Material und Methodik
Retrospektive Fall-Kontrollstudie
In einer retrospektiven Fallkontrollstudie wurde die Traumatisierung in Relation
zum Geburtsmodus quantitativ ausgewertet. 139 Frauen, die eine Notsectio
erhalten hatten, wurden als Fallgruppe sowie jeweils 139 Frauen als drei
Kontrollgruppen (sekundäre Sectio, operativ vaginale Geburt
(Vakuumextraktion) und Spontangeburt) befragt. Die Stichprobe umfasste insgesamt
556 Mütter. Die Datenerhebung erfolgte an einer
Universitätsfrauenklinik in der Abteilung für Geburtshilfe eines
Perinatalzentrums Level I in den Jahren 2014 bis 2019. Der Befragungszeitraum
deckte somit fünf Jahre ab. Ausschlusskriterien waren Mehrlingsgeburten,
elektive Sectiones und Frühgeburten<34 Schwangerschaftswochen.
Zur Verringerung unkontrollierbarer Faktoren wurde zu jeder erfolgten Notsectio
die zeitlich nächstgelegene Geburt mit Hilfe der fortlaufenden
Geburtennummern für die Kontrollgruppen ausgewählt. Die
Teilnehmerinnen erhielten postalisch die Fragebögen unter Anwendung der
standardisierten und validierten Messinstrumente City Birth Trauma Scale
Fragebogen (CBiTS) und Impact of Events Scale Questionnaire (IES-R) [11 ]
[13 ]. Jedoch muss angenommen werden, dass viele Anschreiben nicht
zugestellt werden konnten, da die Geburten bereits bis zu fünf Jahre
zurücklagen. Da das Forschungsdesign keine vorherige Kontaktaufnahme und
anschließendes Erinnerungsschreiben vorsah (aufgrund
eingeschränkter Ressourcen) ist die Rücklaufquote mit
22% relativ gering ausgefallen. Die Studie erfolgte in
Übereinstimmung mit der Deklaration von Helsinki mit Genehmigung der
Ethikkommission Ulm (Antragsnummer 184/20). Die Auswertung der Daten
erfolgte pseudonymisiert. Zusätzlich beinhaltete die Befragung zwei
offene Fragen zum subjektiven Erleben und zu gewünschten
Maßnahmen, die in Freitextfeldern beantwortet werden konnten ([Tab 1 ]).
Tab. 1 Freitextfragen.
Fragentext
Bitte beschreiben Sie mit Ihren eigenen Worten
mögliche belastende Erfahrungen bei der Geburt.
Bitte beschreiben Sie mit Ihren Worten, welche
Maßnahmen Sie sich nach der Geburt gewünscht
hätten oder welche Maßnahmen Sie erhalten
haben, um das Geburtserlebnis zu verarbeiten.
Qualitative Auswertung der Freitextantworten
Patientenkollektiv
Die Rücklaufquote betrug 22% (n=126) wobei der
Rücklauf in der Gruppe der Frauen mit Notsectiones (n=32;
23%), Teilnehmerinnen mit sekundären Sectiones
(n=38; 27%) und Frauen mit operativ vaginalen Geburten
(n=36; 25%) höher war als in der Gruppe der Frauen
mit Spontangeburten (n=20; 14%). Die Freitextantworten
wurden von allen 32 Frauen, die eine Notsectio erhalten hatten,
ausgefüllt. Von den Frauen, die eine vaginal operative Geburt erlebt
hatten, haben zwei die offenen Fragen nicht beantwortet, von den Frauen mit
sekundären Sectiones waren es sechs und bei der Gruppe der
Spontangebärenden hat eine Teilnehmerin das Freitextfeld
offengelassen. Insgesamt konnten von 126 rückgesendeten
Fragebögen 117 Freitextantworten ausgewertet werden. Die
Charakteristika der Teilnehmerinnen in Abhängigkeit vom Geburtsmodus
sind in [Tab 2 ]
aufgeführt.
Tab. 2 Studienkollektiv (n=126).
