CC BY-NC-ND 4.0 · Klin Padiatr 2023; 235(05): 284-289
DOI: 10.1055/a-1988-1033
Originalarbeit

Aufklärung von Eltern zu Fieber im Kindesalter Evaluation der Wirkung einer Informationsbroschüre

Educating Parents about Fever in Childhood Evaluation of the Effect of an Information Leaflet
1   Faculty of Health, School of Medicine, Witten/Herdecke University, Witten, Germany
,
1   Faculty of Health, School of Medicine, Witten/Herdecke University, Witten, Germany
2   Department for Child and Adolescent Psychiatry and Psychotherapy, University Medical Centre of the Johannes Gutenberg University Mainz, Mainz, Germany
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3   Medical Biometrics, Epidemiology and Health Informatics, Saarland University, Homburg, Germany
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1   Faculty of Health, School of Medicine, Witten/Herdecke University, Witten, Germany
,
1   Faculty of Health, School of Medicine, Witten/Herdecke University, Witten, Germany
,
1   Faculty of Health, School of Medicine, Witten/Herdecke University, Witten, Germany
4   Clinic for Paediatrics and Adolescent Medicine, University of Tübingen, Tübingen, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Fieber gilt als wichtige Abwehrreaktion des Körpers bei Infekten und spielt im Kindesalter eine große Rolle. Unter Eltern sind immer noch Angst und Unsicherheit im Umgang mit Fieber weit verbreitet. Als Aufklärungsinstrument für Eltern können Informationsbroschüren zum Wissen und Umgang mit Fieber im Kindesalter dienen. Es wurde bisher noch nicht untersucht, ob diese Art der Informationsvermittlung ein geeignetes Werkzeug zur Aufklärung von Eltern darstellt.

Methode 16 Krippen und Kindergärten im Saarland wurden aufgesucht. 481 Elternteile von mindestens einem Kind zwischen 1 und 7 Jahren beantworteten einen Fragebogen zu Wissen, Umgang und Vorgehen bei Fieber im Rahmen von Infekten. Im Anschluss wurde eine Informationsbroschüre zu Fieber ausgehändigt. Am Folgetag wurde der Fragebogen erneut von denjenigen 190 Eltern beantwortet, welche die Informationsbroschüre gelesen hatten. Die Änderung durch Lektüre der Informationsbroschüre wurde analysiert.

Ergebnisse 40% der Teilnehmenden lasen die Informationsbroschüre. An der Nacherhebung nahmen 87% Mütter und 13% Väter teil. 10% der Nachbefragten hatten Hauptschulabschluss und 34% einen Universitätsabschluss. Nach der Lektüre wurde Fieber signifikant häufiger als nützlich angesehen und als Grund für eine Fiebersenkung wurden signifikant seltener Fieberkrämpfe und Folgeschäden genannt.

Schlussfolgerung Informationsbroschüren zu Fieber können ein ergänzendes Werkzeug zur Aufklärung darstellen, die kurzfristige Wirkung wird bestätigt, die Nachhaltigkeit muss weiter evaluiert werden. Es besteht zudem die Notwendigkeit die Mehrheit zu erreichen.


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Abstract

Background Fever is an important immune reaction of the body in infections and plays a major role in childhood. Fear and uncertainty in dealing with fever are still widespread among parents. Information leaflets on the knowledge and handling of fever in childhood can serve as an educational tool for parents. It has not yet been investigated whether this type of information transfer is a suitable tool for educating parents.

Methods 16 kindergartens in Saarland were visited. 481 parents of at least one child between the ages of 1 and 7 years answered a questionnaire on knowledge, approach and handling of fever in infections. Subsequently, an information leaflet on fever was handed out. On the following day, the questionnaire was answered again by the 190 parents who had read the information leaflet. The change due to reading the information leaflet was analyzed.

Results 40% of the participants read the information leaflet. 87% mothers and 13% fathers participated in the follow-up survey. 10% of the post-survey respondents had a secondary school diploma and 34% had a university degree. After reading, fever was considered useful significantly more often and febrile convulsions and consequential damage were mentioned significantly less often as a reason for fever reduction.

