III Methodik
Grundlagen
Die Methodik zur Erstellung dieser Leitlinie wird durch die Vergabe der Stufenklassifikation vorgegeben. Das AWMF-Regelwerk (Version 2.0) gibt entsprechende Regelungen vor. Es wird zwischen
der niedrigsten Stufe (S1), der mittleren Stufe (S2) und der höchsten Stufe (S3) unterschieden. Die niedrigste Klasse definiert sich durch eine Zusammenstellung von Handlungsempfehlungen,
erstellt durch eine nicht repräsentative Expertengruppe. Im Jahr 2004 wurde die Stufe S2 in die systematische evidenzrecherchebasierte (S2e) oder strukturelle konsensbasierte Unterstufe
(S2k) gegliedert. In der höchsten Stufe S3 vereinigen sich beide Verfahren. Diese Leitlinie entspricht der Stufe: S2k .
Empfehlungsgraduierung
Die Evidenzgraduierung nach systematischer Recherche, Selektion, Bewertung und Synthese der Evidenzgrundlage und eine daraus resultierende Empfehlungsgraduierung einer Leitlinie auf
S2k-Niveau ist nicht vorgesehen. Es werden die einzelnen Statements und Empfehlungen nur sprachlich – nicht symbolisch – unterschieden ([Tab. 3 ]).
Tab. 3 Graduierung von Empfehlungen (deutschsprachig).
Beschreibung der Verbindlichkeit
Ausdruck
starke Empfehlung mit hoher Verbindlichkeit
soll/soll nicht
einfache Empfehlung mit mittlerer Verbindlichkeit
sollte/sollte nicht
offene Empfehlung mit geringer Verbindlichkeit
kann/kann nicht
Statements
Sollten fachliche Aussagen nicht als Handlungsempfehlungen, sondern als einfache Darlegung Bestandteil dieser Leitlinie sein, werden diese als „Statements“ bezeichnet. Bei diesen Statements
ist die Angabe von Evidenzgraden nicht möglich.
Konsensusfindung und Konsensusstärke
Im Rahmen einer strukturierten Konsenskonferenz nach dem NIH-Typ (S2k/S3-Niveau) stimmen die berechtigten Teilnehmer der Sitzung die ausformulierten Statements und Empfehlungen ab. Der
Ablauf war wie folgt: Vorstellung der Empfehlung, inhaltliche Nachfragen, Vorbringen von Änderungsvorschlägen, Abstimmung aller Änderungsvorschläge. Bei Nichterreichen eines Konsensus
(> 75% der Stimmen) Diskussion und erneute Abstimmung. Abschließend wird abhängig von der Anzahl der Teilnehmer die Stärke des Konsensus ermittelt ([Tab. 4 ]).
Tab. 4 Einteilung zur Zustimmung der Konsensusbildung.
Symbolik
Konsensusstärke
prozentuale Übereinstimmung
+++
starker Konsens
Zustimmung von > 95% der Teilnehmer
++
Konsens
Zustimmung von > 75 – 95% der Teilnehmer
+
mehrheitliche Zustimmung
Zustimmung von > 50 – 75% der Teilnehmer
–
kein Konsens
Zustimmung von < 50% der Teilnehmer
Expertenkonsens
Wie der Name bereits ausdrückt, sind hier Konsensusentscheidungen speziell für Empfehlungen/Statements ohne vorige systemische Literaturrecherche (S2k) oder aufgrund von fehlender Evidenzen
(S2e/S3) gemeint. Der zu benutzende Expertenkonsens (EK) ist gleichbedeutend mit den Begrifflichkeiten aus anderen Leitlinien wie „Good Clinical Practice“ (GCP) oder „klinischer
Konsensuspunkt“ (KKP). Die Empfehlungsstärke graduiert sich gleichermaßen wie bereits im Kapitel Empfehlungsgraduierung beschrieben ohne die Benutzung der aufgezeigten Symbolik, sondern rein
semantisch („soll“/„soll nicht“ bzw. „sollte“/„sollte nicht“ oder „kann“/„kann nicht“).
Sondervotum OEGGG
Zu 6.9.1 Entbindungsmodus in Abhängigkeit von der Kindslage
Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (OEGGG) ist der Ansicht, dass es für die Empfehlung, aufgrund eines vermeintlich geringeren perinatalen
Hirnblutungsrisikos als Entbindungsmodus eine Sectio caesarea zu präferieren, keine klinische und wissenschaftliche Grundlage gibt und der Entbindungsmodus im Bereich der frühen
Frühgeburtlichkeit (SSW 22 + 0 bis 24 + 6) der individuellen maternalen und fetalen klinischen Situation angepasst werden muss. Die OEGGG empfiehlt im Bereich der frühen Frühgeburtlichkeit
bei Einlingen in Schädellage ein individuelles Entbindungsmanagement, das die maternale und fetale klinische Situation berücksichtigt und auch eine Vaginalgeburt als Geburtsmodus in den
klinischen Entscheidungsprozess einschließt [1 ].
Sondervotum SGGG
Zu 1 Definition und Epidemiologie (und diverse andere Kapitel: 6.9.1, 6.9.6, 6.9.7, 8.8, 8.9)
In Bezug auf die Betreuung an der Grenze der Lebensfähigkeit wird auf die gemeinsam mit den Neonatologen erarbeitete Empfehlung der Schweiz verwiesen. Begründung: Die Empfehlungen
in der Schweiz divergieren in mehreren Aspekten von den Empfehlungen in Deutschland. Sie sind aktuell in Überarbeitung [2 ].
Zu 6.6 Applikation antenataler Steroide
In Bezug auf dieses Kapitel wird auf den SGGG Expertenbrief Nr. 56 Glucocorticoidtherapie zur antenatalen Lungenreifung bei drohender Frühgeburt: Indikationen und Dosierung verwiesen.
Begründung: Die evidenzbasierten Empfehlungen in der Schweiz differieren leicht zu dieser LL, insbesondere hinsichtlich Gabe von antenatalen Glukokortikoiden 34 + 0 bis 36 + 0 SSW
[3 ].
Zu 6.2 Tokolyse
In Bezug auf tokolytische Medikamente sind in der Schweiz Betamimetika zur Tokolyse zugelassen und als Tokolytikum 1. Wahl einsetzbar, siehe auch den SGGG Expertenbrief Nr. 41 Tokolyse
bei vorzeitiger Wehentätigkeit. Begründung: Die Empfehlungen und die Praxis in der Schweiz divergieren von denjenigen in Deutschland [4 ].
Zu 8.8 Klinisches Management bei < 22 SSW
Bei schlechter Prognose sollte die Option eines Schwangerschaftsabbruchs erwähnt werden. Begründung: Die Option des Schwangerschaftsabbruchs mittels Geburtseinleitung bei schwerer
mütterlicher körperlicher oder psychischer Gefährdung wird in der LL nicht erwähnt, obwohl sie klinisch von Bedeutung ist.
Das Sondervotum der OEGGG wird auch durch die SGGG übernommen.
Empfehlung 8.E63: Glukokortikoide sollten in 22 SSW nicht gegeben werden. In speziellen Fällen können sie in 23 SSW gegeben werden, wenn eine Frühgeburt in den nächsten 7 Tagen droht und
nach Besprechung mit der Patientin durch Geburtshelfer*innen und Neonatolog*innen.
