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DOI: 10.1055/a-1964-1739
Klinische und prozedurale Charakteristika von Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie 2020 im Vergleich zu einer Kontrollgruppe aus 2019
Clinical and procedural characteristics of patients with acute coronary syndrome during the COVID-19 pandemic 2020 compared to a control group from 2019- Zusammenfassung
- Abstract
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- Methoden und Patienten
- Ergebnisse
- Diskussion
- Schlussfolgerung
- Literatur
Zusammenfassung
Hintergrund Während der COVID-19-Pandemie wurden ärztliche Behandlungen abgesagt und notfallmäßige Behandlungen aus Angst vor einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 hinausgezögert. Letzteres betraf auch Patienten mit akutem Koronarsyndrom. Eine detaillierte Beschreibung dieser Patienten in Bezug auf das Management im Herzkatheterlabor ist bislang aber noch nicht erfolgt.
Methoden Retrospektive Querschnittsstudie mit Erfassung aller Patienten, die wegen eines akuten Koronarsyndroms (STEMI, NSTEMI, instabile Angina) einer Herzkatheteruntersuchung vom 01.03.2019–30.06.2019 (Gruppe A) sowie vom 01.03.2020–30.06.2020 (Gruppe B) unterzogen wurden. Demografische Faktoren, kardiovaskuläre Risikofaktoren sowie prozedurale Daten (z.B. Ausmaß der KHK, klinische Diagnose, Revaskularisationsstrategie und -ergebnis, Einsatz eines Herzunterstützungssystems, Door-to-Needle-Time, In-hospital-Mortalität) wurden verglichen.
Ergebnisse 469 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen (Gruppe A 239, Gruppe B 230 Patienten, mittleres Alter 69 Jahre, 71% männlich). Verglichen mit Gruppe A zeigten sich bei Gruppe B weniger Patienten mit STEMI und instabiler Angina pectoris (p=0,033), dafür mehr Patienten mit NSTEMI (p=0,047). Patienten in der Gruppe B hatten seltener eine koronare Eingefäßerkrankung (p=0,001), dafür wiesen diese häufiger eine koronare Dreigefäßerkrankung als in der Gruppe A auf (p=0,052).
Schlussfolgerung Trotz vergleichbarer Gesamtzahlen wurden Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie im Vergleich zu einer Kontrollgruppe häufiger mit NSTEMI aufgenommen und hatten ein größeres Ausmaß der KHK.
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Abstract
Background During the COVID-19 pandemic medical treatments including emergencies were often delayed, in part because of fear of an infection with Sars-CoV-2. Even patients with an acute coronary syndrome (ACS) were affected by these circumstances. In the present study we provide a systematic comparison of patients with ACS during the COVID-19 pandemic compared to a control group.
Methods This is a retrospective cross-sectional study including all patients admitted with an ACS (STEMI, NSTEMI, unstable angina) undergoing coronary angiography between March 2019 and June 2019 (group A) and between March 2020 and June 2020 (group B). Demographic factors, cardiovascular risk factors and procedural data (extent of coronary disease, clinical diagnose, revascularisation strategy and outcome, use of mechanical support devices, door-to-needle time and in-hospital mortality) were compared.
Results 469 patients were included in the present study (239 patients in group A and 230 in group B, mean age 69 years, 71% male). Compared to group A there were fewer patients with STEMI and unstable angina (p=0,033) but more patients with NSTEMI (p=0,047) in group B. Patients in group B had less often single vessel disease (p=0,001) but in contrast more often triple vessel disease compared to group A (p=0,052).
Conclusion Despite overall comparable numbers of ACS patients those admitted during the COVID-19 pandemic were more frequently diagnosed with NSTEMI and had a larger extent of coronary disease compared to a control group.
