Z Orthop Unfall 2023; 161(03): 247-250
DOI: 10.1055/a-2019-3322
Orthopädie und Unfallchirurgie aktuell

Anwendungsbeobachtungen: Zentrales Tool für die (Weiter)Entwicklung von Medizinprodukten

Susanne Meinrenken

Der Begriff „Anwendungsbeobachtung“ entstammt historisch dem Pharmabereich. In der Medizintechnik hingegen spricht man heute eher von interventionellen und nicht interventionellen Studien. Anwendungsbeobachtungen gehören dabei zu den nicht interventionellen Studien. Hier erfolgt die Therapie entsprechend der üblichen klinischen Praxis; die geprüften Medizinprodukte werden nur innerhalb der Zulassung verwendet. Alle an nicht interventionellen Studien beteiligten Patienten haben die therapeutische Maßnahme aufgrund einer vorhandenen klinischen Indikation und nicht zum Zweck der Studie erhalten. Ziel solcher Studien kann es sein, Wirksamkeit und Sicherheit bestimmter Medizinprodukte zu prüfen, aber auch pharmaökonomische Parameter zu erheben oder Fragen zum Versorgungsgeschehen oder der Lebensqualität der Patienten zu beantworten. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text zur Bezeichnung von Personen die männliche Sprachform verwendet; gemeint sind jeweils alle Geschlechter.

Anwendungsbeobachtungen sind u. a. ein Tool für Hersteller, um den gestiegenen Anforderungen aufgrund der neuen EU-Verordnung für Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) gerecht zu werden: So sind Hersteller auf Basis der MDR zur regelhaften „Post-Market Surveillance“ (PMS) verpflichtet, also der Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Die MDR sieht zudem die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market-Clinical-Follow-up-Studie, PMCF-Studie) eines Medizinprodukts vor. Die geforderte klinische Evidenz für PMS und PMCF kann u. a. über Anwendungsbeobachtungen gewonnen werden, denn im Rahmen von nicht interventionellen Studien ist es möglich, die „Real World“ abzubilden, da hier die Einschlusskriterien nicht so engmaschig im Studiendesign gewählt sind. Wenn man in der Medizintechnik interventionelle und nicht interventionelle Studien im Sinne von PMCF-Aktivitäten thematisiert, entspricht dies jedoch nicht ganz einer Anwendungsbeobachtung im Kontext des Arzneimittelgesetzes (AMG) – dennoch wird der Begriff hier oft verwendet; man spricht auch von Beobachtungsstudien. Diese erfordern im Kontext der Medizintechnik ein Studienprotokoll mit z. B. definierten Endpunkten, und es muss ein legitimer Studienzweck vorliegen.

PD Dr. Dr. Frank Seehaus und Dipl.-Kfm. Marc Michel von der Peter Brehm GmbH, einem mittelständischen Hersteller von Endoprothesen und Wirbelsäulenimplantaten, berichten in diesem Interview von der Bedeutung der Anwendungsbeobachtungen allgemein und speziell in ihrem Unternehmen sowie der wichtigen Rolle, die die Kooperationspartner in den Kliniken dabei spielen.

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Abb. 1 PD Dr. rer. biol. hum. Dr. habil. med. Frank Seehaus
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Abb. 2 Dipl.-Kfm. Marc Michel. Quelle: BVMed | Christian Kruppa

Um sich ein konkreteres Bild von den Anwendungsbeobachtungen (AWB) machen zu können – welches Produkt wurde von der Peter Brehm GmbH in letzter Zeit in einer solchen Untersuchung geprüft?

Frank Seehaus: Die Firma Peter Brehm hat zwecks klinischer Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen (Post-Market-Clinical-Follow-up-Studie, PMCF-Studie) sein CE-zugelassenes, primäres Knieendoprothesensystem über einen Zeitraum von 5 Jahren nachuntersucht. Hierzu wurde ein prospektives, nicht randomisiertes, nicht interventionell vergleichendes, unkontrolliertes Kohortenstudiendesign gewählt. Die Studie wurde gemäß der ISO 14155 „Klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen“ geplant und beantragt, durch die zuständige Ethikkommission geprüft sowie beim DRKS (Deutsches Register Klinischer Studien) registriert. Mit der PMCF-Studie galt es zu prüfen, ob eine Intervention in der Normalversorgung für eine bestimmte Population von Patienten oder Anwendern auch wirksam ist. Geplant waren 200 Patienten, die mit dem BPK-S-Kniesystem in den Materialvariationen CoCr und Keramik in 2 altersbalancierten Gruppen versorgt wurden. Verschiedene klinische Parameter sowie Anzahl und Art etwaiger Komplikationen wurden erhoben und dokumentiert.