Notsectio (NS; n=32)
Sekundäre Sectio (SS; n=38)
Operativ-vaginale Geburt (OVG, n=36)
Spontangeburt (SG; n=20)
Alter (Median)
32
34
31
32,5
min
26
26
25
26
max
43
43
40
39
Parität
Erstgebärende
24 (66,7%)
26 (68,4%)
29 (80,6%)
11 (55%)
Mehrgebärende
8 (33,3%)
12 (31,6%)
7 (19,4%)
9 (45%)
Datenanalyse
Alle handschriftlichen Freitextantworten wurden pseudonymisiert, wörtlich
transkribiert und unter Angabe des jeweiligen Geburtsmodus als Worddokumente in
die Qualitative Daten Software MAXQDA2020 übertragen. Die Auswertung
wurde in einem mehrstufigen Prozess mit der Methode der qualitativen
Inhaltsanalyse (QCA) [22 ]
durchgeführt. Im ersten Schritt wurden Satzteile oder einzelne
Wörter zu übergeordneten Kategorien und Themen eingeordnet.
Anschließend wurden Hauptthemen und Kategorien im Kontext zu den
Geburtsmodi zusammengefasst und nach ihren Häufigkeit ausgewertet.
Ergebnisse
In [Tab 3 ] sind die Themen und die
zugeordneten Kategorien in ihrer Häufigkeit zum Geburtsmodus dargestellt.
Die Themen beinhalten belastende Erfahrungen während der Geburt mit
den Kategorien „Angst um das Kind“ sowie „Trennung vom
Kind“. Das Thema unzulängliche Kommunikation deckt die
Kategorien „Alleinsein nach dem Aufwachen“ und
„unzureichende Kommunikation mit dem Personal“ sowie
„fehlende Kommunikation mit dem Vater“ ab. Unter dem Thema
Versagen und Schuldgefühle sind die Kategorien
„verpasstes Geburtserlebnis“ und „Vorwürfe und
Bedauern“ zusammengefasst. Das Thema Hilflosigkeit beinhaltet die
Kategorien „Ausgeliefert sein und Fremdbestimmung“ und
„Kontrollverlust“. Zu subjektiv ungünstige Versorgung
wurden die Kategorien „mangelnde Empathie“ und „fehlende
Betreuung“ zugeordnet. Zu Maßnahmen wurden Aussagen
zugeordnet, die sich auf erhaltene oder gewünschte Maßnahmen
beziehen.
Tab. 3 Häufigkeiten der Themen und Kategorien
differenziert nach Geburtsmodus.
Themen
Kategorien
NS (n=32)
SS (n=38)
OVG (n=36)
SG (n=20)
Belastende Erfahrung
Angst um das Kind
8 (25%)
5 (13,2%)
7 (19,4%)
1 (5%)
Trennung vom Kind
2 (6,3%)
0 (0%)
3 (8,3%)
1 (5%)
unzulängliche Kommunikation
Alleinsein nach dem Aufwachen
5 (15,6%)
0 (0%)
0 (0%)
0 (0%)
Unzureichende Kommunikation mit Personal
7 (21,9%)
15 (39,5%)
12 (33,3%)
3 (15%)
Fehlende Kommunikation mit dem Vater
5 (15,6%)
1 (2,6%)
1 (2,8%)
0 (0%)
Versagen und Schuldgefühle
Verpasstes Geburtserlebnis
6 (18,8%)
3 (7,9%)
6 (16,7%)
1 (5%)
Vorwürfe und Bedauern
5 (15,6%)
5 (13,2%)
3 (8,3%)
0 (0%)
Hilflosigkeit
Ausgeliefert sein und Fremdbestimmung
9 (28,1%)
6 (15,8%)
3 (8,3%)
4 (20%)
Kontrollverlust
2 (6,3%)
0 (0%)
5 (13,9%)
3 (15%)
Subjektiv ungünstige Versorgung
Mangelnde Empathie
6 (18,8%)
11 (28,9%)
4 (11,1%)
5 (25%)
Fehlende Betreuung
1 (3,1%)
0 (0%)
1 (2,8%)
6 (30%)
Maßnahmen
Maßnahmen erhalten
0 (0%)
0 (0%)
0 (0%)
1 (5%)
Maßnahmen gewünscht
17 (53,1%)
17 (44,7%)
21 (58,3%)
4 (20%)
Legende : NS: Notsectio, OVG: operativ vaginale Geburt, SG:
Spontangeburt, SS: sekundäre Sectio.
