Rofo 2024; 196(02): 163-175
DOI: 10.1055/a-2124-2098
Review

Spontane retroperitoneale und Rektusscheidenhämatome und ihre interventionelle Therapie: ein Review

Spontaneous retroperitoneal and rectus sheath hematomas and their interventional therapy: a review
Lena Sophie Becker
1   Diagnostic and Interventional Radiology, MHH, Hannover, Germany
,
2   Diagnostic and Interventional Radiology, Hannover Medical School, Hannover, Germany
,
Frank K. Wacker
2   Diagnostic and Interventional Radiology, Hannover Medical School, Hannover, Germany
,
Jan B. Hinrichs
2   Diagnostic and Interventional Radiology, Hannover Medical School, Hannover, Germany
› Author Affiliations
 

Zussamenfassung

Hintergrund Retroperitoneale und Rektusscheidenhämatome (RH/RSH) stellen ein Krankheitsbild dar, das unter anderem wegen unspezifischer klinischer Symptomatik und des drohenden Risikos einer Exsanguination bzw. Folgen des Blutverlustes, Mortalitätsraten bis zu 30 % aufweist. Ätiologisch werden traumatische, iatrogene und spontane Subtypen unterschieden. Mit in der Literatur beschriebenen Risikofaktoren eines Lebensalters > 65 Jahre und der Einnahme antikoagulativer Medikation werden steigende Inzidenzen insbesondere des spontanen Subtyps der RH/SRH in der alternden Gesellschaft prognostiziert.

Material und Methodik Analyse, Resümee und Diskussion publizierter Grundlagenarbeiten und Expertenempfehlungen.

Ergebnisse Am häufigsten wird das Vorliegen abdomineller Schmerzen im Rahmen der klinischen Untersuchung beschrieben; in Abhängigkeit vom Ausmaß des Volumenverlustes können die Symptome eines abdominellen Kompartments und eines hämorrhagischen Schocks auftreten. Die Computertomographie-Angiographie (CTA), mit hoher Sensitivität und Spezifizität für das Vorliegen aktiver Blutungen, spielt die entscheidende Rolle in der Detektion von RH und RSH. Das Therapiemanagement basiert auf verschiedenen Säulen, welche neben konservativen Maßnahmen (Volumenersatz, Optimierung der Gerinnungsparameter), chirurgische und interventionelle Maßnahmen umfassen, die eng aufeinander abgestimmt werden. Aufgrund ihrer geringeren Invasivität bei simultan hohen technischen und klinischen Erfolgsraten hat insbesondere die Säule der interventionellen Therapie zunehmend an Bedeutung gewonnen.

Schlussfolgerung Das Therapiemanagement von Patienten/innen mit RH/SRH erfordert eine niedrige klinische Verdachtsschwelle und die Zusammenarbeit in einem interdisziplinären Team zur bestmöglichen Therapiefindung. Die transarterielle Embolisation erfordert eine systematische, standardisierte Abfolge der Blutungsdetektion und bietet Vorteile hinsichtlich technischer und klinischer Erfolgsraten.

Kernaussagen:

  • Retroperitoneale und Rektusscheidenhämatome können sich klinisch sehr heterogen und unspezifisch präsentieren. Rasche Diagnosen sind aufgrund einer relativ hohen Mortalität (ca. 12–30 %) essenziell.

  • Haupt-Risikofaktoren sind ein Alter > 65 Jahre und die Einnahme von Antikoagulantien, deren Verordnung in den vergangenen 10 Jahren um das 2,5-fache gestiegen ist. Seltener sind Koagulopathien, retroperitoneale Raumforderungen und Hämodialyse als ursächlich beschrieben

  • Die Computertomographie-Angiographie (CTA) besitzt eine hohe Sensitivität und Spezifizität für das Vorliegen aktiver Blutungen und hat die Diagnostische Subtraktionsangiographie (DSA) ersetzt.

  • Die Therapie sollte in einem multidisziplinären Setting, unter Einbezug der Inneren Medizin, der Radiologie und der Chirurgie erfolgen. Hauptindikationen für die Durchführung einer Embolisation sind der Nachweis eines aktiven Kontrastmittelaustritts in der CTA und das Vorliegen abdomineller Schmerzen. In Fällen ohne Nachweis einer aktiven Blutung und stabiler Vitalparameter können konservative Therapiemaßnahmen ausreichen. Die chirurgische Therapie bleibt oftmals therapierefraktären Blutungen mit Symptomen eines abdominellen Kompartments vorbehalten.

  • Eine systematische, standardisierte Abfolge der Blutungsdetektion in der DSA scheint Vorteile hinsichtlich technischer und klinischer Erfolgsraten zu bieten.


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Abstract

Background Retroperitoneal and rectus sheath hemorrhage (RRSH) has been described as a potentially fatal condition with mortality rates of up to 30 % due to the risk of exsanguination in combination with often nonspecific clinical symptoms. Patients at risk are > 65 years of age as well as those receiving anticoagulation/antiplatelet medicine. Classifications based on etiology consist of trauma, surgery, and/or underlying vascular pathologies, though spontaneous occurrences without precipitating factors have been reported and are expected to increase with the high number of patients undergoing anticoagulant therapy.

Method Analysis, summary, and discussion of published review articles and expert recommendations.

Results The most commonly described symptom during clinical examination is abdominal pain. However, depending on the volume loss, clinical symptoms may include signs of abdominal compartment and hemorrhagic shock. Computed tomography angiography (CTA) with high sensitivity and specificity for the presence of active bleeding plays an important role in the detection of RH and RSH. Therapy management is based on different pillars, which include surgical and interventional measures in addition to conservative measures (volume replacement, optimization of coagulation parameters). Due to its lower invasiveness with simultaneously high technical and clinical success rates, interventional therapy in particular has gained increasing importance.

Conclusion Diagnostic and therapeutic workup of the patients by an interdisciplinary team is essential for optimal patient care. In case of transcatheter arterial embolization, a standardized approach to the detection of bleeding sites within the vascular territory of the core hematoma appears to favorably influence success and patient outcome.

Key points:

  • The clinical presentation of retroperitoneal and rectus sheath hematomas can be very heterogeneous and nonspecific. Quick diagnosis is essential due to the relatively high mortality rate (approx. 12–30 %).

  • The main risk factors are age > 65 years and the intake of anticoagulants, the use of which has increased 2.5 times in the last 10 years. Coagulopathies, retroperitoneal masses, and hemodialysis are less common causes.

