IV Leitlinie
1 Präoperative Vorbereitung
1.1 Operationsplanung
Die Planung der Operation wird anhand der von der Patientin beschriebenen Symptome und Störungen sowie der klinisch erhobenen Befunde, unterstützt von weiterführenden diagnostischen
Maßnahmen, durchgeführt. Konservative und alternative Möglichkeiten sowie Grenzen des operativ Möglichen werden der Patientin vorab erläutert. Dieses Kapitel enthält keine Statements und
Empfehlungen.
1.2 Präoperative Diagnostik
Konsensbasierte Empfehlung 1.E1
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei der klinischen Untersuchung und Diagnostik sollen physische und psychische Traumata, insbesondere bei Patientinnen im Kindes- und Jugendalter, vermieden werden.
Konsensbasierte Empfehlung 1.E2
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei einer Mitbeteiligung der harnableitenden Wege sollte eine konsiliarische urologische bzw. ggf. kinderurologische Vorstellung mit gegebenenfalls weiterführender Diagnostik
(z. B. Sonografie der ableitenden Harnwege) erfolgen.
1.3 Indikation mit und ohne Kostenübernahme durch die Krankenkassen
Konsensbasierte Empfehlung 1.E3
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Liegt die mutmaßliche Diagnose einer Körperbildstörung bei der Patientin vor, sollen ästhetische operative Eingriffe des weiblichen Genitale nicht durchgeführt werden. Die
Patientin sollte dann einer spezifischen Abklärung zugeführt werden.
1.4 Patientinnenaufklärung
Konsensbasiertes Statement 1.S1
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Neben allgemeinen Operationsrisiken, wie beispielsweise Blutungskomplikationen, Infektionen, Wundheilungsstörungen mit Narbenbildungen, Haut-/Gewebe-/Nervenschädigungen, sind
die für die geplante Maßnahme speziellen und für die jeweilige Patientin individuellen Risiken darzustellen. Zu den speziellen Risiken einer Operation des weiblichen Genitale
zählen insbesondere Risiken, welche die Sexualität beeinflussen.
Konsensbasierte Empfehlung 1.E4
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Es soll bei allen Eingriffen am weiblichen Genitale über die spezifischen Risiken, wie Infektionen, veränderte Sensibilität, Dyspareunie, Verwachsungen und Narben, Veränderung
der Sexualität detailliert aufgeklärt werden.
1.5 Dokumentationsanforderungen
Schriftlich zu dokumentieren sind die vollständige Anamnese der Patientin, aus der die Indikation bzw. der eigenständige Wunsch zu einem rekonstruktiven oder ästhetischen operativen
Eingriff am weiblichen Genitale klar hervorgeht. Der klinische Untersuchungsbefund, diagnostische Maßnahmen und Konsultationen weiterer Fachdisziplinen sind zu dokumentieren. Daraus
resultierende Konsequenzen müssen nachvollziehbar sein [1 ]. Auch präoperativ bestehende Beschwerden sind gezielt zu erfragen.
Konsensbasierte Empfehlung 1.E5
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die ausführliche Information und das Einverständnis der Patientin über Indikation, Procedere sowie Risiken des operativen Eingriffs soll individualisiert in schriftlicher Form
und mit zeitlicher Angabe durch den/die verantwortlichen Arzt/Ärztin vorliegen.
2 Anatomie des weiblichen Genitale und Nomenklatur
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. In diesem Kapitel sind die Grundlagen der Anatomie des äußeren weiblichen Genitale, der Aufbau des weiblichen Beckenbodens sowie
der Nerven und Gefäße des weiblichen Beckenbodens dargestellt ([Abb. 1 ], [2 ] und [3 ]).
Abb. 1 Äußeres Genitale und Regio analis.(Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. W. Beckmann. [rerif])
Abb. 2 Aufbau des weiblichen Beckenbodens.(Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. W. Beckmann. [rerif])
Abb. 3 Nerven und Gefäße des weiblichen Beckenbodens.(Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. W. Beckmann. [rerif])
2.1 Äußeres weibliches Genitale
Siehe [Abb. 1 ].
