CC BY-NC-ND 4.0 · Psychother Psychosom Med Psychol 2023; 73(09/10): 370-377
DOI: 10.1055/a-2109-3512
Originalarbeit

Ähnliche Weisheitsstrategien für unterschiedliche Lebensprobleme

Similar wisdom strategies for different life problems
Anne Meier-Credner
1   Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik, Institut für Psychologie, Technische Universität Braunschweig
,
Mareike Eberl-Kollmeier
2   Abteilung für Psychosomatik, MEDIAN Ambulantes Gesundheitszentrum Hannover
,
Beate Muschalla
1   Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und Diagnostik, Institut für Psychologie, Technische Universität Braunschweig
› Author Affiliations
Finanzielle Unterstützung Für die Durchführung dieser Studie wurden keine Mittel bereitgestellt.
 

Zusammenfassung

Ziel Weisheit kann verstanden werden als Fähigkeit, unlösbare Probleme zu lösen. Weisen Menschen gelingt es besser, verschiedene schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Dabei helfen ihnen Weisheitsstrategien. Fraglich ist, ob in verschiedenen schwierigen Lebenssituationen die gleichen oder verschiedene Weisheitsstrategien benötigt werden. Diese Studie geht deshalb der Frage nach, ob Menschen die gleichen oder unterschiedliche Weisheitsstrategien für sinnvoll halten, wenn sie mit zwei verschiedenen Lebensproblemen konfrontiert werden.

Methodik Insgesamt 416 Personen (40,4 Jahre alt) lasen jeweils zwei Vignetten, eine zu einer beruflichen Problemsituation und eine zu einer privaten Problemsituation. Für jede Situation schätzten sie ein, wie stark sie den angebotenen Weisheitsstrategien, bezogen auf die jeweilige Situation, zustimmten. Die Weisheitsstrategien wurden mittels Selbstbeurteilungsfragebogen erfasst.

Ergebnisse Die Befragten stimmten den Weisheitsstrategien für beide Situationen ähnlich stark zu. Für beide Situationen stimmten sie am stärksten der Bedeutung von Fakten- und Problemlösewissen, Emotionswahrnehmung und -akzeptanz, Wertrelativismus sowie Problem- und Anspruchsrelativierung zu. Die Reihenfolge der übrigen acht Weisheitsstrategien ist für beide Situationen dieselbe.

Diskussion und Schlussfolgerung Menschen tendieren dazu, allgemeinen Weisheitsstrategien zuzustimmen, ungeachtet der situationsspezifischen Hinweisreize. Weisheitsstrategien werden über verschiedene Lebenssituationen hinweg für sinnvoll erachtet. Das ist bedeutsam für die Gestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen zur Förderung psychischer Resilienz.


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Abstract

Objective Wisdom can be understood as the ability to solve unsolvable problems. Wise persons are better in coping with difficult life situations. Wise strategies help them to do so. The question is whether the same or different wisdom strategies make sense for different life problems.

Methods A total of 416 persons (40.4 years old) read two situational vignettes, one about a work problem and one about a private problem. After each situational vignette, they were asked about their wisdom strategies regarding the respective situation. Wisdom strategies were measured by means of a self-rating wisdom scale.

Results People agreed similarly with wisdom strategies for both situations. For both situations, participants agreed most strongly to use factual and procedural knowledge, perception and acceptance of emotions, value relativism and relativization of problems and aspirations. The order of the remaining eight wisdom strategies was the same for both situations.

Discussion and Conclusion People agreed similarly with wisdom strategies regardless of the situation type. Wisdom strategies seem to be meaningful across different life problems. This is of interest for the design of interventions to promote psychological resilience.


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Einleitung

Im Alltag treffen Menschen oft auf Situationen, in denen es keine eindeutige richtige oder falsche Entscheidung gibt. Geht man mit der Familie für das gesunde frische Lieblingsessen zum Vietnamesen, oder spart man das Geld, um noch gemeinsam das Schloss zu besuchen? Riskiert man einen Streit mit einem Kollegen, um kurzfristig eigene Ziele durchzusetzen – oder verhält man sich kooperativ, um das langfristige Auskommen miteinander nicht zu gefährden? Und sowohl im Arbeits- als auch im Privatleben gibt es noch weit unangenehmere Situationen, auch solche, die nicht rückgängig gemacht oder aufgelöst werden können, aber bewältigt werden wollen: So werden Arbeitnehmer entlassen, obwohl sie sich für ihre Arbeit aufgeopfert haben, oder ein Mensch erfährt nach dem Tod seines Partners, dass dieser untreu war.

Um solche Situationen zu meistern, brauchen Menschen Weisheit [1]. Wenig ist darüber bekannt ist, welche Weisheitsstrategien Menschen in verschiedenen Situationen für hilfreich halten. In dieser Studie werden deshalb Weisheitsstrategien in zwei verschiedenen fiktiven Lebenssituationen experimentell untersucht: einem Arbeitsproblem und einem Privatproblem.

