Handchir Mikrochir Plast Chir 2022; 54(06): 484-488
DOI: 10.1055/a-1929-1634
Übersichtsarbeit

Zur medizinischen Indikation bei ästhetisch-plastischen Operationen

About Medical Indications in Aesthetic Plastic Surgery
1   Plastische Chirurgie, Sana Klinikum Hameln-Pyrmont, Hameln, Germany
,
Günter Germann
2   Ästhetische Chirurgie, ETHIANUM – Klinik für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Heidelberg, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Der Begriff der Indikation wird in der Medizin und in der Gesundheitswirtschaft vielfältig gebraucht. Oft in Verbindung mit „medizinisch“ und/oder „ärztlich“ wird zumeist der Weg zwischen Arzt und Patient beschrieben, nach Abwägung aller vorhandenen Informationen ein gemeinsames Behandlungsziel zu beschreiben und daraus abgeleitete Maßnahmen zu definieren. Aus heutiger Sicht spielt allerdings noch ein dritter Faktor eine Rolle: die Gesundheitswirtschaft, hier insbesondere in Form der Krankenversicherungen (sowohl GKV als auch PKV), aber neuerdings auch in Form der Finanzverwaltungen. In der Plastischen Chirurgie zeigt sich das Dilemma, dass trotz in vielen Fällen aus ärztlicher Sicht gesicherter Indikation weder die Kostenträger noch Finanzgerichte oder -ämter bereit sind, der ärztlichen Einschätzung zu folgen und die Indikationsstellung (zumeist ohne Begründung) ablehnen. Die Arbeit bietet Hilfestellung zur Definition einer Indikation bei ästhetisch plastischen Eingriffen.


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Abstract

The concept of indication is used in many ways in medicine and in the healthcare industry. In connection with “medical” and/or “physician-based”, it is often used to describe the path that a doctor and a patient take – after weighing up all available information – to describe a common treatment goal and to define measures derived from that goal. From today's perspective, however, there is a third factor that plays a role: the healthcare industry, here in particular in the form of health insurance (both statutory health insurance and private health insurance), but more recently also in the form of financial administration. Plastic surgery is faced with the dilemma that, although there is a medically proven indication in many cases, neither the payers nor the financial courts or offices are willing to follow the medical assessment and reject the indication (usually without justification). This article offers support in defining an indication for aesthetic plastic surgery.


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Einleitung

Der Begriff der Indikation wird in der Medizin und in der Gesundheitswirtschaft vielfältig gebraucht. Oft in Verbindung mit „medizinisch“ und/ oder „ärztlich“ wird zumeist der Weg zwischen Arzt und Patient beschrieben, nach Abwägung aller vorhandenen Informationen ein gemeinsames Behandlungsziel zu beschreiben und daraus abgeleitete Maßnahmen zu definieren. Aus heutiger Sicht spielt allerdings noch ein dritter Faktor eine Rolle: die Gesundheitswirtschaft, hier insbesondere in Form der Krankenversicherungen (sowohl GKV als auch PKV), aber neuerdings auch in Form der Finanzverwaltungen [1].

Im Falle lebensbebedrohlicher Erkrankungen sind sowohl Ziele als auch Maßnahmen zwischen Arzt, Patient und Gesundheitswirtschaft zumeist unkritisch. Typische klinische Probleme erfordern generell typische Lösungen [2]. Aber auch hier beginnt sich das Bild zu wandeln: wenn neue, extrem teure Behandlungsoptionen in Frage kommen, ist auch die Versicherungswirtschaft/Solidagemeinschaft trotz gesicherter Indikation nicht mehr uneingeschränkt bereit, jeden Preis zu bezahlen.

Gleichzeitig haben sich Felder ergeben, in denen Versicherungen ohne gesicherte Indikation und Wirksamkeitsnachweis für bestimmte Verfahren Behandlungskosten übernehmen: genannt seien z. B. homöopathische Behandlungen, humangenetische Beratungen oder Wunschkaiserschnitte.

