Key words
SARS-CoV-2 - Interventional Radiology - Germany - COVID-19
Einleitung
Das Severe Acute Respiratory Syndrome Corona Virus 2 (SARS-CoV-2) hat das gesellschaftliche Leben, aber auch die gesundheitspolitischen Strukturen weltweit vor große Herausforderungen gestellt. Seit Beginn der ersten Infektionswelle in Deutschland im März 2020 unterliegen sowohl das öffentliche Leben als auch der Alltag in medizinischen Einrichtungen mehr oder minder starken gesetzlichen Reglementierungen, um die unkontrollierte Verbreitung des Virus einzudämmen und einer Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen [1]. Auch nach über 2 Jahren der Pandemie wird der klinische Alltag durch die dynamische Infektionslage beeinflusst.
Die Radiologie ist als Querschnittsdisziplin mit ihren diagnostischen und interventionellen Verfahren bei der Versorgung nahezu sämtlicher Krankheitsbilder zentral beteiligt. Die Interventionelle Radiologie (IR) hat sich dabei aufgrund technischer und medizinischer Fortschritte zu einem integralen Bestandteil der modernen Medizin etabliert. Besonders hervorzuheben sind hier die Gefäßmedizin und die Interventionelle Onkologie. Angesichts ihrer minimalen Invasivität und hohen Effizienz ist die IR in der klinischen Patientenversorgung nicht mehr wegzudenken. Die COVID-19 (coronavirus disease 2019)-Pandemie erforderte wie in allen Fachdisziplinen so auch in radiologisch-interventionell tätigen Einrichtungen einen Umstrukturierungsprozess, um sowohl dem Behandlungsbedarf von COVID-19-Erkrankten als auch von COVID-negativen Patienten weiterhin gerecht zu werden [2]
[3]
[4]
[5]. Wenngleich erste Analysen erfreulicherweise eine Aufrechterhaltung notfälliger Akutinterventionen belegen [6], so ist die weitere Entwicklung des breiten Leistungsspektrums notfälliger als auch elektiver minimal-invasiver interventioneller Eingriffe in der pandemischen Nachfolgezeit in Deutschland im Gegensatz zur bildgebenden radiologischen Diagnostik [7]
[8] nicht untersucht. Ziel dieser Studie war es daher, den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die IR zu evaluieren.
Material und Methoden
Datenakquisition
Unsere retrospektive Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit den Lenkungsgruppen Software und Wissenschaft und Forschung der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie (DeGIR). Der Analyse liegen die im Qualitätsregister (DeGIR-QS-Register) dokumentierten Interventionszahlen zugrunde. Das Register führt seit seiner Digitalisierung im Jahre 1994 und der zentralen serverbasierten Datenerfassung im Jahr 2005 u. a. deutschlandweit durchgeführte radiologisch-interventionelle Prozeduren und deren Ergebnisqualität aus derzeit > 300 teilnehmenden Einrichtungen. Untersucht wurden die aggregierten Daten sämtlicher bundesweit dokumentierter radiologischer Interventionen aus den Gesamtjahren 2019 bis 2021. Hierbei war nicht der Tag der Eingabe, sondern das dokumentierte Datum der erbrachten Leistung maßgeblich. Um eine Verzerrung durch unregelmäßige Eingaben auszugleichen, wurden nur Kliniken eingeschlossen, die in den Jahren 2019 bis 2021 durchgängig aktiv waren (n = 263). Interventionsarten, die 2019 weniger als 5-mal auftraten, wurden ausgeschlossen. Für die zeitliche Granularität wurden Wochenintervalle gemäß ISO 8601 gewählt (Woche, W). Die Interventionszahlen während der Pandemie wurden sowohl mit demselben präpandemischen Kotrollzeitraum verglichen als auch in ihrem longitudinalen Verlauf untersucht mit besonderem Fokus auf zeitliche Perioden unterschiedlich schweren Infektionsgeschehens (s. u.). Ergänzend erfolgte eine Korrelation des Interventionsvolumens mit den vom Robert Koch Institut veröffentlichten Hospitalisierungsinzidenzen von COVID-19-Fällen als Surrogat für den pandemischen Druck auf das Gesundheitswesen [9]. Für die grafische Darstellung wurden die Daten geglättet.
