECD Quality Framework die vier Komponenten Effectiveness, Safety, Responsiveness und Access herausgearbeitet und diese verschiedenen Gesundheitsphasen (Gesund bleiben (staying healthy), gesund werden (getting better), mit einer Erkrankung oder Behinderung leben (living with disease and disability), und Versorgung am Lebensende (final care) gegenübergestellt.

Darauf aufbauend wurde in den Niederlanden der Dutch Healthcare Performance Report (DHCPR) entwickelt, der zur Grundlage der Analyse und Weiterentwicklung des dortigen Gesundheitssystems genutzt wird. Während der Konzeptrahmen – basierend auf einer umfangreichen Literaturanalyse – top-down von Politiker:innen und Wissenschaftler:innen erstellt wurde, erfolgte die Indikatorenauswahl bottom-up durch Surveys der Bevölkerung, der Leistungserbringer und der Kostenträger sowie aufgrund von Registerdaten und weiteren Datenbanken [19]

Ein einfacheres System hat Neuseeland eingeführt. Basierend auf sechs staatlich definierten Zielen wurden gemeinsam mit dem Gesundheitssektor 12 Indikatoren entwickelt. Auf lokaler Ebene müssen dann Gesundheitsanbieter zusammen mit der Gesellschaft die notwendigen Aktionen vereinbaren, um die übergeordneten Ziele zu erreichen [20].

Die beiden Ansätze erlauben einen guten Überblick über verwendete Indikatoren und ihre Wertigkeit. Die DNVF Ad-hoc-Kommission empfahl eine Modifikation der niederländische Performance Assessment Tabelle als Ausgangspunkt für die Entwicklung in Deutschland zu nehmen.

Die WHO Europa hat eine Übersicht der verwendeten Domänen und Indikatoren von 30 europäischen Ländern zusammengestellt. Während fast alle Länder Gesundheitsversorgung und verbesserte Gesundheit als Domänen und die meisten auch Personalstruktur sowie Finanzierung inkludiert hatten, waren andere Themen wie z. B. Sicherheit, Effektivität und Versicherungsschutz nur bei 20–30% der Länder berücksichtigt. Die durchschnittliche Zahl der Indikatoren lag bei 50 (9–146) [21] Eine umfassende Analyse der bisher verwendeten Healthcare Performance Indicators zur Beurteilung der Versorgungsqualität wurde aktuell veröffentlicht [22].


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Versorgungsziele und Core Outcome Sets

Die Entwicklung von Core Outcomes Sets könnte eine mögliche Grundlage für die Definition erkrankungsspezifischer Versorgungsziele bilden. Ein Core Outcome Set ist ein international konsentiertes Minimalset von Outcomes für ein medizinisches Themenfeld (z. B. Erkrankung, Intervention), welches in standardisierter Art und Weise in einem definierten Kontext oder Setting (klinischen Studien, Regelversorgung, Qualitätsmanagement) erhoben und berichtet werden sollte [12]. Core Outcome Sets sollen einerseits sicherstellen, dass die relevantesten Behandlungsziele in allen Dokumentationen eines Themenfeldes erfasst werden, dass sie valide und einheitlich erhoben werden und dass somit Evidenzsynthesen, etwa für die Nutzung der übergreifenden Evidenz in Leitlinien, möglich sind. International wurden bereits mehrere 100 Core Outcome Sets entwickelt und im Register der Core Outcome Measures in Effectiveness Trials (COMET) Initiative registriert (www.comet-initiative.org).

Die Entwicklung von Core Outcome Sets folgt einer einheitlichen Methodik unter Beteiligung von Patientenvertreter:innen, Kliniker:innen und weiteren für den Versorgungskontext relevanten Interessengruppen [23] In einem ersten Schritt werden die Outcome Dimensionen konsentiert. Diese stellen gewissermaßen die Versorgungsziele auf der Ebene des zu erfassenden Konzepts dar, wie z. B. Lebensqualität, Überlebensraten, Beteiligung. Im zweiten Schritt werden dann Messinstrumente oder Indikatoren definiert, um einheitlich festzulegen, wie die konsentierten Konzepte valide, reliabel und praktikabel erfasst und berichtet werden sollen [23].