In der Plastischen Chirurgie zeigt sich das Dilemma, dass trotz in vielen Fällen aus ärztlicher Sicht gesicherter Indikation weder die Kostenträger noch Finanzgerichte oder -ämter bereit sind, der ärztlichen Einschätzung zu folgen und die Indikationsstellung (zumeist ohne Begründung) ablehnen.

Das kann dazu führen, dass trotz einer ärztlich gesicherten Indikation Versicherungen die Leistungspflicht ablehnen und Finanzämter die ärztliche Tätigkeit mit Umsatzsteuer belegen.

Ziel der Arbeit ist es, sowohl das gedankliche Konstrukt der Herleitung einer Indikation darzustellen, ihre Definition zu erläutern als auch an Beispielen aus der Plastischen Chirurgie zu illustrieren.


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Was ist eine Indikation?

Im Rahmen einer individuellen vertrauensvollen Arzt-Patienten Beziehung sollen Behandlungsmaßnahmen festgelegt werden. Eine Indikation ist das Ergebnis eines Abwägungsprozesses des Arztes, der empirische, subjektive und objektive Parameter mit dem Ziel bewertet, diagnostische und therapeutische Maßnahmen anzuwenden, um ein Behandlungsziel mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit zu erreichen [3]. Indikation, Behandlungsplan und –ziel sind eine Einheit, die allerdings immer an den Patienten angepasst ist.

Nach Anschütz [4] ist die Indikation nicht mit der eigentlichen Handlung zu verwechseln. Sie muss aktiv gestellt werden, um bspw. eine Therapie einzuleiten. Dabei spielen heute nicht nur echte medizinische sondern auch ökonomische Gedanken eine Rolle. Zu nennen sind z. B. Ergebnisse der evidenzbasierten Medizin (EbM), die sich regelmäßig ändern können und die Niederschlag in den Leitlinienen der AWMF finden (Arbeitsgemeinschaft der Medizinischen Fachgesellschaften). Allerdings müssen diagnostische und therapeutische Maßnahmen eben auch vor dem wirtschaftlichen Hintergrund geprüft werden. So verlangt das Sozialgesetzbuch SGB, dass nur solche Maßnahmen vom Solidarsystem der allgemeinen Krankenversicherungen getragen werden, die das Wirtschaftlichkeitsgebot in § 12 SGB V erfüllen: Leistungen müssen ausreichend, notwendig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

In der ästhetisch plastischen Chirurgie spielt die Indikation aus unterschiedlichen Gründen eine Rolle. Zunächst wird die Indikation vor allem durch das subjektive Erleben des Patienten begründet. Dennoch – und das ist entscheidend – kann dieses subjektive Erleben vielfach objektiviert werden [5]. Aus subjektiv empfundenen Mängeln können objektivierbare Diagnosen entstehen, für die wiederum nach einem Abwägungsprozess geeignete Maßnahmen oder Heilbehandlungen definiert werden können.

Um ein Behandlungsziel zu definieren, muss ein zunächst subjektiv und objektiv behandelnswerter/bedürftiger Zustand vorliegen, der dann mittels einer Heilbehandlung, die im optimalen Fall zwischen Arzt und Patient konsentiert ist, therapiert wird.

Wenn ein nur subjektiv behandelnswerter Zustand vorliegt, der medizinisch nicht objektiviert werden kann, dann kann auch keine Indikation für eine Heilbehandlung abgeleitet werden. Diese Argumentation wird zumeist von Kostenträgern und Finanzbehörden angeführt. Dabei muss es die Medizin berühren, wenn zwei gesellschaftliche Institutionen, in der Regel ohne profunde ärztliche Kenntnisse oder Beratung, über die Korrektheit einer Indikation entscheiden.