Pandemiespezifische Phaseneinteilung
Basierend auf dem bundesweiten epidemiologischen Infektionsgeschehen und den hiervon abhängigen Infektionsschutzmaßnahmen auf Bundesebene, wurden folgende pandemiespezifische Zeiträume definiert:
-
Anfangsphase (AP): KW 1–11 2020, erste sporadische Infektionen, Meldepflicht und Absage von Großveranstaltungen
-
1. Pandemiewelle (1 W): W 12–16 2020, bundesweiter „harter Lockdown“ mit umfassenden Kontaktbeschränkungen, weitgehender Stilllegung des öffentlichen Lebens und weitreichenden staatlichen Reglementierungen für medizinische Einrichtungen, um Behandlungs- und Intensivkapazitäten für potenzielle COVID-19-Erkrankte vorzuhalten
-
Entspannungsphase (EP): KW 17–23 2020, sukzessive Lockerung der Kontaktbeschränkungen und Geschäftsöffnungen, erste Wiederaufnahme an elektiven Eingriffen
-
Stabilisierungsphase (SP): KW 24–43 2020, weitgehende Aufhebung der oben genannten Beschränkungen
-
2. Pandemiewelle (2 W): W 44 2020 – W 9 2021: bundesweit verschärfte Restriktionen und erneuter „harter“ Lockdown mit zur 1. Infektionswelle vergleichbaren Einschränkungen, Beginn der Impfungen
-
3. Pandemiewelle (3 W): W 16–26 2021: „Bundesnotbremse“, bundesweit variable Einschränkungen im öffentlich Leben in Abhängigkeit von der kommunalen 7-Tage-Inzidenz an SARS-CoV-2-positiven Fällen, kurzfristige regionale Auslastung der Intensivkapazitäten mit staatlich genehmigter Wiederaufnahme des regulären Klinikbetriebes Ende Mai
-
4. Pandemiewelle (4 W): W 40-Jahresende 2021: Erneute Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes mit öffentlichen Einschränkungen in Abhängigkeit von der kommunalen Hospitalisierungsinzidenz
Statistische Auswertung
Die statistische Analyse erfolgte mittels GraphPad Prism 9 (GraphPad Software Inc., San Diego, USA) und R (R Core Team (2022). R: A language and environment for statistical computing. R Foundation for Statistical Computing, Vienna, Austria. URL https://www.R-project.org/). Die multizentrischen Daten wurden auf die einzelnen Isowochen aggregiert. Phasenspezifische Unterschiede zwischen den Pandemiejahren und dem korrespondierenden Kontrollzeitraum wurden nach Ausschluss einer Gaußschen Normalverteilung mittels Mann-Whitney-Test auf statistische Signifikanz geprüft. Statistische Unterschiede der Absolutzahlen der Gesamtjahre 2019–2021 wurden mittels Poisson-Test ermittelt. Die Korrelation zwischen dem Interventionsvolumen und der Hospitalisierungsinzidenz erfolgte mittels Spearman-Test. Eine Fehlerwahrscheinlichkeit von p < 0,05 wurde als statistisch signifikant angenommen.
Ergebnisse
Gesamtuntersuchungsvolumen
Die Interventionszahlen im Pandemiejahr 2020 beliefen sich auf insgesamt 190 454 und lagen mit 4 % über dem Interventionsvolumen des Vorjahres (2019: n = 183 123, p < 0,001). Die Anzahl an Interventionen blieb bis Ende 2021 mit 189 447 vergleichbar zu 2020 auf stabil hohem Niveau. Der Leistungsumfang unterlag dabei phasenspezifischen Schwankungen. Während der 1 W in Deutschland wurden 13 744 Interventionen durchgeführt, was einer Reduktion um 26 % (2019: n = 18 543, p < 0,05) verglichen mit dem Vorjahreszeitraum entspricht ([Tab. 1] und [Abb. 1]). Der NADIR war Mitte April (W 16) nachweisbar und betrug 2334 Eingriffe/Woche (2019: n = 3709). Mit Ende der 1 W stiegen die Untersuchungszahlen kontinuierlich an und erreichten bis zur 2. Jahreshälfte ein zum Vorjahr vergleichbares Niveau (EP: 97 % am Interventionsvolumen 2019, durchschnittliche Eingriffe/Woche n = 3473 bzw. 3369), welches in der SP das des Vorjahreszeitraumes nochmals um 14 % übertraf (n = 77 151 vs. 67 852, p < 0.001; durchschnittliche Eingriffe/Woche n = 3393 bzw. 3858). Im Gegensatz zur 1 W war das Leistungsvolumen während der 2 W mit dem der Kontrollperiode vergleichbar (2019/20: n = 65 657 vs. 2020/21 65 900). Auch in den beiden nachfolgenden Pandemiewellen 2021 blieb das Interventionsvolumen stabil, wobei die Anzahl von Eingriffen gegenüber dem Kontrollzeitraum numerisch erhöht war (W3: n = 37 275 vs. 40 390, durchschnittliche Eingriffe/Woche n = 3389 bzw. 3672; W4 n = 44 168 vs. 46 207, durchschnittliche Eingriffe/Woche n = 3398 bzw. 3554).
