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DOI: 10.1055/a-1965-1109
Gemeinsame Tagung von ackpa und BDK am 22.09.2022 in Potsdam: „Fachkräftemangel: Wie müssen sich psychiatrische Kliniken und Abteilungen aufstellen, um die Patientenversorgung sicherzustellen?“
Nach der Begrüßung durch die Vorsitzenden Sylvia Claus und Christian Kieser und den Geschäftsführer des Ernst von Bergmann-Klinikums Hans-Ulrich Schmidt nebst organisatorischen Hinweisen sofortiges Einsteigen ins Thema, zunächst unter Moderation von Sylvia Lorenz, Bad Salzungen: Stefan Cohrs, Bremerhaven, skizziert unter Zuhilfenahme zahlreicher Statistiken die dramatischen Veränderungen der Altersstruktur diverser Facharztgruppen. Obwohl die Anzahl berufstätiger Fachärzte numerisch gestiegen ist, hat die gefühlte Versorgung sich verschlechtert und wird sich weiter verschlechtern, was in erheblichem Maße am steigenden Durchschnittsalter liegt, aber auch an zunehmender Teilzeittätigkeit; die Anzahl der aus dem Ausland kommenden Ärzte hat sich in den vergangenen etwa 20 Jahren ca. verfünffacht. Außerdem steigt der Versorgungsbedarf durch die ebenfalls alternde Bevölkerung schneller als die dafür zur Verfügung stehenden Ärztinnen und Ärzte.
Weiterhin ist ein Verlust an Medizinstudierenden im Studienverlauf von mehr als 10 % zu konstatieren, sodass langfristig zur substanziellen Beseitigung dieses Problems eigentlich nur die Ausbildung von mehr Mediziner*innen als Maßnahme infrage kommt. Zusätzlich müssen Verlängerung der Lebensarbeitszeit und vermehrtes Delegieren bis dato ärztlicher Tätigkeiten an andere Berufsgruppen erwogen werden. Herr Cohrs schlägt vor, einen diesbezüglichen Brandbrief an die Minister der Länder für Gesundheit, Bildung und Finanzen zu verfassen. In der anschließenden Diskussion wird deutlich, dass Ärztinnen und Ärzte früher deutlich mehr Zeit am Arbeitsplatz verbrachten, besser bezahlende „Privat“-Klinikträger mit einträglicheren Geschäftsmodellen mit uns konkurrieren und der Anteil bürokratischer Tätigkeiten an der Gesamtarbeitszeit über die Jahrzehnte hinweg deutlich zugenommen hat.
Im zweiten Vortrag von Block I berichtet Wolfgang Jordan, Magdeburg, über „rechtliche Grundlagen der Delegation in der psychiatrischen Versorgung“. Er unterschied dabei Delegation, bei der die ärztliche Verantwortung verbleibt von Substitution, bei der die Haftung beim Ausführenden liegt. Angesichts der jetzigen Situation in vielen Kliniken bedarf es der Neuorganisation ärztlicher Tätigkeiten, was möglich erscheint angesichts des Umstandes, dass die gesetzliche Zuweisung bestimmter Tätigkeiten an distinkte Berufsgruppen gesetzlich bis dato eher rudimentär ausgestaltet ist (SGB V regelt lediglich, dass Tätigkeiten ärztlich angeordnet und verantwortet werden müssen, sodass persönliche Durchführung durch den Arzt nur dort, wo es spezifischer ärztlicher Kenntnisse bedarf, erforderlich ist). Wolfgang Jordan wies darauf hin, dass im Hinblick auf die Personalauswahl auch Krankenhausträger in der Verpflichtung sind. Im Anschluss skizzierte Karel Frasch, Donauwörth, seine „Umsetzungserfahrungen mit Psycholog*innen im Nachtdienst“. Im dortigen kleinen Bezirkskrankenhaus (40 voll- und 16 teilstationäre Behandlungsplätze, ambulante mobile Intensivbehandlung und PIA) sind seit Mai 2019 auf dem Boden einer umfassenden und mit Vorstand und Personalrat konsentierten Dienstanweisung durchgehend Psychologinnen und Psychologen im Bereitschaftsdienst tätig: Insgesamt wurden durch 17 Psycholog*innen bis inklusive August 2022 543 Dienste, davon 49 an Wochenenden/Feiertagen abgeleistet, wobei der Referent während dieser Zeitspanne 480 Mal Hintergrundfacharzt war und die Situation somit hinreichend überblickt: „Majore“ klinische Verwerfungen sind bis dato nicht eingetreten, zusätzlich hat in Sachen Sprache, Dokumentation, Psychotherapien, Umsetzungspräzision und Sicherheitserleben des Hintergrunddienstes ein merklicher Qualitätszuwachs stattgefunden. In Ermangelung besserer/schneller effektiver Alternativen, insbesondere in den ländlichen/kleineren Kliniken, favorisiert Karel Frasch dieses von den Internisten in seinem Krankenhaus (gleiches Gebäude) mitgetragene Psychologenmodell als wichtigen Bestandteil künftiger guter Patient*innenversorgung.