Sprechen wir bei behandelnswerten Zuständen von Erkrankungen, finden sich dafür nach Definition der WHO im ICD Katalog kodierbare Entsprechungen. Bei der Definition des Begriffs Gesundheit durch die WHO heißt es aber, dass „Gesundheit ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens ist und nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen“. Der aktuelle Gesundheitsbegriff ist also deutlich weiter gefasst als früher und schließt auch seelisches Wohlbefinden ein, was in der ästhetisch-plastischen Chirurgie und deren Leistungsspektrum einen wesentlichen Teil des Behandlungszieles darstellen kann.

Eine Indikation bedeutet zusammengefasst die medizinische und ethische Begründung eines Eingriffes, der einem therapeutischen Ziel dient. Hierbei spielt es grundsätzlich keine Rolle, in welcher Disziplin eine Indikation gestellt wird.

So kann z. B. eine Brustverkleinerung zu Lasten der Versicherungen abgerechnet werden, wenn Schmerzen und Hautveränderungen eine Brustverkleinerung als Maßnahme indizieren, um Schmerzfreiheit und intakte Hautverhältnisse (therapeutisches Ziel) zu erreichen.


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Indikation und Krankenkassen

Nun ist die Antwort auf die Frage entscheidend, ob bei einer subjektiv vorgetragenen Einschränkung eine objektivierbare Erkrankung im Sinne des ICD vorliegt, für die eine Indikation zur medizinischen Behandlung abgeleitet werden kann.

Krankenversicherungen und Sozialgerichte führen regelmäßig an, dass über die Indikation immer (nur) der behandelnde Arzt entscheidet. Allerdings wird den Versicherungen das Recht zugestanden, nach erfolgter Behandlung/ Operation die entsprechende Indikation zu prüfen. Das Instrument der allgemeinen Kostenübernahmeanträge ist zwar nicht im SGB vorgesehen, hat sich aber in der praktischen Tätigkeit etabliert und führt im Routineverfahren zur präoperativen Absicherung aller Beteiligten. Dabei fällt immer auf, wie sehr die Prüfung der Indikation von subjektiven Werten, veränderten objektiven Parametern und finanziellen Zwängen abhängig ist.

Dazu kommen fast willkürlich scheinende Rückgriffe auf einen gesellschaftlichen Konsens hinsichtlich des Abweichens körperlicher Normen, der nie diskutiert wurde. Befunde, die noch vor Jahren für einen operativen Eingriff akzeptiert wurden, gelten heute als „in der Norm liegend“. Die Verschiebung der Parameter läßt sich gut an der Indikation zur Mammareduktion illustrieren. Wurde vor einiger Zeit ein prognostiziertes Resektionsgewicht von ca. 500 g und mehr als ausreichend für die Kostenübernahme angesehen, werden heute dezidiert und mehrfach nachgewiesene Beschwerden gefordert und selbst dann findet sich noch häufig das Prüfergebnis, die Antragstellerin möge „weite Kleidung tragen und regelmäßig Physiotherapie“ durchführen lassen.

In der Praxis ist das Recht zur Prüfung der medizinischen Indikation durch die Kostenträger zu einem Instrument der unilalateralen Direktionskompetenz geworden. Der Medizinische Dienst und dessen Gutachter bejahen oder verneinen die vom Arzt gestellte Indikation, so dass den Patienten außer dem Widerspruchsverfahren oft nur die Klage vor dem Sozialgericht bleibt.

Daraus resultiert eine regional höchste unterschiedliche Genehmigungspraxis, welche die Widersprüchlichkeit dieses Prozesses zeigt.

Der aktuell in der 10. Auflage vorliegende ICD-Katalog listet alle physischen und psychischen Krankheiten und Gesundheitsstörungen auf, aus deren Behandlung sich die Kriterien der heilbehandelnden Tätigkeit sowie des therapeutischen Ziels ergeben [6]. Über die ICD 10 Kodierung einer Krankheit kann nur der behandelnde Arzt in Kenntnis der Anamnese und aller Befunde entscheiden.