  • Computed tomography angiography (CTA) has a high sensitivity and specificity for the presence of active bleeding and has replaced diagnostic subtraction angiography (DSA).

  • Treatment should be performed in a multidisciplinary setting with the inclusion of internal medicine, radiology, and surgery. The main indications for embolization are the detection of active contrast extravasation on CTA and the presence of abdominal pain. In cases without active bleeding and with stable vital parameters, conservative treatment measures can be sufficient. Surgical treatment is often reserved for treatment-refractory bleeding with symptoms of abdominal compartment.

  • A systematic standardized approach to the detection of bleeding on DSA seems to have advantages regarding technical and clinical success rates.

Citation Format

  • Becker LS, Dewald CLA et al. Spontaneous retroperitoneal and rectus sheath hematomas and their interventional therapy: a review. Fortschr Röntgenstr 2024; 196: 163 – 175


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Abkürzungsverzeichnis

AVP: Amplatzer Vascular plugs
CT(A): Computertomographie (-Angiographie)
DSA: Digitale Subtraktionsangiographie
F: French
INR: International Normalized Ratio
KM: Kontrastmittel
M/Mm: Musculus/Musculi
MRT: Magnet-Resonanztomographie
NBCA: N-Butyl Cyanoacrylat
RH: Retroperitoneales Hämatom
RSH: Rektusscheidenhämatom
TAVI: Trans-Katheter-Aortenklappen-Intervention

Einleitung

Seit der Erstbeschreibung vor über 60 Jahren [1] ist vergleichsweise wenig über das Krankheitsbild des retroperitonealen Hämatoms (RH) und des Rektusscheidenhämatoms (RSH) publiziert worden. Definiert als Hämorrhagie in den retroperitonealen bzw. in den intramuskulären Raum der Abdominalwand, stellen RH/RSH eine mutmaßlich unterdiagnostizierte Erkrankung dar, deren Inzidenz zwischen 0,6 % in der Allgemeinbevölkerung und 6,6 % in älteren, antikoagulierten Subgruppen variiert [2] [3]. Ihre klinische Bedeutsamkeit erlangen sie insbesondere über eine signifikante Morbidität und Mortalität von bis zu 30 % [2] [3]. Aktuelle Expertenmeinungen gehen überdies von einer deutlichen Zunahme der Inzidenz in unserer alternden Gesellschaft mit mannigfaltigen Indikationen für eine Antikoagulation aus, was den Stellenwert des Themas noch weiter unterstreicht [2] [3].

Der retroperitoneale Raum (Spatium retroperitoneale; s. [Abb. 1]) bezeichnet den Raum zwischen dem dorsalen Peritoneum parietale und der hinteren Bauchdecke und ist stark vaskularisiert [4]. Er umfasst folgende primäre und sekundäre retroperitoneale Strukturen und Organe: Anteile des Duodenums, Pankreas, Colon ascendens und descendens, Rektum, große Gefäße und Nerven, die Ureteren, die Nebennieren und Nieren (s. [Abb. 1]). Die kraniale Begrenzung stellt das Zwerchfell dar, während die kaudalen Anteile des retroperitonealen Raumes per continuitatem in das Bindegewebe des subperitonealen Raumes übergehen [5]. Eine in der Literatur häufig verwendete Einteilung des Retroperitoneums bei traumatisch bedingten retroperitonealen Hämatomen beschreibt drei Zonen [6]: eine zentral-mediale (Zone 1), welche sich zwischen den Musculi (Mm.) iliopsoas erstreckt und die mittelständigen Strukturen wie die großen Gefäße, das Pankreas und das Duodenum umfassen, eine perirenale Zone (Zone 2), lateral der Psoasmuskulatur inklusive der (Neben-) Nieren, Ureteren und Kolonanteilen und die pelvine Zone (Zone 3) mit Harnblasen-Anteilen und präsakralen Gefäßen [7] [8] [9].

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Abb. 1 Schema-Zeichnung des Retroperitonealraums.

Assoziationen mit einem stattgehabten Trauma, einer vorangegangenen Operation oder einem generellen iatrogenen Eingriff, aber auch das spontane Auftreten ohne unterliegende Pathologie sind beschrieben [6] [10] [11] [12] (s. [Abb. 2]). Seltene Ursachen sind rupturierte parenchymatöse Läsionen wie Angiomyolipome, Zysten, Nierentumore oder vaskuläre Malformationen sowie (Pseudo-) Aneurysmata [7]. RH stellen heutzutage auch häufig eine Komplikation einer transfemoralen Kathetereinlage oder eines pelvinen oder lumbalen Traumas dar [2]. Stumpfe Traumamechanismen, bei denen über den Energietransfer einer äußeren Quelle Kompressions- und Scherkräfte auf die inneren Gewebe und Gefäße wirken, sind mit ca. 70–80 % häufiger als penetrierende Trauma-Ursachen für RH [7] [8] [12]. Hierbei wird mit ca. 10 % am häufigsten die Niere verletzt, deutlich seltener sind Duodenum (0,2 %) oder Pankreas (5 %) betroffen [7]. Iatrogene retroperitoneale Hämatome können das Ergebnis perkutaner oder endovaskulärer Eingriffe sein und weisen bei insgesamt geringer Prävalenz in der Literatur, eine bis zu 3,5-fach erhöhte Mortalitätsrate innerhalb von 30 Tagen auf [2]. Während die Einführung der Seldinger-Technik die Sicherheit intraarterieller Prozeduren erhöht hat [13], ist auch die Zahl der perkutanen femoralen Punktionen gestiegen, von denen insbesondere Punktionen oberhalb des Leistenbandes häufiger zu iatrogenen retroperitonealen Hämatomen führen [2]. Hierbei steigt das Risiko in Abhängigkeit vom Kaliber der eingebrachten Hämostaseschleuse sowie der peri- und postprozeduralen Heparindosis [2].

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Abb. 2 Ätiologien der retroperitonealen und Rektusscheidenhämatome. Die Abbildung basiert auf Daten aus Chan et al. [2], Daly et al. [8] und Klausenitz et al. [10].