IV Leitlinie
6 Tertiäre Prävention
6.1 Bettruhe
Konsensbasiertes Statement 6.S25
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [5 ]
Es gibt bisher keine gesicherte Datenlage, dass Bettruhe die Frühgeburtenrate senkt. Hingegen erhöht Bettruhe das maternale Thromboserisiko und begünstigt die Entwicklung einer
Muskelatrophie und Osteoporose.
6.2 Tokolyse
Konsensbasierte Empfehlung 6.E22
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine Tokolyse soll mit dem Ziel durchgeführt werden, die Schwangerschaft um mindestens 48 h zu verlängern. Dies ermöglicht
die Applikation antenataler Steroide,
den In-utero-Transfer in ein Perinatalzentrum mit neonatologischer Intensivstation.
6.2.1 Indikationen
Konsensbasierte Empfehlung 6.E23
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine medikamentöse Wehenhemmung sollte erfolgen bei
spontanen, regelmäßigen vorzeitigen Wehen ≥ 4/20 min in Verbindung mit
einer Verkürzung der funktionellen Zervixlänge (transvaginale Messung) und/oder Eröffnung der Zervix.
Konsensbasiertes Statement 6.S26
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei gegebener Indikation und nach Ausschluss von Kontraindikationen ist im Zeitraum zwischen 22 + 0 und 33 + 6 SSW eine Tokolyse angezeigt.
Konsensbasiertes Statement 6.S27
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [6 ], [7 ]
Eine medikamentöse Wehenhemmung (Betasympathomimetika, Atosiban, Nifedipin, Indometacin, NO-Donoren) ist in der Lage, bei vorzeitigen muttermundwirksamen Wehen die Geburt in
75 – 93% der Fälle um 48 h und in 62 – 78% um 7 Tage hinauszuschieben.
6.2.2 Medikamente
Konsensbasierte Empfehlung 6.E24
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Aufgrund der im Vergleich zu anderen Tokolytika signifikant höheren Rate maternaler Nebenwirkungen (Betasympathomimetika) und der nicht evidenzbasiert nachgewiesenen
tokolytischen Effizienz (Magnesiumsulfat) sollten die kontinuierliche intravenöse Applikation von Betasympathomimetika und Magnesiumsulfat nicht mehr zur Tokolyse eingesetzt
werden.
Betasympathomimetika weisen unter allen Tokolytika neben dem größten Überwachungsaufwand auch die höchste Rate maternaler (bis zu 80% kardiovaskulärer) und fetaler Nebenwirkungen auf
[7 ]. Hinzu kommt das Problem des Lungenödems bei ca. 1/350 Anwendungen [8 ]. Sie sollten daher nicht mehr zur Tokolyse
eingesetzt werden [9 ]. Die in Deutschland häufig praktizierte Bolustokolyse mit Fenoterol weist signifikant weniger maternale Nebenwirkungen auf als die
kontinuierliche intravenöse.
Zu Magnesiumsulfat als Tokolytikum ist die Datenlage kontrovers. In Metaanalysen [6 ], [7 ] war Magnesiumsulfat hinsichtlich
der Verlängerung der Schwangerschaft um 48 h tokolytisch effektiv im Vergleich zu Placebo (OR 2,46; 95%-KI 1,58 – 4,94), demgegenüber stehen die Ergebnisse und Aussagen des Cochrane
Review 2014 [10 ], generiert aus 37 Studien mit 3571 Schwangeren. Danach ist Magnesiumsulfat zur Schwangerschaftsverlängerung über 48 h nicht wirksamer als
Placebo oder keine Therapie und senkt die Frühgeburtenrate nicht. Allerdings ist die tokolytische Effizienz von Magnesiumsulfat dosisabhängig und dementsprechend auch die Häufigkeit
maternaler Nebenwirkungen. Nach einer Metaanalyse aus 2019 ist die antenatale Gabe von Magnesiumsulfat (alle Indikationen) im Vergleich zu Placebo/keine Therapie mit keiner erhöhten Rate
an perinatalen Todesfällen assoziiert [11 ]. In internationalen Leitlinien wird Magnesiumsulfat nicht mehr zur Tokolyse empfohlen [12 ], [13 ], [14 ].
Konsensbasierte Empfehlung 6.E25
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [6 ], [7 ]
Unter Berücksichtigung der Effizienz und des Nebenwirkungsprofils sollten Kalziumantagonisten (Nifedipin), Oxytocinrezeptorantagonisten (Atosiban) und COX-Inhibitoren
(Indometacin) trotz teilweise fehlender Zulassung vorzugsweise als Tokolytika verwendet werden.
6.2.3 Kombination mehrerer Tokolytika
Konsensbasierte Empfehlung 6.E26
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [8 ], [15 ]
Die Kombination von Tokolytika sollte nach derzeitiger Datenlage im Hinblick auf die im Vergleich zur Anwendung eines Tokolytikums signifikant erhöhten Rate an maternalen
Nebenwirkungen bei nicht nachgewiesener Steigerung der Effizienz unterbleiben.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E27
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [16 ]
Eine Kombination von Tokolytika mit oralem/vaginalem Progesteron zur adjunktiven Tokolyse sollte derzeit aufgrund der unzureichenden Studienlage nicht erfolgen.
6.2.4 Tokolyse bei extremer Frühgeburt, Mehrlingen und intrauteriner Wachstumsrestriktion
Konsensbasiertes Statement 6.S28
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Literatur: [17 ], [18 ]
Für den Einsatz von Tokolytika zur Wehenhemmung bei Frühgeburt an der Grenze zur Lebensfähigkeit, Mehrlingen und intrauteriner Wachstumsrestriktion fehlt die Evidenz aus
randomisierten, kontrollierten Studien. Ihr Einsatz ist eine Einzelfallentscheidung, die im Sinne der partizipativen Entscheidungsfindung getroffen werden sollte.
6.2.5 Dauertokolyse
Konsensbasierte Empfehlung 6.E28
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Literatur: [19 ], [20 ], [21 ], [22 ], [23 ]
Die Dauer- oder Erhaltungstokolyse (mehrheitlich definiert als Tokolyse > 48 h) sollte nach derzeitigem Kenntnisstand zur Senkung der Frühgeburtenrate sowie der neonatalen
Morbidität und Mortalität nicht eingesetzt werden.
Sie kann in Einzelfällen im Konsens mit der Schwangeren erwogen werden.
6.3 Progesteron als Erhaltungstokolyse
Konsensbasierte Empfehlung 6.E29
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Schwangere mit Einlingsschwangerschaft sollten nach erfolgter Tokolyse zur Erhaltungsbehandlung kein Progesteron zur Prävention einer Frühgeburt erhalten.
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2017 mit selektivem Einschluss der hochqualitativen Studien zu diesem Thema zeigt, dass der Einsatz von Progesteron zur Erhaltungstokolyse die Rate einer
Frühgeburt < 37 SSW nicht signifikant reduziert (OR 1,23, 95%-KI 0,91 – 1,67) [24 ].
6.5 Antibiotikagabe bei vorzeitiger Wehentätigkeit
Konsensbasierte Empfehlung 6.E30
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Schwangere mit vorzeitiger Wehentätigkeit ohne Blasensprung und ohne lokoregionäre klinische Infektionszeichen sollen nicht allein mit dem Ziel, die Schwangerschaftsdauer zu
verlängern oder die neonatale Morbidität zu senken, antibiotisch therapiert werden.
