Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(05): 517-546
DOI: 10.1055/a-2003-5983
GebFra Science
Guideline/Leitlinie

SARS-CoV-2 in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Leitlinie der DGGG und DGPM (S2k-Level, AWMF-Registernummer 015/092, März 2022)

Article in several languages: deutsch | English
Ulrich Pecks
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, Germany
,
Lena Agel
2   Technische Hochschule Aschaffenburg, Hebammenkunde, Aschaffenburg, Germany
,
Klaus J. Doubek
3   Praxis Doubek, Wiesbaden, Germany
,
Carsten Hagenbeck
4   Geburtshilfe und Perinatalmedizin, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf, Germany
,
Lukas Jennewein
5   Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Germany
,
Constantin von Kaisenberg
6   Pränatalmedizin und Geburtshilfe im Perinatalzentrum, Universitätsklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, Hannover, Germany
,
Peter Kranke
7   Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Germany
,
Sabine Leitner
8   Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e. V., Frankfurt, Germany
,
Nadine Mand
9   Philipps-Universität Marburg, Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Marburg, Germany
,
Mario Rüdiger
10   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, Medizinische Fakultät der TU Dresden, Dresden, Germany
,
Janine Zöllkau
11   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena, Jena, Germany
,
Nina Mingers
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, Germany
,
Magdalena Sitter
7   Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie, Universitätsklinikum Würzburg, Würzburg, Germany
,
Frank Louwen
5   Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Universitätsklinikum Frankfurt Goethe-Universität, Frankfurt am Main, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Ziel Die S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin (DGPM) enthält konsensbasierte Empfehlungen zur Betreuung und Behandlung von Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen, und Stillenden mit SARS-CoV-2-Infektion sowie deren Neugeborene. Sie hat das Ziel, Handlungsempfehlungen in der Zeit der COVID-19-Pandemie für Berufsgruppen zu gegeben, die mit der Versorgung der oben beschriebenen Personengruppe beauftragt sind.

Methoden Spezifische Fragen wurden im PICO-Format ausgearbeitet. Gezielte systematische Literaturrecherchen wurde unter Nutzung von Pubmed durchgeführt oder es wurden die bereits ausgearbeiteten Stellungnahmen und Empfehlungen der DGGG und DGPM zur Zusammenfassung der Evidenz verwendet. Ergänzend wurde auf die Forschungsdaten des CRONOS-Registers zurückgegriffen. Da die Datengrundlage für rein evidenzbasierte Leitlinien unzureichend war, erfolgte Durchführung der Leitlinienarbeit in Form eines Konsensverfahrens auf dem Level S2k. Nach Zusammenfassung und Darstellung der zur Verfügung stehenden Daten wurden Empfehlungen zu den formulierten PICO-Fragen in der Leitliniengruppe herausgearbeitet, diskutiert und abgestimmt.

Empfehlungen Es wurden Empfehlungen zu Hygienemaßnahmen, Präventionsmaßnahmen und der Betreuung in der Schwangerschaft, bei Geburt sowie im Wochenbett und der Stillzeit verfasst. Dies beinhaltet Aspekte der Überwachung von Mutter und Kind mit und nach COVID-19, Indikation zur Thromboseprophylaxe, Betreuung erkrankter Frauen unter Geburt, Anwesenheit einer Geburtsbegleitung, und postnatale Betreuung, Testung und Überwachung des Kindes im Rooming-in oder in der Kinderklinik.


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I  Leitlinieninformationen

Leitlinienprogramm der DGGG, OEGGG und SGGG

Informationen hierzu finden Sie am Ende der Leitlinie.


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Zitierweise

SARS-CoV-2 in Pregnancy, Birth and Puerperium. Guideline of the DGGG und DGPM (S2k-Level, AWMF Registry Number 015/092, March 2022). Geburtsh Frauenheilk 2023. doi:10.1055/a-2003-5983


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Leitliniendokumente

Die vollständige deutsche Langfassung dieser Leitlinien sowie eine Aufstellung der Interessenkonflikte aller Autoren befinden sich auf der Homepage der AWMF: http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-092.html


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Leitliniengruppe

Siehe [Tab. 1] und [2].

Tab. 1 Federführender und/oder koordinierender Leitlinienautor.

Autor

AWMF-Fachgesellschaft

Prof. Dr. Ulrich Pecks

DGPM

Prof. Dr. Frank Louwen

DGGG/AGG

Tab. 2 Beteiligte Leitlinienautoren/-innen.

Autor/-in

Mandatsträger/-in

DGGG-Arbeitsgemeinschaft (AG)/AWMF/Nicht-AWMF-Fachgesellschaft/Organisation/Verein

* Die Personen haben maßgeblich an der Erstellung der Leitlinie mitgewirkt. Eine Beteiligung an der Abstimmung der Empfehlungen und Statements fand nicht statt.

Lena Agel

DGHWI

Dr. Klaus J. Doubek

BVF

Dr. Carsten Hagenbeck

DGGG/AGG

Prof. Dr. Constantin von Kaisenberg

DEGUM

Prof. Dr. Peter Kranke

DGAI

Sabine Leitner

Bundesverband „Das frühgeborene Kind“

Dr. Nadine Mand

GNPI

Prof. Dr. Mario Rüdiger

DGPM

Dr. Janine Zöllkau

DGPGM

Dr. Lukas Jennewein*

Universitätsklinikum Frankfurt

Nina Mingers*

Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Magdalena Sitter*

Universitätsklinikum Würzburg

Die folgenden Fachgesellschaften/Arbeitsgemeinschaften/Organisationen/Vereine haben Interesse an der Mitwirkung bei der Erstellung des Leitlinientextes und der Teilnahme an der Konsensuskonferenz bekundet und Vertreter dafür benannt ([Tab. 2]).

Prof. Dr. Constantin von Kaisenberg (Zertifizierter AWMF LL-Berater) übernahm die neutrale Moderation.


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Verwendete Abkürzungen

ALT: Alanin-Aminotransferase
aPPT: aktivierte partielle Thromboplastinzeit
AST: Aspartat-Aminotransferase
CGP: Good Clinical Practice
CRP: C-reaktives Peptid
CT: Computertomografie
CTG: Kardiotokografie
ECMO: extrakorporale Membranoxygenierung
EK: Expertenkonsens
ETS: Ersttrimesterscreening
FGR: Fetal Growth Restriction/fetale Wachstumsretardierung
i. m.: intramuskulär
i. v.: intravenös
KKP: klinischer Konsensuspunkt
LDH: Laktatdehydrogenase
MEOWS: Modified Early Obstetric Warning Score
MNS: Mund-Nasen-Schutz
NMH: niedermolekulares Heparin
PCR: Polymerasekettenreaktion
RKI: Robert Koch-Institut
RT-PCR: Realtime-Polymerasekettenreaktion
SpO2 : Sauerstoffsättigung
STIKO: ständige Impfkommission
VTE: venöse Thrombembolie
WHO: World Health Organization/Weltgesundheitsorganisation
 


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II  Leitlinienverwendung

Fragestellung und Ziele

Das Ziel dieser Leitlinie ist die Bereitstellung von Handlungsempfehlungen zur Betreuung von Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Stillenden sowie deren Neugeborenen bei und nach SARS-CoV-2-Infektion unter Berücksichtigung der (aufgrund der Neuartigkeit des Virus limitierten) Evidenz sowie eigenen Daten aus dem CRONOS-Register.