Für solchermaßen dann definierte Erkrankungen gibt es therapeutische Maßnahmen. Diese können konservativer oder operativer Natur sein. Nach §27 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Therapie muss nach §12 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein. Zudem ist dabei auch der medizinischen Standard einzuhalten, der sich aus dem gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft, seiner ärztlichen Erfahrung und der anerkannten medizinischen Praxis ergibt. Alle so begründeten Tätigkeiten eines Arztes sind therapeutischen Maßnahmen und uneingeschränkt Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin.

Entscheidend ist das Behandlungsziel [7]. Erfolgt also eine ärztliche Leistung zur Vorbeugung, Diagnostik, Behandlung oder Heilung einer in diesem Katalog aufgeführten Krankheit, liegt zwangsläufig dann eine medizinische Indikation für eine entsprechende Heilbehandlung vor, wenn deren Heilung oder Veränderung das Behandlungsziel sind. Liegt eine solche Einheit aus Erkrankung, Indikation, Behandlungsplan und -ziel nicht vor, kann auch nicht von einer indizierten Heilbehandlung gesprochen werden. Damit könnten z. B. Leistungen gemeint sein, die dem Bereich „Körperschmuck“ zuzurechnen sind, wie Piercing, Bleaching, Veneers, Permanent Make Up. Auch Maßnahmen der Faltenkorrektur wie Unterspritzungen können dazu zählen, wenn man annimmt, dass Altern per se zunächst keine Krankheit ist. Wenner stellt in seinem Aufsatz [8] zur Differenzierung zwischen „notwendig“ und „nicht notwendig“ die Fragen: „Darf ich das machen?“ und „Braucht der Patient das jetzt?“

Am Beispiel der aktuellen Diskussion um das Lipödem läßt sich der dargestellte Konflikt zwischen ärztlich, versicherungswirtschaftlich und gesundheitspolitisch bestimmter Indikation illustrieren.

Ärztlich unstrittig sind u. a. die lipödemassoziierten Schmerzen als Indikation für eine Liposuktion als derzeit einzig sinnvolle chirurgische Maßnahme zur Reduktion der Schmerzen.

Da Schmerzen kaum objektivierbar sind und es keine sonstigen objektivierbaren diagnostischen Maßnahmen gibt, stellen die Versicherungen die Indikation immer wieder in Frage. Der Gemeinsame Bundesausschuss G-BA als höchstes Entscheidungsgremium im Gesundheitswesen nimmt weitere Kriterien hinzu (BMI, Bewegungshindernisse, frustrane konservative Therapien usw.), um über diese ersatzweise objektivierbaren Kriterien die Indikation für eine Liposuktionsbehandlung im Stadium III der Erkrankung nachvollziehbar zu machen. Offen bleibt dabei, warum dies „nur“ im Stadium III gelten soll.

Dennoch nutzen Sozialgerichte den Spielraum des G-BA Beschlusses von Fall zu Fall umfassend: so finden sich Einzelfälle, bei denen auch im Stadium II die Kostenübernahme durch den Kostenträger verfügt wird.


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Indikation und Umsatzsteuer

Die Frage der Beurteilung einer Indikation findet sich auch regelmäßig in der Diskussion um die Besteuerung ärztlicher Leistungen.

In § 4 Nr. 14 des Umsatzsteuergesetzes hieß es lange, dass die Tätigkeit eines Arztes von der Umsatzsteuer befreit sei. Aus medizinischer Sicht sind damit alle heilberuflichen Leistungen gemeint, die ein Patient in Anspruch nimmt. So waren Heilbehandlungen der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung des ärztlichen und arztähnlichen Berufs erbracht werden, von der Umsatzsteuer befreit. In zahlreichen Veröffentlichungen, unter anderem der WHO, finden sich dazu Definitionen etwa wie: „Heilbehandlungen in diesem Sinne sind Tätigkeiten, die zum Zweck der Diagnose, der Behandlung und soweit möglich der Heilung und Vorbeugung von Krankheiten oder einer anderen Gesundheitsstörung bei Menschen vorgenommen werden und damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit dienen“ (laut WHO: in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht).