Belastende Erfahrungen
Angst um das Kind, die belastende Trennung nach der Geburt sowie das Nichtwissen
über den Zustand des Kindes wurden vor allem von Frauen, die eine
Notsectio oder eine vaginal operative Entbindung erlebt hatten, als extrem
belastend empfunden. Die Frauen berichteten, dass sie unmittelbar vor der
Notsectio zwar realisierten, dass es ein akutes Problem gibt, sie jedoch unter
dem Zeitdruck keine Erklärungen mehr erhalten konnten.
„Die Angst, ob alles gut wird und man das eigene Kind lebend sieht,
bevor man das Bewusstsein verliert“ (TN 14 mit Notsectio)
Die Befragten mussten sich in absoluter Ungewissheit über den weiteren
Geburtsverlauf und mit der Angst vor dem eigenen gesundheitlichen Zustand und
dem des ungeborenen Kindes auf teils völlig fremde Personen verlassen.
Die Frauen berichten auch von der Sorge, selbst zu Schaden zu kommen und nicht
mehr für das geborene Kind da sein zu können.
Nach der Notsectio wurde vor allem die lange Zeitspanne bis zur Information
über den Ausgang der Geburt und den Verbleib des Kindes als
außerordentlich belastend beschrieben. Häufig waren auch die
Partner allein gelassen und wurden nicht zeitnah über den Zustand von
Frau und Kind informiert.
„Das Gefühl beim Aufwachen war schockierend. Ist das wirklich
passiert? Der Bauch weg, das Kind weg, was ist los?“ (TN 61 mit
Notsectio)
Die Trennung vom Kind wurde auch nach einer vaginalen operativen Geburt als sehr
schmerzhaft und belastend empfunden. Einige Frauen beschrieben, dass ihnen das
Kind bei vollem Bewusstsein unmittelbar nach der Geburt weggenommen wurde. Auch
in diesem Fall wurde die Zeitspanne bis zur Information über das
Wohlergehen des Kindes als lange und belastend wahrgenommen.
„Als mein Kind dann auf der Welt war, wurde es gleich rausgetragen
– ich hatte in dem Moment so große Angst“ (TN 95 mit
operativ vaginaler Geburt)
Unzulängliche Kommunikation
Vor allem bei den ungeplanten Geburtsmodi wurde die Thematik der
unzulänglichen Kommunikation häufiger benannt als bei Frauen mit
Spontangeburten. Die Frauen fühlten sich nicht wahrgenommen oder
berichteten, dass sie Informationen zu Untersuchungen und deren Ergebnissen erst
spät bekamen:
„Nach 3 Tagen ohne Schlaf sanken plötzlich die
Herztöne meines Sohnes ab, das ganze Zimmer war plötzlich
voller Menschen, die hektisch an mir arbeiteten, aber keiner sprach mit
mir“ (TN 51 mit sekundärer Sectio)
„Direkt nach der Geburt wurde unser Baby zu weiteren Untersuchungen zu
Ärzten außerhalb des Kreißsaals gebracht.
Über den Verlauf und das Ergebnis der Untersuchungen wurden wir erst
nach einiger Zeit informiert“ (TN 95 mit operativ vaginaler
Geburt)
Neben fehlenden Informationen über das Wohlergehen des Kindes wurde sehr
häufig die fehlende Aufklärung über die ungeplanten
Maßnahmen während der Geburt kritisiert. Dadurch wurde bei
einigen Teilnehmenden Gefühle von Kontrollverlust und Ausgeliefertsein
ausgelöst. Bei den Bemühungen zur späteren Verarbeitung
des Geburtserlebnisses suchten die Frauen häufig Antworten in
Operations- oder Geburtsberichten.
Als Extremsituation wurde auch das Aufwachen nach einer Vollnarkose, meist nach
einer Notsectio beschrieben. Obwohl viele Personen anwesend waren, die die
medizinische Routineversorgung gewährleisteten, berichteten die
betroffenen Frauen davon, sich sehr allein gelassen gefühlt zu
haben.