Wie lange dauern AWB i. d. R. und wie viele Akteure sind üblicherweise daran beteiligt?

Frank Seehaus: Das ist eine gute Frage, auf die ich schwer eine zuverlässige Aussage geben kann. Lassen Sie es mich so erklären: Auf dem Weg von der initialen Idee einer Studie bis zum Zeitpunkt, an dem die Studie offiziell geschlossen wird, kann und muss mit zahlreichen Hürden, unvorhersehbaren Faktoren in der Planungs- und Umsetzungsphase gerechnet werden – und zwar ganz unabhängig vom gewählten Studiendesign. Hierzu zählt insbesondere die Abhängigkeit „von Dritten“, z. B. behördliche Genehmigungsverfahren, die eine exakte Planung nicht zulässt. Beispielhaft genannt seien hier die Begutachtung der Studie durch die Ethikkommission, die ggf. Rückfragen hat, oder die vertragliche Regelung der Studie mit der Universitätsverwaltung. Solche Korrekturschleifen können die Umsetzung des Vorhabens verzögern. Fairerweise sei hier noch erwähnt, dass gut vorbereitete Unterlagen die Gefahr von zeitaufwendigen Korrekturschleifen verringern. Für die Planung inklusive Genehmigungen sowie die vertragliche Regelung sollten mindestens 6–12 Monate eingeplant werden.

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle, dass der Erfolg einer Studie natürlich auch mit den beteiligten Protagonisten „steht und fällt“. Meiner Erfahrung nach kommt es auf eine gute Interaktion zwischen dem Vertreter des Herstellers und der beteiligten klinischen Einrichtung (Universitätsklinik) an; das gilt sowohl für die Verwaltung als auch für die Ärzte. Wenn hier die „richtigen“ Personen zusammentreffen, lässt sich relativ zügig eine Studie von der Planungs- in die Umsetzungsphase realisieren.

Die Umsetzungsphase umfasst die eigentliche Initiierung der Studie und anschließend die Rekrutierungsphase. Die Dauer dieser Phase ist abhängig vom gewählten Zeitraum der Nachuntersuchungen, der Patientenzahl sowie von der Motivation der Patienten und des Studienzentrums (Ärzte, Study Nurse, …). Neben der Motivation kann es aber auch zu „Konkurrenzproblemen“ in einem Haus kommen. Sollten in einer Klinik mehrere Studien parallel laufen, z. B. zum Thema Hüftendoprothetik, so besteht die Möglichkeit, dass sich diese Studien gegenseitig die Patienten „vor der Nase“ wegrekrutieren. Das verlängert dann oft die Rekrutierungsphase für eine der beteiligten Studien.

Sie erwähnten die Nachuntersuchung: Welche Rolle spielen hier die Fragestellung und die Messmethoden?

Frank Seehaus: Der Nachuntersuchungszeitraum einer Studie ist abhängig von der Fragestellung. Je nach Studienziel – bspw. die klinische Überprüfung der Funktionalität bzw. der Patientenzufriedenheit oder auch die Beurteilung der Implantatverankerung im zeitlichen Verlauf – haben die Fragestellung und die verfügbaren Messmethoden einen Einfluss. So kann ich die Früherkennung des Risikos für eine spätere Implantatlockerung mithilfe der Methode der sog. „Roentgen Stereophotogrammetric Analysis (RSA)“ bereits nach 2 postoperativen Jahren für neue Implantatdesigns oder Implantatbeschichtungen an einem sehr kleinen Patientenkollektiv von weniger als 50 Patienten ermitteln. Ohne diese spezielle Röntgentechnik sieht es ganz anders aus; da sprechen wir eher von etwa 10 Jahren und Patientenkollektiven mit mehr als 100 Patienten.

Auch die personellen Ressourcen steigen je nach geforderter Untersuchungsmethodik. Zu klären ist, ob für die Beantwortung der jeweiligen Fragestellung nur klinisches oder auch wissenschaftliches Personal, wie für die oben beschriebene RSA-Methode, notwendig ist. Die Anzahl der an der Studie mitwirkenden Wissenschaftler, Studienassistenten sowie Ärzte ist vom Studiendesign, der klinischen Fragestellung und den verfügbaren Ressourcen an der ausführenden Klinik abhängig. Wichtig ist, dass jeder entsprechend in das Studienprotokoll eingewiesen und geschult worden ist und die Richtlinien und Arbeitsweisen der guten klinischen Praxis (Good Clinical Practice, GCP) befolgt.

Welche Erkenntnisse lassen sich insbesondere aus AWB ziehen?