Tab. 1
Registriertes deutschlandweites Leistungsvolumen interventionell-radiologischer Eingriffe während der COVID-19-Pandemie.
|
|
AP
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1 W
|
EP
|
SP
|
2 W
|
3 W
|
4 W
|
Absolut
|
Kontrollperiode
|
41 795
|
18 543
|
24 314
|
67 852
|
65 657
|
37 275
|
44 168
|
|
Pandemie
|
43 354
(104 %)
|
13 744
(74 %)
|
23 583
(97 %)
|
77 151
(114 %)
|
65 900
(100 %)
|
40 390
(108 %)
|
46 207
(105 %)
|
Eingriffe/
Woche
|
Kontrollperiode
|
3800
|
3709
|
3473
|
3393
|
3648
|
3389
|
3398
|
|
Pandemie
|
3941
|
2749
|
3369
|
3858
|
3468
|
3672
|
3554
|
p
|
|
0,65
|
**
|
0,66
|
*
|
0,49
|
0,08
|
0,45
|
Angegeben sind die absoluten Fallzahlen und der Anteil an der Kontrollperiode in Prozent (%). *p < 0,001, **p < 0,01
AP, Anfangsphase; 1 W, 1. Pandemiewelle; EP, Entspannungsphase; SP, Stabilisierungsphase; 2 W, 2. Pandemiewelle; 3 W, 3. Pandemiewelle; 4 W, 4. Pandemiewelle.
Abb. 1 Zeitliche Entwicklung des interventionell-radiologischen Leistungsvolumens während der COVID-19-Pandemie. A Grafische Darstellung der wöchentlichen Absolutzahlen im Jahresverlauf 2019–2021. Signifikante Änderungen innerhalb der definierten Pandemiephasen im Vergleich zur Kontrollperiode sind als prozentuale Differenz angeben. B Grafische Darstellung der durchschnittlichen Interventionszahlen pro Woche währen der COVID-19-Pandemie im Vergleich zur Kontrollperiode nach Pandemiephasen. Mittelwert mit 95 % CI. *p < 0,001, **p < 0,01. AP, Anfangsphase; 1 W, 1. Pandemiewelle; EP, Entspannungsphase; SP, Stabilisierungsphase; 2 W, 2. Pandemiewelle; 3 W, 3. Pandemiewelle; 4 W, 4. Pandemiewelle.
Die Entwicklung der Fallzahlen hing zeitlich eng mit dem Infektionsgeschehen und den damit verordneten Kontaktbeschränkungen und den Auflagen für medizinische Einrichtungen zusammen. Dabei zeigte sich für die beiden Pandemiejahre 2020 und 2021 eine moderate, negative Korrelation für die wöchentliche Hospitalisierungsinzidenz (r = –0,49, p < 0,001).
Einfluss der Corona-Pandemie anhand ausgewählter Interventionen
Je nach durchgeführter Interventionsart konnten in Abhängigkeit der unterschiedlichen pandemischen Zeitperioden verschiedene Dynamiken in den Fallzahlen beobachtet werden, welche im Folgenden an repräsentativen Interventionsbeispielen aufgezeigt werden sollen ([Abb. 2]).
