Schlüsselwörter
Versorgungsforschung - Hochschullehrer - Versorgungsforschungsstudiengänge - Kerncurriculum
Key words
health services research - university lecturer - core curriculum - master’s degree programs
Einleitung
Die Versorgungsforschung untersucht Strukturen, Prozesse und Ergebnisse der
Gesundheitsversorgung im Versorgungsalltag. Dabei betrachtet sie Individuen,
Familien, Organisationen, Institutionen und Populationen [1]. Versorgungsforschung zeichnet sich
darüber hinaus durch eine Patienten-, Populations- und Outcomeorientierung,
die Berücksichtigung komplexer Interventions- und Kontextbedingungen sowie
die interdisziplinäre und multiprofessionelle Beschreibung,
Erklärung und Gestaltung des Versorgungsgeschehens aus [2]. Diese Merkmale können nur dann
umgesetzt werden, wenn die Versorgungsforschung von Beginn an sämtliche
Anspruchs- und Interessensgruppen aus Praxis (z. B. Leistungserbringer,
Kostenträger, Patientinnen und Patienten), Wissenschaft und Politik
einbezieht [3]
[4].
Förderinitiativen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(BMBF) und des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zusammen mit den
Kostenträgern im deutschen Gesundheitswesen haben früh Impulse
für die nationale Versorgungsforschung gesetzt. Ebenso fördern
Einrichtungen der ärztlichen Selbstverwaltung (z. B. die
Bundesärztekammer) oder Stiftungen wie die Deutsche Krebshilfe (DKH)
kontinuierlich Versorgungsforschungsvorhaben. Auch die Deutsche
Forschungsgemeinschaft (DFG) hat früh dazu aufgefordert, die bestehenden
Fördermöglichkeiten der DFG stärker für
disziplinübergreifende Anträge der Versorgungsforschung zu nutzen.
Die Einführung des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses
(G-BA), der innovative Versorgungsformen und praxisnahe Vorhaben der
Versorgungsforschung zur Verbesserung der medizinischen Regelversorgung
fördert [5], hat einen weiteren
wichtigen Impuls für die Versorgungsforschung gegeben.
Diese förderlichen Rahmenbedingungen ermöglichen es, in Deutschland
die Wissensbasis zur Beschreibung, Erklärung, Evaluation und Gestaltung des
Versorgungsgeschehens kontinuierlich zu erweitern. Dies trägt dazu bei,
intersektorale Schnittstellen zu überwinden, die Implementierung und
Evaluation von Innovationen in der Versorgungsrealität zu fördern
und gesundheitliche Ungleichheiten zu reduzieren [6]
[7]. Idealerweise werden dadurch
die Bedingungen für eine evidenzbasierte Versorgungsgestaltung und ein
lernendes Gesundheitssystem geschaffen. Der Versorgungsforschung kann aufgrund
gleichlautender professoraler Denominationen, eigener Karrierewege und
fachspezifischer Methoden einerseits eine zunehmende wissenschaftliche Eigen- und
Selbstständigkeit zugeschrieben werden, andererseits bedient sie sich, je
nach Forschungsgegenstand, theoretischer Fundierungen und methodischer
Herangehensweisen der Bezugsdisziplinen, z. B. der Medizin,
Pflegewissenschaft, Hebammenwissenschaft, Psychologie, Soziologie, Epidemiologie,
Statistik, Gesundheitsökonomie, Gesundheitswissenschaften, Klinischen
Pharmakologie, Ethik oder anderer Disziplinen [8]
[9]. Konstituierend, für
eine eigenständige Wissenschaftsdisziplin, ist eine Auseinandersetzung
über Bildungsziele und -inhalte notwendig.