Die psychologische Weisheitsforschung hat sich aus der Lebensspannenforschung entwickelt [2] [3]. Weisheit geht einher mit Lebenszufriedenheit [4], subjektivem Wohlbefinden [5], Lebensqualität [6] und psychischer Gesundheit [7] und wird daher als ein Resilienzfaktor angesehen [8] [9]. Weststrate und Glück [10] beobachteten, dass weise Menschen auf eine bestimmte Art und Weise reflektierten, die es ihnen wahrscheinlicher machte, aus schwierigen Erfahrungen zu lernen, als weniger weise Menschen. Weisheit lohnt sich, um schwierige Lebenssituationen besser zu bewältigen. Darüber hinaus wird Weisheit als wichtige Ressource für ein gutes Leben angesehen, die Einsichten und Orientierung in wesentlichen Fragen des Lebens ermöglicht [11].

Zwölf Weisheitskompetenzen und die 12-WD-Skala

Linden et al. [1] entwickelten ein integratives Weisheitsmodell, das zwölf Weisheitsdimensionen aus verschiedenen psychologischen Weisheitskonzepten [z. B. 2, 12–15] und aus dem Konzept der emotionalen Intelligenz [16] umfasst. Diese zwölf Weisheitsdimensionen sind Fakten- und Problemlösewissen, Kontextualismus, Wertrelativismus, Perspektivwechsel, Empathie, Problem- und Anspruchsrelativierung, Selbstrelativierung, Selbstdistanz, Emotionswahrnehmung und -akzeptanz, emotionale Serenität und Humor, Ungewissheitstoleranz und Nachhaltigkeit. Diese Weisheitsdimensionen berücksichtigen sowohl kognitive als auch affektive Komponenten.

Mit der 12-WD-Skala [1] steht außerdem ein Selbstbeurteilungsfragebogen zur Messung allgemeiner weisheitsbezogener Einstellungen und Strategien, Selbstwahrnehmung und Selbstzuschreibungen zur Verfügung. Jede der zwölf Aussagen steht für eine der zwölf theoretischen Weisheitsdimensionen. So steht beispielsweise die Aussage Bevor ich auf ein Problem reagiere, ist es mir wichtig, erst einmal zu verstehen, worin das Problem besteht für Fakten- und Problemlösewissen und die Aussage Ich sehe Krisen immer auch als Chance für die Zukunft für Nachhaltigkeit. Linden et al. [1] zeigten, dass der globale Weisheitswert positiv mit allgemeiner Lebenszufriedenheit (r=0,23; p=0,001, DLB-Skala, [17]) und negativ mit Verbitterung (PTED-Skala, [18]) korreliert. Je höher der Weisheitswert, desto weniger ausgeprägt ist die Überzeugung der Befragten, dass es in der Welt grundsätzlich gerecht zugeht (GWAL-Skala, [19]). Cronbachs Alpha der 12-WD-Skala liegt nach Linden et al. bei .81 [1].


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Weisheitsstrategien als Voraussetzung für weises Handeln

Obwohl bereits verschiedene Weisheitskomponenten identifiziert wurden, hat die psychologische Weisheitsforschung bisher [20] kaum zwischen innerlich weisen Grundeinstellungen und äußerlich erkennbaren weisen Überlegungen oder weisem Verhalten unterschieden. Nach der Balance-Theorie [21] wird Weisheit definiert als die Anwendung von Wissen – vermittelt durch Werte – mit der Absicht, ein Gemeinwohl zu erreichen. Das Berliner Weisheitsparadigma [2] [11] definiert Weisheit als “an expert knowledge system concerning the fundamental pragmatics of life” ([11] S. 122), also als Expertenwissen über die grundlegende Pragmatik des Lebens. Dementsprechend wird Weisheit häufig als das Ausmaß an weisem Denken in herausfordernden Situationen bewertet [z. B. 13, 22, 23].

Spätestens seit den Samariterstudien von Darley und Batson [24] ist jedoch bekannt, dass situative Bedingungen Einfluss darauf nehmen können, ob Menschen ihr Wissen in Handlungen umsetzen. Es gibt also einen Unterschied zwischen der grundsätzlichen Fähigkeit, sich z. B. weise zu verhalten und tatsächlichem weisen Verhalten in einer konkreten Situation. Im Zusammenhang mit Weisheit haben mehrere Studien gezeigt, dass sich die Ergebnisse weisen Schlussfolgerns je nach Situation unterscheiden [25] [26]. In diesen früheren Studien wurden die Unterschiede mit Merkmalen der Situation erklärt, z. B. ob es sich um eine soziale Situation handelt [27], oder damit, wie relevant die Situation für eine Person ist [25]. Weises Schlussfolgern bedeutet, dass Menschen (laut) darüber nachdenken, was eine Person in einer weisheitserfordernden Situation tun oder denken könnte. Davon unterscheiden kann man Weisheitsstrategien bzw. Weisheitseinstellungen.

Es ist offensichtlich, dass Menschen nur dann weise handeln oder auch weise schlussfolgern können, wenn sie weise Einstellungen und Strategien haben. Um in einer schwierigen Situation weises Schlussfolgern überhaupt aktivieren zu können, ist es erforderlich, dass eine weise Grundeinstellung vorhanden ist. Weisheitsstrategien in diesem Sinne können als Grundannahmen oder Grundüberzeugungen über das Leben verstanden werden [2] [14]. Eine Pilotstudie hat gezeigt, dass Menschen weisheitsorientierten Grundsätzen generell eher zustimmen [1].