Frank Seehaus: Im Rahmen der AWB können Patienten, wie diese in der „Real World“ vorkommen, mit den zuvor im Rahmen von Zulassungsstudien definierten „idealen“ Patienten oder Patientenkohorten verglichen werden. Als Beispiel fällt mir hierzu der Body-Mass-Index (BMI) bei Patienten mit Hüftoperation ein und die damit einhergehenden Konsequenzen in der Versorgung. Wie die 2011 im JBJS (The Journal of Bone and Joint Surgery) publizierte Studie von Davis et al. mit über 1600 Patienten zeigte, unterliegen Patienten mit einem BMI > 35 kg/m2 einem höheren Infektions- und Luxationsrisiko als diejenigen mit einem niedrigeren BMI. Konsequenz dieser Erkenntnis ist die geforderte entsprechende zusätzliche ärztliche Aufklärung der Patienten mit Adipositas.

Im Kontext des Erkenntnisgewinns möchte ich noch einmal auf die bereits erwähnten Protagonisten zurückkommen: Gut durchdachte, geplante, umgesetzte und vor allem abgeschlossene klinische Studien, egal welchen Designs, benötigen vor allem erst einmal eines: ein professionelles Umfeld.

Dies zeichnet sich bspw. durch eine eigene Abteilung „Klinisches Studienmanagement“ oder ein Studienzentrum aus, deren geschultes Personal zusätzlich im Rahmen der Studie zu finanzieren ist. Diese Mitarbeiter, egal ob Study Nurse oder wissenschaftlicher Mitarbeiter, unterstützen die Ärzte/Studienleitung u. a. bei der Koordination der Studie (Ressourcenplanung klinikintern), der Terminplanung für Patienten oder der Dokumentation der Studiendaten. Sie führen aber auch die mitunter komplexen Messungen am Patienten durch. Eine Durchführung von klinischen Studien von einem einzigen Arzt und „seinem Doktoranden“ – wie das historisch oftmals, und teilweise heute noch, praktiziert wurde – ist meiner Meinung nach nicht mehr vertretbar. Fehlende Personalressourcen sowie das Arbeitszeitgesetz stellen jedoch große Hürden in der Umsetzung von klinischer Forschung zusätzlich zum klinischen Routinebetrieb dar. Wenn ein Prüfarzt eine Studie betreut, fällt dies unter seine reguläre Arbeitszeit: Diesen Spagat zwischen Patientenversorgung und klinischer Forschung muss ein Krankenhaus bzw. ein Chefarzt mitgehen und seinen forschenden Assistenten die entsprechenden „Freiräume“ zur Verfügung stellen. Freiraum für zusätzlich forschende Assistenzärzte ist meiner Beobachtung nach im Gesundheitssystem der Bundesrepublik Deutschland deutlich eingeschränkt. Hierbei unterstelle ich den Chefärzten keineswegs fehlenden Willen; ich gehe eher davon aus, dass die aktuelle finanzpersonelle Situation an den Kliniken nicht mehr hergibt; und das erschwert die Umsetzung von PMCF-Aktivitäten.

Wenn in Deutschland die Grundvoraussetzungen für ein verbindlich-professionelles Arbeiten in der klinischen Forschung nicht ermöglicht werden, wird es schwierig sein, denke ich, „gute“ klinische Daten zu sammeln und Erkenntnisse zu generieren. Die Professionalisierung hin zu unterstützenden Studienzentren ist hier ein richtiger Weg, die zugehörigen Ärzte mit tatsächlichen Freiräumen sind jedoch zentraler Bestandteil zur Umsetzung klinischer Studien.

Die AWB sind für die klinische Forschung also bedeutsam; wie wichtig sind AWB speziell für Ihr Fachgebiet?

Frank Seehaus: Für das Unternehmen Peter Brehm ist die AWB ein wesentlicher Baustein im Rahmen der Post-Market Surveillance (PMS). Die gewonnenen Daten sind wichtig für den Nachweis der Wirksamkeit und der Sicherheit eines Medizinprodukts – sie beantworten aber nicht alle Fragen. Neben AWB werden daher auch vorzugsweise Registerdaten herangezogen, z. B. des Endoprothesenregisters Deutschland (EPRD), sowie firmeneigene Vigilanzdaten. Beide letztgenannten Quellen bilden die „Real World“ ab, um ggf. zeitnah notwendige Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen (CAPA, Corrective and Preventive Action) für ein Medizinprodukt abzuleiten.

