Gesundheitswesen 2023; 85(S 02): S99-S100
DOI: 10.1055/a-2010-8119
Kurzmitteilung

Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Bisherige Entwicklungen und zukünftige Schritte

Peter Ihle
1   PMV forschungsgruppe an der Medizinischen Fakultät und Uniklinik Köln, Universität zu Köln, Köln
,
Katharina Schneider
2   Forschungsdatenzentrum Gesundheit, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn
,
Steffen Heß
2   Forschungsdatenzentrum Gesundheit, Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Bonn
› Author Affiliations
 

Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung sind inzwischen ein fester Bestandteil in der medizinischen Forschung geworden und werden zukünftig im Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit einem breiten Nutzerkreis bereitgestellt [1]. In einem jüngst erschienenen Buchbeitrag „Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Gesundheits- und Versorgungsforschung“ [2] wird die Erfolgsstory dieser Datenquelle und deren Nutzbarmachung historisch nachgezeichnet. Der nachfolgende Beitrag fasst die wichtigsten Ergebnisse der Publikation zusammen.


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Daten sind dringend erforderlich als Grundlage für evidenzbasierte Entscheidungen. Dieses Credo wurde nicht zuletzt durch die Corona-Epidemie bestätigt (beispielsweise in [3]). Eine solide Datenbasis benötigt jedoch aufwändige Vorarbeiten, um den vielfältigen Erwartungen eines breiten Nutzerkreises u. a. aus Forschung und Politik gerecht zu werden. Dies gilt insbesondere für die Daten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die als Abrechnungsdaten das Versorgungsgeschehen nahezu lückenlos abbilden und sektorübergreifend die Daten von allen Leistungserbringern und somit auch die Schnittstellen der Versorgung enthalten (zu den Vor- und Nachteilen siehe ausführlich in [4]). Nicht zuletzt deshalb werden GKV-Routinedaten regelmäßig in Innovationsprojekten des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beispielsweise auch zur Evaluation neuer Versorgungsformen genutzt.

Erste Versuche zur Sekundärnutzung dieser Abrechnungsdaten starteten in den 1980er Jahren [5], gefolgt von der Implementierung kleiner regionaler Stichproben aus Krankenkassenpopulationen [6] [7], die sich auch methodischen Herausforderungen sowie datenschutzrechtlichen Anforderungen stellen mussten. 1999 wurde in einem Auftragsgutachten des Statistischen Bundesamtes eine „Stichprobe aus der Gesetzlichen Krankenversicherung“ vorgeschlagen [8], deren methodische Umsetzung zunächst nur auf regionaler Ebene erfolgte [9]. Erst ab 2014 wurden in der so genannten Datenaufbereitungsstelle des ehemaligen Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) bundesweite Daten aller GKV-Versicherten für die Forschung auf Antrag bereitgestellt. Die Daten waren allerdings hinsichtlich Umfang und Vollständigkeit eingeschränkt und standen konzeptionsbedingt nur mit einem Zeitverzug von vier Jahren zur Verfügung. In diesem Zusammenhang wurde auch ein Datengutachten zu den grundsätzlichen Nutzungsmöglichkeiten erstellt [10]. Auf Basis der Erfahrungen und als konsequente Fortentwicklung der Datenaufbereitungsstelle wurde im Rahmen des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) [11] der Grundstein für ein leistungsfähigeres FDZ Gesundheit gelegt [12].

Ziel ist, „Abrechnungsdaten der Gesetzlichen Krankenkassen deutlich schneller und in einem größeren Umfang als bisher u. a. der Versorgungsforschung zugänglich zu machen“ [12]. Dabei soll der Prozess deutlich transparenter, planbarer und forschungsorientierter werden. Gleichzeitig wird der Datenschutz beispielsweise durch die Vertrauensstelle am Robert Koch-Institut (§303c SGB V [11]) sowie die Einschränkung der Nutzungsberechtigten und -zwecke (§303e SGB V [11]) auf hohem Niveau gehalten. Im Sinne der Nutzbarkeit werden ein digitales Antragsverfahren und neue Formen der Datenbereitstellung etabliert, die ein notwendiges iteratives Vorgehen im Analyseprozess ermöglichen. Es werden pseudonymisierte Gesundheitsdaten von über 73 Millionen gesetzlich Versicherten und – gegenüber dem Vorgänger am DIMDI – eine deutlich größere Breite an Variablen im FDZ Gesundheit vorhanden sein [13]. Zudem werden die GKV-Routinedaten in Zukunft durch Daten der elektronischen Patientenakte ergänzt, die die Versicherten freiwillig für die Forschung zur Verfügung stellen können (§363 SGB V [11]). Dies wird ganz neue Chancen für medizinisch-wissenschaftliche Auswertungen bieten. Mit Blick in die Zukunft engagiert sich das FDZ Gesundheit auch in Projekten zum Aufbau des European Health Data Space, der durch Vernetzung der europäischen Datenquellen die Möglichkeiten für die Forschung erheblich verbessern soll [14] [15].