2.1.1 Gefäßversorgung, Innervation und Lymphabfluss
Siehe [Abb. 2 ].
2.2 Inneres weibliches Genitale – Vagina
Siehe [Abb. 3 ].
3 Rekonstruktive und ästhetische Operationen des weiblichen Genitale
3.1 Grundlagen
Rekonstruktive und ästhetische Operationen des äußeren weiblichen Genitale umfassen ein weites Spektrum an Indikationen und Therapieoptionen, die aufgrund der bestehenden Vielfalt noch
wenig Standardisierung erfahren haben/konnten. Es ist daher wichtig, inhaltlich über den aktuellen Stand der operativen Möglichkeiten informiert zu sein, um den Patientinnen eine
individuelle Therapie anbieten zu können. Dabei ist das Ziel, anatomisch ausgerichtete Ergebnisse zu erhalten und die Wahl der Techniken entsprechend auszurichten.
3.2 Anamnese
Im Rahmen der Anamneseerhebung sollten sowohl bestehende morphologische Störungen/Veränderungen als auch etwaig bestehende psychosexuelle Interaktionen eruiert werden, um die Indikation
und den zu erwartenden Heilungs-/Therapieerfolg optimal aufeinander abzustimmen.
3.3 Indikationen und Kontraindikationen
Rekonstruktive und ästhetische Operationen des weiblichen Genitale beinhalten die Wiederherstellung oder Angleichung von Form und Funktion der Vulva nach partieller oder kompletter
Resektion, bei angeborenen und/oder erworbenen Störungen, krankheits- und altersbedingten Veränderungen sowie wunschorientierten Vorstellungen. Kontraindikationen ergeben sich aus
medizinisch-ethischen Aspekten sowie altersbedingten Einschränkungen.
3.3.1 Rituelle Beschneidung (Female Genital Mutilation)
Die weibliche Genitalbeschneidung FGM (Female Genital Mutilation) ist ein kulturell verwurzeltes Ritual und besonders in Prävalenzländern weit verbreitet. In Deutschland und Österreich
erfüllt FGM den Tatbestand der Körperverletzung und widerspricht im Grundgesetz damit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. [Tab. 5 ] beschreibt die Primär- und Sekundärkomplikationen nach Female Genital Mutilation.
Tab. 5 Primär- und Sekundärkomplikationen nach Female Genital Mutilation (FGM).
Primärkomplikationen
somatisch
Schmerzen
Blutung
Schock
Infektion
Harnablaufstörung
Wundheilungsstörung
überschießende Narbenbildung
Verletzung der Harnröhre
Verletzung des Klitorisorgans
Verlust der klitoralen Empfindung
psychisch
Sekundärkomplikationen
somatisch
Dysurie
narbenbedingte Menstruationsbeschwerden
rezidivierende Infektionen
Epidermoid-/Klitoriszysten
Neurome der Nn. dorsales clitorides
Retention, Harnsteine
Inkontinenz, Harndrang, hyperaktive Blase etc.
Dysmenorrhö
Hämatokolpos
Hämatometra
Dyspareunie
Fisteln
Dystokie
neonatales Outcome
erhöhte Episiotomierate/Dammrissrate
erhöhte Sectiorate
erschwerte/unmögliche gynäkologische Diagnostik/Katheterisierung
psychisch
Konsensbasiertes Statement 3.S2
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Seit 2013 ist Female Genital Mutilation (FGM) in das ICD-System (International Classification of Diseases) aufgenommen und als körperliches und seelisches Leid anerkannt und
definiert.
Konsensbasiertes Statement 3.S3
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Jede aufgeführte Form von Female Genital Mutilation (FGM) rechtfertigt, bei Vorliegen entsprechender körperlicher und/oder seelischer Beschwerden und Beeinträchtigungen, die
Indikation zur medizinischen Therapie.
Konsensbasierte Empfehlung 3.E6
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Behandlung von Mädchen und Frauen, die von Female Genital Mutilation (FGM) betroffen sind, sollte interdisziplinär erfolgen. Dies ist in einer standardisierten Form sowohl
zentral (Zentrumstruktur) als auch dezentral (Kooperationsstruktur) realisierbar.
