Nervenheilkunde 2023; 42(05): 308-310
DOI: 10.1055/a-1989-0722
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Laura Zaranek
,
Katharina Kamm
,
Ruth Ruscheweyh
 

Vergleichende Symptomatologie anhaltender Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen: chronische Migräne = new daily persistent headache = chronischer post-traumatischer Kopfschmerz?

**** Patterson Gentile C, Aguirre GK, Hershey AD, et al. Comparison of continuous headache features in youth with migraine, new daily persistent headache, and persistent post-traumatic headache. Cephalalgia 2023; 43(1): 3331024221131331. doi: 10.1177/03331024221131331

Hintergrund

Anhaltende Kopfschmerzen ohne kopfschmerzfreie Intervalle treten zwar seltener auf als intermittierende Kopfschmerzen, sind jedoch schwerer zu behandeln. Die ICHD-3-Kriterien unterteilen anhaltende Kopfschmerzen nach klinisch-zeitlichen Merkmalen wie den schleichenden Beginn von episodischen Kopfschmerzen hin zu kontinuierlichen Kopfschmerzen über die Zeit (z. B. chronische Migräne, CM), einem abrupten Beginn nach Schädeltrauma (posttraumatischer Kopfschmerz, PTK) oder abruptem Beginn ohne eindeutigen Grund (neu aufgetretener täglich anhaltender Kopfschmerz, NDPH). In der Literatur wird diskutiert, dass der PTK und/oder NDPH ähnlichen neurobiologischen Ursprungs sind wie die Migräne und man diese anhaltenden Kopfschmerzformen als Unterformen der Migräne ansehen könnte [1], [2]. Es gibt keine Studie, welche die 3 Kopfschmerzformen bei Kindern und Jugendlichen miteinander verglichen hat. In dieser Studie werden erstmalig die klinischen Eigenschaften von CM, PTK und NDPH bei Kindern und Jugendlichen miteinander verglichen.


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Zusammenfassung

150 Kinder- und Jugendliche (11–17 Jahre) mit anhaltenden Kopfschmerzformen (je 50 mit CM, PTK und NDPH) werden in dieser monozentrischen Beobachtungstudie, Alters- sowie Geschlechtergepaart, nach klinischen Charakteristika miteinander verglichen. Dabei wurden die Daten zu Kopfschmerzintensität, Frequenz, Einschränkung der Lebensqualität, PedMIDAS, Kopfschmerzqualität sowie Begleitsymptome und Kopfschmerztrigger aus Patientenfragebögen untersucht.

Im Durchschnitt waren die Kinder 15,4 Jahre alt und 92 % Mädchen. Der Median der Kopfschmerzintensität der gesamten Stichprobe lag bei 6 (von 0–10 auf der numerischen Schmerzskala). Einen signifikanten Unterschied der Kopfschmerzintensität zwischen derCM, PTK und NDPH gab es nicht (H = 1,2, p = 0,55). Ein signifikanter Unterschied in der Kopfschmerzfrequenz zeigte sich ebenfalls nicht zwischen den 3 Gruppen (χ2 = 11,7, p = 0,63). Der Median im PedMIDAS-Score lag bei der gesamten Stichprobe bei 55 Punkten und zeigte somit eine schwere Beeinträchtigung aufgrund der Kopfschmerzen an. Die Spannbreite der PedMIDAS-Punktzahl war groß, aber ohne signifikante Unterschiede zwischen den 3 Gruppen (H = 2,6, p = 0,28). Die Kopfschmerzqualität wurde von den meisten Kindern als pulsierend (79 %) oder drückend (69 %) angegeben, 54 % beschrieben die Kopfschmerzqualität als neuralgiform. Ein Unterschied zwischen den 3 Gruppen zeigte sich nicht. Die am häufigsten auftretenden Begleitsymptome stellten Lichtempfindlichkeit (69 %), Geräuschempfindlichkeit (61 %), Übelkeit (60 %), verändertes Denken (55 %) sowie Benommenheit (54 %) dar, ohne signifikant auftretende Unterschiede zwischen den 3 Kopfschmerzgruppen. Die häufigsten Kopfschmerztrigger stellten in der gesamten Stichprobe Licht (63 %), Aufstehen (56 %), Geräusche (53 %) und Stress (51 %) dar. 2 der aufgenommenen Kopfschmerztrigger zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen auf. Lesen als Trigger wurde in der PTK-Gruppe signifikant häufiger angegeben als in der CM- und NDPH-Gruppe (χ2 = 12,5, p = 0,002). Licht wurde in der NDPH-Gruppe signifikant weniger als Trigger angegeben als in derCM- und PTK-Gruppe (χ2 = 12,1, p = 0,002). In der Studie wurden außerdem Migräneeigenschaften nach der ICHD-3-Klassifikation bei den Patienten mit PTK und NDPH untersucht. Dabei zeigte sich, dass 72 % der PTK-Gruppe und 64 % der NDPH-Gruppe alle 4 diagnostischen Kriterien der Migräne (B-D) aufzeigten und fast alle Patienten (98 %) mindestens 2 Kriterien (B-D) erfüllten.