Es liegen mittlerweile zahlreiche prospektiv randomisierte Studien vor, die den Effekt einer Antibiotikagabe auf die Frühgeburtenrate und perinatale Morbidität bei Frauen mit vorzeitiger
Wehentätigkeit und intakter Fruchtblase untersucht haben. Wie eine Metaanalyse aus 2013 allerdings zeigte, ließ sich durch diese Intervention keine Verbesserung in den genannten Parametern
erreichen [25 ].
Neuere Untersuchungen überprüfen die Wertigkeit einer amniozentesegesteuerten Antibiotikatherapie in dieser Konstellation. Bis zur Publikation valider Ergebnisse sollten Antibiotika in
diesem Zusammenhang nicht eingesetzt werden, da neben einer möglichen Verkürzung der Schwangerschaftsdauer auch weitere schwerwiegende Nebenwirkungen wie die Selektion therapieresistenter
Keime, die Induktion einer vaginalen Dysbiose, gastrointestinale Beschwerden etc. in Betracht gezogen werden müssen [26 ], [27 ]. Davon ausgenommen sind natürlich Patientinnen, bei denen eine klinische Beschwerdesymptomatik vorliegt.
6.6 Applikation antenataler Steroide
6.6.1 Applikation und Dosierung
Konsensbasierte Empfehlung 6.E31
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [28 ]
Bei Frauen mit unmittelbar drohender Frühgeburt vor 34 + 0 SSW soll die Applikation antenataler Steroide mit 2 × 12 mg Betamethason i. m. im Abstand von 24 h erfolgen
(alternativ Dexamethason, 4 × 6 mg i. m. alle 12 h).
6.6.2 Ab welcher Schwangerschaftswoche?
Konsensbasierte Empfehlung 6.E32
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Auch bei drohender Frühgeburt < 24 + 0 SSW sollte die Applikation antenataler Steroide erfolgen, falls eine neonatal-intensivmedizinische Maximaltherapie geplant ist.
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse konnte 8 nicht randomisierte Studien zu diesem Thema detektieren [29 ]. Der Einfluss einer einmaligen Gabe von
Kortikosteroiden in 22 + 0 bis 23 + 6 SSW auf die neonatale Mortalität und Morbidität ist in [Tab. 5 ] und [6 ]
dargestellt.
Tab. 5 Effekte antenataler Steroide auf das Outcome von Kinder zwischen 22 + 0 und 22 + 6 SSW (Daten aus: [29 ]).
22 + 0 – 22 + 6 SSW
OR
95%-KI
neonatale Mortalität
0,58
0,38 – 0,89
intraventrikuläre Hirnblutung (Grad III – IV) oder periventrikuläre Leukomalazie
1,03
0,55 – 1,93
chronische Lungenerkrankung
1,19
0,52 – 2,73
nekrotisierende Enterokolitis (> Stadium II)
0,59
0,03 – 12,03
Tab. 6 Effekte antenataler Steroide auf das Outcome von Kinder zwischen 23 + 0 und 23 + 6 SSW (Daten aus: [29 ]).
23 + 0 – 23 + 6 SSW
OR
95%-KI
neonatale Mortalität
0,50
0,42 – 0,58
intraventrikuläre Hirnblutung (Grad III – IV) oder periventrikuläre Leukomalazie
0,75
0,55 – 1,03
chronische Lungenerkrankung
0,94
0,59 – 1,51
nekrotisierende Enterokolitis (> Stadium II)
0,93
0,66 – 1,32
Während die neonatale Mortalität durch die einmalige Gabe von Kortikosteroiden signifikant gesenkt wird, liegt offenbar kein Einfluss auf die Morbidität vor. Angesichts der rasanten
Fortschritte, die derzeit in der neonatologischen Intensivmedizin erzielt werden, sind deshalb zu diesem Thema dringend prospektiv randomisierte Studien erforderlich.
6.6.3 Wiederholte Gabe antenataler Steroide
Konsensbasierte Empfehlung 6.E33
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Literatur: [30 ]
Frauen, bei denen vor 29 + 0 SSW wegen drohender Frühgeburt vor mehr als 7 Tagen Steroide appliziert wurden, können nach Reevaluation bei zunehmendem Risiko für eine
unmittelbar eintretende Frühgeburt einmalig eine weitere Steroidgabe erhalten.
6.6.4 Timing der Applikation antenataler Steroide
Konsensbasiertes Statement 6.S29
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [31 ], [32 ], [33 ]
Der Zeitpunkt und die Indikation zur antenatalen Steroidgabe ist wohl zu überlegen, da die neonatale Morbidität und Mortalität nur in einem Intervall zwischen 24 h und 7 Tagen
nach der ersten Applikation gesenkt werden kann. Es gibt Hinweise, dass die Gabe von antenatalen Steroiden bereits vor 24 h wirkt.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E34
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [34 ], [35 ]
Patientinnen mit vorzeitiger Wehentätigkeit, die eine vaginalsonografisch gemessene Zervixlänge > 30 mm oder von 15 – 30 mm aufweisen und zusätzlich negativ für
Fibronektin, phIGFBP-1 oder PAMG-1 getestet sind, sollten keine Applikation antenataler Steroide alleine aufgrund der Wehentätigkeit erhalten, da ein geringes Risiko (< 5%)
für eine Frühgeburt in den nächsten 7 Tagen besteht.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E35
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Liegen bei asymptomatischen Patientinnen mit einer Zervixlänge von 5 – 15 mm und einem negativen Test für Fibronektin, phIGFBP-1 oder PAMG-1 keine weiteren
Risikofaktoren für eine Frühgeburt vor, sollte aufgrund der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit für eine Entbindung innerhalb von 7 Tagen (< 1%) keine Applikation
antenataler Steroide erfolgen. Dennoch sollte die Patientin weiter engmaschig hinsichtlich des Frühgeburtsrisikos überwacht werden.
Noch viel geringer scheint das Frühgeburtsrisiko für asymptomatische Patientinnen mit kurzer Zervixlänge zu sein. So entband in einer retrospektiven Untersuchung, die 126
asymptomatische Patientinnen mit einer Zervixlänge ≤ 25 mm zwischen 23 und 28 SSW einschloss, keine Patientin innerhalb von 7 Tagen und lediglich eine innerhalb von 14 Tagen. Ihre
Zervixlänge betrug weniger als 10 mm [36 ]. Die entsprechenden Kaplan-Meier-Kurven sind in nachfolgender Abbildung dargestellt ([Abb. 1 ]).
Fig. 1 Wahrscheinlichkeit einer Entbindung bei asymptomatischen Patientinnen mit einer gemessenen Zervixlänge von weniger als 25 mm zwischen 23 und 28 SSW [36 ]. [rerif]
Diese Daten werden durch eine weitere retrospektive Studie gestützt, in die 367 weitestgehend asymptomatische Frauen – Druck oder Ziehen im Unterbauch, vaginales Spotting galten nicht
als Ausschlusskriterien – mit einer Zervixlänge von weniger als 25 mm zwischen 24 und 34 SSW einflossen. Lediglich 2 dieser Patientinnen entbanden innerhalb von 7 Tagen [37 ].
