Osteologie 2023; 33(03): 213-215
DOI: 10.1055/a-2041-5027
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Veranstaltungs-Rückblick Erstes Symposium des „Interdisziplinären Zentrums für Osteologie der Charité“ am Samstag, 18.03.2023 im Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin

Die Osteologie als Wissenschaft der Knochenstoffwechselerkrankungen ist ein in verschiedensten Fachgebieten verankertes Thema: von Knochenbruchheilung über Verhinderung von Frakturen bei der Volkskrankheit Osteoporose, Knochen als Spiegelbild anderer Erkrankungen (chronische Entzündungskrankheiten aller Art, diverse endokrinologische Störungen und natürlich Folgen medikamentöser Therapien), genetisch bedingte seltene Erkrankungen bis hin zu Überlastungsproblemen der Sportmedizin. Diese vielen Facetten sollen sowohl in der Versorgung komplexer Patientenfälle, der Abklärung seltener Erkrankungen und auch der interdisziplinären klinischen Forschung im Interdisziplinären Zentrum für Osteologie gebündelt werden. Dieses wurde Mitte 2022 formal unter Zustimmung des Vorstands und Dekanats der Charité Universitätsmedizin Berlin gegründet.

Entsprechend sind die klinischen Fächer der Orthopädie/Unfallchirurgie, der Sportmedizin, der Endokrinologie und Rheumatologie die Kerngebiete mit nicht minder wichtiger Diagnostik (aktuell Radiologie, künftig auch Humangenetik und Osteopathologie denkbar) und Ergänzung durch andere Fächer wie Gynäkologie, Kinderheilkunde oder Nephrologie. Die derzeit aktiven Beteiligten sind am Ende des Berichts aufgeführt.

Herr Prof. Dr. Frank Buttgereit, leitender Oberarzt der Rheumatologie am Campus Mitte und derzeitiger Vorsitzender des Zentrums gab in seinem Eröffnungsvortrag einen Rückblick auf die Osteologie in Berlin und insbesondere der Charité: Julius Wolff wurde Ende des 19. Jahrhunderts erster Professor für Orthopädie der Charité und beschrieb u. a. das Prinzip der Adaptation des Knochens an die mechanischen Belastungen, kann somit neben Anatomen früherer Zeiten als einer der Begründer dieses Faches gelten. Seine Erkenntnisse gelten auch heute fort, in Anerkennung dessen wurde vor einigen Jahren das Forschungsinstitut der Orthopädie und Unfallchirurgie der Charité zum Julius-Wolff-Institut umbenannt. In der Zeit von ca. 1980 bis ca. 2010 prägten außerdem Dr. Jutta Semler (oft respektvoll als „Päpstin der Osteoporose“ betitelt) am Universitätsklinikum Rudolf Virchow und später als langjährige Chefärztin der Abteilung für Stoffwechselerkrankungen mit Schwerpunkt Osteologie am Immanuel-Krankenhaus (Berlin Wannsee) in der klinischen Patientenversorgung und Prof. Dieter Felsenberg als Leiter des Zentrums für Muskel- und Knochenforschung ZMK am Campus Benjamin Franklin der Charité mit eher wissenschaftlichem Schwerpunkt in der Radiologie und Biomechanik des Knochens (u. a. auch mit den berühmten Bed-rest-Studien zum Effekt der Schwerelosigkeit auf Muskel und Knochen in Vorbereitung von z. B. Marsexpeditionen) das Fachgebiet in Berlin.

Nachfolgend präsentierten Dr. Burkhard Muche und Dr. Edgar Wiebe aus der Rheumatologie (Campus Mitte) neue Daten aus der wohl einzigartigen, seit 2015 laufenden „RhGIOP Kohortenstudie“, die bereits weit über 1.500 PatientInnen mit entzündlich-rheumatologischen Erkrankungen und oftmals Glucocorticoid-Behandlung umfangreich zum Frakturrisiko und Knochenstoffwechsel charakterisiert hat. Eine erste hochrangige Publikation (Wiebe et al., Annals of Rheumatic Diseases 2022) konnte belegen, dass die Kontrolle der Entzündungsaktivität ebenso bedeutsam wie eine Reduktion der Dosis der Glucocorticoide ist. Ein erster Einblick wurde gegeben in vergleichende Analysen zum Osteoporoserisiko zwischen Rheumatoider Arthritis auf der einen und der Erkrankungsgruppe der axialen Spondyloarthritis/Psoriasisarthritis auf der anderen Seite. Diese Erkrankungsarten weisen deutlich verschiedene Zytokinmuster im Entzündungsprozess auf und damit können auch klinische und radiologische Unterschiede der Gelenkentzündung erklärt werden. In den bisherigen osteologischen Analysen scheinen Betroffene mit Rheumatoider Arthritis als Grunderkrankung ein höheres Risiko zur Entwicklung einer Osteoporose aufzuweisen als bei Spondyloarthritiden.