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Kommentar

Diese Studie zeigt mit einem sehr gut gewählten Studiendesign die große Ähnlichkeit klinischer Symptome bei den untersuchten anhaltenden Kopfschmerzformen Migräne, PTK und NDPH im Kindes- und Jugendalter. Während zur Diagnosevergabe einer Migräne spezifische Charakteristika vorhanden sein müssen, werden PTK und NDPH primär nach den Umständen ihres Einsetzens definiert. Die sehr hohe Schmerzstärke, Frequenz und Beeinträchtigung durch die Kopfschmerzen in der gesamten Gruppe mit anhaltenden Kopfschmerzen ist sicher der speziellen Stichprobe am Kopfschmerzzentrum des Philadelphia Children Hospital geschuldet. Die Tatsache, dass Kopfschmerzeigenschaften, Trigger und Begleitsymptome der 3 Kopfschmerzarten sich so sehr ähneln, lässt die Autoren vermuten, dass der Großteil der PTK und NDPH pathophysiologisch als akut einsetzende CM angesehen werden könnte.

Steht zu Beginn des PTK zunächst das Schädeltrauma, so finden sich in der Literatur jedoch Studien, die auf die Sensitisierung des trigeminalen nozizeptiven Nervensystems bei der Entstehung des PTK eingehen. Beispielsweise konnten in einer Studie bei Patienten mit PTK durch die intravenöse Gabe von CGRP migräneähnliche Kopfschmerzen ausgelöst werden. Wenige Arbeiten findet man zur Pathophysiologie des NDPH. Als Ursachen werden vor allem virale Erkrankungen z. B. EBV oder besonders stressvolle Ereignisse diskutiert. Man konnte außerdem bei Patienten mit NDPH erhöhte proinflammatorische Zytokinwerte im Liquor (TNF-α) nachweisen. Erhöhte Zytokinspiegel finden sich ebenfalls bei Patienten mit Migräne.

Die pathophysiologischen Grundlagen des PTK und NDPH müssen noch weiter untersucht werden, doch Studien wie diese könnten dazu beitragen, diese akut einsetzende und anhaltende Kopfschmerzformen als Sonderform der CM anzusehen. Dies bietet eine Rationale hypothesengeleitet migränespezifische Behandlungsmöglichkeiten zu untersuchen und damit die Versorgung der Patienten zu verbessern.

Laura Zaranek, Dresden


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Retrospektive Erhebung der Attackenhäufigkeit genauso gut wie sofortige Aufzeichnung in Clusterkopfschmerz-Patienten

***Brandt RB, Mulleners W, Wilbrink LA, et al. Intra- and interindividual attack frequency variability of chronic cluster headache. Cephalalgia 2023; 43(2): 1–8

Die Untersuchung der Clusterkopfschmerzattackenhäufigkeit zeigt auch in chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten Unterschiede.

