III Methodik
Grundlagen
Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation
vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es
wird zwischen
der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden.
Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen,
erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe
S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte
Unterstufe
(S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.
Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k
Empfehlungsgraduierung
Die Evidenzgraduierung nach systematischer Recherche, Selektion, Bewertung und Synthese
der Evidenzgrundlage und eine daraus resultierende Empfehlungsgraduierung einer Leitlinie
auf
S2k-Niveau ist nicht vorgesehen. Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen
nur sprachlich – nicht symbolisch – unterschieden ([Tab. 3 ]):
Tabelle 3 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).
Beschreibung der Verbindlichkeit
Ausdruck
starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit
soll/soll nicht
einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit
sollte/sollte nicht
offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit
kann/kann nicht
Statements
Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung
Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen
Statements
ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.
Konsensusfindung und Konsensusstärke
Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen
die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen
ab. Der
Ablauf war wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen, Vorbringen
von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen
eines Konsensus
(> 75% der Stimmen), Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird abhängig
von der Anzahl der Teilnehmer die Stärke des Konsensus ermittelt ([Tab. 4 ]).
Tabelle 4 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.
Symbolik
Konsensusstärke
prozentuale Übereinstimmung
+++
starker Konsens
Zustimmung von > 95% der Teilnehmer
++
Konsens
Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer
+
mehrheitliche Zustimmung
Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer
–
kein Konsens
Zustimmung von < 51% der Teilnehmer
Expertenkonsens
Wie der Name bereits ausdrückt, sind hier Konsensusentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements
ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenzen
(S2e/S3) gemeint. Der zu benutzende Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den
Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie Good Clinical Practice (GCP) oder klinischer
Konsensuspunkt
(KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung
beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein semantisch
(„soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).
IV Leitlinie
1 Epidemiologie
Konsensbasierte Empfehlung 1.E1
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Ist eine Episiotomie indiziert, so sollte diese mediolateral durchgeführt werden um
den M. sphincter ani nicht durch den Schnitt selbst zu verletzen.
Laut Österreichischem Geburtenregister 2017 kam es im Rahmen einer vaginalen Geburt
in 1,9% zu einem Dammriss III° und in 0,1% zu einem Dammriss IV°, wobei Erstgebärende
zu 3,1% (DR III)
respektive 0,2% (DR IV) und Mehrgebärende zu 0,9% respektive 0,1% betroffen waren
[1 ].
In Deutschland lagen die Inzidenzen 2017 bei 1,74% (DR III°) and 0,12% (DR IV°), Daten
bezüglich der Inzidenzen für Erst- und Mehrgebärende waren nicht verfügbar [2 ].
Im Gegensatz dazu wird in einem systematischen Review eine Inzidenz von Läsionen des
M. sphincter ani externus oder internus von 11% angegeben [3 ].
In den letzten Jahren wurde überwiegend eine steigende Inzidenz höhergradiger Dammrisse
berichtet, die vor allem auf eine verbesserte Erkennungsrate zurückgeführt wird [4 ] – [6 ].
Konsekutive Beschwerden können Flatusinkontinenz, pathologischer Stuhldrang sowie
seltener auch Inkontinenz für flüssigen oder festen Stuhl sein. Die Häufigkeit dieser
Beschwerden nimmt mit
den Jahren nach der Geburt zu [7 ], [8 ], [9 ].