Der folgende Themenblock drehte sich um Bildgebung in der Osteoporosediagnostik. Dr. Gabriele Armbrecht aus der Radiologie sowie dem Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (Campus Benjamin Franklin) ging auf die Röntgenstrahlen-basierten Methoden ein. Die Doppel-Energie-Röntgenabsorptiometrie (DXA)-Technik mit Messung von Lendenwirbelsäule und Hüfte ist dabei weiterhin das weltweite Standardverfahren mit der größten Datenbasis, auch sind alle heute gebräuchlichen Therapeutika in Studien mit DXA untersucht worden. Als Ergänzung wurde die softwarebasierte Texturanalyse mit dem „Trabecular Bone Score“ TBS dargestellt, welche neben der Knochenmineralisation einen weiteren, unabhängigen Frakturrisikofaktor darstellt und bereits Eingang in die Leitlinien des DVO gefunden hat. Das laterale „Vertebral Fracture Assessment“ mit dem DXA-Gerät kann bei Anwendung relativ geringer Strahlendosen mit ausreichender Auflösung Wirbeldeformitäten nachweisen, ohne dass der Patient zu einem anderen Röntgen-Arbeitsplatz gebracht werden muss. Zusätzliche Untersuchungsoptionen sind Unterarm-Messungen und Analysen der Gesamtkörperzusammensetzung für z. B. sportwissenschaftliche Fragestellungen. Die Quantitative Computertomographie QCT der LWS hat Vorteile bei der Differenzierung von corticalem und spongiösen Knochen, ist durch Überlagerungen extraossärer Gewebe (z. B. verkalkte Aorta) nicht beeinträchtigt und kann zumindest unter manchen Bedingungen das Frakturrisiko noch besser bewerten als die DXA. Nachteil ist die wesentlich höhere Röntgenstrahlendosis und im Vergleich zur DXA moderatere Datenbasis. Hier hält aber die Zukunft die „opportunistische“ Osteoporosediagnostik parat, welche im Rahmen von Routine-Computertomographien von Thorax oder Abdomen automatisch auch eine Auswertung der Knochenmineralisation (oft BWK12/LWK1) liefern könnte und ggf. automatisiert Hinweise zu Wirbeldeformitäten erfasst und damit eine wesentliche Patientenpopulation mit Informationen zum Frakturrisiko versorgt. Denn auch in der Diagnostik gilt nach wie vor: sehr viele Risikopatienten werden überhaupt nicht mit DXA untersucht und präexistente Wirbelkörperfrakturen in Röntgen- oder CT-Befunden nicht pointiert berichtet. Die hochauflösende periphere Computertomographie (HR-pQCT) bringt insbesondere wissenschaftlich relevante Informationen zur Spongiosafeinstruktur, Coticalisdicke und -porosität und zeitgleich Aspekten der Muskulatur. Auch Untersuchungen kleiner Gelenke an der Hand beispielsweise zum Verlauf von erosiven Veränderungen bei Rheumatoider Arthritis im Rahmen wissenschaftlicher Studien sind hochpräzise machbar.

Prof. Dr. Kay Raum stellte in seinem Vortrag als Kontrast zu Dr. Armbrecht einige ultraschallbasierte Technologien vor. Alte Geräte zur Untersuchung der Ultraschalldurchdringung (am Calcaneus) hatten verschiedene Nachteile, u. a. in der Standardisierung sowie der Unempfindlichkeit im Therapieverlauf, und sind daher weitgehend aus der klinischen Nutzung verschwunden. Physikalisch gilt: Ultraschall wird weitestgehend an der Knochenoberfläche reflektiert. Seit wenigen Jahren ist basierend auf mathematischen Modellen aber auch eine Analyse von minimalsten Restreflexionen einer Ultraschallwelle aus dem Knocheninneren möglich und wird von einer Ausgründung der Universität Padua bereits vermarktet (REMS). Die Forschungsgruppe von Professor Raum mit dem zukunftsweisenden Titel „Imaging, Simulation & Stimulation“ (Campus Benjamin Franklin) fokussiert sich auf sehr oberflächennahe Signale aus der Tibiacorticalis, welche u. a. die physikalische Dichte und Porosität abbilden. Eine erste klinische Untersuchung zeigte eine gute Trennschärfe zwischen Probanden mit und ohne Fragilitätsfrakturen, welche sogar der DXA überlegen schien. Hierfür ist als technische Voraussetzung im Wesentlichen ein Routine-Ultraschallgerät ausreichend. Es wird spannend, was weitere, größere Validierungsstudien ergeben – eine einfach durchzuführende, röntgenstrahlungsfreie Diagnostik mit weitverbreiteten Geräten könnte einen weiteren Durchbruch für die Erkennung von Frakturrisikopatienten in der wohnortnahen (hausärztlichen) Versorgung darstellen.

