Psychiatr Prax 2023; 50(05): 231-233
DOI: 10.1055/a-2080-8463
Editorial

Klimawandel, Gesundheitskompetenz und psychische Gesundheit

Climate Change, Health Literacy and Mental Health
Franziska D. Welzel
1   Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Medizinische Fakultät der Universität Leipzig
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Franziska D. Welzel

Einleitung

Der Klimawandel stellt eine Gesundheitskrise dar. In der Folge zunehmender Umweltveränderungen und Wetterextreme rücken Fragen nach den Auswirkungen des Klimawandels auf die psychische Gesundheit und die ärztliche und therapeutische Versorgungspraxis in den Vordergrund. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik & Nervenheilkunde (DGPPN) hat 2022 ein Positionspapier zum Thema Klimawandel und psychische Gesundheit publiziert. Darin wird darauf hingewiesen, dass sich das psychiatrische Versorgungssystem auf einen steigenden Bedarf in der naheliegenden Zukunft einstellen muss. Die Häufung von Extremwetterereignissen, steigende Temperaturen und der Verlust von Biodiversität stellen eine Gefährdung für die psychische Gesundheit dar [1]. Um die erwartete Krankheitslast zu begrenzen und einer Überlastung des Versorgungssystems entgegenzuwirken, werden insbesondere Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in Zukunft einen hohen Stellenwert einnehmen. Der Förderung einer Gesundheits- und Klimakompetenz wird hierbei eine wesentliche Rolle zukommen.

Klimawandel und psychische Gesundheit

Es gibt mittlerweile gute Belege dafür, dass sich der Klimawandel auch auf die psychische Gesundheit auswirkt. Eine aktuelle Meta-Analyse zeigt auf, dass bereits 1 Grad Celsius Anstieg der durchschnittlichen Temperatur mit einem 0,9% Anstieg in der psychischen Morbidität assoziiert ist [2]. Morbidität wurde dabei über die Anzahl stationärer psychiatrischer Aufnahmen und psychiatrischer Rettungsstellenkontakte gemessen. Weitere Studien zeigen, dass Hitze mit einem Anstieg in Suizidraten, sowie einem Anstieg von Aufnahmen in psychiatrische Kliniken und einer Zunahme aggressiven Verhaltens bei stationären Patient:innen assoziiert ist [3] [4]. Gerade Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sind hier besonders gefährdet. Bereits vor 25 Jahren wurde in einer Studie von Bark et al. [5] gezeigt, dass hospitalisierte psychiatrische Patient:innen ein zweimal so hohes Risiko hatten, während einer Hitzewelle zu versterben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Studien, die Zusammenhänge zwischen hohen Umgebungstemperaturen sowie Hospitalisierungen und erhöhten Mortalitätsraten bei Personen mit präexistierenden psychischen Erkrankungen aufzeigen [2] [6] [7]. Dies gilt insbesondere für Menschen mit substanzbezogenen Störungen und organischen psychischen Störungen, wie z. B. Demenzen. Darüber hinaus können verschiedene Psychopharmaka die Thermoregulation des Körpers beeinflussen. Insbesondere anticholinerge, antipsychotische und anxiolytische Medikamente stellen Risikofaktoren für eine Hospitalisierung aufgrund hitzebedingter Pathologien dar [5] [8]. Weiterhin können Extremwetter und Naturkatastrophen über verschiedene Wege zu enormen psychischen Belastungen führen, die zum Teil über Jahre persistieren können. Der Anteil posttraumatischer Belastungsstörungen nach dem Erleben solcher Wetterextreme liegt zwischen 1% und 60% abhängig von dem Ausmaß sowie der räumlichen und zeitlichen Nähe und der individuellen Betroffenheit [9] [10] [11]. Auch subakute Wetterphänomene, die über viele Wochen und Monate anhalten (z. B. Dürre- und Trockenperioden, anhaltende Hitzewellen), wurden mit ungünstigen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit in Verbindung gebracht, wie zum Beispiel einer Zunahme von Suizidraten und affektiven Störungen [12]. Daneben werden viele indirekte Einflüsse auf die psychische Gesundheit über eine Reihe von sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen im Zuge des Klimawandels vermittelt, z. B. durch eine Zunahme von Armut, Arbeits- und Wohnungslosigkeit, Nahrungsmittelunsicherheit, Verlust von Naturräumen, Flucht- & Migrationserfahrungen, gesellschaftliche Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen [11] [13]. Abseits davon kann bereits das Bewusstsein über die gegenwärtigen und erwarteten Folgen des Klimawandels die psychische Gesundheit belasten über dadurch ausgelöste Emotionen wie Angst, Frustration, Ärger oder Hoffnungslosigkeit [14]. Gerade Jugendliche und junge Erwachsene sind hiervon in besonderem Maße betroffen. In einer amerikanischen Umfrage der Kaiser Family Foundation von 2019 mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen gingen mehr als 70% davon aus, durch den Klimawandel geschädigt zu werden [15]. In einer länderübergreifenden Studie mit 10.000 jungen Menschen im Alter zwischen 16 und 26 Jahren gaben wiederum 59% der Befragten an, dass sie sich starke oder extreme Sorgen hinsichtlich des Klimawandels machten und mehr als 45% fühlten sich dadurch in ihrem Alltag beeinträchtigt [16].