Weiterführender Bildungsbedarf für Versorgungsforschende besteht
sowohl in den spezifischen empirischen Forschungsmethoden und Theorien der
jeweiligen Bezugsdisziplinen sowie in Bezug auf Terminologie, Rahmenmodelle,
Datenquellen, Datenauswertungsmethoden und die Funktionsweise des deutschen
Gesundheitssystems [8]. Eine
Möglichkeit, diesen Bildungsbedarf zu decken, sind
Masterstudiengänge der Versorgungsforschung. Derzeit werden sechs
Studiengänge in Deutschland angeboten [10]. Weitere drei Studiengänge wurden in diesem Jahr akkreditiert
und nehmen aktuell erste Studierende auf. Die Anzahl der Studiengänge hat
sich in den letzten vier Jahren verdreifacht. Im Zuge der Analyse und Diskussion der
Lehr-Lerninhalte der genannten sechs Studiengänge der Versorgungsforschung
wurde deutlich, dass ein kritischer Austausch zu Empfehlungen für ein
Kerncurriculum notwendig ist [10]. Mit der
Schaffung eines Minimalkonsens werden Qualitätsstandards postuliert, die
einer Beliebigkeit von Bildungsinhalten entgegen wirken und damit die Ansprache von
Studieninteressierten und Arbeitgebern erleichtern sollen. Gleichzeitig bietet ein
Kerncurriculum , durch die Schaffung von verbindlichen Ausbildungsinhalten eine
Orientierung, um eigene Schwerpunkte der Lehr-Lerninhalte zu setzen.
Bislang existieren keine Empfehlungen für ein Kerncurriculum der
Versorgungsforschung, die Studierenden, Lehrenden, zukünftigen Arbeitgebern,
der Versorgungspraxis oder der Gesundheitspolitik eine Orientierung über
zentrale Inhalte eines Masterstudiums der Versorgungsforschung geben
könnten. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der vorliegenden Arbeit,
Empfehlungen für ein Kerncurriculum der Versorgungsforschung zu
erarbeiten.
Methodik
Die Erarbeitung der Empfehlungen für ein Kerncurriculum Versorgungsforschung
erfolgte in vier Schritten:
-
Zur Erhebung der derzeitigen Situation der Versorgungsforschung in Forschung
und Lehre an deutschen Universitäten und Hochschulen wurde in
Schritt 1 eine standardisierte Online-Befragung der Hochschullehrenden
durchgeführt [8]. Auf dieser
Basis wurden die zum Befragungszeitpunkt akkreditierten und in
Akkreditierung befindlichen Studiengänge identifiziert.
-
In Schritt 2 wurden die Studiengangsleitungen gebeten, die Formalia der
Studiengänge (Zulassungsbedingungen, Zielgruppe, Abschluss etc.) in
Studienübersichten („Steckbriefen“)
zusammenzufassen. Daraufhin wurden die Studiensteckbriefe sowie die
Modulhandbücher der sechs Studiengänge in Bezug auf ihre
Lehr-Lerninhalte analysiert [10]. Das
Ergebnis dieser Analyse ging in die hier genannten Empfehlungen ein.
Ausgewählt wurden diejenigen Lehr-Lerninhalte und ihre Unterthemen,
die in mindestens drei Studiengängen gelehrt werden und die keinen
spezifischen Bezug zu einer Bezugsdisziplin der Versorgungsforschung haben,
um gemäß dem Verständnis der Versorgungsforschung
die wesentlichen Gemeinsamkeiten interdisziplinär zu erfassen.
-
Diese Auswahl wurde in Schritt 3 ergänzt durch zusätzliche
Themen, die aus einer Literaturrecherche extrahiert wurden. Die Analyse
wurde am 23.07.2021 in der Datenbank Pubmed mit folgenden Suchtermen
durchgeführt: (“health services research” [Title] OR
“health care research”[Title]) AND
(“programme”[Title/Abstract] OR
“master”[Title/Abstract] OR
“graduate”[Title/Abstract] OR
“postgraduate”[Title/Abstract] OR
“competence”[Title/Abstract] OR
“skills”[Title/Abstract]). Berücksichtigt
wurden ab dem Jahr 1995 publizierte, deutsch- oder englischsprachige
Original- und Übersichtsarbeiten sowie Diskussions- und
Positionspapiere, die sich mit Lehr-Lerninhalten von
Versorgungsforschungsstudiengängen, mit Wissen, Fertigkeiten und
Kompetenzen von Versorgungsforschenden oder mit Aus- und
Fortbildungsbedarfen von Versorgungsforschenden befassen. Darüber
hinaus wurde eine Handsuche in Fachzeitschriften sowie Fach- und
Lehrbüchern durchgeführt. Aus diesem Material wurde ein
Vorschlag für ein Kerncurriculum von der Gruppe der Autorinnen und
Autoren erarbeitet.