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Versorgungsbereich

  • stationärer Versorgungssektor

  • ambulanter Versorgungssektor


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Anwenderzielgruppe/Adressaten

Die Leitlinie soll allen beteiligten Professionen Handlungsempfehlungen an die Hand geben, die sich mit der Betreuung von Schwangeren, Gebärenden, Wöchnerinnen und Stillenden mit SARS-CoV-2-Infektion befassen. Zu den Adressaten der Leitlinie gehören:

  • Gynäkologen/Geburtshelfer (m/w/d)

  • Kinder- und Jugendärzte/Neonatologen (m/w/d)

  • Anästhesisten (m/w/d)

  • Hebammen (m/w/d)

  • Gesundheits- und Krankenpfleger der Wöchnerinnenstationen und pädiatrischen Stationen, die Neugeborene betreuen (m/w/d)


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Verabschiedung und Gültigkeitsdauer

Die Gültigkeit dieser Leitlinie wurde durch die Vorstände/Verantwortlichen der beteiligten medizinischen Fachgesellschaften, Arbeitsgemeinschaften, Organisationen und Vereine sowie durch den Vorstand der DGGG und der DGPM beziehungsweise deren Leitlinienkommissionen im März 2022 bestätigt und damit in ihrem gesamten Inhalt genehmigt. Diese Leitlinie besitzt eine Gültigkeitsdauer vom 01.03.2022 bis 31.03.2025. Diese Dauer ist aufgrund der inhaltlichen Zusammenhänge geschätzt. Bei dringendem Bedarf kann eine Leitlinie früher aktualisiert werden, bei weiterhin aktuellem Wissensstand kann ebenso die Dauer verlängert werden.


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III  Methodik

Grundlagen

Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 1.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es wird zwischen der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden. Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen, erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte Unterstufe (S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren.

Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k


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Empfehlungsgraduierung

Die Evidenzgraduierung nach systematischer Recherche, Selektion, Bewertung und Synthese der Evidenzgrundlage und eine daraus resultierende Empfehlungsgraduierung einer Leitlinie auf S2k-Niveau ist nicht vorgesehen. Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen nur sprachlich – nicht symbolisch – unterschieden ([Tab. 3]).

Tab. 3 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).

Beschreibung der Verbindlichkeit

Ausdruck

starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit

soll/soll nicht

einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit

sollte/sollte nicht

offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit

kann/kann nicht


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Statements

Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen Statements ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.


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Konsensusfindung und Konsensusstärke

Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen ab. Der Ablauf war wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen, Vorbringen von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen eines Konsensus (> 75% der Stimmen), Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird abhängig von der Anzahl der Teilnehmer die Stärke des Konsensus ermittelt ([Tab. 4]).

Tab. 4 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.

Symbolik

Konsensusstärke

prozentuale Übereinstimmung

+++

starker Konsens

Zustimmung von > 95% der Teilnehmer

++

Konsens

Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer

+

mehrheitliche Zustimmung

Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer

kein Konsens

Zustimmung von < 51% der Teilnehmer


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Expertenkonsens

Der Expertenkonsens bezeichnet Konsensusentscheidungen für Empfehlungen/Statements ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenzen. Der zu benutzende Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer Konsensuspunkt“ (KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein semantisch („soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).


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IV  Leitlinie

1  Allgemeine Hinweise zur SARS-CoV-2-Pandemie

Die SARS-CoV-2-Pandemie unterliegt mit neu auftretenden Virusvarianten und Infektionswellen einer nicht vorhersehbaren Dynamik. Vermutlich wird die durch SARS-CoV-2 ausgelöste Erkrankung COVID-19 in der aktuellen oder ähnlichen Verlaufsform über den pandemischen Zustand hinaus eine Herausforderung bleiben. Daher sind neben den hier getroffenen Empfehlungen für Schwangere, Wöchnerinnen, Stillende und Neugeborene ergänzende Quellen zur Behandlung von betroffenen Personen sowie zum Umgang mit der Infektion zu beachten, die neue Erkenntnisse berücksichtigen.

Insbesondere sei hierzu auf folgende Quellen hingewiesen:

  1. Empfehlungen des RKI zu Hygienemaßnahmen im Rahmen der Behandlung und Pflege von Patienten mit einer Infektion durch SARS-CoV-2: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Hygiene.html

  2. Erweiterte Hygienemaßnahmen im Gesundheitswesen im Rahmen der COVID-19-Pandemie: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/erweiterte_Hygiene.html

  3. Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG): https://www.gesetze-im-internet.de/ifsg/index.html#BJNR104510000BJNE002305116

    • § 28a Besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)

    • § 28b Bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei besonderem Infektionsgeschehen, Verordnungsermächtigung

    • § 28c Verordnungsermächtigung für besondere Regelungen für Geimpfte, Getestete und vergleichbare Personen

  4. S2e-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 053-054 „SARS-CoV-2/Covid-19 Informationen und Praxishilfen für niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte“ [1].

  5. S3-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 113/001 „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ [2].

Darüber hinaus wurde versucht, die Leitlinie möglichst kurz und lesbar zu halten. Die Evidenzlage einiger Aspekte der Leitlinie wird daher in Teilen ausführlicher in den durch die DGGG und DGPM ausgearbeiteten „Empfehlungen zu SARS-CoV-2/COVID-19 in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett – Update November 2021“ behandelt und zusammengefasst [3]. Diese Informationen finden sich auch auf der Website der DGGG und DGPM zusammen mit regelmäßig neu veröffentlichten Empfehlungen und Statements, welche die aktuelle Pandemielage und neue Erkenntnisse berücksichtigen.

Verantwortung für eine ausgeglichene Belastung im Gesundheitswesen

Im Zuge der Pandemie kam es zu einer länderspezifischen Abstimmung der Versorgungsstruktur im Gesundheitswesen. Viele Länder haben eine dezentrale Behandlungsstruktur für SARS-CoV-2-positive/an COVID-19 erkrankte Menschen vorgesehen, um die Ressourcen des Gesundheitssystems optimal auslasten zu können. In Bezug auf die Versorgung geburtshilflicher Patientinnen ist die Leitliniengruppe der Auffassung, dass geburtshilfliche Kriterien zur Verortung stationärer Krankenhausbehandlung in die unterschiedlichen Versorgungsstufen diesem Sachverhalt ausreichend Rechnung tragen [4], [5]. Es gibt keine Hinweise darauf, dass eine (asymptomatische oder mild verlaufende) SARS-CoV-2-Infektion der Schwangeren allein eine Zuweisung in spezielle Zentren notwendig macht, die eine maximale Versorgungsstruktur einschließlich neonatologischer Intensivbehandlung vorhält. Es liegt in der Verantwortung jeder ambulanten und stationären Versorgungseinheit, ihren Beitrag für die Betreuung SARS-CoV-2-positiver Patientinnen zu leisten und Strukturen entsprechend anzupassen.