Conclusion Information leaflets on fever can be a complementary tool for education, the short-term effect is confirmed, the sustainability needs to be further evaluated. There is also a need to reach the majority.


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Hintergrund

Fieber ist im Kindesalter ein sehr häufiges Symptom und kann Eltern vor ernstzunehmende Herausforderungen stellen. Obwohl der Nutzen von Fieber nachgewiesen ist, bleiben Fieberangst und daraus resultierendes Fehlverhalten der Eltern weit verbreitet. Dieser Beitrag stellt die Wirksamkeit einer strukturierten Aufklärung von Eltern vor.

Im Umgang mit Fieber besteht sowohl in der Literatur als auch in der Praxis eine große Heterogenität. Leitlinien geben unterschiedliche Vorgehensweisen vor [6]. Bereits 1980 definierte Schmitt den Begriff „Fieberphobie“ als übertriebene Besorgnis hinsichtlich der Folgen von Fieber [20]. Damals zeigte seine Umfrage an 81 Eltern, die ihr fieberndes Kind in der Kinderklinik vorstellten, dass 52% der befragten Eltern befürchteten, Fieber führe zu bleibenden neurologischen Schäden bei Kindern. 85% der Eltern gaben außerdem an, Antipyretika zu verabreichen, bevor die Temperatur des erkrankten Kindes 38,9°C erreicht hatte [20]. Bis heute wurden zahlreiche Studien zur sogenannten „Fieberphobie“ durchgeführt [7] und noch immer ist die Angst vor schädlichen Effekten von Fieber unter Eltern verbreitet. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Dehydratation, Fieberkrämpfe, Hirnschäden oder Tod als gefürchtete Komplikationen oder Folgen von Fieber angenommen werden und das elterliche Verhalten bei Fieber des Kindes beeinflussen [4] [10] [23] [26]. So seien die eingesetzten Medikamentendosen und die Frequenz ihrer Verabreichung bei entsprechenden Eltern höher als empfohlen. Insgesamt scheinen fieberbedingte Angstzustände der Eltern mit einem unangemessenen Management des Fiebers verbunden zu sein [23].

Obwohl Fieber in der Kindheit eine große Rolle spielt und ein häufiger Grund zur Vorstellung in der Notaufnahme darstellt [14], ist die Aufklärung der Eltern seitens medizinischen Fachpersonals zu diesem Thema in Deutschland weiterhin wenig umfangreich. Beispielsweise finden sich unter den Beratungspunkten im „Gelben Heft“ der Kinderroutineuntersuchungen weder das Thema „Fieber“ noch „Fieberkrampf“ [27].

Die vorliegende Arbeit evaluiert den Nutzen einer schriftlichen Informationsbroschüre als mögliches Werkzeug zur Information und Aufklärung von Eltern über Fieber.


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Methode

Um einen Eindruck über die Art der Aufklärung zu Fieber seitens der ÄrztInnen und den Umgang von Eltern mit fiebernden Kindern zu gewinnen, erfolgte vorbereitend auf die eigentliche Studie im Jahr 2017 bei neun KinderärztInnen im Saarland eine Hospitation während der Sprechstunde. Die in der Literatur beschriebene Heterogenität im Umgang mit Fieber zeigte sich hier deutlich.

Basierend auf diesen Erfahrungen wurde vor dem Hintergrund einer systematischen Literaturrecherche mit ÄrztInnen, PsychologInnen, ErzieherInnen und Eltern eine Informationsbroschüre zum Thema Fieber erstellt. Das zum Studienzeitpunkt bereits bestehende Informationsmaterial zu Fieber im Kindesalter ging unserer Ansicht nach zu wenig auf die Gutartigkeit von Fieber ein, bot wenig Information zu nicht-medikamentösen Maßnahmen und diskutierte kaum den Aspekt der Unterstützung des physiologischen Fieberverlaufs [29].