-
Im Schritt 4 wurden dieser Vorschlag innerhalb einer Expertenrunde aus 13
Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der Versorgungsforschung
diskutiert, um fehlende Lehr-Lerninhalte zu ergänzen oder von den
Expertinnen und Experten als weniger bedeutend eingeschätzte
Lehr-Lerninhalte zu entfernen.
Ergebnisse
Die Ergebnisse aus Schritt 1 [8] und Schritt 2
[10] wurden bereits publiziert. Im
Folgenden dargestellt sind die Ergebnisse aus den Schritten 3 und 4.
In Schritt 3 ergab die Literaturrecherche 61 Treffer. Weitere 2 Arbeiten wurden als
Ergebnis der Handsuche zusätzlich berücksichtigt. Nach dem Screening
der Abstracts wurden 10 Volltexte und ein Lehrbuch der Versorgungsforschung [2] in Bezug auf Hinweise für
Lehr-Lerninhalte ausgewertet (siehe [Tab.
1]). Dabei wurden zunächst die Lehr-Lerninhalte der deutschen
Studiengänge nach den oben beschriebenen Kriterien extrahiert. Daraufhin
wurden die aus den weiteren Volltexten und dem Lehrbuch extrahierten Inhalte
hinzugefügt, die bislang nicht aufgeführt waren.
Tab. 1 Inhalte eines Kerncurriculums Versorgungsforschung
(VF).
Leitfrage
|
Themen
|
Unterthemen
|
Quellen
|
Evidenz
|
Welche Theorien, Modelle, Konzepte und Begriffe bilden den
wissenschaftlichen Rahmen der Versorgungsforschung?
|
Versorgungswissenschaft
|
Theorien, Modelle, Rahmenkonzepte
|
[2]
[10]
[11]
[12]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit, Lehrbuch
|
Terminologie, Nomenklatur
|
[2]
[10]
[11]
[12]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit, Lehrbuch
|
Forschungsgegenstände der VF
|
[2]
[10]
[11]
[12]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit Lehrbuch
|
Implementierungswissenschaft
|
Theorien, Modelle, Rahmenkonzepte
|
[2]
[10]
[11]
[12]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit, Lehrbuch
|
Entwicklung, Pilotierung, Evaluation und Implementierung kompl.
Interventionen/Praktiken
|
[2]
|
Lehrbuch
|
Grundlagen der Epidemiologie
|
|
[10]
|
Originalarbeit
|
Wie funktioniert das Gesundheitssystem?
|
Gesundheitssystem
|
Organe, Funktionsweisen, Finanzierung, Zusammenarbeit
|
[2]
[9]
[10]
[11]
[12]
[13]
[14]
[15]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit, Lehrbuch
|
Versorgungsbedarf, -strukturen und -prozesse
|
[2]
[10]
|
Originalarbeit, Lehrbuch
|
Gesundheitspolitik
|
[10]
|
Originalarbeit
|
Akteure
|
Professionen, multiprofessionelle Zusammenarbeit
|
|
Expertenrunde
|
Grundsätzliche Haltung
|
Nutzer- und Patientenorientierung
|
|
Expertenrunde
|
Welche Probleme bestehen im Gesundheitssystem und in der
Versorgungspraxis?
