CC BY-NC-ND 4.0 · Aktuelle Kardiologie 2023; 12(02): 113-119
DOI: 10.1055/a-1978-6169
Kurzübersicht

Bedeutung der Umwelt – Luftverschmutzung, Lärm und Hitze als kardiovaskuläre Risikofaktoren

Importance of the Environment – Air Pollution, Noise, and Heat as Cardiovascular Risk Factors
Thomas Münzel
1   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland (Ringgold ID: RIN39068)
2   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) e.V., Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
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Andreas Daiber
1   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland (Ringgold ID: RIN39068)
2   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) e.V., Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
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Omar Hahad
1   Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Mainz, Deutschland (Ringgold ID: RIN39068)
2   Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) e.V., Standort Rhein-Main, Mainz, Deutschland
› Institutsangaben
 

Zusammenfassung

Luftverschmutzung, Verkehrslärm und Hitzewellen sind umweltbedingte Gesundheitsrisikofaktoren, die häufig in urbanen Räumen kolokalisiert sind. Diese Risikofaktoren können singulär oder in Interaktion auftreten und wirken und sind vor allem für kardiovaskuläre und zerebrale gesundheitliche Nebenwirkungen verantwortlich. Bekannt ist, dass diese Umweltstressoren eine endotheliale Dysfunktion, oxidativen Stress, Gefäßentzündungen und die Aktivierung des autonomen Nervensystems verursachen können und darüber vermittelt die Entwicklung von kardiometabolischen und zerebralen Erkrankungen fördern. Die vorliegende Übersichtsarbeit diskutiert die pathophysiologischen Mechanismen umweltbedingter Erkrankungen sowie den Effekt präventiver Maßnahmen für das Herz-Kreislauf-Risiko. Ein erhöhtes Bewusstsein für die Belastung der öffentlichen Gesundheit durch diese Umweltrisikofaktoren und die Integration dieser Erkenntnisse in medizinischen Leitlinien können dazu beitragen, die Anstrengungen zu intensivieren, das Ausmaß von Luftverschmutzung, Lärm und Hitzewellen gesetzlich zu limitieren.


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Abstract

Air pollution, traffic noise and heat waves are environmental health risk factors that are often co-localized in urban areas. These risk factors can occur and act individually or in interaction and are primarily responsible for cardiovascular and cerebral health side effects. It is known that these environmental stressors can cause endothelial dysfunction, oxidative stress, vascular inflammation and activation of the autonomic nervous system, thereby mediating the development of cardiometabolic and cerebral diseases. This review article discusses the pathophysiological mechanisms of environmental-induced diseases and the effect of preventive measures on cardiovascular risk. Raising awareness of the public health burden of these environmental risk factors and incorporating this knowledge into medical guidelines can help to intensify efforts to legally limit the levels of air pollution, noise and heat waves.


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Glossar

AHA: American Heart Association
EEA: Europäische Umweltagentur
WHO: Weltgesundheitsorganisation

Was ist wichtig?
  • Umweltfaktoren wie Luftverschmutzung, Lärm und Hitze werden zunehmend als Risikofaktoren von Herz-Kreislauf-Erkrankungen anerkannt.

  • Die Einbeziehung dieser Risikofaktoren in die kardiologische Leitlinienkonzeption kann erheblich dazu beitragen, die kardiovaskuläre Gesundheit zu schützen.


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Einleitung

Die globale Krankheitslast bedingt durch Luftverschmutzung, Lärm und Hitzewellen ist immens. Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehen allein in Westeuropa jährlich 1,6 Millionen gesunde Lebensjahre aufgrund von Umgebungslärm, meistens bedingt durch Verkehr, verloren. Gemäß einem Bericht der Europäischen Umweltagentur (EEA) sind in der EU 113 Millionen Personen Tag-Abend-Nacht-Straßenlärmpegeln (Lden) von 55 Dezibel (dB) oder mehr ausgesetzt, was 20% der europäischen Bevölkerung entspricht. Weiter sind 22 Millionen Personen von schädlichem Eisenbahnlärm, 4 Millionen von schädlichem Fluglärm und weniger als 1 Million von schädlichem Industrielärm betroffen [1]. Damit verursachen diese 4 Lärmquellen starke Lärmbelästigung bei 22 Millionen Personen sowie starke Schlafstörungen bei 6,5 Millionen Personen.

