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DOI: 10.1055/a-1933-7483
Funktionale Krankheitsfolgen von Menschen im Alter ab 70 Jahren und die Akzeptanz eines neuen Unterstützungs-Netzwerkes, das NetzWerk GesundAktiv (NWGA)
Disease sequelae on function in persons 70 years and older and the acceptance of a new supporting network, the NetzWerk GesundAktiv (NWGA)Supported by: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) FKZ: 01EL2011
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Methoden
- Ergebnisse
- Diskussion
- Schlussfolgerungen
- Förderung
- Literatur
Zusammenfassung
Einleitung Häufigere Pflegebedürftigkeit bei steigender Lebenserwartung ist problematisch. Das NetzWerk GesundAktiv (NWGA) nimmt positive Beeinflussbarkeit der Entwicklung von Pflegebedürftigkeit an. In einer Pilotregion Hamburgs luden gesetzliche Krankenversicherungen ihre Versicherten im Alter ab 70 Jahren zur Teilnahme am NWGA Hilfs- und Betreuungsnetzwerk ein. Hier werden die Ergebnisse der Akzeptanzanalyse dargestellt.
Methoden Zur Fokussierung auf die Zielgruppe der für die Entwicklung von Pflegebedürftigkeit gefährdeten Personen wurde der LUCAS Funktions-Index (Selbstausfüll-Fragebogen) als Screening für den Grad funktionaler Kompetenz verwendet. Die retrospektive Beobachtungsstudie untersuchte explorativ NWGA Teilnehmende, Ablehnende, Interessenten (Ausschluss, da funktional kompetent) und Non-Responder anhand sozio-demografischer sowie Morbiditätsbezogener Routinedaten. Dafür wurden ICD-Diagnosen anlässlich stationärer Krankenhausaufenthalte, die Anzahl ambulanter Arztkontakte sowie Pflegegrade innerhalb 12 Monaten vor Rekrutierung verwendet.
Ergebnisse Von 13 100 angeschriebenen Versicherten waren 962 Teilnehmende (7,4 %), 948 Ablehnende (7,2 %), 2437 Interessenten (18,6 %) und 8753 Non-Responder (66,8 %). Bezüglich soziodemografischer Merkmale unterschieden sich diese Gruppen. Die Diagnosen von 5422 Krankenhausaufenthalten zeigten unterschiedlich häufige ICD-Codes funktionaler Beeinträchtigungen. Interessenten waren praktisch nicht pflegebedürftig und wiesen die niedrigste Morbidität auf.
Diskussion Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Beeinträchtigungen insbesondere motorischer und kognitiver Funktionen sowie soziodemografische Merkmale die NWGA-Akzeptanz beeinflussen. Die Ansprache zur Teilnahme sollte entsprechend differenziert verbessert werden. Die Berücksichtigung funktionaler Störungen als Krankheitsfolgen und Schrittmacher von Pflegebedürftigkeit könnte Gesundheitsförderung und Prävention im Alter generell stärken. Das Interesse für präventive Aktivitäten war unter den 70-jährigen und älteren Menschen nennenswert häufig.
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Abstract
Background The growing need of nursing care as life expectancy increases is a problem. The Netzwerk AktivGesund (NWGA) tries to change this development in a positive way. In a pilot region of the city of Hamburg, persons 70 years and older were invited by their health insurance companies to participate in the NWGA supportive network. Results of the acceptance analysis are described here.
Methods In order to focus on persons at risk of need for help functional competence was assessed by using the LUCAS functional ability index (selfreport questionnaire). In an explorative way, participants, refusers, persons interested (excluded due to high functional competence), and non-responders were compared in a retrospective observational study. Sociodemographic and routine data were used as ICD diagnoses from hospitalisations, number of contacts to physicians and level of need of nursing care during the 12 months before recruitment.
Results There were 962 participants (7.4 %), 948 refusers (7.2 %), 2437 persons with interest (18.6 %) and 8753 non-responders (66.8 %) from the 13 100 persons contacted by mail. The sociodemographic factors differed between these groups. ICDs typical of older patients and ICD codes of functional impairment from the 5422 hospital stays showed different frequencies. Persons with interest had nearly no need of nursing care and the lowest level of morbidity.
Conclusions The results show that impairments of motoric and cognitive functions, in particular, and sociodemographic factors have impact on the acceptance of the NWGA. The recruitment for participation should be improved using approaches that are differentiated, respectively. Awareness of functional impairment as disease sequelae and pacemaker of need of nursing care, in general, might facilitate health promotion and prevention in older persons. An interest in preventative activities was remarkably frequent among the persons 70 years and older.
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Schlüsselwörter
Funktionale Beeinträchtigung - Hilfs- und Pflegebedürftigkeit - Unterstützungs-Netzwerk - Akzeptanz - PräventionKey words
functional impairment - need of nursing-care - supporting network - acceptance - preventionEinleitung
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt angesichts steigender Lebenserwartung [1] vor wachsendem Versorgungsbedarf in späten Lebensjahren, sollte Behinderung aufgrund funktionaler Verluste nicht wirksam entgegen gewirkt werden [2]. Die Annahme positiver Beeinflussbarkeit der Entwicklung von Pflegebedürftigkeit [3] [4] [5] zugunsten selbstständigen Lebens zuhause ist der Ansatz für das Projekt NetzWerk GesundAktiv (NWGA).