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2  Infektionsprävention

Schwangere Frauen haben ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 im Vergleich zu nicht schwangeren Frauen im gleichen Alter. In infektionspräventiver Sicht herausfordernd sind vor allem asymptomatisch infizierte Frauen, welche die Klinik aufsuchen. Geburtshilfliche und neonatologische Abteilungen stellen somit einen besonders sensiblen Bereich in Einrichtungen des Gesundheitswesens dar, in dem Maßnahmen zum Schutz von Mitpatientinnen und -patienten sowie des Behandlungspersonals in interdisziplinärer und interprofessioneller Zusammenarbeit getroffen werden müssen. Neben einer ausreichenden räumlichen Belüftung und allgemeinen Hygienemaßnahmen, wie die Händedesinfektion, sind das Tragen eines MNS durch Personal und Patientin und das Screening auf Infektionserreger wirksame Maßnahmen zum Schutz aller beteiligten Kontaktpersonen [1], [2], [6], [7]. Im Folgenden soll auf geburtsspezifische Aspekte im klinischen Setting im Kontext einer pandemischen Situation eingegangen werden.

2.1  Tragen eines Mund-Nase-Schutzes (MNS)

Konsensbasierte Empfehlung 2.E1

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Vorstellung in der Klinik soll ein MNS getragen werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E2

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei negativem Testergebnis und klinischer Symptomfreiheit typischer COVID-19-Symptome soll der Gebärenden ermöglicht werden, den MNS nicht zu tragen.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E3

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei ausstehendem oder positivem Testergebnis oder COVID-19-typischen Symptomen soll die Gebärende einen MNS tragen.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E4

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Das bei der Geburt anwesende Personal und weitere anwesende Personen sollen einen MNS tragen.

Effekt eines MNS auf die Virustransmission

Die Risikoreduktion der Transmission durch das Tragen eines MNS wurde als hoch eingestuft [8]. Das Tragen eines MNS (OR 0,11; 95%-KI 0,03 – 0,39; p < 0,001) durch das Personal, das Tragen von Handschuhen (OR 0,39; 95%-KI 0,29 – 0,53; p < 0,001) und das Tragen von Kitteln (OR 0,59; 95%-KI 0,48 – 0,73; p < 0,001) reduzierte die Transmissionsrate [9]. Das beidseitige Tragen eines MNS zweier Kontaktpersonen reduziert in einem Setting von Gesundheitspersonal einer US-amerikanischen Studie zufolge die Transmissionsrate weiter (25,6% zu 12,5%) [10]. Im Rahmen der Deutschen Scenario-Studie wurde der Effekt verschiedener Schutzmaßnahmen zur Prävention einer Infektion des Personals bei der Betreuung einer Geburt modelliert. Beim Tragen einer FFP2-Maske wird demnach bei hochinfektiöser Patientin das Risiko einer Infektion für Hebammen von 30% auf 7% reduziert. Zusätzliche aktive Belüftung des Raumes verringert das Risiko weiter auf 0,7%. Das Tragen eines MNS durch die Gebärende führt zu einer weiteren Risikoreduktion auf 0,3% [11]. Die Leitliniengruppe sieht die Geburt, insbesondere die Austrittsphase, als eine aerosolbildende Situation an, in der eine relevante Exposition und damit ein relevantes Transmissionsrisiko für das betreuende Personal besteht.


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2.2  Testen und Screening auf SARS-CoV-2

Konsensbasierte Empfehlung 2.E5

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Jede Patientin soll während der Pandemie vor einer Behandlung in einer Einrichtung des Gesundheitswesens (ambulant oder stationär) nach Symptomen und Anamnese auf SARS-CoV-2-Infektionsrisiken befragt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E6

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine diagnostische Testung soll erfolgen, wenn aufgrund von Anamnese, Symptomen oder Befunden und unabhängig vom Impfstatus ein klinischer Verdacht besteht, der mit einer SARS-CoV-2-Infektion (COVID-19) vereinbar ist.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E7

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Ein Screening auf SARS-CoV-2 soll bei jeder stationären Aufnahme oder Aufnahme zur Geburt entsprechend den Empfehlungen des RKI und der Nationalen Teststrategie sowie Verordnungen auf Landesebene erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 2.E8

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Vor elektiven Eingriffen, wie z. B. einer geplanten Kaiserschnittentbindung, Cerclage oder Geburtseinleitung sollte das Resultat eines SARS-CoV-2-Tests vor Aufnahme vorliegen.

Nationale Teststrategie

Das RKI veröffentlicht regelmäßig Updates der Nationalen Teststrategie, die es im Rahmen der Pandemie in Einrichtungen des Gesundheitswesens zu beachten gilt: „Eine Testung im stationären oder ambulanten Bereich ist grundsätzlich indiziert, wenn aufgrund von Anamnese, Symptomen oder Befunden ein klinischer Verdacht besteht, der mit einer SARS-CoV-2-Infektion (COVID-19) vereinbar ist.“ Empfohlen wird zudem, „Patientinnen grundsätzlich vor (Wieder-)Aufnahme sowie vor ambulanten Operationen […] mit einem Nasen-Rachen-Abstrich auf SARS-CoV-2-PCR-Test zu testen. […] Eine Diagnostik sollte unter Berücksichtigung der epidemischen Situation durchaus niederschwellig indiziert werden.“ (Stand 01.11.2021) [12]


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Spezielle Aspekte in Einrichtungen zur Betreuung von Schwangeren

Einrichtungen, die schwangere Frauen, Gebärende und ihre Neugeborene betreuen, stellen aus infektionspräventiver Sicht einen besonders sensiblen Bereich dar. Als junge gesunde und mitunter asymptomatisch infizierte Frauen ist deren Identifikation wichtig, um Schutzmaßnahmen für das Personal, Mitpatientinnen und ihre Familien zu ergreifen. Eine nosokomiale Infektion z. B. durch Mitpatientinnen in der Klinik mit nachfolgenden Quarantänemaßnahmen erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung durch nachsorgende Hebammen und Arztpraxen. Ungeachtet des häufig asymptomatischen Verlaufs haben Schwangere dennoch insbesondere in der zweiten Schwangerschaftshälfte ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf [13] und sollen daher besonders geschützt werden.


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Prävalenz von SARS-CoV-2-Infektion in der Schwangerschaft

Es besteht kein höheres Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion unter Schwangeren. Screeninguntersuchungen bestätigen eine Prävalenz analog der Gesamtbevölkerung in Bezug auf regionale und zeitliche Verläufe [14], [15], [16], [17], [18], [19], [20], [21], [22], [23], [24]. Es bestehen jedoch Hinweise für ein höheres Infektionsrisiko unter bestimmten Patientinnengruppen in Abhängigkeit von der Ethnizität [25], [26], [27], [28], [29], [30] oder dem sozioökonomischen Status [31], [32]. Eine populationsbasierte britische Kohortenstudie (3527 SARS-CoV-2-Infektionen unter 342 080 Schwangeren) zeigte, dass eine SARS-CoV-2-Infektion häufiger bei Frauen auftrat, die jünger und erstgebärend waren, nichtweißen ethnischen Gruppen angehörten, in benachteiligten Gebieten wohnten oder Komorbiditäten aufwiesen [33]. Zudem scheint die Infektionsprävalenz mit dem Gestationsalter zu steigen [34], [35]. In Klinik-Registern dominiert die Anzahl infizierter Schwangerer im 3. Trimenon mit 83% (UKOSS) bzw. 64,3% (CRONOS) aller registrierten Schwangeren [36], [37].