Unseres Wissens wurde bisher noch nicht untersucht, ob Menschen in verschiedenen Situationen unterschiedliche oder ähnliche Weisheitsstrategien für sinnvoll halten. Daraus ergeben sich wichtige Implikationen für die Gestaltung von Präventions- und Interventionsmaßnahmen, die Menschen helfen sollen, schwierige Situationen besser zu bewältigen. Zum einen können sich Unterschiede dahingehend ergeben, dass eine Weisheitsstrategie im direkten Vergleich in einer Situation für sinnvoller oder weniger sinnvoll als in einer anderen Situation eingeschätzt wird. Zum anderen können sich Reihenfolgeunterschiede ergeben, ordnet man die Weisheitsstrategien getrennt nach Situationen danach, welche in der jeweiligen Situation als am sinnvollsten bis am wenigsten sinnvoll eingeschätzt werden. Der Blick auf die Rangreihe ermöglicht eine Einschätzung, ob einer Weisheitsstrategie, die im direkten Vergleich zwischen zwei Situationen auffällt, auch mit Blick auf die übrigen Weisheitsstrategien in einer Situation eine besondere Bedeutung zukommt.

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Weisheit trainiert werden kann [13] [22] [23] [28] [29]. Bisherige Ansätze zur Förderung von Weisheit unterscheiden bislang nicht zwischen verschiedenen Lebensbereichen, in denen sich Probleme zeigen können. Sie beinhalten insbesondere Methoden, die einen Perspektivwechsel anregen [13] [22] [23] [28]. So kann eine gedankliche Wolkenreise um die Welt eine Vielfalt an gesellschaftlichen Werten aktivieren, bevor über ein konkretes Lebensproblem nachgedacht wird [13] oder Tagebuchreflektionen über eigene Tagesprobleme aus der Perspektive einer dritten Person regen weise Bewältigungsideen von Lebensproblemen an [23]. In der Weisheitstherapie werden Lebensprobleme gezielt aus der Perspektive verschiedener weiser Prototypen wie einer älteren Person, einem Rechtsanwalt oder einer geistlichen Person betrachtet [28] [30]. Als effektive Kurzintervention hat es sich außerdem bewährt, sich tatsächlich oder in der Vorstellung mit einer anderen Person über ein Lebensproblem auszutauschen, bevor Bewältigungsideen zusammengetragen werden [22]. Damit unterscheiden sich Ansätze zur Weisheitsförderung von anderen Trainingsansätzen wie z. B. Empathie- oder Stressbewältigungstrainings. Um Weisheit noch effektiver zu trainieren, wäre es hilfreich zu wissen, welche Weisheitsdimensionen in welchen Lebenssituationen von Bedeutung sind.


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Für wen sind Weisheitsstrategien bedeutsam?

Wenn je nach Situation unterschiedliche Weisheitsstrategien als bedeutsam erachtet werden, könnte es sinnvoll sein, Weisheit bereichsspezifisch zu trainieren, z. B. „Weisheitsstrategien am Arbeitsplatz“ oder „Weisheitsstrategien in der Familie“. Denkbar ist auch, dass je nach situativem Kontext unterschiedliche Weisheitsstrategien als wichtig erachtet werden, tatsächlich aber auch die als weniger bedeutsam erachteten Weisheitsstrategien sinnvoll sind. In der Folge könnte es hilfreich sein, sich auf die situationsspezifischen, weniger beachteten Weisheitsstrategien zu konzentrieren. Forschung ist notwendig, um herauszufinden, wie Menschen die Bedeutung verschiedener Weisheitsstrategien in verschiedenen Situationen einschätzen.

In dieser Studie wird daher explorativ untersucht, ob Menschen unterschiedliche oder ähnliche Strategien zur Bewältigung von zwei verschiedenen Lebensproblemen für sinnvoll halten. Dazu untersuchten wir bei Teilnehmenden aus der Allgemeinbevölkerung Weisheitsstrategien in Bezug auf ein Problem aus dem Privatleben und ein Problem aus dem Arbeitsleben.


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Methode

Wir haben eine experimentelle Studie mit Personen aus der Allgemeinbevölkerung durchgeführt. Kerngedanke war dabei, die Teilnehmenden zwei fiktiven ungerechten Situationen auszusetzen. Dazu verwendeten wir zwei konkrete Beispiele ungerechter Lebenssituationen. Wir präsentierten den Teilnehmenden zwei Situationsvignetten im Sinne einer Exposition in sensu.

Der Unterschied zwischen den beiden Beispielen bestand darin, dass sie Assoziationen im Kontext unterschiedlicher Lebensbereiche aktivierten (Arbeitsleben versus Privatleben). Wir verglichen, für wie sinnvoll die Teilnehmenden verschiedene Weisheitsstrategien in Bezug auf die jeweilige fiktive Situation bewerteten.