Die ventrale Bauchwand besteht aus vier Muskelsträngen pro Seite: dem Musculus (M.) rectus abdominis, einem internen und einem externen M. obliquus sowie dem M. transversus (s. [Abb. 3]). Die Durchblutung dieser wird vornehmlich durch die tiefen Anteile der inferioren epigastrischen Arterie mit Ursprung aus der distalen Arteria (A.) iliaca externa, der superioren epigastrischen Arterie als Verlängerung der A. mammaria interna der jeweiligen Seite sowie der A.circumflexa ilium profunda mit Abgang aus der A. iliaca externa gewährleistet. Rektusscheidenhämatome als Einblutung in den Musculus rectus abdominis werden entsprechend der CT-Morphologie nach der Klassifikation von Berna [14] in drei Typen eingeteilt: Typ 1 ist größentechnisch auf den unilateralen Rektusmuskel begrenzt. Es kommt nicht zu einem Überschreiten der Mittellinie oder einer Spaltung der abdominellen Faszien [14]. Typ 2 ist ebenso beschränkt auf die Rektusmuskulatur, jedoch mit der Möglichkeit einer Dissektion entlang der transversalen Faszie oder über die Mittellinie hinaus. Typ 3 ist großvolumig, mit einer großen Dissektion der transversalen Faszie und des Transversusmuskels sowie einer Beteiligung des intraperitonealen Retzium-Raums, was sich klinisch als prävesikales Hämatom und Hämatoperitoneum äußert [4] [14]. Der häufig größere Blutverlust bei RSH-Typen 2 und 3 kann mit einem hämodynamischen Schock einhergehen, während Patienten mit Typ 1 bei Stabilität des Kreislaufs und/oder der Gerinnungsparameter häufig eine konventionelle Therapie erhalten können [4] [14] [15] [16].

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Abb. 3 Schematische Darstellung der ventralen Bauchwand.

Sowohl beim RH als auch beim RSH steht das Überleben der Patienten:innen bei drohender Exsanguination oder Komplikationen eines Kompartmentsyndroms häufig in direkter Abhängigkeit von einer frühen Diagnose. Bis zum Verlust hämodynamisch relevanter Blutmengen, mit konsekutiven Symptomen eines hämorrhagischen Schocks, können insbesondere die retroperitonealen Hämatome klinisch okkult verlaufen bzw. bei unspezifischer Symptomatik verzögert diagnostiziert werden [17] [18]. Aufgrund heterogener Ätiologien bedürfen sowohl RH als auch RSH deshalb einer rechtzeitigen und aggressiven Diagnose und Therapie innerhalb eines interdisziplinären Teams [3]. Dieses schließt neben der diagnostischen und interventionellen Radiologie die Kollegen:innen der Chirurgie und der Inneren Medizin ein, deren Kommunikation untereinander essenziell für eine adäquate und zügige Versorgungsplanung des/der Patienten:in ist [19].

Im Nachfolgenden wird der Fokus auf die Gruppe der spontanen retroperitonealen und Rektusscheidenhämatome gelegt, da diese aufgrund der zu erwartenden, zunehmenden Prävalenz und großer thematischer Überlappung bei Diagnostik und Therapie eine besondere Unterform darstellen.


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Spontane retroperitoneale und Rektusscheidenhämatome

Spontane retroperitoneale und Rektusscheidenhämatome sind eine klinische Entität, welche in der Abwesenheit unterliegender Pathologien oder stattgehabter Traumata auftreten [12].

Die genaue Ätiologie der retroperitonealen Hämatome, insbesondere bei Patienten mit nur moderat verminderter Gerinnungsfunktion unter antikoagulativer Therapie, bleibt häufig offen. Als Ursache wird eine fragile, z. B. arteriosklerotisch oder autoimmun-bedingt veränderte Mikrovaskularisation genannt, welche spontan oder nach (mikro-) traumatischen Ereignissen – Bagatell-Traumata – wie Husten oder Erbrechen einreißt und blutet [10] [20]. Mit zunehmender Größe des Hämatoms kommt es zu einer Beteiligung größerer Gefäße, welche ebenfalls rupturieren können [21] [22] [23]. Zu den betroffenen Gefäßen zählen am häufigsten lumbale und iliolumbale Arterien [3] [10], es können aber auch interkostale bzw. lumbale, epigastrische, pankreatikoduodenale sowie (ad-)renale und iliakale Arterien hinzuzählen. Maratka und Viklicky beschrieben zudem das „Psoas-Syndrom“ bei Patienten:innen unter Antikoagulation, bei denen es zu fortbestehenden Hämorrhagien im Retroperitoneum aufgrund eines fehlenden Tamponade-Effekts kommt [24]. Die Rektusmuskulatur bezieht ihre Blutzufuhr aus der superioren und inferioren epigastrischen Arterie und eine Blutung in diesem Bereich entsteht häufig durch die Verletzung eines Astes der A. epigastrica inferior, im Bereich der für Scherkräfte vulnerablen muskulären Perforationsstelle der Linea arcuatum [4].


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Risikofaktoren

Mehrere Risikofaktoren sind mit dem Auftreten spontaner RH und RSH in der Literatur assoziiert. Zu den am häufigsten genannten Risikofaktoren gehört ein höheres Lebensalter (> 65 Jahre) [10] [23] [25]. Ein weiterer häufiger Risikofaktor ist die Einnahme von Antikoagulantien, was angesichts einer zunehmend alternden Bevölkerung, mit vielfachen Indikationen für eine Antikoagulation, die klinische Bedeutsamkeit der Erkrankung unterstreicht [10] [23] [25]. In den aktuell publizierten Fallserien wurde eine Antikoagulationstherapie in > 75 % der Fälle beschrieben [19] [26] [27] [28]. Dabei ist eine Erhöhung des Blutungsrisikos mit sämtlichen auf dem Markt verfügbaren Antikoagulanzien dokumentiert, insbesondere jedoch durch nach Gabe von unfraktioniertem Heparin, welches in Studien gegenüber Warfarin eine 2- bis 5-fache Zunahme ergab [29]. Ein Vergleich zwischen neuen oralen Antikoagulantien und Warfarin in einer Studie von 423.450 Patienten mit Vorhofflimmern, ergab eine signifikante Blutung als Nebenwirkung in 6,9 % der Fälle [30]. Hierbei wurde eine geringere Rate an intrakraniellen Hämorrhagien (hazard ratio von Dabigatran: 0,56 vs. Rivaroxaban: 0,73) und gastrointestinalen Blutungen (hazard ratio von Rivaroxaban: 1,2 vs. 0,82 Apixaban) für Apixaban und Dabigatran gegenüber Warfarin sowie eine höhere Rate an gastrointestinalen Blutungen bei Rivaroxaban gegenüber Apixaban und Dabigatran dokumentiert (hazard ratio von Rivaroxaban: 1,2 vs. 0,88 Dabigatran, 0,84 Apixaban) [30]. In weiteren publizierten Fallserien wurde die höchste Prävalenz für Frauen > 70 Jahre verzeichnet, am ehesten bei anatomisch geringerer Muskelmasse und konsekutiv geringerem Tamponadeeffekt [15]. Eine zusätzliche Erhöhung des Risikos ist bei Frauen im gebärfähigen Alter durch das Vorliegen einer Schwangerschaft beschrieben [17] [19].