Reihung der Risikofaktoren in absteigender Gewichtung, in Klammern Odds Ratio (OR)
laut Literatur [5 ], [10 ], [11 ], [12 ], [13 ], [14 ], [15 ], [16 ], [17 ], [18 ], [19 ], [20 ], [21 ], [22 ], [23 ], [24 ], [25 ], [26 ], [27 ], [28 ], [29 ], [30 ], [31 ], [32 ], [33 ], [34 ]:
Forzeps (OR 2,9 – 4,9)
Geburtsgewicht > 4 kg oder kindlicher Kopfumfang > 35 cm (OR 1,4 – 5,2; steigend mit
dem Geburtsgewicht des Kindes)
mediane Episiotomie (OR 2,4 – 2,9)
Nulliparität (OR 2,4)
Vakuumextraktion (OR 1,7 – 2,9)
St.p. Female genital Mutilation (OR 1,6 – 2,7)
okzipitoposteriore Haltung (OR 1,7 – 3,4)
Schulterdystokie (OR 2)
verlängerte Dauer der Austreibungsperiode (OR 1,2 – 3,9)
Kristellerʼscher Handgriff/Fundusdruck (OR 1,8)
Geburt in Steinschnittlage oder tief hockender Position (OR 1,2 – 2,2)
Risikoreduzierende Faktoren sind [5 ], [10 ], [11 ], [12 ], [13 ], [14 ], [15 ], [16 ], [17 ], [18 ], [19 ], [20 ], [21 ], [22 ], [23 ], [24 ], [25 ], [26 ], [27 ], [28 ], [29 ], [30 ], [31 ], [32 ], [33 ], [34 ]:
selektive Episiotomie (OR 0,7)
mediolaterale Episiotomie im Rahmen von vaginal-operativer Entbindungen (OR 0,2 – 0,5)
perineale feuchte Kompressen (OR 0,5)
antenatale oder subpartale Dammmassage (OR 0,5)
Folgende geburtshilfliche Maßnahmen sind weder Prophylaxe, noch erhöhen sie das Risiko
für höhergradige Dammrisse [5 ], [10 ], [11 ], [12 ], [13 ], [14 ], [15 ], [16 ], [17 ], [18 ], [19 ], [20 ], [21 ], [22 ], [23 ], [24 ], [25 ], [26 ], [27 ], [28 ], [29 ], [30 ], [31 ], [32 ], [33 ], [34 ]:
Zeitpunkt und Art des Pressens
Wassergeburt
Ritgenʼs Manöver
vaginale Ballondilatation während der Schwangerschaft
Techniken „hands-on“ vs. „hands-off“: „Hands-off“ verhindert Dammschnitte, aber hat
keinen Einfluss auf Rissverletzungen
Folgende geburtshilfliche Maßnahmen können noch nicht endgültig beurteilt werden:
Geburtseinleitung und Wehenstimulation
mütterliche Adipositas
Periduralanästhesie
Auch die Rolle der Episiotomie in Bezug auf die Parität sowie den Winkel der Schnittführung
erfordert weitere Untersuchungen.
2 Klassifikation
Von einem höhergradigen Dammriss spricht man, wenn zumindest der M. sphincter ani
externus verletzt ist [35 ]:
Dammriss III: Sphinkter verletzt, Rektumwand intakt
Dammriss IV: Sphinkter verletzt, Rektum eröffnet
Die folgende Unterteilung des DR III kann hilfreich sein [36 ]:
IIIa: weniger als 50% der Muskeldicke des M. sphincter ani externus zerrissen
IIIb: mehr als 50% der Muskeldicke des M. sphincter ani externus zerrissen
IIIc: M. sphincter ani externus und internus zerrissen
Da der interne Analsphinkter für den Kontinenzmechanismus eine wichtige Rolle spielt,
sollte dessen Identifikation bei ausgedehnten Verletzungen angestrebt werden [37 ], [38 ].
Eine Sonderform des höhergradigen Dammrisses ist der Riss der analen Schleimhaut bei
intaktem M. sphincter ani externus („buttonhole tear“). Dieser ist sehr selten, birgt
jedoch unversorgt
das Risiko einer rektovaginalen Fistel, und kann mittels analer Palpation postpartal
diagnostiziert werden [39 ] – [41 ]. Bei
Einriss der Analhaut und intaktem M. sphincter ani externus besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit
einer Sphinkter-ani-internus-Verletzung. Die letztendliche Klärung dieser Defektformen
ist
nur operativ oder endosonografisch möglich [42 ], [43 ].
3 Diagnostik
Konsensbasierte Empfehlung 3.E2
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei unklaren Wundverhältnissen soll ein Arzt mit hoher Fachkompetenz beigezogen werden
(vorrangig Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe oder Facharzt mit
koloproktologischer Expertise).
Konsensbasierte Empfehlung 3.E3
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Im Zweifelsfall sollte der höhergradige Dammriss als Diagnose gewählt werden.