Stichprobe

Die Teilnehmenden wurden bei einem öffentlichen Vortrag zum Thema „Weisheit“ an einer Universität, über Aufrufe in den sozialen Netzwerken Facebook und LinkedIn sowie in einer psychosomatischen Tagesklinik rekrutiert. Die Teilnehmenden aus der Tagesklinik (Tk) waren im Durchschnitt etwas älter als die sonstigen Teilnehmenden (M Tk =49,0; SD Tk =10,6 vs. M Sonstige =32,1; SD Sonstige  =15,8; t (357) =12,669; p<,001; d=1,257) und hatten weniger häufig einen Universitätsabschluss (Tk: 26,7% vs. Sonstige: 50,0%; χ2 (1)=22,75; p<,001; Cramer’s V=,239). Die anteilige Geschlechterzusammensetzung unterschied sich nicht (Tk: 60,4%; Sonstige: 66,5%; χ 2 (2) =2,26; p=,323; Cramer’s V=,074). Eine frühere Untersuchung hatte gezeigt, dass die Stichproben in Bezug auf ihre Weisheitsstrategien ähnlich waren (Meier-Credner et al., under review).

Insgesamt nahmen 416 Personen im Alter von 18 bis 84 Jahren teil (M=40,4; SD=15,9), wobei 63,5% der Teilnehmenden weiblich waren. Ein Drittel (32,7%) hatte eine abgeschlossene Berufsausbildung, über ein Drittel (37,3%) hatte einen Hochschulabschluss, während 18,8% in der Ausbildung oder im Studium waren. Weitere 3,4% hatten einen Meisterbrief, 3,8% hatten keine Berufsausbildung und 4,1% machten dazu keine Angaben.


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Durchführung

Nachdem die Teilnehmenden demografische Variablen zu Alter, Geschlecht und Bildungsniveau angegeben hatten, erhielten sie eine kurze Lebensdilemma-Beschreibung auf der Grundlage einer evaluierten Sammlung von Lebensproblemen [30]. Jeder Person wurde in zufälliger Reihenfolge eine Lebensdilemma-Beschreibung aus dem Arbeitsleben und eine aus dem Privatleben vorgelegt. Solche Fallvignetten werden in der Weisheitstherapie erfolgreich eingesetzt, um hilfreiche Bewältigungsmöglichkeiten zu trainieren [29] [30]. In der aktuellen Studie wurden die Teilnehmenden gebeten, sich in die gegebene Lebensproblemsituation hineinzuversetzen und sich bei der anschließenden Einschätzung der Weisheitsstrategien auf diese Situation zu beziehen.


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Zwei Fallvignetten, auf die die Weisheitsstrategien bezogen werden

Nachdem sie die erste Lebensproblemsituation gelesen hatten, wurden die Teilnehmenden gebeten, einen Selbstbeurteilungsfragebogen zu Weisheitsstrategien (12-WD-Skala, [1]) in Bezug auf diese Situation auszufüllen. Danach erhielten sie die andere Lebensproblembeschreibung und wurden gebeten, die 12-WD-Skala auch auf diese Situation bezogen auszufüllen. Die beiden Vignetten lauteten wie folgt:

Arbeitssituation: „Sie leiten seit 25 Jahren erfolgreich eine Abteilung. Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt wegen eines Arbeitsunfalls verlieren Sie Ihre Leitungsfunktion. Ihr neuer Vorgesetzter ist ein junger Universitätsabsolvent.“

Privatsituation: „Sie sind in langjähriger Partnerschaft. Ihr Partner/Ihre Partnerin verstirbt nach langer Krankheit. Sie erben nichts, nur den Ehemann/die Ehefrau, der/die Ihre Partnerin/Ihren Partner vor vielen Jahren erst betrogen und dann verlassen hat.“


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Manipulationscheck

Um zu überprüfen, ob die jeweilige Situation als ungerecht empfunden wurde, wurden die Teilnehmenden gebeten, nach jeder Vignette anzugeben, wie ungerecht sie die Situation empfanden: „Als wie ungerecht nehmen Sie die Situation wahr? Bitte beurteilen Sie auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (sehr)“.

Außerdem wurden sie nach jeder Vignette gebeten anzugeben, wie gut sie sich in die Situation der betroffenen Person hineinversetzen konnten: „Wie gut konnten Sie sich in die Situation hineinversetzen? Bitte beurteilen Sie auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (sehr)“.


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Weisheit: Ausfüllen der 12-WD-Skala

Nachdem die Teilnehmenden das Lebensproblem gelesen und angegeben hatten, wie ungerecht ihnen dies erschien, wurden sie gebeten, auf der 12-WD-Skala anzugeben, inwieweit sie den Weisheitsaussagen zustimmten, wenn sie über die dargestellte Situation nachdachten. Die Antworten wurden auf einer Likert-Skala von 0 (stimmt überhaupt nicht) bis 10 (stimmt genau) gegeben.

Die Instruktion der 12-WD-Skala lautet: „Im Folgenden finden Sie ganz unterschiedliche Aussagen und Leitsätze dazu, wie Menschen auf enorme Schwierigkeiten und einschneidende Lebensbelastungen reagieren können. Denken Sie bitte an die eben vorgestellte Situation. Entscheiden Sie für jede Aussage, inwieweit das für Sie persönlich in dieser Situation Sinn macht oder nicht.“

Ein globaler Weisheitswert kann als Durchschnittswert über alle Items berechnet werden. Für eine genauere Differenzierung haben wir eine Skalenanpassung von der ursprünglichen Skala von 1 bis 6 auf eine Skala von 0 bis 10 vorgenommen. Zustimmungswerte ≤ 3 zeigen an, dass eine Weisheitsstrategie für die betreffende Situation als wenig sinnvoll bzw. nicht sinnvoll eingeschätzt wird. Zustimmungswerte ≥7 zeigen an, dass eine Weisheitsstrategie in Bezug auf die betreffende Situation als sinnvoll bzw. sehr sinnvoll eingeschätzt wird. Zustimmungswerte im mittleren Bereich von 4 bis 6 zeigen an, dass die Weisheitsstrategie weder als sinnvoll noch als nicht sinnvoll in Bezug auf die betreffende Situation eingeschätzt wird.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Fakultät für Lebenswissenschaften der Technischen Universität Braunschweig geprüft und genehmigt (Nummer: FV-2019–10).