Bestehende Studien zum Thema „Fieberphobie“ berücksichtigend, wurde ein Fragebogen zu Wissen, Vorgehen und Umgang mit Fieber erarbeitet [10] [15] [19]. Nach Fertigstellung des ersten Entwurfs wurde er durch 24 ÄrtzInnen auf Validität geprüft und entsprechend überarbeitet. Zur Überprüfung der Verständlichkeit beantworteten anschließend 10 zufällig ausgewählte Eltern den Fragebogen. Die endgültige Version umfasst vier demographische Fragen, sieben Multiple-Choice-Fragen, sieben dichotome Fragen, zwei Fragen mit Antwortmöglichkeiten auf einer Likert-Skala und fünf skalierte/numerische Fragen zur Temperatur. Acht Fragen enthielten Freitexte zu möglichen Ergänzungen der Eltern. Der zweite Fragebogen enthält dieselben Fragen, zusätzlich wurde abgefragt, ob die Informationsbroschüre gelesen und neues zu Fieber und zum Umgang damit erlernt wurde.

Die Fragebögen wurden im November 2017 und Mai 2018 in 16 verschiedenen Krippen und Kindergärten im Saarland an Elternteile von mindestens einem Kind zwischen 1 und 7 Jahren und ausreichenden Deutschkenntnissen ausgehändigt. Zur Auswahl der Einrichtungen im Regionalverband Saarbrücken und Saarlouis wurden alle LeiterInnen der Einrichtungen per Email oder telefonisch kontaktiert. Sofern die Bereitschaft zur Studienteilnahme bestand wurden entsprechende Einrichtungen aufgesucht. Gründe für Absagen waren fehlendes Einverständnis des Trägers, zu hoher Anteil an Eltern mit fehlenden Deutschkenntnissen oder bereits andere laufende Studien in den Einrichtungen.

Zur Bring- oder Abholzeit beantworteten insgesamt 481 Mütter oder Väter, die in die Studienteilnahme einwilligten, vor Ort den ersten Fragebogen. Nach Beantwortung wurde die Informationsbroschüre ausgehändigt. Am Folgetag beantworteten 190 Elternteile einen zweiten Fragebogen. Die vor und nach Lektüre der Informationsbroschüre gegebenen Antworten wurden anschließend miteinander verglichen.

Die statistische Analyse erfolgte mit SPSS Statistics, Version 24. Zum Vergleich der Antworten vor und nach Lesen der Informationsbroschüre wurde der Wilcoxon-Vorzeichenrangtest oder der McNemar-Test für verbundene Stichproben verwendet. Ein P-Wert von<0,05 wurde als signifikant angesehen. In diesem Artikel werden nur nach Bonferroni-Korrektur signifikante Ergebnisse berichtet. In seltenen Fällen wurden einzelne Fragen von den Befragten nicht beantwortet.


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Ergebnisse

Die folgende Auswertung berücksichtigt nur jene 190 (40%) der Befragten, die angaben die Informationsbroschüre gelesen zu haben und dann auch den zweiten Fragebogen beantworteten. [Tab. 1] zeigt den Vergleich der Eltern, die nur den ersten oder auch den zweiten Fragebogen (nach Lesen der Informationsbroschüre) beantwortet haben.

Tab. 1 Vergleich der Eltern, die nur den ersten Fragebogen oder beide Fragebögen (nach Lesen der Informationsbroschüre) beantwortet haben.

Vorher 481 Befragte

Nachher 190 Befragte

Geschlecht

Weiblich

349 (82%)

165 (87%)

Männlich

86 (18%)

25 (13%)

Alter (Mittelwert)

36,87±5,40 (37,00) Jahre

37,02±5,64 (37,00) Jahre

Bildungsabschluss

Kein Abschluss

5 (1%)

0 (0%)

Hauptschulabschluss

45 (10%)

18 (10%)

Mittlere Reife, Polytechnische Oberschule

143 (31%)

59 (32%)

Abitur

121 (26%)

44 (24%)

Bachelor, Fachhochschulabschluss

41 (9%)