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Forschungsdatenzentrum Gesundheit. Im Internet: https://www.forschungsdatenzentrum-gesundheit.de/; Stand: 02.01.2023
  • 2 Ihle P, Schneider K, Heß S. Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Gesundheits- und Versorgungsforschung. In: Repschläger U, Schulte C, Osterkamp N, Hrsg. Gesundheitswesen aktuell. BARMER Institut für Gesundheitsforschung Berlin. 2022: 32-47
  • 3 Jacob J, Walker J, Swart E et al. Potentiale von und Empfehlungen zur Nutzung von GKV Routinedaten in einer pandemischen Versorgungslage – Erfahrungen aus dem Projekt egePan-Unimed des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). Gesundheitswesen 2022 (efirst). 10.1055/a-1915-4526
  • 4 Swart E, Ihle P, Gothe H. Matusiewicz D, Hrsg. Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven. 2. vollständig überarbeitete Aufl. Bern: Huber; 2014
  • 5 Schwefel D, John J, Potthoff P, van Eimeren W. Diagnosenstruktur in der ambulanten Versorgung. Explorative Auswertungen. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag; 1987
  • 6 von Ferber L. Häufigkeit und Verteilung von Erkrankungen und ihre ärztliche Behandlung. Köln, Leipzig: ISAB-Verlag; 1994
  • 7 Krappweis J, Rentsch A, Schwarz U. et al. Arzneimittelanwendungsforschung in Dresden. In: Public-Health Forschungsverbünde in der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V., Hrsg. Public-Health-Forschung in Deutschland. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Huber; 1999: 301-308
  • 8 Ihle P, Köster I, Schubert I. et al. GKV-Versichertenstichprobe. Wirtschaft und Statistik 1999; 9: 742-749
  • 9 Ihle P, Köster I, Herholz H. et al. Versichertenstichprobe AOK Hessen/KV Hessen – Konzeption und Umsetzung einer personenbezogenen Datenbasis aus der Gesetzlichen Krankenversicherung. Gesundheitswesen 2005; 67: 638-645
  • 10 Schubert I, Ihle P, Köster I et al. Datengutachten für das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) Gutachten: Daten für die Versorgungsforschung. Zugang und Nutzungsmöglichkeiten (2014). Im Internet: https://e-health-com.de/fileadmin/user_upload/dateien/Downloads/dimdi-sekundaerdaten-expertise.pdf; Stand: 02.01.2023
  • 11 Sozialgesetzbuch (SGB V). Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988. In: Bundesgesetzblatt I. S. 2477–2482), zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 28. Juni 2022 (Bundesgesetzblatt I, S. 969) geändert
  • 12 Verordnung zur Neufassung der Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung (2020). Im Internet: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/vo-datentransparenzverordnung.html#:~:text=Dezember%202019%20in%20Kraft%20getreten,der%20Versorgungsforschung%20zug%C3%A4nglich%20zu%20machen; Stand: 02.01.2023
  • 13 Broich K, Heß S, Schneider K. Verbesserung der medizinischen Versorgung durch Nutzung von Real-World-Daten – Das Forschungsdatenzentrum beim BfArM. In: Leyck Dieken M, Hrsg. Nationale Arena für digitale Medizin – Wandel. Werte. Wege. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2021: 235-242
  • 14 TEHDAS. Joint Action Towards the European Health Data Space – TEHDAS. Im Internet: https://tehdas.eu/; Stand: 02.01.2023
  • 15 European Health Data Space - EHDS HealthData@EU Pilot. Im Internet: https://www.ehds2pilot.eu/; Stand: 02.01.2023