Zudem muss in Zukunft mit einer deutlichen Zunahme von hitzebedingten Todesfällen gerechnet werden. Aktuelle Daten zeigen, dass jährlich mehr als 5 Millionen Todesfälle aufgrund von Extremtemperaturen entstehen, wobei hier in erster Linie Patienten mit kardialen Vorerkrankungen wie eine koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, arterielle Hypertonie und Schlaganfall betroffen sind [2].

Ein ähnliches Muster zeichnet sich für die Luftverschmutzung ab. Hier ist es vor allem der Feinstaub (Partikel mit einem Durchmesser von 2,5 µm, PM2,5) bzw. der Ultrafeinstaub (Durchmesser von 0,1 µm), der pathophysiologisch besonders wirksam ist.

Berechnungen von Lelieveld u. Mitarb. ergaben eine Übersterblichkeit von 8,9 Millionen Fällen aufgrund von PM2,5 [3] [4]. Damit wird die Übersterblichkeit, die z. B. durch Tabakkonsum entsteht, deutlich übertroffen (7,2 Millionen). In Europa entstehen jährlich 800000 Todesfälle aufgrund von PM2,5, wovon 40% ischämische Herzerkrankungen, 10% Schlaganfälle sowie 32% andere nicht übertragbare Erkrankungen, darunter auch Diabetes mellitus und arterielle Hypertonie, darstellen [4]. Daher wird von einer Übersterblichkeit von knapp 70% pro Jahr ausgegangen, die in erster Linie auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen ist [4].

Kurzgefasst

Umweltstressoren haben einen starken Einfluss auf die öffentliche Gesundheit, vor allem vermittelt über ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.


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Pathophysiologische Mechanismen umweltbedingter Erkrankungen

Luftverschmutzung

PM2,5- oder auch Ultrafeinstaub-Exposition führt nach Inhalation der Partikel in die Lungen zu einer Transmigration der Partikel ins Blut, zu einer Aufnahme in die Gefäßwand und damit zu einer Stimulation von Entzündungsprozessen, oxidativem Stress, endothelialer Dysfunktion und damit zur Entwicklung eines prothrombotischen Milieus, das letztendlich kardiometabolische Erkrankungen hervorrufen kann [5]. Ultrafeinstaub sowie PM2,5 können über den nasalen Weg direkt in das Gehirn gelangen und dort Stressprozesse auslösen ([Abb. 1]) und den zerebralen oxidativen Stress steigern, der letztendlich zur Entwicklung einer arteriellen Hypertonie, aber auch zu zerebralen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Demenz führen kann [6].

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Abb. 1 Zusammenfassung der pathophysiologischen Mechanismen, die durch verschiedene Bestandteile von Luftverschmutzung ausgelöst werden können, wie z. B. eine endotheliale Dysfunktion, erhöhten oxidativen Stress, Entzündungen und in der Folge Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Grüne und blaue Dreiecke sind pathogene molekulare Muster (z. B. freie DNA-Fragmente, Hyaluronan, 7-Ketocholesterol, oxidiertes 1-Palmitoyl-2-arachidonyl-sn-glycero-3-phosphorylcholin, Lipopolysaccharid) sowie lösliche Schwer-/Übergangsmetalle. EPCs = endotheliale Vorläuferzellen, ET-1 = Endothelin-1, ETAR = Endothelin-Typ-A-Rezeptor, HPA-Achse = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, MDA = Malondialdehyd; MMP = Metalloproteinase, 3-NT = 3-Nitrotyrosin, 8-Oxo-dG = 8-Oxo-desoxyguanosin, TIMP = Gewebeinhibitor von Metalloproteinasen, TLR4 = Toll-like-Rezeptor 4, VOCs = flüchtige organische Verbindungen. Quelle: Munzel T, Gori T, Al-Kindi S et al. Effects of gaseous and solid constituents of air pollution on endothelial function. Eur Heart J 2018; 39: 3543–3550 doi:10.1093/eurheartj/ehy481 [rerif]