Seltenere Risikofaktoren sind das Vorliegen von Koagulopathien, retroperitonealer Raumforderungen wie Tumoren und aneurysmatischen Gefäßerweiterungen, einer Herzinsuffizienz, Leberfunktionsstörungen sowie die Durchführung einer Hämodialyse [23] [25] [31]. In einer Fallserie von 78 Patienten ohne Antikoagulation wies die Mehrheit das Vorliegen einer gynäkologischen Pathologie (z. B. ovarielle Torsion, hämorrhagische Zysten, ektope Schwangerschaft) auf [32]. Mechanisch bedingte Einblutungen bei massivem Husten im Rahmen pulmonaler Erkrankungen, wie Asthma oder einer chronisch obstruktiven pulmonalen Erkrankung (COPD), sind ebenfalls in wenigen Fallserien beschrieben [15] [17] [33].


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Diagnostik

Das Vorgehen bei Verdacht auf ein retroperitoneales Hämatom sollte – sofern möglich – mit einer ausführlichen Anamnese und körperlichen Untersuchung, inklusive der Evaluation der Atemwege und der Zirkulation entsprechend standardisierter Algorithmen beginnen. Schmerzen im Bereich des Abdomens, der Flanke oder des Rückens, gegebenenfalls mit palpabler Raumforderung und Zeichen eines (hämorrhagischen) Schockgeschehens (Lenk- oder Wunderlich-Triade) sind vereinbar, jedoch nicht spezifisch für das Vorliegen eines retroperitonealen Hämatoms. Dies liegt unter anderem darin begründet, dass große Blutvolumina insbesondere im Retroperitonealraum (und in deutlich geringerem Ausmaß in der Bauchwand) akkumulieren können, ohne dass dies in der körperlichen Untersuchung offenbar werden muss.

Ein komplettes Blutbild, eine Gerinnungsdiagnostik und ein metabolisches Panel für die Evaluation von Elektrolytentgleisungen, Leber- und Nierenfunktionsparametern sollten schnellstmöglich erfolgen, ggf. begleitet von dem Kreuzen von Blutkonserven im Fall eines (drohenden) transfusionspflichtigen Schockgeschehens. Eine Erhöhung der Serum-Amylase kann hierbei die Verletzung des Pankreas, eine Hämaturie eine unterliegende renale oder urethrale Verletzung vermuten lassen [34].

Ein Beispiel für einen Management-Algorithmus, angelehnt an Dohan et al. sieht, angepasst an die klinische Evaluation und das Vorliegen einer hämodynamischen Instabilität, insbesondere die Abstimmung im interdisziplinären Team vor [16].


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Klinische Präsentation

Häufigstes Symptom beim spontanen RH und RSH stellen abdominelle Schmerzen dar [9] [23] [31]. In einer Fallserie von 89 Patienten waren abdominelle Schmerzen mit 68 % in der klinischen Untersuchung am häufigsten, gefolgt von Schmerzen in der ipsilateralen unteren Extremität (24 %), Hüftschmerz (23 %) und Rückenschmerz (22 %) [23]. Darüber hinaus können diese recht unspezifischen Symptome von Zeichen der Hypovolämie bzw. des Blutverlusts begleitet werden, unter anderem Tachykardie, Schwäche, alteriertem mentalen Status, Blässe und Übelkeit. Bei Blutungen mit Bezug zum Musculus Iliopsoas, können eine femorale Neuropathie (z. B. in Form einer Fußheberparese), Parästhesien oder muskuläre Spasmen auftreten [2]. Das Vorliegen von Hautzeichen wie dem Grey Turner’s-Zeichen (Ekchymosen/Diskoloration der Flanken), dem Cullen’s-Zeichen (periumbilikale Ekchymose) sowie der Diskoloration des proximalen Oberschenkels (Fox-Zeichen), des Skrotums (Bryant’s-Zeichen) oder der Leiste (Stabler’s-Zeichen) ist insgesamt eher selten und unspezifisch [4] [19] [28].

Entsprechend ihrer anatomischen Lokalisation präsentieren sich RSH häufig mit akut einsetzendem abdominellem Schmerz und gegebenenfalls palpabler abdomineller Raumforderung [15]. Zusätzliche Symptome können Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Abwehrspannung und Zeichen eines abdominellen Kompartments darstellen. Zur Differenzierung einer akuten intraabdominellen von einer Bauchwand-Pathologie können unter anderem das Carnett’s- und das Fothergill’s-Zeichen dienen [28]. Sind diese positiv, wird eine Ursache im Bereich der ventralen Bauchwand angenommen. Bei Erhebung des Carnett’s-Zeichens werden die Punkte des Schmerzmaximums bei dem/der Patienten/in abwechselnd im Sitzen und im Liegen erhoben. Als positiv gewertet wird das Zeichen, wenn die Lokalisation des in Supination lokalisierten Schmerzmaximums von dem im Sitzen erhobenen Schmerzmaximum nicht wesentlich abweicht. Ein positives Fothergill’s-Zeichen wird verzeichnet, wenn eine Raumforderung der Bauchwand mit Bewegung der unteren Extremität keine wesentliche Änderung seiner Position erfährt und die Mittellinie nicht überschreitet [4].


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Bildgebende Diagnostik

Aufgrund der häufig unspezifischen klinischen Symptomatik kommt der Bildgebung bei der Diagnose der RH/RSH eine besondere Bedeutung zu. Der (fokussierte) Ultraschall ist in geübten Händen geeignet, um das Vorliegen freier Flüssigkeit oder raumfordernder Läsionen (intra-)abdominell festzustellen. Abhängig von der Lage und des Ausmaßes des Hämatoms können sowohl der Ultraschall als auch die körperliche Untersuchung gänzlich unauffällig sein [8] [17].