Gefördert vom Innovationsfonds wurde zwischen 2017–2020 unter Konsortialführung der Techniker Krankenkasse (TK) unter Beteiligung der TK, BARMER, DAK-Gesundheit und DRV Knappschaft-Bahn-See das NWGA als Hilfs- und Betreuungsnetzwerk aufgebaut. Teilnehmende Versicherte durchlaufen in der hierfür an einer geriatrischen Klinik eingerichteten „Koordinierenden Stelle“ ein umfassendes Assessment zur Erfassung von Unterstützungsbedarf. Diese Ergebnisse begründen den individuellen Unterstützungsplan (iUP), der bedarfsweise auf folgende Module zurückgreift (1) Rehabilitation, (2) Hilfen für Angehörige, (3) Beratung und Betreuung bei Demenz, (4) technische Assistenzsysteme sowie (5) Förderung der Gesundheitskompetenz. Teilnehmende werden von Fallmanagern begleitet und erhalten ihren iUP, die betreffende Hausarztpraxis einen ärztlichen Bericht (https://innovationsfonds.g-ba.de/projekte/neue-versorgungsformen/nwga-netzwerk-gesundaktiv.91).
Vergleichbare Projekte in Deutschland liegen nicht vor [6]. Ergänzend zur konfirmatorischen und ökonomischen Prüfung durch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld [7] ist die Evaluation der Akzeptanz durch die Forschungsabteilung Albertinen-Haus, wissenschaftliche Einrichtung an der Universität Hamburg erforderlich [8] [9]. Sozio-demografische und Morbidität-bezogene Merkmale sind mögliche Einflüsse, die mit Kontextfaktoren interagieren [10] [11] [12] [13] [14]. Mit höherem Lebensalter steigt die Wahrscheinlichkeit für alltagsrelevante funktionale Beeinträchtigungen, beispielsweise der für Selbstständigkeit grundlegenden Mobilität [15] [16] [17] [18] [19] [20]. Ältere Frauen weisen gravierendere Beeinträchtigungen auf als gleichaltrige Männer [17] [18] [19] [20], und sie leben häufiger allein [21]. Entfernungen z. B. zwischen Wohnort und „Koordinierender Stelle“ überwinden zu können, entscheidet mit über die Nutzung gesundheitsrelevanter Angebote [20]. Das Response-Verhalten von Personen mit Migrationshintergrund ist different [21], und die Inanspruchnahme von Präventionsleistungen ist geschlechtsspezifisch unterschiedlich [22] [23].
Ausmaß und Intensität von Aktivitäten des täglichen Lebens, sozialer Interaktion und Partizipation sind im höheren Lebensalter zunehmend variabel. Hierfür sind z. T. altersassoziierte Veränderungen, entscheidend jedoch Krankheitsfolgen mit Auswirkung auf alltagsrelevante körperliche, psychische und seelische Funktionen verantwortlich. Die ältere Bevölkerung ist u. a. auch aus diesen Gründen sehr heterogen [6]. Auch aufgrund der Ergebnisse eigener Vorarbeiten [4] wurde davon ausgegangen, dass die angeschriebenen Versicherten hohe interindividuelle Variabilität aufweisen würden.
Anhand verfügbarer Daten sollte deshalb untersucht werden, ob die Teilgruppen der angeschriebenen Personen (s. u.) sich bezüglich sozio-demografischer und Gesundheit bezogener Variablen unterscheiden. Daraus sollten Hinweise dazu abgeleitet werden, wenn und wie sich Ältere, die sich in das NWGA einschrieben, von anderen angeschriebenen älteren Menschen unterschieden.
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Methoden
Die Untersuchung der Akzeptanz erfolgte rein exploratorisch mittels einer retrospektiven Beobachtungsstudie. Sie bestand im Vergleich folgender Teil-Gruppen, aller der durch die Krankenkassen angeschriebenen Versicherten:
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Gruppe 1 ( Teilnehmende ): Versicherte, die die Einschlusskriterien erfüllen und sich in den Vertrag zur besonderen Versorgung nach § 140a SGB V für das NWGA einschrieben;
-
Gruppe 2 ( Ablehnende ): Versicherte, die die Einschlusskriterien erfüllen, sich aber nicht in den Vertrag für das NWGA einschrieben;
-
Gruppe 3 (Interessenten): Versicherte, die sich für die Teilnahme interessieren, jedoch wegen Nichterfüllung der Einschlusskriterien ausgeschlossen wurden;
-
Gruppe 4 (Non-Responder): angeschriebene Versicherte, die nicht reagierten und den Fragebogen zur Prüfung der Einschlusskriterien nicht zurückschickten.
Die Annahme war, dass sich diese vier Gruppen deutlich erkennbar unterschieden bezüglich fünf sozio-demografischer und drei gesundheitsbezogener Faktoren. Die für die Analysen zu verwendenden Daten wurden ausführlich mit Vertretern der Krankenkassen diskutiert und einvernehmlich festgelegt. Entsprechend wurden dann hierfür beim Bundesversicherungsamt (BVA) die Nutzung anonymisierter Sekundärdaten beantragt und hierfür ein Datenfluss- und Datenschutzkonzept vorgelegt. Folgende acht verfügbare Merkmale wurden für die Analysen verwendet: Lebensalter, Geschlecht, Versichertenstatus (Mitglied, Rentner, Familienversichert), Staatsangehörigkeit, Entfernung zwischen Wohnort und „Koordinierender Stelle“, Anzahl stationärer Krankenhausaufenthalte inkl. ICD-10 Haupt- und Nebendiagnosen sowie Anzahl ambulanter Arztkontakte und Pflegegrad (vorhanden/nicht vorhanden). Der Analysezeitraum der Sekundärdaten umfasste für jeden Versicherten individuell die 12 Monate vor Rekrutierung in das NWGA.