In diesem Zusammenhang wurde in einer retrospektiven Analyse auch der Nutzen eines Fibronektintests bei asymptomatischen Patientinnen untersucht, deren Zervixlänge zwischen 22 und
32 SSW weniger als 10 mm betrug, im Vergleich zu denen mit einer Zervixlänge zwischen 11 und 25 mm. Der negative Vorhersagewert für eine Geburt innerhalb von 7 oder innerhalb von
14 Tagen betrug in beiden Gruppen 100% und lag für eine Frühgeburt vor 34 SSW immer noch bei fast 90% [38 ]. Eine weitere retrospektive Studie zeigt nahezu
identische Ergebnisse [39 ] ([Tab. 7 ]).
Tab. 7 Fibronektintest zur Vorhersage einer Frühgeburt bei asymptomatischen Patientinnen zwischen 22 und 32 SSW (Daten aus: [38 ]).
Sensitivität (%)
Spezifität (%)
PPV (%)
NPV (%)
CL: Zervixlänge; PPV: positiver Vorhersagewert; NPV: negativer Vorhersagewert
CL < 10 mm (n = 40)
Geburt < 7 Tage
100
64,9
18,6
100
Geburt < 14 Tage
100
66,7
25
100
Geburt < 34 SSW
80
73,9
57,1
89,5
Geburt < 37 SSW
58,8
73,9
62,5
70,8
CL 11 – 25 mm (n = 77)
Geburt < 7 Tage
100
78
5,8
100
Geburt < 14 Tage
100
73,2
11,8
100
Geburt < 34 SSW
58,3
84,7
50
88,6
Geburt < 37 SSW
35,7
84,7
58,8
68,4
Konsensbasierte Empfehlung 6.E36
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [40 ]
Auf eine sogenannte Schnellreifung, Applikation der zweiten Dosis Betamethason nach bereits 12 anstatt 24 h, soll verzichtet werden, da hierdurch das Risiko für eine
nekrotisierende Enterokolitis signifikant erhöht wird.
6.6.5 Applikation antenataler Steroide bei später Frühgeburt
Konsensbasierte Empfehlung 6.E37
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Auf eine Applikation antenataler Steroide bei Patientinnen mit drohender Frühgeburt zwischen 34 + 0 und 36 + 5 SSW sollte derzeit verzichtet werden, da bisher keine
Untersuchungen zur psychomotorischen Entwicklung im späteren Lebensalter vorliegen.
Der ALPS Trial zeigte eine signifikante Reduktion respiratorischer Störungen bei Kindern von Frauen mit später Frühgeburt zwischen 34 + 0 und 36 + 5 SSW, die antenatal 2 × 12 mg
Betamethason i. m. erhalten hatten [41 ]. Auch im ASTECS-Trial, in dem Müttern mit elektiver Sectio am Termin antenatal 2 × 12 mg Betamethason appliziert
wurde, konnte eine signifikante Reduktion des RDS (Respiratory Distress Syndrome) bei den geborenen Kindern beobachtet werden [42 ]. Allerdings zeigte
sich, dass beim „School Assessment“ 10 Jahre später von den Lehrern signifikant mehr Kinder aus der Behandlungsgruppe im unteren Leistungsquartil und weniger Kinder im oberen
Leistungsquartil eingeordnet eingeordnet wurden [43 ]. Bisher liegen für den ALPS Trial keine Nachuntersuchungen zu den Kindern vor. Deshalb sollte bis auf
Weiteres bei dieser Patientengruppe keine antenatale Kortikoid-Applikation erfolgen.
6.7 Notfall-Zerklage
Konsensbasierte Empfehlung 6.E38
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [44 ], [45 ], [46 ]
Bei mehr als 1 cm eröffnetem Muttermund vor 24 + 0 SSW in Einlingsschwangerschaften kann die Anlage einer Notfall-Zerklage erwogen werden mit dem Ziel, eine signifikante
Prolongation der Schwangerschaft zu erreichen.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E39
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [47 ]
Frauen mit Notfall-Zerklage sollten perioperativ Indometacin und Antibiotika erhalten.
6.8 Neuroprotektion
Konsensbasiertes Statement 6.S30
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [48 ]
Die typische Hirnschädigung des unreifen Neugeborenen ist die peri-/intraventrikuläre Hirnblutung (PIVH) und die periventrikuläre Leukomalazie (PVL)/diffuse Schädigung der
weißen Hirnsubstanz.
6.8.1 Magnesium
Konsensbasierte Empfehlung 6.E40
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [49 ], [50 ]
Steht bei Patientinnen eine Frühgeburt < 32 SSW unmittelbar bevor, kann die intravenöse Applikation von Magnesium zur fetalen Neuroprotektion erwogen werden.
Die Therapie sollte mit einem Bolus von 4 – 6 g innerhalb von 30 min gestartet werden, dem eine Erhaltungsdosis von 1 – 2 g für 12 h folgt. Ziel ist es, den Magnesiumspiegel im
maternalen Serum zu verdoppeln. Sollte die Geburt nicht innerhalb von 12 h eintreten, kann die Magnesium-Applikation auch zu einem späteren Zeitpunkt bei erneut drohender Frühgeburt
wieder begonnen werden.
6.8.2 Spätes Abnabeln
Konsensbasierte Empfehlung 6.E41
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [51 ], [52 ]
Bei frühgeborenen Kindern sollte spät abgenabelt werden. Bei Kindern < 28 SSW soll die Nabelschnur nicht ausgestrichen werden.
6.9 Entbindung
6.9.1 Entbindung in Abhängigkeit von der Kindslage
Konsensbasierte Empfehlung 6.E42
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Evidenz aus prospektiv randomisierten Studien zum Entbindungsmodus bei Frühgeburt ist unzureichend. Bei Schwangeren < 30 + 0 SSW kann im Falle einer Schädellage bei
individueller Risiko-Nutzen-Abwägung eine Sectio caesarea erwogen werden.
Konsensbasiertes Statement 6.S31
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [53 ], [54 ], [55 ]
Es gibt derzeit keine Hinweise dafür, dass bei Frauen mit Einlingsschwangerschaft in Schädellage und drohender Frühgeburt ab 30 + 0 SSW die alleine aufgrund des
Gestationsalters indizierte Sectio caesarea die neonatale Mortalität/Morbidität reduziert.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E43
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [56 ]
Bei Schwangeren < 36 + 0 SSW sollte im Falle einer Beckenendlage in Abhängigkeit vom sonografischen Schätzgewicht und anderen Einflussfaktoren eine Sectio caesarea zur
Reduktion der neonatalen Morbidität und Mortalität erwogen werden.
6.9.2 Sectio caesarea per Uteruslängsschnitt
Konsensbasierte Empfehlung 6.E44
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Insbesondere im Falle einer extremen Frühgeburt kann ein Uteruslängsschnitt im Einzelfall vorteilhaft sein, um das Kind möglichst schonend zu entwickeln.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E45
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [57 ], [58 ]
Aufgrund des erhöhten Risikos für eine Uterusruptur soll bei Z. n. Sectio mit Uteruslängsschnitt bei allen folgenden Geburten eine primäre Re-Sectio empfohlen werden.
6.9.3 Vaginal operative Entbindung
Konsensbasierte Empfehlung 6.E46
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [59 ]
Aufgrund des erhöhten Risikos für eine intraventrikuläre Hirnblutung sollte unterhalb von 34 + 0 SSW eine Kindsentwicklung per Vakuumextraktion unterlassen werden.
6.9.4 Fetalblut-Analyse
Konsensbasierte Empfehlung 6.E47
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Unterhalb von 34 + 0 SSW sollte aufgrund potentieller Verletzungsrisiken keine Fetalblut-Analyse erfolgen.