Aufgrund der hohen Morbidität und Mortalität der Erkrankung in einem eher älteren Patientenkollektiv sollte zeitnah und niederschwellig eine CTA-Untersuchung durchgeführt werden, da diese sowohl als Grundlage für die nachfolgende Therapieplanung dienen kann als auch in vielen Fällen zur Klärung weiterer Differentialdiagnosen beiträgt. Damit können in der Regel auch kleine Hämatome detektiert, in vielen Fällen sogar das betroffene Gefäßgebiet lokalisiert werden. Neben den Vorteilen einer breiten Verfügbarkeit und schnellen Akquisitionszeit konnte in Studien eine hohe Detektionsrate der CT-Angiographie (CTA) für aktive Blutungen dokumentiert werden, welche für Blutflussraten ≥ 0,25 ml/min eine Sensitivität von 97 % und eine Spezifität von 100 % aufwies [35]. Noch sensitiver ist mit Detektionsraten von 0,05–0,1 ml/min die Technetium-99m-Szintigraphie, die in der Regel bei intermittierenden und/oder okkulten (unteren) gastrointestinalen Blutungen Einsatz findet. Die Detektionsrate der Angiographie liegt, basierend auf Ergebnissen aus dem Jahr 1965, bei 0,5 ml/min [36]. Die CT-Untersuchung umfasst optimalerweise ein tri-, mindestens jedoch biphasisches Protokoll, bestehend aus einer nativen, arteriellen und venösen Phase über das gesamte Abdomen bis unterhalb der unteren Schambeinäste (s. [Abb. 4]). Das native Bild dient der Darstellung prä-existenter hyperdenser Materialien, welche so von aktiven KM-Extravasaten differenziert werden können. Die arterielle Phase kann mit einem Bolus tracking in der abdominellen Aorta (150 HU Grenzwert), die venöse Phase 70–90 Sekunden (s) nach KM-Injektion akquiriert werden. Dabei reichen erfahrungsgemäß 100–125 ml intravenösen Kontrastmittels (300 mg/ml Jod), gefolgt von 40–50 ml Natriumchlorid-Lösung bei einer Flussrate von 4–5 ml/s aus. Multiplanare Rekonstruktionen des Datensatzes mit 1,25 mm Dicke sollten zur Befundung herangezogen werden, zusätzlich können Maximum-Intensitäts-Projektionen (MIP) bei der Beurteilbarkeit der vaskulären Anatomie und Pathologien unterstützen. Das Vorliegen eines KM-Extravasats hat sich als unabhängiger Prädiktor für Mortalität und die Notwendigkeit der Durchführung eines interventionellen oder operativen Eingriffs gezeigt [10] [19] (Beispiel: s. [Abb. 4]). Insbesondere, wenn mehrere Arterien betroffen sind, hat sich in einem multizentrischen Vergleich der klinischen Erfolgsraten der endovaskulären Versorgung von RH/RSH, ein standardisiertes Vorgehen bei der Blutungsdetektion als besonders vielversprechend erwiesen [37]. Dabei wird zunächst versucht, den Kern des Hämatoms zu lokalisieren. Bei Hämatomen in und um den M. iliopsoas und den M. erector spinae können hierzu passend ipsilaterale, aortal abgehende interkostale Arterien (insbesondere Th 11, 12), lumbale Äste (L1–5) und iliolumbale Arterien aus glutealen Ästen der A. iliaca interna beteiligt sein. Seltener betroffene, ebenfalls zu kontrollierende Alternativen, stellen Blutungen aus (ad-)renalen und gonadalen Arterien dar (s. [Abb. 3], [4]).

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Abb. 4 Tri-phasisches, KM-gestütztes CT (A native Phase, B arterielle Phase, C portalvenöse Phase) eines 80-jährigen, männlichen Patienten mit Flankenschmerz und Nachweis eines KM-Extravasats im Sinne einer aktiven Blutung im linken Psoas-Muskel (roter Kreis).

In Abhängigkeit der klinischen Symptomatik kann aus strahlenhygienischen Gründen bei Kindern oder Schwangeren ein Ausschluss von RH/RSH mittels Ultraschall und/oder Magnetresonanztomographie (MRT) versucht werden. Aufgrund der vergleichsweise langen Akquisitionszeit spielt insbesondere die MRT für notfällige Untersuchungen eine nur untergeordnete Rolle.


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Therapie

Die Therapie von RH/SRH basiert auf den Säulen der konservativen, der interventionellen und der chirurgischen Therapie. Da es an spezifischen Leitlinien mangelt, sind Management und Therapie bis heute kontrovers diskutierte Themen. Sie erfolgen daher auf der Basis einer eher spärlichen Datenlage [19] [23] [28]. Nahezu alle Patienten erhalten Bluttransfusionen (45–80 %) oder allgemein Volumensubstitution und Schmerzmittel. Entsprechend der ermittelten Laborwerte werden Gerinnungsparameter soweit möglich optimiert, was in Ermangelung zwingender Indikationen auch das Absetzen oder Antagonisieren antikoagulativer Medikamente einbeziehen kann. Während die Wirkung von Vitamin K wegen der Neubildung von Gerinnungsfaktoren Stunden bis Tage benötigt, bewirken die Gabe von Protamin, Prothrombinkonzentrat, Fresh frozen plasma oder rekombinant hergestellter, aktivierter Gerinnungsfaktoren eine deutlich schnellere Steigerung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes [38]. Im Sinne einer aktiven Kreislaufunterstützung kann die Gabe von Katecholaminen nötig sein. Diese konservativen Maßnahmen bilden die Grundlage der Therapie, welche in Abhängigkeit vom Ausmaß der Blutung und der Stabilität des Kreislaufs bereits ausreichend sein können: In Zusammenschau der publizierten Fallserien genügen konservative Maßnahmen mit oder ohne Intensivstations-Aufenthalt in einer Mehrzahl der Fälle, während im Mittel ca. 25 % eine invasive Therapie benötigen [19] [23] [26] [27] [28]. Chirurgische Therapien sind in der Regel (konventionell) therapierefraktären, hämodynamisch instabilen Fällen mit starken Schmerzen, Nervenkompression oder Beteiligung größerer Gefäße mit massivem Transfusionsbedarf und Zeichen eines abdominellen Kompartmentsyndroms vorbehalten, welche bis zu 10 % der Fälle in der Literatur ausmachen [19] [23] [26] [27] [28]. Die Durchführung einer potenziell lebensrettenden (offenen) Operation mit Ligatur blutender Gefäße und Ausräumung des Hämatoms birgt simultan jedoch auch das Risiko eines Verlusts des tamponierenden Effekts des Hämatoms und kann durch das Vorliegen multipler Blutungsquellen erschwert werden [39].