Nach jeder vaginalen Geburt soll ein Dammriss III/IV zunächst durch sorgfältige Inspektion
und/oder Palpation durch den Geburtshelfer und/oder die Hebamme ausgeschlossen werden.
Die
vaginale sowie anorektale Palpation zur Evaluierung von Geburtsverletzungen sind dabei
von großer Bedeutung. Zumindest ab einem Dammriss zweiten Grades wird die vaginale
sowie rektale
Palpation zur Evaluierung des Verletzungsausmaßes nachdrücklich empfohlen.
Kann ein DR III/IV nicht ausgeschlossen werden, ist ein Arzt mit hoher Fachkompetenz
(vorrangig Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, oder Facharzt mit koloproktologischer
Expertise) beizuziehen, der die Vermutungsdiagnose überprüft, gegebenenfalls eine
vorläufige, orientierende Klassifikation (DR III oder IV) durchführt und die weiteren
Schritte
einleitet.
4 Postpartale Versorgung
Konsensbasierte Empfehlung 4.E4
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Versorgung des DR III/IV soll in einer adäquaten Regional- oder Allgemeinanästhesie)
zur Erreichung einer optimalen Darstellung des Operationsgebietes und einer maximalen
Sphinkterrelaxation erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E5
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Versorgung des DR III/IV soll in einem geeigneten Eingriffsraum mit adäquater
Beleuchtung erfolgen. Geeignete Instrumente mit atraumatischen Klemmen für die Darstellung
der
Sphinktermuskulatur sind vorzuhalten. Eine Assistenz soll anwesend sein.
Vollständige aseptische Verhältnisse können in ausgewählten Fällen von Vorteil sein.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E6
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Im Operationsteam soll bei einer Dammriss-III/IV-Versorgung ein Facharzt mit ausreichender
Erfahrung (vorrangig Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe oder Facharzt mit
koloproktologischer Expertise) zur Verfügung stehen. In Ausnahmefällen kann die Versorgung
auch bis zu 12 Stunden postpartal durchgeführt werden, um eine fachgerechte Versorgung
zu
gewährleisten.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E7
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei der Versorgung des DR III/IV soll einmalig perioperativ ein Antibiotikum verabreicht
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E8
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei der Versorgung des DR III/IV sollte atraumatisches, langsam resorbierbares Nahtmaterial
verwendet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E9
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Anlage eines Anus praeter soll im Rahmen der primären Versorgung von höhergradigen
Dammrissen nicht vorgenommen werden.
4.1 Vorbereitungen
Die Versorgung eines DR III/IV ist in Allgemein- oder Regionalanästhesie zur Erreichung
einer maximalen Sphinkterrelaxation und ausreichender Schmerzbekämpfung durchzuführen.
Die
Versorgung hat unter aseptischen Verhältnissen im Operationssaal oder einer äquivalenten
Einrichtung in Steinschnittlage mit Assistenz, Instrumentaria (OP-Schwester/Pflege)
und
entsprechendem Instrumentarium (Scheren, Pinzetten, Nähte etc.) zu erfolgen. Im Operationsteam
soll ein Facharzt mit ausreichender Erfahrung zur Verfügung stehen [44 ]. Die Anzahl der Voroperationen scheint jedoch für die Vermeidung einer analen Inkontinenz
nicht relevant zu sein [45 ].
In Ausnahmefällen kann die Operation auch bis zu 12 Stunden postpartal durchgeführt
werden [46 ]. Eine adäquate präoperative, dokumentierte Aufklärung ist
durchzuführen, sofern keine Notfallsituation vorliegt.
Eine einmalige perioperative Antibiotikagabe soll verabreicht werden [47 ].
4.2 Operative Strategie
Feststellung zusätzlicher Geburtsverletzungen und exakte Klassifikation des Dammrisses
mittels Spiegeleinstellung und rektaler Untersuchung ([Abb. 1 ]).
Abb. 1 Ausgangsposition (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Eva Polsterer). [rerif]
Gegebenenfalls zuerst Versorgung von Zervix- und hohen Scheidenrissen, von innen nach
außen, danach Versorgung des Dammrisses.
Bei DR IV: Rektumnaht Stoß auf Stoß, atraumatisch, vorzugsweise mit Fadenstärke 3-0
[48 ], [49 ].