6.9.5 Antibiotikaprophylaxe bei B-Streptokokken
Konsensbasierte Empfehlung 6.E48
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [60 ]
Ist bei einer Frühgeburt der GBS-Status positiv oder unbekannt, soll eine subpartale Antibiotikaprophylaxe durchgeführt werden.
6.9.6 Zusammenarbeit mit Neonatologie
Konsensbasierte Empfehlung 6.E49
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [61 ], [62 ], [63 ]
Ein Pädiater/Neonatologe soll frühzeitig in die Behandlung und Beratung bei drohender Frühgeburt einbezogen werden.
Dem betreuenden Pädiater sollen alle Informationen zu der Schwangeren, die wichtig sind für die Erstversorgung und Behandlung des Frühgeborenen, übermittelt werden. Dies sind u. a.
Medikamente, der HBs-Ag-Status, die Blutgruppe, der CMV-Antikörperstatus (bis 32 SSW), Befunde der Pränataldiagnostik sowie die Ergebnisse des mikrobiologischen Screenings Schwangerer
mit drohender Frühgeburt auf GBS (Gruppe-B-Streptokokken), MRSA (multiresistenter Staphylococcus aureus), MRGN (multiresistente gramnegative Bakterien) und von der Wiederholung des
Screenings bei Prolongation der Schwangerschaft.
Konsensbasierte Empfehlung 6.E50
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
Literatur: [64 ]
Im Falle einer Frühgeburt (< 35 + 0 SSW) soll ein neonatologisch erfahrener Arzt anwesend sein und das Neugeborene unmittelbar versorgen. Bei drohenden Frühgeburten
< 32 + 0 SSW und/oder einem Schätz-/Geburtsgewicht < 1500 g soll ein Facharzt mit der Schwerpunktbezeichnung „Neonatologie“ in Rufbereitschaft verfügbar sein.
6.9.7 Sterbebegleitung
Konsensbasiertes Statement 6.S32
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [65 ], [66 ], [67 ]
Für Palliativversorgung und Sterbebegleitung in der Perinatalphase ist für verstorbene bzw. im Sterbeprozess befindliche Neugeborene und ihre Familie speziell geschultes
Personal hinzu zu ziehen. Die Sterbebegleitung gehört zu den Ausbildungsinhalten in der Perinatologie. Die würdevolle Sterbebegleitung ist nach den Grundsätzen der
Bundesärztekammer eine zentrale, nicht zu delegierende ärztliche Aufgabe.
7 Besonderheiten bei Gemini und höhergradigen Mehrlingen
7.1 Epidemiologie und Ätiologie
Konsensbasiertes Statement 7.S33
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [68 ], [69 ]
Mehrlingsschwangere haben ein signifikant erhöhtes Frühgeburtsrisiko.
7.2 Prävention
7.2.1 Progesteron
Konsensbasierte Empfehlung 7.E51
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [70 ], [71 ]
Nur aufgrund des Vorliegens einer Zwillingsschwangerschaft sollen Frauen kein Progesteron zur Prävention einer Frühgeburt erhalten.
Konsensbasiertes Statement 7.S34
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Frauen mit Zwillingsschwangerschaft, deren vaginalsonografisch gemessene Zervixlänge vor 24 + 0 SSW ≤ 25 mm beträgt, liegt keine ausreichende Datenlage vor, um eine
Empfehlung zur Progesteron-Applikation aussprechen zu können.
Eine Metaanalyse individueller Patientendaten (Individual Patient Data Meta-Analysis, IPDMA) von Romero et al. aus dem Jahr 2017 mit 6 Studien, welche die Gabe von vaginalem Progesteron
gegen Placebo oder keine Behandlung bei n = 303 asymptomatischen Zwillingsschwangerschaften mit einer Zervixlänge ≤ 25 mm im 2. Trimenon untersuchte, konnte eine signifikante Reduktion
einer Frühgeburt vor 33 SSW (31,4% vs. 43,1%; RR 0,69 [95%-KI 0,51 – 0,93]) sowie ein verbessertes neonatales Outcome aufzeigen (z. B. Reduktion eines neonatalen Todes [RR 0,53 {95%-KI
0,35 – 0,81}]), eines Atemnotsyndroms (RR 0,70 [95%-KI 0,56 – 0,89]), eines Geburtsgewichtes < 1500 g (RR 0,53 [95%-KI 0,35 – 0,80]) [72 ]. In dieser
Metaanalyse ist die Studie von El-Refaie, die Progesteron in einer täglichen Dosis von 400 mg einsetzte, mit 70,4% gewichtet [73 ]. Diese Studie wurde
inzwischen vom Journal zurückgezogen, da es für die Arbeit keine Zustimmung einer Ethikkommission gab und erhebliche Bedenken hinsichtlich der Validität und Integrität der Daten
bestehen. Somit sind die Aussagen der o. g. Metaanalyse vom Romero et al. mit hoher Unsicherheit zu bewerten.
7.2.2 Zerklage
Konsensbasierte Empfehlung 7.E52
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Zwillingsschwangeren sollte keine primäre Zerklage angelegt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 7.E53
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Zwillingsschwangeren, deren Zervixlänge vor 24 + 0 SSW weniger als 15 mm beträgt, kann die Anlage einer sekundären Zerklage erwogen werden.
In einer Metaanalyse aus 2021, die 1211 Frauen aus 16 Studien mit Zwillingsschwangerschaft untersuchte, konnte gezeigt werden, dass bei Patientinnen mit Zwillingsschwangerschaft, deren
Zervixlänge weniger als 15 mm betrug, durch die Anlage einer Zerklage die Frühgeburtenrate < 34 SSW signifikant reduziert (RR 0,57; 95%-KI 0,43 – 0,75) und die Schwangerschaftsdauer
gegenüber der Kontrollgruppe um fast 4 Wochen verlängert wurde (95%-KI 2,19 – 5,59) [74 ].
7.2.3 Zervixpessar bei verkürzter Zervixlänge
Konsensbasierte Empfehlung 7.E54
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [75 ], [76 ], [77 ], [78 ], [79 ], [80 ]
Bei Frauen mit Zwillingsschwangerschaft, deren vaginalsonografisch gemessene Zervixlänge vor 24 + 0 SSW ≤ 25 mm beträgt, sollte die Anlage eines Zervixpessars im Einzelfall
erfolgen.
7.2.4 Zervixpessar nach vorzeitiger Wehentätigkeit und verkürzter Zervixlänge
Konsensbasiertes Statement 7.S35
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [81 ]
Es gibt Hinweise aus einer prospektiv randomisierten Studie, dass bei Zwillingsschwangeren nach behandelter vorzeitiger Wehentätigkeit und vaginalsonografisch verkürzter
Zervixlänge (< 20 mm zwischen 24 + 0 und 29 + 6 SSW; < 10 mm zwischen 30 + 0 und 33 + 6 SSW) die Anlage eines Zervixpessars die Frühgeburtenrate senken kann.
7.2.5 Notfall-Zerklage
Konsensbasierte Empfehlung 7.E55
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei mehr als 1 cm eröffnetem Muttermund vor 24 + 0 SSW sollte auch bei einer Zwillingsschwangeren eine Notfall-Zerklage angelegt werden mit dem Ziel, eine signifikante
Prolongation der Schwangerschaft zu erreichen.