Die interventionelle Therapie, unter Einsatz transarterieller Embolisationsmaßnahmen, hat sich in Studien als sichere und sowohl technisch als auch klinisch erfolgreiche Methode erwiesen [10] [40]. Durch die minimale Invasivität und den nach endovaskulärem Gefäßverschluss sofortigen therapeutischen Effekt kann sie bei rascher Verfügbarkeit eines interventionsradiologischen Teams auch bei hämodynamisch instabilen Patienten genutzt werden [3] [10] [41]. Während randomisierte Vergleiche der Therapieoptionen bislang nicht existieren, sollten für die Patienten im interdisziplinären Setting stets individualisierte Therapieentscheidungen, oftmals auch Kombinationstherapien, getroffen werden. So sind beispielsweise vier Fälle von Isokangas et al. [42] beschrieben, in denen Patienten bei vorangegangener operativer Therapie, durch eine in Ergänzung durchgeführte interventionelle Embolisation, suffizient therapiert werden konnten.

Im Fall einer in der vorangegangenen CTA diagnostizierten Blutungsquelle kann das Gefäß direkt sondiert und nach einer selektiven DSA direkt adressiert werden. Eine Aortografie vermag hierbei eine Übersicht zu geben und bei der Blutungsdetektion unterstützen. Zudem empfiehlt sich im Hinblick auf eine eigene, noch nicht publizierte, multizentrische Studie von 91 Fällen – unter anderem zum Ausschluss multifokaler Gefäßläsionen oder von Kollateralfluss – ein standardisiertes Vorgehen bei der Blutungssuche im Territorium der Blutung (s. [Abb. 5]), was zu einer signifikanten Verbesserung des Überlebens führte. Zeichen einer aktiven Blutung in der DSA entsprechen denen in der prä-interventionellen CTA: Nachweis eines aktiven KM-Austritts ins Gewebe, Formation eines Pseudoaneurysmas und Gefäßabbrüche [10]. Auch Berichte von mehrfachen Angiografien oder empirischen Embolisationen bei nur indirekten Zeichen einer Blutung wie Gefäßirregularitäten oder Spasmen liegen vor [10]. Da bisher kein Konsens in Form einer Leitlinie existiert, empfehlen Studien wie von Panetta et al. [43] die Durchführung einer Embolisation bei Nachweis eines KM-Extravasats im CT. Der Zeitpunkt, zu dem bei fehlendem Blutungsnachweis in der CTA eine Angiographie in Embolisationsbereitschaft erfolgen sollte, ist demgegenüber nicht klar definiert. Es existieren Empfehlungen, notfällig interventionell tätig zu werden, wenn ein Patient trotz > 4 erhaltener Bluttransfusionen in 24 Stunden oder > 6 Bluttransfusionen in 48 Stunden Zeichen der hämodynamischen Instabilität zeigt [43]. In anderen Zentren ist die Indikation für die Durchführung einer DSA niederschwelliger und wird auch bei (initial) fehlendem Blutungsnachweis in der CTA bei frühen Warnsymptomen, wie z. B. ausgeprägten Schmerzen, gestellt [44]. Auch wir favorisieren eine frühe Angiographie, ggf. mit Re-Angiographie im Verlauf, da große Hämatome und ein häufig hiermit einhergehender, eingeschränkter Allgemeinzustand sowie die Gefahr einer Verbrauchskoagulopathie die Therapie erschweren. Publizierte Fallserien dokumentierten hohe technische und gute klinische Erfolgsraten, sodass der interventionelle Ansatz bei geringerer Invasivität eine zunehmende Rolle in der therapeutischen Versorgung der RH/ RSH einnimmt [10] [41] [43] [45].

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Abb. 5 Therapiealgorithmus transarterielle Embolisation.

Die DSA wird in manchen Zentren über eine sonographisch gesteuerte (Mikro-) Punktion der (rechten) Femoralarterie durchgeführt, um insbesondere im Falle einer Gerinnungsstörung das Risiko einer weiteren Blutung möglichst gering zu halten [46]. Alternative Zugangswege (z. B. über radial, brachial etc.) sind ebenfalls möglich. In Abhängigkeit von Art und Größe der geplanten embolisierenden Materialien ist der Durchmesser der Hämostaseschleuse zu wählen, wobei in den meisten Fällen (zunächst) eine 4 French (F)-Hämostaseschleuse genügt. In Co-Axialtechnik werden im Anschluss ein Diagnostikkatheter an das entsprechende Gefäßostium und darüber hinaus bei supraselektiver Sondierung ein Mikrokatheter in das betroffene Gefäß verbracht. Je nach anatomischen Gegebenheiten eignen sich als Diagnostikkatheter häufig verwandte wie Cobra 2, Shepherd Hook, Sidewinder oder auch SosOmni in verschiedenen Größen/Konfigurationen. Die Wahl des Mikrokatheters steht in direktem Zusammenhang zum Durchmesser des Zielgefäßes und zur Größe und Beschaffenheit des zu applizierenden Embolisationsmaterials; während größerlumige Mikrokatheter eine freiere Handhabe bezüglich der Embolisat-Auswahl lassen, ermöglichen kleinlumige Mikrokatheter in den teils sehr zartkalibrigen und gewundenen Gefäßen ein besseres Vorankommen. Ebenfalls entsprechend der vorliegenden anatomischen Verhältnisse, des Gerinnungsstatus und der Katheterlage im Gefäß erfolgt die Auswahl des Materials. Wichtig ist, insbesondere im Hinblick auf das reiche Netzwerk an Kollateralen im Retroperitoneum, eine Embolisation des blutenden Gefäßes in „Frontdoor/backdoor“-Technik, sprich einem Verschluss des Gefäßes proximal und distal des blutenden Anteils [10] (s. [Abb. 6]).

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Abb. 6 DSA einer 78-jährigen, weiblichen Patientin mit aktivem KM-Austritt aus einem kleinen Seitenast der A. circumflexa ilium profunda (A; roter Kreis) mit nachfolgenden feinen Verzweigungen der Arterie (roter Pfeilkopf). Das Vorbringen des Mikrokatheter gelingt bis an den Abgang des Seitenastes (B; roter Pfeil). Daraufhin selektive Embolisation mit Flüssigembolisat (Histoacryl + Lipiodol) zur Sicherung einer Front-Door/Back-Door-Embolisation (C). Das Embolisat wurde bis in die kleinen Verzweigungen der Arterie hinter dem KM-Austritt vorgebracht (C; rote Pfeilspitze).