Korrespondenzadresse

Dr. med. Peter Ihle
PMV forschungsgruppe
Herderstraße 52
50931 Köln

Publication History

Article published online:
20 March 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Forschungsdatenzentrum Gesundheit. Im Internet: https://www.forschungsdatenzentrum-gesundheit.de/; Stand: 02.01.2023
  • 2 Ihle P, Schneider K, Heß S. Das Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Gesundheits- und Versorgungsforschung. In: Repschläger U, Schulte C, Osterkamp N, Hrsg. Gesundheitswesen aktuell. BARMER Institut für Gesundheitsforschung Berlin. 2022: 32-47
  • 3 Jacob J, Walker J, Swart E et al. Potentiale von und Empfehlungen zur Nutzung von GKV Routinedaten in einer pandemischen Versorgungslage – Erfahrungen aus dem Projekt egePan-Unimed des Netzwerk Universitätsmedizin (NUM). Gesundheitswesen 2022 (efirst). 10.1055/a-1915-4526
  • 4 Swart E, Ihle P, Gothe H. Matusiewicz D, Hrsg. Handbuch Sekundärdatenanalyse: Grundlagen, Methoden und Perspektiven. 2. vollständig überarbeitete Aufl. Bern: Huber; 2014
  • 5 Schwefel D, John J, Potthoff P, van Eimeren W. Diagnosenstruktur in der ambulanten Versorgung. Explorative Auswertungen. Berlin, Heidelberg: Springer Verlag; 1987
  • 6 von Ferber L. Häufigkeit und Verteilung von Erkrankungen und ihre ärztliche Behandlung. Köln, Leipzig: ISAB-Verlag; 1994
  • 7 Krappweis J, Rentsch A, Schwarz U. et al. Arzneimittelanwendungsforschung in Dresden. In: Public-Health Forschungsverbünde in der Deutschen Gesellschaft für Public Health e.V., Hrsg. Public-Health-Forschung in Deutschland. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle: Huber; 1999: 301-308
  • 8 Ihle P, Köster I, Schubert I. et al. GKV-Versichertenstichprobe. Wirtschaft und Statistik 1999; 9: 742-749
  • 9 Ihle P, Köster I, Herholz H. et al. Versichertenstichprobe AOK Hessen/KV Hessen – Konzeption und Umsetzung einer personenbezogenen Datenbasis aus der Gesetzlichen Krankenversicherung. Gesundheitswesen 2005; 67: 638-645
  • 10 Schubert I, Ihle P, Köster I et al. Datengutachten für das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) Gutachten: Daten für die Versorgungsforschung. Zugang und Nutzungsmöglichkeiten (2014). Im Internet: https://e-health-com.de/fileadmin/user_upload/dateien/Downloads/dimdi-sekundaerdaten-expertise.pdf; Stand: 02.01.2023
  • 11 Sozialgesetzbuch (SGB V). Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 1988. In: Bundesgesetzblatt I. S. 2477–2482), zuletzt durch Artikel 8 des Gesetzes vom 28. Juni 2022 (Bundesgesetzblatt I, S. 969) geändert
  • 12 Verordnung zur Neufassung der Datentransparenzverordnung und zur Änderung der Datentransparenz-Gebührenverordnung (2020). Im Internet: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/gesetze-und-verordnungen/guv-19-lp/vo-datentransparenzverordnung.html#:~:text=Dezember%202019%20in%20Kraft%20getreten,der%20Versorgungsforschung%20zug%C3%A4nglich%20zu%20machen; Stand: 02.01.2023
  • 13 Broich K, Heß S, Schneider K. Verbesserung der medizinischen Versorgung durch Nutzung von Real-World-Daten – Das Forschungsdatenzentrum beim BfArM. In: Leyck Dieken M, Hrsg. Nationale Arena für digitale Medizin – Wandel. Werte. Wege. Berlin: Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2021: 235-242
  • 14 TEHDAS. Joint Action Towards the European Health Data Space – TEHDAS. Im Internet: https://tehdas.eu/; Stand: 02.01.2023
  • 15 European Health Data Space - EHDS HealthData@EU Pilot. Im Internet: https://www.ehds2pilot.eu/; Stand: 02.01.2023