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Lärm

Lärmexposition kann grundsätzlich 2 pathophysiologische Routen aktivieren. Bei einer Exposition mit Dezibelwerten von > 100 können Schädigungen des Gehörorgans auftreten (direkte Wirkung), und bei Expositionen mit etwa 50–60 dB (entspricht etwa der Lautstärke einer Unterhaltung) kann es zu Störungen alltäglicher Aktivitäten und des Schlafes kommen, die Belästigungsreaktionen bzw. Stressreaktionen auslösen und die langfristig über eine vermehrte Ausbildung von Herz-Kreislauf-Risikofaktoren letztendlich zur Entwicklung von kardiometabolischen Erkrankungen führen können [7] ([Abb. 2]). Aktuelle Ergebnisse zeigen, dass eine stärkere Belästigungsreaktion mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Tod durch Herzinfarkt und Schlaganfall [8], aber auch für zerebrale Erkrankungen wie Demenz assoziiert ist [6].

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Abb. 2 Das Lärm-Stress-Konzept. Unterschieden wird zwischen den direkten (auditiven) und indirekten (nicht auditiven) Wirkungen der Lärmexposition. Die Folgen von Lärm sind eine neuronale Aktivierung (Arousal), die eine Signalübertragung über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und das sympathische Nervensystem (SNS) auslöst. In der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse setzt der Hypothalamus Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH; auch bekannt als Corticoliberin) in die Hypophyse frei, was wiederum die Freisetzung von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) stimuliert. Diese Wege führen in der Nebennierenrinde zur Bildung von Kortisol und Katecholaminen, die als direkte Vasokonstriktoren bzw. Entzündungsmediatoren auf die Blutgefäße wirken, aber auch sekundäre endokrine Systeme wie das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) aktivieren und so zu vaskulärem oxidativem Stress führen. Quelle: Munzel T, Sorensen M, Daiber A. Transportation noise pollution and cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol 2021; 18: 619–636 doi:10.1038/s41569-021-00532-5 [rerif]

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Hitzewellen

Extreme Temperaturen z. B. durch Hitzewellen können zu einem Gesundheitsrisiko werden, wenn die Wärmeaufnahme die Fähigkeit des Körpers übersteigt, auch die Wärme wieder abzugeben und darüber vermittelt eine Reihe von pathologischen kardiovaskulären Ereignissen verursacht. Zu den körperlichen Reaktionen mit möglichen kardiovaskulären Komplikationen gehören beispielsweise vermehrtes Schwitzen und eine erhöhte Hautdurchblutung, was zu Dehydration und erhöhtem Schlaganfallrisiko führen kann [9]. Es wurde zudem gezeigt, dass thermischer Stress das Risiko für kardiovaskuläre Funktionsstörungen wie Bluthochdruck, Herzfrequenzstörungen und ischämische Herzkrankheit erhöhen kann; die Vasodilatation der peripheren Blutgefäße senkt den systolischen Blutdruck und verringert so den koronaren Blutfluss, was das Auftreten von Arrhythmien und Herzstillstand begünstigt. Eine hitzebedingte erhöhte Herzfrequenz und kardiale Kontraktilität können den myokardialen Sauerstoffverbrauch erhöhen, was auch die Bedrohung durch eine myokardiale Ischämie sowie tödliche Arrhythmien begünstigen kann ([Abb. 3]) [9].

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Abb. 3 Negative Auswirkungen von extremen Temperaturen auf den Organismus.