Zurzeit bietet die Datenlage noch keinen Konsens bezüglich der Auswahl der Materialien, entscheidend sind Faktoren wie Blutungslokalisation, Erfahrung mit und Verfügbarkeit der Materialien. Stent grafts werden zur Abdichtung großer Gefäßlecks genutzt. Einen mechanischen Gefäßverschluss erreicht man mit Gefäßspiralen („vascular Coils“), Gefäßverschlusstopfen („vascular plugs“) und Embolisationspartikeln; Letztere lassen sich grundsätzlich in temporär versus permanent verschließend klassifizieren [47]. Auch Flüssigembolisate und Sklerosanzien (z. B. Histoacryl (B.Braun, AG, Melsungen, Deutschland), „Glubran 2“ (GEM SRL, Viareggio, Italien), Onyx (ev3, Irvine, California), Squid (Balt, Montmorency, France)), „PHIL“ (MicroVention, Aliso Viejo, California, USA), Ethanol) führen zu permanentem Gefäßverschluss. Zu Vertretern der temporären Embolisate zählen resorbierbare Partikel wie Gelatineschwämme (Gelfoam, „Surgifoam“ (Johnson & Johnson Medical, USA)) [48]. Die Charakteristika bzw. das Wissen über Zusammensetzung, das biologische Verhalten, den Okklusionsmechanismus, das Okklusionsniveau und die Applikationsbesonderheiten sollten dem/der interventionell Tätigen vor Anwendung bekannt sein. Hierzu gehört das Wissen um den Effekt von Coils, welche eine Okklusion durch die Abfolge zunächst einer mechanischen Obstruktion, gepaart mit einer Thrombozytenaktivierung und Aktivierung der plasmatischen Gerinnung, erreichen [47]. Gleichzeitig bedeutet dies im Umkehrschluss eine nur eingeschränkte Effektivität bei Vorliegen einer Koagulopathie oder Thrombozytopenie. Trotz der Vielzahl von Designs auf dem Markt, ist allen gemein, dass eine stabile Positionierung für eine gezielte Embolisation obligat ist, was mitunter durch eine gewisse Überproportionierung des Coils zum Gefäß, aber auch durch kontrollierte Ablösemechanismen einzelner Modelle erreicht werden kann [47].

Zu den bekanntesten Vertretern der Gefäßverschlussstopfen zählen die Amplatzer Vascular Plugs (AVP; St. Jude Medical, St. Paul, Minnesota, USA), welche als vier Konfigurationen eines gewobenen, im Gefäß expandierenden Nitinolgeflechts verfügbar sind. Entwickelt für den schnellen vaskulären Verschluss ist dieser bei funktionierender Gerinnung in 3–5 Minuten zu erreichen [47]. Vorteile der AVP und Mikroplugs sind eine einfach und schnelle Applikationsmöglichkeit, die zudem auch einen Rückzug und eine Umpositionierung ermöglichen.

Unabhängig von der Gerinnungssituation können Flüssigembolisate und Sklerosanzien angewendet werden. Hierzu zählen die Cyanoacrylate (z. B. N-Butyl-Cyanoacrylat: NBCA), welche in Medizin und Industrie als Klebstoffe Einsatz finden. Trotz seines breiten Einsatzgebietes besitzt das Histoacryl jedoch bis heute keine offizielle Zulassung für die intravaskuläre Anwendung [48]. Eine zugelassene Alternative ist hier z. B. „Glubran 2“. NBCAs werden mit öligen Kontrastmitteln (Lipiodol: Guerbet, Roissy, Frankreich) gemischt, was zusätzlich zu Viskosität und Polymerisationszeit auch die Röntgendichte beeinflusst [47]. Hierbei gilt, je mehr Zusatz von Lipiodol, desto flüssiger das Embolisat und desto weiter peripher erfolgt die Embolisation. Um die Polymerisation im Katheter zu verhindern, muss dieser mit 5–10 %iger Glucoselösung gespült werden. Folge der Anwendung einiger Cyanoacrylate ist die Entwicklung einer Entzündungsreaktion, die sowohl die Gefäßwand als auch das benachbarte interstitielle Gewebe betrifft und so zum Untergang des betroffenen Gefäßes führt [47]. Vorteile der NBCAs liegen in ihrer Eigenschaft als schnelle, vergleichsweise preiswerte und effiziente Embolisate. Die einhergehenden Risiken von ungezielten oder gar Fehlembolisationen im Falle zu langer Polymerisationszeiten oder einer Adhäsion der Katheterspitze bei zu langsamer Entfernung des Katheters, setzen für den optimalen Einsatz ein gewisses Maß an Erfahrung voraus. Neue entwickelte Produkte dieser Gruppe wie „Glubran 2“ oder „Magic Glue“ (Balt, Montmorency, Frankreich) haben in experimentellen präklinischen Studien eine geringere Adhäsion und eine geringere inflammatorische Wirkung gezeigt [48]. Onyx (Medtronic Neurovascular, Irvine, California, USA) ist ein nicht adhäsives, flüssiges Embolisationsmaterial, das nach Kontakt mit Blut zur Ausfällung kommt. In verschiedenen Viskositätsstufen erhältlich, kann es sowohl für die Embolisation komplexer zerebraler als auch kleiner peripherer Gefäße genutzt werden [47]. Das hohe Maß an kontrollierter Anwendbarkeit, das effiziente Ausfüllen von Target-Gefäßen und -Malformationen sowie die hohe Anzahl an durchgeführten Studien mit Onyx gehören zu seinen großen Vorteilen; Nachteile sind der relativ hohe Preis, die Schmerzhaftigkeit der Injektion, das Risiko vaskulärer Nekrosen und Verfärbungen bei sehr oberflächlicher Anwendung sowie das Auftreten von Artefakten postinjectionem [49]. Die Onyx- (und „Squid“- (Balt, Montmorency, Frankreich)) Behälter müssen zudem ca. 10–20 Minuten zum Beispiel auf einem Rüttler geschüttelt werden, bevor eine Injektion möglich ist. Die im Vergleich deutlich jüngeren Embolisationsmaterialien „Squid“ und insbesondere „PHIL“ weisen in experimentellen Studien eine verbesserte Röntgensichtbarkeit bei geringerer Artefaktüberlagerung auf [49].