Mittlerweile hat sich das International Consortiums of Health Outcome Measurement (ICHOM) mit seinem Konzept einer werteorientierten Gesundheitsversorgung etabliert. Die Leistungserbringer:innen arbeiten hier in enger Abstimmung mit Patient:innen zusammen. Die Festlegung globaler Sets patientenorientierter Ergebnismessungen und die Förderung der Annahme und Berichterstattung dieser Messungen sind weltweit konsentiert und auf der Webseite für verschiedene Krankheitsbilder publiziert (www. Ichom.org).

Core Outcome Sets können für die Definition von Versorgungszielen in Deutschland sehr hilfreich sein, weil sie ein gut übertragbares, etabliertes methodisches Vorgehen bieten, das einem partizipatorischen Ansatz folgt. Zudem bieten die Sets wichtige Anhaltspunkte, welche Zieldimensionen für unterschiedliche Versorgungskontexte und Krankheitsbilder von besonderer Relevanz sind.


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Warum sind Versorgungsziele jetzt wichtig?

Im Länderprofil Gesundheit 2021 der OECD und des European Observatory wird festgestellt, dass die Kosten des deutschen Gesundheitssystems nicht den oft nur durchschnittlichen Gesundheitsergebnissen für die Bevölkerung entsprechen und Raum für weitere Effizienzsteigerungen lassen. Bei den meisten Initiativen und gleichzeitig laufenden Programmen bestehe das Problem darin, dass es keine systematische Bewertung gibt, nicht alle Sektoren beteiligt sind und keine übergeordneten nationalen Ziele formuliert wurden. Eine regelmäßige Leistungsbewertung würde die Möglichkeit bieten, die Leistung des deutschen Gesundheitssystems besser zu verstehen und Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Versorgung verbessert und die Kosten reduziert werden können [24].

Neuausrichtung des Gesundheitssystems

In jüngster Zeit haben mehrere Gruppen und Initiativen [9] [25] [26] mit wachsender Dringlichkeit die Notwendigkeit einer Neuausrichtung des deutschen Gesundheitssystems angemahnt. Nur so könne es in die Lage versetzt werden, die Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen und die Vorgaben des SGB V §12 und §70 zu erfüllen. Die Erfahrungen in der Corona-Pandemie haben dies eindrücklich unterstrichen. Da nationale Gesundheits- und Versorgungsziele fehlten, sind strukturelle und inhaltliche Probleme unseres Gesundheitssystems deutlich zu Tage getreten, so z. B. eine zunehmende Deregulierung und Kommerzialisierung, eine ungenügende sektorübergreifende Versorgung, eine ausgeprägte Unterbesetzung im Bereich der Pflege und des Öffentlichen Gesundheitswesens.

Für eine solche Neuausrichtung ist die Definition von Versorgungszielen eine unverzichtbare Voraussetzung. Nationale Versorgungsziele können ein Gesundheitssystem unmittelbar positiv beeinflussen, wenn sie operationalisiert, konsequent umgesetzt und die Ergebnisse transparent berichtet werden sowie ihre Effekte evaluiert und für Lernprozesse genutzt werden. Dies zeigen folgende Beispiele:

Sicherstellung der Versorgung in der Pandemie. Die beiden ersten Ziele des Nationalen Pandemieplans beziehen sich auf die Sicherstellung der Versorgung. Dies konnte vor allem durch Engagement und Selbstorganisation der ambulanten und stationären Versorgung gesichert werden. Eine patienten- und bedarfsorientierte Umsetzung hätte alle Betroffenen deutlich entlasten können.

Versorgungsziele können das Pflegeproblem adressieren und dazu beitragen, das Gesundheitssystem krisenfester zu gestalten (Preparedness). Die Einführung von Versorgungszielen führt dazu, den Bedarf und den Einsatz von Pflegekräften festzulegen und prospektiv zu planen. Das Pflegeproblem ist natürlich erst dann gelöst, wenn für alle wesentlichen Behandlungssituationen Pflegekräfte in ausreichender Menge und Qualifikation verfügbar sind. Wäre eine solche Zielorientierung bereits vor Jahren erfolgt und konsequent umgesetzt worden, hätten wir heute kein so gravierendes Pflegeproblem.