Aufgrund der unterschiedlichen Schweregrade von FGM, des differierenden Ritualerlebens und sich individuell verändernder körperlicher und seelischer Entwicklungen der Betroffenen zeigen
sich sowohl unterschiedliche somatische als auch psychische Beschwerden und Beeinträchtigungen.
Konsensbasiertes Statement 3.S4
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Insbesondere bei Female-Genital-Mutilation-(FGM-)Patientinnen, die vom Typ III (Infibulation) betroffen sind, besteht ein erhöhtes Risiko für nachhaltige gesundheitliche
Probleme der Urogenitalregion wie geburtstraumatische, vestibulo-perineale Komplikationen und sekundäre Fistelbildungen.
Die Defibulation stellt eine hinsichtlich Wasserlassen, Menstrualblutabgang, Penetrationsmöglichkeit und vaginaler Entbindung funktionsverbessernde operative Maßnahme dar [2 ], [3 ] ([Tab. 6 ]).
Tab. 6 Geburtshilfliche Defibulation nach FGM Typ III.
Defibulation ante partum
vermindert urogenitale Komplikationen
gewährleistet präpartale Diagnostik
Defibulation intra partum
senkt die operative Belastung der Patientin
Konsensbasierte Empfehlung 3.E7
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Im Rahmen der Schwangerschaft kann die Defibulation vor (antepartum) oder unter (intrapartum) der Geburt erfolgen. Die Durchführung der antepartalen Defibulation sollte ab dem
zweiten Trimenon der Schwangerschaft erfolgen. Die intrapartale Defibulation sollte während der ersten Phase der Wehen erfolgen, um das Monitoring des Geburtsvorganges und
gegebenenfalls eine notwendige Blasenkatheterisierung zu erleichtern.
3.3.2 Dysplasien der Vulva und Vagina (VIN, VaIN)
Konsensbasierte Empfehlung 3.E8
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei Vorliegen einer Dysplasie der Zervix, Vulva und Vagina sollen Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin anhand der entsprechenden S3-Leitlinien „Prävention des
Zervixkarzinoms“ (AWMF-Registernummer 015-027OL) und „Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Patientin mit Zervixkarzinom“ (AWMF-Registernummer 032-033OL) und der
S2k-Leitlinien „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Vaginalkarzinoms und seiner Vorstufen“ (AWMF-Registernummer 032-042) sowie „Diagnostik, Therapie und Nachsorge des
Vulvakarzinoms und seiner Vorstufen“ (AWMF-Registernummer 015-059) durchgeführt werden.
3.3.3 Morbus Paget der Vulva
Der extramammäre Morbus Paget tritt mit 1% aller Vulvamalignome sehr selten auf. Die primäre Therapie eines vulvären Morbus Paget basiert auf der operativen Entfernung der Läsion.
3.3.4 Lichen sclerosus/Lichen ruber planus
Lichen sclerosus und Lichen ruber planus sind entzündliche Hauterkrankungen des Anogenitalbereichs, die unterdiagnostiziert sind. Beschwerden sind Schmerzen, Brennen, Juckreiz, sexuelle
Dysfunktion und Dysfunktionen des Harntraktes sowie eine Atrophie und Sklerose der Labien und/oder des Introitus mit Introitusstenose. Die lokale Therapie beinhaltet eine kortisonhaltige
Salbe (Methylprednisolonaceponat oder Clobetasolpropionat) sowie konsequente rückfettende bzw. feuchtigkeitsspendende Pflege [4 ].
3.3.5 Gutartige Tumoren der Vulva
Gutartige Tumoren der Vulva beinhalten das Lues-Ulcus, Morbus Behcet, Follikulitis, Kondylome sowie Granulome, Abszesse oder Bartholinitis (siehe Kapitel 3.3.7) und Zysten.