Klinische Forschungsarbeiten umzusetzen, ist teuer und damit letztlich auch ein Risiko für ein kleineres oder mittleres Unternehmen. Unter Abwägung der zuvor angesprochenen Risiken gibt es am Ende nie die Sicherheit, dass eine solide, nach allen Regeln der GCP geplante Studie zu 100% umgesetzt werden kann. Es kann eben trotz guter Planung einer AWB dennoch vieles unvorhersehbar ablaufen. Beispielsweise sei hier auch ein Wechsel des Prüfarztes an eine andere Klinik genannt oder die Coronapandemie und die zugehörige Reglementierung der Krankenhäuser, die eine reguläre Nachuntersuchung von Patienten schlichtweg nicht mehr erlaubt hat. Hierdurch sind viele Gaps in den Nachuntersuchungen entstanden.

2016 wurde das Gesetz zur Bekämpfung von Korruption im Gesundheitswesen beschlossen. Welchen Einfluss hat dieses Gesetz auf die Zusammenarbeit zwischen der Industrie bzw. konkret Ihrem Unternehmen und Personal im Gesundheitswesen bei der Durchführung von AWB?

Frank Seehaus: Im Kontext von AWB bzw. PMCF-Studien, die das Unternehmen Peter Brehm im Vorfeld vertraglich regelt, sehen wir hier keine Auswirkungen. Die Verträge werden jeweils durch die Rechtsabteilungen der beteiligten Universitätskliniken oder Kliniken mit universitärem Anschluss sowie das Unternehmen Peter Brehm geprüft. Der Vertrag gibt die zwingend notwendige Rechtssicherheit für beide Partner dafür, dass im Kontext der Thematik „Korruption im Gesundheitswesen“ alle rechtlichen Vorgaben im Rahmen der Studie lückenlos eingehalten werden.

Thema Transparenz und Selbstkontrolle: Für die Zusammenarbeit zwischen Pharmafirmen und Ärzten bzw. Gesundheitsberufen sind Zusammenschlüsse wie der „Verein Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e. V. (FSA)“ entstanden. Gibt es ähnliche Organisationen auch für die Medizintechnik?

Marc Michel: Unser Dachverband, der Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), bei dem wir durch meine Person im Vorstand vertreten sind, hat bereits 1997 den „Kodex Medizinprodukte“ (www.bvmed.de/kodex) veröffentlicht und diesen seitdem stetig weiterentwickelt, letztmalig 2020. Der Kodex basiert auf den einschlägigen Gesetzen, der Rechtsprechung sowie den berufsrechtlichen Regeln und setzt die Regelungen des MedTech Europe „Code of Ethical Business Practice“ für Deutschland um.

Ziel dieses Kodexes ist es, den rechtlichen Rahmen der Zusammenarbeit zwischen medizinischen Einrichtungen, Ärzten und den Herstellern von Medizinprodukten zu erläutern. Er fasst die bestehenden Rechtsvorschriften zusammen und enthält konkrete Verhaltensregeln für die Zusammenarbeit. Seit seiner Veröffentlichung hat der Kodex bei allen relevanten Stakeholdern, auch in unserem Unternehmen, eine hohe Anerkennung als verlässlicher Orientierungspunkt im Hinblick auf verhaltensbezogene Compliance-Fragen der Medizinproduktebranche gewonnen.

Die organisatorischen Rahmenbedingungen in den Unternehmen zur Verhinderung von Compliance-Verstößen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Zwar besteht in Deutschland für die Medizinproduktebranche – im Gegensatz zum Finanz- oder Versicherungssektor – keine explizite gesetzliche Pflicht, Compliance Officer zu bestellen oder ein Compliance-Management-System einzurichten. Allerdings gehört es nach der Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung, angemessene Maßnahmen zur Kontrolle von Compliance-Risiken zu ergreifen.

Deshalb hat der BVMed im vergangenen Jahr in Ergänzung des Kodexes einen „Compliance-Standard“ verabschiedet, der insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen wie der Peter Brehm GmbH praktikable Vorschläge und Hinweise für den Aufbau einer geeigneten Compliance-Organisation gibt. Dieser praktische Leitfaden ist im Übrigen der erste Compliance-Standard eines europäischen Medizinprodukteverbands. Neben dem geltenden Recht und dem Kodex Medizinprodukte ist er die wesentliche 3. Säule, auf deren Grundlage ein Medizinprodukteunternehmen die Zusammenarbeit mit medizinischen Einrichtungen rechtssicher ausgestalten kann.