In der Pause gab es die Möglichkeit, sich an Ausstellungsständen von Unterstützern der Veranstaltung zu neuen Entwicklungen zu informieren und natürlich das von den Teilnehmenden während der langen Phase von Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie vermisste direkte kollegiale Miteinander wiederzubeleben.

Der zweite Teil des Vormittags startete mit einem spannenden Ausflug in die insbesondere laborchemische Detektivarbeit zur Erkennung ungewöhnlicher Erkrankungen und Aufklärung unerwarteter Behandlungsverläufe. Präsentiert wurde dieser Vortrag von Dr. Lukas Maurer aus der Endokrinologie (Campus Mitte). Es schilderte die Differentialdiagnostik einer jungen, prämenopausalen Patientin mit spontaner Wirbelkörperfraktur, wo sich anhand Anamnese eine familiäre Risikokonstellation herausstellte und schließlich eine Hypophosphatasie als genetisch bedingter Mangel an Alkalischer Phosphatase herausstellte. Eine weitere Kasuistik zeigte einen Patienten mit rezidivierenden Nierensteinen und nachgewiesenem primären Hyperparathyreoidismus. Als sich weitere Anomalitäten fanden, konnte die Diagnose auf eine Multiple endokrine Neoplasie (pHPT, Thymuscarcinoid und Prolactinom) erweitert werden mit entsprechend weiteren therapeutischen Konsequenzen (Operationen, Radiatio). Ein letztes Fallbeispiel zeigte ein Cushingsyndrom mit pathologischen Frakturen, ausgelöst durch eine Interaktion des Glucocorticoid-Metabolismus am Cytochrom P-450 (CYP3A4) durch antivirale Medikamente bei HIV-Infektion. Hierunter kann es durch eigentliche „Bagatell“dosierungen von Corticoiden (einzelne Gelenkinjektion) u.U. zu monatelang anhaltenden, klinisch schweren Cushing-Syndromen kommen, weil einzelne synthetische Steroide nicht mehr metabolisiert werden. Also: besondere Vorsicht mit Anwendung von Steroiden bei Patienten unter HAART (wie z. B. Ritonavir)!!!

Jan Pohlmann aus der Sportmedizin (Campus Mitte) befasste sich mit Stressfrakturen und Sport. Im Leistungssport, insbesondere in Ausdauerdisziplinen, treten Stressfrakturen an der unteren Extremität bei bis zu 20% der Athleten auf. Die Ursachen sind vielfältig, neben akuter Insuffizienz aufgrund zu schneller Belastungssteigerung und ungünstiger Belastungsverteilung (Schuhwerk) bis hin zu metabolischen und hormonellen Phänomenen, z. B. dass mit der Erwartung eines geringen Body-Mass-Index auch ein Energie- und Proteinmangel ausgelöst wird und bei Frauen zusätzlich Dys-/Amenorrhoen bestehen (sogenannte „female athlete triad“). Bezüglich Heilungsverlauf sind verschiedene anatomische Regionen aufgrund typischer mechanischer Belastungszonen in unproblematisch vs. high-risk für verzögerte Heilung zu differenzieren, was insbesondere im Leistungssportbereich zu berücksichtigen ist, wenn es um die Dauer erforderlicher Trainingspausen geht. Stressfrakturen treten nicht immer plötzlich auf, sondern entwickeln sich manchmal über längere Zeit, beginnend mit eher diffusen Beschwerden. Im Röntgenbild sind diese Veränderungen teils nicht, bzw. erst anhand Heilungsphänomenen (Kallus, Sklerosierungen) im Verlauf zu erkennen, weshalb das MRT die Methode der Wahl zur Diagnostik ist. Die damit erhobenen Befunde lassen außerdem eine recht gute Einschätzung des Zeitpunktes „return to sports“ zu (Graduierung nach Fredericson). Zur Therapie gehören NSAR, sofortige Entlastung (Air Walker, Gehstützen) und physikalische Maßnahmen (therapeutischer Ultraschall, Magnetfeld- oder Elektrotherapie, Stoßwelle). Wichtig ist auch, nachgewiesene Nährstoffdefizite (Vitamin D, Calcium) ggf. auszugleichen.