3.3.6 Geburtsverletzungen und Episiotomie
Bei Keloidbildung nach Geburtsverletzung oder Faden-Granulomen (z. B. nach Einbringen von vermehrtem Nahtmaterial) kann es zu Beschwerden wie Dyspareunie, Schmerzen beim Sitzen oder
Bewegung kommen [5 ]. Bei nach 3 – 6 Monaten persistierenden Beschwerden kann eine operative Revision erwogen werden.
3.3.7 Bartholinitis und Vulvaabszess
An der Bartholin-Drüse kann es zu einer Entstehung von Zysten oder Abszessen kommen. Therapiemöglichkeiten sind eine Inzision mit Kathetereinlage oder eine Marsupialisation. Bei
rezidivierenden Zysten oder Abszesse ist eine Exstirpation der Zyste oder Drüse möglich [6 ].
3.3.8 Geschlechtsinkongruenz
Hier verweisen wir auf die S2k-Leitlinie „geschlechtsangleichende chirurgische Maßnahmen bei Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie“ (Registernummer 043-052), die sich aktuell
in Bearbeitung befindet.
4 Operationen geordnet nach topografischer Anatomie
4.1 Mons pubis
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Deformitäten im Bereich des Mons pubis werden in 4 Graden klassifiziert ([Tab. 7 ]). Diese sowie
deren Behandlung ist in [Tab. 7 ] dargestellt.
Tab. 7 Klassifikation der Deformitäten im Bereich des Mons pubis und der entsprechenden Behandlungsempfehlung.
Klassifikation
Behandlung
Grad 1: geringe Vorwölbung mit minimaler/keiner Bedeckung der Labia majora
Liposuktion
Grad 2: mäßige Vorwölbung mit partieller Bedeckung der Labia majora
Pannikulektomie mit Liposuktion
Grad 3: deutliche Vorwölbung mit kompletter Bedeckung der Labia majora
Pannikulektomie mit Liposuktion, fasziodermale Suspensionsnaht, evtl. vertikale Keilresektion
Grad 4: keine Vorwölbung, starke Ptosis mit partieller oder kompletter Bedeckung der Labia majora
Pannikulektomie mit fasziodermaler Suspensionsnaht und eine vertikale Keilresektion
4.2 Vulva/Labia majora pudendi
Konsensbasierte Empfehlung 4.E9
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Eine ausgeprägte Volumenreduktion der Klitoris und des paraklitoridalen Gewebes soll vermieden werden, da dies eine schmerzhafte Exposition der Klitoris verursacht.
Konsensbasiertes Statement 4.S5
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Zu schmale bzw. zu kleine Labiae majora pudendi können von sehr schlanken Patientinnen, nach massiver Gewichtsreduktion oder bei altersbedingter Involutionsatrophie als
unästhetisch empfunden werden und können mit einer behandlungsbedürftigen Dyspareunie einhergehen.
4.3 Labia minora pudendi
Hypertrophien der Labia minora können erworben (z. B. Varikosis, Entzündungen, kulturbedingte Verlängerung/Dehnung) oder angeboren sein [7 ]. Leidet eine
Patientin unter überproportional großen Labia minora, kann durch eine Resektion der überschüssigen Haut ein ästhetisch zufriedenstellendes Aussehen erzielt werden [8 ]. Die folgenden Abbildungen zeigen Exzisionstechniken zur Reduktion der Labia minora sowie unterschiedliche Lappenplastiken ([Abb. 4 ], [5 ] und [6 ]).
Abb. 4 Exzisionstechniken zur Reduktion hypertrophierter Labia minora. (angelehnt an [7 ]). Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von
Prof. M. W. Beckmann. [rerif]
Abb. 5 Planung und Durchführung einer VY-Lappenplastik.(Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. W. Beckmann. [rerif])
Abb. 6 Planung und Durchführung eines Lotusblüten-Lappens (Lotus Petal/Singapore Flap).(Quelle: Jörg Pekarsky mit freundlicher Genehmigung von Prof. M. W. Beckmann. [rerif])
4.4 Praeputium clitoridis
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Auch nach FGM spielt die Rekonstruktion der Vulva eine große Rolle (siehe Kapitel 5). Beispielsweise ist die „Omega
Domed“-Lappenplastik (OD-Flap) eine speziell entwickelte lokale Lappenplastik zur Präputiumrekonstruktion.