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Symptomatische versus asymptomatische Patientinnen

Der überwiegende (bis zu 89%) Anteil der bei stationärer Aufnahme zur Entbindung positiv getesteten Frauen war Untersuchungen aus New York, London und Connecticut zu Folge asymptomatisch [38], [39], [40]. Unter den 1148 in Großbritannien stationär betreuten schwangeren Frauen mit SARS-CoV-2-Infektion zwischen März und August 2020 lag der Anteil der asymptomatischen Patientinnen bei 37% [36]. Dies deckt sich mit Daten aus den deutschen Kliniken des CRONOS-Registers bis zum 01. Oktober 2020, bei denen ebenso 37% der Frauen asymptomatisch waren [37].

CRONOS (Stand 24. August 2021): Unter den 785 Frauen mit Infektion um den errechneten Geburtstermin ab 37 + 0 SSW beträgt die Rate der asymptomatischen Frauen 55,6% (437/785; fehlende Informationen zu Symptomen bei 23 Frauen). Bei 657 Frauen wurden die Umstände des positiven SARS-CoV-2-Tests dokumentiert. Unter den 354 asymptomatischen Frauen wurden 306 (86,4%) durch ein Screening in der Klinik erkannt.


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3  Monitoring der infizierten Schwangeren

3.1  Allgemeine geburtshilflich-gynäkologische Betreuung

Konsensbasierte Empfehlung 3.E9

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

In der Betreuung einer SARS-CoV-2-infizierten Schwangeren sollte vom geburtshilflichen Standard und den Vorgaben der Mutterschaftsrichtlinien nicht abgewichen werden.

Konsensbasiertes Statement 3.S1

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei der Planung von elektiven Vorsorgeterminen und Untersuchungen ist zu erwägen, diese bis zur Aufhebung der Isolation/Ende der Kontagiosität der Schwangeren zu verschieben.


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3.2  Symptombasierte Betreuung

3.2.1  Die asymptomatisch oder mild erkrankte Schwangere

Konsensbasierte Empfehlung 3.E10

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Die asymptomatische infizierte oder mild erkrankte Schwangere soll nach dem Standard der an anderer Stelle für Nichtschwangere empfohlenen Leitlinien betreut werden. Auf die Gefahr einer akuten Dekompensation soll hingewiesen werden.

Hinweis: Es wird explizit auf die Empfehlungen der S2e-Leitlinie „SARS-CoV-2/Covid-19 Informationen und Praxishilfen für niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte“ (Stand 02/2022) [1] verwiesen.


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3.2.2  Die moderat erkrankte Schwangere

Konsensbasierte Empfehlung 3.E11

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Symptomen mit deutlicher Allgemeinzustands-Beeinträchtigung und/oder erhöhtem Risiko zusätzlich zur Schwangerschaft (insbesondere ungeimpfte Schwangere und Schwangere mit z. B. Adipositas, Diabetes, Hypertonie, chronische Lungenerkrankungen) soll überprüft werden, ob die Indikation zur Verordnung einer Krankenhauseinweisung vorliegt.

Hinweis: Es wird explizit auf die Empfehlungen der S2e-Leitlinie „SARS-CoV-2/Covid-19 Informationen und Praxishilfen für niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte“ (Stand 02/2022) [1] verwiesen.


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3.2.3  Die schwer erkrankte Schwangere

Konsensbasiertes Statement 3.S2

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei der stationären Behandlung einer Patientin wegen COVID-19 in der Schwangerschaft oder im Wochenbett gilt die S3-Leitlinie „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ unter besonderer Berücksichtigung geburtshilflicher Aspekte.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E12

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei stationärer Aufnahme sollen Vitalparameter erhoben werden (Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung). Neben den Vitalparametern soll auch eine Labor- und Urindiagnostik erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E13

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Die initiale Labordiagnostik sollte folgende Parameter umfassen und bedarfsgerecht regelmäßig kontrolliert werden: Differenzialblutbild, CRP, LDH, AST/ALT, Kreatinin, sowie D-Dimere, Prothrombinzeit, aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Fibrinogen und Urindiagnostik (Proteinurie/Albuminurie, Hämaturie, Leukozyturie).

Konsensbasierte Empfehlung 3.E14

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei respiratorischer Insuffizienz oder Verdacht auf Lungenembolie sollen ergänzend bildgebende Verfahren eingesetzt werden. Dies kann den Einsatz von Verfahren mit ionisierenden Strahlen (z. B. Röntgen/CT) notwendig machen.

Konsensbasierte Empfehlung 3.E15

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Messung der Vitalparameter und Sauerstoffsättigung soll erfolgen und die Indikation zur Überführung auf eine Intensivstation regelmäßig überprüft werden. Ziel bei akuter hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz bei COVID-19 ist eine adäquate Oxygenierung sicherzustellen. Es soll eine SpO2 ≥ 94% angestrebt werden.

Ambulante Betreuung mit SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19

Bei zunehmender Symptomatik, subjektiver Verschlechterung oder abnormen Vitalparametern ist die stationäre Überwachung empfohlen. Als Instrument zur objektiven Einschätzung und Handlungsempfehlung kann der Modified Early Obstetric Warning Score „MEOWS“ oder ähnliche Scoring-Systeme der Notfallversorgung hilfreich sein ([Tab. 5]). Publizierte Erfahrungswerte bestehen in Zusammenhang mit COVID-19 nicht.

Tab. 5 Modified Early Obstetric Warning Score (MEOWS), übersetzt aus [41].

MEOW Score

3

2

1

0

1

2

3

MEOWS 0 – 1: normal

MEOWS 2 – 3: stabil, ärztliche Vorstellung am selbigen Tag

MEOWS 4 – 5: instabil, umgehende ärztliche Vorstellung

MEOWS ≥ 6: kritisch, sofortige Notfallversorgung

SpO2 (%)

≤ 85

86 – 89

90 – 95

≥ 96

Atemfrequenz (/min)

< 10

10 – 14

15 – 20

21 – 29

≥ 30

Puls (/min)

< 40

41 – 50

51 – 100

101 – 110

110 – 129

≥ 130

systolischer RR (mmHg)

≤ 70

71 – 80

81 – 100

101 – 139

140 – 149

150 – 159

≥ 160

diastolischer RR (mmHg)

≤ 49

50 – 89

90 – 99

100 – 109

≥ 110

Diurese (ml/h)

0

≤ 20

≤ 35

35 – 200

≥ 200

Neurologie

agitiert

wach

Reaktion auf verbale Stimuli

Reaktion auf Schmerz

keine Reaktion

Temperatur (°C)

≤ 35

35 – 36

36 – 37,4

37,5 – 38,4

≥ 38,5


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3.3  Peripartale Überwachung bei Infektion

Konsensbasierte Empfehlung 3.E16

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei einer SARS-CoV-2-infizierten Schwangeren soll unter der Geburt eine kontinuierliche Überwachung einschließlich der Messung der Sauerstoffsättigung durchgeführt und eine SpO2 ≥ 94% angestrebt werden. Es wird in diesem Zusammenhang explizit auf die Empfehlungen im Kapitel 5 „Geburt“ hingewiesen.

In Bezug auf die peripartale Überwachung der Schwangerschaft wird auch auf die Empfehlung zur Geburt und dem geburtshilflichen Management in Kapitel 5 „Geburt bei COVID-19-/SARS-CoV-2-positiver Frau“ hingewiesen.