Nach der sich hieran anschließenden Diskussion, in der sowohl Bedenken als auch Ermutigung zum Ausdruck kamen, folgte nach einer Kaffeepause unter Leitung von Felix Hohl-Radke, Brandenburg, der zweite Block. Erster Vortragender war Martin Heinze, Rüdersdorf, der „Fallstricke bei der Überführung von Modellvorhaben in die Regelversorgung“ besprach. Leider ist das dortige § 64b-Vorhaben nach der üblichen Erstlaufzeit von acht Jahren nicht verlängert worden, sodass bundesweit nurmehr 21 derartiger Verträge zur Weiterentwicklung der Versorgung im SGB V am Laufen sind. Die gesetzlichen Grundlagen zur Fortführung derartiger innovativer Versorgungsformen sind überaus komplex (u. a. Verträge mit einzelnen Krankenkassen, zahlreiche „Krankenhausregeln“ und administrative Notwendigkeiten, die auf das Modell übertragen werden müssen) und auch in sich widersprüchlich; so sei beispielsweise kaum verständlich, warum „bettenführende Stationen“ als Anspruchsgrundlage gelten müssen, „Krankenhaus“ in unserem Fachgebiet sei vielmehr umfassende fachkompetente teambasierte Versorgung in verschiedenen Settings, von denen vollstationäre Behandlung nur eines sei. Zur Vermeidung ökonomischer Fehlanreize bedürfe es eines hinreichend auskömmlichen Kapitationssystems unter Berücksichtigung regionaler Gegebenheiten. Personalvorgaben müssen dementsprechend sektorübergreifend erfolgen, Fehlanreize zugunsten stationärer Behandlung, die mit dem Verlust sozialer Kompetenzen korreliert, sind zu vermeiden, Prävention und Rehabilitation müssten mitgedacht werden und im Rahmen von Gesamtbudgets könne der uns allen bekannte kostenträgerseitige Misstrauensaufwand entfallen. Unter Zuhilfenahme des Beispiels Rüdersdorf plädiert Martin Heinze für die Überführung derartiger Projekte in die Regelversorgung (und stellt als Gegenleistung auch entsprechende Bettenreduktionen zur Diskussion).
Im letzten Vortrag berichtet Andreas Bechdolf, Berlin, über ein dortiges Modellprojekt, das intensive ambulante Behandlung und Home Treatment beinhaltet und weniger Pflegepersonal pro Patient erfordert (auch in der Hauptstadt herrscht bedauerlicherweise Mangel an Pflegekräften). Das kleine Team (1,0 Arzt, 0,5 Pflege, 0,5 Psychologin) kümmert sich um DAK-Patienten; eine kontrollierte Untersuchung ergab eine erfreuliche Halbierung der Hospitalisierung sowie eine höhere Patientenzufriedenheit im „Verum“arm. Ziel muss sein, die intensive ambulante Behandlung kostendeckend in die Regelversorgung zu implementieren. Bei der abschließenden gemeinsamen Havelbootsfahrt, die noch im Hellen begann und ein schönes Buffet sowie kühle Getränke beinhaltete, wurde erwartungsgemäß das eine oder andere Thema angemessen vertieft.