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Statistische Auswertung

Der Grad der Zustimmung zu jeder Weisheitsstrategie in Bezug auf eine Vignette (Privatsituation) wurde mit dem Grad der Zustimmung zu jeder Weisheitsstrategie in Bezug auf die andere Fallvignette (Arbeitssituation) mit Hilfe von gepaarten t-Tests verglichen. Um zu prüfen, inwieweit die Antwort auf die erste und zweite Fallvignette miteinander zusammenhingen, wurden Pearson-Korrelationen zwischen der Antwort auf die erste Fallvignette und der Antwort auf die zweite Fallvignette berechnet. Die Daten sind auf Anfrage bei den Autoren oder über open science framework erhältlich: https://osf.io/9aqyc/?view_only=d732080d23274c608724d1e27da8796d


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Ergebnisse

Manipulationscheck

Wie eine Überprüfung der Wirksamkeit der Manipulation zeigte, gaben die Teilnehmenden an, dass sie sich in die in den Fallvignetten beschriebenen Situationen hineinversetzen konnten ([Tab. 1]). Auf die Frage, wie gut sie sich in die Situation hineinversetzen konnten, gaben 67,7% der Teilnehmenden in der Arbeitssituation und 61,1% der Teilnehmenden in der Privatsituation einen Wert von 6 oder höher auf der Skala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (sehr) an. Die Teilnehmenden gaben an, dass sie sich etwas besser in die Arbeitssituation hineinversetzen konnten als in die Privatsituation.

Tab. 1 Vergleich des Zustimmungsgrades zu weisheitsbezogenen Strategien der 12-WD-Skala nach einer Vignette zu einer beruflichen oder privaten Problemsituation und Überprüfung der Wirksamkeit der Manipulation.

Präsentierte Vignette

Arbeit (N=386 bis 392)

Privat (N=386 bis 392)

Statistischer Unterschiedstest

Manipulationscheck

M (SD)

M (SD)

t-Test für gepaarte Stichproben

p-Wert

Effekt-größe d

Pearson-Korrelation der Antworten auf die beiden Vignetten (Signifikanzniveau) N=383 bis 392

In der Lage, sich in die Situation hineinzuversetzen

6,72 (2,64)

6,05 (2,88)

4,638

<,001**

,236

,466 (p<,001)

Wahrnehmung der Situation als ungerecht

6,73 (2,68)

6,76 (2,85)

−0,185

,853

−,009

,289 (p<,001)

Weisheitsstrategien

Zweiseitige t-Tests und Bonferroniadjustiert für 12 Tests.

1 Fakten- und Problemlösewissen

7,89 (2,18)

7,67 (2,36)

1,955

,616

,099

,531 (p<,001)

2 Kontextualismus

6,85 (2,54)

6,71 (2,64)

1,072

1,000

,054

,511 (p<,001)

3 Wertrelativismus

7,67 (2,39)

7,72 (2,49)

−0,377

1,000

−,019

,452 (p<,001)

4 Perspektivwechsel

6,73 (2,64)

6,21 (2,79)

3,822

,002*

,194

,521 (p<,001)

5 Empathie

6,79 (2,53)

6,64 (2,75)

1,177

1,000

,060

,550 (p<,001)

6 Problem- und Anspruchsrelativierung

7,37 (2,77)

7,96 (2,46)

−3,867

,001*

−,197

,350 (p<,001)

7 Selbstrelativierung

5,19 (2,90)

5,37 (2,86)

−1,420

1,000

−,072

,631 (p<,001)

8 Selbstdistanz

6,85 (2,59)

6,68 (2,76)

1,504

1,000

,077

,660 (p<,001)

9 Emotionswahrnehmung und -akzeptanz

7,84 (2,14)

8,02 (2,05)

−1,659

1,000

−,084

,509 (p<,001)

10 Emotionale Serenität und Humor

5,92 (2,74)

6,00 (2,76)

−0,678

1,000

−,034

,664 (p<,001)

11 Ungewissheitstoleranz

4,88 (2,84)

5,15 (3,01)

−2,356

,228

−,120

,695 (p<,001)

12 Nachhaltigkeit

6,24 (2,82)

6,15 (2,86)

0,773

1,000

,039

,689 (p<,001)

Globaler Weisheitswert

6,70 (1,40)

6,70 (1,43)

0,025

1,000

,001

,600 (p<,001)

Anmerkungen. *=sign. nach Bonferroni-Korrektur, Alpha-Fehlerwahrscheinlichkeit von .05, ** = sign. bei einer Alpha-Fehlerwahrscheinlichkeit von .001.