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Auswirkungen von Umweltstressoren auf Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen

Patienten mit manifester koronarer Herzerkrankung, Post-Myokardinfarkten, Herzinsuffizienz, Schlaganfällen und hypertensive Patienten sind als besonders vulnerabel gegenüber Hitzewellen einzustufen. Besonders gefährdet sind Patienten mit ischämischer Herzkrankheit. Patienten mit Herzinsuffizienz und reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion sind nicht in der Lage, die durch Hitzeeinwirkung induzierte erhöhte Kreislaufanforderung zu kompensieren. Insgesamt beeinflusst laut WHO die Kombination aus Alter, Intensität der Hitzeeinwirkung und allgemeiner Gesundheit das Risiko einer Person für hitzebedingte Erkrankungen.

In Bezug auf den Verkehrslärm ist bekannt, dass Lärmpegel von > 55 dB mit vermehrten Schlaganfällen, koronarer Herzerkrankung, Herzinfarkt, aber auch akuten kardialen Todesfällen assoziiert sind. Eine stärkere Lärmbelästigungsreaktion ist hier ein Indikator für eine verstärkte Gefährdung. Aktuelle Ergebnisse zeigen, dass hier insbesondere die lärmbedingte Aktivierung der Amygdala (Teil des limbischen Systems) eine wichtige Rolle spielt. Mit Hinblick auf Flug- und den Straßenverkehrslärm konnte mithilfe von PET-CT-Untersuchungen gezeigt werden, dass eine erhöhte Lärmexposition zu einer stärkeren Aktivierung der Amygdala führt und dass dies gleichzeitig mit einer stärkeren Entzündung der Gefäße korreliert ist [8]. Dieser Umstand führte innerhalb von 5 Jahren zu einer vermehrten Ausbildung von kardiovaskulären Ereignissen wie Schlaganfall, Herzinfarkt und auch Tod durch Herzinfarkt. Interessanterweise kann das Risiko, solche lärmbedingten Komplikationen zu erleiden, durch eine erhöhte Resilienz reduziert werden [10]. Wichtig ist zu erwähnen, dass eine vollständige Habituation an Lärm unwahrscheinlich ist und dass das Herz-Kreislauf-System sich schneller regenerieren kann als das Gehirn nach Lärmreduktion.

Eine der wichtigsten Nebenwirkungen von Feinstaubexposition ist die Begünstigung von Gefäßentzündungen, oxidativem Stress und auch einer endothelialen Dysfunktion, einem frühen Biomarker für Atherosklerose. Die Pathogenität des Feinstaubs hängt zum einen von der Größe der Partikel ab, d. h. je kleiner der Partikel, desto höher seine Fähigkeit, das Gewebe zu durchdringen [5]. Einerseits induziert der Feinstaub somit die Ausbildung von kardiometabolischen Risikofaktoren, die bei der Entstehung von assoziierten Erkrankungen mitwirken, und andererseits bewirkt er eine Progression dieser Erkrankungen, wenn diese bereits schon vorliegen. Gefährdet sind hier vor allem Patienten mit etablierter koronarer Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Bluthochdruck, Diabetes mellitus sowie Patienten nach einem Schlaganfall [5].

Kurzgefasst

Sowohl Luftverschmutzung in Form von (Ultra-)Feinstaub als auch Lärm- und Hitzeexposition rufen körperliche Reaktionen mit möglichen kardiovaskulären Komplikationen hervor.


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Präventive Maßnahmen

Es stellt sich die Frage, was man als Exponierter unternehmen kann, um die gesundheitlichen Konsequenzen der Umweltstressoren zu reduzieren und welche Rolle hier das Individuum und der Staat spielen können.

Luftverschmutzung

Bisher hat keine individualisierte Intervention zur Reduktion der Exposition mit Luftschadstoffen zu einer Verbesserung der Lebenserwartung geführt bzw. das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse reduzieren können. Kürzlich wurden Strategien zur Minderung der individuellen Exposition ausführlich zusammengefasst. Empfohlen werden [11]:

  • Tragbare Luftreiniger: Diese sind kostengünstig und können in fast allen Häusern und Wohnungen an Orten mit Stromanschluss eingesetzt werden.