11 (6%)

Master, Diplom, Promotion

113 (24%)

51 (28%)

Wissen über Fieber

Nach Lektüre der Informationsbroschüre entschieden sich 125 (67%) für 38,5°C als Definition von Fieber, vorher waren es 63 (33%). Die Definition von Fieber änderte sich somit signifikant (p=0,002) hinsichtlich eines höheren Wertes. Nach dem Lesen der Informationsbroschüre entschieden sich bei der Frage nach dem Nutzen des Fiebers auf der Skala von 1 (nützlich) bis 10 (schädlich) 56 (30%) in Richtung „nützlich“ (p<0,001), 19 (10%) in Richtung „schädlich“. 112 (60%) änderten ihre Meinung nicht ([Abb. 1])

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Abb. 1 Vergleich der Einordnung bezüglich des Nutzens des Fiebers, vor und nach Lesen der Informationsbroschüre.

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Vorgehen bei Fieber

Auf die Frage, ob die Fiebersenkung abhängig von anderen Kriterien als der Temperatur erfolge, entschieden sich 33 (39%) der Befragten, die vorher mit „nein“ geantwortet hatten, nun dafür (p<0,001). Bei der Frage nach der Grenztemperatur zur Fiebersenkung beim Kind gaben nach dem Lesen der Informationsbroschüre 57 (32%) eine höhere Temperatur an, 20 (11%) eine niedrigere und 103 (57%) blieben auf ihrer Position (p<0,001). Auch bei der Grenztemperatur zur Fiebersenkung bei den Befragten selbst entschieden sich 48 (29%) für eine höhere Temperatur (p=0,001).


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Gründe für Fiebersenkung

Die Änderung der angegebenen Gründe für Fiebersenkung vor und nach dem Lesen der Informationsbroschüre zeigt [Tab. 2]. Ein signifikanter Unterschied besteht bei den Gründen „Vermeidung von Fieberkrämpfen“ (p=0,001) und „Vermeidung von Folgeschäden durch hohe Temperaturen“ (p<0,001).

Tab. 2 Vergleich der Gründe für Fiebersenkung vor und nach Lesen der Informationsbroschüre.

vorher

nachher

McNemar-Test

Anzahl (%)

Anzahl (%)

P-Wert

Körperliches Wohlbefinden

147 (78)

156 (83)

0,188

Senkung der Belastung

118 (63)

110 (58)

0,268

Fieberkrämpfe

93 (50)

70 (37)

0,001

Folgeschäden

71 (38)

46 (24)

<0,001

Hirnschäden

53 (28)

42 (22)

0,063

Psychisches Wohlbefinden

53 (28)

57 (30)

0,541

Flüssigkeitsaufnahme

41(22)

41 (22)

1,000

Genesung der Grunderkrankung

35 (19)

34 (18)

1,000

Sicherheitsbedürfnis der Eltern

34 (18)

24 (13)

0,064

Teilnahme am Alltagsleben

24 (13)

20 (11)

0,503

Andere

5 (3)

5 (3)

1,000


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Umgang mit Fieber

Bei der Frage nach dem eigenen Befinden, wenn das Kind fiebere, gaben vorher 15 (8%) an, sich „ruhig und sicher“ zu fühlen. Nach dem Lesen der Informationsbroschüre entschieden sich 55 (29%) Richtung „ruhig und sicher“ (p<0,001), 10 (5%) Richtung „unruhig und große Angst“, 122 (65%) blieben auf ihrer Position.


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Informationsbroschüre

Von den am zweiten Tag Befragten gaben 114 (60%) an, durch die Informationsbroschüre Neues zum Umgang mit Fieber gelernt zu haben. In den Freitext-Anmerkungen zur Informationsbroschüre wurden die in der Broschüre genannten Hausmittel gelobt oder angeregt, dass die Broschüre bei KinderärztInnen ausgelegt werden sollte. Weitere Vorschläge waren, dass die Broschüre Eltern bei einer frühen Vorsorge-Untersuchung ausgehändigt oder in Kindergärten bereitgestellt werden könnte.