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3.4  Betreuung nach einer SARS-CoV-2-Infektion

In Bezug auf die weitere Überwachung der Schwangerschaft nach einer SARS-CoV-2-Infektion siehe Empfehlung 4.3 „Betreuung der Schwangerschaft nach einer SARS-CoV-2-Infektion“.

In Bezug auf Post-COVID wird auf die entsprechende S1-Leitlinie „S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID“ (AWMF-Register Nr. 020/027) verwiesen [42].


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4  Überwachung des Fetus

4.1  Allgemeine Überwachung bei SARS-CoV-2-Infektion

Konsensbasierte Empfehlung 4.E17

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei SARS-CoV-2-Infektion soll das fetale Monitoring die aktuellen nationalen Richtlinien und Leitlinien der Fachgesellschaften zu Ultraschall, Doppler und CTG und biochemischen Analysen berücksichtigen.

Die Überwachung der Schwangerschaft und des Ungeborenen von Müttern mit (akuter) SARS-CoV-2-Infektion folgt den allgemeinen Richtlinien und Leitlinien abhängig von der jeweiligen Schwangerschaftswoche [43], [44], [45], [46], [47], [48]. Die Einrichtung von Infektsprechstunden kann hierbei die Umsetzung in der Arztpraxis erleichtern [49]. Es sollten zudem die jeweils gültigen und dem Standard entsprechenden pränataldiagnostischen Methoden angeboten werden [43], [50], [51], [52], [53], [54], [55], [56], [57]. Bei der Planung von elektiven Untersuchungen ist zu erwägen, diese bis zur Aufhebung der Isolation/Ende der Kontagiosität der Schwangeren zu verschieben. Dies muss vor dem Hintergrund der Risikoeinschätzung gerade in der Zeit der Pandemie, bei der der Zugang zur Gesundheitsversorgung mitunter erschwert sein kann [58], individuell abgewogen werden.


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4.2  Überwachung des Fetus bei COVID-19

Konsensbasierte Empfehlung 4.E18

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine maternale Überwachung bei der schwer an COVID-19 erkrankten Schwangeren ist entscheidend für die Prognose des Fetus. Bei Anzeichen einer maternalen Verschlechterung (drohende Beatmung oder ECMO) soll die Überwachung intensiviert werden. Es soll mit einer akuten respiratorischen Dekompensation gerechnet werden und Maßnahmen zur zeitnahen Entbindung des Ungeborenen sollen diskutiert werden.

Konsensbasiertes Statement 4.S3

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Es besteht keine Evidenz für ein optimales fetales Monitoringregime bei SARS-CoV-2-infizierten Schwangeren. Es besteht keine Evidenz dafür, dass ein intensiviertes fetales Monitoring das fetale Outcome verbessert.

Eine Besonderheit der SARS-CoV-2-Infektion ist die akute pulmonale Dekompensation, die auch bei Schwangeren mit zuvor unauffälligem Schwangerschaftsverlauf beobachtet wurde [59], [60]. Zur fetalen Überwachung in der Lebensfähigkeit sollten CTG-Kontrollen sowie Wachstums-, Doppler- und Fruchtwasserkontrollen zum Ausschluss einer Plazentainsuffizienz mit Entwicklung einer FGR durchgeführt werden [61], [62].


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4.3  Betreuung der Schwangerschaft nach einer SARS-CoV-2-Infektion

Konsensbasierte Empfehlung 4.E19

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei einer Schwangeren, die stationär aufgrund von COVID-19 aufgenommen und/oder behandelt wurde, sollte nach Genesung ein fetales Assessment durchgeführt werden: z. B. fetale Biometrie, fetal arterieller und venöser Doppler, maternaler Doppler (Aa. uterinae), Untersuchung auf infektionsassoziierte erkennbare fetale Schäden, insbesondere zerebrale Zeichen der Hypoxie/des Schlaganfalls/porenzephale Zysten.

Konsensbasierte Empfehlung 4.E20

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

In Abhängigkeit von der Schwangerschaftswoche bei SARS-CoV-2-Infektion sollen individualisierte weitere Untersuchungen in Bezug auf das erhöhte Risiko für die Entwicklung einer Präeklampsie/FGR/Vaskulitis und Frühgeburt erfolgen (z. B. ETS bzw. Feindiagnostik).

Belastbare Daten, in welchen Zeitabständen welches klinische Monitoring erfolgen soll, existieren nicht. Das RCOG empfiehlt für Schwangere, die sich von einer SARS-CoV-2-Infektion mit leichten, mäßigen oder gar keinen Symptomen und ohne Hospitalisierung erholt haben, eine unveränderte Schwangerenvorsorge nach der Zeit der Selbstisolation [63]. Bei schwereren Verläufen birgt die maternale Hypoxie das Risiko der fetalen hypoxischen Schädigung [59], [60]. Daher sollte am Ende einer stationären Behandlung wegen COVID-19 oder nach schwerer maternaler Erkrankung ein fetales Assessment durchgeführt werden, das die klinischen Umstände und Ausprägungen der COVID-19-Situation der Schwangeren berücksichtigt.

Abhängig von der Symptomausprägung der SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 ist das Risiko schwangerschaftsassoziierter Erkrankungen wie eine Präeklampsie [33], [64] – [69] und der Frühgeburt erhöht [15], [68], [69], [70], [71], [72], [73], [74] In verschiedenen Studien wird von einer erhöhten Totgeburtenrate [33], [68], [75] und plazentare Veränderungen wie einer intervillösen Inflammation, fokaler vaskulärer Villiitis und Thromben in fetalen Gefäße [76], [77], [78], [79], [80] berichtet. Allerdings sind diese häufig unspezifischen Veränderungen nicht universell nachweisbar [80], [81].


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5  Geburt bei COVID-19-/SARS-CoV-2-positiver Frau

5.1  Begleitperson unter Geburt

Konsensbasierte Empfehlung 5.E21

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Der auf SARS-CoV-2 negativ (mindestens Antigen-Schnelltest nicht älter als 24 h) getesteten Gebärenden sowie symptomfreien Gebärenden mit noch unklarem Infektionsstatus (z. B. ausstehender PCR-Test) soll eine Begleitperson unter Geburt ermöglicht werden.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E22

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei der auf SARS-CoV-2 positiv getesteten oder COVID-19-symptomatischen Gebärenden ist aus Infektionsschutzgründen unter der Geburt keine Begleitperson zu empfehlen. Ist dies im Individualfall doch notwendig (z. B. bei mangelnder Kommunikationsmöglichkeit mit der Gebärenden) soll die Begleitperson genesen bzw. ausreichend gegen SARS-CoV-2 geimpft sowie SARS-CoV-2 negativ getestet sein. Die Begleitperson soll geeignete Schutzausrüstung erhalten und Schutzmaßnahmen einhalten.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E23

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine anwesende Begleitperson soll asymptomatisch und frei von einer SARS-CoV-2-Infektion sein (mindestens ein negativer SARS-CoV-2-Antigen-Test nicht älter als 24 h vor Betreten des Kreißsaals). Sie soll den Raum der Gebärenden möglichst nicht verlassen und sich an geltende Hygienevorschriften wie beispielsweise das Tragen eines MNS halten.