  • Hocheffiziente Luftfiltersysteme für zu Hause: Diese stellen ein wirksames Mittel zur Entfernung von Schadstoffpartikeln in Innenräumen dar.

  • Luftreinigende Atemschutzgeräte: Diese sind persönliche Schutzgeräte, die Nase und Mund bedecken, und dazu dienen, das Einatmen von Feinstaub und anderen Partikeln je nach Nenneffizienz zu reduzieren (Entfernung von > 95% oder 99% der Partikel mit einer Größe von 0,3 µm).

  • Gesichtsmasken und medizinische Masken: Diese weisen jedoch große Unterschiede bei der Filterung von Feinstaub auf. FFP2-Gesichtsmasken bieten einen gewissen Schutz vor festen Luftschadstoffen. Obwohl hier nicht direkt relevant, wurde gezeigt, dass Gesichtsmasken (alle Arten und insbesondere FFP2) SARS-CoV-2-Infektionen durch die Verbreitung von Tröpfchen und Aerosolen wirksam verhindern können.

  • Autoluftfilter und Klimaanlagen: Diese stellen Ansätze zur Verringerung der Fein- und Ultrafeinstaubexpositionen während der Reise dar, die für hochgradig anfällige Personen von Nutzen sein können, aber auch für diejenigen, die sich für einen wesentlichen Teil ihres täglichen Lebens in Mikroumgebungen des Transportwesens aufhalten.

  • Andere basale Empfehlungen umfassen die Vermeidung von Gebieten mit starker Luftverschmutzung sowie den Aufenthalt im Haus und das Schließen von Fenstern.


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Lärmminderungsstrategien

Wie kürzlich von der Europäischen Kommission zusammengefasst wurde, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Lärmminderung. Die Schalldämmung von Gebäuden ist wirksam bei der Verringerung der Belastung durch verschiedene Lärmquellen im Freien, ist jedoch aufgrund der hohen Implementierungskosten mit einer geringen Kosteneffizienz verbunden. Neue Technologien und Verbesserungen sind wichtige Beiträge zur Reduktion der Lärmpegel für alle Verkehrslärmquellen (z. B. Entwicklung leiserer Motoren, geräuscharmer Reifen für Fahrzeuge und geräuscharmer Bremsklötze für Züge). Der Straßenverkehr trägt mit Abstand am stärksten zur Belastung durch Verkehrslärm bei, und häufig angewandte Minderungsverfahren sind Geschwindigkeitsbegrenzungen, optimierte Straßenoberflächen und Lärmschutzwände an Hauptverkehrsstraßen. Aufgrund des Ausmaßes und des zeitlichen Anstiegs der Exposition sind jedoch andere Strategien wie Verkehrsmanagement und -regelungen dringend erforderlich. Der Luftverkehr nimmt seit vielen Jahren zu, und Strategien zur Reduzierung der Exposition umfassen Flugverbotszeiten während der Nacht, in der sich der Lärm als besonders schädlich erwiesen hat [12].


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Hitzewellen

In England beispielsweise gibt es einen beratenden Hitzewellenplan, der den Gesundheitsschutz für die Öffentlichkeit detailliert beschreibt. Jedoch muss festgehalten werden, dass die Gesamtheit der Menschen während einer Hitzewelle im Jahr 2017 nur eingeschränkt (etwa 27%) ihr Verhalten änderte, was darauf hindeutet, dass die Botschaften über die potenziellen Gefahren von Hitzewellen verstärkt und angepasst werden müssen. Die American Heart Association (AHA) hat 5 Vorsichtsmaßnahmen formuliert, um Menschen vor Extremtemperaturen zu schützen:

  • Vermeiden Sie den Aufenthalt im Freien von 12:00 bis 15:00 Uhr, wenn die Sonne am stärksten scheint und das Risiko von hitzebedingten Problemen höher ist.

  • Tragen Sie leichte, helle Kleidung aus atmungsaktiven Stoffen, einen Sonnenhut, eine Brille und verwenden Sie Sonnencreme.