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Abkürzungsverzeichnis
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Einleitung
Die COVID-19-Pandemie hat das Gesundheitssystem vor ungeahnte Herausforderungen gestellt [1]. Dies betrifft alle Bereiche der Medizin mit besonderem Schwerpunkt in der Intensiv- und Notfallmedizin. Darüber hinaus hat die Unsicherheit in der Bevölkerung zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 dazu geführt, dass ärztliche Behandlungen abgesagt bzw. verschoben wurden und auch notfallmäßige Behandlungen, aus Angst vor einer Ansteckung mit Sars-CoV2, hinausgezögert wurden. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die COVID-19-Pandemie in Deutschland zu einem signifikanten Rückgang medizinischer Notfälle jeglicher Art in den Notaufnahmen führte [2]. Im Bereich der Kardiologie betraf dies vor allem die adäquate Diagnostik und Therapie beim akuten Myokardinfarkt. Einige Studien konnten belegen, dass die Anzahl von Patienten mit akutem Myokardinfarkt während der COVID-19-Pandemie im Jahr 2020 im Vergleich zu den Vorjahren vorübergehend rückläufig war [3]. Darüber hinaus konnte eine europaweite Studie 2020 zeigen, dass während der COVID-19-Pandemie viele STEMI-Patienten so spät im Krankenhaus vorstellig wurden, dass das optimale Zeitfenster für eine notfallmäßige perkutane Koronarintervention bzw. Thrombolyse bereits verstrichen war [4]. Basierend auf dieser Erfahrung hatte die deutsche Gesellschaft für Kardiologie in einer Pressemitteilung darauf hingewiesen, dass eine adäquate Versorgung von Patienten mit akutem Myokardinfarkt auch in Pandemiezeiten essenziell ist und gewährleistet werden sollte [5]. Das Ziel der aktuellen Querschnittsstudie war es, die genauen Charakteristika bei der Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie von März bis Juni 2020 mit dem Zeitraum März bis Juni 2019 (vor COVID-19) zu vergleichen.
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Methoden und Patienten
In dieser retrospektiven Querschnittsstudie wurden 2 Gruppen von Patienten mit akutem Koronarsyndrom hinsichtlich verschiedener Charakteristika systematisch verglichen. Die Gruppe A umfasst alle Patienten, die wegen eines akuten Koronarsyndroms (STEMI, NSTEMI, instabile Angina) im Zeitraum vom 01.03.2019 bis 30.06.2019 (4 Monate) einer Herzkatheteruntersuchung unterzogen wurden. Die Gruppe B umfasst alle Patienten, die während der COVID-19-Pandemie wegen eines akuten Koronarsyndroms (STEMI, NSTEMI, instabile Angina) im Zeitraum vom 01.03.2020 bis 30.06.2020 (ebenfalls 4 Monate) einer Herzkatheteruntersuchung unterzogen wurden. Alle Patienten wurden im Robert-Bosch-Krankenhaus (RBK) in Stuttgart untersucht. Es handelt sich hierbei um ein Krankenhaus der Schwerpunktversorgung und um ein akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Tübingen. In der Abteilung für Kardiologie und Angiologie mit 24-Stunden-Herzkatheter-Rufbereitschaft werden jährlich mehr als 3000 Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt, und es besteht eine enge Kooperation mit der Abteilung für Herz- und Gefäßchirurgie des RBK.