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5.2  Geburtseinleitung und Überwachung der Geburt

Konsensbasierte Empfehlung 5.E24

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung allein soll keine Entbindungsindikation darstellen.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E25

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Vorliegen relevanter mütterlicher respiratorischer oder allgemeiner Beeinträchtigungen sollte die Indikation für eine Entbindung vor dem Hintergrund des Schwangerschaftsalters sowie dem Schweregrad der mütterlichen Beeinträchtigung regelmäßig überprüft werden. Dies impliziert die Durchführung einer regelmäßigen und engmaschigen klinischen Überwachung von Mutter und Kind einschließlich fetaler Vitalitätskontrollen sowie interdisziplinärer Visiten der beteiligten Disziplinen in der Betreuung von Mutter und Kind.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E26

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Alle bei der Geburt möglicherweise beteiligten Fachdisziplinen und Professionen (ärztlich, pflegerisch, Hebammen, Geburtshilfe, Anästhesie, Pädiatrie etc.) sollen frühzeitig über eine bevorstehende Geburt einer Schwangeren mit SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung informiert werden, um im Notfall entsprechende Schutzmaßnahmen wirksam umsetzen zu können.


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5.3  Geburtsmodus bei SARS-CoV-2

Konsensbasierte Empfehlung 5.E27

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Der Geburtsmodus sollte auch bei bestehender SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung nach geburtshilflichen Kriterien gewählt werden.

Konsensbasiertes Statement 5.S4

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Neben dem maternalen Gesundheitszustand und der angenommenen Infektiosität sind bei der Entscheidung zum Geburtsmodus auch logistische, räumliche und personelle Voraussetzungen in der Klinik zu berücksichtigen.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E28

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei klinischer Verschlechterung des Zustands der Schwangeren während des Spontanentbindungsversuches sollte ein Wechsel des Geburtsmodus erwogen werden.


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5.4  Analgetische Verfahren unter Geburt

Konsensbasierte Empfehlung 5.E29

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung soll bei Wunsch nach Analgesie frühzeitig ein neuraxiales Analgesieverfahren (z. B. eine Epiduralanalgesie) angeboten werden.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E30

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei SARS-CoV-2-Infektion oder COVID-19-Erkrankung sollte der Einsatz von Lachgas (N2O) vor dem Hintergrund einer vermehrten Aerosolbildung zugunsten verfügbarer Alternativen wie zum Beispiel neuraxialer Analgesieverfahren vermieden werden.

Konsensbasierte Empfehlung 5.E31

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Aufgrund der potenziell atemdepressiven Wirkung soll bei Anwendung von Opioiden, im Speziellen Remifentanil, eine kontinuierliche Überwachung SARS-CoV-2-positiver Patientinnen (1 : 1-Betreuung) einschließlich der Sauerstoffsättigung gewährleistet sein und eine SpO2 ≥ 94% angestrebt werden.


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6  Neugeborene: Rooming-in, Stillen und Testen

Konsensbasierte Empfehlung 6.E32

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Ein Rooming-in und Bonding bei einer SARS-CoV-2-positiv getesteten/an COVID-19 erkrankten Mutter sollte unter Einhaltung adäquater Hygienemaßnahmen unterstützt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E33

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Das Stillen soll bei SARS-CoV-2-positiven/an COVID-19 erkrankten Müttern unterstützt werden. Spezielle Hygienemaßnahmen sollten eingehalten werden. Wenn der Gesundheitszustand der Mutter oder des Kindes Stillen nicht zulässt, sollte eine Ernährung mit abgepumpter Muttermilch angestrebt werden.

Konsensbasiertes Statement 6.S5

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Testung der Muttermilch auf SARS-CoV-2-Viren ist nicht erforderlich.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E34

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Ein allgemeines Screening asymptomatischer Neugeborener ohne neonatalogischen Versorgungsbedarf von Müttern mit SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19-Erkrankung soll nicht erfolgen.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E35

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine Testung auf SARS-CoV-2 bei einem Neugeborenen ohne neonatologischen Versorgungsbedarf kann erfolgen z. B. wenn eine Kontagiosität der Mutter anzunehmen ist. Der SARS-CoV-2-Test soll mittels nasopharyngealem RT-PCR-Test durchgeführt werden.

Konsensbasiertes Statement 6.S6

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Wenn ein Test zum Ausschluss einer intrauterinen Transmission erfolgen soll, dann sollte dieser innerhalb von 24 h postnatal durchgeführt werden. Zu berücksichtigen ist, dass aufgrund einer transienten Kontamination durch maternale Sekrete eine Testung unmittelbar nach der Geburt zu falsch positiven Ergebnissen führen kann.

Konsensbasierte Empfehlung 6.E36

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Ein Neugeborenes mit neonatologischem Versorgungsbedarf soll bei mütterlichem peripartalen SARS-CoV-2-Nachweis/Kontagiosität der Mutter, unabhängig von neonatalen und maternalen Symptomen, mittels RT-PCR-Test auf SARS-CoV-2 bei Aufnahme untersucht werden. Im Rahmen des stationären Aufenthaltes auf der neonatologischen Intensiv- oder Peripherstation sollte die PCR-Testung am 3. und 5. Behandlungstag aufgrund der Inkubationszeit von durchschnittlich 4 – 5 Tagen wiederholt werden. Die Isolationsdauer sollte von Fall zu Fall mit dem lokalen Hygieneteam abgestimmt werden.

Eine vertikale Transmission von SARS-CoV-2 kann antenatal, intranatal oder postnatal erfolgen [82]. Intrauterin erscheint die Transmission zu jedem Zeitpunkt der Schwangerschaft möglich [82], [83], [84], wurde jedoch bislang nur in Einzelfallberichten bei schwerer mütterlicher Erkrankung beschrieben [85], [86], [87]. Eine Transmission auf das Neugeborene während der Geburt durch maternale Aerosole oder fäkale Kontamination des Geburtskanals ist bei akuter mütterlicher SARS-CoV-2-Infektion (14 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt, sehr selten auch bei länger zurückliegendem Infektionszeitpunkt) möglich [82], [88], [89], [90].

Die Fachgesellschaften, die diese Empfehlungen abgestimmt haben, befürworten ausdrücklich sowohl den unmittelbaren Mutter-Kind-Kontakt sowie das Stillen unter adäquaten Hygienemaßnahmen [3], [91], [92], [93], [94], [95]. [Tab. 6] fasst diese zusammen.

Tab. 6 Hygienemaßnahmen.

Hygienemaßnahmen beim Rooming-in/Stillen für SARS-CoV-2-positive Mütter

  • Tragen eines MNS bei engem Kontakt (Bonding, Stillen)

  • Schleimhautkontakt vermeiden: z. B. kein Küssen

  • Händehygiene (Desinfektion oder Waschen mit Seife für mind. 20 s) vor dem Kontakt mit dem Neugeborenen

  • Brusthygiene vor dem Stillen

  • 1,5 Meter Abstand bei gemeinsamer Unterbringung in einem Zimmer (z. B. zwischen Zustellbett des Neugeborenen und dem Bett der Mutter) ODER mobile Trennwand

  • beim Abpumpen:

    • Pasteurisieren der Milch nicht notwendig

    • Verabreichen der Milch falls möglich durch SARS-CoV-2-negative (Begleit-)Person

    • Der Mutter sollte eine eigene Milchpumpe zugeordnet werden.