„Ich war von lauter Menschen umringt, sehe eine Maske mit der
Betäubung auf mich zukommen. Die nächste Erinnerung ist: ich
wache an einem fremden Ort alleine auf“ (TN 21 mit
Notsectio)
Versagen und Schuldgefühle
Durch die Abweichung vom gewünschten und erwarteten Geburtsverlauf
empfanden viele Frauen Schuldgefühle. Musste die natürliche
Geburt durch eine ungeplante Maßnahme wie eine sekundäre Sectio
oder vaginal operative Intervention beendet werden, berichteten viele
Teilnehmerinnen vom Gefühl, versagt zu haben. Sie litten unter
Selbstzweifeln, weil sie glaubten, sich falsch verhalten zu haben oder Schuld
daran zu tragen, dass eine natürliche Geburt nicht möglich war.
Gefühle persönlichen Scheiterns sowie die Sorge, für
eine Schädigung des Kindes verantwortlich zu sein, wurden
beschrieben.
„Anschließend beschäftigte mich der Gedanke, dass ich
etwas falsch gemacht hatte und die Geburt nicht auf natürlichem Wege
geschafft hatte“ (TN 92 mit Notsectio)
„Das Gefühl versagt zu haben, weil eine natürliche
Geburt nicht möglich war“ (TN 26 mit sekundärer
Sectio)
Zusätzlich fehlte vielen Frauen nach einer ungeplanten Beendigung der
Geburt das initial gewünschte Geburtserlebnis. Gerade wenn eine
Vollnarkose notwendig war, hatten die Frauen keine Erinnerung und den Eindruck,
den Moment der Geburt verpasst zu haben. Die Wahrnehmung der Geburt wurde in den
Freitexten als „unwirklich“ und „distanziert“
beschrieben. Frauen berichteten von der Angst, dass sich dies negativ auf die
Beziehung zu ihrem Kind auswirken könnte.
„So alleine gelassen habe ich mich noch nie gefühlt. Daher
konnte ich anfangs mit meiner Tochter auch erstmal nichts auf meinem Arm
anfangen, weil ich völlig aufgelöst war, als ich endlich bei
meinem Mann war. Ich habe sehr viel geweint deswegen, auch Monate
später noch.“ (TN 66 mit Notsectio)
Hilflosigkeit
Das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins wurde vor allem
von Frauen beschrieben, die eine ungeplante Intervention erlebt hatten. Sie
berichteten vom Verlust jeglicher Selbstbestimmtheit und Kontrolle, das zum
Gefühl der Machtlosigkeit beitrug. Sie fühlten sich ausgeliefert
und hatten Angst vor den ihnen unbekannten Maßnahmen, die für
das medizinische Personal zur täglichen Routine gehörten. Die
Situation löste bei ihnen das Gefühl von Ausgeliefertsein und
Angst gegenüber Unbekanntem aus.
„Hilflosigkeit, das Abgeben jeglicher Selbstverantwortung und
Selbstbestimmtheit“ (TN 21 mit Notsectio)
„Kontrollverlust, da man nur bedingt Einfluss auf die Geburt nehmen
kann“ (TN 4 mit vaginal operativer Geburt)
„Das Gefühl der Machtlosigkeit und ausgeliefert sein“
(TN 107 mit sekundärer Sectio)
Frauen, die mit psychischen Vorbelastungen in eine für sie
unkontrollierbare Geburtssituation gingen, beschrieben ein besonderes Risiko
für traumatische Belastungen.
„Dadurch wurde ich sehr müde, schwindelig und fast
ohnmächtig – Gefühl des Kontrollverlustes. Sehr
schlecht, da ich seit vielen Jahren an einer Angststörung leide.
Gefühle: Angst, Panik-ein Albtraum“ (TN 16 mit vaginal
operativer Geburt)
Die Geburtserfahrung schien bereits überwundene Belastungen wieder
hervorzurufen beziehungsweise zu verstärken.
Subjektiv ungünstige Versorgung
Mangelnde Empathie und fehlende Betreuung wurden unter dem Thema subjektiv
ungünstige Versorgung eingeordnet. Der Mangel an erfahrener
Empathie wurde häufig von Frauen beschrieben, die per sekundärer
Sectio entbunden werden mussten. Sie erlebten bewusst, dass die Geburt nicht so
verlief wie geplant und waren weder auf die unerwarteten Interventionen
vorbereitet noch fühlten sie sich ausreichend in die Entscheidungen zur
Intervention einbezogen. Die Frauen wurden mit der bereits getroffenen
Entscheidung konfrontiert und nahmen die Reaktionen als zurückweisend
wahr, wenn sie ein Mitspracherecht einforderten.