  • Bleiben Sie hydriert, da Dehydrierung dazu führt, dass das Herz härter arbeitet, und es gefährdet, vermeiden Sie Koffein und Alkohol.

  • Machen Sie regelmäßig Pausen, in denen Sie anhalten, sich ausruhen und rehydrieren können.

  • Nehmen Sie weiterhin alle Medikamente wie verschrieben ein.

In diesem herausfordernden Umfeld müssen die nationalen Gesundheitssysteme eindeutig die Initiative ergreifen und die Bevölkerung vor den Auswirkungen extremer Hitzeereignisse schützen. Dieser Bedarf wurde von der klinischen/akademischen Gemeinschaft in einer Reihe von Artikeln in renommierten medizinischen Fachzeitschriften thematisiert, um das Bewusstsein für das Problem zu schärfen und zum Handeln aufzurufen. Die „Unvermeidlichkeit steigender globaler Temperaturen“ in den nächsten Jahren sollte relevante Einrichtungen der Gesundheitsinfrastruktur alarmieren und die Integration systemweiter Notfallpläne auf den Plan rufen. Dies setzt voraus, dass klinisches Personal und Ersthelfer entsprechend geschult und vorbereitet werden müssen. Dies erfordert auch eine Bewertung der regionalen Gemeinschaft, um Bevölkerungsgruppen zu identifizieren, die am anfälligsten für Hitzeeinwirkung und ihre möglichen Folgen sind wie z. B. Stromausfall. Weitere praktische Schritte für Gesundheitssysteme beinhalten rechtzeitige Hitzewarnungen, Bereitstellung von Ressourcen für die Erforschung der Folgen der globalen Erwärmung auf die kardiovaskuläre Gesundheit und hier vor allem ein besseres Verständnis der Pathophysiologie, die den Zusammenhang zwischen extremer Hitze und nachteiligen kardiovaskulären Folgen vermittelt.


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Ausblick und Fazit

Bei allen Umweltstressoren besteht ein hoher gesellschaftlicher Handlungsbedarf. Ohne schnelle Maßnahmen zur Verringerung der Umweltstressoren auf allen Ebenen (chemische, physische und soziale Quellen) wird die Summe aller „Verschmutzungen“ und des Klimawandels wahrscheinlich eine verstärkende Rückkopplungsschleife bilden. Derzeit werden rund 96% der öffentlichen Gesundheitsmittel für die Behandlung und nur 4% für die Prävention ausgegeben. Darüber hinaus werden die Mittel für die Prävention hauptsächlich auf individueller Ebene ausgegeben, wobei nur begrenzte Anstrengungen oder Gelder für das kollektive soziale und physische Umfeld für die Prävention von Umweltbelastungen aufgewendet werden. Was benötigt wird, sind sektorübergreifende Maßnahmen für eine bessere Stadtgestaltung. Gesundheitspersonal sollte eine führende Rolle spielen, wenn es darum geht, Umweltstressoren wie Lärm und Luftverschmutzung als ebenso wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren wie z. B. Rauchen, Diabetes und Hypercholesterinämie anzuerkennen. Es sollte dafür gesorgt werden, dass Umweltforscher in die Leitlinienkonzeption integriert werden, um sicherzustellen, dass in naher Zukunft auch Umweltstressoren (z. B. Klimawandel und Luftverschmutzung) neben klassischen Risikofaktoren (z. B. hoher Cholesterinspiegel oder Diabetes) als kardiovaskuläre Risikofaktoren definiert werden. Die Förderung von Umweltforschung, Lehre und Aufklärung über die Folgen des Klimawandels muss drastisch intensiviert werden, insbesondere im medizinischen/gesundheitspflegerischen Bereich, um die Gesundheit unserer jetzigen und zukünftigen Generationen zu schützen. Da die globale Temperatur ansteigt, die Bevölkerung altert und die Inzidenz und Prävalenz von Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit zunimmt, können maßgeschneiderte Strategien zur Verhinderung der negativen Auswirkungen von Umgebungswärme auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen einen erheblichen Einfluss auf hitzebedingte Gesundheitsbelastungen haben. Es gibt jedoch nur wenige Daten zur Wirksamkeit von Interventionen, die speziell darauf abzielen, kardiovaskuläre Gesundheitsrisiken durch Hitze zu reduzieren und ob diese von den am stärksten gefährdeten Gruppen, wie z. B. Menschen über 65 Jahre, umgesetzt werden können. Eine weitere Herausforderung besteht darin, einen Schwellenwert zu definieren, bei dem extreme Wetterbedingungen so schädlich für die menschliche Gesundheit werden, dass ein Eingreifen gerechtfertigt ist [13].