Den permanenten Embolisaten gegenübergestellt sind die temporären, welche im Falle von Gelfoam (u. a. Pfizer, New York, New York, USA) aus gereinigter Hautgelatine bestehen und in Form von Platten, Stücken oder Partikeln vertrieben werden. Diese können, in Abhängigkeit ihrer Indikation, zu einer Suspension mit Kochsalzlösung und Kontrastmittel oder zu schmalen Torpedos verarbeitet werden, welche beispielsweise zur Embolisation von Nadel- und Kathetertrakten dienen können. Der temporäre Embolisationseffekt entsteht durch die hohe Absorptionsfähigkeit der Gelatine, welche zu einem Trocknungseffekt und Aufnahme von Thrombozyten führt, was die Gerinnung unterstützt. Üblicherweise wird Gelfoam komplett resorbiert mit Gefäßrekanalisation nach spätestens 14 Tagen [47]. Es besteht nur geringe Abhängigkeit vom Gerinnungsstatus, sodass seine Anwendung insbesondere bei Patienten:innen mit derangierter Gerinnung nützlich sein kann [47].

Grundsätzlich sollte insbesondere in einer Notfallsituation nur Material genutzt werden, welches dem/der Interventionalist/in bekannt ist und sicher angewendet werden kann. Ein Vertrautmachen mit ggf. neuen oder unbekannten Substanzen sollte unter kontrollierten Bedingungen in Trainingskursen und/oder in ausgewählten Fällen erfolgen. Unter Voraussetzung von Erfahrung und Kenntnis von Strategien der Prävention und des Managements etwaiger Komplikationen, bieten Flüssigembolisate wie NBCA eine schnelle und zuverlässige, vom Gerinnungsstauts unabhängige Therapieoption [10] [48].


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Prognose

Spontane RH und RSH können mit einer hohen Mortalität assoziiert sein, welche in größeren Fallserien mit Raten bis 30 % dokumentiert wurde [26] [28] [50]. Als ursächlich beschrieben ist selten direkt das RH/RSH, sondern sind häufiger Folgen des Blutverlusts mit Multiorganversagen und/oder mesenterialer Ischämie [26] [28] [50], möglicherweise in Kombination mit den Komorbiditäten älterer Patienten.

Die Wiederaufnahme der antikoagulativen Therapie ist eine diffizile Angelegenheit, bei der der Nutzen sorgfältig gegen das Risiko einer erneuten oder verstärkten Blutung abgewogen werden muss. Nur wenige publizierte Studien existieren als Entscheidungshilfe, unter anderem eine retrospektive Studie von Kunkala et al., in welcher 156 antikoagulierten Patienten:innen mit RSH [51], nach einer mittleren Dauer von 4 Tagen [Intervall: 2–8 Tage], erneut blutverdünnende Medikamente (Aspirin, Thrombozytenaggregationshemmer, Marcumar) einnahmen. Von diesen erlitten insgesamt fünf thrombotische Komplikationen während des therapiefreien Intervalls, während bei zwei Patienten nach Wiederaufnahme der Therapie eine Vergrößerung des Hämatoms dokumentiert wurde. Demgegenüber zeigte eine retrospektive Studie mit 34 Patienten nach Wiederaufnahme der Antikoagulation nach im Mittel 19 Tagen [2–90 Tage] keine erneute Blutungskomplikation [52]. Sofern weiter als notwendig erachtet, erscheint die Wiederaufnahme der Antikoagulation bei stabilen Kreislaufverhältnissen und unter den kontrollierten Bedingungen des Krankenhausaufenthaltes sinnvoll. Ein echtes Dilemma stellen jedoch Patienten:innen mit starker Indikation für eine (teils mehrfache) Antikoagulation dar, z. B. nach Implantation eines Medikamenten-beschichteten Stents oder einer Trans-Katheter-Aortenklappen-Intervention (TAVI) [52]. Während ein Absetzen der Medikation bei thrombembolischen Komplikationen nachweislich von erhöhter Mortalität begleitet wird [53] [54], stellen die mit 5–9 % bis zu mehreren Wochen postoperativ auftretenden Blutungen, ebenfalls ein relevantes Mortalitäts-Risiko dar [54], sodass eine Risiko-adaptierte und individualisierte Antikoagulation in dieser Hoch-Risiko-Gruppe empfohlen wird [54]. Gerade in dieser Risikokonstellation erwarten wir, dass die gering invasiven aber effektiven und vom Gerinnungsstatus weitgehend unabhängigen Embolisationsverfahren eine breitere Anwendung finden werden. Wie in einer Publikation der DeGIR basierend auf der Auswertung des DeGIR-Registers dargestellt, besteht auf Bundeslandebene eine deutschlandweit flächendeckende Versorgung mit interventionell-radiologisch geführten Therapien bei akuten Blutungen. Die Verteilung der DeGIR-Ausbildungszentren sollte auch dabei helfen, jüngere interventionelle Radiolog:innen auszubilden, um die Situation weiter zu verbessern [41]. Zudem gibt es eine ganze Reihe von DeGIR zertifizierten Kursen (https://www.drg.de/de-DE/178/veranstaltungskalender/degir//), die speziell Embolisationstechniken vermitteln.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

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Korrespondenzadresse

Frau Dr. Lena Sophie Becker
Diagnostic and Interventional Radiology, MHH
Carl-Neuberg-Str.1
30625 Hannover
Germany   
Phone: +49/5 11/5 32 34 21   

Publication History

Received: 13 April 2023

Accepted: 01 July 2023

Article published online:
15 August 2023

© 2023. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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Abb. 1 Schema-Zeichnung des Retroperitonealraums.
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Abb. 2 Ätiologien der retroperitonealen und Rektusscheidenhämatome. Die Abbildung basiert auf Daten aus Chan et al. [2], Daly et al. [8] und Klausenitz et al. [10].
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Abb. 3 Schematische Darstellung der ventralen Bauchwand.
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Abb. 4 Tri-phasisches, KM-gestütztes CT (A native Phase, B arterielle Phase, C portalvenöse Phase) eines 80-jährigen, männlichen Patienten mit Flankenschmerz und Nachweis eines KM-Extravasats im Sinne einer aktiven Blutung im linken Psoas-Muskel (roter Kreis).
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Abb. 5 Therapiealgorithmus transarterielle Embolisation.
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Abb. 6 DSA einer 78-jährigen, weiblichen Patientin mit aktivem KM-Austritt aus einem kleinen Seitenast der A. circumflexa ilium profunda (A; roter Kreis) mit nachfolgenden feinen Verzweigungen der Arterie (roter Pfeilkopf). Das Vorbringen des Mikrokatheter gelingt bis an den Abgang des Seitenastes (B; roter Pfeil). Daraufhin selektive Embolisation mit Flüssigembolisat (Histoacryl + Lipiodol) zur Sicherung einer Front-Door/Back-Door-Embolisation (C). Das Embolisat wurde bis in die kleinen Verzweigungen der Arterie hinter dem KM-Austritt vorgebracht (C; rote Pfeilspitze).