Ein- und Ausschlusskriterien
Einzuschließen waren zuhause lebende Versicherte im Alter ab 70 Jahren der kooperierenden Krankenkassen in der Pilotregion (Bezirk Hamburg Eimsbüttel), die gefährdet waren, hilfs- und pflegebedürftig zu werden. Der LUCAS Funktions-Index (LUCAS FI) zur Beurteilung des Grades funktionaler Kompetenz wurde verwendet, um die Zielgruppe, also jene Personen mit Gefährdung für Hilfs- und Pflegebdürftigkeit einzugrenzen [24]. Es handelt sich um einen Selbstausfüll-Fragebogen mit sechs Fragen zu funktionalen Reservemarkern sowie sechs Fragen zu Risikomarkern. Personen mit abnehmenden Funktionen (postROBUST, preFRAIL, FRAIL gem. LUCAS FI) sowie jene mit Pflegegrad 1–3 gem. MDK-Begutachtung wurden in das NWGA eingeschlossen. Funktional kompetente Personen (ROBUST = 3–6 Reservemarker und < 3 Risikomarker gem. LUCAS FI) wurden ausgeschlossen [24] sowie Personen mit Pflegegrad 4–5 und jene, die dauerhaft in Einrichtungen der stationären Altenhilfe oder einer Demenz-WG lebten.
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Datenquelle, Datenfluss, Datenschutz
Zur Rekrutierung schrieben die Krankenkassen alle zuhause lebenden Versicherten 70 Jahre und älter ohne Pflegegrad 4–5 in der Pilotregion an (10/2017–08/2018). Das Anschreiben der Krankenkassen enthielt mehrseitige, ausführliche Erläuterungen zu Studienzweck und -ablauf, die Einverständniserklärung sowie den LUCAS FI Selbstausfüll-Fragebogen. Ein Teil der Angeschriebenen schickte den Fragebogen mit Einwilligungserklärung zur Prüfung der Einschlusskriterien an die „Koordinierende Stelle“. Diese wurden an die Vertrauensstelle der Forschungsabteilung Albertinen-Haus (V1) zur Bestimmung der funktionalen Kompetenz weitergeleitet. Nur die ausgefüllten Fragebögen mit schriftlicher Einverständniserklärung wurden in die speziell für das NWGA programmierte Datenbank eingegeben und ausgewertet. Nach Abschluss der Teilnehmerrekrutierung übermittelte die V1 eine pseudonymisierte Liste mit folgenden Angaben an die beteiligten Krankenkassen:
-
Gruppe 1 = Einschlusskriterien erfüllt mit NWGA-Teilnahmeerklärung,
-
Gruppe 2 = Einschlusskriterien erfüllt, jedoch NWGA-Ablehnung,
-
Gruppe 3 = Interessiert, jedoch Einschlusskriterien nicht erfüllt.
-
Gruppe 4 = Alle diejenigen, die diesen drei Gruppen nicht zuzuordnen waren, wurden von den Krankenkassen als NWGA-Non-Responder klassiert.
Anschließend selektierten die Krankenkassen die Routinedaten, die für jeden Versicherten einen individuellen Zeitraum von 12 Monaten vor dem Versand des Anschreibens zur Teilnehmerrekrutierung umfassten. Diese Daten wurden pseudonymisiert an die zweite, vom Bundesversicherungsamt (BVA) bestimmte Vertrauensstelle (V2) an der Universität Bielefeld verschickt. Die V2 erzeugte hieraus einen anonymisierten Routine-Datensatz und leitete ihn weiter an die Forschungsabteilung Albertinen-Haus. Dort wurde der Datensatz in einem iterativen Prozess auf Vollständigkeit, Integrität, logische Konsistenz, Einheitlichkeit, Redundanzfreiheit und Genauigkeit geprüft (Qualitätssicherung). Auffälligkeiten wurden schriftlich mittels konkreter Anfragen an die V2 kommuniziert und von dort an die Krankenkassen rückgemeldet und Daten-Nachlieferungen von dort bereitgestellt. Danach wurde der Datensatz von den vier Krankenkassen als bestmögliche Datengrundlage festgelegt.
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Aufbereitung der ICD-Diagnosen (ICD-10-GM Version 2018, Systematisches Verzeichnis)
Vollstationäre Krankenhausaufenthalte sind definiert über eine Hauptdiagnose bei Aufenthaltsdauer länger als einen Tag. Für Krankenhausaufenthalte, die zwei Hauptdiagnosen aufwiesen, wurde manuell nach geriatrisch fachlicher Expertise die maßgebliche Hauptdiagnose ausgewählt. Es wurden zwei Kategorisierungen aufgestellt. Die Diagnosen bzw. Diagnosen-Kombinationen hierfür sind bei älteren Patienten auch für stationäre Behandlungen besonders prävalent.
Weiter wurden ICD-Codes funktionaler Beeinträchtigungen ausgewählt, und zwar: „Störungen des Ganges und der Mobilität“ (R26), „Unwohlsein und Ermüdung“ (R53), „Motorische“ bzw. „Kognitive Funktionseinschränkungen“ (U50 bzw. U51) und „Probleme mit Bezug auf Pflegebedürftigkeit“ (Z74).