Folgende Parameter wurden bei allen Patienten systematisch erfasst und zwischen den beiden Gruppen verglichen: Alter, Geschlecht und kardiovaskuläre Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Nikotinkonsum, Diabetes mellitus, positive Familienanamnese. Des Weiteren wurden die folgenden Laborwerte bei Aufnahme erfasst: Creatinkinase, hoch-sensitives Troponin T, Laktatdehydrogenase. Darüber hinaus wurden das Ausmaß der KHK definiert als visuelle Stenose von mindestens 50% (keine Stenosen, Eingefäßerkrankung, Zweigefäßerkrankung, Dreigefäßerkrankung), die klinische Diagnose (STEMI, NSTEMI, instabile Angina pectoris), die Revaskularisationsstrategie (keine Revaskularisation, perkutane Koronarintervention, Bypass-Operation) sowie das Revaskularisationsergebnis nach perkutaner Koronarintervention (TIMI-Fluss) erfasst. Es erfolgte die Auswertung der zusätzlich angewandten diagnostischen Verfahren sowie der Einsatz eines Herzunterstützungssystems. Weiterhin erfassten wir die Door-to-Needle-Time sowie die In-Hospital-Mortalität für beide Gruppen. Die Studie folgte den Empfehlungen der Deklaration von Helsinki und den späteren Anpassungen. Die Analyse erfolgte retrospektiv und pseudonymisiert.
Statistische Analyse
Sofern nicht anders angegeben, sind die absoluten Werte sowie nachfolgend (in Klammern gesetzt) die relativen Häufigkeiten angegeben. Die statistische Datenanalyse erfolgte mit SPSS 22.0 (IBM, USA). Wo angegeben, werden die Ergebnisse als Mittelwert ± Standardabweichung bzw. der Median mit der 25. sowie 75. Perzentile angegeben. Zum Vergleich der Mittelwerte wurde der t-Test verwendet. Zur Testung der zentralen Tendenz zweier unabhängiger Stichproben kam der Mann-Whitney-U-Test zur Anwendung. Für kategoriale Variablen fand der exakte Test nach Fisher Anwendung. Ein 2-seitiger p-Wert unter 0,05 wurde als statistisch signifikant betrachtet und als Trend für einen Unterschied zwischen den beiden untersuchten Gruppen interpretiert. Für die statistische Analyse lag ein vollständiger Datensatz ohne fehlende Werte vor. Auf die Testung multipler Endpunkte wurde auf Grund des explorativen Charakters der Studie verzichtet. Eine multivariate Analyse wurde aufgrund der geringen Unterschiede zwischen den beiden Gruppen nicht durchgeführt.
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Ergebnisse
In die Analyse wurden insgesamt 469 Patienten eingeschlossen (71% männlich, mittleres Alter 69 Jahre). Eine genaue Auflistung der demografischen Daten und Risikofaktoren sowie der Laborwerte und der klinischen Diagnosen findet sich in [Tab. 1].
Die Gruppe A (2019-er Kohorte) umfasste 239 Patienten. Das mittlere Alter lag bei 69 Jahren, 74% waren männlich. In dieser Gruppe waren 62 Patienten mit STEMI, 135 mit NSTEMI und 42 mit instabiler Angina pectoris. In der Gruppe B (2020-er Kohorte) wurden insgesamt 230 Patienten erfasst. Das mittlere Alter lag bei 69 Jahren, 67% waren männlich. In dieser Gruppe waren 55 Patienten mit STEMI, 151 mit NSTEMI und 24 mit instabiler Angina pectoris. Insgesamt gab es in Gruppe B 4 COVID-19-Verdachtsfälle, von denen eine aktive Infektion bei einem Fall mittels PCR-Test bestätigt wurde. Allerdings wurde bei insgesamt 171 Patienten von Gruppe B – insbesondere zu Beginn der Pandemie – kein Sars-CoV-2-Test durchgeführt. Bezüglich der kardiovaskulären Risikofaktoren zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Der Vergleich der Laborwerte ergab für die Laktatdehydrogenase höhere Werte in Gruppe B im Vergleich zu Gruppe A (233 [193–314] vs. 221 [182–273] U/l; p=0,028). Für die Creatinkinase und das hoch-sensitive Troponin-T zeigten sich keine Unterschiede ([Tab. 1]).