Die Teilnehmenden empfanden beide Situationen als gleichermaßen ungerecht. 70,0% der Teilnehmenden in der Arbeitssituation und 67,7% der Teilnehmenden in der Privatsituation vergaben einen Wert von 6 oder höher auf der Ungerechtigkeitsskala von 0 (überhaupt nicht) bis 10 (sehr).


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Zustimmungsgrad zu den Weisheitsstrategien

Der Grad der Zustimmung zu jeder Weisheitsstrategie in Bezug auf eine Vignette wurde mit dem entsprechenden Grad der Zustimmung in Bezug auf die andere Vignette verglichen. Unabhängig davon, welche der beiden Vignetten der 12-WD-Skala vorausging, bewerteten die Teilnehmenden zehn der zwölf Weisheitsstrategien als gleich bedeutsam. Dementsprechend ist auch der Globalweisheitswert in Bezug auf die Arbeits- und die Privatsituation ähnlich.

Zwei Unterschiede ergeben sich: Für die Arbeitssituation wird ein Perspektivwechsel als bedeutsamer angesehen, während für die Privatsituation Problem- und Anspruchsrelativierung als bedeutsamer angesehen wird. Der statistische Effekt ist nach Cohen [31] gering.

Die Pearson-Korrelationen ([Tab. 1]) zeigen, dass die Weisheitsstrategien in Bezug auf die Arbeitssituation ähnlich sind wie die Weisheitsstrategien in der Privatsituation. Die Pearson-Korrelationen reichten von ,45 bis ,70, was einem moderaten bis starken Effekt nach Cohen [31] entspricht.

Die durchschnittliche Zustimmung zu den Weisheitsstrategien schwankt zwischen 4,9 und 7,9 (Arbeitssituation) und 5,1 und 8,0 (Privatsituation). Keine der Weisheitsstrategien wurde in Bezug auf eine oder beide Situationen als überhaupt nicht sinnvoll eingestuft (Zustimmungsgrad ≤ 3) ([Tab. 1]). Cronbachs Alpha der 12-WD-Skala beträgt in dieser Untersuchung .77.

Der Zustimmungsgrad der Teilnehmenden zu jeder der Weisheitsstrategien kann für beide Vignetten in eine Rangfolge gebracht werden ([Tab. 2]). Die Reihenfolge der Weisheitsstrategien variiert auf den ersten vier Plätzen. Fakten- und Problemlösewissen, Emotionswahrnehmung und -akzeptanz, Wertrelativismus sowie Problem- und Anspruchsrelativierung wurden von den Teilnehmenden als am wichtigsten eingeschätzt. Die Reihenfolge der übrigen acht Weisheitsstrategien ist in beiden Situationen identisch, nämlich Kontextualismus, Selbstdistanz, Empathie, Perspektivwechsel, Nachhaltigkeit, emotionale Gelassenheit und Humor, Selbstrelativierung und Ungewissheitstoleranz, in dieser Reihenfolge.

Tab. 2 Rangfolge der Zustimmung der Teilnehmenden zu den Weisheitsstrategien, in Bezug auf die Arbeits- bzw. die Privatsituation.

Ranking

Arbeitssituation

M (SD)

Privatsituation

M (SD)

1

Fakten- und Problemlösewissen

7,89 (2,18)

Emotionswahrnehmung und -akzeptanz

8,02 (2,05)

2

Emotionswahrnehmung und -akzeptanz

7,84 (2,14)

Problem- und Anspruchsrelativierung

7,96 (2,46)

3

Wertrelativismus

7,67 (2,39)

Wertrelativismus

7,72 (2,49)

4

Problem- und Anspruchsrelativierung

7,37 (2,77)

Fakten- und Problemlösewissen

7,67 (2,36)

5

Kontextualismus

6,85 (2,54)

Kontextualismus

6,71 (2,64)

6

Selbstdistanz

6,85 (2,59)

Selbstdistanz

6,68 (2,76)

7

Empathie

6,79 (2,53)

Empathie

6,64 (2,75)

8

Perspektivwechsel

6,73 (2,64)

Perspektivwechsel

6,21 (2,79)

9

Nachhaltigkeit

6,24 (2,82)

Nachhaltigkeit

6,15 (2,86)

10

Emotionale Serenität und Humor

5,92 (2,74)

Emotionale Serenität und Humor

6,00 (2,76)

11

Selbstrelativierung

5,19 (2,90)

Selbstrelativierung

5,37 (2,86)

12

Ungewissheitstoleranz

4,88 (2,84)

Ungewissheitstoleranz

5,15 (3,01)


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Diskussion

Diese Studie hat gezeigt, dass unabhängig davon, welche Art von Situation (berufliches oder privates Lebensproblem) vorausging, der Zustimmungsgrad zu verschiedenen Weisheitsstrategien situationsübergreifend weitgehend übereinstimmt.