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Diskussion

Die Auswertung der Fragebögen machte deutlich, dass die Intervention in Form einer Informationsbroschüre mit dem Grad der Aufklärung und dem Umgang mit Fieber der im Rahmen dieser Studie erreichten Eltern positiv assoziiert ist. Deutlich äußert sich dies in der Definition von Fieber, die sich signifikant hinsichtlich des in der Informationsbroschüre angegebenen Wertes von 38,5°C anglich.

Erfreulich ist, dass die Mehrheit der Befragten bereits vor dem Lesen der Informationsbroschüre Fieber als eher nützlich erachtete und nur wenige sich für die Bewertung „schädlich“ entschieden [12]. Im Vergleich mit anderen Studien scheint die Aufklärung in diesem Punkt bei den hier befragten Eltern deutlich besser zu sein [2] [24] [26]. Beispielsweise gaben bei Badawy et al. fast alle Eltern an, dass Fieber schädlich sei [2].

Nach der Intervention änderte sich die Angabe bezüglich des Nutzens von Fieber signifikant in Richtung „nützlich“. Jedoch entschieden sich auch 19 (10%) in Richtung „schädlich“, obwohl die Informationsbroschüre klar die Gutartigkeit von Fieber unterstreicht.

Bezüglich der Aufklärung über die Gutartigkeit von Fieber kann die Informationsbroschüre als erfolgreich gewertet werden, trotz der Tatsache, dass viele Eltern ihre ursprüngliche Meinung zu „Nutzen des Fiebers“ beibehalten haben. Dies zeigt sich vor allem anhand der Frage nach den „Gründen für Fiebersenkung“: Signifikant weniger Befragte kreuzten als Gründe „Vermeidung von Fieberkrämpfen“ und „Vermeidung von Folgeschäden durch zu hohe Temperaturen“ an. Auch „Vermeidung von Hirnschäden“ wurde nach der Intervention seltener genannt.

Vor dem Lesen der Broschüre gaben mehr als die Hälfte der Befragten die „Vermeidung von Fieberkrämpfen“ als Grund für Maßnahmen zur Fiebersenkung an [12]. Es scheint also noch nicht allen Eltern bewusst zu sein, dass eine prophylaktische Antipyrese Fieberkrämpfe nicht verhindern kann [18] [22] [29] [30]. Grund dafür könnte sein, dass die Antipyretika-Gabe zur Vermeidung von Fieberkrämpfen noch bis vor wenigen Jahren empfohlen wurde: Die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin (DGKJ) hat ihre Elterninformation zum Thema Fieber mittlerweile aktualisiert [29]. Bis 2018 wurde dort jedoch noch geraten, bei Kindern mit Fieberkrämpfen eine frühzeitige Antipyrese in Erwägung zu ziehen [28]. Ähnliche Ergebnisse bezüglich der Sorge vor Fieberkrämpfen finden sich in vergleichbaren Studien [4] [10] [24]. Der Grund „Vermeidung von Hirnschäden durch Fieberkrämpfe“ wurde in der vorliegenden Studie von 53 (28%) der Befragten angegeben. Die Sorge vor Fieberkrämpfen ist dabei kaum verwunderlich, wenn Hirnschäden als Resultat eines Fieberkrampfes angesehen werden. Durch den erarbeiteten Fragebogen wurde allerdings nicht erfasst, ob ein Kind bereits einen Fieberkrampf gehabt hatte. Möglicherweise ist „Vermeidung von Hirnschäden durch Fieberkrämpfe“ gerade für jene Eltern ein Grund zur Senkung, deren Kind bislang noch keinen Fieberkrampf hatte und dieses Thema somit auch nicht mit dem Kinderarzt/der Kinderärztin besprochen wurde. Da die Lebenszeitprävalenz von Fieberkrämpfen 3–4% beträgt, wäre eine generelle Aufklärung aller Eltern sinnvoll.