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Statistische Analysen
Für die o. g. acht Merkmale wurde angenommen, dass sich diesbezüglich statistisch signifikante Unterschiede zwischen den vier Gruppen (Teilnehmende, Ablehnende, Interessenten, Non-Responder) finden. Deshalb erfolgte eine formale Testung der Hypothesen, und zwar zunächst per Globaltest mittels Varianzanalyse (analysis of variance, ANOVA) bei kontinuierlichen Variablen und mit X2-Test bei kategoriellen Variablen. Anschließend wurden paarweise Tests durchgeführt, bei stetigen Größen mittels t-Test, bei kategoriellen Variablen mittels X2-Test. Bei sechs paarweisen Tests und acht formal zu testenden Variablen ergeben sich rechnerisch 48 Einzeltests. Darum wurde das Signifikanzniveau, das gewöhnlich bei 5 % angenommen wird, entsprechend der Bonferroni-Methode angepasst auf 0,1 % (0,05/48 Einzeltests ~ 0,001).
Die Darstellung stetiger Variablen erfolgte mit Mittelwert und Standardabweichung, diejenige der kategoriellen Variablen mit absoluten und relativen Häufigkeiten.
Die Analyse war ausschließlich explorativ. Es wurde bewusst auf die Darstellung von Gruppenunterschieden mit statistischen Assoziationsmaßen wie Odds Ratios und Konfidenzintervallen ebenso wie auf die Modellierung mittels multivariater Regressionsmodelle verzichtet. Wegen der Art der untersuchten Studienpopulation und verwendeten Krankenkassendaten erschienen Effektschätzungen nicht verallgemeinbar. Der Vergleich der Gruppen erfolgte bezüglich der vorliegenden Morbiditätsdaten (ICD-Codes) deskriptiv anhand absoluter und relativer Häufigkeiten. Analysiert wurde mit den Softwarepaketen SPSS (v.25) und STATA (v.15). Tabellierungen und Graphiken erfolgten mit Microsoft Excel und Powerpoint.
Zur Einhaltung ethischer Richtlinien wurde die Deklaration von Helsinki stets berücksichtigt. Seit 2018 liegen das uneingeschränkt positive Votum der Ethik-Kommission der Ärztekammer Hamburg (PV5484) sowie die Genehmigung zur Übermittlung von Sozialdaten gem. 75 SGB X des BVA (seit 2020 Bundesamt für Soziale Sicherung) vor. Die Förderung erfolgte durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der Bundesregierung (01NVF16 017).
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Fehlende Werte
In den Kassendaten gab es bedingt durch die Art der Datenlieferung per Definition keine fehlenden Daten, da nur eingetretene Ereignisse für alle versicherten Personen übermittelt wurden. Dies betrifft Hausarztkontakte, Facharztkontakte, Krankenhausaufenthalte inklusive Diagnosen und die Pflegeeinstufung. Geschlecht, Alter und Postleitzahl des Wohnortes sind von allen Versicherten bekannt. Für 2933 (22,4 %) der Versicherten wurde die Staatsangehörigkeit „unbekannt“ übermittelt. Staatsangehörigkeit wurde deshalb als dichotome Variable (deutsch vs. andere) ausgewertet.
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Ergebnisse
Von den 13 100 angeschriebenen Versicherten antworteten insgesamt 4347, und 8753 (66,8 % Non-Responder; Gruppe 4) antworteten nicht ([Abb. 1]). Es wurden 2437 (18,6 %) Interessenten ausgeschlossen (ROBUST gem. LUCAS FI; Gruppe 3), und 948 Personen (7,2 %) sagten ihre Teilnahme ab; Gruppe 2. Es blieben 962 Versicherte (7,4 %) mit erfüllten Einschlusskriterien, die in die Teilnahme einwilligten; Gruppe 1. Alle angeschriebenen 8181 Frauen (62,5 %) und 4919 Männer (37,5 %) waren durchschnittlich 79 Jahre alt, in 94 % berentet und zu 76 % deutsche Staatsangehörige. Nur 1768 von ihnen (13,5 %) wohnten im Postleitzahlbereich der „Koordinierenden Stelle“. Zwölf Monate vor Rekrutierung hatten sie im Mittel 15 ambulante Arztkontakte/Jahr, und 926 (7,1 %) waren pflegebedürftig (Pflegegrad 1–5). Ein Viertel (3303/13 100) wies 12 Monate vor Rekrutierung mindestens einen stationären Krankenhausaufenthalt/Jahr auf ([Tab. 1]).
