Dieser Bruch in der Versorgung kann durch die im SGB V verankerten Leistungen der
medizinischen Rehabilitation geheilt werden, deren Zugang über die
Vorschriften nach Kapitel 3 und 4 des geänderten SGB IX Teil 1 erfolgt,
wodurch ein nahtloser Übergang von der Behandlung zur medizinischen
Rehabilitation gewährleistet wird. Auf Grundlage der individuellen und
funktionsbezogenen Bedarfsermittlung nach § 13 SGB IX können die
Leistungen der medizinischen Rehabilitation als Einzel- und als Komplexleistungen im
gewohnten Lebensumfeld in Anspruch genommen werden. Während Einzelleistungen
der medizinischen Rehabilitation fachärztlich oder durch
Psychotherapeut:innen verordnet werden können, können ambulante
Komplexleistungen der Rehabilitation nur in Rehabilitationseinrichtungen erbracht
werden, für die ein Versorgungsvertrag nach § 111c SGB V
besteht.
Mit der Mobilen Rehabilitation (MoRe) wurde ein wichtiger Schritt der
Einbeziehung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen in die
Rehabilitationsangebote geleistet. Mit ihr besteht die Möglichkeit,
individuell angepasste Leistungen der medizinischen Rehabilitation durch ein
multiprofessionelles Team über einen definierten Zeitraum aufsuchend zu
erbringen. Mobile medizinische Rehabilitationsleistungen in Ergänzung zu
ambulanten und stationären Rehabilitationsleistungen wurden in der
Erkenntnis geschaffen, dass ein Teil der Menschen nicht von den Komplexleistungen in
einer Einrichtung außerhalb des gewohnten Umfeldes profitiert. Die Idee der
MoRe unabhängig von der beruflichen Eingliederung entstand parallel zur
Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes SGB XI [3] und im Anschluss an eine Modellerprobung, die in
gemeinsamen Rahmenempfehlungen zur Mobilen geriatrischen Rehabilitation (MoGeRe)
unter Federführung des GKV-Spitzenverbandes resultierte [4].
Die Mobile Rehabilitation nimmt Fahrt auf
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit der MoGeRe wurden Diskussionen
über die Ausweitung geführt und die gemeinsamen
Rahmenempfehlungen am 01.06.2021 um die Leistungen der Mobilen
Indikationsspezifischen Rehabilitation erweitert [5]. Diese umfasst unter anderem die
Personengruppe mit schweren psychischen Erkrankungen, nämlich Personen
mit „erheblichen Schädigungen mentaler Funktionen, deren
Ausprägung und Handlungsrelevanz bei Verlust gewohnter
räumlicher und sozialer Bezüge derart zuzunehmen drohen,
dass rehabilitative Maßnahmen nur unter Erhalt dieser Bezüge
erfolgversprechend erscheinen.“ [5, S. 36]. Ermöglicht werden
eine Rehabilitation und ein Training im vertrauten Umfeld unter
Berücksichtigung relevanter Umweltfaktoren, wobei die
alltägliche praktische Lebensführung zum Übungs- und
Trainingsfeld wird [5].
Ein Problem der Umsetzung der indikationsspezifischen MoRe in der
gemeindepsychiatrischen Versorgung besteht neben den konkreten
Leistungsbestandteilen in der definierten Leistungsdauer. Ambulante
Rehabilitationsleistungen werden längstens für 20
Behandlungstage erbracht, dementsprechend sollen auch Leistungen der MoRe in
intensiv aufsuchender Form an 20 Behandlungstagen erbracht werden [5]. Ein Behandlungstag in der MoRe ist
definiert durch die Erbringung von Therapieeinheiten à 45 Minuten durch
das nichtärztliche Rehabilitationsteam.
Damit liegt die Weiterentwicklung und Verbreitung des Angebots der
indikationsspezifischen MoRe als Mobile Psychiatrische Rehabilitation
(MoPsyRe) nahe, bei der die besonderen Bedarfe schwer psychisch kranker
Menschen berücksichtigt und eine Verknüpfung der
Rehabilitationsdienste innerhalb eines vernetzten Systems wie dem
Gemeindepsychiatrischen Verbund angestrebt werden. Eine Vorlage bietet das
Modellprojekt „Mobile Medizinische Rehabilitation für Psychisch
Erkrankte“ (MMRP) der Rudolf-Sophien-Stift gGmbH Stuttgart (RSS) [6].
Anpassungen an die spezifischen Bedarfe schwer psychisch kranker
Menschen
Die Teilhabeziele werden auf Grundlage der individuellen
Beeinträchtigungen der mentalen Funktionen der Internationalen
Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)
[7] und der daraus resultierenden
Teilhabebeeinträchtigungen mit der leistungsberechtigten Person
festgelegt und unter Einbeziehung des Umfeldes ein detaillierter
Rehabilitationsplan erstellt, der über die Zeitdauer der MoPsyRe
hinausweist und eine langfristige Strategie zur Bewältigung der
Behinderung entwickelt. Dafür bedarf es eines Instrumentes, das die
Beeinträchtigungen der mentalen Funktionen in Wechselwirkung mit umwelt-
und einstellungsbedingten Barrieren individuell erfasst und gleichzeitig die
mentalen Funktionen sowie die soziale Umwelt als Förderfaktoren
berücksichtigt und sich damit an der ICF [7]
[8] orientiert.