4.5 Vagina
Die Diagnostik und Therapie des Descensus genitalis der Frau sollte sich an der Leitlinie „Diagnostik und Therapie des weiblichen Descensus genitalis“ orientieren, AWMF-Registernummer
015-006, Stand April 2016. Die Diagnostik und Therapie der Inkontinenz der Frau sollte sich an der Leitlinie „Harninkontinenz der Frau“ orientieren, AWMF-Registernummer 015-005, aktuell in
Überarbeitung. Die Diagnostik und Therapie von genitalen Fehlbildungen der Frau sollte sich an der Leitlinie „Weibliche genitale Fehlbildungen“ orientieren, AWMF-Registernummer 015-052,
Stand März 2020.
4.6 Introitus vaginae
Die Hymenrekonstruktion spielt vor allem in Kulturkreisen eine Rolle, in denen der weiblichen Jungfräulichkeit bzw. Unversehrtheit des Hymenalsaumes eine moralische Bedeutung beigemessen
wird. Dessen Diagnostik und Therapie sollte sich an der Leitlinie „Weibliche genitale Fehlbildungen“ orientieren, AWMF-Registernummer 015-052, Stand März 2020.
Ähnlich der Hymenalrekonstruktion ist die Rekonstruktion des Introitus vaginae möglich. Dessen Diagnostik und Therapie sollte sich ebenfalls an der Leitlinie „Weibliche genitale
Fehlbildungen“ orientieren, AWMF-Registernummer 015-052, Stand März 2020.
4.7 G-Punkt
Unterspritzung des G-Punktes mit Eigenfett oder Filler stellen keine medizinisch indizierten Eingriffe im Sinne des SGB V dar, sodass die Kosten für diese Maßnahmen nicht von den
Krankenversicherungen übernommen werden.
5 Weibliche Genitalverstümmelung
5.1 Grundlagen
Die rituelle Beschneidung des äußeren weiblichen Genitale (Female Genital Mutilation/FGM) ist ein weltweit verbreitetes Ritual mit Prävalenz in Afrika, Asien und Südamerika. Nach
Schätzungen der WHO sind weltweit etwa 200 000 000 Mädchen und Frauen betroffen [9 ]. Die WHO teilt die Formen der FGM in unterschiedlichen Typen I – IV ein
([Tab. 8 ]).
Tab. 8 Formen der Female Genitale Mutilation (FGM) nach World Health Organisation (WHO), 1997.
Typ I
anteilige oder komplette Entfernung der Klitoris (Glans clitoridis) und/oder der Klitorisvorhaut (Praeputium clitoridis)
Typ Ia
Entfernung der Klitorisvorhaut
Typ Ib
Entfernung der Klitoris und der Klitorisvorhaut
Typ II
partielle oder komplette Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der großen Schamlippen (Exzision)
Typ IIa
Entfernung der kleinen Schamlippen
Typ IIb
partielle oder komplette Entfernung der Klitoris und der kleinen Schamlippen
Typ IIc
partielle oder komplette Entfernung der Klitoris, der kleinen und der großen Schamlippen
Typ III
Verengung der vaginalen Öffnung mit Herstellung eines bedeckenden, narbigen Hautverschlusses durch das Entfernen und Zusammenheften oder -nähen der kleinen und/oder großen
Schamlippen, mit oder ohne Entfernung der Klitoris (Infibulation)
Typ IIIa
Entfernen und Zusammennähen der kleinen Schamlippen
Typ IIIb
Entfernen und Zusammennähen der großen Schamlippen
Typ IV
alle anderen schädigenden Eingriffe, welche die weiblichen Genitalien verletzen und keinem medizinischen Zweck dienen, zum Beispiel: Einstechen, Durchbohren, Einschneiden,
Ausschaben, Ausbrennen, Verätzen oder Dehnen
5.2 Verfahren zur Rekonstruktion
Rekonstruktive Operationen des äußeren weiblichen Genitale umfassen viele Indikationen und Therapieoptionen, deren Standardisierung noch wenig verbreitet ist. Technisch stehen diverse
standardisierte Lappenplastiken zur Vulvarekonstruktion zur Verfügung, die jeweils Vor- und Nachteile aufweisen [10 ], [11 ], [12 ], [13 ], [14 ], [15 ], [16 ]. Ein inadäquater Gewebetransfer wird sich z. B. durch ein übermäßiges Volumen mit einer unnatürlichen Projektion, Geweberigidität, Deformierung und
Funktionseinschränkung negativ auf die Vulvarekonstruktion auswirken. Daher sollte die Wahl der geeigneten Lappenplastik kritisch erfolgen.