Bericht von der ackpa-Mitgliederversammlung am 23.09.2022 in Potsdam
Zunächst erfolgte der Tätigkeitsbericht des Geschäftsführenden Ausschusses (GA), wobei die regelmäßigen Video- und Präsenzsitzungen und der ebenso regelmäßige Kontakt zu BDK, LIPPs und APK sowie die diversen und ergiebigen Online-Konferenzen besonders erwähnt werden sollen. Sodann berichtete die Kassenführerin Sylvia Lorenz, anschließend wurde von Karel Frasch die überarbeitete Satzung vorgestellt, die nach Aussprache und Hinzufügung des Gastrechts ehemaliger Mitglieder ohne Gegenstimmen beschlossen wurde. Christian Kieser verabschiedete sich aus dem Sprecheramt, das er seit 2016 in Nachfolge von Karl Beine innehatte, die Wahl ergab ohne Gegenstimme Bettina Wilms als neue Sprecherin, stellvertretende Sprecher wurden Andreas Bechdolf und Karel Frasch. Christian Kieser wird auch weiterhin Mitglied des GA sein, Sylvia Lorenz wurde ebenfalls in ihrem Amt bestätigt. Die Wahl wurde guter Tradition gemäß von Felix Böcker geleitet und moderiert. Folgerichtig übernahm nun die Sprecherin Bettina Wilms die Leitung der Sitzung. Zum letzten Mal anwesend im Amt sind neben Felix Böcker (Naumburg) auch Martin Kaiser (Saarburg, vormals Merzig), Richard Serfling (Weimar) und Jörg Breitmaier (Ludwigshafen); neu in unserem Kreis und herzlich willkommen geheißen werden Luise Leptin (Geesthacht), Manoshi Pakrasi (Quakenbrück), Daniel Schöttle (HH-Harburg), Sönke Arlt (HH-Schnelsen) sowie Volker Hentschel (Witten-Herdecke).
Als nun anstehende Aufgaben werden von Bettina Wilms psychiatriepolitische Themen, die Weiterführung der Zusammenarbeit mit der APK, die Fortführung der ackpa-Konferenzen und, auch daraus resultierend, die Entwicklung eines Grundsatzpositionspapiers unter Regie von Margareta Müller-Mbaye und Andreas Bechdolf herausgestellt. Wichtige Termine: 04.11.2022 NFEP, diesmal online: „Was macht die PPP-RL mit unseren Kliniken und wo geht die Reise hin?“, 10./11.11.2022 Berlin-Neukölln (Versorgung von Migrant*innen); bei dem kommenden DGPPN-Kongress (23.–26.11.2022) wird es wieder ein ackpa- und ein ackpa/BDK-Symposium geben. Die nächste Mitgliederversammlung findet im Rahmen der ackpa-Jahrestagung von 02.–04.03.2023 in Karlsruhe statt. Weiterhin informiert Bettina Wilms, dass die Sanktionen der PPP-RL in 2023 ausgesetzt bleiben. Die EPPIK-Studie wird fortgesetzt. Ferner wird empfohlen, sich an der Datenerhebung zur Pflichtversorgung (Aufruf der DKG) zu beteiligen. Ebenso empfiehlt es sich, die DKG-Initiative „Alarmstufe rot“ beziehungsweise die damit verbundene Petition zu unterstützen. Weiterhin wird ein Thesenpapier zur Zukunft der Versorgung mit den Mitteln des Krankenhauses vorgestellt, das von den Vertreter*innen der BDK und ackpa im DGPPN-Vorstand erarbeitet wurde und sich noch im Konsentierungsprozess befindet. Andreas Bechdolf berichtet über die Bemühungen der APK um eine Konzeption für ambulante Komplexleistungen im Sinne des Assertive Community Treatment (ACT) und deren Verankerung im Finanzierungssystem. Versorgungsleistungen nach der sogenannten KSV-Psych-Richtlinie grenzt er als Koordinierungsleistung von der Begrifflichkeit einer Komplexleistung ab.
Eine dicht mit zum Teil schwierigen Themen gefüllte Mitgliederversammlung geht zu Ende – wir hoffen auf ein Wiedersehen unter ähnlich liberalen Bedingungen im Frühjahr 2023 in Karlsruhe!
PD Dr. med. K. Frasch
stellv. Sprecher von ackpa
Ärztlicher Direktor
Bezirkskrankenhaus Donauwörth
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik an der Donau-Ries Klinik
Neudegger Allee 6, 86609 Donauwörth
karel.frasch@bkh-donauwoerth.de
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
10. November 2022
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