Der Rehabilitationsplan wird als multiprofessionelle Komplexleistung mit
ärztlichen, psychologischen, pflegerischen, sozialarbeiterischen und
ergotherapeutischen Bestandteilen umgesetzt. Leistungserbringung und -dauer
wurden, wie in den Rahmenempfehlungen für indikationsspezifische MoRe
vorgesehen, für den Personenkreis der schwer psychisch erkrankten
Menschen angepasst. Die Maßnahme der MoPsyRe ist im Konzept des
Rudolf-Sophien-Stiftes über eine erweiterte Rehabilitationsdauer von 12
Wochen und einer individuell angepassten Behandlungstaktung mit
Behandlungseinheiten von 45 Minuten angelegt. Es sind drei Behandlungstage pro
Woche festgelegt, wobei ein Behandlungstag die Erbringung von mindestens einer
Therapieeinheit durch das nichtärztliche Rehabilitationsteam beinhaltet.
Während der zwölfwöchigen Dauer der Maßnahme
sind zusätzlich mindestens sechs Leistungseinheiten durch die
Fachärzt:in à 15 Minuten zu erbringen, die wie
Sozialdienstleistungen zusätzlich abgerechnet werden können.
Sind wichtige Rehabilitationsziele noch nicht erreicht, kann in der 10. Woche ein
Antrag auf Verlängerung der Maßnahme für weitere sechs
Wochen (30 Therapieeinheiten) erfolgen. Erforderliche Leistungen der
Krankenbehandlung wie ambulante allgemeinmedizinische und psychiatrische
Behandlung, Richtlinien-Psychotherapie sowie psychiatrische häusliche
Krankenpflege zur Unterstützung bei akuten psychischen Krisen werden bei
Bedarf parallel von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert. Leistungen
zur Teilhabe am Arbeitsleben werden beibehalten, Leistungen der
Eingliederungshilfe zur Sicherstellung der sozialen Teilhabe werden bei Bedarf
parallel erbracht [9].
Besonderheiten der MoPsyRe
Das Rehabilitationsverständnis ist ein ganzheitliches und basiert auf dem
bio-psycho-sozialen Modell von Gesundheit. Psychiatrische Rehabilitation
beinhaltet im Wesentlichen zwei Strategien: (1) die auf das Individuum
zentrierte Rehabilitation, mit der Kompetenzen und Fertigkeiten der
Rehabilitanden gefördert und entwickelt werden, um die Anforderungen der
Umwelt bewältigen zu können und (2) die Auseinandersetzung mit
den sozialen Rahmenbedingungen, um Stressoren zu reduzieren und die Entfaltung
der Persönlichkeit zu ermöglichen. Durch die Erbringung der
Rehabilitationsleistung im sozialen und häuslichen Umfeld können
gesundungsfördernde und hemmende Umweltfaktoren erkannt und potenzielle
Barrieren beseitigt werden. Aktivitäten und Teilhabe können im
direkten Lebensumfeld der betroffenen Personen etabliert und erweitert werden.
Das häufig auftretende Problem des unzureichenden Transfers des
Erlernten in den Alltag wird vermieden.
Die Inhalte von MoPsyRe sind darauf ausgerichtet, dass die leistungsberechtigte
Person durch ein komplexes Behandlungsangebot auf Grundlage eines konkreten
Rehabilitationsplans die von ihr angestrebten Ziele erreicht, sowie individuelle
mentale Beeinträchtigungen reduziert und Fähigkeiten und
Ressourcen aktiviert werden. Dieses muss auf evidenzbasierten Interventionen
basieren und kann daher nur von entsprechenden Fachkräften
ausgeübt werden [10]. Der
Rückgriff auf die Empfehlungen der S3-Leitlinie „Psychosoziale
Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen“ [11] ist daher zwingend erforderlich. Die
Interventionen setzen in der häuslichen Umgebung an und erweitern sich
sukzessive in den öffentlichen Raum und das soziale Umfeld. Die
Gesamtverantwortung liegt bei der leitenden psychiatrischen Fachärzt:in,
die auch weitergehende rehabilitationsbezogene Behandlungsangebote nach
Abschluss der Maßnahme verordnet.
Die nicht-ärztlichen Leistungen werden von einem multiprofessionellen
Rehabilitationsteam abgestimmt erbracht, das psychologische und
soziotherapeutische Leistungen, Leistungen der psychiatrischen Pflege
einschließlich Ernährungsberatung, ergotherapeutische Leistungen
und Sporttherapie erbringt.
MoPsyRe auf Start für eine bundesweite Umsetzung
Das Rudolf-Sophien-Stift erstellte aus den therapeutischen Erfahrungen
während der Modellphase in Verbindung mit den gesetzlichen Vorgaben eine
Konzeption für die MoRe für Menschen mit psychischen
Erkrankungen. Diese wurden vom Medizinischen Dienst (MD) geprüft und es
erfolgte die Bestätigung, dass die konzeptionellen Voraussetzungen
für eine medizinisch leistungsfähige Rehabilitationsbehandlung
vollständig erfüllt sind. Sind bis zum Abschluss einer
Versorgungs- und Vergütungsvereinbarung noch einige Details zu regeln,
so ist mit der Anerkennung des MD der Weg zur bundesweiten Etablierung der
MoPsyRe offen. Damit könnte der Empfehlung 10 der S3-Leitlinien
Psychosoziale Therapien, wonach in allen Versorgungsregionen eine
gemeindepsychiatrische, teambasierte und multiprofessionelle Behandlung zur
Versorgung von Menschen mit schwerer psychischer Erkrankung zur
Verfügung stehen soll [11], weiter
Vorschub geleistet werden.