In einer prospektiv randomisierten Studie konnte gezeigt werden, dass durch eine Notfall-Zerklage bei Frauen mit Zwillingsschwangerschaft und geöffnetem Muttermund die Frühgeburtenrate
< 34 SSW (RR 0,71; 95%-KI 0,52 – 0,96) sowie die perinatale Mortalität (6/34 [17,6%] vs. 20/26 [77%]; RR 0,22, 95%-KI 0,1 – 0,5) gesenkt und das Zeitintervall von der Diagnose der
Muttermunderöffnung bis zur Geburt (8,3 ± 5,8 vs. 2,9 ± 3,0 Wochen) signifikant verlängert wird [82 ].
8 Früher vorzeitiger Blasensprung (PPROM)
8.1 Prävalenz und Ätiologie
Konsensbasiertes Statement 8.S36
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [83 ]
Ein früher vorzeitiger Blasensprung (Blasensprung vor 37 + 0 SSW) betrifft ca. 3% aller Schwangeren: 0,5% vor 27 SSW, 1% zwischen 27 und 34 SSW sowie 1% zwischen 34 und
37 SSW.
8.2 Risikofaktoren
Konsensbasiertes Statement 8.S37
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [84 ], [85 ], [86 ], [87 ], [88 ], [89 ], [90 ], [91 ], [92 ]
Ein signifikanter Risikofaktor für einen frühen vorzeitigen Blasensprung (PPROM) ist der Zustand nach PPROM in der Eigenanamnese. Zusätzliche Risikofaktoren gleichen denen der
spontanen Frühgeburt.
8.3 Diagnostik
Konsensbasierte Empfehlung 8.E56
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [93 ], [94 ]
Die Diagnose eines PPROM lässt sich in den meisten Fällen durch eine Speculumuntersuchung stellen. Bei Unsicherheiten sollen biochemische Testverfahren eingesetzt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 8.E57
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [95 ], [96 ]
Bei Patientinnen mit PPROM soll auf eine digitale Untersuchung verzichtet werden.
8.4 Latenzzeit
Konsensbasiertes Statement 8.S38
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [97 ], [98 ]
Über 50% aller Patientinnen mit PPROM werden nach einer Woche entbunden.
8.5 Maternale und fetale Risiken
Konsensbasiertes Statement 8.S39
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [99 ], [100 ], [101 ], [102 ], [103 ], [104 ]
Bei Patientinnen mit PPROM besteht die Gefahr der klinischen Infektion. Weitere Risiken sind die Plazentalösung und der Nabelschnurvorfall.
8.6 Triple I
Konsensbasiertes Statement 8.S40
Expertenkonsens
Konsensusstärke ++
International hat der Terminus Triple I den Begriff Chorioamnionitis abgelöst, um maternales Fieber von Infektion oder Inflammation oder beidem zu differenzieren ([Tab. 8 ]).
Tab. 8 Klassifikation für maternales Fieber und Triple I*.
Definition
* Triple I: Inflammation oder Infektion oder beides; **Amnionflüssigkeit gewonnen mittels Amniozentese; ***Histopathologie postpartal an der Plazenta [105 ].
maternales Fieber
Liegt die oral gemessene Temperatur über 39,0 °C, besteht maternales Fieber.
Liegt die oral gemessene Temperatur zwischen 38,0 und 38,9 °C, erfolgt eine Wiederholung nach 30 min. Liegt die Temperatur erneut über 38,0 °C, besteht maternales Fieber.
V. a. Triple I
maternales Fieber unklarer Herkunft und eines der folgenden Merkmale:
fetale Tachykardie über 160 Schläge/min für > 10 min
maternale Leukozyten > 15 000 µl ohne Gabe von Kortikosteroiden
purulenter Fluor aus dem Muttermund
bestätigtes Triple I
V. a. Triple I und objektive Befunde einer Infektion, wie beispielsweise:
Amnionflüssigkeit** mit positiver Gramfärbung, niedrige Glukosekonzentration (< 14 mg/dl), erhöhte Leukozytenzahl (> 30 Zellen/mm3 ), positive
Bakterienkultur
oder
histopathologischer Befund*** einer Inflammation oder Infektion oder beidem der Plazenta, der Eihäute oder der Nabelschnur (Funisitis)
8.7 Maternale und fetale Risiken bei Triple I
Konsensbasiertes Statement 8.S41
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [106 ], [107 ], [108 ], [109 ], [110 ], [111 ]
Die maternalen Risiken bei einem Triple I umfassen neben einer Sepsis uterine Dysfunktion mit der Gefahr des Geburtsstillstandes und der postpartalen Atonie. Im Falle einer
Sectio caesarea drohen Wundinfektionen, Endomyometritis, Thrombophlebitis und pelvine Abszessbildung.
Konsensbasiertes Statement 8.S42
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [112 ], [113 ]
Der Fetus kann im Rahmen eines Triple I ein Inflammatory-Response-Syndrom entwickeln. Postnatal sind die betroffenen Kinder dem hohen Risiko einer Sepsis ausgesetzt.
8.8 Klinisches Management bei PPROM < 22 SSW
Konsensbasierte Empfehlung 8.E58
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [114 ], [115 ], [116 ]
Bei einem PPROM vor Erreichen der Lebensfähigkeit sollen die Gefahren der maternalen Sepsis, der fetalen pulmonalen Hypoplasie und fetaler Skelettdeformitäten mit den werdenden
Eltern erörtert werden.
Konsensbasierte Empfehlung 8.E59
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine Therapie mit Antibiotika bei Patientinnen mit PPROM vor Erreichen der Lebensfähigkeit kann erwogen werden.
Da nahezu alle Studien zur antibiotischen Therapie bei Blasensprung nur Patientinnen nach 24 + 0 SSW rekrutiert haben, liegen keine belastbaren Daten zur Applikation vor Erreichen der
Lebensfähigkeit vor. Aber alleine schon die Gefahr für die Patientin, infolge einer aszendierenden Infektion in eine Sepsis zu geraten, lässt eine Antibiose ratsam erscheinen [117 ]. Eingesetzt werden kann das gleiche Regime, das zum Vorgehen bei PPROM zwischen (22 + 0) 24 + 0 – 33 + 6 SSW beschrieben wird.
Konsensbasierte Empfehlung 8.E60
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Auf die Applikation antenataler Steroide, eine Tokolyse oder eine Neuroprotektion mit Magnesium soll bei PPROM vor Erreichen der Lebensfähigkeit verzichtet werden.
8.9 Klinisches Management bei PPROM zwischen (22 + 0) 24 + 0 und 33 + 6 SSW
Konsensbasierte Empfehlung 8.E61
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Zwischen 22 + 0 und 23 + 6 SSW soll entsprechend der Leitlinie „Frühgeborene an der Grenze der Lebensfähigkeit 024-019“ das weitere Vorgehen mit den Eltern abgestimmt
werden.
8.9.1 Exspektatives Vorgehen
Konsensbasierte Empfehlung 8.E62
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Falls keine unmittelbare Gefahr für Mutter und Kind besteht, soll bei einem PPROM zwischen 22 + 0 und 23 + 6 SSW, falls eine Maximaltherapie gewünscht wird, oder zwischen
24 + 0 und 33 + 6 SSW zunächst ein exspektatives Vorgehen erwogen werden.