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Klima- und Gesundheitskompetenz

Gesundheitskompetenz (GK) bezieht sich auf die Kompetenz, relevante Informationen für die eigene Gesundheit ausfindig zu machen, diese verstehen, bewerten und auf gesundheitsförderliche Weise anwenden zu können [17]. Sie ermöglicht es, im täglichen Leben Entscheidungen treffen zu können, die sich positiv auf die eigene Gesundheit auswirken. GK wird ferner als relationales Konstrukt verstanden, welches nicht allein auf individuellen Fähigkeiten beruht, sondern zugleich von situativen Anforderungen und der Komplexität des Gesundheitssystems abhängig ist [18]. Gesundheitsorganisationen und Versorger nehmen somit hinsichtlich der Förderung und dem Erhalt der GK von Patient:innen eine wesentliche Rolle ein. Repräsentative Daten zur GK in Deutschland verweisen darauf, dass mehr als die Hälfte der Deutschen über eine eingeschränkte GK verfügt (44,6% weisen eine problematische, weitere 9,7% eine inadäquate GK auf [18]). GK wurde mit verschiedenen gesundheitlichen Indikatoren, wie dem subjektiven Gesundheitszustand, dem Gesundheitsverhalten und der Inanspruchnahme gesundheitlicher Dienstleistungen in Verbindung gebracht. Eine niedrige GK ist eher mit ungünstigen Gesundheitsverhaltensweisen (z. B. hinsichtlich Ernährung, Bewegung, Alkoholkonsum) assoziiert und geht mit einer intensiveren Nutzung bestimmter Gesundheitsdienste einher (u. a. der Inanspruchnahme von Notfalldiensten). Zugleich werden Präventionsangebote von Personen mit niedriger GK seltener in Anspruch genommen [18].

Das Konzept der Klima- und Gesundheitskompetenz verbindet nun die allgemeine Gesundheitskompetenz mit einem Verständnis über die Folgen des Klimawandels und bezieht sich auf das Ausmaß, in dem eine Person die komplexe Beziehung zwischen Klimawandel und menschlicher Gesundheit verstehen und auf ihre eigene Gesundheitssituation anwenden kann [19]. Die Bedeutung klima- und gesundheitskompetenter Individuen ergibt sich letztlich aus der Notwendigkeit zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit, der sogenannten Klimaresilienz, im Zuge des fortschreitenden Klimawandels. Vor dem Hintergrund zunehmender Belastungen der Versorgungssysteme müssen Individuen und Gesellschaften eine klimabezogene Gesundheitskompetenz entwickeln, damit sie weiterhin als gestaltende Akteure ihre Gesundheit fördern können und die zukünftige Krankheitslast begrenzt werden kann. Menschen mit psychischen Erkrankungen stellen hier eine Risikogruppe dar. Je nach Vorerkrankung müssen sie darin unterstützt werden, ihre individuellen Risiken im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels verstehen zu lernen. Sie müssen wissen, wie sie sich schützen können und in welchen Situationen es besonders angebracht ist (z. B. bei Hitzewellen). Darüber hinaus benötigen sie Informationen dazu, wo sie an vertrauenswürdige Informationen zum Zusammenhang zwischen Klimawandel und psychische Gesundheit gelangen können und mit wem sie Fragen hierzu klären können.

Auch Ärzt:innen und Behandler:innen müssen ihre eigene Klimakompetenz stärken und ihr Wissen über die Zusammenhänge zwischen Klimawandel, Umweltveränderungen und Gesundheit erweitern. Hierbei handelt es sich um einen Prozess, in dem wir uns alle als kontinuierlich Lernende verstehen sollten. Zugleich ist es entscheidend, die eigenen Kompetenzen hinsichtlich der Vermittlung dieser Zusammenhänge in patientenverständlicher Sprache zu prüfen und gegebenenfalls zu verbessern. Die Aufklärung über Zusammenhänge zwischen Klimawandel und psychischer Gesundheit sollte dabei vor allem günstige Aspekte von Verhaltensänderungen in den Blick nehmen. Viele Verhaltensänderungen, die der Mitigation des Klimawandels dienen, gehen zugleich mit positiven Effekten für unsere körperliche und psychische Gesundheit einher. In diesem Sinne wird von den sogenannten „co-benefits“ gesprochen. Wir wissen, dass Menschen, die sich regelmäßig körperlich aktiv mit dem Fahrrad oder zu Fuß zur Arbeit, Schule oder anderen Terminen begeben, nicht nur den Ausstoß von Emissionen und ihren C02 Fußabdruck reduzieren, sondern auch ihre körperliche Fitness verbessern und ein niedrigeres Stresslevel aufweisen als Autopendler. Natur und auch städtische Grünflächen sind wiederum mit einer besseren Luftqualität assoziiert, wirken sich positiv auf das Wohlbefinden aus und gehen mit einer Reduktion von Stresserleben und Rumination einher. Beispielhaft soll damit aufgezeigt werden, dass Maßnahmen, die der Abmilderung des Klimawandels dienen, nicht nur einen Verzicht von Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten darstellen. Mit Blick auf unsere körperliche und psychische Gesundheit weisen sie auch ein großes Potential auf, sich hier positiv auszuwirken.

Vor dem Hintergrund eines steigenden Versorgungsbedarfs ist es von dringlicher Relevanz, die Gesundheitskompetenz im allgemeinen sowie spezifisch das Wissen über das Zusammenwirken von Umwelt, Klimafolgen, Verhalten und Gesundheit zu fördern.


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Interessenkonflikt

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Dr. rer. nat. Franziska D. Welzel
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, Philipp-Rosenthal-Str. 55,04103
Leipzig
Deutschland   

Publication History

Article published online:
11 July 2023

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