ergopraxis 2023; 16(01): 14-16
DOI: 10.1055/a-1930-1770
Wissenschaft

Internationale Studienergebnisse

 
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Ergotherapeut*innen aus der Fahrrehabilitation sind geschult, Empfehlungen in Bezug auf die funktionelle Fahrfähigkeit abzugeben. Ihre Rolle kann große Auswirkungen auf die Rückkehr der Klient*innen in den Straßenverkehr und die Sicherheit der Gemeinschaft haben.© Photographee.eu/stock.adobe.com. Stock photo – posed by a model

Hilfreich in der Fahrrehabilitation – Professional Reasoning

Das Professionelle Reasoning unterstützt die Ergotherapeut*innen, die in der Fahrrehabilitation tätig sind, Empfehlungen zum Autofahren zu geben. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Angela Berndt, Direktorin des Ergotherapieprogramms an der University of South Australia in Adelaide, Australien.

An der Studie nahmen australische Ergotherapeut*innen mit einer Zusatzausbildung in der Fahrrehabilitation teil. Ihre Berufserfahrung lag zwischen einem und 32 Jahren. 11 von insgesamt 12 Teilnehmenden waren Frauen. Die Forschenden wendeten zwei komplementäre Methoden an, um qualitative Daten zu sammeln: Experteninterviews (8 Teilnehmende) und eine Fokusgruppe (4 Teilnehmende). Ziel der Befragungen war, das Professionelle Reasoning der Ergotherapeut*innen bei der Planung, Durchführung und Reflexion von Interventionen zur Fahrrehabilitation zu untersuchen. Hierzu stellten die Forschenden zum Beispiel folgende Fragen an die Teilnehmenden:

  • Können Sie mir von der gemeinsamen Entscheidungsfindung erzählen?

  • Wie beeinflussen Umweltfaktoren wie die soziale Umgebung der Klient*innen die Interventionen?

  • Wie wirkt sich die Art der Krankheit oder Verletzung der Klient*innen auf die Durchführung von Interventionen aus?

Die Forschenden kommen nach der Analyse der gesammelten Informationen aus der Befragung und der Fokusgruppe zu der Schlussfolgerung, dass alle Therapeut*innen in ihren praxisbasierten Erzählungen verschiedene Arten des Professional Reasoning erwähnten. Sie benannten die konkreten Begriffe in den Interviews jedoch nicht. Das Ethische Reasoning war der übergreifende gemeinsame Rahmen in der Fahrrehabilitation: Die Therapeut*innen müssen zwischen der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden und der Unabhängigkeit der Klient*innen abwägen. Sie wendeten auch das Interaktive sowie das Konditionale Reasoning an: Beim Interaktiven Reasoning unterstützten sie die Klient*innen bei der Entscheidungsfindung, indem sie diese dazu aufforderten, über ihre Ziele und erbrachten Leistungen in der Fahrrehabilitation nachzudenken. Das Konditionale Reasoning durchliefen die Ergotherapeut*innen zum Beispiel dann, wenn sie sich für die Wichtigkeit der Fahrrehabilitation einsetzten, da Autofahren die Teilhabe an Aktivitäten ermöglicht, die dem Leben der Menschen Sinn und Bedeutung verleihen.

Zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, dass Ergotherapeut*innen das Professionelle Reasoning auch in neuen ergotherapeutischen Handlungsfeldern benutzen. Es unterstützt sie dabei, Empfehlungen zur Fahrrehabilitation auszusprechen. Das könnten zum Beispiel Hinweise zur Fahrzeuganpassung oder zur Einschränkung des Führerscheins sein.

ms

Aust Occup Ther J 2022; 69: 436–446


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Relevant für die Behandlung psychisch Erkrankter – Bewegungs- und Sporttherapie

Patient*innen sprechen sportlicher Betätigung in der stationären Therapie einen hohen Stellenwert zu, allerdings gelingt der Transfer in den Alltag meist nicht gut. Ein Forschungsteam aus verschiedenen stationären psychiatrischen Einrichtungen untersuchte deutschlandweit den subjektiven Wert, den Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung der Bewegungs- und Sporttherapie (BST) beimessen. Die Forschung ist ein Teil der IMPETUS-Studie (Implementierung der Patientenleitlinie Psychosoziale Therapien für Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen).