|
Gemeinsame Forschung mit Entscheidungsträgern aus Politik
und Versorgungspraxis
|
Partnerschaften zwischen VF und Entscheidungsträgern
|
[9]
[10]
[11]
[20]
|
Originalarbeit, Diskussionspapier, Konsensuspapier
|
Identifizieren von Forschungsinteressen von
Entscheidungsträgern
|
[9]
[10]
[11]
[20]
|
Originalarbeit, Diskussionspapier, Konsensuspapier
|
Aufbau und Pflege von Netzwerken mit Entscheidungsträgern
|
[10]
[13]
|
Originalarbeit
|
(Empirische) Versorgungsforschung
|
Entwickeln und Formulieren von relevanten Forschungsfragen
|
[9]
[10]
[11]
[12]
[14]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit
|
Wie beforscht man die Probleme im Gesundheitssystem und in der
Versorgungspraxis?
|
Forschungsethik und Regularien
|
[10]
[11]
[12]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
(Systematische) Literaturrecherchen und
Literaturübersichten
|
[10]
[11]
|
Originalarbeit
|
Operationalisieren von Forschungsfragen
|
[9]
[10]
[12]
[14]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit
|
Studiendesigns
|
[9]
[10]
[11]
[14]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
Bewertung von Studien
|
[10]
|
Originalarbeit
|
Wissenschaftliche Gütekriterien
|
[10]
[11]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
Quantitative Forschungsmethoden
|
[2]
[9]
[10]
[11]
[14]
[19]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier Lehrbuch
|
Qualitative Forschungsmethoden
|
[2]
[9]
[10]
[11]
[14]
[19]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier Lehrbuch
|
Methodentriangulation
|
[10]
[11]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
VF-spezifische Methoden: Patient Reported Outcome Measures,
Patient Reported Experience Measures, organisationsbezogene
VF
|
[2]
[10]
[11]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier Lehrbuch
|
Routine- und Sekundärdatenquellen
|
[2]
[9]
[10]
[11]
[14]
|
Konsensuspapier, Originalarbeit Lehrbuch
|
Studien- und Projektmanagement
|
|
[10]
|
Originalarbeit
|
Partizipative Forschung
|
[10]
|
Originalarbeit
|
Arbeiten in interdisziplinären Forschungsteams
|
[11]
[12]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
Schreiben von Forschungsanträgen
|
[12]
|
Konsensuspapier
|
Wie verbreitet man die Forschungsergebnisse?
|
Wissenschaftskommunikation und Wissenstransfer
|
Publizieren von Studienergebnissen
|
[10]
[12]
|
Originalarbeit
|
Präsentieren von Studienergebnissen
|
[10]
[11]
[12]
|
Originalarbeit
|
Wissenstransfer
|
[9]
[10]
[12]
[19]
|
Originalarbeit, Konsensuspapier
|
Im Schritt 4 wurden diese Lehr-Lerninhalte in der Diskussion um drei weitere Themen
und fünf strukturierende Leitfragen ergänzt. Ein Thema wurde aus den
Empfehlungen entfernt.
Die aus den Schritten 1–4 resultierenden finalen Empfehlungen für ein
Kerncurriculum Versorgungsforschung werden im Folgenden dargestellt (siehe [Tab. 1]).
Diskussion
Ziel dieser Arbeit war es, auf der Basis empirischer und theoretischer
Entwicklungsschritte Empfehlungen für ein Kerncurriculum der
Versorgungsforschung zu erarbeiten. Die hier präsentierten Inhalte basieren
auf einer deutschlandweiten standardisierten Expertenbefragung, einer Analyse der
Studiensteckbriefe und Modulhandbücher der deutschen
Masterstudiengänge der Versorgungsforschung, einer Literaturrecherche sowie
einer Konsentierung der erarbeiteten Empfehlungen durch eine Expertenrunde aus
Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern der Versorgungsforschung.
Die Empfehlungen umfassen 13 Themen zu fünf Leitfragen mit 26 Unterthemen.
