Psychother Psychosom Med Psychol 2023; 73(03/04): 162
DOI: 10.1055/a-2021-6337
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Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP)

Täterforschung nach Auschwitz – John Steiners Untersuchungen: Nachlass eines Auschwitz-Überlebenden

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Jochen Fahrenberg, emeritierter Lehrstuhlinhaber, Institut für Psychologie, Freiburg i. Br., hat zusammen mit seiner Frau, der Pädagogin Anne Fahrenberg, das beeindruckende und erschütternde wissenschaftliche Erbe von John Steiner aufgearbeitet und jetzt in einer umfänglichen Schrift unter dem Titel „Täterforschung nach Auschwitz – John Steiners Untersuchungen: Nachlass eines Auschwitz-Überlebenden“ im Pabst-Verlag publiziert.

John Michael Steiner war ein Tschechisch-Amerikanischer Soziologieprofessor. Er wurde 1925 in einer deutschsprachigen Familie in Prag geboren und noch als Schüler 1942 inhaftiert und wie seine Eltern in Konzentrationslager gebracht: Theresienstadt, dann Auschwitz-Birkenau und Außenlager Blechhammer. Seine drastischen Erfahrungsberichte „Sklavenarbeit in der Fabrik für synthetisches Benzin“, „Todesmarsch nach Reichenbach“ und „Im Viehwagon nach Dachau“ stehen am Anfang dieses Buches vor der ausführlichen Biographie. Als Auschwitzüberlebender engagiert sich Steiner später in der Täterforschung und kehrte deshalb nach seinem Studium in den USA nach Deutschland zurück. Seine Doktorarbeit an der Universität Freiburg führte ihn weiter zu zwei einzigartigen Forschungsarbeiten:

  • Von 431 ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS und SS sowie der Wehrmacht wurden Fragebögen ausgefüllt, um typische Eigenschaften von autoritären Persönlichkeiten zu erfassen und vergleichen zu können.

  • Von Angehörigen der allgemeinen SS in Konzentrationslagern sowie von Offizieren der Waffen-SS liegen – abgesehen von persönlichen Gesprächen – eigens für Steiner geschriebene Lebensläufe vor. Unter diesen Lebensläufen ragen heraus: vier untere Dienstgrade in den KZ-Kommandos, verurteilt zu lebenslänglicher Haft, und sechs Offiziere der Waffen SS, zwei waren Adjutanten von Hitler bzw. Himmler.

J. Steiner, der eine Hochschullehrerkarriere an der Sonoma State University in Kalifornien gemacht hat, erhielt 2004 das Bundesverdienstkreuz. Er ist 2014 verstorben. Er hat seit 1962 einige viel beachtete Publikationen auf der Grundlage der von ihm zusammengetragenen Materialien verfasst. Doch es kam aus mehreren Gründen nicht zu der schwierigen Analyse und zusammenfassenden Interpretation der Lebensläufe. Dies haben in diesem Buch Jochen und Anne Fahrenberg in Zusammenarbeit mit einigen Kollegen versucht zu leisten. Für Steiner bedeutete der Rückblick auf das Konzentrationslager und den NS-Staat zugleich die Aufforderung zur Erziehungsreform. Ihn bewegte die Frage, wie künftige Wiederholungen des Genozids durch eine reformierte Erziehung verhindert werden können. Diesem Thema „Erziehung nach Ausschwitz“ gilt das letzte Kapitel. Er dachte an einen veränderten Ethikunterricht, in dem nicht alleine das abstrakte Wissen, sondern die praktische Übung im rücksichtvollen Handeln gelehrt wird.

Mit diesem Buch ist ein erschütterndes Dokument mit vielen Zeitzeugenberichten entstanden, das geeignet ist, dem kollektiven Verdrängen und Vergessen der schlimmsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit entgegenzuwirken. Besonders wichtig erscheint den Herausgebern die von John Steiner vertretene Position, dass auch die pädagogische Umsetzung der Einsichten erforderlich ist, die permanente und nachdrückliche Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen dem Gestern und dem Heute und die aktuelle Virulenz der „historischen“ Verbrechen aufzeigt. Dies ist eine hochaktuelle Forderung in einer Zeit, in der wir leider wieder mit hartnäckigen und zunehmenden Formen von Gruppendiskriminierungen, mit abwertenden und menschenverachtenden Umgangsformen konfrontiert werden.

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um ein besonderes, inhaltlich wie auch von der Dichte der Darstellung her nicht leicht zu verdauendes Werk, das es aber sehr verdient, wahrgenommen zu werden. Mit dieser Kurzmitteilung soll auf die verdienstvolle Arbeit von Jochen und Anne Fahrenberg verwiesen werden, um ihr in der Flut der heutigen Informationen eine etwas größere Aufmerksamkeit zu geben.

Täterforschung nach Auschwitz – John Steiners Untersuchungen: Nachlass eines Auschwitz-Überlebenden.Jochen Fahrenberg, Anne Fahrenberg (Hrsg). Lengerich: Pabst Science Publishers, 2022, 540 Seiten, Hardcover, Print: 50,00 € (ISBN 978-3-95853-799-6); PDF: 25,00 € (ISBN 978-3-95853-800-9). Uwe Koch, HamburgE-Mail: koch@uke.de



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Article published online:
21 March 2023

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