Bei zwei von zwölf Strategien ist – abhängig von der vorangegangenen Fallvignette – ein Unterschied erkennbar. Werden die Weisheitsstrategien pro Fallvignette nach Zustimmungsgrad geordnet, ergibt sich für Perspektivwechsel jedoch kein Rangunterschied, während Problem- und Anspruchsrelativierung in der Privatsituation zwei Ränge höher (= stärkere Zustimmung) liegt als in der Arbeitssituation. Pearson-Korrelationen deuten darauf hin, dass die Zustimmungsgrade zu den Weisheitsstrategien nach der ersten und zweiten Vignette mäßig bis stark zusammenhängen. Die vorliegenden Ergebnisse deuten darauf hin, dass Weisheitsstrategien weitgehend situationsübergreifend gelten. Dies steht im Widerspruch zu früheren Ergebnissen, in denen Unterschiede zwischen einzelnen Situationen beobachtet wurden [25] [26]. In diesen früheren Studien wurde jedoch nicht nach weiser Strategie, sondern nach weisem Schlussfolgern gefragt.

Perspektivwechsel wird in der Arbeitssituation als etwas sinnvoller erachtet als in der Privatsituation. So hielten es die Teilnehmenden vielleicht für hilfreich, die Entscheidung aus der Perspektive des Arbeitgebers zu betrachten (z. B. „der Betrieb muss auch bei Abwesenheit eines Mitarbeiters weiterlaufen“), um eine Erklärung außerhalb ihrer selbst für die ungerechte Situation zu finden (z. B. „es ging nicht darum, mich zurückzustufen, sondern darum, den Betrieb am Laufen zu halten“). Sie berichteten auch, dass die Vignette die Möglichkeit offenließ, dass die Situation vorübergehend war, und sahen vor allem Klärungsbedarf mit dem Arbeitgeber.

In der Privatsituation war kein solch entlastender Perspektivwechsel möglich. In dieser Situation wurde Problem- und Anspruchsrelativierung mehr zugestimmt als in der Arbeitssituation. Da der Tod des Partners bzw. der Partnerin endgültig und unumkehrbar ist, die Motive des Partners bzw. der Partnerin, das Erbe nicht anders zu regeln, nicht mehr geklärt werden können und die eigenen Versäumnisse bei der Klärung des Erbes zu Lebzeiten nicht mehr nachgeholt werden können, mag es nahe liegen, die eigenen Ansprüche den unveränderlichen äußeren Umständen anzupassen.

Der Zustimmungsgrad zu jeder der zwölf Weisheitsstrategien lag bei beiden Fallvignetten etwa zwischen 5 und 8, wobei eine allgemeine Tendenz zur Zustimmung zu beobachten war. Das bedeutet, dass sich die Mittelwerte auf der 12-WD-Skala von 0 bis 10 rechtssteil verteilten, was sich auch im globalen Weisheitsmittelwert von 6.7 für beide Fallvignetten widerspiegelt. Dieses Ergebnis stimmt überein mit Linden et al. [1], die ebenfalls eine Zustimmungstendenz beobachteten.

Die Rangfolge der Zustimmung zu jeder Weisheitsstrategie getrennt nach Vignetten zeigt, dass die Reihenfolge der ersten vier Strategien variiert, während die Reihenfolge der übrigen acht Strategien für beide Vignetten gleich ist. Unter den Weisheitsstrategien auf diesen ersten vier Plätzen befindet sich mit Problem- und Anspruchsrelativierung eine Weisheitsstrategie, bei der sich auch im direkten Vergleich situationsabhängig Unterschiede ergaben. Problem- und Anspruchsrelativierung liegt in der Privatsituation auf Platz 2 und in der Arbeitssituation auf Platz 4. Der größte Rangplatzunterschied ergab sich für Fakten- und Problemlösewissen (Arbeitssituation: Platz 1; Privatsituation: Platz 4), diesbezüglich zeigte sich im direkten Vergleich jedoch kein bedeutsamer Unterschied. Insgesamt werden die Rangplatzunterschiede auf den ersten vier Plätzen daher für wenig bedeutsam eingeschätzt.

Auch wenn nicht alle Aspekte weisen Denkens gleichermaßen nützlich sein mögen [27], sind Weisheitsstrategien, die mehr Zustimmung erhalten, nicht unbedingt tatsächlich wichtiger für die Bewältigung schwieriger Situationen. Möglicherweise spiegelt die Rangfolge eher die Eingängigkeit und Vertrautheit mit den einzelnen Weisheitsstrategien wider. Genau zu wissen, was das Problem ist (Fakten- und Problemlösewissen) und nicht zu erwarten, dass man immer gute Stimmung hat (Emotionswahrnehmung und -akzeptanz), ist unmittelbar verständlich. Auch die Vorstellung, dass jeder auf seine Weise glücklich sein sollte (Wertrelativismus) und dass man mit dem, was man hat, besser zufrieden ist (Problem- und Anspruchsrelativierung), ist intuitiv naheliegend. Mehr Raum für Interpretationen lassen die Weisheitsstrategien am anderen Ende der Skala, der Versuch, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen (Selbstrelativierung) und die Einstellung „es kommt, wie es kommt“ (Ungewissheitstoleranz), die möglicherweise auch daher weniger uneingeschränkte Zustimmung finden.