Verglichen mit Gruppe A zeigten sich in Gruppe B weniger Patienten mit STEMI (55 [24%] vs. 62 [26%]; p=0,670) und instabiler Angina pectoris (24 [10%] vs. 42 [18%]; p=0,033), dafür mehr Patienten mit NSTEMI (151 [66%] vs. 135 [56%]; p=0,047). Der Anteil der Patienten mit subakutem Infarkt, definiert als LDH- und Troponin-Erhöhung bei normwertiger CK, an der Gesamtheit der Patienten mit Myokardinfarkt (STEMI und NSTEMI) war in beiden Gruppen vergleichbar.
Darüber hinaus ergaben sich auch Unterschiede im Ausmaß der KHK ([Tab. 2]).
Patienten in der Gruppe B hatten seltener eine koronare Eingefäßerkrankung (28 [12%] vs. 59 [25%]; p=0,001), dafür wiesen diese häufiger eine koronare Dreigefäßerkrankung als in der Gruppe A auf (118 [51%] vs. 101 [42%]; p=0,052). Die Rate von Patienten mit nicht stenosierten Koronararterien war vergleichbar, mit etwas höherem Anteil in Gruppe B (43 [19%] vs. 30 [13%]; p=0,075). Allerdings wurde in der Gruppe B deutlich häufiger auf zusätzliche diagnostische Maßnahmen, wie FFR/iFR bzw. IVUS/OCT, zurückgegriffen als in der Gruppe A (29 [13%] vs. 12 [5%]; p=0,005). Bezüglich der Revaskularisationsstrategie wurden in Gruppe B im Vergleich zur Gruppe A mehr Patienten einer Bypass-Operation zugeführt (26 [11%] vs. 15 [6%]; p=0,071). Außerdem erfolgte in Gruppe B der Einsatz eines Herzunterstützungssystems doppelt so häufig wie in Gruppe A. Im Hinblick auf die Revaskularisationsergebnisse nach PTCA sind wir der Ansicht, dass diese Fragestellung besonders interessant für die STEMI-Patienten ist. Von den 117 STEMI-Patienten der gesamten Kohorte (A und B) wurden 17 Patienten konservativ behandelt und 10 Patienten einer dringlichen Bypass-OP zugeführt. Die restlichen 90 Patienten wurden hinsichtlich des Revaskularisationsergebnisses (TIMI-Fluss) ausgewertet ([Tab. 2]). Hier zeigte sich kein Unterschied zwischen den Gruppen (p=0,946).
In der Auswertung der Door-to-Needle-Time ([Tab. 2]) ergaben sich einzig in der Gruppe B bei Patienten mit instabiler Angina pectoris (1032 vs. 1857 min; p = 0,011) kürzere absolute Zeiten. Die In-Hospital-Mortalität zeigte keine Unterschiede zwischen den Gruppen (p=0,636).
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Diskussion
Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass es Unterschiede zwischen dem Vergleichskollektiv aus 2019 (Gruppe A) und der Kohorte während der Corona-Pandemie 2020 (Gruppe B) gibt. Das untersuchte Patientenkollektiv mit akutem Koronarsyndrom ist hinsichtlich demografischer Faktoren und kardiovaskulärer Risikofaktoren vergleichbar gegenüber anderen Kohorten mit akutem Koronarsyndrom [6].
Verschiedene Studien legten nahe, dass es insbesondere zu Beginn der Pandemie zu einem Rückgang kardiologischer Aufnahmen auf Grund eines akuten Koronarsyndroms kam [7]. Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie von Sofi et al. konnte dagegen zeigen, dass sich die Hospitalisierungsrate von STEMI-Patienten während der COVID-19-Pandemie zwar signifikant verringerte, jedoch in einem geringeren Ausmaß als initial berichtet [8]. Im Einklang mit diesen Beobachtungen konnten wir einen leichten Rückgang der perkutanen Koronarinterventionen in Gruppe B feststellen – ein signifikanter Rückgang in der Anzahl der Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der Pandemie zeigte sich jedoch nicht. Dies kann unterschiedliche Gründe haben und unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass wir Infarktpatienten von anderen kardiologischen Kliniken mit Herzkatheterlabor in unserer unmittelbaren Umgebung zugewiesen bekamen, deren Ressourcen durch die COVID-19-Pandemie stark beansprucht waren.