Hintergrund

Der genaue Verlauf von Clusterkopfschmerzattacken ist weitgehend unbekannt, dies ist z. B. für die Planung und Durchführung von (Therapie-)Studien schwierig.


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Zusammenfassung

Die Daten, die in dieser Studie veröffentlicht werden, wurden im Rahmen der ICON-Studie erhoben. Die ICON-Studie untersuchte die Wirksamkeit der occipitalen Nervenstimulation in therapierefraktären, chronischen Clusterkopfschmerz-Patienten nach den ICHD-II-Kriterien. Im Verlauf der 12-wöchigen Baseline-Phase wurde die Attackenhäufigkeit mittels eines internetbasierten Tagebuchs während der ersten 6 Wochen retrospektiv 1-mal pro Woche erfragt, während der restlichen 6 Wochen wurden die Kopfschmerzattacken sofort eingetragen. Die erhobenen Daten wurden in Bezug auf die Häufigkeit während dieser Erhebungen sowie deren Variabilität untersucht.

Kopfschmerzattacken von 142, überwiegend männlichen Patienten (63 %), wurden in die Auswertung eingeschlossen. Durchschnittlich traten 15,3 Kopfschmerzattacken/Woche auf und die Mehrheit der Patienten (46 %) berichtete über eine Attackenfrequenz zwischen 0–2/Tag. Die höchste wöchentliche Attackenhäufigkeit wurde während des Frühlings aufgezeichnet. Die Attackenvariabilität ist in Patienten mit einer Attackenzahl von 0–3 Attacken/Tag am höchsten, wohingegen Patienten mit ≧ 3 Kopfschmerzattacken weniger Unterschiede in der Häufigkeit berichten. Es zeigte sich kein Unterschied zwischen der sofortig aufgezeichneten und retrospektiven Attackenhäufigkeit (p = 0,20). Die Kopfschmerzintensität war in den retrospektiv aufgezeichneten Attacken marginal, aber signifikant höher im Vergleich zu den sofortig aufgezeichneten Attacken (p < 0,01).


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Kommentar

Der Verlauf von Clusterkopfschmerzattacken und -episoden sowie deren saisonale oder tageszeitliche Auftreten ist wenig verstanden und untersucht. Z. B. ist interessant, dass chronische Clusterpatienten eine saisonale Häufung der Attacken berichten. Insofern können die veröffentlichten Daten einen Beitrag zur Planung von Studien leisten. Aber auch für die klinische Routine kann geschlussfolgert werden, dass eine tägliche Erhebung der Attacken nicht notwendig ist und die einmal wöchentliche Erhebung weniger aufwendig und dementsprechend die Compliance verbessern kann.

Einschränkend muss erwähnt werden, dass die Daten im Rahmen einer anderen Studie erhoben wurden und so an Genauigkeit verliert. In dieser Hinsicht wäre die Erhebung weiterer Parameter, wie tageszeitliche Schwankungen, mögliche Unterschiede in Intensität und Dauer interessant gewesen. Es stellt sich auch die Frage, inwieweit die Daten auf andere Verlaufsformen übertragen werden können.

Katharina Kamm, München


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Wer braucht neue Migräne-Akutmedikamente? Die Definition von Triptan-Non-Respondern der EHF

*** Sacco S, Lampl C, Amin FM, et al. European Headache Federation (EHF) consensus on the definition of effective treatment of a migraine attack and of triptan failure. J Headache Pain 2022; 23(1): 133

Hintergrund

In den letzten Jahren wurden neue Akutmedikamente zur Behandlung der Migräne entwickelt, insbesondere aus den Klassen der Ditane (5HT-1F-Agonisten) und Gepante (CGRPR-Antagonisten). 2 dieser Medikamente wurden durch die EMA zugelassen (Lasmiditan, Rimegepant). Eine Einordnung in den Therapiealgorithmus ist also notwendig.