Es schlossen sich 2 Vorträge aus der Orthopädie/Unfallchirurgie an. Dr. Yannick Palmowski (Campus Mitte) beleuchtete die Relevanz osteoprotektiver Medikationen auf das Outcome chirurgischer Eingriffe am Skelett. So findet sich nach instrumentierten LWS-Operationen in 8–45% (!) eine Revisionserfordernis, wobei eine Implantatlockerung insbesondere bei älteren, osteoporotischen Patienten zu beobachten ist und daher eine präoperative Diagnostik und Osteoporosebehandlung (optimalerweise schon deutlich präoperativ beginnend) zu erwägen ist. Nicht zuletzt aufgrund des steigenden Altersdurchschnitts der operierten Patienten spielt das eine zunehmende Rolle, bereits heute muss man bei 1 von 5 Männern und der Hälfte der Frauen mit Osteoporosen rechnen, der Anteil bisher präoperativ bezgl. Osteoporose medikamentös behandelter Patienten liegt unter 20%. Zur Sicherheit der osteologischen Medikamente gibt es positive Signale, so zeigte eine Metaanalyse diverser Studien, dass eine Bisphosphonattherapie die periprothetische Knochenmineralisation steigern kann und vor allem die Revisionsraten reduziert (Dänemark, GB). Studien mit Denosumab und osteoanabolen Substanzen sind bisher deutlich kleiner, deuten aber in ähnlich günstige Richtungen. Als Fazit blieb: bei elektiven orthopädischen Operationen sollte spätestens ab dem 65. LJ eine präoperative Osteoporosediagnostik durchgeführt werden und – sofern möglich – die Operation zumindest erst nach einigen Monaten Osteoporosetherapie stattfinden. Optimale Diagnose- und Therapiekonzepte unter den Bedingungen des deutschen Gesundheitssystems sind zukünftig zu eruieren.

Auf die besonderen Herausforderungen nach periprothetischen Frakturen, Infektionen oder aseptischen Lockerungen von vor allem hochbetagten Osteoporosepatienten ging auch PD Dr. Serafeim Tsitsilonis (Campus Virchow Klinikum) mit beeindruckenden Patientenkasuistiken ein. Er demonstrierte „Katastrophenfälle“, bei denen dennoch eine Operation ohne Extremitätenverlust und sogar Wiedererlangung einer gewissen Belastungsstabilität und Lebensqualität erreicht werden konnte.

Mit diesen eindrucksvollen Bildern fand das erste Symposium des Interdisziplinären Zentrums für Osteologie der Charité seinen Abschluss. Diese bunte Veranstaltung in einem wunderbaren Ambiente erhielt ein ausgesprochen positives Feedback der Teilnehmenden, so dass wir bereits heute zum nächsten Symposium am Samstag, 02. März 2024 ins Kaiserin-Friedrich-Haus in Berlin-Mitte einladen.

Dr. Burkhard Muche

Website: osteologie.charite.de

Email: osteologie@charite.de

Das Interdisziplinäre Zentrum für Osteologie der Charité 2023 sind:

Medizinische Klinik für Rheumatologie und klinische Immunologie (CCM): Prof. Dr. Frank Buttgereit, Dr. Burkhard Muche, Dr. Edgar Wiebe, Dr. Sandra Hermann, Dr. Andriko Palmowski, Zhivana Boyadzhieva, PD Dr. Paula Hoff

Medizinische Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (CCM): Prof. Dr. Joachim Spranger, Dr. Lukas Maurer

Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CCM): Prof. Dr. Carsten Perka, Dr. Yannick Palmowski

Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie (CVK): Prof. Dr. Ulrich Stöckle, PD Dr. Serafeim Tsitsilonis

Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (CBF): Dr. Erika Baum

Klinik für Radiologie/Zentrum für Muskel- und Knochenforschung (CBF): Dr. Gabriele Armbrecht

Forschungsgruppe “Imaging, Simulation & Stimulation”: Prof. Dr. Dr. Kay Raum

Abteilung für Sportmedizin (CCM): Prof. Dr. Bernd Wolfarth, Jan Pohlmann

Klinik für Gynäkologie (CCM): Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer



Publication History

Article published online:
05 September 2023

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