In einer fragebogenbasierten Querschnittserhebung analysierten sie die Antworten von 385 Patient*innen zwischen 18 und 65 Jahren (w = 218, m = 167), die von März 2019 bis September 2019 in stationärer Behandlung waren. Eingeschlossen wurden die Krankheitsbilder Schizophrenie und schizotype, wahnhafte und affektive Störungen. Teilnehmende wurden mittels „Global Assessment of Functioning“ (GAF) sowie „Health of the Nation Outcome Scale“ (HoNOS) gescreent. Zur Erfassung des subjektiven Stellenwertes der BST stellten die Forschenden drei Fragen, deren Antworten für die statistische Analyse zusammengefasst wurden. Fragen waren zum Beispiel, wie wichtig die Patient*innen die Therapie einschätzen und ob sie zuvor bereits daran teilgenommen hatten. Sie betrachteten auch, wie oft die Teilnehmenden in den letzten vier Wochen sportlich aktiv waren. Zur Beantwortung der Fragen gab es festgelegte Antwortmöglichkeiten. 84,4 % der Befragten schätzten den Stellenwert als hoch ein. Diese Teilnehmenden wiesen auch ein höheres Funktionsniveau (GAF-Wert) auf. Außerdem trieben sie selbst regelmäßig Sport und lebten eher in einem großstädtischen Umfeld. Neben der zunehmenden Evidenz der BST bei psychischen Erkrankungen unterstreicht diese positive Bewertung die Relevanz, die Therapieform fest in den Gesamtbehandlungsplan zu implementieren.

Obwohl die Studie zeigt, dass Patient*innen sportlicher Betätigung in der stationären Therapie einen hohen Stellenwert beimessen, gelingt der Transfer in den eigenen Alltag meist nicht gut. Die Forschenden schlussfolgern, dass vor allem der Alltagstransfer durch geeignete Strategien verbessert werden sollte. Die Stärkung der intrinsischen Motivation und das Vermitteln von Wissen und Kompetenz zu körperlicher Aktivität könnten dafür geeignet sein.

clcz

Fortschr Neurol Psychiatr 2022; DOI: 10.1055/a-1854-5174


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Künstlerische Interventionen wirksam – Kinder im Autismus-Spektrum

Tanz, Musik und allgemeine Kunstaktivitäten beeinflussen die Performanzfertigkeiten und Klientenfaktoren von Kindern mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) positiv.

Allison Bernier und ihr Forschungsteam aus dem texanischen Galveston zielten in ihrem Scoping Review darauf ab, Wirksamkeitsnachweise von kunstbasierten Interventionen in der Ergotherapie bei Kindern mit ASS zu ermitteln. Sie untersuchten außerdem, ob künstlerisch kreative Aktivitäten Aspekte der Domäne aus der vierten Version des Occupational Therapy Practice Framework (OTPF-4) beeinflussen. Zu diesen Aspekten gehören Betätigungen, Kontexte, Klientenfaktoren, Performanzmuster und -fähigkeiten. Nach Abschluss ihrer systematischen Literaturrecherche in sechs Datenbanken bezogen die Wissenschaftler*innen 14 Studien in ihre Auswertung mit ein.

Um die passenden Aspekte des OTPF-4 zu identifizieren, brachten sie die Beschreibungen des Frameworks mit den Ergebnismessungen der Einzelstudien in Verbindung.

Zusammenfassend kategorisierten sie die künstlerischen Interventionen in drei Bereiche: Allgemeine Kunstaktivitäten (Zeichnen, Malen, Tonarbeiten), Musik und Theater. Die Forschenden führten die exakte Art und Dauer der jeweiligen Behandlung auf:

  • Allgemeine Kunstaktivitäten (n = 3): Zwei der drei Studien zeigten einen bemerkenswerten Anstieg in den visuellen, motorischen und sozialen Reaktionen der Kinder sowie in deren Antwortlatenz. Diese beiden Interventionen enthielten die freie Materialauswahl mit Fokus auf künstlerischen Ausdruck, Motorik und Problemlösestrategien.

  • Musik (n = 8): Alle 8 Studien fanden einen signifikant positiven Effekt durch den Einsatz von Musik in der Therapie. Neben dem Musizieren wurde Musik als sensorischer Reiz zum Toleranzaufbau eingesetzt. Die Verbesserungen zeigten sich in der Kommunikationsfähigkeit, dem Aufrechterhalten von Interessen und in der Beziehungsgestaltung.