Abb. 2 Zeitliche Entwicklung des interventionell-radiologischen Leistungsvolumens exemplarischer Prozeduren während der COVID-19-Pandemie. Grafische Darstellung der wöchentlichen Absolutzahlen interventionell-radiologischer Schmerzbehandlungen, arterieller Rekanalisationen, lokaler Tumorablationen und Port-/PICC-Line Anlagen im Jahresverlauf 2019–2021. Signifikante Änderungen innerhalb definierter Zeiträume im Vergleich zur Kontrollperiode sind als prozentuale Differenz angeben. 1 W, 1. Pandemiewelle; SP, Stabilisierungsphase.
Schmerzbehandlung
Der Rückgang der Interventionszahlen mit Beginn der Pandemie war bei den Schmerzbehandlungen (Facettengelenks-, Ganglion- und periphere Nervenblockaden und periradikuläre Nervenwurzeltherapien [PRT]) mit einem Minus von 57 % (n = 1497, p < 0,01) gegenüber dem Vorjahreszeitraum von allen Interventionen prozentual am stärksten ausgeprägt. Das Ende der 1 W ging mit einem kontinuierlichen Anstieg des Interventionsvolumens einher mit in der 2. Jahreshälfte gegenüber dem Vorjahr langfristig stabil erhöhten Interventionsaufkommen (W 24–36: Plus 22 %, n = 1384, p < 0,001). Der Beginn der 2. Welle führte bei zuvor sinkenden Fallzahlen auch im Vergleich zur Kontrollperiode zu keiner nennenswerten Änderung des Interventionsvolumens (n = 9561 vs. n = 9504). Die Anzahl an Eingriffen blieb bei fluktuierenden Werten bis und während der 3. Welle mit leicht erhöhten Zahlen stabil (n = 5153 vs. n = 5605). Das Interventionsaufkommen lag im Jahr 2021 mit je 8 % über dem der beiden Vorjahre und war numerisch leicht, aber statistisch nicht signifikant erhöht (n = 28 258 vs. n = 25 894 und n = 26 065).
Arterielle Rekanalisationen
Arterielle Rekanalisationen
Bei den arteriellen Rekanalisationen war gegenüber 2019 für die Jahre 2020 und 2021 ein mit 3 bzw. 8 % moderater, aber signifikanter Rückgang zu verzeichnen (2019: 59 165, vs. 2020: 57 718 und 2021: n = 54 265; p < 0,001). Während der 1 W zeigte sich eine Abnahme an Interventionen, sowohl gegenüber dem Vorjahreszeitraum (Minus 40 %, 2496, p < 0,01) als auch gegenüber dem Niveau zu Jahresbeginn (durchschnittliche Eingriffe/Woche AP 1244 vs. 1 W 738, p < 0,01). Mit Lockerung der Restriktionen war eine sukzessive Normalisierung des Interventionsvolumens zu beobachten mit nochmals deutlichem und gegenüber dem Vorjahr signifikantem Anstieg zur 2. Jahreshälfte (W24–32, Plus 12 %, n = 1741, p < 0,001). Der Beginn der 2 W in W 44 ging erneut mit einem, gegenüber der 1 W jedoch deutlich milderen und gegenüber der Kontrollperiode statistisch nicht signifikanten Rückgang der Interventionen einher (Minus 10 %, n = 2054). Das Interventionsvolumen blieb zu Beginn des ersten Quartals 2022 auf niedrigerem Niveau stabil und auch während der nachfolgenden Infektionswellen gegenüber der Kontrollperiode konstant (n = 12 031 und 13 660 vs. n = 12 041 und 13 497).
Ablationen
Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum konnte während der 1 W kein signifikanter Rückgang an Ablationen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum festgestellt werden (n = 189 vs. 202, p = 0,84). Ebenso zeigte sich im Vergleich zum Ausgangniveau zu Jahresbeginn keine Änderung (durchschnittliche Eingriffe/Woche AP n = 41 vs. n = 40). Die Anzahl an Ablationen war in der SP gegenüber 2019 signifikant erhöht (n = 853 vs. n = 609, p < 0,001) mit sprunghaftem Anstieg unmittelbar nach Beendigung sämtlicher Restriktionen (W24–32, durchschnittliche Eingriffe/Woche n = 44 vs. LP n = 40). Am Jahresende übertraf das Leistungsvolumen das des Vorjahres um 27 % (n = 2152 vs. n = 1693, p < 0,001). Die nachfolgenden Infektionswellen hatten unter Berücksichtigung der üblichen Schwankungen keinen erkennbaren Einfluss auf das Interventionsvolumen. Die Anzahl an durchgeführten Eingriffen im Jahr 2021 war mit n = 2048 vergleichbar zu 2020 und signifikant gegenüber 2019 erhöht (p < 0,001).