Die Schwerpunktthemen stammen aus den Bereichen der Grundlagenwissenschaften im
Kontext der Versorgungsforschung, des Gesundheitssystems und der Gesundheitspolitik,
dem (empirischen) Versorgungsforschungsprozess und dem Wissenstransfer. Die
Empfehlungen basieren auf Arbeiten mit unterschiedlichem methodischen Hintergrund
und verschiedenen Zielsetzungen sowie auf nationalen Expertenmeinungen. Die aus der
US-amerikanischen Literatur identifizierten Lehr-Lerninhalte basieren insbesondere
auf Konsensuspapieren der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu Kernkompetenzen von
promovierenden Versorgungsforschenden, aus denen Lernziele und Studieninhalte
abgeleitet werden sollen [9]
[11]
[12].
Eine kanadische Arbeit stützt sich auf die Perspektive der Absolventen [13]. Die nationale Perspektive stammt vorrangig
aus der Analyse der derzeit bestehenden Studiengänge [10] und des deutschsprachigen Lehrbuchs
Versorgungsforschung [2] sowie aus der
Expertendiskussion innerhalb der Gruppe der Hochschullehrinnen und Hochschullehrer.
Weiterhin hinzugezogen wurden die Perspektive und die Erwartungen der Arbeitgeber
[14]
[15]. Insgesamt ist es gelungen, zahlreiche Perspektiven und umfangreiche
Erfahrungen in die hier vorgeschlagenen Inhalte einzubeziehen.
Die zentralen Merkmale der Interdisziplinarität und der
Multiprofessionalität der Versorgungsforschung finden sich in den
Empfehlungen insbesondere im Bereich der Zusammenarbeit der Akteure im
Gesundheitswesen, in sämtlichen Aspekten der gemeinsamen Forschung mit
Entscheidungsträgern aus Politik und Versorgungspraxis sowie in den Methoden
der partizipativen Forschung wieder. Das zentrale Merkmal der Patientenorientierung
findet sich ebenso im Bereich der partizipativen Forschung, in den methodischen
Aspekten der Messung von Patient Reported Outcome- und Patient Reported Experience
Measures wie auch in der Nutzer- und Patientenorientierung des Gesundheitssystems
wieder.
Deutlich wird, dass sich der Terminus der Versorgungswissenschaft im Kontext dieser
Arbeit nur selten wieder findet. Ein entsprechender Diskurs dazu, inwieweit sich die
Versorgungsforschung zu einer Wissenschaftsdisziplin entwickeln kann, findet derzeit
statt. Die nun vorliegende erste Auseinandersetzung über Bildungsziele und
-inhalte ist ein wichtiger Schritt in der Konstituierung einer
eigenständigen Wissenschaftsdisziplin. In diesem Zusammenhang spielt die
Implementierungswissenschaft eine wichtige Rolle, deren Ziel es ist, durch
wissenschaftliche Designs, Methoden und Instrumente Evidenz in den
Routineversorgungsalltag zu überführen, um letztlich die Versorgung
zu verbessern [10]. Interessant ist, dass sich
diese junge Disziplin zu ihrer eigenen Wissenschaftsetablierung, ähnlich wie
die Versorgungsforschung, sowohl auf Theorien und Methoden anderer etablierten
Wissenschaftsdisziplinen stützt, als auch mittlerweile auf disziplineigene
Theorien und Modelle verweisen kann [16].
Somit ergänzt sie hierbei die Versorgungsforschung auf den verschiedenen
Translationsstufen der Forschung [17] um
letztlich den notwendigen Implementierungserfolg, mit Effekten auf Versorgungs- und
Implementierungsebene [18], herzustellen. Eine
gemeinsame und nicht nur wissenschaftsspezifische Diskussion der Disziplinen
einschließlich ihrer Lehr-Lerninhalte erscheint als geboten, um ein
gemeinsames Verständnis von Implementierungserfolg und damit zur
Alltagswirksamkeit zu entwickeln.
Zu betonen ist, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit lediglich um Empfehlungen
für ein Kerncurriculum handelt. Derzeit existierende und zukünftig
entstehende Studiengänge werden bestimmte Inhalte mehr in den Vordergrund
rücken als andere. Im Rahmen der Studiengangsanalyse [10] hat sich darüber hinaus gezeigt,
dass die Studiengänge in Deutschland zusätzliche inhaltliche und
methodische Schwerpunkte setzen, die spezifische Anforderungen der Versorgung in den
Blick nehmen.