„Fehlende Informationen, lange Wartezeiten nach Entscheidung, dass ein
Kaiserschnitt notwendig sei. Leitender Arzt hat mich gewissermaßen
bedroht, dass mein Kind sterbe, wenn kein Kaiserschnitt stattfindet. Das war
sehr belastend“. (TN 35 mit sekundärer Sectio)
„Die oben gemeinte (zuvor als unempathisch beschriebene) Hebamme ist
oft der Auslöser eines solchen Flash-backs, weil sie gesagt hat:
„Wenn es ihnen nicht passt, dann können sie jetzt
verschwinden und ihr Kind allein bekommen“ (TN 94 mit
Notsectio)
Nach einer Sectio erlebten die Frauen mangelnde Empathie und Betreuung auf der
Wochenstation. Sie nahmen ein Stigma war, weil sie keine vaginale Geburt
„geschafft“ hatten und hatten den Eindruck, dass das Personal
von ihnen dieselbe rasche Rekonvaleszenz wie von einer Frau nach vaginaler
Geburt erwartete.
Maßnahmen
Neben der Angabe von möglichen belastenden Erfahrungen während
der Geburt wurden die Frauen auch nach erhaltenen und gewünschten
Maßnahmen zur Verarbeitung von traumatisierenden Erlebnissen befragt.
Lediglich eine von 117 Frauen hat an dieser Stelle eine erhaltene
Maßnahme, die sie als hilfreich empfand, beschrieben – die
Besichtigung des Kreißsaales einige Zeit nach der Geburt.
Im Gegensatz dazu beschrieben vor allem Frauen, die einen ungeplanten
Geburtsmodus erlebt haben, welche Maßnahmen sie sich gewünscht
hätten. Häufig war dies eine Nachbesprechung der Geburt mit der
anwesenden Hebamme und den anwesenden Ärzt:innen zur Aufarbeitung des
Geschehens unmittelbar nach der Geburt. Viele Frauen hatten offene Fragen und
wünschten sich rückblickend eine Aufklärung über
die Notwendigkeit der ungeplanten Maßnahmen. Sofern eine Nachbesprechung
nach einem ungeplanten Geburtserlebnis stattfand, war diese häufig auf
die Erklärung notwendiger medizinischer Versorgung fokussiert.
„Ein oder mehrere Gespräche mit einem Psychologen
wären hilfreich. Leider gab es oder gibt es so etwas nicht. Aus
medizinischer Sicht und auch das Personal und die Betreuung waren wunderbar,
aber die professionelle Aufarbeitung und Nachsorge fehlt
vollständig. Die einzige Maßnahme ist dieser Fragebogen, der
mir schon sehr hilft. Ich habe das Gefühl, die Geburt ist emotional
noch abgespalten“ (TN 107 mit sekundärer Sectio)
Häufig wurde der Wunsch nach einer professionellen Unterstützung
durch einen Psychologen oder eine Psychologin geäußert, um die
eigene negative Wahrnehmung beziehungsweise Traumatisierung besser zu
verarbeiten und dem Risiko einer langfristigen posttraumatischen
Belastungsreaktion vorzubeugen.
„Ich hätte mir gewünscht, dass ich mehrmals mit dem
bei der Geburt anwesenden Arzt reden könnte und auch mit der Hebamme
und schon in der Klinik mit einem Psychologen“ (TN 89 mit
Notsectio)
„Nicht nur ein aufklärendes Gespräch, sondern
zusätzlich auch ein aktives Erfragen meines Zustandes. Da ich selbst
traumatisiert war, mir dessen aber zu dem Zeitpunkt nicht bewusst war,
konnte ich nicht das Gespräch führen, dass ich eventuell
gebraucht hätte“. (TN 66 mit Notsectio)
Neben der zeitnahen Besprechung wünschten sich viele Frauen die
Möglichkeit, das Erlebte in einem zeitlichen Abstand nochmals ambulant
aufzuarbeiten.
„Gespräche mit meiner Hebamme zu Hause taten sehr gut.