5.2.1 Rekonstruktion des Praeputium clitoridis
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Bei Patientinnen mit FGM Typ I bis III ist das Präputium regelmäßig beteiligt und oftmals nicht mehr existent. In der Region
des anatomischen Durchtritts der Klitorisspitze kann die narbig veränderte Haut umschrieben entfernt werden, um einen operativen Zugang zum Klitorisstumpf zu gewährleisten, oder sie kann
in einer lokalen Lappenplastik genutzt werden.
5.2.2 Rekonstruktion der Glans clitoridis
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Die klitorale Rekonstruktion stellt ein Schlüsselverfahren im Rahmen der Vulvarekonstruktion nach FGM dar, da das Verfahren auf
die grundlegende organische Integrität einer regelrechten Sexualfunktion abzielt.
5.2.3 Rekonstruktion der Labia majora/minora pudendi
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Die Rekonstruktion der Labia minora et majora pudendi nach FGM Typ II und III ist aufgrund des regionsübergreifenden
Gewebeverlustes in der Regel nur mit additivem Gewebe möglich.
5.2.4 Rekonstruktion des Vestibulum vaginae
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Die Flexibilität des Vulvagewebes gewährleistet auch bei ausgedehnten Defekten häufig primäre Wundverschlüsse.
Anatomisch-funktionell können solche Defektverschlüsse form- und funktionsrelevante Einschränkungen wie Deformierungen, Elastizitätsverluste und Gewebespannungen verursachen.
5.3 Rekonstruktion nach konsekutiv-sekundären Verletzungen und/oder Veränderungen
Das rekonstruktive Spektrum für sekundäre Verletzungen und/oder Veränderungen nach FGM ist groß und reicht von funktionsverbessernden Narbenkorrekturen und Fistelsanierungen
einschließlich Dammrekonstruktionen über Tumorentfernungen wie Klitoriszysten bis hin zum komplexen Gewebetransfer [17 ].
Konsensbasierte Empfehlung 5.E10
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei der Rekonstruktion nach FGM (Female Genital Mutilation) sollten auch sekundäre Veränderungen und Beeinträchtigungen anamnestisch und klinisch erkannt, entsprechend
eingeordnet und in die operative Planung miteinbezogen werden.
6 Sonstige Verfahren zur Rekonstruktion des weiblichen Genitale
6.1 Vaginalstraffung mittels Laser
Konsensbasierte Empfehlung 6.E11
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Für eine ohne medizinische Diagnose, sondern nur aus kosmetischen Gründen durchgeführte Vaginalstraffung mittels CO2 -Laser oder nonablativem
Erbium-YAG-(Yttrium-Aluminium-Granat-)Laser und Radiofrequenztherapie liegt keine Evidenz für eine klinische Effektivität und Nebenwirkungen aus prospektiv randomisierten Studien
vor. Diese Verfahren sollten Patientinnen deshalb nur im Rahmen von klinischen Studien angeboten werden.
6.2 Vaginalstraffung mittels Radiofrequenztherapie (RF)
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Es werden mehrere prospektive Studien beschrieben, die einen Effekt der Radiofrequenztherapie auf „Vaginal Laxity“
beschreiben.
6.3 Vaginalstraffung mittels Muskeltraining
Es liegen aktuell keine prospektiv randomisierten Studienergebnisse zur Vaginalstraffung bei „Vaginal Laxity“ mittels Muskeltraining vor. Es kann daher keine Empfehlung abgeleitet werden.