Hinsichtlich der Sicherheit im Umgang mit Fieber ist die Informationsbroschüre ebenfalls als erfolgreich zu bewerten. Dies zeigte sich einerseits anhand der häufigeren Angabe eines „ruhigeren“, „sicheren“ Befindens der Eltern bei Fieber, andererseits im signifikanten Unterschied, ab wann die Befragten eine Fiebersenkung bei ihrem Kind anstreben würden: 57 (32%) korrigierten die angegebene Temperatur nach oben. Kann dieser Sicherheitsgewinn in die nächste Fieberepisode mitgenommen werden, lassen einige Eltern ihr Kind in Zukunft möglicherweise bei gutem Allgemeinbefinden etwas höher fiebern und zeigen sich weniger ängstlich bei Fieber des Kindes.

Dass 114 (60%) der Nachbefragten angaben, Neues durch die Informationsbroschüre zu Fieber und zum Umgang mit Fieber gelernt zu haben unterstreicht den Erfolg der Intervention insgesamt.

Limitationen

Es beantworteten nicht alle Eltern der Einrichtungen den Fragebogen und nur 190 (40%) der ursprünglich 481 Eltern lasen die Informationsbroschüre und konnten an der Nacherhebung am Folgetag teilnehmen, somit wird durch das Medium der Intervention nur ein Teil erreicht. Um durch Edukationsmaßnahmen mehr Familien zu erreichen sind sicher auch audiovisuelle Maßnahmen sinnvoll. So wurde in der Folge dieser Maßnahmenevaluation eine App zur Fieberedukation entwickelt [16]. Diese App, www.feverapp.de, steht den Eltern länger zur Verfügung und nutzt als wesentliches Mittel ein Schulungs-Video, welches kürzlich evaluiert wurde [11]. Dabei ergaben sich jedoch vergleichbare Effekte für ähnliche Punkte. Die Zugänglichkeit und Akzeptanz eines Videos oder einer App sind jedoch auch für nicht lesende Personen einfacher.

Der Lerneffekt wurde durch die Aufforderung zur Dokumentation verstärkt. Möglicherweise wäre es auch ratsam, zudem kleinere Befragungen von wichtigen Inhalten auch in die Praxis zu integrieren, um eine festere Wissensverankerung zu erzielen. Die Eltern wussten beim Lesen der Broschüre, dass sie am nächsten Tag erneut befragt werden würden, was die Konzentration beim Lesen erhöht haben könnte.

Die direkte Befragung gleich am Folgetag schränkt Aussagen zur Nachhaltigkeit der Intervention ein. Eine erneute Befragung nach einigen Monaten, möglicherweise nach einer Fieberepisode des Kindes, würde eine bessere Beurteilung des Erfolgs der Intervention ermöglichen.

Weiterhin ist anzumerken, dass die Studie Eltern außerhalb einer medizinischen Einrichtung und unabhängig einer akuten Erkrankung des Kindes befragt. In dieser Situation könnten sich Eltern sicherer fühlen und geben einen geringeren Grad der Unsicherheit und Angst an. Andererseits könnte ohne die emotionale Komponente der Akutsituation das eigentliche Wissen und Vorgehen der Eltern besser beurteilt werden.


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Informationsbroschüre als Aufklärungsinstrument

Die Informationsbroschüre scheint ein kurzfristig wirksames Werkzeug zur Information und Aufklärung von Eltern zum Thema Fieber zu sein. Bereits nach einem Tag und vermutlich nur einmaligem Lesen änderte sich das Verständnis der Eltern hinsichtlich des Wissens über Fieber sowie in Bezug auf Ansätze zum Vorgehen bei Fieber. Diese Ergebnisse decken sich mit einer Literaturrecherche, die Effektivität verschiedener Lehrstrategien und -methoden zur Patientenedukation vergleicht und unter anderem die Verteilung von schriftlichem Material als geeignete Methode angab [9].