Hierfür enthält der BVMed-Compliance-Standard praktikable Hinweise und Checklisten für den Aufbau einer Compliance-Organisation in einem Medizinprodukteunternehmen sowie wertvolle Praxistipps zur Selbstüberprüfung durch ein internes Compliance-System-Audit. Der Compliance-Standard orientiert sich an den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben in Deutschland zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung (§ 43 GmbHG, § 93 AktG, § 130 OWiG) und deren Auslegung durch die Rechtsprechung sowie an den nationalen und internationalen Standards.

Die Medizintechnikindustrie hat sich damit, anders als die Pharmazie, für eine verbandsinterne Lösung entschieden. Der BVMed hat hierfür ein sog. „Healthcare Compliance Committee“ eingerichtet, das sich mit allen Fragen der Auslegung und Weiterentwicklung des Kodexes Medizinprodukte befasst.

Sie erwähnten mögliche Compliance-Risiken: Wie wird in Ihrem Unternehmen das Thema Bestechlichkeit in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und den Akteuren im Gesundheitssystem bei der Durchführung von AWB behandelt?

Frank Seehaus: Wie zuvor bereits erwähnt, regelt das Unternehmen Peter Brehm im Vorfeld von Studien alles vertraglich ab, sodass keinerlei Auswirkungen im Kontext von „Bestechlichkeit in der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und den Akteuren im Gesundheitssystem“ zu befürchten sind.

Marc Michel: Die Zusammenarbeit zwischen Medizinprodukteunternehmen und medizinischen Einrichtungen ist notwendig, um innovative Medizinprodukte zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln und ist daher wichtig für eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung. Und sie ist politisch erwünscht. Doch sie braucht neben den geltenden gesetzlichen Regeln konkrete Empfehlungen und Handlungsvorgaben für eine praxistaugliche Umsetzung.

So haben – neben dem bereits erwähnten Kodex Medizinprodukte und dem BVMed-Compliance-Standard – der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) und der BVMed „Musterverträge zu ausgewählten Kooperationsformen zwischen Medizinprodukteunternehmen sowie medizinischen Einrichtungen und deren Mitarbeitern“ veröffentlicht. Diese 26-seitige Broschüre wurde 2006 erstmals mit dem VKD vereinbart und letztes Jahr in der 3. Auflage aktualisiert. Hier werden die Grundsätze der Zusammenarbeit genau beschrieben, zudem enthält sie zahlreiche Mustervertragstexte zur rechtlichen Ausgestaltung einzelner Kooperationsformen zwischen Industrie und Krankenhäusern.

Diese Musterverträge sind für unser Handeln maßgeblich und finden sich daher bei allen unseren Verträgen wieder. Unsere Verträge basieren ausnahmslos auf den 4 Grundprinzipien der „Healthcare Compliance“ aus dem Kodex Medizinprodukte:• Trennungsprinzip: Unsere Zuwendungen dürfen nicht im Zusammenhang mit Beschaffungsentscheidungen stehen.• Transparenzprinzip: Jede unserer Zuwendung und Vergütung muss offengelegt werden.• Äquivalenzprinzip: Die vereinbarte Leistung und die Gegenleistung müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen.• Dokumentationsprinzip: Alle Leistungen müssen lückenlos schriftlich festgehalten werden.Verträge über Anwendungsbeobachtungen, an deren Durchführung Personal medizinischer Einrichtungen beteiligt ist, sind grundsätzlich mit der medizinischen Einrichtung selbst abzuschließen.

Welche Anregungen haben Sie für Gesetzgeber und Politik: Ist das Antikorruptionsgesetz verbesserungswürdig?

Marc Michel: Unser Unternehmen hat seit ca. 25 Jahren mit den o. g. „Werkzeugen“ durchweg positive Erfahrungen gemacht, auch und gerade, weil sie mit den für uns relevanten Stakeholdern konsentiert sind. Der ursprüngliche Kodex Medizinprodukte wurde z. B. bereits 1997 mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen vereinbart. Die Einhaltung des Kodexes ist Aufgabe aller Beteiligten, nicht nur der Hersteller.

Das Gesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen von 2016, u. a. mit den Vorschriften der § 299 a und § 299 b StGB, wird von den Unternehmen der Medizintechnologie mustergültig umgesetzt. Durch den Kodex Medizinprodukte und eine Vielzahl von Fortbildungsveranstaltungen ist das Thema Korruptionsbekämpfung bei Herstellern von Medizinprodukten und den Angehörigen der Fachkreise präsent und wird regelmäßig geschult. Dieser präventive Ansatz funktioniert. Aus diesem Grunde sehe ich aktuell keine Notwendigkeit für Gesetzesänderungen. Die Regelungen und Maßnahmen wirken.

Die Fragen stellte Dr. med. Susanne Meinrenken.



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Article published online:
12 June 2023

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