Teil-Gruppen |
Testung auf Gruppenunterschiede[1] |
|||||||||||
Faktoren |
Teilnehmende (n = 962) 7,4 % |
Ablehnende (n = 948) 7,2 % |
Interessenten[2] (n = 2437) 18,6 % |
Non-Responder (n = 8753) 66,8 % |
Gesamt (n = 13 100) 100 % |
Teilnehmende vs. Ablehnende |
Teilnehmende vs. Interessenten[2] |
Teilnehmende vs. Non-Responder |
Ablehnende vs. Interes-senten[2] |
Ablehnende vs. Non-Responder |
Interessenten[2] vs. Non-Responder |
Signifikanz (Gesamt) |
Alter, Mittelwert ± SD[3] |
80,2 ± 5,48 |
81,9 ± 6,01 |
77,6 ± 4,52 |
78,8 ± 5,73 |
78,9 ± 5,62 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Geschlecht weiblich, n (%)[4] |
649 (67,5) |
657 (69,3) |
1368 (56,1) |
5507 (62,9) |
8181 (62,5) |
p = 0,3872 |
p < 0,001 |
p = 0,0055 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Versichertenstatus Rentner, n (%)[4] |
934 (97,1) |
906 (95,6) |
2305 (94,6) |
8198 (93,7) |
12 343 (94,2) |
p = 0,0025 |
p = 0,0052 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p = 0,1095 |
p < 0,001 |
Staatsangehörigkeit deutsch, n (%)[4] |
757 (78,7) |
748 (78,9) |
1914 (78,5) |
6573 (75,1) |
9992 (76,3) |
p = 0,9432 |
p = 0,9932 |
p = 0,0048 |
p = 0,9342 |
p = 0,0077 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Wohnort in Postleitzahl des Leistungserbringers 22 459, n (%)[4] |
147 (15,3) |
87 (9,2) |
384 (15,8) |
1150 (13,1) |
1768 (13,5) |
p < 0,001 |
p = 0,7304 |
p = 0,0637 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Mind. 1 Krankenhausaufenthalt 12 Monate vor Rekrutierung für NWGA, n (%)[4] |
341 (35,4) |
323 (34,1) |
496 (20,4) |
2143 (24,5) |
3303 (25,2) |
p = 0,5280 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Anzahl Arztkontakt 12 Monate vor Rekrutierung für NWGA, Mittelwert ± SD[3] |
20,7 ± 17,8 |
20,3 ± 19,9 |
14,2 ± 13,8 |
13,8 ± 14,7 |
14,9 ± 15,4 |
p = 0,6689 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p = 0,1890 |
p < 0,001 |
Pflegegrad (1–5) vorhanden, 12 Monate vor Rekrutierung für NWGA, n (%)[4] |
71 (7,4) |
149 (15,7) |
7 (0,3) |
699 (8,0) |
926 (7,1) |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p = 0,5713 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
p < 0,001 |
Anmerkung: Signifikante Werte sind fett hervorgehoben
1 Um bei multiplem Testen eine Irrtumswahrscheinlichkeit von 5 % beizubehalten, wurden die Test-Ergebnisse anhand eines angepassten Signifikanzniveaus von 0,05/48 bewertet, um ein multiples Signifikanzniveau mit 5 % Irrtumswahrscheinlichkeit zu erhalten. Dadurch wird die Irrtumswahrscheinlichkeit, mindestens eine Null-Hypothese fälschlicherweise abzulehnen, auf 5 % korrigiert.
2 Ausschluss Teilnahme NWGA, da Status ROBUST gem. LUCAS Funktions-Index [24].
3 Der Globaltest der Gruppe Gesamt dieser Variable erfolgte mittels ANOVA, paarweise Tests mittels t-Test.
4 Der Globaltest der Gruppe Gesamt sowie alle paarweisen Tests dieser Variable erfolgten mittels X2-Test.
Wie angenommen unterschieden sich die Teil-Gruppen bezüglich der untersuchten Merkmale ([Tab. 1]). Teilnehmende und Ablehnende (Zielgruppe) waren sich ähnlich bezüglich Geschlechtsverteilung, Staatsangehörigkeit, Häufigkeit jährlicher Arztkontakte und stationärer Krankenhausaufenthalte ([Tab. 1]). Ablehnende waren bereits 12 Monate vor Rekrutierung jedoch häufiger pflegebedürftig, 149/948 (15,7 %) vs. 71/962 (7,4 %) und wohnten weniger häufig im Postleitzahlbereich der „Koordinierenden Stelle“ (87/948; 9,2 % vs. 147/962; 15,3 %; [Tab. 1]). Bis zum Zeitpunkt der Rekrutierung waren den Ablehnenden und Teilnehmenden gemäß Selbstangabe in 194/962 (20,5 %) bzw. 95/962 (9,9 %) der Fälle ein Pflegegrad zugeteilt.
Im Vergleich mit der Zielgruppe (Teilnehmende und Ablehnende) waren die Interessenten (ROBUST) mit durchschnittlich 77,6 Jahren jünger und häufiger männlich. Nur 20 % von ihnen (496/2437) waren stationär im Krankenhaus behandelt worden, und nur sieben Personen (0,3 %) hatten einen Pflegegrad.
Informationen zur Morbidität boten die Diagnosen zu insgesamt 5422 stationären Krankenhausaufenthalten von 3303 Personen. Für die vier Gruppen sind die Top-30 ICD-Haupt- und Nebendiagnosen als Supplementmaterial verfügbar (Tabellen 3a, b). „Alterstypisch häufige“ Hauptdiagnose-Kombinationen sind in [Tab. 2a] aufgeführt. Die Nebendiagnosen ([Tab. 2b]) werden von ICD-Codes funktionaler Beeinträchtigungen und Symptomen mit Bezug zu Pflegebedürftigkeit angeführt. Sie zeigen deutliche Unterschiede zwischen den Teil-Gruppen.