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen.
7 Postoperatives Prozedere
Die Nachbehandlung nach Eingriffen am weiblichen Genitale ist abhängig von Art und Ausmaß des chirurgischen Eingriffs und den körperlichen Voraussetzungen der Patientin. Die meisten
ästhetischen Eingriffe sind ambulant durchzuführen.
7.1 Überwachungsphase postoperativ
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Grundlagen zur postoperativen Überwachungsphase werden beschrieben.
7.2 Peri- und postoperative Medikation
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Von lokalen Anästhetika (Salbe/Spray) wird abgeraten, um nicht unnötig das Milieu der Schleimhaut zu verändern. Eine
prophylaktische Antibiotikagabe ist abhängig von der Art des Eingriffs und den Vorerkrankungen der Patientin (siehe S3-Leitlinie Strategie zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im
Krankenhaus [AWMF-Registernummer 092/001]).
7.3 Verbandswechsel und Hygiene
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Grundlegende Maßnahmen zum Verbandswechsel und der Hygiene werden beschrieben sowie unterschiedliche Verfahren zum Beispiel zur
Vermeidung des Verklebens postoperativer Wunden.
7.4 Nachbehandlung
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Grundlegende postoperative Nachbehandlung wird beschrieben.
8 Komplikationen bei rekonstruktiven und ästhetischen Operationen am weiblichen Genitale
Die Komplikationsrate ist abhängig von der Art des Eingriffs, des Alters und den Nebenerkrankungen der Patientin. Auftreten können alle Komplikationen, die üblicherweise mit chirurgischen
Eingriffen assoziiert sein können [18 ]. Um diese besser erfassen zu können, wurden verschiedene Reporting-Systeme oder Klassifizierungen (z. B. Klassifikation
nach Clavien-Dindo [19 ]) entwickelt. In der Literatur werden Komplikationsraten von 22% der Fälle und eine Mortalität von 0,8% beschrieben [20 ]. Durch eine sorgfältige präoperative Einschätzung und Selektion der Patientinnen und durch vorausschauende Planung kann die Komplikationsrate positiv
beeinflusst werden.
8.1 Komplikationsrate
Konsensbasiertes Statement 8.S6
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Offizielle Statistiken oder Qualitätssicherungsmaßnahmen über spezielle Komplikationen für rekonstruktive und ästhetische Operationen des weiblichen Genitale existieren derzeit
nicht.
8.2 Allgemeine operative Komplikationen
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Intimchirurgische Eingriffe haben Besonderheiten, die zu typischen Komplikationen führen können, die hier exemplarisch erwähnt
werden.
8.3 Komplikationen bei Eingriffen mit Eigengewebe
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Zu Eingriffen mit Eigengewebe zählen Lappenplastiken aller Art. Hier sind arterielle Blutversorgung und venöser Abfluss kritisch
für das Überleben des Lappens und somit für den Erfolg der Operation.
8.4 Komplikationen bei Eingriffen mit Fremdmaterial
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Als Fremdmaterial sind grundsätzlich alle Arten von Silikonimplantaten, nicht resorbierbares Nahtmaterial und azelluläre dermale
Matrix (ADM) zu bezeichnen. Die am häufigsten mit Fremdmaterial assoziierten Komplikationen sind Infekte und Serome, die Folgeeingriffe nach sich ziehen.
8.5 Revision und Folgeoperation
Die häufigste Indikation für akute Revisionen sind Blutungen, die einer sofortigen Handlung bedürfen. Wie dringlich die Indikationsstellung zur Revision ist, hängt von der Lokalisation
(arteriell oder venös) und Schwere der Nachblutung, dem Allgemeinzustand der Patientin und den Laborparametern (Hb-Wert) ab.
Bei arterieller Minderdurchblutung oder venöser Abflussstörung soll unverzüglich eine chirurgische Revision durchgeführt werden. Jede Verzögerung kann zu einem Absterben des Lappens
führen. In diesen Fällen muss die Gefäßanastomose revidiert werden.