Port/PICC-Line Implantation
Port/PICC-Line Implantation
Die Anzahl an Port- und PICC-Line (peripherally inserted central catheter) Implantationen blieb über sämtliche Pandemiephasen hinweg stabil. Das Interventionsvolumen war dabei gegenüber dem Kontrolljahr 2019 im Pandemiejahr 2020 und 2021 um 8 % bzw. 10 % gesteigert (12 292 bzw. 12 325 vs. 11 359, p < 0,05).
Diskussion
Die vorliegende Studie gibt, basierend auf dem bundesweiten DeGIR-QS-Register, die Dynamik interventionell-radiologischer Prozeduren während der fortdauernden COVID-19-Pandemie wieder. Das stabil hohe Interventionsvolumen trotz temporärer Rückgänge der Interventionszahlen reflektiert den Bedarf an minimal-invasiven, radiologischen Eingriffen und unterstreicht die Bedeutung der IR in der klinischen Versorgung.
Die gravierenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf das Gesundheitswesen und das Angebot medizinischer Leistungen für Patienten, so auch in der radiologischen Versorgung, wurden in weltweiten Untersuchungen aufgezeigt [10]
[11]
[12]. Der allgemeine Einbruch der Interventionszahlen mit Beginn der 1 W ist angesichts der unvorbereiteten Konfrontation der Gesellschaft und des Gesundheitssystems mit einer gänzlich neuartigen Virusinfektion nicht verwunderlich und deckt sich mit Studien anderer radiologisch-interventionell tätiger Einrichtungen, welche in der 1. Infektionswelle 2020 von einem Rückgang des Interventionsvolumens um 16–62 % berichten [13]. Unsere Analyse zeigt, dass mit dem Rückgang der Infektionen und Beginn der Lockerungen nicht nur eine rasche Normalisierung der Interventionszahlen eintrat, sondern das anfängliche Defizit durch eine signifikante Steigerung der Eingriffe in der 2. Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auch ausgeglichen werden konnte. Der Zuwachs an Interventionen belegt dabei nicht nur den fortdauernden Bedarf an interventionellen Prozeduren, sondern legt auch die Vermutung nahe, dass aufgeschobene Eingriffe zumindest in relevantem Ausmaß nachgeholt werden konnten. Im Gegensatz zur 1 W konnte während der nachfolgenden Infektionswellen keine wesentliche Änderung des Leistungsumfangs festgestellt werden. Trotz vielfach höherer SARS-CoV-2-Inzidenzen und damit einhergehend auch höheren Hospitalisierungsraten mit Ausreizung der medizinischen Kapazitäten blieb das Interventionsvolumen stabil. Dies ist umso bemerkenswerter, da im Vergleich zur 1 W zunehmend auch Personalengpässe durch vermehrten Ausfall der Mitarbeiter bei Quarantäne eine Rolle gespielt haben dürften [14]. Andere interventionell-radiologische Einrichtungen weltweit berichten hingegen zum Ende des 1. Pandemiejahres 2020 von rückläufigen Leistungszahlen bis zu Minus 19 % [15]
[16]. Im Vergleich zur 1. Infektionswelle mag hier neben einer besseren Vorbereitung der medizinischen Einrichtungen durch die zwischenzeitliche Implementierung ausgearbeiteter Handlungsanweisungen zur Neuorganisation der Abteilungsabläufe auch die zwischenzeitliche Verfügbarkeit von Impfstoffen zum Tragen gekommen sein. Aber auch der Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung der COVID-19-Erkrankung mit Abnahme der Ansteckungsangst und wieder vermehrter Inanspruchnahme medizinischer Leistungen kommt hier als wesentlicher Faktor in Betracht [17]. Allerdings sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass insbesondere in der 3. und 4. Infektionswelle keine bundesweit einheitlichen Regelungen, sondern Einschränkungen in Abhängigkeit der regionalen Infektionsschwere auf kommunaler Ebene verhängt wurden, sodass der Effekt dieser Wellen möglicherweise in unserer deutschlandweiten Analyse unterschätzt wird. Zuletzt sei erwähnt, dass der Rückgang an Interventionszahlen während der 1 W weniger dramatisch ausgefallen ist als die regelhafte saisonale Reduktion des Angebots zum Jahreswechsel, welche durch die Feiertage bedingt ist. Zumindest die Befürchtung, die medizinische Versorgung nicht mehr adäquat aufrecht erhalten zu können, mag sich unter diesem Aspekt zusätzlich relativieren.