  • Theater (n = 4): Durch die Theater-Intervention SENSE (Social Emotional NeuroScience Endocrinology) zeigten sich Verbesserungen im Gruppenspiel und in den sozialen Fähigkeiten, ein Rückgang von selektivem Spielen und eine Senkung des Cortisolspiegels. Die SENSE-Intervention enthielt Peer-unterstütztes verhaltensbezogenes Lernen mit Rollenspiel, Charakterentwicklung, Improvisation und die gemeinsame Erarbeitung eines Theaterstücks.

Alle 14 Studien zielten auf mindestens einen Aspekt des OTPF-4 ab. Mehrheitlich konzentrierten sie sich auf die Performanzfertigkeiten im Bereich soziale Interaktionen und die Klientenfaktoren im Bereich Körperfunktionen.

Das Forschungsteam kommt zu dem Ergebnis, dass künstlerische Interventionen unabhängig vom Einzel- oder Gruppensetting einen positiven Behandlungseffekt haben. Kinder mit ASS können durch den Einsatz von Gestaltung, Musik und Tanz sowohl ihre prozesshaften Fähigkeiten, ihre sozialen Interaktionsfähigkeiten als auch ihre Körperfunktionen verbessern. Die Forschenden empfehlen Ergotherapeut*innen, sich an der Dauer und Intensität der evidenzbasierten künstlerischen Interventionen aus der Übersichtsarbeit zu orientieren. Aufgrund der Behandlungserfolge sollten sich die Interventionen optimalerweise über mehrere Therapieeinheiten erstrecken.

rehe

Am J Occ Ther 2022; 76; 7605205030

OTPF-4

Das „Occupational Therapy Practice Framework: Domain and Process, Fourth Edition“ wurde vom amerikanischen Ergotherapie-Verband entwickelt. Es beschreibt die zentralen Konzepte, Grundsätze und die gemeinsame Vision, die der zeitgenössischen professionellen Ergotherapie zugrunde liegen. Es ist in zwei Abschnitte unterteilt:

  • Unter „Domain“ (Domäne) wird sowohl der Aufgabenbereich der Ergotherapie definiert als auch die Bereiche, in denen Ergotherapeut*innen über spezifisches Fachwissen verfügen. Der Begriff Domäne umfasst folgende Aspekte: Betätigungen, Kontexte, Performanzmuster, Performanzfähigkeiten und Klientenfaktoren. All diese Aspekte wirken gleichwertig zusammen, ermöglichen die Bildung einer Betätigungsidentität und tragen zu Wohlbefinden, Gesundheit und Teilhabe am Leben bei.

  • Im Abschnitt „Prozess“ werden die Maßnahmen der klientenzentrierten Ergotherapie beschrieben, die sich auf die Teilhabe an Betätigungen fokussieren.

Das OTPF wird alle vier Jahre in einem aufwendigen Review-Verfahren überprüft und auf die neuesten Entwicklungen in der Ergotherapie hin angepasst. Die aktuelle Version ist im Jahr 2020 erschienen und liegt im Gegensatz zur dritten Version nicht in deutscher Übersetzung vor.

rehe

Am J Occ Ther 2020; 74 (Suppl. 2): 7412410010p1-7412410010p87

SENSE Theatre

Die SENSE-Intervention ist ein amerikanisches theaterbasiertes Forschungsprojekt. Die Intervention ist 10 Einheiten lang. Sie wird von freiwilligen Schauspie-ler*innen unterstützt, die im Umgang mit Menschen mit einer ASS trainiert sind.

Theaterspielen ist ein interaktiver Prozess, der viele soziale Kompetenzen erfordert.Soziale Interaktion, emotionaler Ausdruck und Imitation werden in einer natürlichen Umgebung gefördert.

ghle

www.sensetheatre.com


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Publication History

Article published online:
03 January 2023

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Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Ergotherapeut*innen aus der Fahrrehabilitation sind geschult, Empfehlungen in Bezug auf die funktionelle Fahrfähigkeit abzugeben. Ihre Rolle kann große Auswirkungen auf die Rückkehr der Klient*innen in den Straßenverkehr und die Sicherheit der Gemeinschaft haben.© Photographee.eu/stock.adobe.com. Stock photo – posed by a model