9 Spezielle Aspekte bei Kindern und Jugendlichen
9.1 Allgemeines zur Rekonstruktion und ästhetischen Chirurgie des weiblichen Genitale im Kindesalter
Wesentliche Aspekte rekonstruktiver und ästhetischer Eingriffe im Kindes- und Jugendalter beschäftigen sich mit den Beschwerden (siehe Kapitel 9.2) und der Funktionalität, insbesondere
bezüglich möglicher Einschränkungen der Fertilität (z. B. im Rahmen einer Aplasie der inneren Geschlechtsorgane wie bei Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom (MRKH), Complete Androgen
Insensitivity Syndrome (CAIS), sowie der Funktionalität hinsichtlich der Kontinuität und des Kontinenzerhaltes des harnableitenden und des intestinalen Systems. Diese können der
S2k-Leitlinie „Weibliche genitale Fehlbildungen“ (AWMF-Registernummer 015/052) entnommen werden [21 ].
Konsensbasierte Empfehlung 9.E12
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Nicht medizinisch indizierte Eingriffe des weiblichen Genitale im Kindesalter sollen nicht durchgeführt werden.
9.2 Rekonstruktive Eingriffe im Rahmen angeborener Fehlbildungen
Für die rekonstruktiven Eingriffe im Rahmen angeborener Fehlbildungen verweisen wir auf die Leitlinie „Weibliche genitale Fehlbildungen“, AWMF-Reg.-Nr. 015/052 [21 ].
9.3 (Angleichende) Genitaloperation bei Varianten der Geschlechtsentwicklung
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Während früher die Einwilligung zu einem verändernden operativen Eingriff des Genitale bei Varianten der Geschlechtsentwicklung
im Kindesalter den Sorgeberechtigten oblag, hat sich dies grundlegend gewandelt unter besonderer Betonung des Selbstbestimmungsrechtes des Individuums. Die S2k-Leitlinie „Varianten der
Geschlechtsdifferenzierung“, AWMF-Registernummer 174/001, ist aktuell insbesondere auch zu diesem Themengebiet in Überarbeitung.
9.4 Rekonstruktive Operationen des weiblichen Genitale im Kindesalter nach vorausgegangener Female Genital Mutilation
Die Indikation zu rekonstruktiven Eingriffen im Kindesalter ist besonders streng zu stellen. Daher kommt bei Kindern ein Eingriff lediglich bei eindeutig medizinischer Indikation in
Frage. Neben den in Deutschland sehr seltenen urogenitalen oder rektovaginalen Fisteln wird dies in aller Regel lediglich bei einer Infibulation oder partiellen Einengung der Vulva gegeben
sein.
Konsensbasiertes Statement 9.S7
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Die Behandlung von Patientinnen mit FGM und deren damit verbundenen Problemen erfordert ein umfassendes Verständnis der komplexen soziokulturellen und medizinischen Aspekte,
insbesondere im Kindes- und Jugendalter.
Konsensbasierte Empfehlung 9.E13
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Physische und psychische Traumata durch unnötige und unsensible Untersuchungen von Patientinnen, insbesondere im Kindes- und Jugendalter sollen vermieden werden.
10 Psychosomatik
10.1 Sexuelle Funktionsstörungen
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Mehrere Studien zur sexuellen Funktionsstörung werden beschrieben.
10.2 Kontraindikation: psychische Störungen
Dieses Kapitel enthält keine Statements und Empfehlungen. Das Vorliegen einer körperdysmorphen Störung stellt eine Kontraindikation für einen kosmetischen Eingriff am weiblichen Genitale
aufgrund der mit der psychischen Störung einhergehenden Realitätsverzerrung dar, welche die informierte Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit beeinträchtigt.
10.3 Patientinnenzufriedenheit und Lebensqualität
Konsensbasierte Empfehlung 10.E14
Expertenkonsens
Konsensusstärke +++
Bei genitalbezogener körperlicher Unzufriedenheit kann eine ästhetische und funktionelle operative Therapie erwogen werden, um das sexuelle Selbstbild und die sexuelle
Zufriedenheit zu verbessern.