Bei einem PPROM zwischen 24 + 0 und 33 + 6 SSW oder zwischen 22 + 0 und 23 + 6 SSW, falls eine Maximaltherapie gewünscht wird, sind die Gefahren der aufsteigenden Infektion gegen die
neonatalen Risiken, die aus der Frühgeburt resultieren können, abzuwägen [118 ]. Eine aszendierende Infektion mit Chorioamnionitis, vorzeitige
Plazentalösung, pathologisches CTG (Kardiotokogramm) oder ein hohes Risiko oder das Vorhandensein eines Nabelschnurvorfalls sind Indikationen für eine sofortige Entbindung. Ansonsten ist
ein exspektatives Vorgehen derzeit internationaler Standard [119 ].
8.9.2 Applikation antenataler Steroide
Konsensbasierte Empfehlung 8.E63
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Patientinnen mit PPROM zwischen 22 und 23 + 6 SSW, falls eine Maximaltherapie gewünscht wird, oder zwischen 24 + 0 und 33 + 6 SSW soll die Applikation antenataler Steroide
mit 2 × 12 mg Betamethason i. m. im Abstand von 24 h erfolgen (alternativ Dexamethason, 4 × 6 mg i. m. alle 12 h).
8.9.3 Antibiotikagabe
Konsensbasierte Empfehlung 8.E64
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
* Das Vorgehen unter 22 + 0 SSW sowie zwischen 34 + 0 und 36 + 6 SSW ist in 8.E59 bzw. in 8.E70 beschrieben.
Literatur: [120 ]
Bei Patientinnen mit PPROM zwischen 22 + 0 und 33 + 6 SSW soll eine Antibiotikatherapie erfolgen.*
Konsensbasierte Empfehlung 8.E65
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
* Es gibt keine klare Empfehlung zur Azithromyzindosierung und -dauer. Eine häufig verwendete Dosierung ist die Einzelgabe von 1 g am ersten Tag. In der Fachinformation für
Azithromyzin ist jedoch die empfohlene Gesamtdosis mit 1,5 g in einem 3-Tage-Therapieschema (3 × 500 mg) oder 5-Tage-Therapieschema angegeben, um genügend Effektivität zu
erzielen. Leider liegen bisher keine prospektiv randomisierten Untersuchungen zur Azithromyzindosierung- bzw. dauer vor. Eine retrospektive Analyse von 4 verschiedenen
Antibiotikaregimen (Azithromyzin 1 g Einzeldosis, Azithromyzin über 5 d, Azithromzcin über 7 d und Erythromycin über 7 d) zusätzlich zum üblichen Ampicillin 2 d i. v., gefolgt
von 5 d Amoxillin oral zeigte keinen Unterschied bezüglich Latenzzeit und Rate an Chorioamnionitis. Jedoch hatten die Frühgeboren in der 5-Tage-Azithromyzingruppe eine höhere
Rate an RDS (44%) vs. Azithromyzin-Einzelgabe (29%) vs. Erythromyzingruppe (29%) [121 ].
Literatur: [97 ], [119 ], [120 ]
Die Datenlage erlaubt keine Empfehlung eines bestimmten Therapieregimes. Eine Möglichkeit ist die i. v. Applikation von Ampicillin für 2 Tage gefolgt von 5 Tagen Amoxicillin
oral sowie eine orale Gabe von Azithromyzin* zu Beginn. Die Kombination aus Amoxicillin und Clavulansäure soll vermieden werden.
8.9.4 Tokolyse
Konsensbasiertes Statement 8.S43
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [122 ]
Der Einsatz einer Tokolyse ist nicht mit einer signifikanten Verbesserung der perinatalen Morbidität und Mortalität bei PPROM assoziiert.
Sie kann bei vorzeitigen Wehen bis zum Abschluss der fetalen Lungenreifung erwogen werden (Einzelfallentscheidung).
8.9.5 Neuroprotektion
siehe 6.8.1.
8.9.6 Maternale und fetale Überwachung
Konsensbasierte Empfehlung 8.E66
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Patientinnen mit PPROM sollen mit Hinblick auf ein Triple I überwacht werden. Klinische Anzeichen sind maternales Fieber plus einer der folgenden Befunde: fetale Tachykardie
(> 160 Schläge/min) oder maternale Leukozyten > 15000/µl oder purulenter Fluor aus dem Muttermund.
Schwangere mit frühem vorzeitigem Blasensprung sollten routinemäßig auf Infektionszeichen hin untersucht werden. Hierzu gehören die oben genannten klinischen Parameter, aber auch
Symptome wie schmerzhafter Uterus, uterine Kontraktionen, mütterlicher Blutdruck und Herzfrequenz [105 ]. Darüber hinaus sollen zumindest tägliche
Kontrollen des Blutbildes und des CRPs (C-reaktives Protein) erfolgen. Allerdings ist der Nutzen täglicher Laborkontrollen umstritten [123 ]. Kunze et al.
beschrieben für eine Kombination aus maternalem Fieber, CRP und Leukozyten zur Prädiktion eines FIRS (Fetal Inflammatory Response Syndrome) eine AUC (Area Under the Curve) von lediglich
0,66 [124 ]. Musilova et al. berichteten für einen CRP-Wert von 17,5 mg/l im maternalen Serum zur Prädiktion einer intraamnialen Infektion oder
Inflammation eine Sensitivität von 47%, eine Spezifität von 96%, einen positiven Vorhersagewert von 42% und einen negativen Vorhersagewert von 96% [125 ].
Das tägliche CTG-Monitoring bei Patientinnen mit PPROM ist übliche klinische Praxis. Allerdings steht derzeit keine fetale Überwachungsmethode zur Verfügung, die zuverlässig eine
intrauterine Inflammation oder Infektion anzeigt. Weder das CTG noch die Erweiterung zu einem biophysikalischen Profil (CTG plus fetale Atem- und sonstige Bewegungen, fetaler Tonus sowie
Fruchtwassermenge) sind geeignete Prädiktoren für eine intrauterine Infektion (CTG: Sensitivität 39%; biophysikalisches Profil: 25%) [104 ].
Ebenso wenig sind regelmäßige Überwachungen der Fruchtwassermenge sinnvoll. Die Verminderung der Fruchtwassermenge steigert zwar das Risiko für eine Kompression der Nabelschnur und
verkürzt nachweislich den Abstand bis zum Einsetzen der Geburtswehen, die prädiktiven Werte für ein negatives Outcome sind jedoch niedrig [126 ]. Die
Doppler-Sonografie hat bei vorzeitigem Blasensprung keine nachgewiesenen Vorteile [127 ].
Konsensbasiertes Statement 8.S44
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [128 ]
Der Einsatz einer Amniozentese zur Diagnose eines Triple I ist nur in Ausnahmefällen sinnvoll, z. B. bei unklarem maternalem Infektionsherd.
Konsensbasiertes Statement 8.S45
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [124 ], [129 ]
Die Prädiktion eines Triple I mittels im Vaginalsekret gemessener biochemischer Parameter ist nach heutigem Kenntnisstand nicht sinnvoll.
8.9.7 Amnioninfusion
Konsensbasiertes Statement 8.S46
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [130 ], [131 ]
Der Stellenwert einer Amnioninfusion bei PPROM kann nach aktueller Datenlage nicht ausreichend beurteilt werden.
8.9.8 Antibiotikaprophylaxe bei B-Streptokokken
Siehe Empfehlungen zur GBS-Prophylaxe.