Bei auffindbaren Enden des M. sphincter ani internus – Adaptation derselben mit atraumatischen
Einzelknopfnähten, vorzugsweise mit Fadenstärke 3-0 [49 ], [50 ].
Identifikation der Enden des M. sphincter ani externus und Fassen mit Allis-Klemmen.
Naht des M. sphincter ani externus mit atraumatischen U-Nähten – vorzugsweise mit
Fadenstärke 2-0. Es stehen 2 Methoden zur Auswahl: die überlappende Technik sowie
die
Stoß-auf-Stoß-Technik ([Abb. 2 ] und [3 ]) [51 ], [52 ], [53 ]. Bei inkomplettem Riss des Muskels sollte die Stoß-auf-Stoß-Technik angewendet werden
[45 ], [54 ]. Die Verwendung der überlappenden Technik reduziert die Symptome des Stuhldrangs
und der Stuhlinkontinenz nach 1 Jahr, während nach 3 Jahren kein
Unterschied zwischen beiden Techniken gefunden wurde [55 ]. Es gibt aber auch den Nachweis, dass die Rate der Flatulenz durch Verwendung der
Stoß-auf-Stoß-Technik verringert wird [54 ]. Eine endgültige Empfehlung zur Verwendung der Operationsmethode lässt sich nicht
geben. Der Operateur soll
die Methode, bei der die größere Routine besteht, zur Anwendung bringen.
Abb. 2 Überlappende Technik (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Eva Polsterer). [rerif]
Abb. 3 Stoß-auf-Stoß-Technik (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Eva Polsterer).
[rerif]
Schichtweise Versorgung des Dammes.
Dokumentation der Geburtsverletzungen und Verfassen eines OP-Berichtes.
Für die Punkte 2. – 6. sollte atraumatisches, langsam resorbierbares Nahtmaterial
verwendet werden. Die Wahl zwischen geflochtenem und monofilem Material bleibt der
Präferenz des
erfahrenen Operateurs überlassen [50 ], [51 ], [52 ], [53 ]. Die
Anlage eines Anus praeter ist nicht indiziert [56 ], [57 ].
Konsensbasierte Empfehlung 4.E10
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei DR IV sollte die Rektumnaht Stoß auf Stoß, atraumatisch, vorzugsweise mit Fadenstärke
3-0 erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E11
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei auffindbaren Enden des M. sphincter ani internus soll die Adaptation derselben
mit atraumatischen Einzelknopfnähten, vorzugsweise mit Fadenstärke 3-0 erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E12
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei inkomplettem Riss des M. sphincter ani externus sollte die Stoß-auf-Stoß-Technik
angewendet werden.
Konsensbasierte Empfehlung 4.E13
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Da weder die Stoß-auf-Stoß-Technik noch die überlappende Technik in der Versorgung
des Risses des M.sphincter ani externus eine Überlegenheit gezeigt hat, soll der Operateur
die
Methode, bei der die größere Routine besteht, zur Anwendung bringen.
5 Maßnahmen für das Wochenbett
Konsensbasierte Empfehlung 5.E14
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Zur postoperativen Gabe von Antibiotika gibt es keine Evidenz. In Anbetracht der lokalen
Keimsituation sowie der eventuell schwerwiegenden Konsequenzen kann in ausgewählten
Fällen
die postoperative Antibiotikagabe nach individueller Risikoabschätzung empfohlen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E15
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die postoperative Gabe von Laxanzien sollte über eine Therapiedauer von zumindest
2 Wochen erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E16
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine tägliche Reinigung mit fließendem Wasser, insbesondere nach Stuhlgang, wird empfohlen.
Diese Reinigungen können z. B. als Spülungen oder Wechselduschen durchgeführt
werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E17
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Sitzbäder (mit oder ohne Zusätzen) oder Wundsalben sollten nicht angewandt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E18
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Kühlende Auflagen oder gekühlte topische Schmerzmittel können Schwellung und damit
Schmerzen positiv beeinflussen und sollten angewandt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E19
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Auf eine ausreichende Schmerztherapie soll geachtet werden, da die lokalen Schmerzen
zu einem Harn-, aber auch Stuhlverhalt führen können.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E20
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei unkompliziertem Heilungsverlauf im Wochenbett sollte von einer rektalen Untersuchung
Abstand genommen werden.