Zu berücksichtigen ist, dass an diesem einen Tag höchstwahrscheinlich kein Fieber beim Kind aufgetreten ist und das neu erlangte Wissen nicht angewandt werden konnte. Interessant wäre eine Reevaluation nach einer Fieberepisode des Kindes. Arias et al. merken in ihrer „scoping rewiew“ zu Interventionen zum Fiebermanagement das Fehlen einer breit angelegten Intervention an und somit die Schwierigkeit der Bestimmung, ob die untersuchten Interventionen letztendlich auch einen Einfluss auf die Reduktion der „Fieberphobie“ hatten [1].

Vorteile einer Informationsbroschüre sind die kurze und knappe Übersicht, die dennoch viel Inhalt vermittelt und die Handlichkeit des beidseitig bedruckten Blattes. Außerdem ist die Verfügbarkeit eines digitalen Endgeräts abdingbar. Dennoch ist die Kombination mit einer Internetseite und einer App sicherlich synergistisch, da die meisten Eltern ein Smartphone in der Regel zur Hand haben [16].

Bereits heute stellt Fieber einen der häufigsten Vorstellungsgründe beim Kinderarzt/der Kinderärztin dar [5]. Mit der Corona-Pandemie und damit einhergehenden Lockdown- und Hygienemaßnahmen zeigte sich ein deutlicher Rückgang von Influenza und anderen Viruserkrankungen der Atemwege, wie Ergebnisse aus Neuseeland und Australien zeigen [13] [25]. Die geringere Exposition während der Pandemie könnte durch eine verminderte Ausbildung des Immunsystems bei Kindern zu einer größeren Anfälligkeit gegenüber Infekten geführt haben [8]. Die eingegangene „Immunitätsschuld“ lässt einen Rebound von Infekten nach der Pandemie vermuten [3] und damit einhergehend auch eine Zunahme des Auftretens von Fieber. Somit rückt eine generelle Aufklärung von Fieber im Kindesalter noch mehr in den Fokus.

Um eine langfristige Verhaltensänderung der Eltern zu unterstützen, sollte das Thema Fieber in die Aufklärungen im Rahmen der Kinderroutineuntersuchungen aufgenommen werden. Dabei könnte die Informationsbroschüre von KinderärztInnen an Eltern weitergegeben und in das gelbe Kinderuntersuchungsheft eingelegt werden. Zusätzlich könnte man die Informationsbroschüre in Kindergärten, Kindertagesstätten und Krippen auslegen.


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Schlussfolgerung

Eine schriftliche analoge Informationsbroschüre stellt ein mögliches Werkzeug zur Aufklärung von Eltern dar. Es sind jedoch die Nachhaltigkeit und weitere Edukations-Maßnahmen zu erforschen.

Da fieberhafte Infekte ein ständiges Problem in pädiatrischen Praxen darstellen, ist eine Unterstützung des ausführlichen ärztlichen Aufklärungsgesprächs zu Fieber und Fieberkrampf mittels Informationswerkzeugen wünschenswert für die Kinderroutineuntersuchungen.


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Einhaltung ethischer Richtlinien

Die Studie wurde von der Ethik-Kommission der Ärztekammer des Saarlandes genehmigt (Kenn-Nr. 107/17).

Inhalte dieser Arbeit sind in der Dissertationsschrift der Erstautorin enthalten.


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Contributor’s Statement

Studienkonzept und -design: C. Himbert, D. Martin Erstellung der Informationsbroschüre: C. Himbert, D. Martin, S. Schwarz Erarbeitung der Fragebögen: C. Himbert, D. Martin, S. Schwarz Datenerhebung: C. Himbert Datenanalyse und -Interpretation: C. Himbert, E. Jenetzky, G. Wagenpfeil, S. Kerdar Verfassung des Manuskripts: C. Himbert, D. Martin


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. David Martin
Faculty of Health, School of Medicine,
Witten/Herdecke University,
58448 Witten,
Germany   
Phone: 49 (0)2330/62-4760   

Publication History

Article published online:
05 January 2023

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Abb. 1 Vergleich der Einordnung bezüglich des Nutzens des Fiebers, vor und nach Lesen der Informationsbroschüre.