Burgess et al. [12] entwickelten einen
Vorschlag für eine Typologie von Versorgungsforschenden. Sie unterscheiden
quantitativ/ökonomisch-orientierte, klinisch-orientierte,
organisationsbezogene, verhaltensorientierte und Public-Health-orientierte
Versorgungsforschende. Um die nationalen Versorgungsforschungsbedarfe zu decken,
erscheint es zielführend, dass diese und mögliche weitere
Versorgungsforschenden-Typen in Deutschland an verschiedenen Hochschulstandorten mit
einer spezifischen Schwerpunktsetzung ausgebildet werden können. Aktuell
werden am deutschen Arbeitsmarkt vor allem Methodenkompetenzen und Kenntnisse des
deutschen Gesundheitswesens von Versorgungsforschenden explizit nachgefragt [14]. Dieses Qualifikationsprofil wird von den
vorliegenden Empfehlungen für ein Kerncurriculum umfassend gedeckt.
Die vorliegenden Empfehlungen sollen als Diskussionsgrundlage verstanden werden. Die
Erarbeitung von Empfehlungen sollte als ein fortlaufender Prozess und eine
andauernde Aufgabe der wissenschaftlichen Gemeinschaft betrachtet werden, da sich
die Kernkompetenzen von Versorgungsforschenden ständig neuen
Forschungsgegenständen, neuen Forschungsmethoden und sich
verändernden Rahmenbedingungen anpassen müssen [12]. Somit kann auch die
Forschungstätigkeit von Versorgungsforschenden als kontinuierlicher Erwerb
neuer Kompetenzen und somit neuen Wissens und neuer Fertigkeiten betrachtet werden
[12]. Ziel der Hochschullehre im Bereich
der Versorgungsforschung sollte es stets sein, die Versorgungsforschenden auf
bestehende Hürden in der Bearbeitung ihrer Forschungsfragen vorzubereiten
und sie zu befähigen, die Versorgungsforschung der Zukunft auf eine breite
Datenbasis stellen zu können [19] und
damit ein lernendes Gesundheitssystem zu ermöglichen [20]. Aktuelle Herausforderungen wie die COVID
19-Pandemie haben gezeigt, dass es eine wichtige Aufgabe der Zukunft sein muss, die
Aktualität, Reichweite und Sichtbarkeit versorgungswissenschaftlicher
Evidenz zu verbessern.
Letztlich ist bei den genannten Empfehlungen zu beachten, dass diese nicht die
Kompetenzentwicklung im Sinne des Hochschulqualifikationsrahmens und auch nicht eine
etwaige Vernetzung der Inhalte im Lehr-Lernalltag auf konkreter Veranstaltungsebene
widerspiegeln. Die genannten Themen und Unterthemen dienen lediglich einer
inhaltlichen Orientierung.
International wird bereits seit längerem die Zusammenführung von
Versorgungsforschung und medizinischer Ausbildung an Medizinischen
Fakultäten und Hochschulen empfohlen, um auch Medizinstudierende auf die
über die klinischen Aufgaben hinausgehenden Rollen ihrer Profession
vorzubereiten [21]. Die Diskussion
über die notwendigen Kerninhalte der Versorgungsforschung für diese
Zielgruppe sowie Studierende weiterer berufsqualifizierender Studiengänge in
anderen Gesundheitsberufen ist in Deutschland noch zu führen. Auch die
Chancen, die für Studierende der Versorgungsforschung in
interprofessionellen Lehrveranstaltungen gemeinsam mit Studierenden der Humanmedizin
oder anderer Gesundheitsberufe liegen könnten, werden noch nicht ausreichend
diskutiert. Die hier formulierten Empfehlungen für ein Kerncurriculum der
Versorgungsforschung können auch für diese Überlegungen ein
Ausgangspunkt sein.