Vielleicht wären Sprechzeiten im Krankenhaus gut.“ (TN 75
mit Spontangeburt)
„Es hätte ein Gespräch meiner Meinung nach wenig
Erfolg gehabt (direkt nach der Geburt), doch nach zirka 3 Monaten
wäre ein Gespräch vielleicht hilfreich gewesen.“ (TN
88 mit vaginal operativer Geburt)
Einen großen Stellenwert zur Nachbesprechung nahm bei vielen Frauen die
Nachsorgehebamme ein, die jedoch häufig nicht alle Details zum Ablauf
der Geburt kannte.
„Es wäre schön gewesen, hierzu mit jemandem zu
sprechen. Meine Nachsorgehebamme war ein großer Trost, aber sie war
ja nicht dabei.“ (TN 69 mit sekundärer Sectio)
Auch hier kommt ein Bedauern zum Ausdruck: Die Frauen hätten gerne eine
aktive Aufarbeitung geschafft. Die Unterstützung, die sie dafür
gebraucht hätten, haben sie jedoch nicht erhalten.
Diskussion
Mit dem Geburtserlebnis werden sehr individuelle, jedoch häufig
überhöhte Erwartungen verbunden. Der Ablauf einer Geburt ist meist
unplanbar und von vielfältigen, überwiegend nicht beeinflussbaren
Faktoren abhängig. Durch ungeplante und belastend empfundene
Maßnahmen erleben bis zu 44% der betroffenen Frauen eine meist
kurzfristige und selbstlimitierende affektive Störung [23 ]. Je größer die Diskrepanz
zwischen dem Geburtsverlauf und den vorherigen Erwartungen der Frau, desto
stärker kommt es zu einer längerfristigen Stressreaktion [24 ]
[25 ].
Abhängig von Vulnerabilität und Schwere der traumatisierenden
Erfahrung, können bis zu 19% der Frauen eine längerfristige
sogenannte childbirth-related PTSD (CB-PTSD) entwickeln [7 ]. Mit Hilfe von standardisierten
Fragebögen lassen sich diese Belastungsreaktionen erfragen und eine CB-PTSD
diagnostizieren [11 ]
[13 ]. Für präventive
Maßnahmen und effektive Interventionen sollten vor allem ursächliche
Faktoren berücksichtigt werden. Die in dieser Studie durchgeführte
qualitative Befragung nach Auslösern für eine Traumatisierung in
Relation zum Geburtsmodus bietet hierzu einen individualisierten Einblick im Rahmen
einer qualitativen inhaltsanalytische Auswertung. Zu den Auslösern bzw.
Faktoren zählen die in [Abb. 1 ]
wiedergegebenen Themen: Belastende Erfahrungen , unzulängliche
Kommunikation , Versagen und Schuldgefühle sowie
Hilflosigkeit und subjektiv ungünstige Versorgung.
Abb. 1 Themen und Kategorien.
Zu den häufigsten belastenden Erfahrungen zählt die Angst um
sich selbst und um das Kind. Dies wird insbesondere von Frauen berichtet, die einen
ungeplanten Geburtsmodus erlebt haben. Diese Angst kann sich bis zur Todesangst
steigern, die Geburt nicht zu überleben [26 ]. Davon berichten in der vorliegenden Studie auch Frauen, die aufgrund
einer langen Geburtsdauer per vaginal operativer Geburt oder sekundärer
Sectio entbunden wurden. Diese Situationen werden als lebensbedrohlich empfunden und
lösen eine überwältigende Angst davor aus, sich selbst zu
verlieren, [27 ], obwohl medizinisch betrachtet
eine sichere und professionelle Versorgung gewährleistet ist. Die Angst um
das Kind und vor der Trennung durch die Verlegung des Kindes auf die Intensivstation
gehören auch zu belastenden Erfahrungen und werden als Risikofaktoren
für posttraumatische Belastungsreaktionen beschrieben. Über
25% der Mütter und auch Väter entwickeln in dem Zusammenhang
eine akute Stresssymptomatik [9 ]. Diese
Trennungen wurden insbesondere nach Notsectiones sowie nach operativ vaginalen
Geburten von den befragten Frauen als traumatisch beschrieben. Eine unmittelbare
Information und offen zugewandte Kommunikation mit anschließender
Aufarbeitung können zur Abfederung beitragen. [28 ]
[29 ].