Gesamt[1] GesICD[2] = 5422 |
Teilnehmende[1] TNICD[2] = 603 |
Ablehnende[1] AblICD[2] = 596 |
Interessenten[1] IntICD[2] = 685 |
Non-Responder[1] NonRICD[2] = 3538 |
|||||||||||
(a) Hauptdiagnosen alterstypischer Krankheitskomplexe |
|||||||||||||||
ICD |
Krankheitskomplex |
Rang |
GesICD [2] (%) |
TNICD [2] n |
% von TNICD [2] |
% von GesICD [2] |
AblICD [2] n |
% von AblICD [2] |
% von GesICD [2] |
IntICD [2] n |
% von IntICD [2] |
% von GesICD [2] |
NonRICD [2] n |
% von NonRICD [2] |
% von GesICD [2] |
Katarakt und Glaukom |
1 |
245 (4,52) |
32 |
5,31 |
0,59 |
12 |
2,01 |
0,22 |
43 |
6,28 |
0,79 |
158 |
4,47 |
2,91 |
|
Cox- und Gonarthrose |
2 |
212 (3,91) |
23 |
3,81 |
0,42 |
23 |
3,86 |
0,42 |
30 |
4,38 |
0,55 |
136 |
3,84 |
2,51 |
|
Frakturen |
3 |
197 (3,63) |
15 |
2,49 |
0,28 |
39 |
6,54 |
0,72 |
13 |
1,9 |
0,24 |
130 |
3,67 |
2,40 |
|
Schlaganfall |
4 |
150 (2,77) |
23 |
3,81 |
0,42 |
26 |
4,36 |
0,48 |
15 |
2,19 |
0,28 |
86 |
2,43 |
1,59 |
|
E86; E87.[*] |
Wasserhaushalt- und Elektrolytstörungen |
5 |
70 (1,29) |
3 |
0,5 |
0,06 |
11 |
1,85 |
0,20 |
7 |
1,02 |
0,13 |
49 |
1,38 |
0,90 |
wahnhafte, affektive oder psych. Störungen |
6 |
56 (1,03) |
7 |
1,16 |
0,13 |
6 |
1,01 |
0,11 |
11 |
1,61 |
0,20 |
32 |
0,9 |
0,59 |
|
R26.[*]; R29.6 |
Gangstörung |
7 |
54 (1,00) |
5 |
0,83 |
0,09 |
11 |
1,85 |
0,20 |
1 |
0,15 |
0,02 |
37 |
1,05 |
0,68 |
Parkinson-Syndrom und ZNS-Systematrophien |
8 |
46 (0,85) |
8 |
1,33 |
0,15 |
1 |
0,17 |
0,02 |
1 |
0,15 |
0,02 |
36 |
1,02 |
0,66 |
|
F0; F00.[*]; F01.[*]; F02.[*]; F03; F05.[*]; F06.[*]; G3, G30.[*], G31.[*] |
kognitive Störungen und Demenzen |
9 |
26 (0,48) |
1 |
0,17 |
0,02 |
1 |
0,17 |
0,02 |
5 |
0,73 |
0,09 |
19 |
0,54 |
0,35 |
(b) Nebendiagnosen alterstypischer Krankheitskomplexe |
|||||||||||||||
ICD |
Krankheitskomplex |
Rang |
GesICD 3 (%) |
TNICD 3 n |
% von TNICD 3 |
% von GesICD 3 |
AblICD 3 n |
% von AblICD 3 |
% von GesICD 3 |
IntICD 3 n |
% von IntICD 3 |
% von GesICD 3 |
NonRICD 3 n |
% von NonRICD 3 |
% von GesICD 3 |
Funktionszustand |
1 |
1844 (34,01) |
204 |
33,83 |
3,76 |
275 |
46,14 |
5,07 |
73 |
10,66 |
1,35 |
1292 |
36,52 |
23,83 |
|
Symptome |
2 |
1457 (26,87) |
143 |
23,71 |
2,64 |
188 |
31,54 |
3,47 |
77 |
11,24 |
1,42 |
1049 |
29,65 |
19,35 |
|
E86; E87.[*] |
Wasserhaushalt- und Elektrolytstörungen |
3 |
967 (17,83) |
75 |
12,44 |
1,38 |
98 |
16,44 |
1,81 |
72 |
10,51 |
1,33 |
722 |
20,41 |
13,32 |
kognitive Störungen und Demenzen |
4 |
263 (4,85) |
15 |
2,49 |
0,28 |
30 |
5,03 |
0,55 |
14 |
2,04 |
0,26 |
204 |
5,77 |
3,76 |
|
Vitaminmangelzustände |
5 |
230 (4,24) |
20 |
3,32 |
0,37 |
43 |
7,21 |
0,79 |
10 |
1,46 |
0,18 |
157 |
4,44 |
2,90 |
|
F3[*] |
Depression |
6 |
221 (4,08) |
26 |
4,31 |
0,48 |
20 |
3,36 |
0,37 |
9 |
1,31 |
0,17 |
166 |
4,69 |
3,06 |
Osteoporose |
7 |
179 (3,30) |
25 |
4,15 |
0,46 |
18 |
3,02 |
0,33 |
11 |
1,61 |
0,20 |
125 |
3,53 |
2,31 |
|
Cox- und Gonarthrose |
8 |
168 (3,10) |
21 |
3,48 |
0,39 |
21 |
3,52 |
0,39 |
16 |
2,34 |
0,30 |
110 |
3,11 |
2,03 |
|
Katarakt und Glaukom |
9 |
166 (3,06) |
19 |
3,15 |
0,35 |
13 |
2,18 |
0,24 |
27 |
3,94 |
0,50 |
107 |
3,02 |
1,97 |
|
G81.[*] |
Paresen |
10 |
117 (2,16) |
12 |
1,99 |
0,22 |
16 |
2,68 |
0,30 |
7 |
1,02 |
0,13 |
82 |
2,32 |
1,51 |
Schlaganfall |
11 |
91 (1,68) |
11 |
1,82 |
0,20 |
14 |
2,35 |
0,26 |
11 |
1,61 |
0,20 |
55 |
1,55 |
1,01 |
|
G62.[*] |
Polyneuropathien |
12 |
81 (1,49) |
6 |
1,00 |
0,11 |
20 |
3,36 |
0,37 |
5 |
0,73 |
0,09 |
50 |
1,41 |
0,92 |
G20.[*] |
Parkinson |
13 |
80 (1,48) |
8 |
1,33 |
0,15 |
9 |
1,51 |
0,17 |
5 |
0,73 |
0,09 |
58 |
1,64 |
1,07 |
1 zugehörige Personenanzahlen mit vollstationären Krankenhausaufenthalten (% von Personen in jeweiliger Gruppe): Gesamt: 3303 (25,2), Teilnehmende: 341 (35,4), Ablehnende: 323 (34,1), Interessenten: 496 (20,4), Non-Responder: 2143 (24,5)
2 Anzahl vollstationäre Krankenhausaufenthalte; 3Anzahl Vorkommnisse von Nebendiagnosen vollstationärer Krankenhausaufenthalte.