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Zusammenfassung

Die European Headache Federation hat ein Consensus-Paper zur Definition der Refraktärität auf Triptane veröffentlicht. Die Response auf ein Triptan wird wie folgt definiert:

  • 2–24 Stunden nach Einnahme sollen in mind. 3 von 4 Attacken folgende Kriterien erfüllt sein:

    • Besserung der Kopfschmerzen (auf leichte oder keine Kopfschmerzen)

    • keine oder kaum Beeinträchtigung durch Begleitsymptome

    • keine relevanten Nebenwirkungen

Die Non-Response auf ein bestimmtes Triptan wird definiert als Nichtzutreffen dieser Kriterien und kann entsprechend der „3-von-4-Attacken“-Regel frühestens festgestellt werden, wenn 2 Attacken erfolgslos behandelt wurden.

Als triptanresistent werden Patienten definiert, die Non-Responder auf 2 oder mehr Triptane sind. Als triptanrefraktär werden Patienten definiert, die Non-Responder auf 3 oder mehr Triptane sind, davon mindestens 1 subkutanes Triptan (also Sumatriptan s. c.). Als ungeeignet für Triptane werden Patienten mit Kontraindikationen gegen Triptane bezeichnet. Die Autoren schreiben „individuals who are triptan resistant or refractory are highly in need of novel drug classes to manage the acute attack”, dies könnte man also so interpretieren, dass bei Versagen von 2 Triptanen eines der neuen Akutmedikamente eingesetzt werden könnte.


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Kommentar

Der Artikel ist lesenswert, schon weil er eine gute Zusammenfassung der Literatur zur Wirksamkeit der Triptane in grafischer Darstellung enthält. Davon abgesehen sind Definitionen immer ein Stück weit willkürlich. Die vorgeschlagenen Definitionen finde ich aber gelungen, weil: Hervorgehoben wird, dass evtl. nicht jede Attacke auf ein an sich wirksames Triptan anspricht, aber trotzdem eine hohe Verlässlichkeit mit Response in 3 von 4 Attacken gefordert wird, bzw. ein Versuch in 2 Attacken, bevor eine Non-Response festgestellt werden kann. Praktisch wird diese „3-aus-4“-Regel allerdings manchmal schwierig anzuwenden sein.

Ein Versuch von mindestens 2 Triptanen gefordert wird, bevor eine Triptanresistenz festgestellt wird. Es ist in der Tat oft so, dass mehrere Triptane versucht werden müssen, bis das individuell am besten wirksame und verträgliche gefunden wird. Es ist andererseits aber naheliegend, nach Versagen von 2 Substanzen einer Klasse zu einer anderen Klasse überzugehen. Es wird nicht gefordert, alle Patienten zunächst auf Sumatriptan s. c. einzustellen, bevor zu einem der neuen Medikamente übergegangen werden kann. Sumatriptan s. c. ist zwar stark und schnell wirksam, hat aber auch Nachteile (eher mehr Nebenwirkungen, hoher Preis, Notwendigkeit einer Injektion).

Die neue deutsche Leitlinie zur Migränetherapie schlägt vor, dass die neuen Substanzen bei Patienten eingesetzt werden können, bei denen Analgetika und Triptane nicht wirksam sind oder nicht vertragen werden [1]. Man könnte also als Kombination beider Empfehlungen ableiten, dass nach Versagen eines Analgetikums und von 2 Triptanen ein Wechsel auf eine der neuen Substanzen in Frage kommt. Wie der GBA diese Empfehlungen interpretieren wird, bleibt allerdings abzuwarten. Weitere Kandidaten für die neuen Substanzen sind Patienten mit (vaskulären) Kontraindikationen gegen Triptane. Sowohl Lasmiditan als auch Gepante haben keine vasokonstriktive Wirkung, und in den Studien gab es keine vaskulären Sicherheitssignale. Die Leitlinie weist allerdings darauf hin, dass die Blockade des CGRP-Pathways durch Gepante ebenso wie durch CGRP-Antikörper in vaskulären Notfallsituationen, z. B. einer zerebralen Ischämie, ungünstig sein könnte [1].

Ruth Ruscheweyh, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).

Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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Publication History

Article published online:
03 May 2023

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