Die einheitliche Verwaltungspraxis wurde allerdings durch die Vorstellung der Finanzbehörden sowie der Rechtsprechung nationaler und EU-weiter Institutionen, bestimmte Leistungen von Ärzten mit Umsatzsteuer zu belasten, aufgelöst. So wird steuerrechtlich postuliert, dass Maßnahmen aus dem ästhetisch plastischen Leistungskatalog – auch wenn sie von Angehörigen eines Heilberufes durchgeführt wurden – nicht im Sinne von so genannten Befreiungsnormen (ärztliche Tätigkeit, Heilbehandlung) zu bewerten sind [9].

Der europäische Gerichtshof, der Bundesfinanzhof sowie Länderfinanzgerichte orientieren sich bei der Bemessung der Umsatzsteuerpflicht neben der Maßgabe, dass Tätigkeiten zur Diagnosebehandlung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen vorliegen müssen [10], auch an dem Begriff des therapeutischen Ziels. Daneben wird betont, dass ärztliche Leistungen dann steuerbefreit sind, wenn diese zum Zwecke der Vorbeugung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen vorgenommen werden. Aus den 2005 geänderten Umsatzsteuerrichtlinien ergibt sich, dass ästhetisch-plastische Leistungen steuerpflichtig sind, soweit ein therapeutisches Ziel nicht im Vordergrund steht. Indiz für ein therapeutisches Ziel kann die Kostenübernahme durch eine Krankenversicherung auch in ähnlichen Fällen sein [11].

Diese kann allerdings allenfalls hinweisgebend sein. Denn bei den heute üblichen vollkommen unterschiedlichen Ausgestaltungen von Versicherungsverträgen bzw. Leistungsumfängen der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen sowie der Beihilfestellen kann keinesfalls zwangsläufig der Schluss auf eine Indikation dann gezogen werden, wenn eine Kostenerstattung seitens der Krankenkasse erfolgt – und umgekehrt. Denn zunehmend sind Leistungen, die der Diagnose, Linderung und Behandlung von Krankheiten dienen und entweder vormals selbstverständlich im Leistungskatalog der Kassen verankert waren oder durch den Fortschritt in der Medizin zwischenzeitlich dazugekommen sind, heute keine Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung mehr. Diese finden sich dafür z. B. bei den „Individuellen Gesundheitsleistungen“ wieder, sind deswegen aber nicht notwendigerweise weniger medizinisch indiziert (z. B. Messung des Augeninnendrucks, PSA Bestimmung im Rahmen der Prostatavorsorgeuntersuchung, Alpha-1-Fetoprotein Bestimmung als Indikator kindlicher Fehlbildungen usw.). Andererseits gibt es mittlerweile Leistungen, die zumeist von der Leistungspflicht der Versicherungen umfasst sind, aber bei näherem Hinsehen unter steuer- (und versicherung-) rechtlichen Aspekten „indikationslos“ sind, z. B. Organentnahmen bei Lebenden, Wunschkaiserschnitte oder homöopathische Ansätze.

Diese systemimmanenten Brüche in der Argumentationslogik werden kaum diskutiert, denn welche Krankenversicherung möchte einer Patientin den „Wunschkaiserschnitt“ oder ihren Versicherten homöopathische Behandlungen verweigern?

Neben den Begriffen therapeutisches Ziel und Heilbehandlung bleibt auch auch die WHO Definition von Gesundheit bedeutsam. Denn bei allen fachfremden Erwägungen wird regelmäßig ausgeblendet, dass Gesundheit danach nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen meint, sondern als Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens zu beschreiben ist [12].

Es ist bedenklich, wenn die Einnahmesituation der Versicherungen über die Gesundheitsdefinition der WHO gestellt wird, auf die sich in vielen anderen Fällen berufen wird. Es muss der Eindruck entstehen, dass hier mit dem Konstrukt der „situativen Indikation“ gearbeitet wird.