Eine unzulängliche Kommunikation ist in der vorliegenden Untersuchung
in vielen Fällen berichtet worden. Die Frauen gaben an, nicht oder nur
spät über den Verbleib und den Zustand des Kindes informiert worden
zu sein. In einer Evaluation für Qualitätsmerkmale in der Betreuung
von Frauen während einer Notsectio wird dies als geforderte Maßnahme
betont [30 ], die im geburtshilflichen Alltag
in den meisten Fällen jedoch nicht umgesetzt wird. Vor allem bei ungeplanten
Interventionen berichten die Frauen häufig über mangelnde
Aufklärung über die notwendigen Maßnahmen und fehlendes
Einbeziehen in den Entscheidungsprozess, was insbesondere Frauen nach einer
sekundären Sectio kritisierten. Der werdende Vater wird meist nicht
wahrgenommen und auch nach ungeplanten Maßnahmen wie einer Notsectio nicht
ausreichend über den Zustand und Verbleib seiner Frau und des Kindes
informiert.
Viele Frauen bekommen auch nach der Geburt wenig Informationen über die
Gründe, den Ablauf und die möglichen Konsequenzen des ungeplanten
Geburtsmodus [31 ]. Das Einbeziehen in
Entscheidungsprozesse während der Geburt ist aber ein wesentlicher Faktor
für die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis [32 ]. Frauen wollen vor allem von der
betreuenden Hebamme und den anwesenden Ärzt:innen über den
Geburtsverlauf informiert und in Entscheidungen mit eingebunden werden [33 ].
Darüber hinaus empfindet ein substanzieller Anteil an Frauen nach Sectiones
und vaginal operativen Geburten Versagen und Schuld
[31 ]
[34 ].
Das fehlende positive Geburtserlebnis verstärkt dies für die Frauen
in der vorliegenden Studie zusätzlich. Häufig stellen sie sich die
Frage, ob sie den Verlauf durch anderes Verhalten hätten beeinflussen
können oder durch einen Fehler die Gesundheit des Kindes gefährdet
haben. Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis ist jedoch wesentlich abhängig
ist von der Beurteilung der eigenen Performance während der Geburt [35 ]
[36 ].
Wut und Ärger über den unerwünschten Geburtsverlauf
können sich später auch nach innen richten und zu negativen
Emotionen wie Selbstvorwürfen führen [10 ]. Insbesondere das Wochenbett ist bedeutsam
für die Entstehung einer sicheren Mutter-Kind-Bindung, die über die
zukünftige Entwicklung des Kindes entscheidet [37 ]. Gefühle von Schuld,
Selbstvorwürfen und die Gefahr psychischer Probleme können dazu
führen, dass diese Bindung gestört wird und sich entsprechende
negative Konsequenzen für die Entwicklung der Familie ergeben [38 ]
[39 ].
Die Prävention negativer Geburtsereignisse sowie die schnelle Aufarbeitung
und Bewältigung der daraus resultierenden Gefühle erhält vor
diesem Hintergrund eine noch größere undnachhaltige Bedeutung. Einen
wesentlichen Einfluss kann hierauf eine sichere und einfühlsame
Kommunikation nehmen.
Die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis ist auch mit der wahrgenommenen Kontrolle
verbunden. Ein hohes Maß an Selbstkontrolle führt zu einer
größeren Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis. [40 ]. Ungeplante Maßnahmen ohne eine
angemessene Aufarbeitung lösen häufig das Gefühl des
Ausgeliefertseins und des Kontrollverlustes aus und sind damit wesentliche
Risikofaktoren für eine posttraumatische Belastungsreaktion [41 ].