Die Tatsache, dass das Risikoprofil von Gruppe A und Gruppe B vergleichbar war, legt nahe, dass die festgestellten Unterschiede der beiden Gruppen auf andere, z.B. pandemiebedingte Faktoren, zurückzuführen sein könnten. Diese gliedern sich möglicherweise in a) verzögerte Alarmierung des Rettungsdienstes bzw. verzögerte Vorstellung in der Notaufnahme in Pandemiezeiten, b) verändertes Gesundheitsverhalten der Patienten während der COVID-19-Pandemie und c) eine verstärkte Thrombusneigung bei Patienten mit Sars-CoV-2-Infektion aufgrund des proinflammatorischen Milieus, die zu schwereren Verläufen – auch bei Myokardinfarkt – führen kann [9].
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Behandlungszeiten zwischen Symptombeginn und Vorstellung im Krankenhaus bzw. der Herzkatheteruntersuchung bei akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie verlängert sein können [10]. Eine zuverlässige Erhebung der für das Outcome entscheidenden Zeiten zwischen Symptombeginn und Herzkatheteruntersuchung war auf Grund des retrospektiven Charakters unserer Studie nicht sicher möglich [11]. Die Auswertung der Door-to-Needle-Time ergab einzig in Patienten mit instabiler Angina pectoris Unterschiede. Hier zeigten sich in Gruppe B sogar kürzere absolute Zeiten. Dies werteten wir jedoch auf Grund der deutlich kleineren Fallzahl der Gruppe B im Vergleich zur Gruppe A als nicht relevant. Die potenzielle, insbesondere präklinische Verzögerung in der Behandlung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie passt aus unserer Sicht auch zu unseren Daten, da wir in Gruppe B weniger Patienten mit STEMI und instabiler Angina pectoris, dafür aber mehr Patienten mit NSTEMI hatten. Bei Patienten mit STEMI, die sich aber erst verzögert in ärztliche Behandlung begeben, kann sich die ST-Streckenhebung im Verlauf verändern und in ein Übergangsstadium eingetreten sein [12],sodass dann die Diagnose „NSTEMI“ gestellt wird. Bei Patienten mit instabiler Angina pectoris, die sich verzögert in ärztliche Behandlung begeben, kann das akute Koronarsyndrom weiter vorangeschritten sein und zu messbaren Erhöhungen des hoch-sensitiven Troponins führen [13], was dann ebenfalls zur Diagnose „NSTEMI“ führt.
Darüber hinaus führte die COVID-19-Pandemie zu einer Verhaltensänderung bei den Patientinnen und Patienten mit weniger körperlicher Aktivität und Zunahme des Körpergewichts. Dies konnte vor allem bei der urbanen Bevölkerung beobachtet werden und stellt ein besonderes, durch die COVID-19-Pandemie bedingtes kardiovaskuläres Risiko dar [14]. Passend hierzu zeigten sich Unterschiede im Ausmaß der KHK in unserem Patientenkollektiv. Patienten in Gruppe B hatten seltener eine koronare Eingefäßerkrankung (p=0,001), wiesen dafür jedoch häufiger eine koronare Dreigefäßerkrankung auf und wurden folglich auch häufiger einer Bypass-Operation zugeführt.
Bei der Erfassung der Ergebnisse der Corona-Tests zeigte sich nur ein positiver Patient in Gruppe B bei allerdings 171 Patienten, die keinen Test erhielten. Somit ist unklar, wie viele dieser Patienten an einer aktiven Infektion mit Sars-CoV-2 litten. Eine systematische Testung aller stationären Patienten wurde erst gegen Ende des Studienzeitraums etabliert. In einer Studie von Salarifar et al. an 178 STEMI-Patienten zeigte sich eine Rate von 3,9% positiver Tests [15] , wobei dies natürlich auch vom jeweiligen lokalen Infektionsgeschehen abhängt.