Für steuerliche Fragestellungen sollte daher aus medizinischer Sicht eine Indikation immer umfassend begründet und dokumentiert werden. Hilfreich ist dabei folgende Checkliste zu therapeutischem Ziel, Heilbehandlung, medizinischer Indikation:

  • Nachweis der medizinischen Indikation über ICD 10 Kodierung, rechtskonforme Verschlüsselung anhand des derzeit gültigen Kataloges

  • Anlehnung an die WHO-Klassifikation von Krankheit und Gesundheit

  • nachvollziehbare Dokumentation (mit daraus resultierender Rechnungsstellung nach GOÄ)

  • Überweisungsschein, dokumentierte Zweitmeinung


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Fazit

Der Begriff der Indikation führt je nach Blickwinkel – medizinisch, versicherungsrechtlich, steuerrechtlich – zu ganz unterschiedlichen Bewertungen der Notwendigkeiten einer ärztlichen Heilbehandlung. Dies schafft einen Status der Unsicherheit, der häufig durch anscheindend willkürliche Veränderungen der Entscheidungsgrundlagen seitens der Kostenträger oder der Finanzbehörden verkompliziert wird.

Die Mammareduktion zeigt diese Komplexizität auf. Ohne Konsens mit den Leistungserbringern wurden die Parameter zur Kostenerstattung seitens der Kostenträger nach unten korrigiert, sodass trotz aller richtigen Maßnahmen sogar Steuerverfahren drohen können.

Im nächsten Schritt wäre deshalb ein Konsens zwischen Kostenträgern und Fachgesellschaften analog zum Katalog ambulanter Leistungen anzustreben. Ausgehend vom Inhalt des § 52 SGB V (Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden) könnten die darin enthaltenen Sachverhalte erweitert, gleichzeitig aber auch präziser definiert werden. Das würde zu einer erheblichen Steigerung der Vereinheitlichung und Rechtssicherheit, im Übrigen auch für Patienten führen.

Ein solcher Konsens (Positiv-Negativ Liste) würde zudem zur Entkriminalisierung beitragen, indem mehrwertsteuerpflichtige klarer von mehrwertsteuerfreien Leistungen getrennt werden könnten.


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Autorinnen/Autoren

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Sixtus Allert
Nach Studium in Bonn, Wien und New York zunächst allgemein- und unfallchirurgische sowie plastisch chirurgische Ausbildung an der Chirurgischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Prof. Dr. L. Schweiberer, Prof. Dr. W. Stock). Weiterbildung zum Plastischen Chirurgen an der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover mit Facharztanerkennung für Plastische Chirurgie (Prof. Dr. A. Berger). Nach Stationen in Hameln und Düsseldorf Zusatzbezeichnung Handchirurgie am Friederikenstift Hannover (Frau Prof. Dr. M. Flügel). Seit 2006 Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie -Handchirurgie des Sana Klinikums Hameln-Pyrmont, seit 2009 Ärztlicher Direktor des Klinikums.

Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. Sixtus Allert
Sana Klinikum Hameln-Pyrmont Plastische Chirurgie, St Maur Platz 1
31785 Hameln
Germany   
Phone: 05151971245   

Publication History

Received: 07 April 2022

Accepted: 16 August 2022

Article published online:
17 October 2022

© 2022. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Sixtus Allert
Nach Studium in Bonn, Wien und New York zunächst allgemein- und unfallchirurgische sowie plastisch chirurgische Ausbildung an der Chirurgischen Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München (Prof. Dr. L. Schweiberer, Prof. Dr. W. Stock). Weiterbildung zum Plastischen Chirurgen an der Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover mit Facharztanerkennung für Plastische Chirurgie (Prof. Dr. A. Berger). Nach Stationen in Hameln und Düsseldorf Zusatzbezeichnung Handchirurgie am Friederikenstift Hannover (Frau Prof. Dr. M. Flügel). Seit 2006 Chefarzt der Klinik für Plastische und Ästhetische Chirurgie -Handchirurgie des Sana Klinikums Hameln-Pyrmont, seit 2009 Ärztlicher Direktor des Klinikums.