Folgende Grenzen der aktuellen Studie müssen berücksichtigt und die Ergebnisse daher als vorläufig betrachtet werden: Den Teilnehmenden wurden mehrere Weisheitsstrategien vorgelegt. Es ist unbestreitbar einfacher, vorgegebenen möglichen Strategien zuzustimmen, als sie selbst in einer herausfordernden Situation abzurufen oder gar anzuwenden. Im Alltag kann das Setting einer Situation – z. B. beruflicher oder privater Kontext - beeinflussen, welche Weisheitsstrategien unmittelbar abgerufen werden (z. B. eher Fakten- und Problemlösewissen im beruflichen Kontext oder eher Emotionswahrnehmung und -akzeptanz im privaten Kontext). Dabei könnte es hilfreich sein, gerade diejenigen Weisheitsstrategien zu berücksichtigen, die in der jeweiligen Situation weniger häufig einbezogen werden. In der aktuellen Studie wurde nicht erfasst, in welchem Ausmaß die Personen die beschriebenen Situationen als persönlich bedeutsam erlebten. In Situationen, die als persönlich sehr bedeutsam erlebt werden, könnte es schwieriger sein, sich zu distanzieren und spontan auf eine breite Palette grundsätzlich vorhandener Weisheitsstrategien zurückzugreifen [27]. Möglicherweise haben die Teilnehmenden bei der zweiten Messung der 12-WD Skala ähnlich wie bei der ersten geantwortet, weil sie sich an die Antworten erinnerten und konsistent erscheinen wollten. Beide Situationen waren mit einem Verlust verbunden.

Wie bei jeder Form der Untersuchung mittels Fallvignetten ist limitierend zu berücksichtigen, dass die verwendeten Vignetten ein gewisses Maß an Interpretationsspielraum lassen.

Künftiger Forschung obliegt es, zu prüfen, inwieweit die Ergebnisse dieser Studie auf andere Arten von Situationen übertragen werden können und ob sich die spontanen Reaktionen der Teilnehmenden auf verschiedene herausfordernde Situationen unterscheiden, wenn keine Weisheitsstrategien zur Auswahl angeboten werden.

Zusammenfassend haben wir in dieser Studie Weisheitsstrategien in Bezug auf zwei verschiedene Fallvignetten verglichen, eine aus dem privaten und eine aus dem beruflichen Lebensbereich. Für beide Situationen aus den verschiedenen Lebensbereichen werden weitgehend dieselben Weisheitsstrategien als sinnvoll angesehen.

Für psychologische Weisheitstrainings bedeutet dies, dass kein Bedarf an bereichsspezifischen Trainings erkennbar ist, sondern der Ansatz, grundlegende Weisheitsstrategien zu fördern [z. B. 28], beibehalten werden kann. So kann sich ein Weisheitstraining z. B. auf eine private Problemsituation konzentrieren, wenn man ein berufliches Problem hat, und andersherum. Dies wird in der Weisheitstherapie bereits so gehandhabt [29]. Darüber hinaus könnte es hilfreich sein, den Nutzen der Weisheitsstrategien, denen die Teilnehmenden dieser Studie am wenigsten zustimmten, nämlich Selbstrelativierung und Ungewissheitstoleranz, explizit zu thematisieren. Weisheitsförderung zielt darauf ab, Weisheitsstrategien zu trainieren, und ist bereits wirksam [29]. Zudem könnte es hilfreich sein, konkretes weises Verhalten praktisch zu trainieren, z. B. wie man ein Gespräch beginnt, um zusätzliche Informationen zu erhalten, oder wie man sich in einer emotional überwältigenden Situation selbst reguliert, um weise Strategien abrufen zu können.


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Schlussfolgerung

Insgesamt stimmten die Teilnehmenden den Weisheitsstrategien in der Arbeits- und in der Privatsituation in ähnlicher Weise zu. Das legt nahe, dass Menschen grundlegenden Weisheitsstrategien unabhängig von situationsspezifischen Hinweisen zustimmen und in verschiedenen Lebensbereichen ähnliche Weisheitsstrategien für sinnvoll halten.


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Fazit für die Praxis

  • Menschen stimmen grundlegenden Weisheitsstrategien situationsübergreifend tendenziell zu.

  • Die Ergebnisse unterstützen den bisherigen Ansatz, grundlegende Weisheitsstrategien lebensbereichsübergreifend zu fördern.

  • Neben der Förderung weiser Einstellungen und Strategien könnte es hilfreich sein, konkretes weises Verhalten praktisch zu trainieren.


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Beiträge der Autorinnen

B.M. konzipierte und supervidierte die Studie, stellte die Forschungsfrage und trug zur Überarbeitung des Manuskripts bei. A.M.-C. trug zum Studiendesign bei, sammelte und analysierte die Daten, schrieb den ersten Entwurf des Manuskripts und nahm Überarbeitungen vor. M.E.-K. unterstützte die Datenerhebung und trug zur Diskussion bei.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir danken der Abteilung für Psychosomatik des MEDIAN Ambulanten Gesundheitszentrums Hannover für die Unterstützung bei der Rekrutierung der Teilnehmenden.


Korrespondenzadresse

Dipl.-Psych. Anne Meier-Credner
Technische Universität Braunschweig, Institut für Psychologie, Abteilung Klinische Psychologie, Psychotherapie und DiagnostikHumboldtstr. 33
38106 Braunschweig
Deutschland   
Phone:    

Publication History

Received: 28 November 2022

Accepted: 15 May 2023

Article published online:
24 July 2023

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