Über-, Unter- und Fehlversorgung reduzieren. Versorgungsziele wie etwa „Bedarfsorientierung“ und „Hohe Indikationsqualität“ können Über-, Unter- und Fehlversorgung wirksam eindämmen [8] Zudem erschweren sie die fortschreitende Kommerzialisierung, da sie nicht notwendige Behandlungen erheblich reduzieren. Beispielhaft sind hier die Initiativen choosing wisely [https://www.choosingwisely.org] und „Gemeinsam klug entscheiden“ der AWMF [https://www.awmf.org/medizin-versorgung/gemeinsam-klug-entscheiden.html] zu nennen.


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Versorgungsziele als Goldstandard

Auch für eine Bewertung der aktuellen Situation des Gesundheitssystems, bedarf es nationaler Versorgungsziele als Goldstandard:

Nur wenn messbare Ziele formuliert, monitoriert und transparent berichtet werden,

  • kann beurteilt werden, wie gut das Gesundheitssystem wirklich ist;

  • können Maßnahmen definiert werden, um gesetzte Ziele zu erreichen.

Wer öffentliche Ressourcen und die Beiträge der Versicherten nutzt, sollte seine Leistungen, seine Ergebnisse und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch transparent darstellen und sich an einem definierten und vereinbarten Outcome messen lassen. Für die zukunftsorientiere Gestaltung des Gesundheitssystems ist es entscheidend, Patientenzentrierung über Partikularinteressen zu stellen.


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Versorgungsziele als Gebot der Stunde

Gesundheitspolitik

„Wir sorgen für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung und eine menschliche und qualitativ hochwertige Medizin und Pflege “ [27] Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung propagiert eine Neuausrichtung mit Patient:innen bezogenen Versorgungszielen. Jetzt gilt es, aus dieser Absichtserklärung konkrete und umsetzbare Ziele abzuleiten und dabei alle wesentlichen Gruppen zu beteiligen. Insbesondere chronische und komplexe Erkrankungen bedürfen der sektorenübergreifenden Versorgung. Die Bewertung des Nutzens muss sich dabei an der Versorgung und Lebensqualität der Patient:innen in oft regionalen Versorgungskontexten und krankheits- und sozialbezogener Gruppen orientieren. Nur so kann die Politik sicherstellen, „dass die knappen Ressourcen effizient eingesetzt werden und die verschiedenen Akteure im Gesundheitssystem Anreize erhalten, noch stärker für den Patient:innennutzen zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig werden durch eine Vergleichbarkeit und durch transparente Anforderungen auch die Grundlagen für langfristige und substanzielle Investitionen in Innovationen gegeben “ [25] Nationale Versorgungsziele können Orientierung für Allokationsentscheidungen und Priorisierungen geben.


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Leistungserbringende

Regionalisierte Versorgungsziele unterstützen die Versorgungseinrichtungen und die Leistungserbringenden aller Berufsgruppen dabei, hochqualitative Leistungen zu erbringen. Dazu ist es erforderlich, ein personell und technisch angemessenes Setting zu schaffen und so eine qualitativ hochwertige und evidenzbasierte Versorgung zu gewährleisten. Dabei wird gleichermaßen die Patientensicherheit gestärkt und die Lebensqualität der Patient:innen in angemessener Weise erhalten.


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Patient:innen

Aufgrund der demographischen Entwicklung werden zukünftig weniger Leistungserbringende für mehr, vornehmlich chronisch kranke Patient:innen zur Verfügung stehen. Um eine qualitativ hochwertige, patientenorientierte, wohnortnahe und finanzierbare Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, wird die Einbeziehung von und die Mitgestaltung des Gesundheitswesens durch Patient:innen und Angehörige immer wichtiger. Patient:innnen und Bürger:innen müssen daher in die Ausrichtung nationaler und regionaler Versorgungsziele systematisch eingebunden werden.