Eine generelle Testung aller Neugeborenen SARS-CoV-2-positiver Mütter bringt keinen gesicherten Benefit [96], [97]. Neonatale SARS-CoV-2-Infektionen verlaufen fast ausschließlich unproblematisch [86], [93], [98] und häufig (nach einer Metaanalyse mit 176 Neugeborenen zu 45%) asymptomatisch [86]. Eine SARS-CoV-2-Testung kann aber beispielsweise aus epidemiologischen Gesichtspunkten erfolgen oder um Isolationsmaßnahmen aufzuheben. Analog zu Erwachsenen oder Kindern ist hierzu ein am Respirationstrakt (nasopharyngeal, oropharyngeal, nasal) durchgeführter Abstrich für einen RT-PCR-Test geeignet [91], [95], [98]. Es gibt keine weiteren spezifischen Laborparameter für eine SARS-CoV-2-Infektion. Leukopenie, Lymphozytopenie und Thrombozytopenie wurden beobachtet, ebenso wie eine Transaminasenerhöhung; CRP und Procalcitonin sind beim Neugeborenen in der Regel normwertig [99]. Bei neonatalen Symptomen sind Differenzialdiagnosen zu erwägen und ggf. abzuklären [95].

Ein im März 2020 in Zusammenarbeit von DGPI, DGPM und DGGG publizierter möglicher Versorgungsalgorithmus der Neugeborenen von akut SARS-CoV-2-positiv getesteten Müttern hat sich im Verlauf der Pandemie bewährt und ist in [Abb. 1] dargestellt [91].

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Abb. 1 Möglicher Versorgungsalgorithmus Neugeborener akut SARS-CoV-2-positiv getesteter Mütter in Abhängigkeit vom Erkrankungsstatus der Mutter und des Kindes. [rerif]

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7  Thromboseprophylaxe

Konsensbasierte Empfehlung 7.E37

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Zur Indikation der VTE-Prophylaxe in der Schwangerschaft/im Wochenbett bei SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 sollen folgende Parameter berücksichtigt werden:

  1. Dynamik der Krankheitssymptomatik (asymptomatisch, mild, schwer)

  2. Betreuungssituation (ambulant vs. hospitalisiert)

  3. Individuelles VTE-Risiko (vorbestehende/erworbene Faktoren)

Konsensbasierte Empfehlung 7.E38

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

In der ambulanten Betreuungssituation sollen Schwangere mit asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektion ohne weitere VTE-Risikofaktoren keine Antikoagulation erhalten.

Konsensbasiertes Statement 7.S7

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Literatur: [63], [100]

Für die ambulante Betreuung kann zusätzlich zu den oben genannten Empfehlungen zur individuellen VTE-Risikobewertung ein Punktesystem herangezogen werden (z. B. Langversion der Leitlinie 015/092 auf der Webseite der AWMF oder Green Top Guideline 37a). Hier bildet sich eine SARS-CoV-2-Infektion im Punkt „systemische Infektion“ ab, wenn auch zum Zeitpunkt der Erstellung der Punktesysteme eine SARS-CoV-2-Infektion noch nicht antizipierbar war.

Konsensbasierte Empfehlung 7.E39

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Alle Schwangeren mit SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 sollen bei Hospitalisierung und über die Dauer des symptomatischen Verlaufs in Abwesenheit von Kontraindikationen eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe erhalten.

Konsensbasierte Empfehlung 7.E40

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Wenn die Indikation zur Thromboembolieprophylaxe gestellt wurde, soll diese mit niedermolekularem Heparin (NMH) durchgeführt werden.

In der intensivmedizinischen Behandlungssituation kann auf unfraktioniertes Heparin zurückgegriffen werden.

Thrombozytenaggregationshemmer sollten nicht zur Thromboembolieprophylaxe eingesetzt werden.

Konsensbasierte Empfehlung 7.E41

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Eine aufgrund von COVID-19 indizierte Thromboseprophylaxe sollte bis Symptomende weitergeführt werden.

Konsensbasiertes Statement 7.S8

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Für die Fortführung einer Thromboseprophylaxe wegen COVID-19 allein über den symptomatischen Zeitraum hinaus besteht keine Evidenz.

Unabhängig von einer SARS-CoV-2-Infektion ist das Risiko venöser Thromboembolien (VTE) in einer Schwangerschaft erhöht, steigt mit zunehmenden Schwangerschaftsalter an und erreicht in den ersten 2 Wochen nach der Geburt seinen Höhepunkt. Im Vergleich zu nicht schwangeren Frauen ist das Risiko im 1. und 2. Trimenon um mehr als das 2-Fache, im 3. Trimenon um das 9-Fache und in den ersten 2 bis 6 Wochen nach Entbindung um das 60- bis 80-Fache erhöht [101], [102].

Schwangerschaftsunabhängig kann es besonders bei schweren Verläufen von COVID-19 zur Entwicklung systemischer Mikroangiopathien und Thromboembolien kommen [103], [104]. Direkte Daten zum Risiko venöser Thromboembolien mit SARS-CoV-2/COVID-19 in der Geburtshilfe sind begrenzt, deuten aber auf ein zusätzlich erhöhtes Risiko bei infizierten Schwangeren im Vergleich zu nicht infizierten Schwangeren hin (0,2 vs. 0,1%; aOR 3,4, 95%-KI 2,0 – 5,8) [105], [106], [107], [108].

Die Indikation zur VTE-Prophylaxe in der Schwangerschaft/Wochenbett bei SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 ist kumulativ begründet durch 3 Parameter:

  • Dynamik der Krankheitssymptomatik: asymptomatisch, mild, moderat, schwer, kritisch

  • Betreuungssituation: ambulant oder hospitalisiert

  • individuelles VTE-Risiko: vorbestehende und erworbene Risikofaktoren

Die Entscheidung über die Fortsetzung der VTE-Prophylaxe bei Schwangeren oder postpartalen Patientinnen bei Entlassung soll individuell getroffen werden, unter Berücksichtigung zusätzlich vorhandener VTE-Risikofaktoren und dem geburtshilflichen Verlauf. COVID-19 als transienten Risikofaktor annehmend, erscheint eine Fortsetzung der medikamentösen VTE-Prophylaxe über den Zeitraum bestehender COVID-Symptomatik sinnvoll.

In Bezug auf die Entscheidung zur Antikoagulation im stationären Setting sei auch auf die AWMF-Leitlinie „S3-Leitlinie – Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ verwiesen [2].

Die Empfehlungen zur VTE-Prophylaxe in Abhängigkeit der individuellen Betreuungssituation unter Berücksichtigung spezifischer Risikofaktoren zu den jeweiligen geburtshilflichen Zeitpunkten sind in [Abb. 2] zusammengefasst [3].

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Abb. 2 Empfehlung zur VTE-Prophylaxe bei SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 in Schwangerschaft und Wochenbett in Abhängigkeit der Situation, Symptomatik und individueller Risikofaktoren (aus [3]). [rerif]

Ein detailliertes schematisches Scoring-System zur Entscheidung über die Gabe einer Antikoagulation bei Schwangeren und Wöchnerinnen wurde durch das Royal College of Obstetrics and Gynaecology in der Green Top Guideline 37a veröffentlicht [100]. Hier bildet sich eine SARS-CoV-2-Infektion als transienter Risikofaktor im Punkt „systemische Infektion“ ab, wenn auch zum Zeitpunkt der Erstellung der Punktesysteme eine SARS-CoV-2-Infektion noch nicht antizipierbar war. Eine Darstellung der Scoring-Systeme kann in der Langfassung der Leitlinie eingesehen werden.