Konsensbasierte Empfehlung 5.E21
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Patientinnen sollen über das Ausmaß der Geburtsverletzung sowie deren Spätfolgen
aufgeklärt werden. Dies beinhaltet auch die Information zur Nachsorge, zu Verhaltensmaßnahmen
sowie Hilfsangeboten.
Eine Aufklärung über die möglicherweise lange Latenzzeit bis zum Auftreten von Symptomen
einer analen Inkontinenz soll erfolgen.
5.1 Antibiotika
Zur postoperativen verlängerten prophylaktischen Gabe von Antibiotika gibt es nur
indirekte, favorisierende Evidenz [58 ]. Nach individueller Risikoabwägung
kann eine verlängerte AB-Prophylaxe durchgeführt werden (z. B.: Cephalosporin + Metronidazol
für 5 Tage) [36 ].
5.2 Laxanzien
Die postoperative Gabe eines Laxans wird empfohlen (Schmerzreduktion, besseres funktionelles
Ergebnis) [58 ], [59 ]. Die
Ersteller der Leitlinie empfehlen eine Therapiedauer von zumindest 2 Wochen. Bei Diarrhö
soll auf die Laxanzientherapie verzichtet werden.
5.2 Schmerztherapie und Lokaltherapie
Eine tägliche Reinigung mit fließendem Wasser in Trinkwasserqualität, insbesondere
nach Stuhlgang, ist empfohlen (z. B. Wechselduschen). Es zeigt sich keine Evidenz
für die Notwendigkeit
von Sitzbädern mit oder ohne Zusätzen oder Wundsalben mit speziellen Zusätzen.
Kühlende Auflagen oder gekühlte topische Schmerzmittel können Schwellung und damit
Schmerzen positiv beeinflussen [60 ].
Auf eine ausreichende Schmerztherapie soll geachtet werden, da die lokalen Schmerzen
zu einem Harn-, aber auch Stuhlverhalt führen können [61 ].
Bei unkompliziertem Heilungsverlauf im Wochenbett sollte von einer rektalen Untersuchung
Abstand genommen werden [50 ].
Die Wund-Komplikationsrate nach DR III/IV (Wundinfektion, Dehiszenz, Reoperation,
stationäre Wiederaufnahme) beträgt zwischen 7,3% [62 ] und 24,6% [63 ], wobei Rauchen sowie erhöhter BMI unabhängige Risikofaktoren darstellen, hingegen
intrapartale antibiotische Therapie das Risiko für Wundheilungsstörungen
senkt [62 ], [63 ].
Die Patientinnen sollen über das Ausmaß der Geburtsverletzung sowie eventuelle Spätfolgen
aufgeklärt werden. Ausreichende Informationen zur Nachsorge, zu Verhaltensmaßnahmen
sowie zu
Hilfsanlaufstellen sollen der Patientin mitgeteilt werden.
6 Nachsorge
Konsensbasierte Empfehlung 6.E22
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine gynäkologische oder koloproktologische Nachuntersuchung sollte nach etwa 3 Monaten
mit besonderem Schwerpunkt auf die Anamnese, Symptome der analen Inkontinenz, der
Inspektion sowie vaginaler und rektaler Palpation erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E23
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine Zuweisung zur Physiotherapie zum Zweck der Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur
sollte erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E24
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei persistierenden Beschwerden analer Inkontinenz trotz Ausschöpfen aller konservativen
Therapieoptionen soll die Patientin an ein Zentrum mit entsprechender Expertise
(Endoanalsonografie, konservative sowie operative Therapieoptionen) weitergeleitet
werden.