Die differenzierte Betrachtung unterschiedlicher interventioneller Prozeduren zeigt, dass sich die dynamische Entwicklung der COVID-19-Pandemie mit ihren wellenförmigen Infektionsschüben und entsprechend angepassten Restriktionen nicht auf alle Interventionen und damit auf alle Bereiche der medizinischen Versorgung in gleichem Maße ausgewirkt hat. Der phasenspezifische Einfluss der Pandemie, wie sie in unserer Studie für das gesamte Leistungsspektrum der IR beobachtbar war, wird am anschaulichsten anhand der Entwicklung der Interventionszahlen arterieller Rekanalisationen deutlich. Die operative oder interventionelle Versorgung von Patienten mit pAVK ist abhängig vom Schweregrad der Erkrankung. Während Patienten mit kritischer Ischämie (Fontaine Stadium 3 und 4) einer unverzüglichen operativen und/oder interventionellen Behandlung bedürfen, ist eine elektive Intervention bei Patienten mit intermittierender Claudicatio (Fontaine Stadium 2) durchaus vertretbar [18]. Mit Beginn der 1 W ist die Anzahl an arteriellen Rekanalisationen deutlich zurückgegangen, was durch die Verschiebung derartig planbarer Eingriffe erklärbar ist. Vergleichbare Entwicklungen zeigten sich auch in anderen Einrichtungen weltweit. So berichteten beispielweise Bérczi et al. nicht nur von einer Abnahme an therapeutischen Revaskularisationen der unteren Extremität während der 1. Jahreshälfte 2020, sondern gleichzeitig von einer relativen Zunahme schwererer Erkrankungsstadien [19]. Erfreulicherweise zeigten unsere Analysen nach der 1 W nicht nur eine sukzessive und rasche Erholung des Interventionsvolumens, sondern einen Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. Dies lässt zumindest einen gewissen Nachholeffekt vermuten. Eine vergleichbare Dynamik konnte auch bei den interventionellen Schmerzbehandlungen, wie Facettengelenksblockaden und periradikuläre Therapien, beobachtet werden, wobei der Rückgang mit Beginn der Pandemie prozentual mit über 50 % sehr ausgeprägt war. Es ist zu vermuten, dass Patienten mit chronischen Schmerzen aus Angst vor Infektionen in Praxen und Krankenhäusern versucht haben, Schmerzen hinzunehmen oder durch Eigenmedikation weitgehend selbstständig zu beherrschen. Eine verstärkte Inanspruchnahme mit Abflauen der 1. Infektionswelle ist daher verständlich und unterstreicht auch den Bedarf an bildgeführter schmerzmedizinischer Versorgung.