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Weiteres Vorgehen

Versorgungsziele, Ressourcen, Rahmenbedingungen, Professionalität und Ethik bilden die Säulen für die Gestaltung des Gesundheitssystems. Für die Akzeptanz sowie für eine erfolgreiche und nachhaltige Implementierung von Versorgungszielen ist ein breiter gesellschaftlicher Konsens von wesentlicher Bedeutung. Ergänzend werden in diesem Prozess Werte und ethische Normen für die Umsetzung vereinbart. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sollte den Prozess der gesellschaftlichen Willensbildung zur Definition von Nationalen Versorgungszielen ermöglichen und fördern [26]

Es bietet sich an, in einem ersten Assessment den jetzigen Stand der Gesundheitsversorgung auf allen genannten Ebenen (Makro-, Meso- und Mikroebene) zu analysieren (Versorgungstransparenz).

In Analogie zum niederländischen Modell kann durch eine Kombination top-down und bottom-up eine Erarbeitung der Rahmenstruktur durch Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft sowie aus Leistungserbringenden und Patienten erfolgen; anschließend erfolgt eine Auswahl der Indikatoren in einem breiten gesellschaftlichen Input.

Bürgerkonferenzen wären eine denkbare Methode, um Gesundheits- und Versorgungsziele in einer Verbindung von Kreativ- und Konsensmethoden zu erarbeiten [28] Weitere interessante Management- und Steuerungsinstrumente sind Gesundheitskonferenzen oder Gesundheitsregionen [29], die bereits in vielen Kommunen in Deutschland sowie häufig auch auf Bundesländerebene etabliert sind. Die Ergebnisse durchlaufen dann noch einen Prozess der öffentlichen Diskussion. Die Rahmenbedingungen für die Bildung und Verbindlichkeit der Gesundheits- und Versorgungsziele sind durch die Politik auf der Bundes-, Landes- und kommunalen Ebene zu setzen. Die aktuellen Nationalen Gesundheitsziele (www.gesundheitsziele.de) (siehe oben) sollten dabei entsprechend den aktuellen Erfordernissen und Möglichkeiten mitberücksichtigt werden. Schließlich sollten im Rahmen der Leitlinienarbeit spezifische Versorgungsziele und entsprechende Indikatoren zu deren Messung konsentiert werden. Für diesen Schritt bildet das methodische Rahmenkonzept der Core Outcome Set Definition eine geeignete Grundlage.

Als Ergebnis liegen am Ende des Prozesses die Nationalen Versorgungsziele vor, die einschließlich einer zugrundeliegenden Faktenbasis mit belastbaren Daten in einem Handbuch „Nationale Versorgungsziele“ veröffentlicht und gepflegt werden. Für die weitere Umsetzung und regionale Anpassung der Versorgungsziele werden operative Rahmenbedingungen definiert, die alle nachfolgenden Einrichtungen bei der Zielerreichung verbindlich leiten.

Nach diesen Vorgaben sollte das BMG die gesetzlichen Grundlagen formulieren, die von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Sie bilden den Auftrag an die Selbstorganisation/-verwaltung, der in einem formalen Delegationsverfahren mit klaren Zielen, Terminen und Verantwortung übergeben wird. Die übergeordnete Verantwortung für die Umsetzung könnte bei dem neu zu gründenden Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit liegen, wie es bereits im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition angekündigt wurde.

Fazit

Die Politik hat den gesellschaftlichen Auftrag, die Formulierung Nationaler Versorgungsziele voranzutreiben und begleitende Gesetze zu verabschieden, auf deren Grundlage die konkrete Umsetzung verbindlich gemacht wird. Dazu bedarf es einer klaren politischen Willensbildung. Das DNVF ist bereit, an der Entwicklung von Versorgungszielen aktiv mitzuwirken.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* geteilte Erstautorenschaft


** geteilte Letztautorenschaft



Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Edmund Neugebauer
Medizinische Hochschule Brandenburg (MHB)
Campus Neuruppin
Fehrbelliner Str. 38
16816 Neuruppin
Germany   

Publication History

Article published online:
06 September 2022

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Abb. 1 International werden „Versorgungsziele“ in der Schnittmenge zwischen breit angelegten – d.h. über das Gesundheitssystem im engeren Sinne hinausreichenden – Gesundheitszielen und dem Health System Performance Assessment“ (HSPA) verankert [[11].