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8  Medikamentöse Therapie bei SARS-CoV-2-Infektion

8.1  Kortikosteroide in der Anwendung bei SARS-CoV-2-Infektion

8.1.1  Systemische antenatale Kortikosteroidgabe aus fetaler Indikation

Konsensbasierte Empfehlung 8.E42

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

SARS-CoV-2-infizierte Schwangere sollen bei klinischer Verschlechterung (z. B. drohende Intubation/ECMO) zwischen 23 + 5 und 34 + 0 SSW eine antenatale Steroidgabe aus fetaler Indikation erhalten (2 × 12 mg Betamethason Celestan intramuskulär (i. m.) im Abstand von 24 h), alternativ kann diese auch mit Dexamethason (i. m.) 4 × 6 mg alle 12 h erfolgen.

Die Frage, ob Betamethason bezüglich COVID-19 dem Dexamethason äquivalent ist, kann derzeit nicht beantwortet werden.


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8.1.2  Systemische Kortikosteroidapplikation zur Behandlung von COVID-19

Konsensbasierte Empfehlung 8.E43

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Bei Indikationsstellung zu einer Kortikosteroidtherapie der Mutter aufgrund der maternalen COVID-19-Symptomatik soll gleichzeitig die Indikation zur antenatalen Steroidgabe aus fetaler Indikation geprüft werden.

Konsensbasierte Empfehlung 8.E44

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Für SARS-CoV-2-infizierte Schwangere sollen die identischen Indikationen zur Gabe von Kortikosteroiden analog zu Nichtschwangeren zur Anwendung kommen.

Konsensbasierte Empfehlung 8.E45

Expertenkonsens

Konsensusstärke +++

Werden bei SARS-CoV-2-infizierten Schwangeren Kortikosteroide im Rahmen der AWMF S3 LL113-001 verabreicht, soll erwogen werden, Dexamethason durch Prednisolon oder Hydrocortison zu ersetzen, da diese weniger plazentagängig sind und geringere Nebenwirkungen am Fetus aufweisen (6 mg Dexamethason/24 h oral/i. v. ≙ 40 mg Prednisolon/24 h oral ≙ 2 × 80 mg Hydrocortison/24 h i. v.)


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8.1.3  Inhalative Kortikosteroide

Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e. V. empfiehlt in der S2e-Leitlinie „SARS-CoV-2/Covid-19 Informationen und Praxishilfen für niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte“, „Patientinnen und Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und Risiko für einen schweren Verlauf kann eine Budesonid-Inhalation (2 × 800 µg/d für 7 – 14 Tage) zur Senkung dieses Risikos angeboten werden (Off-Label-Therapie)“ [1].


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8.2  Antivirale bzw. COVID-19-spezifische Medikamente

In Bezug auf Therapieschemata und medikamentöse Behandlungsoptionen wird auf die S3-Leitlinie AWMF-Register-Nr. 113/001 „Empfehlungen zur stationären Therapie von Patienten mit COVID-19“ [2] sowie auf die Stellungnahmen „Antivirale Arzneimittel zur Therapie von COVID-19“ [109] und „COVID-19 Präexpositionsprophylaxe“ [110] der Kommission „Nutzenbewertung von Arzneimitteln“ verwiesen. Die Empfehlungen sind der RCOG Guideline „Coronavirus (COVID-19) Infection in Pregnancy“ [63] sowie der „Therapeutics and COVID-19: living guideline“ der WHO [111] entliehen und werden in [Tab. 7] zusammengefasst.

Tab. 7 COVID-19-spezifische Medikamente in der Schwangerschaft.

COVID-19-spezifisches Medikament

Datenlage/Empfehlung zur Verwendung

Sotrovimab, Casirivimab/Imdevimab, Tixagevimab/Cilgavimab (neutralisierende monoklonale Antikörper)

Keine Assoziation mit erhöhtem Risiko für ungünstigen Schwangerschaftsausgang. Limitierte Datenlage, daher keine abschließende Bewertung zulässig [63], [111], [112], [113], [114], [115], [116], [117].

Remdesivir (Virostatikum)

Empfehlung zur Vermeidung in der Schwangerschaft durch die WHO und RCOG. Gabe des Medikaments kann jedoch aufgrund geringer Raten von Adverse Events klinischer Verschlechterung erwogen werden [63], [111], [118], [119].

Tocilizumab (Interleukin-6-Rezeptor-Antagonist)

Begrenzte Datenlage. Keine Hinweise auf teratogene oder fetotoxische Eigenschaften [63], [111], [120], [121], [122], [123].

Molnupiravir (Virostatikum)

Sollte nicht verabreicht werden [111].

Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid, Proteaseinhibitoren)

Keine Daten zur Anwendung in der Schwangerschaft. Nur bei eindeutig potenziellem Nutzen verwendbar [124], [125].


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9  Impfen in der Schwangerschaft

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt allen ungeimpften Personen im gebärfähigen Alter dringend die Impfung gegen COVID-19, sodass ein optimaler Schutz vor dieser Erkrankung bereits vor Eintritt einer Schwangerschaft besteht. Noch ungeimpften Schwangeren wird die Impfung mit 2 Dosen eines COVID-19-mRNA-Impfstoffs im Abstand von 3 – 6 Wochen (Comirnaty) ab dem 2. Trimenon empfohlen. Wenn die Schwangerschaft nach bereits erfolgter Erstimpfung festgestellt wurde, sollte die Zweitimpfung erst ab dem 2. Trimenon durchgeführt werden. Darüber hinaus empfiehlt die STIKO ungeimpften Stillenden die Impfung mit 2 Dosen eines mRNA-Impfstoffs im Abstand von 3 – 6 Wochen (Comirnaty) (Stand 16.09.2021). Ebenso gelten die Empfehlungen zu Booster-Impfungen für Schwangere (Stand 15.02.2022) [126], [127]. Es wird in diesem Zusammenhang auf die sehr ausführliche „Begründung der STIKO zur Impfung gegen COVID-19 von Schwangeren und Stillenden“ verwiesen [128].

Die Leitliniengruppe schließt sich dieser Empfehlung der STIKO an.


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Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Ulrich Pecks
Leiter der Geburtshilfe
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel
Germany   

Publication History

Received: 08 December 2022

Accepted: 14 December 2022

Article published online:
09 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Possible care algorithm for neonates born to mother who have tested positive for acute SARS-CoV-2 according to the extent of disease of mother and child. [rerif]
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Abb. 2 Recommendations on VTE prophylaxis for pregnant women/women who have recently given birth with SARS-CoV-2 infection/COVID-19 based on the situation, symptoms and individual risk factors (from [3]). [rerif]
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Abb. 1 Möglicher Versorgungsalgorithmus Neugeborener akut SARS-CoV-2-positiv getesteter Mütter in Abhängigkeit vom Erkrankungsstatus der Mutter und des Kindes. [rerif]
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Abb. 2 Empfehlung zur VTE-Prophylaxe bei SARS-CoV-2-Infektion/COVID-19 in Schwangerschaft und Wochenbett in Abhängigkeit der Situation, Symptomatik und individueller Risikofaktoren (aus [3]). [rerif]
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