Vom hohen Stellenwert der interventionellen Onkologie insbesondere in Zeiten limitierter Ressourcen berichteten Denys et al. [20]. Die Aufrechterhaltung der Versorgung onkologischer Patienten als besonders vulnerable Patientenkohorte lässt sich in der vorliegenden Studie beispielhaft an der gleichbleibenden Anzahl an Port- und PICC Line-Implantationen als Basismaßnahme während der gesamten Pandemiezeit ableiten. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass insbesondere der Beginn der Pandemie auch bei Tumorpatienten eine Verschlechterung der medizinischen Versorgung bedingte. Amaddeo et al. untersuchten in einer retrospektiven multizentrischen Studie aus Frankreich den Einfluss der COVID-19-Pandemie auf das Management von HCC-Patienten und stellten im Vergleich zum Vorjahr nicht nur eine Verzögerung in der Erstdiagnose, sondern auch in der Therapieinitiierung fest [21]. Erfreulicherweise blieb die Anzahl interventioneller lokalablativer Tumorbehandlungen als typisches Beispiel einer onkologischen Intervention in unserer Studie mit Ausbruch der COVID-19-Pandemie stabil. In der 2. Jahreshälfte konnte die Anzahl an Eingriffen gegenüber dem Vorjahr sogar deutlich gesteigert werden. Interessanterweise wurden in den Pandemiejahren 2020 und 2021 insgesamt bis zu 27 % mehr Ablationen im Vergleich zu 2019 durchgeführt. Dies könnte möglicherweise auch daran liegen, dass die Operationszahlen in den chirurgischen Fachdisziplinen aufgrund der gestrichenen Elektiv- und Großoperationen sehr viel stärker reduziert waren als in der IR [22]. So wurde postuliert, dass es selbst bei einer Erhöhung des normalen Operationsvolumen um 20 % 45 Wochen bedarf, um den Rückstand an abgesagten Operationen abzubauen [23]. Eine derartige Verknappung von operativen Kapazitäten legt eine Konvertierung chirurgischer Eingriffe hin zu interventionellen, bildgesteuerten Behandlungsmethoden in der Radiologie nahe. Shaida und Alexander et al. beispielsweisen berichten aufgrund einer Überlastung in ihrer Einrichtung aus England von vermehrten Anfragen nach radiologisch lokalablativen Therapien und von der Etablierung ambulant durchgeführter Eingriffe [24]. Eine erhöhte Nachfrage an interventionell-radiologischen Eingriffen bedarf konsequenterweise eines Transformationsprozesses. Dies wirft die Frage auf, inwieweit das Angebot an interventionell-radiologischen Eingriffen grundsätzlich ausgebaut werden kann, um Versorgungslücken zu schließen und auch außerhalb von pandemischen Krisen diese minimal-invasiven, patientenschonenden Verfahren vermehrt anbieten zu können.
Unsere Studie hat mehrere Limitationen. Erstens, die Analyse basiert auf den Fallzahlen der im DeGIR-QS-Register freiwillig dokumentierten Interventionen. Das Register umfasst einen sehr umfangreichen, deutschlandweiten Datensatz mit > 300 teilnehmenden Kliniken, der es ermöglicht, Rückschlüsse auf die Versorgungsdichte und -güte zu ziehen und gesundheitspolitische Aussagen zu treffen. Wenngleich die hier vorliegende Datenauswertung plausibel erscheint, können Abweichungen bezüglich der codierten Daten und der tatsächlich erbrachten Leistungen sowie Änderungen im Eingabeverhalten, insbesondere in den turbulenten Zeiten der Pandemie, nicht ausgeschlossen werden. Zweitens, der Auswertung liegt ein aggregierter Datensatz zugrunde. Regionale Variationen im Verlauf der Pandemie mit unterschiedlichen starken Schwankungen der Untersuchungsvolumina sowie Einrichtung unterschiedlicher Versorgungsstufen wurden nicht gesondert betrachtet. Drittens konnte, bedingt durch die Eingabemaske des Registers, keine differenzierte Analyse des Leistungsspektrums bei COVID-19-Erkrankten erfolgen [25]
[26]
[27].
Schlussfolgerung
Unsere Analyse gibt, basierend auf dem DeGIR-QS-Register, einen objektiven Überblick, wie sich die COVID-19-Pandemie auf die Leistungen der IR in Deutschland ausgewirkt hat. Die rasche Erholung der Interventionszahlen nach passagerem Rückgang während der 1 W spiegelt die Anpassungsfähigkeit der IR und deren hohen Stellenwert in der klinischen Versorgung wider. Die Erfahrungen aus der Pandemie sollten dazu ermutigen, das große Potenzial der IR in Deutschland weiter auszubauen.
Klinische Relevanz der Studie
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Die Interventionelle Radiologie ist ein unverzichtbarer Baustein für die therapeutische Versorgung von Patienten, auch während der COVID-19-Pandemie.
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Steigende Interventionszahlen in der interventionellen Onkologie lassen vermuten, dass Versorgungsengpässe in den chirurgischen Fächern kompensiert wurden.
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Die Studie hilft, basierend auf dem umfangreichen DeGIR-QS-Register, die Auswirkung der andauernden COVID-19-Pandemie auf die medizinische Versorgung besser zu verstehen.
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Die Ergebnisse der Studie können dabei unterstützen, Maßnahmen für zukünftige Krisensituationen noch besser anzupassen.