Die oben genannten Faktoren könnten dazu beigetragen haben, dass Patienten in der Gruppe B häufiger einen schwereren Befund in der Herzkatheteruntersuchung aufwiesen. Dies kennzeichnet sich durch den doppelt so häufigen Einsatz von Herzunterstützungssystemen im Vergleich zur Gruppe A sowie die erhöhte Anzahl an Fällen, welche einer dringlichen Bypass-OP zugeführt wurden. Ein Unterschied der In-Hospital-Mortalität zwischen den Gruppen ergab sich jedoch nicht. Eine solch detaillierte Beschreibung von Herzinfarktpatienten in diesem Setting ist unseres Wissens bislang nicht erfolgt.
Interessant ist auch, dass der Anteil von Patienten mit akutem Koronarsyndrom ohne Stenosen in Gruppe B im Vergleich zur Gruppe A etwas zugenommen hat. Dies mag verschiedene Gründe haben. Einerseits wurden in Gruppe B mehr Patienten mit zusätzlichen diagnostischen Maßnahmen behandelt (insbesondere FFR/iFR und IVUS/OCT), die in manchen Fällen auch zu einem konservativen Prozedere geführt haben. Andererseits zählen zu diesem heterogenen Kollektiv auch Patienten mit anderen lebensbedrohlichen, nicht koronaren Erkrankungen, wie z.B. Lungenembolie oder Aortendissektion, die aufgrund der klinischen Einschätzung einer Herzkatheteruntersuchung zugeführt wurden, jedoch keine epikardialen Stenosen aufwiesen. Ein weiterer Anteil dieser Patienten kann als MINOCA (Myokardinfarkt mit nichtobstruktiven Koronararterien) bezeichnet werden und sollte weiteren diagnostischen Verfahren unterzogen werden, um die Ätiologie zu klären [16] [17] , auch wenn deren prognostische Relevanz noch unklar ist.
Limitationen
Die Ergebnisse unserer Studie unterliegen Limitationen, da es sich um eine retrospektive Studie handelt. Hierdurch bedingt war zwar eine Erhebung der Door-to-Needle-Time, nicht jedoch eine zuverlässige Erhebung der genauen Zeiten zwischen Symptombeginn und Zeitpunkt der Herzkatheteruntersuchung möglich. Darüber hinaus hängen die Charakteristika der beschriebenen Patienten stark von der regionalen Versorgungsstruktur ab und können in anderen geografischen Regionen anders sein. Schließlich lässt sich nicht eindeutig nachweisen, dass eine Kausalität zwischen den Folgen der COVID-19-Pandemie und den Ergebnissen dieser Studie besteht. Zur Validität der Ergebnisse trägt jedoch der Vergleich von 2 relativ großen Kohorten aus dem gleichen Zeitraum eines jeden Jahres bei.
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Schlussfolgerung
Patienten mit akutem Myokardinfarkt wurden während der COVID-19-Pandemie 2020 im Vergleich zu einer Kontrollgruppe aus dem Jahr 2019 häufiger mit NSTEMI aufgenommen und hatten ein größeres Ausmaß der KHK.
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Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe wurden Patienten mit akutem Koronarsyndrom während der COVID-19-Pandemie häufiger mit NSTEMI als mit STEMI oder instabiler Angina pectoris aufgenommen.
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Die ACS-Patienten während der Pandemie wiesen ein größeres Ausmaß der KHK auf als die Patienten in der Kontrollgruppe.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
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Korrespondenzadresse
Publication History
Received: 24 September 2021
Accepted after revision: 19 October 2022
Article published online:
05 December 2022
© 2022. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).
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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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