* umfasst alle diesem ICD-Code untergeordneten ICD-Codes.
Die Häufigkeit anlässlich stationärer Krankenhausaufenthalte, codierter Störungen, motorischer (U50) und kognitiver Funktionen (U51) sowie von Problemen mit Bezug zu Pflegebedürftigkeit (Z74) war am höchsten in der Gruppe der Ablehnenden (46,1 %; 275/596), gefolgt von den Non-Respondern (36,5 %; 1292/3538), den Teilnehmenden (33,8 %; 204/603) und mit Abstand am niedrigsten in der Gruppe der Interessierten (10,7 %; 73/685) ([Tab. 2b]). Die Daten zeigen plausibel, dass Frakturhäufigkeit mit gestörter Mobilität und Kognition korrespondierte. Beeinträchtigungen von 1. Mobilität, 2. Gang und 3. Kognition waren die führenden Einzelcodierungen. Mit Kognitionsstörungen auf dem 2. Rang waren sie bei den Ablehnenden am häufigsten, bei den Interessenten hingegen ausgesprochen selten ([Abb. 2]).
#
Diskussion
Auf die Einladung der Krankenkassen zur Teilnahme am geplanten NWGA antworteten ein Drittel (4347/13 100) aller angeschriebenen Versicherten. Zur Fokussierung auf die Zielgruppe der für die Entwicklung von Pflegebedürftigkeit Gefährdeten wurde der LUCAS FI zur Bestimmung der funktionalen Kompetenz eingesetzt [24]. So wurden 2437 antwortende Personen mit hoher funktionaler Klassifizierung (ROBUST) ausgeschlossen. Diese nahezu 19 % der angeschriebenen Versicherten interessierten sich für das NWGA. Dies könnte bei diesen Personen mit dem niedrigsten Morbiditätsniveau und praktisch fehlender (formal bestimmter) Pflegebedürftigkeit für vorhandenes Gesundheitsbewusstsein und/oder wahrgenommenen Aktionsbedarf bzgl. Aktivitäts- bzw. Gesundheitserhalt sprechen. Von den restlichen Antwortenden lehnte jede zweite Person die Teilnahme entweder ab (948) oder nahm teil (962).
Pflegebedürftigkeit selbst schloss Interesse als auch Teilnahme nicht aus, war aber bei den Ablehnenden doppelt so häufig wie bei den Teilnehmenden. Funktionale Beeinträchtigungen zusammen mit großer Wohnortdistanz zur „Koordinierenden Stelle“ dürften gewichtige Gründe für die Ablehnung gewesen sein. Unter den Non-Respondern (67 %) schließlich waren etwas mehr Ausländer (1,7 %) und vergleichbar den Ablehnenden deutlich mehr Personen mit Diagnosen, die auf z. T. bereits fortgeschrittene Gebrechlichkeit (Frailty) [25] hinweisen. Daten aus der für ältere städtische Bevölkerung repräsentativen LUCAS-Studie hatten verdeutlicht, dass zunehmende funktionale Verluste sehr gut mit ausgeprägten reduzierten Bewegungsaktivitäten im städtischen Raum korrespondieren. Etwa jede zweite ältere Person mit der Funktionsklasse „Frail“ (48,8 %; 217/446) im mittleren Alter von 82 Jahren (71,0–101,8 J.) hatte im Jahr 2011 u. a. auch angegeben, „nicht ohne Schwierigkeiten selbstständig die Hausarztpraxis aufsuchen zu können“ [26].
Die im Krankenhaus codierten funktionsbezogenen Diagnosen decken sich im Übrigen mit den häufigsten pflegebegründenden, durch den MDK erfassten Daten [27]. Diese Personen mit funktionalen Beeinträchtigungen sind jedoch möglicherweise nicht oder nicht mehr für Interesse und Teilnahme am NWGA erreichbar. Oder aber sie sind mit ihrer Situation zufrieden und sehen keinen Verbesserungsbedarf. Die Quote der Non-Responder im NWGA ist vergleichbar zu jener im Hamburger Hausbesuchsangebot für 80-jährige Menschen. Dort lehnten 65 % aller angeschriebenen Personen das Angebot der Gesundheitsbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg ab [28]. Die Grundannahme zur Heterogenität gesetzlich krankenversicherter Menschen im Alter ab 70 Jahren, wurde bestätigt. Die explorativen Analysen der zur Verfügung stehenden Daten zeigten Unterschiede zwischen den vier Teil-Gruppen.
Stärken dieser Untersuchung liegen in der hohen Anzahl erfasster älterer Personen sowie Informationen zur Funktionalität in Kombination mit anderen Routinedaten gesetzlicher Krankenversicherungen. Diese wurden in enger Zusammenarbeit geprüft, plausibilisiert und validiert. Es wurde die Möglichkeit genutzt, anders als gewöhnlich, auch codierte ICD-Diagnosen mit funktionalem Bezug zu betrachten.