Unter dem Thema subjektiv ungünstige Versorgung wurde von den Frauen
vor allem ein Mangel an Empathie und eine fehlende Betreuung beschrieben. Frauen
erwarten während der Geburt die Versorgung und Unterstützung vor
allem durch die Hebamme und wünschen eine kontinuierliche Betreuung
während der Geburt [33 ]. Die
Einstellung und Unterstützung durch medizinisches Personal hat einen
großen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Geburtserlebnis [32 ]. Diese wirkt sich auch nachhaltig auf eine
langfristige positive Erinnerung an die Geburt aus [42 ]. So berichten vor allem Frauen von mangelnder Empathie und einer
Stigmatisierung, die Geburt nicht geschafft zu haben, die per sekundärer
Sectio entbunden werden mussten. Sie fühlen sich mit weniger Empathie
behandelt als Frauen, die eine Notsectio erlebt haben. Dies kann Gefühle der
Schuld und des Versagens als Mutter auslösen und dadurch die Entwicklung der
Familie beeinflussen [43 ].
Neben der Frage nach belastenden Ereignissen wurden die Frauen auch nach
erhaltenen und gewünschten Maßnahmen nach der Geburt
befragt. Im Vergleich zur Spontangeburt wünschten sich viele Frauen nach
einem ungeplanten Geburtsmodus Gespräche mit der Hebamme und den anwesenden
Ärzt:innen entweder unmittelbar nach der Geburt oder psychologische
Unterstützung und ein Gesprächsangebot im zeitlichen Abstand zur
Geburt. Die Frauen möchten vor allem detaillierte Informationen über
den Ablauf, die Notwendigkeit und die Konsequenzen der Maßnahmen erhalten.
Aktives Zuhören, Reflektion der eigenen Emotionen und die Korrektur von
eventuellen Missverständnissen können folglich zu einem besseren
Verständnis führen und wirken so fehlerhaften Annahmen entgegen
[33 ]. Eine Nachbesprechung kann sich auch
präventiv bei beginnenden posttraumatischen Belastungsreaktionen auswirken.
Übersichtsarbeiten liefern hierzu zwar häufig keine statistisch
signifikanten Ergebnisse, aber die subjektive Bewertung der Frauen nach einer
postpartalen Nachbesprechung ist überwiegend positiv und die klinische
Bedeutsamkeit auf narrativer Ebene vorliegend [44 ]
[45 ].
Um die geforderten Maßnahmen implementieren zu können, müssen
aber auch strukturelle Möglichkeiten dafür geschaffen werden. Hierzu
zählen unter anderem eine 1:1 Betreuungssituationen während der
Geburt durch die Hebamme für eine kontinuierliche Betreuung, die Einstellung
von geschultem Personal (z. B. Psycholog:innen) für die Nachsorge,
sowie die Möglichkeit Nachbesprechungen im Rahmen einer hebammengeleiteten
Sprechstunde abzurechnen.
Limitationen der vorliegenden Auswertung sind eine kleine und selektive finale
Stichprobe in den einzelnen Gruppen. Die Vergleichbarkeit der Gruppen ist nur
bedingt gegeben, da gewisse Merkmale wie z. B. die Parität keinen
Eingang in die Betrachtung fand und weitere peripartale Komplikationen wie
höhergradige Dammrissverletzungen, verstärkte Nachblutung und
sekundär operative Eingriffe wie manuelle Plazentalösung nicht
kontrolliert werden konnten. Vorbestehende Depressionen oder Geburtsangst (fear of
childbirth) wurden nicht abgefragt und könnten die Wahrnehmung beeinflusst
haben, da diese sich auf das Geburtserleben und die Anpassung an die Zeit nach der
Geburt auswirken [46 ]. Weiterhin ist eine
qualitative Inhaltsanalyse immer subjektiv. Obwohl Maßnahmen ergriffen
wurden, um die Auswertung möglichst objektiv zu halten, kann dies nicht
komplett ausgeschlossen werden.
Die untersuchten Themen und Kategorien bieten jedoch wichtige Einblicke in die
Erfahrungen der teilnehmenden Frauen. Die Anonymität der Befragung im Rahmen
von Freitexten beinhaltet größere Freiheit als persönlich
abgefragte Eindrücke. Eine weitere Stärke der vorliegenden Studie
ist der qualitative Ansatz, der je nach Geburtsmodus individuelle belastende
Erfahrungen abfragt und somit zu einem besseren Verständnis für
traumatisierende Auslöser führt. Der Befragungszeitraum, der bis zu
fünf Jahre nach der Geburt stattfand, schließt die belastenden
Reaktionen sicher mit ein, während zeitnahe Befragungen diese häufig
noch nicht abdecken [42 ].