8.9.9 Entbindung
Konsensbasierte Empfehlung 8.E67
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Literatur: [118 ], [119 ]
Bei Patientinnen mit PPROM zwischen 22 und 23 + 6 SSW, falls eine Maximaltherapie gewünscht wird, oder zwischen 24 + 0 und 33 + 6 SSW kann ab 34 + 0 SSW eine Entbindung oder
ein exspektatives Vorgehen erwogen werden. Indikationen für eine sofortige Entbindung unabhängig vom Schwangerschaftsalter sind ein Triple I (V. a. oder bestätigt), vorzeitige
Plazentalösung, pathologisches CTG oder ein hohes Risiko für oder das Vorhandensein eines Nabelschnurvorfalls.
Konsensbasierte Empfehlung 8.E68
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Patientinnen mit einem Triple I (V. a. oder bestätigt) sollen eine Antibiotikatherapie erhalten und unmittelbar entbunden werden.
8.10 Klinisches Management bei PPROM zwischen 34 + 0 und 36 + 6 SSW
Konsensbasierte Empfehlung 6.E69
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Im Falle eines frühen vorzeitigen Blasensprunges zwischen 34 + 0 und 36 + 6 SSW sollte, falls keine Kontraindikationen bestehen, alternativ zur zeitnahen Entbindung ein
exspektatives Vorgehen angeboten werden mit dem Ziel, die Schwangerschaft bis 37 + 0 SSW zu prolongieren.
Im Rahmen des PPROMT-Trial wurden in den Jahren 2004 bis 2013 1839 Frauen zwischen 34 + 0 und 36 + 6 SSW rekrutiert, die einen vorzeitigen Blasensprung hatten (PPROM) [132 ]. Verglichen wurde eine unmittelbare Geburtseinleitung mit einem abwartenden (exspektativen) Vorgehen. In der Studiengruppe kamen nach exspektativem
Vorgehen 21% der Kinder nach 37 SSW zur Welt, in der Kontrollgruppe lediglich 3%. Die Prävalenz der neonatalen Sepsis war in beiden Gruppen gleich, allerdings trat ein RDS nach abwartendem
Vorgehen signifikant seltener auf. In dieser Gruppe war auch das Geburtsgewicht der Kinder signifikant erhöht und die Aufenthaltsdauer auf der neonatalen Intensivstation bzw. im
Krankenhaus kürzer. Hingegen trat bei den Müttern dieser Kinder erwartungsgemäß häufiger eine uterine Blutung vor oder während der Geburt sowie Fieber unter der Geburt auf. Die Sectiorate
war im Vergleich zur Geburtseinleitung signifikant niedriger [132 ].
Die Ergebnisse des PPROMT-Trial werden durch den PPROMEXIL- und PPROMEXIL-2-Trial gestützt [133 ], [134 ]. Wurde allerdings
eine Kolonisation mit B-Streptokokken diagnostiziert, war die Prävalenz einer „Early Onset Sepsis“ bei den betroffenen Neonaten signifikant erhöht (15,2 vs. 1,8%; p = 0,04) [135 ]. In einer Metaanalyse zu dieser Thematik, die 12 Studien einbezieht, kann weiterhin bei exspektativem Vorgehen keine erhöhte Prävalenz der neonatalen
Sepsis beobachtet werden. Nach unmittelbarer Geburtseinleitung war die Rate des RDS, der neonatalen Mortalität, der Notwendigkeit zur Beatmung, der Endomyometritis und der Sectio caesarea
signifikant erhöht, während die Inzidenz der Chorioamnionitis erniedrigt war [118 ]. Auch eine Patient-Level-Metaanalyse kommt zu ähnlichen Ergebnissen
[136 ].
Konsensbasierte Empfehlung 8.E70
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die klinische Überwachung und Antibiotikatherapie bei PPROM mit 34 + 0 – 36 + 6 SSW soll so erfolgen wie für (22 + 0)24 + 0 – 33 + 6 SSW. Auf die Applikation antenataler
Steroide, eine Tokolyse oder eine Neuroprotektion mit Magnesium soll verzichtet werden.
9 Psychosomatische Begleitung und unterstützende Therapieangebote
Konsensbasierte Empfehlung 9.E71
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Schwangere, die wegen vorzeitiger Wehentätigkeit stationär behandelt werden, wie auch Frauen nach einer Frühgeburt, sollten ein Angebot für eine psychosomatische Begleitung und
unterstützende Therapieangebote erhalten.
Neben der Sorge vor den z. T. schwer abschätzbaren gesundheitlichen Folgen einer Frühgeburt werden auch die therapeutischen Maßnahmen mit Immobilisierung, Wehenhemmung und Kortisongabe
stressvoll erlebt. Bei Zusatzbelastungen (früheres Verlusterlebnis, psychische Vorerkrankungen, Partnerschaftsprobleme etc.) finden sich dann gehäuft Ängste und Depressionen [137 ], [138 ], [139 ]. Gerade auch bei großen Familien stellt die Hospitalisierung der Mutter das
familiäre System unter großen organisatorischen Druck.
Zur Erfassung von psychischen, aber auch sozialen Belastungsfaktoren bieten sich verschiedene psychometrische Testverfahren an, z. B. HADS, Babylotse Plus Screeningbogen etc. [140 ].
Den betroffenen Paaren sollte eine akute psychologische Krisenintervention und nachfolgende supportive Gesprächsangebote sowie ggf. eine Psychotherapie angeboten werden. Dadurch wird auch
der Aufbau der Eltern-Kind-Bindung unterstützt.
Die Begleitung durch Selbsthilfegruppen wie den Bundesverband „Das Frühgeborene Kind“ [141 ] kann den Betroffenen helfen, sodass auf diese Möglichkeiten
hingewiesen werden sollte.
Den betroffenen Familien sollten die Möglichkeiten im Rahmen der Frühen Hilfen aktiv angeboten werden, die lokale und regionale Unterstützungssysteme mit koordinierten Hilfsangeboten für
Eltern und Kinder bilden und das Ziel haben, Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern [142 ].
Als besonders hilfreich hat sich dabei das Programm Babylotse erwiesen, das eine Systematisierung der Überleitung von Familien aus dem Gesundheitssystem heraus in das Netz der Frühen Hilfen
und andere soziale Sicherungssysteme verfolgt. Kern ist die Lotsenfunktion zum Finden und Nutzen der passenden Einrichtungen aus der Vielzahl der Angebote vor Ort.
Alle diesen Maßnahmen verstehen sich als zusätzliches Angebot zur fürsorglichen Begleitung der Patientin und ihrer Angehörigen durch die betreuende Hebamme.
10 Beratung nach vorangegangener spontaner Frühgeburt
Konsensbasierte Empfehlung 10.E72
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Nach einer spontanen Frühgeburt sollen die betroffenen Eltern vom betreuenden geburtshilflichen Team über das Wiederholungsrisiko in einer Folgeschwangerschaft und die
Möglichkeiten der primären Prävention aufgeklärt werden.
Konsensbasierte Empfehlung 10.E73
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine Schwangere nach vorangegangener spontaner Frühgeburt soll über die Möglichkeiten der primären und sekundären Prävention beraten werden.
Als Beratungsgrundlage kann hier die Patientenleitlinie „Frühgeburt: Was Sie als werdende Eltern wissen sollten“ sehr hilfreich sein [143 ].