Eine gynäkologische Nachuntersuchung sollte etwa 3 Monate postpartal erfolgen. Die
Nachuntersuchung soll zumindest die folgenden Punkte beinhalten:
Anamnese inklusive Frage nach den folgenden Symptomen der analen Inkontinenz. In Klammern
die Häufigkeit des jeweiligen Symptoms nach DR III/IV bei frühen Nachuntersuchungen
[52 ], [57 ], [64 ], [65 ], [66 ], [67 ]
Flatusinkontinenz (bis 50%)
Stuhldrang (26%)
Inkontinenz für flüssigen Stuhl (8%)
Inkontinenz für festen Stuhl (4%)
Inspektion
vaginale und rektale Palpation
Zuweisung zur Physiotherapie zum Zweck der Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur. Frühe
biofeedbackunterstützte Physiotherapie hat keinen Vorteil im Gegensatz zum klassischen
Beckenbodentraining [68 ]. Bei analer Inkontinenz ist die sogenannte Triple-Target-Therapy (Kombination aus
amplitudenmodulierte Mittelfrequenz-Stimulation
und Elektromyografie-Biofeedback) einer Standard-Stimulationstherapie mit Elektromyografie-Biofeedback
überlegen [69 ].
Aufklärung über die möglicherweise lange Latenzzeit bis zum Auftreten/Verschlechterung
von Symptomen der analen Inkontinenz [7 ], [70 ].
Beratung bezüglich Folgegeburten
Bei Beschwerden analer Inkontinenz wird das Weiterleiten der Patientin an ein Zentrum
mit entsprechender Expertise (Endoanalsonografie, konservative sowie operative Therapieoptionen)
empfohlen.
7 Empfehlungen für Folgegeburten
Konsensbasierte Empfehlung 7.E25
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine elektive Sectio caesarea sollte Frauen nach Dammriss III/IV angeboten werden,
insbesondere Patientinnen mit persistierenden Symptomen einer Stuhlinkontinenz, reduzierter
Sphinkterfunktion oder bei vermuteter fetaler Makrosomie.
Konsensbasierte Empfehlung 7.E26
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei gewünschter Spontanentbindung soll eine ausführliche Anamnese bezüglich möglicher
Folgen einer vorausgegangenen DR-III/IV-Verletzung und eine sorgfältige Aufklärung
erfolgen.
Konsensbasierte Empfehlung 7.E27
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei angestrebter Spontanentbindung soll bei Zustand nach DR III/IV eine Episiotomie
restriktiv angewendet werden.
Die bestehende Datenlage erlaubt keine eindeutige Empfehlung zum Geburtsmodus bei
einer Folgegeburt. Die Patientinnen müssen aufgeklärt werden, dass bei vaginaler Folgegeburt
zwar das
Risiko einer neuerlichen Verletzung des M. sphincter ani je nach Datenquelle gar nicht
[45 ], [54 ], [55 ] bis zum 7-Fachen [71 ], [72 ], [73 ], [74 ], [75 ] erhöht sein kann, es erleiden jedoch mehr als 95% der Frauen keinen neuerlichen
höhergradigen Dammriss [73 ], [76 ].
Zusätzlich erhöht sich das Risiko mit steigendem Geburtsgewicht [71 ], [72 ], [73 ], [74 ], [75 ], [76 ]. Ebenso konnte bei vaginalem Geburtsmodus nach DR III/IV gezeigt werden, dass das
Kurzzeitrisiko einer persistierenden Stuhlinkontinenz erhöht ist [77 ], [78 ]. In Langzeitstudien über einen Zeitraum von 5 oder
mehr Jahren wurde dieser Unterschied jedoch nicht mehr gesehen [79 ], [80 ].
Eine elektive Sectio caesarea sollte allen Frauen bei Zustand nach DR III/IV angeboten
werden, insbesondere Patientinnen mit persistierenden Symptomen einer Stuhlinkontinenz,
reduzierter
Sphinkterfunktion oder bei vermuteter fetaler Makrosomie.
Ist eine vaginale Geburt angestrebt und von der Patientin gewünscht, ist bei Zustand
nach DR III/IV die Episiotomie restriktiv anzuwenden [76 ].
Bei angestrebter Spontanentbindung soll auf das folgende Vorgehen geachtet werden:
gute Kommunikation
Perineal Support mit „Hands-on“ für eine optimale Kontrolle des Entbindungsverlaufes
und der
langsamen Entwicklung des kindlichen Kopfes
freie Wahl der Patientin bezüglich Entbindungsposition, bei Entwicklung aber Blick
auf den Damm
mediolaterale Episiotomie, sofern individuell notwendig [81 ]