Damit sind auch Schwächen verbunden. Erstens waren die von den Krankenkassen verfügbaren Daten zur Untersuchung möglicher Einflussfaktoren auf die Akzeptanz deutlich begrenzt, z. B. ohne Angaben zu Bildungsstatus und Lebensbedingungen (allein/nicht allein lebend). Kontrollüberzeugung sowie Selbstmanagementfähigkeit im Alter [29] sowie Zugang zu Wissen und die Umsetzung gesundheitsrelevanter Informationen [30] sind ebenfalls wichtige Einflüsse auf den Lebensstil (Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität). Diese Parameter sind in Routinedaten der Kostenträger nicht enthalten, weshalb hierzu keine Informationen vorlagen. Zudem handelt es sich um eine regionale Stichprobe von vier bundesweit tätigen gesetzlichen Krankenversicherungen, weshalb die Verallgemeinerung auf andere Regionen in Deutschland nur begrenzt möglich ist. Die hier beschriebenen Unterschiede können aus den genannten Gründen keine umfassende Erklärung liefern, wohl aber plausible und richtungsweisende Hinweise.
Weiter lagen codierte ICD-Diagnosen ausschließlich für die Versicherten vor, die während der 12 Monate vor Rekrutierung stationär im Krankenhaus behandelt worden waren. Diagnosen aus ambulanter Versorgung konnten die Krankenversicherungen nicht zur Verfügung stellen. ICD-Codes sind anlassbezogen, dienen Abrechnungszwecken und folgen deshalb auch der Abrechnungslogik. Krankheiten, Symptome oder Befunde, die im Abrechnungskontext irrelevant sind, werden i. d. R. auch nicht erfasst. Weitere funktionsbezogene Informationen der ICF-Klassifikation (International Classification of Functioning, Disability and Health) der WHO sind in der deutschen stationären DRG-Systematik (diagnosis-related groups) nicht abgebildet (https://www.g-drg.de/).
Die funktionalen ICD-Codes weisen als Krankheitsfolgen jedoch auf z. T. bereits manifeste oder sich entwickelnde Pflegebedürftigkeit hin. Allerdings sind Behinderungen und Abhängigkeitsgrad von Unterstützung nicht statisch [31] [32] [33]. Die in der vorliegenden Untersuchung ermittelten ICD-Codes mit Bezug zur Funktionalität sind identisch mit verfügbaren MDK-Daten zu den am häufigsten zu Pflegebedürftigkeit führenden ICD-Codes [27]. Freilich müssten Maßnahmen mit entschieden präventiverem Ziel zur „Vermeidung oder Postponierung“ von Pflegebedürftigkeit konsequenterweise bereits deutlich vor dem 70. Lebensjahr starten [34] [35].
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Schlussfolgerungen
Für mögliche Zusammenhänge mit der Akzeptanz wie Lebensalter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit und Wohnortdistanz wurden, wie angenommen, Unterschiede bei den Versicherten gesetzlicher Krankenkassen im Alter ab 70 Jahren bestätigt. Auch anlässlich stationärer Behandlung codierte funktionale Diagnosen weisen auf Zusammenhänge zwischen Krankheitsfolgen und Akzeptanz des NWGA, insbesondere Beeinträchtigungen motorischer und kognitiver Funktionen sowie bereits attestierte Pflegebedürftigkeit.
Die Teilnehmerquote wirft Fragen auf nach verbesserter Ansprache zur Gewinnung der Menschen mit Unterstützungsbedarf. Die Erkennung jener Menschen ohne offensichtlichen Unterstützungsbedarf mittels funktionalem Screening war erfolgreich. Diese Personen mit noch gutem funktionalen Status (ROBUST) sind jedoch aus präventiver Sicht eine weitere, unterschiedliche Zielgruppe mit einem präventiven Schwerpunkt. Ein Vorhaben mit Zielrichtung die Entwicklung von Pflegebedürftigkeit zu vermeiden oder verlangsamen müsste allerdings vor dem 70. Lebensjahr starten. Hierfür könnten z. B. auch ICD-Codes von Funktionsbeeinträchtigungen ein proaktiver Trigger sein für Abklärung und Vermittlung/ Einleitung von geeigneten Maßnahmen (Gruppe der Non-Responder).
-
Beeinträchtigungen insbesondere motorischer und kognitiver Funktionen von Menschen im Alter ab 70 Jahren können deren Akzeptanz des NetzWerkGesundAktiv beeinflussen.
-
Die Ansprache älterer Personen mit Unterstützungsbedarf zur motivierten Teilnahme am Hilfs- und Betreuungsnetzwerk NWGA sollte differenziert verbessert werden. Mögliche Ansatzpunkte hierfür sind Unterschiede bezüglich Lebensalter, Wohn-Entfernung zur „Koordinierenden Stelle“ und bestehender Pflegebedürftigkeit. Personen mit Unterstützungsbedarf wiesen bereits häufiger einen Pflegegrad auf.
-
Das Interesse für gesundheitsfördernde oder präventive Aktivitäten unter den Menschen im Alter ab 70 Jahren dieser Studie war nennenswert häufig (Gruppe der Interessenten).
-
Geeignete präventive Maßnahmen zur Vermeidung oder Verlangsamung der Entwicklung von Pflegebedürftigkeit müssten vor dem 70. Lebensjahr beginnen.
-
Erhöhte professionelle Beachtung beginnender funktionaler Störungen als Schrittmacher für die Entwicklung von Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit ist wünschenswert. Dies könnte langfristig helfen, die Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention im allgemeinen Bewusstsein einer Gesellschaft im sog. demografischen Wandel zu stärken.
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Förderung
Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der Bundesregierung, Förder-Nummer: 01NVF16017 und Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), FKZ: 01EL2011.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
-
Literatur
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02 November 2022
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