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 European Environment Agency. Environmental noise in Europe – 2020. Zugriff am 06. März 2023 unter: https://www.eea.europa.eu/publications/environmental-noise-in-europe
  • 2 Zhao Q, Guo Y, Ye T. et al. Global, regional, and national burden of mortality associated with non-optimal ambient temperatures from 2000 to 2019: a three-stage modelling study. Lancet Planet Health 2021; 5: e415-e425
  • 3 Lelieveld J, Pozzer A, Poschl U. et al. Loss of life expectancy from air pollution compared to other risk factors: a worldwide perspective. Cardiovasc Res 2020; 116: 1910-1917
  • 4 Lelieveld J, Klingmuller K, Pozzer A. et al. Cardiovascular disease burden from ambient air pollution in Europe reassessed using novel hazard ratio functions. Eur Heart J 2019; 40: 1590-1596
  • 5 Munzel T, Gori T, Al-Kindi S. et al. Effects of gaseous and solid constituents of air pollution on endothelial function. Eur Heart J 2018; 39: 3543-3550
  • 6 Hahad O, Bayo Jimenez MT, Kuntic M. et al. Cerebral consequences of environmental noise exposure. Environ Int 2022; 165: 107306
  • 7 Munzel T, Sorensen M, Daiber A. Transportation noise pollution and cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol 2021; 18: 619-636
  • 8 Osborne MT, Radfar A, Hassan MZO. et al. A neurobiological mechanism linking transportation noise to cardiovascular disease in humans. Eur Heart J 2020; 41: 772-782
  • 9 Ebi KL, Capon A, Berry P. et al. Hot weather and heat extremes: health risks. Lancet 2021; 398: 698-708
  • 10 Dar T, Osborne MT, Abohashem S. et al. Greater Neurobiological Resilience to Chronic Socioeconomic or Environmental Stressors Associates With Lower Risk for Cardiovascular Disease Events. Circ Cardiovasc Imaging 2020; 13: e010337
  • 11 Rajagopalan S, Brauer M, Bhatnagar A. et al. Personal-Level Protective Actions Against Particulate Matter Air Pollution Exposure: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation 2020; 142: e411-e431
  • 12 Munzel T, Kroller-Schon S, Oelze M. et al. Adverse Cardiovascular Effects of Traffic Noise with a Focus on Nighttime Noise and the New WHO Noise Guidelines. Annu Rev Public Health 2020; 41: 309-328
  • 13 Liu J, Varghese BM, Hansen A. et al. Heat exposure and cardiovascular health outcomes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Planet Health 2022; 6: e484-e495

Korrespondenzadresse

Dr. Omar Hahad
Zentrum für Kardiologie, Kardiologie I, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
29. März 2023

© 2023. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 European Environment Agency. Environmental noise in Europe – 2020. Zugriff am 06. März 2023 unter: https://www.eea.europa.eu/publications/environmental-noise-in-europe
  • 2 Zhao Q, Guo Y, Ye T. et al. Global, regional, and national burden of mortality associated with non-optimal ambient temperatures from 2000 to 2019: a three-stage modelling study. Lancet Planet Health 2021; 5: e415-e425
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  • 4 Lelieveld J, Klingmuller K, Pozzer A. et al. Cardiovascular disease burden from ambient air pollution in Europe reassessed using novel hazard ratio functions. Eur Heart J 2019; 40: 1590-1596
  • 5 Munzel T, Gori T, Al-Kindi S. et al. Effects of gaseous and solid constituents of air pollution on endothelial function. Eur Heart J 2018; 39: 3543-3550
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  • 7 Munzel T, Sorensen M, Daiber A. Transportation noise pollution and cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol 2021; 18: 619-636
  • 8 Osborne MT, Radfar A, Hassan MZO. et al. A neurobiological mechanism linking transportation noise to cardiovascular disease in humans. Eur Heart J 2020; 41: 772-782
  • 9 Ebi KL, Capon A, Berry P. et al. Hot weather and heat extremes: health risks. Lancet 2021; 398: 698-708
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  • 11 Rajagopalan S, Brauer M, Bhatnagar A. et al. Personal-Level Protective Actions Against Particulate Matter Air Pollution Exposure: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation 2020; 142: e411-e431
  • 12 Munzel T, Kroller-Schon S, Oelze M. et al. Adverse Cardiovascular Effects of Traffic Noise with a Focus on Nighttime Noise and the New WHO Noise Guidelines. Annu Rev Public Health 2020; 41: 309-328
  • 13 Liu J, Varghese BM, Hansen A. et al. Heat exposure and cardiovascular health outcomes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Planet Health 2022; 6: e484-e495

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Abb. 1 Zusammenfassung der pathophysiologischen Mechanismen, die durch verschiedene Bestandteile von Luftverschmutzung ausgelöst werden können, wie z. B. eine endotheliale Dysfunktion, erhöhten oxidativen Stress, Entzündungen und in der Folge Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Grüne und blaue Dreiecke sind pathogene molekulare Muster (z. B. freie DNA-Fragmente, Hyaluronan, 7-Ketocholesterol, oxidiertes 1-Palmitoyl-2-arachidonyl-sn-glycero-3-phosphorylcholin, Lipopolysaccharid) sowie lösliche Schwer-/Übergangsmetalle. EPCs = endotheliale Vorläuferzellen, ET-1 = Endothelin-1, ETAR = Endothelin-Typ-A-Rezeptor, HPA-Achse = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse, MDA = Malondialdehyd; MMP = Metalloproteinase, 3-NT = 3-Nitrotyrosin, 8-Oxo-dG = 8-Oxo-desoxyguanosin, TIMP = Gewebeinhibitor von Metalloproteinasen, TLR4 = Toll-like-Rezeptor 4, VOCs = flüchtige organische Verbindungen. Quelle: Munzel T, Gori T, Al-Kindi S et al. Effects of gaseous and solid constituents of air pollution on endothelial function. Eur Heart J 2018; 39: 3543–3550 doi:10.1093/eurheartj/ehy481 [rerif]
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Abb. 2 Das Lärm-Stress-Konzept. Unterschieden wird zwischen den direkten (auditiven) und indirekten (nicht auditiven) Wirkungen der Lärmexposition. Die Folgen von Lärm sind eine neuronale Aktivierung (Arousal), die eine Signalübertragung über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und das sympathische Nervensystem (SNS) auslöst. In der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse setzt der Hypothalamus Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH; auch bekannt als Corticoliberin) in die Hypophyse frei, was wiederum die Freisetzung von adrenokortikotropem Hormon (ACTH) stimuliert. Diese Wege führen in der Nebennierenrinde zur Bildung von Kortisol und Katecholaminen, die als direkte Vasokonstriktoren bzw. Entzündungsmediatoren auf die Blutgefäße wirken, aber auch sekundäre endokrine Systeme wie das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) aktivieren und so zu vaskulärem oxidativem Stress führen. Quelle: Munzel T, Sorensen M, Daiber A. Transportation noise pollution and cardiovascular disease. Nat Rev Cardiol 2021; 18: 619–636 doi:10.1038/s41569-021-00532-5 [rerif]
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Abb. 3 Negative Auswirkungen von extremen Temperaturen auf den Organismus.